Apfel, Nuss und Mandelkern essen fromme Kinder gern. Erwachsene sind in der Lage, das zu abstrahieren und in altersgerechter Form zu sich zu nehmen, nämlich als Champagner, der diese und noch sehr viel mehr Aromenmerkmale an den Gaumen und durch die Nase führt. Damit ist er nicht alleine, wie in Rundfunk und Presse kolportiert wird. Da ich diesen Verdacht insgeheim selbst hege, habe ich mir einen kleinen Bestand verschiedener Nichtchampagner angelegt, den so kurz nach der Weihnachtszeit geordnet zu verkosten keineswegs leicht werden würde, mit fachkundiger Hilfe gelang es dann aber doch.

Ein Grund dafür war die Unterstützung, die ich von der zauberhaften Anabela Campos-Neves, Inhaberin von Anabelas Kitchen in Berlin-Charlottenburg bekam. Ein weiterer Grund war die Unterstützung durch die Runde geeignete Mitverkoster, die sich nicht nur in Berlin eines guten Rufs erfreuen, sondern auch und gerade durch ihre Verkostungserfahrung für mich wertvolle Rückmeldung geben konnten.

Als Eröffnungsschluck gab es gleich mal etwas Unerwartetes, einen Ribolla-Gialla 2012 von Tenuta Stella Collio. Sowas kennt ja hier kein Mensch, dabei wäre es längst an der Zeit, sich über die Pausen-Prosecco Kultur hinweggesetzt zu haben und dieser feine Schäumer mit seiner eleganten Aromatik von weißen Pfirsichen, Nashibirne und ruhiger Säure wäre ideal, um dem deutschen Vernissagenpublikum endlich einen neuen Geschmack sanft einzubleuen.

Aber was rege ich mich auf. Lieber erzähle ich, wie es weiterging. Bei den Chardonnays ging es weich und fast harmlos weiter mit dem Chardonnay Brut vom Rheinhessen-Weingut Erbeldinger. Auf den spitzenmäßigen Chardonnay Brut Nature von Erbeldinger, der nicht für jeden Geschmack geeignet ist, meinen aber so zielgenau trifft, hatte ich an anderer Stelle schon hingewiesen, leider bekommt man ihn nicht zu kaufen und so war ich auf die brut-Version verwiesen, die dem normalen Schaumweintrinkergaumen aber schon recht sehr entgegenkommen dürfte. Trotzdem der Brut Nature geht mir nach und auf meine Frage hin wurde mir die tröstliche Antwort zuteil, dass es den Rieslingsekt von Erbeldinger sehr wohl in einer Brut Nature Fassung zu kaufen gibt, worauf ich hiermit nachdrücklich hingewiesen habe. Von Wageck-Pfaffmann kam der 2010er Chardonnay Brut Nature ins Glas (vielen Dank insoweit an Billy Wagner!), dessen fesche Säure und Struktur auffielen, ihn aber nicht unbedingt als Blanc de Blancs erkennen ließen, im Ergebnis dennoch ein mehr als gut gelungener Sekt, den ich mir noch einmal genauer anschauen werde. Der aus England geplante Vertreter hatte leider Kork. Es folgte der Grand C Chardonnay Extra Brut Crémant d'Alsace mit einer leicht flüchtigen Säure, aber gutem, stattlichem Format, cheninblancmässig, aber zum Schluss mit etwas angematschtem Apfel, der doch wieder an das füllige, weiche Elsass erinnerte. Der Hommage-Sekt an Alfons Mucha, ein 2007er, hatte sehr viel Apfel, braune Butter, Toffee, war aber insgesamt etwas mau, spannungsarm und süss, vpr mich gerade noch angenehm morbid, mit positiv herauszuhebender Minze und negativem bemerkenswerten Wurstaromen.

Damit konnten wir die Chardonnays hinter uns lassen und uns der Loire zuwenden, wo mit Bouvet-Ladubay Tresor Blanc ein alter und zuverlässiger Bekannter die Runde eröffnete. Den kenne ich gar nicht anders als frisch, jung, saftig, sauber, mit genügsamer Säure und einem Charakter, der unisono als champagnerig beschrieben wurde. Ich würde diese Sorte von Vergleichen eigentlich lieber vermeiden und bin auch der Ansicht, dass das, was den meisten Trinkern bei Nichtchampagnern immer als champagnerig auffällt, einfach eine gewisse Form von Komplexitätsmix (Autolyse, Frische, Mousseux) ist, der vor allem den führenden Großerzeugern der jeweiligen Regionen regelmäßig in überzeugender Manier gelingt, mit Champagner als Schaumwein hat das also nicht zwingend etwas zu tun, aber ich weiß um die Begriffsnot, wenn es darum geht, solche Geschmacksphänomene zu umschreiben. Gut, weiter: de Chanceny Crémant de Loire wählte eine andere Marschroute und fuhr zunächst Bäckeraromen auf, Brot, Hagelzucker, übergehend in eine entfernt animalische Strenge, wobei der Crémant durchweg länglich blieb. Der Nerleux, La Folie des Loups Crémant de Loire war eckiger, etwas krautig, aber nicht so dass es mich gestört hätte, von der Gestalt her noch schlanker als der de Chanceny und ein wenig stahliger, was sich gut mit den Calamaretti auf Fenchel vertrug, vor allem die Krautnote fand hier ihre Bestimmung. Als harmlosen, ganz leicht nussig-mandeligen Wein empfand ich den Jacquart Brut Blanc, der es nach dem Loiretrio sichtlich schwer hatte.

