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Category Archives: Allgemein

Allerlei und allerhand Information rund um den schäumenden und den stillen Wein, Cognac, Hotels und Restaurants. Streng nach meinen eigenen Interessen geordnet und veröffentlicht.

Déjeuner d’huîtres

Von Jean-François de Troy (nicht: Troyes) gibt es nur ein einziges sehenswertes Bild, Le Déjeuner d’huîtres, gemalt im Jahr 1735, als der Champagner weinhistorisch noch ein ganz junges aber schon sehr stark wahrgenommenes Getränk war. Das Bild zeigt eine „für die Oberschicht der Epoche typische Austernschlemmerei“ wie es in einem Fernsehbeitrag des Senders arte heißt. Austern und Champagner sind seitdem praktisch nicht mehr voneinander zu trennen. Für manche Konsumkritiker sind sie deshalb willkommene und einfach zu händelnde Abziehfeindbildchen, für mich eine Möglichkeit zur gelebten abzählbaren Kombinatorik, also reine Mathematik und Geisteswissenschaft der Extraklasse. Bei meinen dann und wann stattfindenden Austernfrühstücken geht es deshalb hauptsächlich, bzw. vorrangig, bzw. unter anderem auch um bestimmte Konfigurationen, beispielsweise von Sylter Royal, Belon-, Colchester-, Galway- und Tsarskaya-Austern mit unterschiedlichen Champagnern. Dazu gibt es manchmal Beeftea und Cheddarbrote, man kann aber auch hinterher noch etwas gehaltvolles essen, wenn man mag, ich bin da völlig liberal. Eines meiner letzten Austernfrühstücke habe ich im Mainzer Restaurant Kupferberg, damals noch unter Leitung der zauberhaften Eva Eppard, veranstaltet. An Champagner gab es vor allem Cuvée Louise:

Pommery Blanc de Noirs
Pommery Brut NV (vermutlich 1950er Jahre)
Pommery Louise 1989
Pommery Louise 1995
Pommery Louise 1998
Pommery Louise 2000 en Magnum
Pommery Louise 2002
Pommery Louise 2004 Brut Nature
Pommery Les Clos Pompadour 2003 en Magnum
Pommery Louise Rosé 1992
Pommery Louise Rosé 1995
Pommery Louise Rosé 1999
Pommery Louise Rosé 2000

Besonders gut hatte mir der laut Etikett nur für das Saarland bestimmte Brut NV aus den (vermutlich) 50ern gefallen. Der wirkte so ungeheuer frisch, als wäre er vor wenigen Monaten erst degorgiert worden. Die 89er und 95er Louisen bestätigten einmal mehr, dass die Jahrgänge Langläuferpotential haben. Zu Austern förmlich zwingend ist der 2004er Brut Nature, die Rosés dagegen sind vor allem dann zur Auster zu empfehlen, wenn eine kleine Schalottenvinaigrette oder eine Sojasaucentinktur zur Hand ist.

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Allgemeines über Champagnerproben

Champagnerproben sind wie alle Weinproben immer nur eine Momentaufnahme und ein winziger Einblick in den jeweiligen Produktkosmos, individuelle Entwicklungen einzelner Champagner und das Probenerlebnis an sich verbieten eine Verallgemeinerung noch mehr, als Verallgemeinerungen in jeglichem Diskurs ohnehin schon verboten gehören. Trotzdem leitet man doch immer irgendetwas für sich ab, und sei es ein noch so subjektiver Eindruck, dem man im Rahmen einer Laborversuchsstrenge des Probenablaufs das Mäntelchen der Objektivität umzuhängen versucht. Ich habe keine Lösung für dieses vielleicht auch gar nicht so bedeutsame Problem, wenn es denn überhaupt eins ist – was ich wiederum mit ziemlicher Bestimmtheit glaube. Und was ich bei Proben mache, ist deshalb eine mehr oder weniger didaktisch sinnvolle Zusammenstellung der Flightpartner. Nicht so sehr unter streng önologischen Gesichtspunkten, sondern als kleines Motto und Hilfe zum Sinnieren:

Opener
Nicolas Feuillatte Millésime 2000 Magnum
Die Jahrgangschampagner von Nicolas Feuillattet, zumal aus der Magnum, sind ein erdrutschartiger Einstieg in die Materie, man wird sofort beim ersten Schluck vom Thema erfasst und aufgesogen, der Kopf fühlt sich nach ganz gleich welcher noch so hochkarätigen Beanspruchung resettet und bereit für Neues.

Ortslagenvergleich
1. Pierre Baillette Coeur de Craie Rilly La Montagne PC
2. Pierre Baillette Coeur de Craie Trois Puits PC
Die beiden Champagner stammen von Lagen wirklich in Griffweite voneinander entfernt und sind einander so ähnlich und unähnlich zugleich, wie es nur geht. Das finde ich immer wieder ziemlich beeindruckend und das klappt auch nicht mit jedem Ortslagenpaar.

Meunier
1. Godmé Les Romains 100% Meunier
2. Benoît Déhu La Rue des Noyers 100% Meunier
3. Benoît Déhu La Pythie 100% Meunier „Single Barrel“
Reinsortige Meuniers gibts mittlerweile zuhauf, viele davon sind nicht besonders gut und bilden nur mäßig das Rebsortenprofil ab, ein bisschen wie Grüner Sylvaner aus Rheinhessen in den 90ern, vermute ich. Nichts also, was man um jeden Preis getrunken haben muss. Wenn aber von Godmé, der erwiesenermaßen mit Wein umgehen und viel aus ihm rausholen kann, ein Meunier zu probieren ist, dann sollte man das tun. Im Vergleich mit den beiden Meuniers aus der Rue des Noyers Serie von Benoit Dehu, der gefühlt praktisch sowieso nichts anderes mehr macht, als diese Linie weiter auf- und auszubauen, ist das erst recht erkenntnisleitend.

Chardonnay von Nord nach Süd
1. Vadin-Plateau Ovalie
2. Diebolt-Vallois Millésime 2002 Collection
3. Jacques Lassaigne Le Cotet Magnum
Chardonnay gedeiht fast überall und bringt fast immer zumindest akzeptable Resultate, das ist sein Fluch und Segen, nicht, so wiederhole ich ein ums andere Mal, ist schlimmer als ein durchschnittlicher Blanc de Blancs. Exemplare aufzustöbern, die intensivere Beschäftigung lohnen wird dadurch zu einer schwierigen Daueraufgabe. Mit dem Betoneichampagne von Yann Vadin, dem großen Cramantchardonnay von Meister Diebolt und dem Montrachet der Champagne habe ich es mir dabei leicht gemacht, aber die drei nebeneinander zu trinken, ist eben wirklich interessant und zur Nachahmung empfohlen.

Jahrgangsvergleich 2006
1. David Leclapart Apôtre 2006
2. Marguet Sapience 2006 Oenothèque
Same, same, but different ist es mit Leclapart und Marguet/Jestin.David Leclapart fungiert als Traubenzuträger für die Sapience und hat daher wie bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft eine besondere Verbindung zum jungen Spitzencuvée aus Ambonnay. Sein Apôtre und die Oenothekenversion der Sapience nebeneinander sind kein Traumduo, sondern vertragen sich wie Hund und Katze. Jeder für sich ist dagegen mehr als zutraulich und die Liebe selbst.

Reif und geil
1. Mathieu-Leboeuf Le Mesnil PC (wohl vor 1985)
2. Ay Grand Cru (vermutlich 80er Jahre)
3. Taittinger Collection Hans Hartung 1986
4. Perrier-Jouet Belle Epoque 1973
Wenn von Liebe die Rede ist, kann gereifter Champagner nicht weit weg sein. Gerade von kleineren Erzeugern bekommt man leider nur sehr selten mal etwas ordentlich Trinkbares in die Hände. Umso schöner, ist es dann, zu Schukungszwecken einen kleinen Vorrat von der einen oder anderen Cuvée anlegen zu können. Mit Mathieu-Leboeuf ist mir das gelungen, auf dem Etikett ist Le Mesnil auch noch als Premier Cru angegeben, der Champagner muss also aus der Zeit vor 1985 stammen. Bei Taittingers Collections-Flaschen kann man fast immer davon ausgehen, dass der Inhalt noch sehr in Ordnung ist, weil die Plastikhülle einfach einen sehr guten Lichtschutz darstellt. Bei ansonsten vernünftiger Lagerung kann dem Champagner also kaum etwas schlimmes passieren und so präsentiert er sich meistens in ziemlich würdiger Verfassung. Sehr reif zeigen sich mittlerweile dann doch schon die Champagner selbst großer Häuser aus den 70ern. Das muss man wirklich mögen, so wie ich.

Prestige Catfight
1. Pommery Louise 2004
2. Veuve Clicquot La Grande Dame 2004
Zwei Champagnerwitwen aufeinander loszulassen hat immer hohen UNterhaltungswert. Die beiden Adoleszenten liefern sich wahrscheinlich noch über viele Jahre einen sexy Schaukampf.

