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Category Archives: Allgemein

Allerlei und allerhand Information rund um den schäumenden und den stillen Wein, Cognac, Hotels und Restaurants. Streng nach meinen eigenen Interessen geordnet und veröffentlicht.

Véritable 2016

Sankt Martin in der Pfalz. Im denkmalgeschützten Ortskern reiht sich Hotel an Gaststätte an Weingut. Wenn die Schranken runter sind, kommt man mit dem Auto nicht hinein. Das ist nicht schlimm, weil selbst Fußfaule sich den Ort schnell per pedes erschließen können. Und wenn gerade Véritable ist, sollte man das Auto sowieso stehen lassen.

Véritable, das ist der Name der Weinfachmesse von Philipp Kiefer und Uwe Warnecke. Diese Weinfachmesse ist wie eine Essenz der ProWein. Alle Aussteller, die auf der ProWein Pflichtbesuch sind, sind nämlich auch auf der Véritable. Man spart sich also das ganze Drumherum und den Zeitverlust, außerdem gibts ganz nebenbei gutes Essen.

Um alle 91 Aussteller der diesjährigen Véritable zu besuchen, reichte bei mir leider die Zeit nicht. Ich habe deshalb eine auf Herzenslust beschränkte Auswahl vorgenommen, wobei ich schweren Herzens internationale rote Knaller wie Ornellaia, Sassicaia, Gaja, Penfolds, Vega Sicilia Unico, Hermitage La Chapelle ausgelassen habe.

Egon Müller gefiel mir mit seinen 2015ern nicht durchgehend. Der Scharzhof Riesling hatte nur viel Säure und Aggressivität zu bieten, der Scharzhofberger Kabinett Alte Reben befand sich noch im Tiefschlaf und die opulentere Wiltinger Braune Kupp Auslese gefiel mir auch nicht uneingeschränkt, von den gezeigten Weinen allerdings am besten. 2015 vom Egon Müller ist meiner Meinung nach zum Weglegen bestimmt.

An der Saar brillierte von Othegraven mit einem altmodisch geratenen Bockstein Riesling Kabinett 2015, etwas fülliger trat der Altenberger Riesling Kabinett 2015 auf, der auch als Spätelese Alte Reben eine gute Figur machte. Am besten allerdings gefiel mir der Altenberg Alte Reben in der Auslesenvariante, die überbordend, groß und von vorn bis hinten gelungen war. Ein Tiptopwein.

In Mertesdorf befindet sich die Schlosskellerei C. von Schubert, Weingut Maximin Grünhaus, gerade frisch in den VDP aufgenommen, der sich mit Neuaufnahmen ja manchmal ganz schön anstellt. Einen größeren Überblick werde ich mir bei diesem ja nun wirklich sehr traditionsreichen Weingut im November verschaffen, zwar nicht bis zum Jahrgang 633 zurück, aber fast. Für dieses Mal reichte es völlig, Bruderberg Kabinett 2015 und die beiden Abtsberge Spätlese, bzw. Auslese 2015 zu probieren und gut zu finden. Den schmutzigen Mix aus Käsecracker, kalter Asche und Kokain mit Apfelaroma muss man einfach faszinerend finden.

Das Weinhut Joh. Jos. Prüm liefert einige meiner liebsten drinks und wenn ich Termine in Berkastel-Jues wahrzunehmen habe, lasse ich mir nur selten im Anschluss den Besuch im Weinhaus Porn mit der dort wartenden Fünferreihung feiner Prümweine entgehen. Die Graacher Himmelreich Spätlese 2014 war schön teeig, mit krachender Säure, die 2012er Version etwas fetter und weicher. Aus 2012 gab es noch eine Wehlener Sonnenuhr Spätlese, deren druckvoll abgelieferte Frucht und kristallzuckrige Süße fast schon wieder anstrengend waren. Aber dann kam die 2009er Wehlener Sonnenuhr Spätlese ins Glas und die zeigte, vielleicht dem warmen Jahr geschuldet, vielleicht dem reifefortschritt insgesamt, beginnendes Petrol und zwar genau in der Dosierung, die ich liebe. Feiner Stoff, der sich nach oben hin klar von der Benrkasteler Badstube Auslese 2007 absetzte, die etwas prickliger, etwas dicklicher, mit ausgeprägterem petrol und buttrigen Noten ins Glas kam. Ganz besonders stark war zum Schluss dann noch die große, fordernde, 2007er Wehlener Sonnenuhr Auslese.

Ein anderer Moselfavorit ist ja immer Fritz Haag, so auch diesmal. Der Brauneberger Riesling Kabinett 2015 war ein schöner, sehr eleganter Einstieg und eine perfekt abgezirkelte Pyramidenbasis, auf der Braunenberger Juffer Sonnenuhr Spätlese und Auslese Goldkapsel, jeweils aus 2015, architektonisch ideal aufbauten.

Aus dem Hause Grans-Fassian gefiel mir der VDP.Ortswein Trittenheimer Riesling Kabinett 2015 ganz gut, auch wenn ich nicht unbedingt ein Fan von blumigen Noten im Riesling bin, die sich hier etwas stärker breitmachten, aber noch tolerabel blieben und von einem leicht kalkigen Eindruck gut eingefasst wurden. Die Dhronhofberger Riesling Spätlese VDP. Große Lage 2003 hatte viel Lemon Curd und Eierpfannkuchen und damit meine volle Sympathie.

An August Kesseler habe ich mich erstmals beim Fest in der Hattenheimer Winebank so richtig herangetastet, die neue Begegnung mit dem Erzeuger aus Assmannshausen verlief noch erfreulicher, der Lorcher Schlossberg Kabinett VDP.Erste Lage 2012 war ein herrliches Apfelkonzentrat und köstlicher Rieslingspaß.

Beim Weingut Künstler aus dem sonst nicht sehr meldenswerten Hochheim am Main habe ich mehr oder weniger meine einzigen trockenen Stillweine der Véritable gekostet und mal wieder die Weiss Erd GG 2014 am besten gefunden. Warum? Weil sie einer der champagnerigsten Rieslinge überhaupt ist, schon dem sprechenden (Kalk, Löss, Mergel sind für die Weiss Erd verantwortlich) Namen nach.

In Rheinhessen wimmelt es von guten Winzern, am besten sind die meisten von ihnen nach meinem Empfinden im trockenen Bereich, also jenseits meines Horizonts. Von Kühling-Gillot gibt es aber im süßen Bereich eine Pettenthal Spätlese 2015 von solcher Pracht und Wucht, dass der Griff in die Geldbörse sicher lohnt, bei ca. 19,50 €/Flasche.

Sehr gut sah es auch bei Dönnhoff aus, dessen Oberhäuser Leistenberg Riesling Kabinett 2015 ist jetzt schon sowas von da, dass ich mich in ihn verbissen habe, die schmeichelhafte Säure förderte das natürlich noch.

Nicht unerwähnt lassen will ich den munter verspielten Cinqueterre von Elio Altare, der so gutgelaunt und farbenfroh ist, wie das Dörflein selbst. Vermentino, Bosco, Albarola sind dafür verantwortlich und wenn ich Vermentino höre, denke ich sowieso immer an meine erste Erfahrung mit der Rebsorte, aus dem Hause Argiolas, lang ists her.

Billecart-Salmon wurde von Eric Calzolari in gewohnte Manier ausgeschenkt und weil Eric Calzolari weiss, wie man’s macht, natürlich in Magnums. Davon hat am meisten der Blanc de Blancs profitiert, der sonst gern mal etwas beliebig wirken kann, wenn er noch sehr jung und voller Babyspeck ist. In der Magnum hat er einfach mehr Präzison und Würde. Réserve und Rosé fuhren wie Nicolas Francois Billecart in ihren Umlaufbahnen, durch nichts zu erschüttern. Stark war dann noch der 2006 Extra Brut, der würzig und dunkel wirkte, so geheimnisvoll wie noch nie ein Billecart-Salmon zuvor, würde ich sagen.

Louis Roederer war mit dem Brut Premier vertreten, den ich nicht immer nur gut fand, jetzt aber schon. Schön röstig, ein bissele süß, was mir zuletzt beim 2007er Cristal wieder sehr charakteristisch und irgendwie ja auch historisch korrekt vorkam. Blanc de Blancs Brut Millésime 2009 war mal wieder eine sichere Bank, schlank, nicht mager, griffig, trainiert, gut. Die Edition Starck Brut Nature 2006 zeigte sich wiederholt von einer guten, wenn auch nicht von ihrer besten Seite, das blieb im Vergleich dem Brut Millésime 2008 überlassen.

Pol-Roger wartete mit einer so geschlossen gute Serie auf, dass ich mich ein wenig für die stiefmütterliche Behandlung geschämt habe, die das Haus durch mich erfahren hat. Was andererseits schon wieder ein gutes Zeichen ist, weil dann ja alles gut läuft und es nichts zu bekritteln gibt. Wobei das auch schon wieder nicht ganz stimmt, die Tendenz von Pol-Roger zur beharrlich hohen Dosage hatte ich vor Jahren schon erwähnt und der Eindruck ist nicht gewichen, aber bei Pol-Roger sehe ich das am Ende doch immer wieder nach, weil die Weine so langlebig sind und die Dosage wie eine kultische Wegzehrung mit in ihre zweite und dritte Transformation in der Flasche nehmen. Der White Foil war also so schmatzig wie eh und je, der Pure immer noch gut und langsam gewöhne ich mich auch an ihn, der 2006er Vintage war nicht so schön wie der von Billecart, aber sei’s drum, dafür war der 2006er Rosé verdammt gut und in meinen Augen ein echter Geheimtip, noch vor dem 2008er Blanc de Blancs, den ich für sehr gut, im Vergleich mit dem von Roederer allerdings nicht überlegen fand. Sir Winston Churchill 2004 war britische Bulldogge vom Feinsten, jetzt schon prima, wenn man mit der Süße klarkommt, aber in einigen vielen Jahren sicher noch mal um Längen besser.