Als kleine Entspannung für den Gaumen habe ich zwei Méthode Rurale Schäumer eingebaut, die gleichermaßen zu gefallen wussten. Der Chardonnay von Menger-Krug war so saftig, fast limonadig, mit Granatapfel, mädchenhaft-charmanter Süße, mit viel Luft dann noch erfrischendem, die Süße relativierendem Menthol. Das Weingut Baeder hatte ich mit seinem Riesling danach platziert, weil er noch deutlich limonadiger war, was beim Menger-Krug der Granatapfel, war hier Maracuja, hinzu kam etwas Brot, bei insgesamt noch weniger fühlbarem Druck als ihn das Ruraleprojekt aus der Pfalz aufwies.

Stichwort Pfalz: natürlich musste die Pfalz probiert werden und da ist die Auswahl unter den Sekten ziemlich üppig. Um es mir einfach zu machen und die probe nicht zu überfrachten, habe ich mich als Auftakt für die V Amici entschieden, das Gemeinschaftsprojekt von Fritz Becker aus Schweigen, Münzberg aus Godramstein, Rebholz aus Siebeldingen, Siegrist aus Leinsweiler und Wehrheim aus Birkweiler. Der Sekt machte sich vor allem durch eine muskatige Note, Khaki und fröhliche Exotik im Mund bemerkbar, auch das Mundgefühl war ansprechend, unverklebt und nicht täppisch. Dann ging es zum neuen Buhl-Sekt. Auch hier Muskat, ganz leicht überwiegendes Brot, Malz, viel gesunde und kräftige, allerdings wohlerzogene Säure, ein messerscharf, am Tisch für Champagner gehaltener Sekt. Lauermann-Weyer, wirkte mit seiner schmalen, zurückgenommenen Ästhetik und dem medizinalen Touch, der erst hintenrum mit Frische durchkam, auch etwas zaghafte weisse Früchte ausfertigte, zu brav nach dem Buhl, wodurch nur einmal mehr deutlich wurde, dass Buhl den Rieslingsekt neu definiert, bzw. ihm eine neue Kategorie, die er vorerst allein ausfüllt und bespielt, hinzugefügt hat. 