Shades of Rosé
1. Timothée Stroebel Logos d’Heraclite Rosé de Saignée
2. Marie-Courtin Allégeance Rosé de Maceration Sans Souffre
Rosé ist so vielfarbig, man glaubt es kaum. Von der bloßen Roséwelle Anfang der 2000er Jahre ist nämlich viel mehr zurückgeblieben als der fade Beigeschmack, Opfer einer großen Marketingkampagne geworden zu sein. Rosé hat sich, würde ich behaupten, feste Marktanteile gesichert, die er vorher nicht hatte und die nicht bei der nächsten Welle weg sind. Das ist schön, denn sonst gäbe es so mutige und aufregende Champagner wie diese beiden hier womöglich nicht.

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Caveat. Oder: mission statement. Oder: zur gefälligen Beachtung (oder auch nicht).

Die Verkostungsnotizenschreiberei in Foren ist aus der Mode gekommen. Kein Wunder und zu recht, kann man doch auf z.B. Instagram augenblicklich/augenscheinlich/gemeint: scheinbar, viel besser und in nuce erfahren, ob und wie ein Wein geschmeckt hat, ohne dass man den immerselben Fachvokalbelsalat auftischen oder runterwürgen muss. Die klassische Verkostungsnotiz wirkt daneben spröde wie ein Obduktionsbericht. Der wiederum hat fraglos seine Vorzüge, denn immerhin lässt sich daraus allerhand an wichtiger und objektiver Information entnehmen und am Ende gar ein (Kauf-)Urteil fällen und zu meinen schönsten lyrischen Erlebnissen zähle ich deshalb vielleicht den ca. genau 37 Sekunden dauernden Vortrag des Gedichts “Kleine Aster” aus Gottfried Benns Feder, nachzuhören auf der 1970 erschienen Platte Lyrik und Jazz, von Hans-Dieter Zeidler, ein Fundstück, das mir seinerzeit in meiner gut sortierten Schulbibliothek in die Hände fiel.

Das Gefühl bleibt dennoch oft bei auf der Strecke, in der Kühlkammer ebenso wie in der Verkostungsdatenbank. Bloße Laborwerte (pH?, Säure?, Schwefel?, Zucker?, rattern manche dem verdutzten Winzer robotisch entgegen, bevor der die Chance hat, piep zu sagen oder auch nur einzuschenken) schmecken eben nicht. Wie daraus am Ende für irgendeinen der Beteiligten gar vinophiler Spaß werden soll, weiß niemand so genau. Da hilft es übrigens auch nichts, mit wie auch immer gearteten unkonventionellen Zugängen für etwas Pep sorgen zu wollen. Weder dem Leichenbeschauer noch dem Wein steht das gut zu Gesicht. Vergleiche mit Musik, lebenden oder toten Personen und Persönlichkeiten, Bildern, Erlebnissen und so fort sind deshalb manchmal treffend, oft schön, aber weithin nutzlos und nicht selten allzu bemüht, immer völlig subjektiv und daher nur von schwankendem Wert. Was soll man außerdem davon halten, wenn eine derart komplexe Chemikalie wie Wein auf ein paar kümmerliche Sinneseindrücke („mmh, Banane“, „Stachelbeere!“, „(weißer) Pfeffer“, „Butter“, „Tabak“) reduziert wird, selbst wenn die einer sogenannten Fachsprache entnommen sind, deren Nomenklatur trügerische Sicherheit vorgaukelt und jeglichen Genuss ruiniert – jeder kennt ja die Profifehlerfinder und Miesmacher am Tisch, die ewig nur von flüchtiger Säure, UTA, bestenfalls von irgendeinem sortentypischen Steinobst erzählen, denen aber kaum etwas über die mitreißenden Qualitäten des Glasinhalts zu entlocken ist.

Und, sind Social Media jetzt also besser als handgemachte Verkostungsnotizen? Nein, sind sie nicht. Dort nämlich regiert die noch größere Oberflächlichkeit und Clickgeilheit. Eine herrliche Rarität wie beispielsweise der Bollinger Jahrgangsrosé 1985 (eben keine Grande Année) wird dort kaum eines Blickes gewürdigt, bestaunt wird nur die Grande Année R.D. 1982. Mit langer Texterläuterung wäre der 85er sicher auch zu seinem Recht gekommen. Ist er ja letztlich sowieso, nachdem ich beide mit nur kurzem Zeitversatz im Bereich meiner inneren Mitte zusammengeführt habe.

Es gilt unverändert: nur selbertrinken macht blau, resp. schlau. Und trinken heißt: trinken. Nicht nippen, nicht spucken, sondern altmodisch und schmutzig: schlucken, in großen Schlucken aus großen Gläsern (das gilt zumindest für den Champagner; bei Schnapsverkostungen kenne ich mich nicht so gut aus). Nicht umsonst kommen bei großen Verkostungsrunden und mehr oder minder prominent besetzten Jurys unter Spuckzwang oft haarsträubende Ergebnisse heraus, für die man bei intensiver Nachverkostung keine rechte Erklärung weiß oder wissen will.

Wo Champagner doch so viel mehr kann! Er ist eine von Herzen kommende Umarmung für das Gehirn und sollte nie als bloßer Pausenclown missverstanden werden. Aus diesem Grund sollte er im Ernstfall mindestens so alt sein (ggf. in Hunde- oder Katzenjahren zählen), wie der jeweilige Sexualpartner (gleich welchen Geschlechts), vorausgesetzt, man ist mit dem einigermaßen zufrieden.

Hier jedenfalls werde ich, da mittlerweile Champagnerverkostungsnotizen von vielen gut informierten, kundigen Trinkern und Schreibern verfasst und allgemein zugänglich gemacht werden, weniger Notizen veröffentlichen und mehr über den Champagnerkosmos an sich erzählen, wenn ich es für mitteilenswert halte.

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Champagnemelomanie

Champagner ist der musikalischste aller Weine. Zwar gluckert er nicht so vernehmlich ins Glas, wie dicker Rotwein. Aber er plätschert lustig wie die Forelle im Wildbach hinein und seine zerplatzenden Perlchen flüstern einem kitzelnd kleine Schweinereien in das Ohr, wenn man es nahe genug dranhält. Nicht ganz ohne Grund haben in jüngerer Zeit Champagne Sélèque, Apollonis oder schon seit längerem Herbert Beaufort mit seiner Cuvée Mélomane, musikalische Cuvéenamen. Dreht man Musik laut auf, kann man damit sogar Duodezpotentaten wie einst Manuel Noriega aus der Obhut des apostolischen Nuntius locken und in Haft bringen. Mehr als Grund genug, den Champagnertrunk in eine Playlist zu übersetzen.

Die fängt mit der schlimmen Musik von Flach- und Wirrkopf Varg Vikernes an, wobei mit Flachkopf nicht die unter anderem schon oder noch von Rudolf Virchow den Ariern nachgeraunte Dolichozephalie gemeint ist: Burzum (Dunkelheit) und Unleashed (To Asgard We Fly) gehören auf den ersten Blick nicht zu den Verfertigern direkt lebensbejahender Musik. Trotzdem darf und soll man dazu Champagner trinken. Weil: Champagner lebt selbst von verschiedensten Gegensätzen, vom schwarz und weiß der Trauben, vom Ausgleich zwischen den Temperamenten, Luxusgetränk und Bordellbrause uswusf. Und da er also ganz am Ende auch jeder anstrengen Stillweinprobe die Funktion des großen Versöhners innehat, öffnen wir aus dem Hause Jacques Selosse die Parcellaires „Bout du Clos“ aus Ambonnay Grand Cru und „Côte Faron“ aus Ay Grand Cru. Den „Côte Faron“ kennen ältere Selosse-Fans noch als Solera unter dem Namen „Contraste“ und haben vielleicht sogar beneidenswerterweise noch etwas davon im Keller; beide Champagner sind Blanc de Noirs, beide sind röhrend und stark, beide so planetarisch, dass zugespitzte Extremismen aller Art kleinlich und belächelnswert daneben wirken.

Nach einem doch so unerwartet friedfertigen Einstieg hören wir uns von Slapshot feinsten Bostoner Hardcore an: Back on the Map, danach High Hopes von den Gorilla Biscuits, bevor es zu den Toy Dolls geht, bei denen es gleich mehrere Stücke sein dürfen, nämlich: H.O., Do You Wanna Be Like Dougy Bell und If You’re In A Pop Group You’ll End Up Paying A Fortune Practising at Peter Practice’s Practice Place. Allen gemeinsam ist der leicht brabbelige Bass wie von der subtil-eleganten doppelflutigen Auspuffanlage meines Autos (Assitaste sagen nicht ganz zu Unrecht die Verächter zum Sport+ Modus in der Mittelkonsole, zum Wegschieben des Auspuffkläppchens). Mit The Exploited, Son of a Copper, beenden wir vorerst den neuzeitlichen Teil unserer Playlist, deren Einführung freundlich begleitet wurde von Noel-Bazin „L’Unanime“, einer mit 10 g/l dosierten Chardonnay-Solera aus der Montagne de Reims und „La Douceur“, der mit 28 g/l dosierten Version, die den Musikstücken ein wenig von ihrer Härte nimmt. Zu den Toy Dolls darf es der „Blanc de Blancs Extra Brut“ von Antoine Bouvet aus Mareuil-sur-Ay sein, der ist jung, gutgelaunt, unverbildet und bringt dennoch die ganze Kraft 60 Jahre alter Reben ins Glas. Zum Kracher von Exploited halte ich die „Cuvée Préembulles“ von Lionel Carreau aus Celles-sur-Ource für würdig. Das anarchistische Moment dieses Champagners liefert der Anteil Pinot Blanc, sonst ist alles ganz gediegen.