Volker Raumland stellte den Rosé Prestige Brut (Nature) 2012, den Blanc de Blancs Brut 2009, den Chardonnay 2009, das IX. Triumvirat (2009), den Riesling Prestige Brut 2008 und den Pinot Prestige 2007 en Magnum vor, vielleicht schon ahnend, dass er damit wenige Tage später wenige Ortschaften weiter, in Neustadt beim Meininger Verlag, beim Sektpreis punktemäßig nochmal dick abräumen würde, für mich ein doppelt und dreifach freudiges Wiedersehen. Der Chardonnay 2009 gehört zu den starken deutschen Chardonnaysekten und somit zu einer winzigen Partition innerhalb der Sektfraktion. Röstnote, Laktizität und Brotrindigkeit sind jedenfalls für meinen Geschmack vorbildlich. Das IX. Triumvirat hatte mit dem Chardonnay sehr starke Konkurrenz aus dem eigenen Haus und wusste sich dagegen nur knapp durchzusetzen. Überaus stark kam mir auch der Riesling Prestige vor, während der Pinot Prestige ruhig noch etwas vor sich hindämmern kann.

Mit Champagne, Terroirs etC(omplicité). im Assiette Champenoise, Reims (***/5 Toques GaultMillau)

L’Assiette Champenoise von Arnaud Lallement ist der langjährige Antagonist des Crayères (nach einigen Wechseln steht die Brigade von insgesamt 110 Mann dort jetzt auch schon wieder seit 2009 unter der Leitung von Philipp Mille) in Reims und zog vorletztes Jahr mit dem dritten Stern am Konkurrenten vorbei, nachdem der Gault Millau ihn schon 2013 zum Koch des Jahres ausgerufen und die fünfte Haube verliehen hatte. Das Hotel-Restaurant ist langjähriger Familien- und Vorzeigebetrieb, die Küche mit ihren 15 Köchen auf 200 Quadratmetern reichlich großzügig bemessen, seit 2000 besteht eine enge Kooperation mit Champagne Krug. Gute Voraussetzungen, um ein paar Happen einzuwerfen. Das geht nicht ohne anständige Champagner, an denen auf der Karte kein Mangel herrscht. Noch spannender wird es allerdings, wenn der verlässliche Frédéric Bouché für das food & wine pairing verantwortlich zeichnet und passende Champagner der frischgegründeten Winzervereinigung ‘Champagne, Terroirs etc.’ kombiniert.

Vorweg gab es
Champagne Apollonis (besser bekannt unter dem Namen Michel Loriot) Cuvée Palmyre (nicht zu verwechseln mit dem 100PN PC Palmyre von André Delaunois), die war sehr ansprechend, etwas apfelig und rotbackig, gegenüber meiner letzten Erfahrung mit dieser Cuvée schön fortentwickelt, vor allem nicht mehr so tapsig.
Piot-Sevillano aus Vincelles habe ich schon im letzten Jahr als aufstrebenden Betrieb wahrgenommen, die Cuvées “Elegance” und “Interdite” gaben erste Einblicke und die Cuvée Provocante (100M) erlaubt den aromatischen Vollzugriff auf alte Meunierreben, wobei birnige und quittige Aromen überwiegen; kurz sah ich mich auch auf die Apfelfährte gelockt und dachte an Chardonnay, was der Stimmigkeit keinen Abbruch tat.
Gaidoz-Forget 2007 Extra Brut, vor Jahren mal auf Empfehlung durchprobiert, habe ich den Erzeuger aus dem Blick verloren, um ihn jetzt als einen Klassiker, der mit viel Butter und Biscuit auftritt, wiederzuentdecken.

Hernach gab es was zu essen.

Pôtée Champenoise, d.i. der Erntehelfereintopf, schmeckte mir als großem Eintopf- und Suppenfan fabelhaft. Dazu gab es von Dauby aus Ay (8 ha in Ay und angrenzenden Premier Crus) die Cuvée Flore Extra Brut, deren ausgeprägter Aystil, konzentriert mit dem Parfum von Blumen, Küchenkräutern und gehackten Mandeln. Eine magnetische Kombination.

Taschenkrebs aus der Bretagne, Erbsen, Chip, Reimser Essig. Vor allem der Essig machte bei dem Gang sehr viel aus, die Produktqualität ist bei Fisch und Fleisch ja sowieso erhaben. Der Colin (11 ha in Vertus und Nachbarschaft bis ins Sézannais) Blanc de Blancs Vertus Cuvée Enjôleuse 2007, leicht roestig, auch buttrig, nahm den Essig gelassen auf und spielte ihn über Erbse und Krebs gekonnt zurück.

Langustine Royal als Tartar mit Zitronenkaviar, Piment d’Espelette und Timutpfeffer war vor allem durch die sparsam beigegebenen Gewürze ein Hit. Dazu gab es Francois Secondé (5,5 ha in Sillery und Umgebung), Puisieulx Grand Cru les Petites Vignes, 50PN 50CH fast 50 Jahre alte Reben, Assemblage 2009 begonnen und 2012 als Solera fortgeführt Vinifikation teils im Fass teils im Stahl, BSA, mit 6g/l dosiert. Zum Schalentier mit seiner nage crémée passte das zaghafte Vanillearoma des Champagners und dessen soleramäßige Sanftheit, die ihre Säure mehr dem Essen entlehnte, als selbst dort einbrachte.

Bar de Ligne mit Rübe und Vermouthschaum, dazu Bergeronneau-Marion 2006 ein Drittelmix mit viel Zitrus, etwas Vanille, ein wenig Brotrinde. Bekannt ist Bergeronneau-Marion vor allem durch den Clos des Bergeronneau, den sie als eine der ersten Winzerfamilien vor ca. zehn Jahren mit schickem Habit auf den Markt gebracht haben, just zu jener Zeit, als die Clos begannen, in Mode zu kommen. Der Jahrgang 2006 vereinigt sich sehr gut mit dem Wermut, die Rübe hatte dazu eigentlich nicht sehr viel beizutragen, ergänzte aber Fisch und Noilly Prat als lokale Ackerfrucht bestens.

Rind von Alexandre Polmard mit Kichererbse, Kichererbsenknusperkissen und Jus, dazu
Poissinet (aus Cuchery, mit 7 ha rechts und links der Marne), Cuvée Carte d’Or 2008, 50M 30CH 20PN, leicht gebutterter Salzkeks, am Ende etwas Veilchen und Lakritz. Den Winzer kannte ich vorher nicht. Die keksigen Aromen passten zur Kichererbse, beide lieben es, in Tunke zu baden und das Rind traf auf einen gut aufgestellten Champagner, der mir solo etwas zu schwer vorkommen würde, der aber zum Essen ganz und gar nicht undynamisch wirkte.

Comtémus mit Radieschen und Roter Bete, dazu Xavier Leconte, Scellés de Terroirs Pinot Noir Le Clos de Poiloux 2006, Fassvinifikation, BSA, 3 g/l; vorauseilend ein leichter Stinker, dahinter entwickelt sich ein etwas schwach ausgefallener Vents d’Anges, wie die Rebsortenreihe noch unter der Leitung des Vaters hieß (und mir immer sehr gut gefiel). Viel hat sich eigentlich nicht geändert unter der Leitung von Alexis, etwas gerafft und gestrafft wurden die Champagner vielleicht, einige Speckröllchen sind meinetwegen noch weggefallen, obwohl es davon nie viele gab, bei Leconte. Dem Clos de Poiloux wird man wahrscheinlich jetzt etwas mehr Zeit für die Entwicklung zubilligen müssen, als früher, da war er immer sofort da. Zum Käse passte er dem Grunde nach gut, hatte aber mit sich selbst zu kämpfen.

Dessertzitrone M. Bachès, dazu gab es René Jolly (13,5 ha, Landreville) Cuvée Editio 2005 (50PN 50CH, Fassausbau in regionaler Eiche), mit einer grossen Klassikernase, ebenso zitrusfrisch wie die irrsinnige Zitrone aus der Küche von Arnaud Lallement, nicht nur sauber, gekonnt und grosshauswürdig, sondern mit individuell rauchiger Herbe, was zum starksauren bis fast scharfen Zitronenfuellungskompott 1a passte.

Fazit:
Im Dreisternehaus der Champagne wird man satt und zufrieden gemacht. Die Küche lebt nicht von Quatscheffekten, sondern vom Produkt, abgesehen von dem mir etwas zu häufig stattfindenden Angießen der Saucen, Jus und sonstigen Flüssigkeiten am Tisch.