Aus der deutschen Toskana ging es in's richtige Italien und dort gleich ad profundum. Sachen, die hier wirklich kein Mensch kennt und an denen Italien so verschwenderisch reich ist. Opera Semplice zum Beispiel, ein Soaveschäumer, den ich Alexander Steinmüller und Nicola Neumann verdanke, zog nach dem letzten Pfalzsekt und einem dazwischengeschobenen Gang von Maishähnchen mit Gewürzfeige mächtig an. Herbe, krachende Nussigkeit, ernstgenommene Naturbelassenheit, im Mund Scherenfleisch, Schalentierfett, Hummerbutter. Meine Güte, wer hätte das aus der Region erwartet? Ich nicht und daher freue ich mich, diesen Schäumer so exakt nach dem Essen positioniert zu haben, dessen Aromen er begierig verwertete. Als nächstes kam eine ligurische Besonderheit, wenn nicht Einzigartigkeit auf den Tisch. Az. Agr. Durin Basura Riunda Pas Dosé, von Laura und Antonio Basso in Ortovero, Savona. Aus 100% Pigato, eine Rebsorte, die einen Eindruck davon vermittelt, wie versekteter Vermentino (die Rebsorten sind nach meiner Kenntnis entfernt miteinander verwandt) schmecken könnte. Mit seiner zierlichen Apfel-Berberitzen-Nase und der üppigen lang und spitz zulaufenden Säure konfligiert allerdings die hoch ausgereifte Grundweinanlage mit ihrer spürbaren Restsüße. Dadurch entsteht der Eindruck eines Windhunds mit leichter Wampe. Da die Dickstelle mit Luft nachläßt und dieser Schaumwein sicher auch so schon weithin seine Freunde gewinnen dürfte, halte ich ihn für sehr beobachtenswert und reifefähig, aufgefallen ist er mir erstmals 2013, als ich ihn beim Schaumweinwettbewerb Euposia erstmals im Glas hatte und wo er dann auch prompt gewann. Von der Tenuta Stella habe ich danach den zur Eröffnung bereits gereichten Ribolla eingeschenkt, um auf die Cuvée Tanni (70CH 15PN 15 Ribolla-Gialla, 10% gebrauchtes Barrique) aus demselben Haus hinzuführen, die ich für sehr beachtlich halte. Die staubigere Nase, der straffere, rassigere Körperbau zeigen, dass die autochthonen Rebsorten nicht nur in Spanien (wo ich bei vielen Cavas den Qualitätssprung erst dann sehe, wenn Chardonnay oder Pinot Noir ins Spiel kommt), sondern auch in Italien von internationalen Reben profitieren können, wenn es um die Scgaumweinbereitung geht. Alsdann folgte eine Minivertikale Ca Rovere, das ist ein Erzeuger aus Alonte, südwestlich von Vicenza, der Garganega und Chardonnay bei seinen Schäumern einsetzt. 2008 war schlank und reifzitronig, ich fand das sehr ansprechend, flott und frech aber leider im Mund viel zu süss, sowas geht nur zum Essen und zum Wurzelgemüse, das passenderweise gerade auf den Tisch kam. Das Kabeljaufilet mit Basilikumgraupen, Kürbis und verschiedenen Wurzeln war wie gemacht zu diesem Schaumwein, der übrigens keinerlei Spuren des Alters zeigte. Eine Kehrtwende markierte der Ca Rovere 2009, der wieder ernster, stramm und fordernd war. Der Schließer war Ca Rovere 2010 der erstaunlicherweise neben dem alterslosen oder jugendhaften 2008 noch viel jugendhafter wirkte, auch schien er mir viel leichter als der 09er geraten zu sein und insgesamt hat Ca Rovere eine ebenso vielfältige wie stringente Leistung abgeliefert, eine differenziertere Jahrgangsabfolge aus ein und demselben Haus habe ich wahrscheinlich noch nie erlebt.

Nach dem lehrreichen Italien-Ausflug musste ein klar konturiertes Kontrastprogramm her, um die Probe nicht in ihrem Kern verschwimmen zu lassen und dem Gaumen die Möglichkeit zur Neuausrichtung zu geben. Was könnte da besser passen, als ein georgischer Schaumwein, den ich vor Jahren schonmal für gut befunden habe und der jetzt mit Reife nochmal zeigen durfte, was ich schon lange sage: technisch guten Schaumwein kann man überall auf der Welt machen. Bagrationi 2007 war nicht so reif wie man meinen müsste, denn wenn ich ehrlich bin, hätte ich ähnliche Aromen wie beim Mucha-Sekt erwartet, dem war aber nicht so. In Sachen Jugendlichkeit war der Bagrationi dem 2008er Ca Rovere sogar sehr ähnlich, ansonsten war er einfach aber gut. Die Gran Reserva von Recaredo hatte verfluchten Lork; der folgende Trapiche aus Argentinien war vom Rebsortenmix her eine kleine Wundertüte. Chardonnay, Semillon, Malbec, Rebsorten, die so gar nicht zueinander passen wollen. Das Ergebnis bestätigte die Vorabeinschätzung nicht. Der Argentinier bot gute, gefällige Qualität auf hohem Niveau. Apfel, Röstnote, Hefe und behutsame Exotik, was zum Tomahawk Steak gut passte, wobei ich den recaredo mit seiner furztrockenen Art dennoch vermisst habe.

Die nächste Zäsur stand an und barchte uns zu dem Thema Reife, in einem weiten Sinn verstanden und auf drei Exponate komprimiert. Die Weingüter Wegeler mit ihrem Doctor-Sekt vonb 1984 zeigten, wie reifer Sekt geht. Für mich einer der ältesten immer noch so gut erhaltenen Sekte, schon genügend weich, mit Butter und Toffee wie sie der Mucha-Sekt gleich zu Beginn zeigte, und dann mit einer noblen, dem sektgrundweinfreundlichen Jahrgang zu dankenden Säure, die erneut einen Schaumwein lebendig erhielt und viel frischer als man vermuten müsste wirken ließ. Das I. Triumvirat von Volker Raumland aus dem Jahr 2001 hatte vor allem Reduktion, Jod, Krustentierschale und wirkte irgendwie vergrätzt, das habe ich erst vor wenigen Monaten mit viel mehr Trinkfreude erlebt, weshalb ich die miese Form auf die konkrete Flasche und nicht auf das I. Triumvirat insgesamt schiebe. Jakob Schneider, einer der aufgewecktesten Lehrlinge von Rowald Hepp, hat mit dem Riesling Sekt Brut "Stückfass" 2011 einen Sekt in die Schaumweinwelt entlassen, dessen Altweindosage von 1969er Auslese stammt. Der viele Apfel und sein leichtes Schieferstinkerle machen den Sekt sehr angenehm und ich habe mich bei meinem ersten Schluck gleich wie zu Hause gefühlt. Besonders schön ist, dass der Sekt mit Luft noch deutlich zulegt, die Apfelstückchen kann man dann förmlich kauen.