Albin Paulus, der außerhalb seiner praktisch nur aus ihm selbst bestehenden Zunft kaum bekannte Maultrommelvirtuose hat mit dem Ensemble Baroque de Limoges vier kleine Stückchen vom längst vergessenen Johann Georg Albrechtsberger vertont, die sehr gut als Inspirationsquelle für The Prodigy und, auf dem Wobblephone gespielt, auch für das Hilight Tribe Album Live in India hätten dienen können. Zu Albrechtsberger jedenfalls passt ganz klar der mit dem Album namensgleiche „Entre Ciel et Terre“ von Francoise Bedel, die ja selbst als eine der ersten in der Champagne Kuriositätenpflege, bzw. biodynamischen und auf Meunier konzentrierten Weinbau am Westrand der Appellation betrieb. Musik und Champagner gehen hier eine chthonische Verbindung ein, zu der Mahlerfreunde dessen Titanensymphonie Nr. 1. in D-Dur den Vorzug geben mögen. Die rare „Cuvée Robert Winer 1996“ mit ihrem gewaltigen Säurebums würde ich zu Prodigy (Voodoo People) einfüllen und den Indientrip mit Bedels „Dis, Vin Secret“ begleiten, es sei denn, es wäre wider Erwarten noch etwas vom psychedelischsten Champagner da, den ich kenne: Dufour „Jaune ohne Bulles Blanc de Blancs 1988“.

Aus transzendenten Sphären zurückgekehrt, geht es klassisch weiter mit Cecilia Bartolis Un Pensiero Nemico di Pace, an Atemlosigkeit und trotzig-gerechter Wildheit kann es nur Davy Dosnons „Ephemère“ aus 100% Meunier mit diesem großartigen Stück des zur Zeit seiner Komposition wohl noch scharfäugigen Händel (HWV 71) aufnehmen. Andreas Scholl wandelt mit Händels Al Lampo dell’Armi auf den Spuren von Julius Cäsar in Ägypten, dazu gehört schon wegen der Nähe zum Roten Meer das genaue Gegenkonzept zum lässigen poolside Rosé: der blutrote „Rubis de Noirs“ aus dem Hause Leclerc-Briant, von mir aus, wer noch hat, gerne auch einen von Jacquessons „Terres Rouge“ oder der „Saignée de Sorbée“ von Vouette et Sorbée, allesamt sanguinisch bis dorthinaus. Phonetisch zu Leclerc-Briant passend hören wir im Anschluss den händelgeschulten Vito Priante als Vivaldis lang verschollen geglaubten Motezuma so drängend wie berechtigt fragen: Dov‘è la Figlia? und sinnieren bei einem Gläschen der dauerunterschätzten, in der Gastronomie zum Glück oft günstig bepreisten und langlebigen „Femme de Champagne 2000“ aus der besonders dickbäuchigen Magnum von Duval-Leroy darüber, bevor Angelika Kirchschlager ruhig auch außerhalb der von Bach zugehörig gedachten Jahreszeit anordnen darf: Bereite Dich Zion (BWV 248). Bach hätte bei Fertigstellung des Weihnachtsoratoriums im Jahr 1734 wahrscheinlich etwas aus dem wenige Jahre (1729) vorher gegründeten Haus Ruinart getrunken, wenn er katholisch gewesen und sich etwas aus Sprudel gemacht hätte – dann hätten wir aber möglicherweise seine Fassung der 124 Jahre später von Johann Strauss Sohn geschriebenen Champagner-Polka zu hören bekommen, die trotz allem und nicht umsonst in der Form des Scherzo u.a. ihrem Widmungsempfänger, Finanzminister Bruck, durchaus ewige Wahrheiten verkündet (Mir is alles ans, mir is alles ans, ob i an Geld hab oder kans). Champagne Taittinger, tatsächlich im Jahr 1734 gegründet, würde gleichwohl mit dem aktuellen „Comtes de Champagne 2006“ eine äußerst würdige und, sozusagen als Kreuzfahrerchampagner, zumindest auf die Alterung bezogen sogar recht wehrhafte Alternative bieten.

Weniger christlich geht es nun bei Baba Haft zu. Haftbefehls Lass die Affen aus dem Zoo kann sinnvollerweise nur von einem Champagner begleitet werden, der genauso schiebt wie Hafti selbst. Ich tendiere zu Jean Laurents „Fleur de Celles“. Als ich den das erste Mal trank, dachte ich, mir greift jemand in den Hals bis zum Magen und knautscht den rhythmisch zusammen. Ziemlich wilde Brause also und ein Erlebnis, als hätte man soeben das Schlumpfdorf gefunden. Gemütlich kommt danach Xatar mit Original, bzw. nicht immer ganz einfach zu verstehendem Text und genauso ist auch der Champagner dazu: Michel Marcoult aus Barbonne-Fayel im Sézannais, dessen „Gamme Authentique“ Champagnerspaß für Negronitrinker und echte Pick-up Profis bietet. Ob die Prophets of Rage damit zu begeistern sind, weiß ich nicht. Der Mikrochampagner “La Parcelle: Le Bouc” von Chevreux-Bournazel könnte aber meiner Vorstellung nach selbst den härtesten Dauerkiffer für Champagner gefügig machen, was an seiner von mir zumindest eingebildeten grasigen Note liegt. Leichter stelle ich mir das Bekehrungswerk bei Harry Shotta (Back 4 More) oder Baron von Alias/Big Beat Bronson (Get Wild, Gan Mental) vor, die mit einem Mix aus Pinkbill (Billecart-Salmon Rosé, welcher ist egal) und Dourdon-Bourval, der „Tradition“ würde schon genügen, beinahe mühelos für die gute Champagnersache zu gewinnen wären.

In ruhigere Fahrwasser gelangen wir mit Amons Tobin Chaos Theory, sei es das Breaking Protocol oder Kokubo Sosho Stealth im Daedalus Remix, obwohl bei The Lighthouse im King Cannibal Remix schon wieder die Post abgeht. Was trinkt man zu sowas? Ganz klar: Penet-Chardonnet „Grande Réserve Brut Nature“. Das ist Champagner gewordene Ingenieurkunst, trinkbarer Le Corbusier. Der von ihm gewiesene Weg zum Brutalismus lässt sich musikalisch begleiten mit Gaslamp Killers Baiafro von der schon älteren Platte My Troubled Mind, anschließend scheint mir Huoratrons 2017 erschienene Single Mortality Salience passend auch als Überleitung zu Ministrys N.W.O., seit den 90ern, etwa auf der Sphinctour, ein großer Klassiker. Rektumkrampfend gut passen dazu die Monoparcellaires von Penet-Charonnet: der Blanc de Blancs „Les Blanches Voies“, der „Les Fervins“ und der Blanc de Noirs „Les Epinettes“, alle aus Verzy Grand Cru. Beim Fervins ist die Besonderheit, dass es sich zwar um eine Monoparcellaire, nicht aber um einen Monocépage handelt: Chardonnay und Pinot Noir stehen dort zusammen im Weingarten und landen gemeinsam im Champagner. Wer es etwas dreckiger mag, greift zum famosen Champagner von Mouzon-Leroux, wenige Meter weiter in Verzy gelegen.

Wenn es dreckig wird, darf die Musik von Demented Are Go (DAG) nicht fehlen. Deren unsterbliches Album In Sickness and in Health aus dem Jahr 1986 gehört in jede Plattensammlung, genauso wie jeder mal den einen oder anderen älteren Collections-Champagner von Taittinger getrunken haben muss, z.B. eben den 86er mit dem Dekor von Hans Hartung, dem trinkbaren Ebenbild von DAG-Frontmann Sparky. Zu dem würde auch der irrsinnige 1986er „Année de la Comète“ von Francis Boulard passen, der changiert zwischen Mentos mit der Geschmacksrichtung LSD und exquisit gereifter TBA. Aber genug der Abkürzungen, musikalisch machen wir mit der Platte Texas Whore Pleaser von Slackeye Jim weiter, denn wenn einer den Schrottwestern White Comanche mit William Shatner mag, dann muss seine Musik gut sein. Und sie ist es, weshalb wir uns gleich Evil Eye anhören und von Arnaud Moreau aus Bouzy einen „Brut Tradition“ einschenken; dadrüber gibt’s noch die kaum oder gar nicht dosierten Cuvées „Arrakis“ und „Odyssee“, aber der Tradition ist einfach ein Cowboychampagner, der unvergleichlich gut zu Gothcountry/Creepabilly/wieauchimmer passt. Er würde auch zu Little Lisa Dixie (Bonnie and Clyde) und Creepers a.k.a. Gravemist (Wait all Night) passen, die alle nur noch von Those Poor Bastards mit ihrem elysischen Glory Amen übertroffen werden, eine noch bessere Champagnerpaarung drängt sich aber sofort in Form von Eliane Delalots (1 Hektar, Bio) „Les Dionysiaques Brut“ auf, der ganz gegen den abflauenden Trend furchtlos dosiert (11 g/l) ist und mit seinem nächtlichen Etikett zusammen mit Little Lisda Dixie herrlichst wider den Stachel löckt. Creepers‘ Nastassja Noctis ist wesentlich düsterer, Benoit Marguets „Shaman 13 Extra Brut“, der in Wahrheit ohne Dosage auskommt, entspricht dem ganz gut. Zu den Poor Bastards geht nur ein völlig schamloser Champagner, d.i. der mit 65 g/l dosierte „La Libertine“ vom kürzlich verstorbenen Charles Doyard.