Ohne Mampf kein Kampf: Essen und Trinken in der Champagne

So wie beim sonst von mir nur wenig geschätzten Epiktet im Handbüchlein der Moral die Schafe das Gras nicht wieder ausspeien, um den Hirten zu zeigen, wie sie geweidet haben, sondern das Futter verdauen und Milch erzeugen, so sollen meine Kostnotizen über manches, was meinen ersten (und nicht nur diesen) Sphinkter passiert hat, den Uneingeweihten nicht unverdaute Lehrsätze sein, sondern eine kleine Hilfe und Orientierung in der Champagne, wobei ich es gern ertrage, wenn jemand zu mir spricht: »Du verstehst nichts«.

Wo also geht man in der Champagne am besten Essen? Klar, ein Blick in die einschlägigen Führer schrumpft die Auswahl auf den ersten Blick schnell auf Grand Cerf (*), Les Berceaux (*), Crayères (**) und Assiette Champenoise (***) zusammen. Aber kaum ein Mensch kann oder will unentwegt Sterneküche essen, vielfach geht das schon aus Zeitgründen nicht. Mittags ist ein Menu im Grand Cerf natürlich schon eine feine und gar nicht besonders teure Sache (39 €), das Berceaux in Epernay ist mit 45 € etwas teurer, im angeschlossenen Bistro Les 7 hingegen mit 29 – 32 € wiederum günstiger, bei beachtlicher Champagnerauswahl auch aus Magnums.

Im Traditionsrestaurant Chez Max in Magenta kostet das Mittagsmenu gerade mal um die 15 € und im Laufe eines solchen Essens fühlt man regelrecht, wie man zum Franzosen wird; die Champagner dort kennt man oft nichtmal dem Namen nach, manchmal sind im Glasausschank echte Überraschungen dabei. Das emsige Table Kobus mit seinem rustico-chic wird vor allem von den Vertretern der ansässigen Champagnerhäuser gern frequentiert und liegt preislich ziemlich in der Mitte. Die Champagnerkarte deckt große Häuser und einige weniger bekannte Erzeuger ab.

In Reims gibt es die Brasserie Flo (mit Treuekarte können Stammgäste dort einige Vergünstigungen abgreifen, Austern und Fischkram jeder Art gehen dort immer), eine Art Alex oder Extrablatt in Art-Déco Optik. Die Champagnerauswahl ist leider etwas phantasielos, dafür gibts dort meist gutes Tartar. Wer in Reims ist und bleiben will, kann sich im Le Bocal am Seafood gütlich tun und sich durch die gute Champagnerauswahl trinken: der 100% Meunier von Trudon kostet 32 €, der 100% Pinot Noir von Henriet-Bazin 35 € und der 100% Pinot Blanc von Tassin 39 €. Beaux Regards und Rive Gauche von Bérèche kosten je nur 59 €. Im erstaunlichen Glue Pot lohnt es, sich von Stéphane Arion und Team bedienen lassen, vor allem die Champagnerauswahl dort ist sensationell, die Stimmung auch. Kuscheliger geht es in der Epicerie au Bon Manger bei Aline am Forum zu, die Champagner dort sind genauso mitreißend, die Winzer dort genauso oft wie im Glue Pot höchstselbst anzutreffen und die gemischten Wurst-/Käseplatten machen wunderbar satt. Wen danach noch der Durst plagt, der kann schräg gegenüber in der Weinbar Le Vintage tanken (z.B. NPU 1999 quasi ohne Aufschlag zum Ladenverkaufspreis). Außenstehenden weniger bekannt aber sehr zu empfehlen ist der Cul de Poule in Reims, auch dort gibts unvermatschte Küche zum moderaten Preis und die Champagnerauswahl stimmt. Im Racine von Kayuzuki Tanaka sollte man egal ob mittags (39 €) oder abends einmal gegessen haben. Sehr zurückgelehnt, bei schöner Champagnerauswahl geht es im Coq Rouge zu.

Bei Sylvain Suty in Dormans kann man auch gut einkehren, das Menu ist mit ca. 13,50 € nicht teuer, die Champagnerauswahl überaus kundig, mit einer hübschen Anzahl besuchenswerter Winzer der näheren Umgebung und wer sich für Bier interessiert bekommt dort das lokale Bräu Les 3 Loups aus Trelou, auf der anderen Seite der Marne. Ähnlich charmant ist das Restaurant La Gare in Le Mesnil, direkt gegenüber von Champagne Robert Moncuit.

Am meisten Furore macht wahrscheinlich bis auf weiteres (und solange sich das Royal Champagne nicht wieder etabliert) das Restaurant Les Avisés auf der Domaine Jacques Selosse. Letztens gab es zur Küche von Stéphane Rossillon Champagne Marie-Noelle Ledru Grand Cru 2000 en Magnum (frisch, schlank),
Guiberteau Brézé 2006 en Magnum (viel Auster), Chartogne-Taillet Lettre de Mon Meunier 2010 (rassig, pikante Säure). Guiberteau findet man in der Champagne oft, ich habe ihn ja überhaupt erst dort kennengelernt als er zu Gast bei den Artisans war und fast könnte man denken, Guiberteau erfreut sich so großer Beliebtheit, weil ihn die Champenois so mögen. Na egal, im Les Avisés lohnen sich Mittag- und Abendessen immer, los geht es mittags bei 39 €, abends kommt noch ein Zwanni drauf, eigenes Wasser in still und sprudelnd kommt aus Bügelflaschen auf den Tisch, die wechselnden Menus kann man blind bestellen und sichs herrlich gut gehen lassen.

Soirée by Les Fa’Bulleuses de Champagne

Frauenclübchen sind in Mode wie Roséchampagner und minderschwere Essensmacken. Dabei handelt es sich überwiegend um künstlich wirkende Adaptionen (Adaptationen?) von Männerclubs, meist um die dort herrschenden Atavismen bereinigt und sterilisiert. Schön ist es aber meist trotzdem, wenn ein Haufen leistungsbereiter Frauen um einen herum ist. Erst recht gilt das natürlich, wenn alle eigenen Champagner machen. Das geht wiederum nur in der Champagne, wo nämlich alles anders ist und ich besonders gerne bin. Frauen haben hier schon immer eine hervorragende Rolle gespielt, selbst zu Zeiten quasiorientalischen Patriarchats. Ohne die berühmten Witwen Clicquot, Pommery, (Laurent-)Perrier, Bollinger, stünde die Champagne heute ganz anders und wahrscheinlich nicht gerade besser da. Die Fa’Bulleuses sind vor diesem Hintergrund nicht als Abklatschtruppe aus dem Umfeld des Printemps en Champagne zu verstehen, sondern als ein fruchtbarer, bzw. fruchtbringender und epikureischer Zirkel eigenen Rechts.

Im Reimser Restaurant La Table Anna’s luden die Ladies zur Soirée. Es gab

Croustillant de Gambas mit grünem Spargel, dazu Rochet-Bocart Blanc de Blancs Brut Nature von Mathilde Bonnevie aus Vaudemange. Weniger als ein Grämmchen Dosagezucker, athletischer Corpus, typischer Montagnechardonnay mit viel frecher Säure und fruchtiger Aromatik, die sich einwandfrei mit Spargel und Gambas paarte.

Terrine de Foie Gras, Chutney, Gewürzbrot, dazu Mary-Sessile L’Inattendue Extra Brut von Claire Blin aus Treslon. Reinsortiger Meunier, wieder gering (2 g/l) dosiert, aus der für starke Meuniers bekannten Region westlich von Reims, hinter Gueux und Vrigny gelegen. Ob der das schafft, mit Foie Gras, Chutnes und Gewürzbrot? War meine Befürchtung. Er schaffte es mit Bravour. Mary-Sessile werde ich weiter erkunden müssen.

Jakobsmuschelcarpaccio, Austernemulsion, Kaviar, dazu de Sousa Brut Réserve von Charlotte de Sousa aus Avize, mit 7 g/l dosiert, die auf den ersten Blick und auf dem Papier sehr hoch wirken nach den beiden Brut Natures, aber nicht so schmeckten. Das lag sicher am meerlastigen Aroma der Speisen, die ggf. viel Dosage vertragen können (nicht in jedem Fall) und zu einem anderen Teil lag es an der anpassungsfreudigen und am japanischen Geschmack (ich sage nur Cuvée Umami) geschulten Art des Champagners. Ein Selbstläufer.

Steinbuttfilet, Trüffelrisotto, Sauce Champagne, dazu Guy Mea Brut Nature von Sophie Milesi aus Louvois. 60PN 40CH, mir war Guy Mea bis dato völlig unbekannt. Auch das wird sich ändern müssen. Denn zum Steinbutt mit Trüffel passt ja nicht unbedingt immer alles, selbst große Häuser, die in Restaurants zu Hause sind, die ständig sowas servieren, tun sich mitunter schwer. Bei Guy Mea lief die Kombination mit einer Selbstverständlichkeit und Authentizität, dass ich staunen musste.

Noix de Filet de Veau, Cognacsahnesauce, Knusperpolenta und Oliven, dazu Baillette-Prudhomme Millésime 2008 von Laureen Baillette aus Trois-Puits war wieder gewohnteres Terrain, die drei Damen habe ich ja schon vor Jahren besucht und wegen ihrer Cuvée Réserve stets geschätzt. Die Jahrgänge habe ich darüber etwas aus den Augen verloren, fand mich aber mit dem 2008er schnell zurecht, zumal Laureens Schwester Justine meine Tischnachbarin war. Der Champagner hat 60PN 30CH 10M und 6 g/l Dosage, vor allem Freunde reichhaltig-reifer Aromatik werden hier gut bedient. Zum Kalb passte das sehr gut, weil Cognac, Oliven und Knusperpolenta sich gediegen eingebettet fanden.

