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Tag Archives: Champagne Drappier

Champagner Orientierungskurs

Um sich in die Champagne einzufühlen ist nichts besser, als eine Fahrt dorthin. Die Gastlichkeit und das Lebensgefühl vor Ort nehmen doch einige Schleier weg, die den Mythos Champagner umgeben. Was dahinter zum Vorschein kommt, ist (oft) mitnichten der befürchtete Industriezombie, sondern eine –  nich lückenlos umwerfend schöne, aber immerhin sehr sehr geile, teilweise – Weinbauregion wie es sie gewiss so oder so ähnlich überall auf der Welt gibt, mit einem Boden, den es dann schon nicht mehr ganz überall auf der Welt gibt und einem Weinbauvölkchen, das entgegen aller von Interessenvertretern unterschiedlichster Herkunft hochgepeitschten Wahrnehmung doch überwiegend, auch preislich, auf dem Boden geblieben ist. 

Wenn man aus welchem Grund auch immer nicht jedes oder jedes zweite Wochenende in der Champagne verbringen kann, schadet ein Herantasten in Flaschenform nicht und wenn ich, was vorkommen soll, darum gebeten werde, dann stelle ich diese kleinen Reisesurrogate zusammen. 

I.1. Champagne Bissinger (Lidl)

Ein Discounterchampagner zum einnorden sollte dabei sein. Der schmeckt nicht zum weglaufen, aber schon ein wenig so, wie ich in der Schule meine Hausaufgaben erldigt habe, wovon ich nur deshalb heute noch so detailverliebt berichten kann, weil die wenigen Male mir in guter Erionnerung geblieben sind. Der Lidl-Champagner schmeckt also gerade nach dem in Erfüllung der Mindestvorgaben für Chmpagner allernötigsten. Durchaus saftig und noch nicht einmal simpel, aber auch nicht mit besonderer Ambition zur Reife. Komplexität oder irgendetwas, das die Palette hochwertiger menschlicher Emotionen anrührt findet sich nicht. Muss auch nicht, der Discountsprudel ist ja nur das Sprungbrett.

I. Vincent Couche Blanc de Blancs Perle de Nacre Extra Brut

Den saftigen Charakter nimmt der Champagner von Vincent Couche auf und zirkelt drauf, dran und drumherum ein Gebäude wie es die chinesischen und/oder vietnamesichen Küchenkünstler mit Wssermelonen machen, denen sie die kunstvollsten Szenerien einschnitzen. Das ist zwar noch nicht gleichzusetzen mit der großen Küchenkunst an sich, aber zeigt bedeutende handwerkliche Fähigkeiten und so wie Wassermelone schlichtweg jedem schmeckt, schmeckt auch die Perle de Nacre sicher einer breiten Menge trotz ihrer für Blanc de Blancs untypischen, geradezu rotfruchtigen Eigenschaften.

I.3 Michel Turgy Blanc de Blancs Grand Cru

Ein Blanc de Blancs von klassischerem Zuschnitt mit dennoch eigenem Gepräge ist der von Turgy, dessen Jahrgänge ich schon seit Jahren wie närrisch kaufe, um sie dann immer viel zu schnell wieder ausgetrunken zu haben und mich wegen meiner Gier zu bemitleiden. Ganz auf diesem Niveau spielt der jahrgangslose Chardonnay von Turgy nicht, aber er ist so kräftig, mit dickem Kreidebelag ausgestattet und nicht zu sauer, so dass Ersttrinker von ihm nicht verschreckt werden. Zwei Champagner, die nach dem Lidlstoff klarmachen, was der Unterschied zwischen einer einfachen Basiscuvée und individuellem Chardonnay ist.  

II.1 Moussé Blanc de Noirs

80PM 20PN aus Cuisles, Jonquery, Châtillon sur Marne und Vandière, 24 Monate auf der Hefe

Sehr delikat war danach der Übergang zum Gegenkonzept Blanc de Noirs. Cedric Moussé gehört nach 12 Generationen Weinbau innerhalb der Familie nun zur neuesten Generation junger Winzer, zu der ich beispielsweise auch Jean-Marc Séleque und Thibaud Brocard zähle, deren Champagnerhandschrift noch nicht ganz ausgefeilt ist, deren Kreationn aber unbedingt verfolgenswert sind. Der Blanc de Noirs von Moussé, der sich bestens auf Pinot Meunier versteht, zeichnet sich durch das wohlige, weiche, fruchtige und unkomplizierte, aber nicht einfältige Meunier-Element aus, das von einem eleganten Spätburgunderaufsatz gekrönt wird. Dieser Übergang vom Blanc de Blancs zum Pinotchampagner ist ein leichter.  