Alsdann: Hallelujah, worthless fuckers, hallelujah!

Champagne-Wettbewerb der Hotelfachschulen, WIHOGA Dortmund

Fast schon so viel Tradition wie die amerikanischen Präsidentschaftwahlen hat der mittlerweile 44. Champagne-Wettbewerb der deutschen Hotelfachschulen, mit dem diesjährigen Prüfungsthema „Champagne – ein Lebensgefühl“. Dieses Jahr wurde er erstmals mit drei gemischten Schulteams der fünf deutschen Traditionshotelfachschulen Berlin, Dortmund, Hamburg, Hannover, Heidelberg, durchgeführt. Jeweils fünf Teamster, einer von jeder Hotelfachschule, erarbeiteten am ersten Tag ein gastronomisches Konzept für eine fiktive Betriebsgründung, bei der Champagner als unterscheidungsstarke Positionierung im Mittelpunkt stehen sollte. Die drei gemischten Teams mussten außerdem ihr Wissen über Champagner in einer Fachkundeprüfung mit Blindverkostung und budgetierter Champagner-Empfehlung zu einem Menü am zweitwn Wettbewerbstag unter Beweis stellen. Der Champagne-Wettbewerb fordert jedes Jahr auf’s Neue die Schüler durch Arbeit in Projekt-Teams, führt zu ausgeprägter Vernetzung untereinander und bildet einen wichtigen Teil der späteren, hochvolatilen beruflichen Realität im Gastgewerbe ab, viele der besten Absolventen werden sich bei ihren späteren Laufbahnen sicher noch mehrmals im selben Haus wiederfinden, aufeinander folgen oder miteinander zusammenarbeiten. Die Jury-Teilnahme hat mir deshalb aus Sicht des Champagner- wie auch des Rechtspraktikers (mit einer Vielzahl von Mandaten im Gastgewerbe, bei denen die Besonderheiten der Branche fast immer eine wichtige Rolle spielen) sehr viel Spaß gemacht. Auch bei der Abendgestaltung gab es nichts oder nicht viel zu meckern, Champagne Robert Moncuit Blanc de Blancs Grand Cru ist schon seit Jahren eine sichere Bank und seit Pierre Amillet sich in einer der Winzervereinigungen engagiert, hat der Erzeuger noch einmal Schwung von innen heraus erhalten, was man im Restaurant La Gare in Le Mesnil, direkt gegenüber vom Weingut, schön und günstig nachvollziehen kann.

Zu essen gab es nach dem Wettbewerb Westfälische Tapas, dazu Boizel brut Ultime Extra Brut, den ich möglicherweise zum ersten Mal überhaupt getrunken habe. Passte gut, wirkte allerdings ziemlich reif und süß. Danach gabs Zanderfilet unter Pinienkernkruste auf Linsen und Veuve Devaux Blanc de Noirs Brut, was anstandslos zusammenging, vor allem Zander hat es mir ja, trotz seiner Grätigkeit, schwer angetan.
Ein kleines Rosé Champagne Sorbet sorgte für Erfrischung vor dem Kalbsfilet Sous Vide, mit Billecart-Salmon Brut Rosé, wobei man erneut praktisch nichts falsch machen kann.
Westfälische Pumpernickel-Crème mit Kirschen, dazu Pannier Séduction Demi-Sec, passten für mich nicht zusammen, aber das ist ja ein ewiges Thema, zu dem ich nicht jedes Mal noch weitere unnütze Worte verlieren muss.

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Griesel: Sekt trifft Champagne

Beim nun schon traditionellen Martinstreffen von Griesel, Sekt und Champagner waren dieses Jahr Potential, Reife und Alter die Leitmotive.
Jedermann weiß, wie wohltuend eine heiße MILF mit Honig sein kann und im Geschäftsleben wird die Erfahrung der Fünfzigplusser, Business Angels und Spätberufenen weithin geschätzt. Beim Wein ist es nicht wesentlich anders, beim Schaumwein zumal. Obwohl es auf den ersten Blick nicht so wirken will. Sekt und Champagner verlangen danach, jung getrunken zu werden, sie sind die Rockstars unter den Weinen, als Menschen würden sie den Club 27 bevölkern. Manche sind hingegen wie Udo Lindenberg oder Iggy Pop, einfach nicht totzukriegen und im Alter vielleicht überhaupt erst richtig großartig.
Ich habe mir dieses Jahr über zwölf flights meine öffentlich vorgetragenen Gedanken zur Thematik gemacht und fand es am Ende, als sich im Oberstübchen schon alles abdunkelte, einmal mehr erhellend.
Den Start machte ein von mir mit besonderer Sorgfalt getrunkener und umsorgter Sekt, Bambergers Riesling 2007 (reguläres Degorgement), der an Aromenfülle Fülle keinen Fussbreit nachgab und dessen limmer noch 1a dastehende Struktur ein feines Beispiel für Vitalität und Stärke sind. Von Solter kam mit dem 2009er ein länger auf der Flasche gereifter Sekt ins Glas, der das reifethema aufnahme, sich aber noch viel stärker dem Potential verpflichtet fühlte. Das war die gewünschte Überleitung zum Griesel Tradition Riesling Brut, der sich mit seiner vielverprechenden Jugendlichkeit wieder glänzend mit den Flightvorgängern arrangierte.
Nun musste eine französische Antwort her und da boten sich zwei Möglichkeiten an. Eine, wunderbar verwirklicht von Charles Heidsieck als Großhaus, die andere übertragen auf Tristan H., den Winzer aus dem Marnetal mit seinem Brut Mature. Der Brut Réserve von Charles Heidsieck nahm den Reifefaden nicht unter dem Aspekt der Flaschenreife auf, nein, viel subtiler, ja sublimer: der Reserveweinanteil ist bei Charles Heidsieck ungewöhnlich hoch und die Reserveweine sind hier im Durchschnitt ungewöhnlich alt. Gute 40% sind in der jahrgangslosen Standardcuvée Reserveweinanteil, der Altersdurchschnitt beträgt 10 Jahre. Der Brut Mature geht zurück in das Jahr 2004 und begegnet dort auf Weinebene dem Charles. Im Glas macht sich das natürlich auch bemerkbar, mit Rundungen, wie junge Gewächse sie eben einfach nicht haben.
Der nächste flight befasste sich nicht in erster Linie mit Reife, aber er war ein Lehrstück in Gebietstypizität und Intensitätszuwachs. Den Beginn machte Leclère-Pointillart 2006 aus Ecueil, ein 50/50 Mix aus PN/CH der diesem Premier Cru in der westlichen Monatgne insgesamt zur Ehre gereichte. Dann gab es von Pierre Baillette aus dem Premier Cru Trois Puits, spiegelbildlich leicht versetzt in der östlichen Montagne, ihre beiden Coeur-Champagner, Coeur de Village und Coeur de l’Histoire. Die sind ebenfalls aus PN/CH, wobei der leichte Chardonnay aus Trois Puits und der Pinot aus Rilly, etwas weiter oben am Hang, stammt. Beim Coeur de Village kommen jeweils mehrere Parzellen zusammen, beim intensiveren, konzentrierteren Coeur de l’Histoire ist es pro rebsorte nur eine Herzparzelle. Das machte den Einblick in diesen vernachlässigten Teil der Monatgne de Reims zu einem wohlmeinenden Fingerzeig.
Der gemischte flight aus Etienne Calsacs Echapée Belle Extra Brut , Griesel Riesling Extra Brut und von Buhl Riesling Réserve war jetzt genau richtig. Riesling, Sekt, Champagner, Reife und Potential hatten ihr Debut gegeben, ab sofort durfte gemischt werden. Serviert wurde blind, man konnte also versuchen, den Sekt vom Champagner zu unterscheiden, oder den Grieselstil von den beiden anderen Flightpartnern. Das war gar nicht so leicht und meine bohrende Nachfrage ergab, dass zu vielfältigen Verwechslungen gekommen war. Probendidaktisch einerseits lustig und schön, andererseits in seinen Folgerungen nicht zu unterschätzen.
Um den ersten Teil sacken zu lassen, gab es einen Entspannungswein. Lanson Noble Cuvée 1989. Der war in exzellenter Verfassung, dank Verzichts auf biologischen Säureabbau äußerst schwungvoll und gut durchblutet.
Nach dieser sehr raumgreifenden Gaumenerfahrung musste etwas besonderes her, um den zweiten Teil einzuleiten. Kleiner Kunstgriff in solchen Situationen: Magnums öffnen. Rémi Leroy Brut (60PN 40CH aus dem Erntejahr 2011 mit etwas Reserve aus 2009 und 2008, dosiert mit 3g/l) hatte schon im vergangenen Treffen die Gelegenheit zur Selbstdarstellung nicht ungenutzt verstreichen lassen, sein Gegenüber, der Griesel Tradition Blanc de Noirs Brut zeigte sich in bester Spiellaune, dem vernehmen nach hätte kein Teilnehmer dem einen oder dem anderen den Vorzug geben können, hier begegneten sich Partner auf Augenhöhe.
Clement Perseval Blanc de Noirs Premier Cru en Magnum bekam es danach mit Griesel Prestige Pinot Brut Nature, zu tun, wir waren merklich im Kernbereich des Abends angelangt. Griesel hatt, wie Pierre Baillette zuvor, hier die Möglichkeit, den Steigerungs-, Intensivierungs- und Konzentrationseffekt vorzuführen und das klappte vorzüglich. Man muss sich vor Augen halten, dass wir vom tiefen Aromenerlebnis eines großen und reifen Champagners kamen, der jetzt nicht mehr wirklich besser werden kann. Um damit nicht in Konflikt zu geraten, haben wir den Weg über den Magnumeffekt gewählt, schon das nicht ganz risikolos, aber mit Bravour gemeistert. Und dann die Steigerung in Form eines so verführerischen Pinotsekts, dass ich eigentlich an dieser Stelle auch die Probe hätte beenden können.
Aber dann wäre uns ja der Weg hin zu den Rosés versperrt gewesen. Den habe ich mit einer Reprise des Konzentrationsthemas eingeleitet und von Hugues Godmé aus Verzenay die Cuvée Reserve, bzw. Brut Nature vorgestellt, wer meine glänzenden Augen bei meiner ersten Begegnung mit diesem Champagner gesehen hat, versteht, warum. Allen anderen sei gesagt: diese Form von Powerplay gelingt nur ganz wenigen Winzern.
Mit dermaßen viel Anlauf konnte ich es wagen, Pommery Cuvée Louise 2002 und Jacques Lassaigne La Colline Inspirée Magnum aufzumachen, um nun aber auch wirklich die ganze Bandbreite des Champagners, von jung nach gereift, von Mono bis Multi ausgenutzt zu haben und dem Rosé jede nur erdenkliche Anspielstation darzubieten.
Raumland Rosé, Griesel Brut Rosé und Robert Moncuit Rosé Les Romarines bildeten den ersten Roséflight, wieder in Anlehnung an den Zwei-Sekt-ein-Champagner flight und tückischerweise wieder mit einem ausgemachten Sektplatzhirsch, dem der Griesel mit natürlicher Souveränität und Selbstbehauptung begegnete. Der Champagner geriet dabei fast zur Nebensache, so spannend war das Aufeinandertreffen der beiden deutschen Sprudler.
Den Schlussakkord bildete dann eine Jahrgangsabfolge 2011, 2012, 2013 von Knipser Rosé (2011), Piollot Rosé de Saignée Les Gravelées Brut Nature Sans Soufre (2012) und Griesel Rosé Extra Brut 2013, welchletzterer sich prächtig entwickelt hat und keine Scheu vor großen Namen oder besonders kompromisslosen Chapagnerpersönlichkeiten haben muss.
Dergestalt beruhigt, dass bei Griesel weiterhin alles zum besten bestellt ist, konnte ich zur Belohnung guten Gewissens noch eine Veuve Clicquot Ponsardin La Grande Dame 1989 öffnen, die das Reifethema zu einem vorläufigen Abschluss führte, mit dem Lanson aber vor allem in puncto Frische nicht ganz aufschließen konnte, wegen vollzogenen BSAs aber ja auch schon konzeptionell gar nicht musste. Ein dann noch geöffneter Taittinger Collection 1990 zeigte sich gemütsschwerer, behäbiger und vom Alter stärker gezeichnet, die Cuvée Revolution von Doyard, von der ich zufällig gerade erst einige Flaschen in meinem Kofferraum verstaut hatte, war dummerweise angehauen, bzw. korkig. Umso besser gefiel mir dafür von Vadin-Plateau der undosierte Bois de Jots Premier Cru, den ich im slben Arbeitsgang eingesäckelt hatte.