Alter Comté, Brie de Meaux, dazu Beaugrand Carte Blanche Brut Nature von Hélène Beaugrand aus Montgueux bedurfte keiner großen Erläuterungen, Montgueux ist in weiten Teilen selbsterklärend und undosiert eine kluge Kombination zum Käse.

Mont Blanc Exotique, Florence Duchêne Kalikasan (50CH 45PN 5M, 60% Reserve und fünf Jahre Reife) von Florence Duchêne aus Cumières brauchte ebenfalls keine großen Erklärungen, oder doch: zum Dessert einen Nulldosagechampagner zu servieren ist schon ein wenig gegen den Strich. Geht aber und geht nur, wenn Dessert und Champagner auf einer Metaebene passen. Die simple Zuckerfrage stellt sich dann gar nicht mehr, Hefe, Nuss, Reife, Kaffee und ätherische Öle lenken die Aufmerksamkeit weit weg davon und erlauben dem von Erschlaffung bedrohten Geist neues excitement.

Fazit:
Cheerleadereffekt gibts woanders. Die Fa’Bulleuses lohnen eine individuelle Beschäftigung und zeigen sich vor allem zum Essen sehr kombinationsfreudig.

In it to win it

Angenommen, ich sollte einige Champagner für einen größeren Champagnerwettbewerb nominieren – welche würde ich wohl nehmen? So einen verrückten Complantationschampagner, am besten noch mit paar Altrebsorten drin, ohne störende Dosage (von Benoit Lahaye zum Beispiel oder von Agrapart oder von Geoffroy oder von Laherte (IWC (nicht aus Schaffhausen) resp. Stephen Tanzer schätzt ja seinen Les 7 sehr))? Oder lieber was von der Aube, so eine richtig unverschämte Pinotbombe (von Dominique Moreau oder Ruppert-Leroy)? Oder Amphorenchampagner (von Tarlant oder Vouette & Sorbée)? Wohl kaum. Das ist, salopp gesagt, Perlage vor die Säue, bzw. in etwa so sinnvoll, wie ein minutiös gefertigtes Manufakturkaliber aus Schaffhausen (wo man gerade erst 75 Jahre Portugieser abgefeiert hat) zur Information der Fahrgäste im Bahnhof aufzuhängen. Bahnhofsuhr, deren Wirkmächtigkeit man nicht unterschätzen sollte, deshalb da, wo Bahnhofsuhr gefragt ist und acting like big daddy da, wo man etwas damit anfangen kann oder nachdrücklich wünscht. Würde ich nun Champagner empfehlen müssen, die sich einer breiten Leser- und Trinkerschaft gefällig zu zeigen haben, ich nähme diese hier.

Grande Cuvee Moutard 100PN aus dem Stahltank, keine Malo, dafür 10 g/l Dosage nach 36 Monaten Flaschenaufenthalt; 30% Reservewein. Die Dosage klingt erstmal abschreckend, aber der BSA-Verzicht reißt es mehr als raus, wobei diese beiden Faktoren nicht alleinbestimmend sind. Mir gefiel das winzerige, kraftvolle Aroma überaus gut, volle Nuss, viel Brioche, Malz, röstige Brotrinde, einer der besten Moutards überhaupt und ein aufrüttelnder Alarmruf für alle, die sich am liebsten immer nur den allerhippsten und angesagtesten Winzern an den Hals werfen. Kann übrigens locker auch noch was liegen bleiben.

Heidsieck Monopole Blue Top, 70PN 20CH 10M, ist gleich die nächste erschütternde Erfahrung, wenn man bisschen Glück mit der Flasche hat. Zwar merklich viel süßer als der Moutard, aber ein kraftvoller, unverfetteter Champagner, der immerhin eine gewisse Süßetradition von Haus aus mitbringt und zu wahren hat. Das gelingt prächtiger denn je, zum bekanntermaßen lachhaften Supermarktpreis.

Alfred Gratien Brut ist wie alles aus dem Hause Alfred Gratien so durchzugsstark, zuverlässig und dabei günstig, dass man sich seines antrainierten Snobismus beinahe schämen muss. Bei Alfred Gratien gefällt mir wie beim Moutard die Säure immer wieder aufs Neue, die Komplexität verdankt sich hier außerdem einem zurückhaltenden Holzeinfluss, dem das kleine Haus seine Sonderstellung (zwischen allen Stühlen: deutsche Eigentümeschaft, für Winzer zu groß, für Haus zu klein, auch nicht in Familienhand, dafür mit uralter Kellermeisterdynastie) unter den Erzeugern in der Champagne verdankt. Wer sich ein besonders preisgünstiges und richtiggehend vorbildliches Champagnervergnügen ist der 2000er Vintage.

Michel Vignon Père & Fils Grand Cru Les Marquises 2008, im annus mirabilis 2012 habe ich mit mehreren Champagnern erstmals Bekanntschaft geschlossen, unter anderem gehörte damals der Champagner von Frederic Savart dazu, der es mittlerweile zu höchsten Würden gebracht hat, aber auch die etwas langsamer aufsteigenden Champagner von Lelarge-Pugeot (von deren Wirken ich mich in diesem Frühjahr noch einmal überzeugt habe) und mit dem Champagner aus dem kleinen Hause Vignon habe ich mich da vertraut gemacht und gefunden, dass das noch einiges ginge, buzw. möglich sei, bzw. in Wahrheit war ich wohl eher etwas unschlüssig. Mittlerweile weiß ich, dass der Les Marquises 2008 ein kleines Meisterwerk geworden ist, das zu kaufen sich unbedingt lohnt.

De Telmont Blanc de Blancs Grand Couronnement 2002 ist ein Champagner, mit dem man in einer Runde fortgeschrittener Champagnertrinker eher Kopfschütteln und bedrückte Mienen provozieren wird. Dabei ist er gerade für Champagnertrinker, die just vom Stillwein herkommen, sagen wir z.B. (weil ich es von der gerade erst verklungenen Weinlounge bei ihm noch sehr präsent habe) von Matthias Knebels Brückstück #Bückstück wie gemacht, um zustimmendes Kopfnicken und entrückte Mienen heraufzubeschwören. Sicher: er mag für Dosagenudisten hoch dosiert wirken. Nur darf man sich nicht immer nur auf technische Werte, vor allem nicht auf einzelne kaprizieren. Dann entgeht einem nämlich sowas hier und das wäre ein echtes Manko in der eigenen Trinkbiographie.

Fazit:
Mit keinem der oben genannten Champagner wird man Champagnernarren hinterm Ofen vorlocken. In der Blindprobe ist aber jeder von ihnen ein Siegertyp.

Pi, Pa, Po: Piper-Hiedsieck Rare 2002, Bruno Paillard N.P.U. 2003 und 2 x Pommery Louise 2004

Eigentlich ist es ein Unding, diese drei Erzeuger mit ihren jeweiligen Champagnern in einem Atemzug oder Beitrag zu nennen. Jeder davon wäre einen eigenen Beitrag und eine eigene Würdigung wert. Könnte man meinen. Nur wenn man die Dinge so sieht, darf man überhaupt nie über mehrere tolle Sachen zugleich berichten, solch eine Sicht wäre also grundlegend falsch. Weil ich zu denen gehöre, die nur im Sinne der Straßenverkehrsordnung gern mal was falsch machen, hier eine kurze Einschätzung von mir sehr geschätzter Champagner.

Piper-Heidsieck Rare 2002, mittlerweile ein alter, von mir ehrlich gesagt nie wirklich geliebter Bekannter, ich fand die regulären Jahrgänge von Piper-Heidsieck in den letzten Jahren meist schöner (zuletzt den 2006er). Das Fine Champagne Magazine setzte den Rare 2002 nach einer Reihe ungewöhnlicher Entscheidungen als eine für mich nochmals weniger nachvollziehbare Kür an Nummer 1 der 100 Best Champagnes for 2011, Dirk Würtz stapelte neulich mit 94 Punkten etwas tiefer und attestierte vor allem Balance. Dem kann ich mich mittlerweile anschließen, bei den Punkten bin ich bekanntlich sowieso geiziger als die meisten Berufsbepunkter. Warum ich den Rare aber an dieser Stelle und Umgebung erwähne? Weil er zu den Champagnern mit der heftigsten, erstaunlichsten, dabei nachvollziehbarsten und positivsten Entwicklung der letzten Jahre gehört. Wie in Zeitlupe kann man seit 2011 dem Abschmelzen der Fettmassen zusehen, das zuckersüße, auf weltweiten Zuspruch getrimmte Äußere weicht Stück für Stück einer abgeklärten, in sich ruhenden Schönheit und Größe, die Meckerer wie ich vor drei oder vier Jahren höchstens als Lippenbekenntnis prognostiziert hätten, ohne wirklich selbst dran zu glauben.