Alice Beauforts Le Petit Beaufort stammt aus Prusly-sur-Ource, also aus direkter Nachbarschaft zur Champagne. Kennengelernt habe ich dieses Stöffchen in Troyes, wo mir der Vergleich zwischen den Schaumweinen der Region schon viel Kopfzerbrechen bereitet hat, weil ich mir die Aube nie so vielgestaltig vorgestellt hatte und wo ich nicht auch noch jenseits der geheiligten AOC-Grenzen trinkbare Schaumweine vermutet hätte. Nun war und ist es aber so und bei Beauforts Crémant reizen mich jedes Mal die Multivitaminaromen und das frische, gar nicht wirklich medizinale Aroma von aufgelösten Aspirintabletten. Eine andere kleine Kuriosität habe ich mir mit dem Lambrusco Bianco von Lini 910 angelacht. Dieser Blanc de Noirs aus der Gegend von Modena ist nur leicht phenolisch, hat wenig Druck und fließt dennoch mit gutem, stetigem Zug in den Bauch.

Nach so viel weißem muss endlich rötlicher Schaumwein zu seinem Recht kommen. Künstlers Rosé 2008, der mir eigentlich ganz gut gefällt und der zuletzt sogar champagnerhafte Ambitionen zeigte, konnte leider nicht überzuegen. Phenol und Brot genügen nicht, auch wenn der Sekt explizit auf der sehr trockenen Seite angesiedelt war, ihm fehlte einfach die besondere Komplexität eines großartigen Schaumweins. Mag ein Flaschenfehler gewesen sein. Bouvet-Ladubay Rosé hatte leichten Muff, der aber schnell verflog und daher am besten als schwefelböckser anzusprechen gewesen sein dürfte, was bei Grossmengenerzeugern, wofür im Übrigen die Mehrzahl der Verkoster votierte, als lässliche Sünde gilt. Champagne Jacquart Rosé gefiel mir dann noch einen Ticken besser, wobei die Preisrelation zwischen beiden zu denken geben könnte. Mir nicht, das ist klar, denn beim Champagner denke ich zuallerletzt an den Preis oder an eine Rechtfertigung für den Preis im Verhältnis zu anderen produkten. Aber die harte Marktrealität zwingt nunmal dazu, in Deutschland als erstes über den Preis nachzudenken. Champagne Moutard 6 Cépages, den ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr getrunken habe, passte sehr gut in den Verlauf des Abends, auch wenn er jetzt wieder weiß war und zu den Rosés gerade kein bezug bestand. Seine Besonderheit ist die Frendartigkeit innerhalb der Champagne, die ihn gleichsam zur Öffnungsklausel für ungewohnte Aromen macht. Brennesseltee, Moringablätter, Kakaobohne, im Mund eine ganze Menge Candy, leichte Fassanmutung mit enormer Frische und genau dieses erfrischende Naturell war dafür verantwortlich, dass mir der Moutard in diesem Zusammenhang so gut wie nie zuvor gefiel.

Abschließend gab es aus der höher dosierten Fraktion noch den Grand C Pinot Gris Extra Dry, der vor allem viel weniger süss als gedacht schmeckte, kaum Grauburgundercharakter zeigte und sich vielmehr als sprudelnder Josephshoefer hätte verkaufen lassen; ausgewogen, elegant und ein gelungener Schlusspunkt, bevor ich mich ohne Rücksicht auf Verluste in das Berliner Nachtleben warf.

Was ist festzuhalten? Festzuhalten ist, dass Sekte spitzenmäßig reifen können. Festzuhalten ist auch, dass guter Schaumwein praktisch von überallher kommen kann. Nachzugehen ist meiner Meinung nach den kaum oder wenig bekannten Regionen der bekannten Weinbauländer, in denen sich ein zartes Pfänzchen entwickelt, das den zweiten Punkt meines fazits aufnimmt: guter Schaumwein geht praktisch überall. In Kombination mit geeigneten, autochthonen Rebsorten wird daraus ein lehrreiches Vergnügen, wobei im Moment vor allem die Zugabe von internationalen Rebsorten für den Trinkspass verantwortlich sind. Je mehr Erfahrung die Winzer sammeln werden, desto eher werden sie sich aber von Chardonnay und Pinot Noir emanzipieren und eigenstöndige Weine versekten können, die international konkurrenzfähig sind, ohne als Anlehnung an den Champagnerstil wahrgenommen zu werden.