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Grand Chapitre Berlin, Adlon, 2016

Immer im Oktober ist das Grand Chapitre des Ordre des Coteaux de Champagne. An mein erstes Grand Chapitre erinnere ich mich noch sehr lebhaft, es fand ebenfalls im Adlon statt und endete infernalisch, nicht nur, weil am selben Abend im Club Felix die Afterparty der Venus stattfand.

Also voller Vorfreude die Klamotten gepackt. Da ich am Vorabend des Grand Chapitre in Heidelberg einen kleinen Auftritt in der Schlossgastronomie von Martin Scharff, manchem sicher noch aus der Wartenberger Mühle bekannt, zu bestreiten hatte, wurde die Anzugtasche mit Smoking, Schuhen, Krimskrams und Wechselwäsche für eine Woche ziemlich schwer. Da ich es nicht einsehe, mein Gepäck bei Inlandsflügen aufzugeben, wurde der Transport zur Belastungsprobe. Blutige Handinnenflächen und Schneidersitz in der Businessclass, weil die vor mir stehende Anzugtasche keinen Platz für noch so kurze Stummelbeine erlaubte, sind noch das geringste. Aber egal.

Eine Köche-Trias aus Hendrik Otto vom Lorenz Adlon Esszimmer (18/**, nach Stationen im
Haerlin , Brenners und der Traube Tonbach), dem Küchenoberhaupt des China-Club im Adlon Chef Tam und seiner Exzellenz Harald Wohlfarth bestritt den gastlichen Teil des Abends.

Der Aperitif war denkbar leicht gehalten, Hendrik Otto beschränkte sich auf ein Garnelencarpaccio mit Limonenschmand, gelierte Tomatenglace und Chili; Tatar vom Rottstocker Saibling, grüne Gemüsesauce und Joghurtschaum; Wachtelei, Kartoffelstampf, Senfsauce und Saiblingskaviar. Zu alledem gab es Nicolas Feuillatte Chardonnay Brut 2006, eigentlich als Vor-Aperitif, aber ich hatte mich nicht nur vorher schon mit dem geschmeidigen Zeugs angefreundet, sondern mir auch noch ein gut gefülltes Glas gesichert, um es zusammen mit den Apérokleinigkeiten zu probieren. Dazu gab es außerdem Alfred Gratien Brut Rosé, mit dem ich etwas länger, d.h. sicher so über drei bis fünf Gläser ins Gebet gehen musste, Billecart-Salmon Blanc de Blancs Grand Cru Brut en Magnum, der sich widerstandslos einfügte, Cattier Blanc de Noirs Brut, der in einem chardonnaylastigen Umfeld die dunkle Seite der Macht vertrat und de Saint Gall Blanc de Blancs Premier Cru Brut en Magnum, eine ganz gelungene Ausgabe, nachdem de Saint Gall bei allen Bemühungen doch immer nur irgendwo in den hinteren Reihen steht und von vielen Sommeliers pflichtschuldigst verkauft wird, wahre Begeisterungsstürme aber noch nicht erregt hat. Wirklich falsch machen kann man bei so einer Auswahl küchenmäßig wahrscheinlich nichts, vor allem den Saibling aus der Zucht des Rottstocker Forellenhofs von Matthias Engels und Susanne Finsterer (die beiden Quereinsteiger haben den Betrieb erst vor drei Jahren übernommen) bereitete Vergnügen. Kartoffelstampf und Wachtelei mag sowieso jeder gern; aromatisch gut ineinander verschränkt war das Carpaccio mit seinen verschiedenen Komponenten und der Chilinote.

Dann ging dass Menu in zwei Akten los. Hendrik Otto lieferte in der ersten Szene Salat von Roter Bete, getrocknete Beeren, Puntarella, Traube, Walnüsse und Buchweizen an den Tisch, dazu gab es Bollinger Special Cuvée en Magnum. Dagegen war nichts einzuwenden. In einem guten Veganrestaurant hätte ich mich über diesen etwas müslihaften Gang vielleicht sogar gefreut. Aber: nichts einzuwenden reicht bei zwei Sternen nicht, da hilft der schönste und zuverlässigste Bollinger nichts. Schwacher Auftakt also, leider. Es folgte in der zweiten Szene ein geschmortes Spanferkelbäckchen, Polenta, Zitrone und geräucherte Paprika, dazu gab es Lanson Noble Cuvée Rosé. Damit war die Scharte nicht ganz ausgewetzt, denn selbst wenn ich unbesehen mehr von der Schweinebacke nachgeordert hätte, Polenta und Paprika überzeugten mich dazu nicht. Wohl aber der wenig beachtete Lanson Noble Cuvée Rosé, der letztlich wie Beppo am Ende des ersten Akts von Leoncavallos Bajazzo die Situation entschärft.