Bruno Paillard N.P.U. 2003 ist nach 1990, 1995, 1996 und 1999 das jüngste Baby der Reihe von Superchampagnern aus dem Hause Bruno Paillard, obwohl das nicht ganz richtig ist: 2000 und 2002 warten schon, bzw. noch auf ihre Freigabe. Bei 2000 ist es immerhin denkbar, dass die Entscheidung ähnlich ausfällt, wie bei Krugs Clos du Mesnil 1999, der ja kurz vor Freigabe doch noch abgesa(e)gt wurde. Zurück zu Bruno Paillards NPU. Hier ist es fast schon nicht mehr erstaunlich, dass die besonders herausfordernden Jahre in der Genealogie überwiegen: 1990, 1996, in Klammern 2000 und jetzt das Problemjahr 2003 (davon gibt es nur etwas mehr als 4000 Flaschen, nach sonst immer so um die elftausend). 50PN 50CH aus Oger, Chouilly, Verzenay und Mailly, vergoren und ausgebaut in kleinen Eichenfässern, dosiert mit 3g/l. Seit Oktober 2015 auf dem Markt und daher für eine zutreffende Einschätzung jetzt noch gar nicht geeignet. Aber neugierig ist man ja doch immer und lässt sich gern verblüffen. Am verblüffendsten beim NPU 2003 ist das Fehlen jeder Fettleibigkeit oder Schwere, hochgradig beweglich und geländegängig, passend zum Bohnensalat aus warmen Bohnen, Hummerfleisch, Foie Gras und Trüffeln, mit etwas Reimser Essig und Aceto Balsamico, Salz, Pfeffer abgeschmeckt.

Louise Pommery 2004 Brut (5 g/l) und brut Nature (1 g/l), könnten auf den ersten Schluck unterschiedlicher kaum sein, dabei trennt sie nur ein wenig Zucker. Die so schon leichtbekleidete Louise gänzlich nackend als Brut Nature herauszubringen grenzt an eine Ungeheuerlichkeit, ist aber nur konsequent, was ja fast auch schon wieder gleichbedeutend ist. Pommery als Erfinder des Brut-Stils in einer Zeit, als weit über 100 Gramm/Liter Dosagezucker angesagt waren, ist natürlich von Hause aus legitimiert, eine Prestigecuvée mit nur einem Gram Dosagezucker herauszugeben, beinahe möchte man sagen: verpflichtet. So ist die Brut Nature Version der 2004er Louise eine Art Blaupause, als hätte Elon Musk die Tesla-Patente öffentlich zugänglich gemacht. Einen so genauen Blick auf das Innere der Cuvée konnte man noch bei keinem Champagner dieser Klasse werfen. Die Louise Brut Nature wirkt deshalb erstmal verstörend. Nicht jeder, der sich für Frauen interessiert, kann sich schließlich ebensosehr für ihr Innenleben begeistern. Aber wenn man sich gewöhnt und von unpassenden Assoziationen befreit hat, geht’s ganz gut. Vor allem in der Gastronomie müssten jetzt sehr viele Sommeliers vor Erleichterung in die Knie gehen wie Kühe, deren übervolle Euter abends endlich von kundigen Sennerinnenhänden abgemolken werden. Weil: wenn ich mir vorstelle, dass ich mir von einer Weinkarte künftig nicht nur reife Louise kommen lassen, sondern auch die aktuelle und die in Brut Nature zum Essen servieren lassen kann, z.B. die Kamtschatkakrabbe mit Safran aus dem Kronenschlösschen also in ein flüssiges Habitat Eingang fände, das besser als ihr natürliches ist, oder die unglaublichen Kingcrabs von Jean Porno im Pure White Food oder die Seezunge mit Mandarine von Thomas Bühner, dann werde ich schon beim Schreiben wieder ganz wuschig.

Im Champagnerleistungszentrum: Vintage 1996 revisited @ Berens am Kai, Düsseldorf

Es gibt in der Weinwelt so erratische Jahrgänge, die sind faszinierend und abschreckend zugleich. Wenn man sich vorstellt, was aus dem Material mancher dieser Ernten alles werden könnte, ist man schon auf Jahre im voraus wie betäubt. Wenn man dann sieht, was in den ersten Jährchen nach der Ernte tatsächlich draus wird, wie schnell manches abstirbt oder verhunzt, hinter den Möglichkeiten zurückbleibt oder (vermutlich) aus Liquiditätsgründen vorzeitig auf den Markt geschleudert wird, ist die Enttäuschung, ja das Entsetzen groß. Wie soll da eine vernünftige Einschätzung möglich sein? Nur durch beständiges Nachprobieren und Imaugebehalten. Eine Mühsal sondergleichen, aber anders geht es nicht. Wenn sich nach Jahren dann einige Kandidaten als Spitzenperformer herauskristallisieren, dann ist es an der Zeit, diese um sich zu scharen und in passender Runde dem großen Interview zu unterziehen. Einer, der sich auf die Zusammenstellung solcher Runden versteht, ist der liebe Alper Alpaslan. Sein Thema: der Jahrgang 1996. Dessen DNS lässt ja alles zu, hyperaktives Wunderkind ebenso wie gescheiterte Künstlerexistenz, mover & shaker, finaler Endboss oder Master of the Universe. Dem musste also auf den Grund gegangen werden. Im Düsseldorfer Beritt kamen zu diesem Zweck einmal mehr illustre Herrschaften zusammen, darunter Richard Juhlin und Rytis Jurkenas und selbst der Weinterminator war sich nicht zu schade, obwohl er Champagner eigentlich am liebsten trinkt, wenn der seinen Champagnercharakter weitestgehend eingebüßt hat oder von vornherein nur für Rotweintrinker gemacht wurde.

I.1 Philipponnat Clos des Goisses 1996, hielt ich für Belle Epoque, mittlere, rückgratgebende Säure die mich auf den irrigen Gedanken brachte, es könnte sich um den berühmten Cramantchardonnay der Belle Epoque handeln; im Kern weich und mild, der Duft nicht besonders freigebig bis eher simpel.

I.2 Duval Leroy La Femme de Champagne 1996, war deutlich dunkler gefärbt und wirkte in der Nase offener, im Mund mit heftiger Kehrtwende und hakeliger Säure, so dass ich zuerst wegen der schmeichelnden Weichheit und dunkleren Färbung an einen ganz leicht korkigen Cristal dachte und erst mit dem Säureeindruck in Richtung Femme riet.

I.3 R & L Legras Cuvée Saint-Vincent 1996 schien mir heller zu sein, aber auch deutliche einfacher als die beiden Vorgänger. Ich hatte deshalb keine Prestigecuvée vor Augen, sondern einen regulären Jahrgang und ganz konkret dachte ich gleich fälschlich an Pol-Rogers Vintage. Der Champagner war jedenfalls weich und etwas zu laktisch für meinen Geschmack.

II.1 Veuve Clicquot La Grande Dame 1996 war auf Anhieb stahlig und poliert, wirkte erst mit Luft zunehmend laktisch und geradezu platt. Ich dachte an Grande Dame, mehr aber noch an Nicolas Feuillatte.

II.2 Bollinger Grande Annee 1996 en Magnum sprach mich sehr an und ließ mich darob verstummen. Alles Kramen half nichts, ich wusste auch hier nicht wirklich, woran ich war. Saft, Nuss, Druck und Pinotpower sprachen bei Licht betrachtet klar für Bollinger, ich habe aber irgendwo bei Egly-Ouriet oder Jacquesson hinvermutet. Über den Gesamtabend betrachtet einer meiner Favoriten (95 Punkte)!

II.3 Pommery Louise 1996 war leider korkig.

III.1 Krug 1996 war saustark und der Auftakt zu meinem internen running gag des Abends. Denn Ich Depp dachte doch wirklich, hinter allem könnte sich die Belle Epoque verbergen. Dass Butter, Reife und Seidigkeit wie hier erlebbar noch nie in einer von mir getrunkenen Belle Epoque vorhanden waren, beiirte mich dabei nicht groß. Sehr schöne performance jedenfalls von Krug und 93+ Punkte von mir.

III.2 Taittinger Comtes de Champagne 1996 war purer Chardonnay, vollgepackt mit Schwefel, Reduktion, Röstnote und Jod, der Schwarzpulvermix eben, den man oft mit Taittinger verbindet, so dass ich mit meiner blinden herumraterei auch einmal auf Anhieb richtig lag, aber auch nur, weil ich nicht im letzten Moment doch noch auf Dom Ruinart umschwenkte (der es nämlich auch hätte sein können).

III.3 Pol Roger 1996 war ähnlich em R & L Legras klar schwächer als seine Flightpartner, Säure habe ich arg vermisst, die üppige Frucht machte das nicht annähernd wett, der Champagner war einfach zu soft in diesem Hochleistungsumfeld, würde aber solo getrunken sicher überzeugen.

IV.1 Bollinger Vieilles Vignes Francaises 1996, ein legendärer Wein, von dem ich anfangs dachte, es wäre der von mir selbst (und übrigens auch ganz schön seltene) mitgebrachte Grand Siècle 1996. War er natürlich nicht, obwohl ich den Gedanken angesichts der Nachbarschaft von Ay und Mareuil-sur-Ay schon klug finde. Enormer Champagner, voll ausentwickelter Bollystil, der von mir 95 Punkte bekam, was ich in der Rückschau zu wenig finde.

IV.2 Jacquesson Vauzelle Terme 1996 en Magnum, war so leicht und fein, dass ich an bestens erhaltenen Cristal dachte, obwohl eine säuerliche Camphernote das nicht richtig hergab. Mit sehr viel Luft entrollte sich dieser Champagner dann immer weiter und ich bedauere etwas, dass ich den nicht länger im Glas behalten konnte, denn das Ende der Fahnenstange ist da noch nicht erreicht.