II.2 Bernard Tornay Blanc de Noirs Grand Cru

Mit dem Pinoit aus Bouzy, der dann von Bernard Tornay ins Glas kam, fiel es schon schwerer, sich anzufreunden. Hier war doch sehr viel Kastanie, Honig, auch Hustenmedizin und Rosmarin mit drin, das machte den Champagner langsam als würde beim drag racing der Bremsschirm aufgehen oder eine Pistolenkugel im kriminaltechnischen Prüflabor in einen Jellyglibber geschossen, um das Projektil zu sichern. Zu Illustrationszwecken ist das eine richtige und gute Entscheidung, für den Sologenuss würde ich ehrlicherweise einen anderen Champagner vorziehen, sei es von Tornay selbst (der Palais des Dames zum Beispiel) oder von anderen Könnern im Ort (Maurice Vesselle, Benoit Lahaye, André Clouet, um nur die ersten Namen zu nennen, die mir spontan dazu einfallen). 

III.1 Serge Mathieu Millésime 2008

100PN

Die Reise geht weiter zu Serge Mathieu und damit an die Aube. Der 2008er Jahrgang, ein Champagner voller Ebenmaß und innerem Gleichgewicht, obwohl die Rebsorte taositisches Yin verkörpern müsste, strenggenommen; bzw. eigentlich stimmts ja doch, denn die schwarze Rebsorte mit dem weißen Saft hat in der vorliegenden Form weiße Charakterzüge abbekommen, also Leichtigkeit, Frische, weißes Fruchtfleisch und ein sonnenhelles Gemüt, so dass das buddhistische Bild nicht ganz verkehrt ist. 

III.2 Chartogne-Taillet Millésime 2008 

60PN 40CH, von ca. 30 Jahre alte Anlagen in der Lage Les Couarres

Merfy, mit 84% auf der échelle des crus unter jedem Radar, ist ein Ort, der das klassische System der Grands und Premiers Crus ad absurdum führt. Qualitativ ist der 2008er von Alexandre Chartogne locker im oberen Premier Cru Bereich einer, de lege ferenda, noch zu kreierenden Skala. Fetter als der Aubepinot, was auch die fortgeschrittenen Verkoster bei diesem flight in die Irre zu führen geeignet war. Bei genauen hinsehen konnte man aber beim Aubechampagner die typische Malzigkeit, Kräuterzucker und Grotrinde feststellen, wenngleich in ungewöhnlich nidriger Dosis, während der Jahrgang aus dem Norden frei davon war und sich damit zu erkennen gab.   

IV.1 Marie-Courtin Cuvée Concordance

Alte Pinot Noirs (gepflanzt 1968) aus Massenselktion, im alten Barrique mit weinbergseigenen Hefen vinifiziert, ohne Schwefelzugabe, ohne Dosage. Kompromissloses Zeug. Der schwefelfreie Champagner von Dominique Moreau hatte deshalb die knifflige Aufgabe, in einer kontrollierten Kollision mitzuwirken, einem Frontalaufprall von ganz kleinem und ganz großem Erzeuger. Die Concordance stürzte sich mit Vergnügen in die Auseinandersetzung und legte gewaltig vor. Am Gaumen krachte und splitterte es nur so vor brechendem Kirschbaumholz, schwarzer Johannisbeere, Amalfizitrone und Biscuit. So viel Chaos, so viel Aktion, so viel Kraft auf einmal in einem Glas – schwer, das zu toppen, das war allen am Tisch klar.  

IV.2 Dom Pérignon 2004

Ich kann nicht behaupten, dass der Dom Pérignon 2004, von dem ich sehr viel halte, den Champagner von Marie-Courtin getoppt hätte. Weder mühelos, noch unter Anstrengung. Es war vielmehr so, dass die beiden Champagner überhaupt keinen spürbaren Kontakt zueinander aufgebaut haben und das, obwohl sie unter viel Getöse hätten ineinanderknallen sollen. Der Dom ging der Concordance auch noch nicht einmal hochmütig aus dem Weg, sondern es war mehr wie eine Begegnung auf andrer, unkörperlicher Ebene. Der 2004er Dom bewegte sich nah am vollständig ausgefüllten Phasenraum, so viele Aromatrajektorien oszillierten darin kreuzungsfrei herum, während die Marie-Courtin sich mindestens ebenso dicht am Urknall positioniert hatte. Beide Champagner habe ich so noch nie nebeneinander probiert und war deshalb selbst a überraschtesten vom flight.  