Etwas zwiespältig sah ich dem zweiten Akt entgegen. Der begann mit Chef Tams signature dish, einem Wasabi Prawn mit Sojasauce und Thaimango. Davon hätte ich den ganzen Abend weiterfuttern können. Ähnlich muss es den Deutschen gegangen sein, als die ersten Chinarestaurants eröffnet hatten und das Volk sich erst an Nummern und später an Buffets überfraß. Zum Glück ist das vorbei und die Vietnamesen, die zum Schluss die Chinarestaurants immer geführt haben, bekennen sich heute zu ihrer eigenen, sehr starken Küche. Also war ich versöhnt und vor allem vom dazu gereichten Delamotte Blanc de Blancs Brut 2007 erheblich befeuert, Delamotte war mir in den letzten drei Jahren mehrmals als unangenehm hoch dosiert oder sonstwie zu süß aufgefallen, blieb aber hier völlig im Rahmen und wird sich auf eine Nachinspektion gefasst machen müssen. Auf Chef Tam folgte die Inszenierung von Harald Wohlfahrt, Confierte Heilbuttschnitte, Ananas-Mangochutney, Duftreiscreme, Kaffirlimette, Macadamia und Thaicurry. Spätestens wenn ich Kaffernlimette irgendwo lese, ist es um mich geschehen, so sehr mag ich die. Gespannt war ich auf die Verbindung mit Louis Roederer Edition Starck Brut Nature 2009, der ganz frisch auf den Markt gekommen ist und, selbst nicht ganz leicht, den nicht ganz einfachen 2006er ablöst. Allseitige Entwarnung, die Kombination war gut und mehr als gut, sie gab Satisfaktion. Der Aromenzauber von Harald Wohlfahrt, die Schwingungsfähigkeit des Champagners, das war schon von Format. Deshalb konnte mich die Jakobsmuschel mit Kartoffelmousseline, Seeigelkaviar und Champagnersauce nicht schockieren, denn weder Jakobsmuschel noch Seeigel gehören in irgendeiner Form zu meinen Lieblingen. Sehr wohl gehört aber der Champagner, Pommery Louise Brut Nature 2004, zu meinen Lieblingen und verbesserte den schwierig gewordenen Stand von Hendrik Otto merklich. Einerseits nahm sie den Faden auf, den der Roederer schon vorgesponnen hatte, andererseits hüllte sie Muschel und Kartoffel strukturbildend ein. Das half beiden, sich aromatisch weiter hervorzuwagen, was wiederum zu einer besseren Einbindung von Kaviar und Sauce führte. Als nächstes war die Perlhuhnbrust von Hendrik Otto dran, sie wurde serviert mit grünem Spargel, Estragon Buttersauce und Kalbsglace, dazu gab es Moet et Chandon Grand Vintage Rosé en Magnum, was von vorn bis hinten passte, auch wenn es nicht besonders originell wirkte. Dieser Rosé war für mich nicht nur für die Dauer von drei Gläsern sondern auch darüber hinaus wahrscheinlich sogar der Wein des Abends, worüber ich mich gar nicht genug verwundern konnte, was ich aber keinem verriet. Einen mächtigen Kontrahenten hätte der Rosé in Gestalt des Deutz Cuvée William Deutz 1999 en Magnum gehabt, der mit einem Dessert von gedörrten Sauerkirschen, Basilikumeis, Topfen und gesalzenem Schokoladencrumble serviert wurde. Leider war der arme Deutz hier denkbar schlecht untergebracht und wollte unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zum Dessert passen, das Hendrik Otto in sich sehr gelungen zusammengestellt hatte. So verlor der Champagner durch seine ungünstige Positionierung und durch den Verlust des Bundesgenossen litt auch die Speise, die an dem Abend aber, zusammen mit dem Garnelen Carpaccio zum besten gehörte, was Hendrik Otto auf den Tisch gestellt hat.

Für die hinzukombinierten Champagner konnte von den Köchen keiner etwas, die gehorchen bei einem Grand Chapitre anderen Regeln, was man bis in alle Ewigkeit wird hinnehmen müssen, fürchte ich.

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Champagne Deutz, the art of blending mit Olivier Bernard, Schloss Bensberg

Leute, die wenig oder keinen Champagner trinken kann ich nicht richtig einschätzen. Sie sind mir ein wenig suspekt. Ich habe auch meine Zweifel daran, ob sie das Himmelreich erlangen können. Vermutlich werden sie dem ewigen Feuer verfallen, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist und dann ist natürlich alles zu spät und ein Heulen und Zähneklappern uswusf.

Ich hingegen hoffe, dass meine frommen Werke den Gefallen des Flodoard von Reims, Hinkmar von Reims und Richer von Reims, des Gerbert von Aurillac (a.k.a. Papst Silvester II.) und Odo von Chatillon (a.k.a. Papst Urban II.) und, sollten die Genannten aus irgendwelchen Gründen keine Fürbitte für mich halten können, natürlich beim Allerhöchsten direkt finden.

Keinen Gefallen finden wird, das weiss ich, mein ausgeprägtes Blindverkostungsdefizit, mit dem ich hoffentlich bei Kellermeister Bernard nicht in zu hässlicher Erinnerung geblieben bin. Dieser gute Mann nämlich hatte das schützende Habitat in Ay verlassen, erstmals mit einer noch nicht marktfreigegebenen Flasche im Gepäck, um sie in Bensberg im Rahme eines Blendingsworkshops vorzustellen. Zu probieren gab es die unterschiedlichen Rebsorten als vins clairs, einen Brut Classic der 13er Füllung, frisch nach dem Dégorgement und die zur Flaschengärung bereitgemachte Cuvée des nächsten Brut Classic, der 2018 herauskommen wird (15er Basis, 16er Füllung). Danach wieder gewohnteres, sprudelndes Terrain

I. Chardonnay
1. Le Mesnil 2015 war säuerlich bis zur Mehligkeit, weil wahrscheinlich der gesamte Eiweisshaushalt im Mund kollabiert, bzw, agglutiniert ist. Danach blieb noch der Eindruck von Ananasschale.

2. Villers Marmery 2015 war im Anschluss das komplette Gegenprogramm, ein fast schon lascher Chardonnay, was die Säure angeht, und mit herzhaften Pinotcharakter, ein Chardonnay qui pinote, wie man deshalb vor Ort so schön sagt.

3. Avize 2014 (Réserve) zeigte feinen Reifeeinfluss, obwohl es sich ja nicht um einen wirklich alten oder gereiften Wein im landläufigen Sinne handelt, sondern um die ein Jahr zurückliegende Ernte. Gut zu trinken und von den anderen beiden klar zu unterscheiden (dachte ich zumindest, bis die Blindprobe mich eines besseren belehrte).

II. Meunier
1. Venteuil 2015 aus Südexposition, daher mit viel Orangeneinflüssen, Nektarine und herber Saftigkeit, die merkliche Säure empfiehlt sich für Reifung oder einen Jahrgangschampagner.

2. Troissy 2015 stammt aus nördlicher Exposition, war deshalb feiner, leichter, eleganter, ermöglichte einen einfacheren Zugriff und eignet sich laut Bernard für den Non Vintage.

3. Chavot 2015 kam aus einer ganz anderen, für gute Meuniers und ihre erhaben positionierte kleine Kirche trotzdem bekannten Ecke, hier fand sich viel Pomelo, eine cruhafte Nase, Kreide aus der beginnenden Côte des Blancs und kaum vorstechende Säure. Wieder drei völlig verschiedene Meuniers also, mit denkbar unterschiedlichem Charakter.

III. Pinot Noir
1. Ay 2015 bot Blumenerde, Veilchen und Marzipan, ein prächtiger vin clair.

2. Bouzy 2015 zeigte die ganze Noisettegalerie und noch mehr: pelzige Blumenblätter, Fleischigkeit und rote Beeren, ein idealer Rosé-Kandidat.

3. Verzenay 2015 war streng, athletisch und auch leicht grünlich, phenolisch, gerbend. So, wie man es von Verzenay erwartet und je nach weiterer Entwicklung ein Wein für einen guten Jahrgang oder sogar die Prestigecuvée des Hauses. Auch die Pinotreihe also war von drei markanten Fixpunkten eingegrenzt, deren Wiedererkennung mir dennoch unwahrscheinlich schwerfiel. Sei’s drum.

IV. Cuvées, stets mit BSA, Reserveweine der letzten drei Ernten, im Beton gelagert und mit 9 g/l dosiert.

Die Brut Classic Cuvée, 15er Basis unmittelbar vor der Flaschengärung, also mis en cave 2016, 37CH 34PN 29M, 52% Réserveweine, Freigabe voraussichtlich 2018, stand dem Brut Classic, 2013er Füllung, 35CH 34PN 31M, gegenüber. Keksigkeit, dünnes Milchbärtchen, rotbackiger Apfel, kesse Säure, entfernt milde Röstnote, fanden sich im nasciturus genauso wie in der fertigen Cuvée, nur quasi am Ereignis Flaschengärung gespiegelt. Sehr kenntnisfördernd!

V. Die aktuellen Champagner

1. Brut Millésime 2009 ca. 60% Pinot aus Vouzy, Louvois, Verzenay und Ay, ca. 30% Chardonnay aus Avize, Le Mesnil, Vertus, Chouilly und Villers-Marmery und ca. 10% Meunier aus Pierry und Moussy. Blätterteig und Blüten gehen hier eine harmonische Liaison ein. Der Champagner ist leichtfüssig und von gesunder Substanz.

2. Blanc de Blancs 2009, 45% aus Avize, 35% aus Le Mesnil, den Rest teilen sich Oger, Cramant, Chouilly und Villers-Marmery. Das Ultraleichtflugzeug unter den Blanc de Blancs, aber beileibe kein einfacher Schönwetterchampagner.

3. Rosé Millésime 2010, Assemblagerosé mit 8 bis 10% Rotweinzugabe, die Trauben der Cuvée kommen aus der Montagne de Reims (80%) und aus dem Marnetal, Ay, Mareuil sur Ay, Bouzy, Ambonnay, Verzennay, praktisch alles Pinottrauben, mit nur einer kleinen Menge Chardonnay. Der Bouzy-Pinot aus der vin clairs Verkostung vorab vermittelte einen sehr guten Eindruck davon, was in diesem Champagner gewünscht ist.