IV.3 Dom Perignon 1996 schien mir fehlerhaft, allzu nussig, vorzeitig oxidiert.

V.1 Laurent-Perrier Grand Siècle 1996 kam von mir und begeisterte mich nicht. Brotige Nase und leicht brenzliger, an Lichtgeschmack erinnernder Ton, wobei die Flasche aus vertrauenswürdiger Quelle kam und dort sicher nicht fehl-/überlagert wurde.

V.2 Diebolt-Vallois Fleur de Passion 1996 war viel alerter, aufregender und verspielter als der Vorgänger, Chardonnayigkeit, Jod und Reduktion ließen mich hier, wie beim Comtes, noch einmal an Dom Ruinart denken, auch angesichts der noch nicht völlig offengelegten Reifemöglichkeiten. Ich traue der Fleur de Passion noch eine ganze Weile Flaschenreife zu.

V.3 Billecart-Salmon Le Clos Saint Hilaire 1996 war leider eine Enttäuschung, wenn ich an den Preis denke und daran, wie außer mir ich vor Begeisterung war, als ich 1998 und 1999 probiert hatte.

VI.1 Krug Clos D’Ambonnay 1996, hätte nach meiner Vorstellung der riesengroße Selosse 1996 sein müssen, mit dem ich mal eine Probe bei Hartwig Fricke in Düsseldorf versucht habe, auf die Champagnerseite zu ziehen. Und danach vor lauter Freude fast alle meine Flaschen selbst ausgetrunken habe, als ich noch gut dran kam. Irre, rasante Säure, saustarkes Zeug, das 96 Punkte bequem verdient hat.

VI.2 Pol Roger Sir Winston Churchill 1996, sanft und eingängig, mandelig und eher süß. Nach dem wahnsinngen Clos d’Ambonnay leider eine ziemlich profane Angelegenheit.

VI.3 Salon 1996, sehr easygoing, sehr pikante Säure, biederte sich aber auch erstmal nur an und braucht sehr viel mehr Zeit zur Entfaltung als der Krug.

VII.1 Louis Roederer Cristal Rosé 1996 war, wie die Flightpartner, schon anhand der Farbe und weil bekannt war, welche Roséchampagner antreten würden, leicht zu erkennen. Cristal Rosé in sehr hellem Farbton, frisch, sexy, fruchtig, smart. 94+ Punkte.

VII.2 Dom Pérignon Rosé 1996 hatte den festen Händedruck des arbeitsgewohnten, dennoch zur Körperfülle neigenden Mönchs, auch das ganze dunklere Beerenobst aus seiner Gartenanlage nebst Himbeerblättern und strauchigen Aromen findet sich hier wieder. Nochmal 94+ Punkte.

VII.3 Taittinger Comtes de Champagne Rosé 1996, schlank, mit weißer Seele. Der rotfleischige Apfelsecco von Raumland könnte sich daran orientieren. Erneut 94+ Punkte.

VIII.1 Billecart-Salmon Nicolas Francois Billecart 1996 en Magnum war rauchig und flintig mit mir zu viel Süße, ich war weit weg von jeglicher begeisterung, obwohl ich den normalen Nicolas Francois Billecart eigentlich liebe. Irgendwie nicht er Billecart-Abend, oder -Jahrgang, oder was weiss ich.

VIII.2 Egly-Ouriet Millésime 1996 reihte sich mühelos ein und blieb für mich unterhalb von 90 Punkten. Apfel, Zwiebel, Kraut und Oxidation.

VIII.2 Henriot Cuvée des Enchanteleurs 1996 en Magnum
Süße Nase, softer Wein, stand bei mir unter Korkverdacht und schloss den schwächsten flight des Abends ab. Sehr schade, weil Henriot sonst gute Sachen macht, vor allem die 95er Cuvée des Enchanteleurs oder nicht allzu alte (bis in die Neunziger ist ok, älter eher nicht, da habe ich selbst aus der Magnum vorwiegend maue Erfahrungen gemacht) Brut Souverains können einen für sehr viel Ungerechtigkeit in der Welt entschädigen.

IX.1 Jacques Selosse 1996, frisch und direkt vom Meister extra für den Abend dégorgiert, erinnerte mich an einen Besuch bei Bérèche, als ich meinen ersten Beaux Regards dort getrunken habe. So hemmungslos herb, frisch, knallig, explosiv, pilzig, archetypisch, ein Selossedenkmal, 94++ Punkte.

IX.2 Dom Ruinart 1996 war korkig.

IX.3 Vilmart Coeur de Cuvée 1996 machte auf mich einen fehlerhaften Eindruck, bleib mit einer mauen performance weit von 90 Punkten entfernt

X.1 Louis Roederer Cristal 1996 war so toastig, hefig, röstig, so hemmungslos Cristal, dass die 94 Punkte zwar nur noch schwer von der Zunge, aber leicht von der Hand gingen.

X.2 Krug Clos du Mesnil 1996, die ersten Schnellzüge knapp hundert Jahre vorher müssen ähnlich auf die Menschheit gewirkt haben. Durchzug pur, 95 Punkte von mir, obwohl ich eigentlich überhaupt kein besonders großer Fan vom Clos du Mesnil bin und mir, abgesehen vom Preis, davon nicht mal eben eine Flasche öffnen würde, sondern den immer nur im Zusammenhang mit anderen Champagnern getrunken habe und weiterhin vorhabe zu trinken.

X.3 Perrier Jouet Belle Epoque 1996 hatte es natürlich schwer in diesem flight, schlug sich aber mit Nuss, Phenol und einer reduktionsnase immer noch so gut es ging. Einen Korkverdacht wurde ich dennoch nicht los.

Einige Bonusweine gab es noch, der von mir mitgebrachte (nicht sehr häufig erhältliche) Laurent-Perrier Côteaux Champenois Rosé war leider korkig. Eine Flasche habe ich noch, hoffentlich ist die in Form.

Henriot Millésime 1996 en Magnum war besser als der Enchanteleurs, hatte etwas dunkles, tiefes, mystisches, packte zu und machte Spaß.

De Saint Gall Blanc de Blancs Orpale 1996, von 1995 bis 2003 in Brut und Brut Nature habe ich die Orpale getrunken, mit Essen, ohne Essen, nie mit größter Begeisterung; die 96er Orpale war von allen bisher getrunkenen die beste, couragierteste, profilierteste. Ein Fan bin ich dadurch immer noch nicht geworden, aber zum Essen würde ich sie jederzeit wieder trinken.

Bollinger Grande Annee 1979 war ganz schön dunkel, darf er aber natürlich sein, bei dem Alter. Nach meiner Erinnerung ein Mitbringsel von Rytis, der dafür höchsten Dank verdient. Bingedrinkinggeeignet.

Guillaume Sergent Les Prés Dieu und Barbichon 4 Cépages hatte ich ebenfalls noch mitgebracht, beide gefielen auch Richard Juhlin ziemlich gut, der insbesondere beim 4 Cépages den Weißburgunder schnell identifizierte.

Lafite Rothschild 1989 schmeckte toll und war mit paar einfachen Ja/Nein-Fragen auch leicht zu erraten (Bordeaux? Vor 1995? Aus den Achtzigern? linkes Ufer? Pauillac? Premier Grand Cru? oder so ähnlich und dann blieben ja nicht mehr viele Kandidaten übrig).

Fazit:
Der Jahrgang hat teilweise die höchsten Erwartungen erfüllt. Ein klassischer Lager- oder Sammeljahrgang ist 1996 nicht, außer bei den allerteuersten (und durchaus sammelwürdigen) Champagnern, die fast ein wenig wider Erwarten bestens abgeschnitten haben. Weiteres Fazit: Weinproben im Berens am Kai sind immer auch ein Lehrstück in Sachen Professionalität von Küche und Service. Genau so wünscht man sich das allerorten.

Es lächelt der Rheinturm, er ladet zum Trunk: Champagnerstelldichein in Düsseldorf

Proweinsonntagabends im Rheinturm treffen sich dank einer Initiative der unermüdlichen Nicola Neumann jetzt schon im dritten Jahr die Grand Crus der Champagner-Winzerszene und der deutschen Weinpublizistik. Damit ist der Rheinturm heimlicher Hotspot des Proweinsonntags, wie der See zu Beginn von Schillers Wilhelm Tell lächelt er und ladet zum Trunk.

Leclapart Artiste (2007), ich dachte ja allen Ernstes, ich hätte mehr oder weniger alle Leclaparts seit 2004 bereits ein- oder mehrfach getrunken. Vermessen genug. Den 2007er Artiste habe ich dann auch wirklich in keiner meiner Notizen entdecken können und war überaus happy, ihn nun von Alexander Steinmüller direkt eingeschenkt zu bekommen. Mächtiger Champagner, kann ich nur sagen. Und ein erfülltes Reifeversprechen, das sehr viel Skepsis ausgelöscht und weggespült hat.

Hugues Godmé Brut Nature (50M 30CH 20PN) und Hugues Godmé Fins Bois (60PN 40CH) sind so etwas wie das Gegenstück von der anderen Seite des Hügels zu den Champagnern von Eric Rodez. Vinifikation ohne BSA erfolgt im Stahl, ein zunehmender Anteil wandert danach ins Holz. Bekannt ist Godmé vor allem noch unter dem Namen Godmé Père et Fils (seit 2013 biozertifiziert), die Kinderlein zankten sich aber und im August 2015 wurde die Trennung der aus dem elterlichen Weingut hervorgegangenen Güter von Sabine und Hugues vollzogen. Hugues macht unverdrossen starke Champagner, die in Deutschland viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Die Vorzüge der nördlichen Montagne (Drahtigkeit, Eleganz, Spannkraft und Reintönigkeit) lässt er allegro moderato vortanzen wie das Moskauer Staatsballett die vier kleinen Schwäne in Schwanensee.

Alexandre Salmon Rosé de Saignée 2012 kommt in schwarzmattierter Flasche und wie mit Goldedding handbeschrieben auf den Markt. Nils Lackner (Ex-Sansibar, Sylt), dem ich den Genuss dieser Flasche verdanke, nahm mich schon bei anderer Gelegenheit sehr für die Produkte seines Dienstgebers ein, bis heute kann ich mich nicht entscheiden, ob ich dem “A.S.” oder dem Special Club von Salmon den Vorzug gebe. Jetzt tritt mit dem Rosé noch ein weiteres Luxusproblem hinzu, ein Champagner ohne Allüren, dafür mit viel Dickschädel, genau das also, was ich mir bei Roséchampagner, der nur zu oft zum Partysprudel degradiert wird, wünsche. Herb, kräftig, kräuterig, mit Cassis und Wacholder.

Eric Rodez stellte seine beiden Parcellaires vor, Les Genettes Pinot Noir Ambonnay Grand Cru 2010 und Les Beurys Pinot Noir Ambonnay Grand Cru 2010. Kaum zu glauben, dass Rodez, dem wir Cuvéekunststücke wie die Cuvée des Grands Vintages zu verdanken haben, sich auf so etwas einlässt. Andererseits: jemand, der den Wein sich entwickeln lässt, sich als Person im Vinifikationsprozess (kleines Fass, kein BSA, meieutische Dosage von 3 g/l) zurückzunehmen versucht, der sollte doch auch einen Parcellaire aus einer Rebsorte und einem Jahrgang hinbekommen. Und genau so ist es. Beide Parcellaires, zugegeben, so etwas wie eine Mode in der Champagne, sind überragend. Les Genettes ist voluminöser, speckiger, saftiger, ganz aus dem Herzen Ambonnays, Les Beurys ist drahtiger, etwas athletischer, feiner. Den Empreinte Pinot Noir 1999, eine freundliche Dreingabe von Eric Rodez selbst, gab es später noch in der frisch renovierten und wiedereröffneten Trattoria Zollhof. Zu meiner späten Fischsuppe und zu den Trüffeltortiglioni war das exquisit. Über diesen hedonistischen Champagner kann ich mich aber auch so, zu jeder Tageszeit und auch ohne Essen gar nicht richtig einkriegen. Der ganze Saft, die ganze Säure, das kunstvolle Changieren, das kreiselnd Schöne, so lässt sichs aushalten.

J.-M. Sélèque Partition 2010, von dem konnte ich gar nicht genug bekommen und hätte am liebsten die anderen Standbesucher gar nicht erst herangelassen. Nach der Solessence als Auftakt ins Programm des jungen Talents ist die Partition so etwas wie der Knixwear Evolution Bra unter den Champagnern, wenn man so will.

Janisson-Baradon Toulette 2008 mit neuem Schwung und neuer Frische, mit der provokanten Note des Chardonnay Muscaté, mit dem Extra an Säure, die in Deutschland nicht erhältliche Red Bull Edition Citron Vert hat sich garantiert an diesem Champagner orientiert und inspiriert.

Ein anderer Liebling ist Dosnon, dessen Récolte Noire so zuverlässig ihre Bahnen zieht, wie der bei Biodynamikern und anderen Somnambulen so beliebte Mond. Alles andere als flüchtig und vergänglich ist der Ephémère, ein hundertprozentiger Meunier. Von der Aube. Das Wort vom sparkling Puligny verließ schnell meine Lippen und dabei ist es doch so falsch (eigentlich wäre wahrscheinlich Chassagne-Montrachet oder zumindest Saint Aubin richtiger, angesichts der roten Rebsorte) und doch wiederum fühlt es sich richtig an (weil weiss gekeltert). Davy Dosnons Rosé ist so aromatisch wie die Früchtegels, die man manchmal aus den guten Küchen z.B. vom Falco in Leipzig, Haerlin oder The Table in Hamburg bekommt und hat bei mir einen ähnlichen Beliebtheitsgrad.

Grande Vallée de la Marne mit Sascha Speicher

Kaum mit der einen Prowein-Veranstaltung fertig (meiner eigenen), hieß es hurtig weiter, zur traditionellen Meiningerprobe von Sascha Speicher. Der hatte sich das Marnetal vorgeknöpft.

Deutz Rosé (Assemblage) Brut, 90PN 10CH, Rotwein aus Mareuil-sur-Ay (Beinahe-Grand Cru mit 99% auch der échelle des crus), wo Deutz über 15 ha Rebfläche verfügt. Wohl nicht ganz zu Unrecht habe ich den Deutz Rosé letzthin gleich mehrfach Sommeliers ans Herz gelegt, die noch auf der Suche nach einem passenden Champagner für ihre Karte oder das Mitarbeiterdeputat waren. Der geringe aber wirkmächtige Anteil an Rotwein ist der Schlüssel zu diesem Champagner. Die Kunst des Assemblagerosé ist es ja, einen massgeschneiderten Stillwein anzufertigen, in den die Cuvée hineinschlüpft und der sich wie ein Marvel-Superheldenanzug dem Körper angleicht. Das klappt hier vorzüglich, wobei der Körper eher etwas von Catwoman hat, als von She-Hulk.

Bollinger Rosé (Assemblage) Brut, 50CH 40PN 10M, Tirage 2012, war fetter und holziger als der Deutz, also mehr She-Hulk (im Zivilleben Anwältin) oder Ben “The Thing” Grimm (eigentlich der melancholischste aller Marvel-Superhelden).

Lallier R.012 Brut ist nach langer Zeit der erste Schritt aus einer gewissen Etikettenerstarrung des dritten aus Ay stammenden Hauses in dieser Probenfolge. Nach wie vor fehlt bei Lallier so etwas wie eine echte Spitzencuvée in der Dom Pérignon Klasse. Dafür ist das Basissegment jetzt neu aufgestellt mit einer Namensgebung, die Transparenz ganz gross schreibt. Ich hoffe nur, dass das nicht wie mit der Mis en Cave Geschichte bei Charles Heidsieck bloss Quell von Missverständnissen ist. Jedenfalls steht das “R.” für Récolte, als Erntejahr. Hier: 2012, deshalb 012. 38CH 62PN sind ein guter Mix, dosiert wurde mit räsonablen 8 g/l, dégorgiert wurde im Februar 2015. Der Stil ist leicht, schlank, elegant und weniger röstig-rauchig als früher. So kann Lallier gern weitermachen.

Billecart-Salmon 2006 Extra Brut, überwiegend Pinot aus Mareuil, dosagelos. Nicht ganz einfach und überhaupt nicht mehr so clean, smart und easydrinking, wie man das von Billecart kennt. Phenolisch, nussig, erdig, ledrig. Viel Trüffel im Essen dazu wird helfen.

Geoffroy Empreinte Premier Cru 2009, ein Pendler zwischen Cumières und Ay, der sich nun für Ay entschieden hat und sich dort den örtlichen Gepflogenheiten anglich, bzw. nicht ganz: seine Reserven liegen zwar wie bei Bollinger auch unter leichtem Überdruck, aber bei Bolly sind es 1,5 bar, bei Geoffroy ca. 3 bar, also im Grunde sofort trinkfertig (wie gut das dann nach zig Jahren noch schmecken kann, wissen wir, seit der berühmte Pol-Roger Reservewein aus Grauves 1928 von Juhlin 100 Punkte bekam). 75PN 20CH 5PM, mit 6 g/l dosiert, dég. Oktober 2015, Vinifikation im großen Holz und der Preis ab Hof war schon beim 2008er so lachhaft, dass man ihn besser gar nicht erst verrät. Beim 2008er gefiel mir die Weltklassesäure besser als beim 2009er, aber der 2009er bringt etwas mehr G’schmackigkeit und Würze mit.

Georges Laval Cumières Premier Cru Brut Nature, Erntejahr 2012, dég. April 2015, ist jedes Mal wenn man ihn trinkt nicht nur ein Mordsvergnügen, sondern so wie er in den Rachen hineinfährt weingewordener Triumphzug.

Dom Pérignon 2006, hach, Dom Pérignon. In den letzten Monaten seit seiner Marktfreigabe habe ich ihn einige Male probiert und jedes Mal war er anders. Deshalb probiere ich die mir zugesandten Musterflaschen dieser Art meist nicht sofort, sondern lege sie für mindestens sechs Monate weg und besorge mir ganz gewöhnliche Flaschen über den Handel, um hin und wieder mal reinzuspitzen. Ich muss schließlich nicht der erste sein, der über einen neuen Jahrgang lospalavert, dafür möchte ich lieber ein belastbares und zutreffendes Urteil gefällt haben. Beim Dom Pérignon 2006 bin ich bis heute noch nicht sicher, da ist so viel drin, Smen (nicht: Smegma; sondern die alte marokkanische Butter), Avocadotoast, Eukalyptus, Mandel, Bitterorange zum schwelgen, lagern und jetzttrinken gleichermaßen gut.