4. Cuvée William Deutz 2006 aus ca. 2/3 PN (Ay, Ambonnay, Bouzy, Verzenay) und ca. 1/3 CH (Avize, Le Mesnil, Chouilly, Cramant, Villers-Marmery), etwas Meunier aus Pierry un dem Marnetal ist außerdem noch drin, wird allen, die ihn sich jetzt besorgen, in den kommenden Jahren viel Freude machen. Das dezente Äußere täuscht, der Champagner ist mit allen Wassern gewaschen, fruchtig, kräuterig, würzig, elegant, markant und anspruchsvoll.

5. Amour de Deutz 2006, ist ein Blanc de Blancs, der für sein Ausgangsmaterial auf nur wenige Gemeinden zurückgreift, Le Mesnil und Avize in der Côte des Blancs und Villers-Marmery als Haus-Cru von Deutz. Dadurch wird er nicht, wie Monocrus und Clos, zum ausschließlichen Terroirbotschafter, auch ist er geschmacklich nicht vorgeprägt oder eingegrenzt. Die drei Crus wirken vielmehr wie Fixpunkte einer geodätischen Triangulation, ein Prinzip, nach dem wir schon die vins clairs probiert hatten. Le Mesnil bringt Söure, Strukur, Kreide, Avize füllt Früchte und Balance auf, aus Villers-Marmery kommt der letzte Formschliff.

6. Amour de Deutz Rosé 2006, ist ein auf überwiegender Pinotbasis (55%) aufbauender, konzeptuell dem weißen Amour de Deutz aber nicht entgegengesetzter Champagner. Rotwein aus Ay (La Pelle, eine Lage, die man z.B. bei Champagne Roger Brun in Champagnerform probieren kann) und Mareuil-sur-Ay (Cumain, Charmont) kommt wie beim jahrgangslosen Rosé mit ca. 8% in die Cuvée. Dieser kleine Stillweinanteil ist, so vermute ich, der komplette game changer, der die Cuvée besonders pusht.

Fazit:
Erkannt habe ich praktisch nix, geschmeckt hat mir alles. Somit eine weitere Lektion in Demut und gutem Geschmack, gefördert von der Schlossküche, die perfekt abgestimmtes Essen lieferte.

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Clos Lanson 2006 – 2015

Jonathan Margolis machte vor kurzem in seiner stets lesenswerten Technikkolumne darauf aufmerksam, wie faszinierend Fachsprache sein kann. Dazu muss man sich nicht air traffic control broadcasts reinziehen, was leicht möglich wäre und was ich zufällig jetzt gerade über die App LiveATC Air Radio mache.

“Portland Ground, United 135 off runway 28R at alpha six.
United 135, taxi straight ahead to gate charlie five.
Straight ahead to charlie five, United 135.”

So und anders klingen da die verrauschten und kaum verständlichen Nachrichten, die trotzdem ein Gefühl von Professionalität und Sicherheit vermitteln. Zum nachvollziehen reicht es im Normalfall aus, wenn man sich daran erinnert, wie entschlackt und reduziert die Meldungen z.B. im Bordfunk sind, die man als Passagier bei Flugreisen so mitbekommt. Auch da wird nicht nebulös rumgeeiert:

“doors to arrival, crosscheck and all call”.

Früher habe ich mit ähnlicher Freude die Physikalischen Blätter gelesen, zumindest die kleineren vermischten Nachrichten darin.

Ganz anders Pseudofachsprachen wie die sogenannte Weinsprache, die sich als Kunstsprache wie ein Esperanto aus mehreren verschiedenen Fachsprachen, teils handwerklichen, teils naturwissenschaftlichen und für die Feuilletontauglichkeit den unvermeidlichen Hilfswissenschaften, zusammensetzt. Da wimmeln die interdisziplinären Begriffsbeliebigkeiten natürlich nur so vor sich hin und laden jeden ein, sich mit seiner jeweils eigenen Rabulistik daran abzuarbeiten und Diskussionen über z.B. Schwefelgehalt, Salzigkeit oder Mineralik im Wein zu führen. Ob sinnreich oder nicht, als Sprachspiel taugt die Weinsprache allemal, weshalb ich mir die ganze Einleitung auch hätte sparen können. Flugs zum Wein:

In der Champagne sind Clos im Trend. Diese Trends können sehr dauerhaft sein und bezeichnen daher oft wichtige Entwicklungslinien der Champagne. Holz, Rosé und Dosage sind solche außerhalb der Champagne deutlich merkbaren Entwicklungslinien, an denen sich die Produzenten der Champagne jeweils höchst individuell positionieren, wenn sie wollen. Ein anderer Trend ist die Beschäftigung mit dem Rebsortenspiegel. Hier gibt es einmal die Beschäftigung mit den alten Rebsorten, unter denen speziell der Weissburgunder immer wieder positiv auffällt. Dann gibt es noch die Beschäftigung mit Neuzüchtungen, die mit den klimatischen Bedingungen der Zukunft zurecht kommen sollen. Ob das nicht nur eine fixe Technokratenidee ist oder ob hier wirklich nahtlos Champagnergeschichte fortgeschrieben werden kann, wird man sehen. Wenn ich mir vergegenwärtige, wieviele Neuzüchtungen ich beim Namen kenne und wieviele davon mir als genussvoll trinkbar in Erinnerung geblieben sind, hege ich momentan Zweifel. Bessere Vorschläge habe ich aber leider nicht, das Wetter selbst wird man ja kaum nach Belieben ändern können. Egal. Clos sind also im Trend. Dieser Trend bezieht sich nicht nur auf Clos, sondern auf Lagen allgemein. Clos sind nur ein besonders prägnanter Ausdruck davon. Die Stars unter den Clos sind der Clos des Goisses und der Clos du Mesnil, unter den neueren Clos ist der Clos d’Ambonnay einer der bekanntesten, der Clos Pompadour einer meiner Lieblinge. Flammneu ist außerdem der Clos Lanson (1961 und 1986 gepflanzte plots mit einer um satte 2°C höheren Durchschnittstemparatur bei hohem Durchlässigkeitsbeiwert, bzw. hydraulischer Leitfähigkeit, also schnellem Wasserabfluss, was den Boden überwiegend trocken hält).

Lansons Kellermeister Hervé Dantan hat gerade erst den Jungfernjahrgang 2006 freigegeben und bis 2015 jedes weitere Jahr einen in petto. Ich habe mich da im Frühjahr mal durchprobieren dürfen und bekam sogar noch ein kleines Töpfchen Honig geschenkt, mit Honig von den Bienen, die im biodynbewirtschafteten Clos ihre Arbeit verrichten. Der Wein wird sechs bis acht Monate im Holzfass (dreifache Vorbelegung mit Bourgogne Grand Cru und Fässer aus der lokalen Argonner Eiche, die Familie Lanson hat ihre Wurzeln dort) vergoren, um die typischen Stärkungseffekte zu erzielen, ein Zugewinn an Griffigkeit wird nicht angestrebt, die closeigene Typik brauche das nicht, so Dantan.

Den 2015er gab es als Stillwein mit 11,3 % vol. alc. frisch vom Fass. Der Wein schmeckte schon in dieser Fassung sehr elegant, hatte süßlichen Schmelz, pikante Säure, eine großzügige Burgunderaromatik und schien mir sehr elegantes Ausgangsmaterial für einen prachtvollen Champagner zu sein.

Der 2014er, gefüllt im Juni 2015, war von apfeligen Aromen und apfeliger Säure geprägt, wirkte lebhaft bis aufgeregt, mit viel Hefe und Kokos, dabei präzise und unverwackelt, mit Luft weicher und weniger nervös.

Der 2013er hatte mehr tartrische Säure, auch wieder Kokosraspel und Ananas, weniger Zitrusfrische bei gleichförmig starkem Säureeindruck. Ich fand ihn erst etwas zwischen den Stühlen, mit Luft aber immer noch sehr stramm und etwas entschiedener, durchsetzungsfreudiger als den 2014er.

Der 2012er war dann beinahe das genaue Gegenkonzept zum 2014er, viel weniger Kokos und Apfel, dafür schon sehr entwickelte Noten von Mandel und vanilliertem Puderzucker, im Kern ein festgewirkter, sehr munterer Bursche, muskulös, sicher, mit gesunder Säure und würziger Schärfe.

Nicht sehr beeindruckend war 2011, ein Jahrgang, der hier und bei einigen anderen schon im August eingeholt wurde, was beim 2015er super geklappt hat, bei 2003 und 2007 aber nicht immer nur die helle Freude war. Der Wein hätte etwas mehr Zeit in der freien Natur gebrauchen können, wie ein Kind, das zu früh eingeschult wurde. Es ist natürlich alles da, aber etwas zu schwächelnd, etwas zu süsslich.

Gut entwickelt zeigte sich der mit nur 5000 Flaschen eingebrachte 2010er. Delikat, aber nicht zerbrechlich, ganz leicht tonisch, als hätte man Schweppes mit natriumreichem Mineralwasser verdünnt. Etwas Wachs, etwas wenig Säure, etwas Orangina.

Schon jetzt sehr gut trinkbar war 2009, fleischiges Obst, offene Arme, Crèmigkeit, Sahnigkeit, Butter, vorhandene und gut platzierte Säure, ein Vergnügen schon jetzt. Laut Hervé Dantan ist angedacht, den 2009er vor dem 2008er herauszubringen, auch wegen der Parallelen zu 1989 und 1988. Ich fänd’s gut.

Sehr vielversprechend war 2008. Rauflustig, intelligent, wie Tyler Durden aus Fight Club, nur ohne die Kapitalismuskritik. Entwickelt, immer noch vielversprechend, mit Luft immer weiter nach oben steigend, sehr stark.

Der 2007er war auch schon sehr weit, aber eben fast schon wieder zu weit für sein Alter. Orangenfruchtfleisch, saftspritzend und einer leicht zügelnden Herbe. Viel Trinkspass, bei dem aber mitschwingt: wie lange wird der noch so bleiben? Und: was kommt danach? Vielleicht ein guter Clos Lanson, um sich mit Clos Lanson bekanntzumachen.

Der 2006er Jungfernjahrgang hatte einen erstaunlich starken Holzdurchschlag, viel Gebäck, Gewürze, hellen Tabak, Shishabarcharakter, freundliche, optimistische Säure. Mit Luft kommt eine winzerige, sehr individuelle Räuchernote durch, die gar nicht wie großes Haus schmecken will, im Mund bleibt der Champagner dann aber doch wieder so geschmeidig wie ein ganz großer. Gelungener Auftakt und wenn sich alle nachfolgenden Jahrgänge als ähnliche Mixturen und Wundertüten entpuppen, hat Lanson da etwas prachtvolles an den Start gebracht, mit ca. 195 €/Flasche in der Liga eines Clos des Goisses ziemlich gut und klug positioniert.

Fazit: Nachdem ich einige ältere Lansonjahrgänge seit 1971 getrunken habe und vor allem den 1971, 1976 und 1979 überaus gut, ja phänomenal fand, bin ich ziemlich sicher, dass der Clos Lanson mit ähnlicher Langlebigkeit ausgestattet in einigen Jahrzehnten noch so manche Weinrunde sehr erstaunen und entzücken wird.

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Als nochmal: In it to win it, diesmal mit Sekt

Angenommen, ich wäre Juror beim Deutschen Sektpreis vom Meininger Verlag – was wären da wohl meine Favoriten? Nach meinen Erfahrungen der letzten Zeit würde sich wahrscheinlich am altbekannten Kanon nicht viel ändern. Die Sektszene ist zwar in Bewegung – aber Schaumweinbereitung ist ein diffiziles, auf jahrelange Strategien ausgerichtetes Geschäft. Wer weiß denn schon, was in zehn Jahren wie schmecken wird? Welche Grundweine in welcher Cuvée mit welcher Dosage bringen die Zunge zum lachen? Eben. Eine schwierige kombinatorische Problematik haben wir da vor uns, die es Neueinsteigern schwermacht. Ich habe dafür Verständnis. Meine ausgeprägte Unzulänglichkeit im Bereich Kombinatorik habe ich erstmals im Mathematikunterricht der achten Klasse und zuletzt öffentlich beim blending workshop von Champagne Deutz auf Schloss Bensberg unter Beweis gestellt, glücklicherweise hielt sich dort die Häme in Grenzen. Was mir vom Thema Kombinatorik blieb, ist die Freude an abzählbar unendlichen Mengen – ich dachte immer, nur Chuck Norris könne bis unendlich zählen. Daher rührt auch meine Begeisterung für Primzahlen. Und letztlich verdanke ich dem Schulbesuch einen Lösungsansatz für das eingangs geschilderte Sektproblem. Im Mathematikunterricht der Tertia erzählte nämlich der Mathematiklehrer etwas von “systematischer Probiermethode”, ich bekam das möglicherweise in den falschen Hals, bzw. wende diese Methode noch heute an, nur eben nicht in elementaren Fragen der Mannigfaltikeitslehre, sondern beim Schaumwein.

Heraus kam eine Mischung aus Alt- und weniger Bekanntem.

Natürlich hat die Diel Cuvée Mo Brut Nature 2008 einen hochrangigen Platz verdient. Dunkler Charakter, ein ganz starker 2008er, vollmundig, reif mit einem aparten Cognacnäschen, raumfüllend und bildschön.

Aus dem Hause Raumland steht sowieso immer mindestens ein Sekt auf dem Siegertreppchen, für mich sollen es gleich drei, nein: vier! sein. Raumland Blanc de Noir Prestige Brut 2007 ist so komplex, ausdrucksstark und eigenständig, wie man sich einen deutschen Pinotsekt nur wünschen kann. Reife und Frische sind hier kein Widerspruch. Ganz ähnlich wie Eric Rodez gibt es bei Volker Raumland ein Gegenstück zur Paraderebsorte Pinot Noir, nämlich den Chardonnay Prestige Brut 2009, der ist, und das ist die Kunst, fein gegliedert, von der Machart und Behandlung der Rebsorteneigenheiten völlig anders als der Pinot, eben nicht ein und derselbe Stil gewaltsam aufgeprägt, sondern jeweils das besondere herausgekitzelt. Das alles mündet im IX. Triumvirat 2009, das dem prallen Leben selbst abgeguckt ist wie die Bilder von den Brueghels, in allen ihren Schreibweisen. Die Katharina 2011 will ich abschließend jedem ans Herz legen, der etwas von Sekt versteht oder demnächst verstehen will. So geht Lebensbejahung. Kein Wunder an Komplexität, aber Lokum, weißer Nougat und Pistazie, vermengt mit Speisetraube und südamerikanischer Limonade.

Mit der Pinot Cuvée “H” Solter 2001 ist ein weiterer bekannter Name im Rennen, der in Sachen Reife ganz groß aufspielt. Toastigkeit und pilzyness, fruchtbare, nein trächtige Opulenz, für mich ein ganz gewaltiges Sektvergnügen, vor dem unreife Trinker allerdings gewarnt werden.

Trotz meiner Bemühungen um den deutschen Sekt gibt es noch viel zu viele weiße Flächen auf meiner persönlichen Sektlandkarte. Das ist nicht die Schuld der Erzeuger, sondern liegt an meinem Arbeitsrückstand. Mit Bamberger aus Meddersheim und Griesel aus Bensheim habe ich sicher zwei (auf mich gar nicht angewiesene, weil auch so erfolgreiche) weißglühend heiße Eisen im Feuer, aber da draußen ist noch mehr. Einer von diesen weniger bekannten, von mir glaube ich überhaupt noch nie erwähnten Sekte, ist der Riffel Pinot & Chardonnay Brut 2008. Das Weingut Riffel in Bingen hat mit dieser Prestigecuvée alles goldrichtig gemacht. Bei einer Gesamtsäure von 5,80 g/l war eine niedrige Dosage (3,5 g/l) zu wählen, der Wein dankt es, der Trinker auch. Schlank, sportlich, sympathische Dynamik, Briocheanleihen und ein freundschaftlich ausgewogenes Verhältnis von Frucht, Alkohol und Würze.

Von Winning kennt man vor allem wegen der Stillweine. Den Sekt von dort sollte man ebenfalls kennen. Der Pinot Brut ist ausgerechnet auch noch ein Weißburgundersekt. Einer der besten, die es gibt. Traubig, wohlschmeckend, der Aprikosenton mag manchen Puristen stören und Botrytisverdacht wecken, wenn man ganz arg meckern will, wird man fehlende Säure bemängeln, mir war der Sekt aber die zweithöchste Bepunktung unter 50 Sekten wert.

Oliver Zeter aus Neustadt kennen die Schlaufüchse schon lange, ich habe ihn jetzt meiner Meinung nach erstmals im Glas gehabt und bin von der Zeter Zero Grande Cuvée Extra Brut 2010 hin und weg. Potente 9,5 g/l Säure und 3 g/l Dosage, 60PN 40CH in gebrauchtem Barrique vinifiziert, trotz leicht krautiger Noten (nach langem BSA?) ein großer Sekt, der mit jedem Detail klarmacht, dass er beim Blick über die Grenze nicht ins Elsass oder ins Burgund schaut.

Den Wilhelmshof und seinen Patina Pinot 2009 empfehle ich gern, weil mir die Stilistik mit Fenchel, Anis, Amaretto und dem feinen Esspapierduft gut gefällt, beim sekt nicht ganz üblich ist und in dieser Form hohe Eigenständigkeit zeigt.

Der SMW Saar-Mosel-Winzersekt Pinot Cremant Mosel 2009, wieder aus dem Jahr 2009, müsste nur einen Hauch oder von mir aus sogar deutlich weniger dosiert sein und schön würde er sich nach weit oben katapultieren. Sehr guter Pinotsekt!

Zauberhaft ist der SM SektManufaktur Pinot Dosage Zero der auch im Mund fast alles ausschöpft, was geht. In Schweppenhausen verstehen sie sich darauf, dem – obacht! – Weißburgunder Apfel, Birne und Litschi abzugewinnen, ohne die weniger feinen Teile des Rebsortenspektrums in den Sekt gelangen zu lassen. Etwas mehr Länge könnte er ruhig noch haben, aber bereits jetzt chapeau.

Matthias Gaul aus Grünstadt hat mit diesem schon hochpreisigen Chardonnay “Mademoiselle Anne Zero Dosage” eine unbedingt empfehlenswerte Leistung gebracht; über den Preis mag man streiten, aber getrunken haben sollte man den Sekt.

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