R. Pouillon & Fils Blanc de Blancs Les Valnons Ay Grand Cru Extra Brut 2008 war nochmal eine tiefe verneigung vor diesem ehrwürdigen Cru. Intensiv, kraftvoll, schreitend, würdig, lang, anspruchsvoll und so aromenreich wie alter Armagnac, nur ohne den Sprit.

Henri Giraud MV09 Ay Grand Cru Brut, so wie Bollinger mehr Fett, Wucht, Saft und Kraft in seinen Champagner gelegt hat als vorhin zur Eröffnung der Deutz, so hat Giraud in den MV09 einen noch irreren Ansaugdruck erzeugt, als Pouillon. BMW 335i gegen Shelby GT500 (von heute, nicht von früher).

Philipponnat Mareuil-sur-Ay 2006 Extra Brut, 100PN aus fünf verschiedenen Parzellen (Valofroy, Les Côtes, Montin, Carrière d’Athis und Croix Blanche), halb im Tank mit BSA, halb im Holzfass ohne BSA vergoren und mit 4,5 g/l dosiert. Für mich charakterlich sehr nah am Kameraden aus der Rue Carnot. Fand ich schwierig und im Moment nicht im Reinen mit sich selbst. Von Nuss geprägt, leicht verräuchert und sonst sehr verschlossen. Braucht noch viel Zeit.

Roederer Brut Nature Ed. Starck 2006, 66PN 33CH, dég. April 2015, war eine geradezu gewagte Kreation von Roederer, die sich damit schon früh als wache Beobachter der brodelnden Winzerszene zu erkennen gegeben haben, bzw. vielleicht auch das Dosagethema damals ganz von sich aus aufgegriffen haben, um es dann nach langen Jahren mit einer passenden Habillage zu versehen, was ziemlich gut gelungen ist, wie ich schon länger meine. Vor allem der früher irritierende Scotchton ist mittlerweile gewichen, die im Untergrund rasende Säure steht kurz vor ihrer Freilassung, wie es scheint. Was dann kommt, ist nochmal aufregender und als Zwischenfazit muss ich einmal mehr sagen, gehört Roederer zu den großen Häusern, die praktisch alles richtigmachen.

Champagne von Norden nach Süden in nur einer Stunde

Partypeople! Dann und wann muss ich selbst mal ran und das champagnerapostolische Werk verrichten. Auf der Prowein findet sich dafür naturgemäß ein besonders empfangsbereites Publikum. Der Veranstaltungsdienstleister der Messe Düsseldorf, Promessa, hatte ein schönes Rahmenprogramm für die seit Jahren immer besser angenommene Champagnerlounge organisiert (http://www.champagne-lounge.fr/de/champagne-lounge-2016/rahmenprogamm), mir fiel wie im letzten Jahr die Rolle des Reiseleiters einer Verkostungstour von Norden nach Süden zu. Eine Stunde Zeit und Zugriff auf alle Weine der Aussteller in der Champagnerlounge, Herz, was willst du mehr?

Apollonis Authentic Meunier Les Classiques Brut, 9 g/l, hieß früher Authentic Blanc de Meuniers und noch vorher Réserve Blanc de Noirs, nach der ca. dritten Etikettenänderung in den letzten fünf Jahren hat man sich nun zur völligen Umbenamsung einschließlich des Weinguts selbst entschieden. Michel Loriot heißt jetzt Apollonis und sein Meunier ist weiterhin so etwas wie die Eintrittskarte in die Welt dieser Rebsorte, somit auch ein passender Einstieg in die Probe.

Xavier Leconte Meunier Parcellaire La Croisette (Ex Vent d’Anges) 2007, 3,6 g/l, Vinifikation im alten Fass. Vater Xavier, der ein wenig aussieht wie Dieter (bzw. Max) Moor vom Fernsehmagazin titel, thesen, temperamente, der wiederum ein Buch geschrieben hat, das in die Champagne passen könnte: “Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht. Geschichten aus der arschlochfreien Zone”, hat die Weingutsleitung auf seinen deutlich kommunikativeren Sohn übertragen. Der hat die vom Vater erdachte Rebsortenlinie Les Vents d’Anges konsequent weiterentwickelt, die Profile schärfer herausgearbeitet, die Etikettengestaltung modernisiert und mit dem Croisette 2007 einen Champagner geschaffen, der einen durch die – in diesem Fall in Troissy, gelegene – geschmackvoll eingerichtete Eingangshalle des Meunierhabitats führt.

Collard-Picard Dom. Picard Blanc de Blancs Grand Cru, die Familie ist in Epernay zu Hause, aber an zwei Standorten beheimatet. Der Meunierteil kommt aus der Vallée de la Marne, rund um Villers-sous-Chatillon, der Chardonnay aus Le Mesnil. BSA gibts hier nicht, vinifiziert wird halb im Foudre, halb im Stahl, die Dosage von 10 g/l merkt man da nicht; Reifung findet hier noch unter Naturkork statt. Dieser Champagner ist ein reiner Jahrgang 2012, ohne dass das auf dem Etikett groß auftaucht. Reif und stark, etwas angepilzt, braucht ein ungewöhnlich grosses Glas und ist der erste Schritt in Richtung Süden.

de Venoge Cordon Bleu Brut, Basis 2011, 7,8 g/l Dosage, Saft nur aus erster Pressung (wie fast allerorten betont wird) 50PN 25PN/25M; Kokos, Toast, 20% Pinot aus Les Riceys, außerdem noch etwas aus Villers Allerand und der übrigen Montagne de Reims. Dieser Champagner ist ein echter Gebietsquerschnitt und einer der wenigen, die sich nicht nur ungewohnt klar, sondern mit Stolz zu ihrem hohen Traubenanteil aus der Aube bekennen. Was bei der Herkunft aus Les Riceys aber auch nicht verwundert. Sehr fein ist das, was von dort kommt allemal, im fertigen Champagner oft verantwortlich für malzige und leicht kräuterig-röstige Noten. Der Pinotteil aus Villers Allerand ist auch kein Zufall, sondern eine kleine Verbeugung in Richtung des Präsidenten des Hauses, der dort wohnt.

Malard Blanc de Blancs Grand Cru habe ich deshalb in die Probenfolge eingebaut, weil Natacha Malard eine bildhübsche Ex-Volleyballerin und Model, bzw. der Erzeuger einen schönen Querschnitt durch die Grand Crus der Côte des Blancs vinifiziert hat, und das mit Blickwinkel aus Ay, was ich immer besonders interessant finde, selbst wenn Champagne Malard nicht zu den alteingesessenen Erzeugern gehört, sondern vom Champenois und Quereinsteiger Jean-Louis erst 1996 gegründet wurde (der mittlerweile von seinen Söhnen unterstützt wird). Gerade das erlaubt einen unverstellten Blick auf traditionelle Crus, was hier zu einer noch nicht besonders eigenständigen, aber frischen, nicht zu säurelastigen Cuvée mit stattlichem Reserveweinanteil führt.

Le Brun de Neuville Blanc de Blancs Lady de N., aus dem Sézannais, Bethon, um genau zu sein. Le Brun de Neuville ist eine Kooperative mit ca. 155 ha Rebbesitz im Sézannais, ein unterschätztes und wenig bekanntes Gebiet, gleich dem Vitryat (und wie dieses erst in den 1960ern wieder planvoll aufgerüstet). Die Lady de N. ist mit 10g/l hoch dosiert, obwohl ihre freundliche, blumige Art das gar nicht benötigt. Hier wie bei Collard-Picard befasst man sich mit der Lagerung unter Naturkork. Die Lady de N. Chardonnay ist nussig, blumig und leicht minzig, was ihn zum interessanten Vertreter in einer Gebietsprobe macht.

Michel Mailliard Rosé (Assemblage), 90CH 10PN kein BSA, 7 g/l, mit diesem Erzeuger hatte mich mal Claus Niebuhr vertraut gemacht, der Rosé ist ein schönes Beispiel für die – im positiven Sinne – Doppelgesichtigkeit von Vertus, einmal als Rotwein, eimal als Weissweinort. Den Pinot aus Vertus schätzte man früher dem Vernehmen nach sogar höher ein, als die Chardonnays, heute ist es eher umgekehrt. Der Rosé ist einer der wenigen Rosés mit weißer Seele, zuden herausragendsten vertretern gehört sicher der von Ruinart, aber auch der Mailliard zeigt das Prinzip als Assemblagerosé bestens. Das Wort von Michel Drappier, Assemblagerosé sei immer wie eine Blattvergoldung, wohingegen Saignéemethode Massivgold bedeute, wollte mir dabei nicht aus dem Sinn.

de Barfontarc Rosé de Saignée bestätigte den Wahrheitsgehalt der kleinen Weisheit von Michel Drappier, der nur wenige Kilometer weiter südwestlich residiert. Die 2012er Ernte blieb nur kurz auf der Presse stehen, der Champagner wurde mit 4,5 g/l dosiert. Der Ausdruck ist deshalb bestätigend massiv und betrachtet man die beiden Rosés nebeneinander, wird man nicht ernsthaft den einen oder den anderen nur aufgrund seiner Herstellungsweise besser oder schlechter finden können.