V.1 Drappier Rosé

Vitalisierend, gut durchblutet und mit aller drappiertypischen Eleganz, der man die komplizierten Verstrebungen in ihrem Inneren nicht ansah, kam die Rosécuvée ins Glas und erlöste die Gaumen nach dem Tritonus des vorherigen flights, nicht ohne angeschweppeste Gesichter zu hinterlassen, die den herbfischen Quitten-, Chinin-, Sanddornton des Champagners nach dem ruhevollen Dom Pérignon erst wieder verkraften lernen mussten. 

V.2 Piper-Heidsieck Rosé Sauvage

Nach dem Saignéerosé kam ein anderer alter Bekannter an die Reihe, der wie Kirschmarmelade auf Pumpernickel schmeckte und damit zu verstehen gab, dass er die allererste Zeit nach der Freigabe schon hinter sich gelassen hat. Ein Jammer, fiel mir in dem Moment auf, dass da nicht vorab ein Degorgierdatum zur Handreichung dienlich war, denn dann häte ich wahrscheinlich zum eigenen größeren Vergnügen nicht einen so großen Kontrast zwischen den Rosés gewählt. Didaktisch mag das in dieser Form nämlich noch vertretbar gewesen sein, aber der Piper Rosé war einfach nicht in der klassischen jugendlichen Frischeform, in der ich ihn eigentlich präsentiert haben wollte. 

VI. Janisson-Baradon Cuvée George Baradon 2001

In umso besserer Form war dafür die alte Prestigecuvée von Janisson-Baradon, die ich bei meinem letzten Aufenthalt in Epernay dem großherzigen Cyril in Person abgeschwatzt und aus dem neuen Laden direkt im Herzen des Orts herausgetragen habe, kurz bevor eine kleine Schar Hamburger Champagnerfans im weißen Rolls-Royce vorfuhr und sich bei späteren Wiedersehen zwar als sehr umgänglich erwies, in mir aber Befürchtungen hochkeimen ließ, die gewünschten raren Flaschen möglicherweise nicht mehr zu bekommen, wenn ich nicht schnell genug handelte. Tat ich ja dann zum Glück und wurde belohnt. Die letzte Cuvée George Baradon 2001 habe ich vor längerer Zeit getrunken und da war sie gut, aber schien mir auf dem absteigenden Ast. Diese jetzt war in Hochform und für mich so richtig verständlich geworden, da ich ihre beiden Einzelkomponenten, den Chardonnay Muscaté Toulette und den Pinot Noir aus der Lage Tue Boeuf zwischenzeitlich einige Male nebeneinander hin- und her hatte probieren können. Das Amalgam aus diesen beiden, wobei man sich unter dem Toulettes das Quecksilber vorstellen muss, ist wie ein Kristallnugget, in dem die formschönen Einzelmerkmale von Chardonnay-Muscaté und Pinot Noir eingeschlossen sind. Urwüchsige Knorrigkeit und schwerelose Leichtigkeit, Holz, Frucht und Säure sind hier in einem Klumoen dicht gepackt.  

Säbeltanz: Pommery 1945 bis Krug 2003

An die vierzig Städte in Deutschland nennen sich Stetten, aber nur eine davon liegt im Donnersbergkreis und erlaubt Winzern den bequemen Zugriff auf gleich drei Anbaugebiete, Nahe, Rheinhessen und Pfalz. Stillweinfexe wissen, was das heisst; ich war bei Boudier & Koeller, der Trägerrakete des guten Geschmacks. Über die beiden Jungens, ihr geschichtsträchtiges Weingut und ihre Neuverpflichtungen in Keller und Küche wurde schon reichlich von besser dazu Berufenen geschrieben (CaptainCork, Drunkenmonday/Nico Medenbach, Vinositas/Joachim Kaiser); ich kann mich deshalb kurz fassen, allen Lorbeer als berechtigt bestätigen und mich selbst für die Entscheidung beglückwünschen, die Gastfreundschaft der Hausherren rechts und links der Hauptstraße in Stetten für eine Champagnerprobe in Anspruch genommen zu haben, auf der nicht nur tüchitg getrunken, sondern mit ebensoviel Fleiß gesäbelt wurde. 

Eingeleitet wurde mit einem Blanc de Noirs von Boudier & Koeller, der sicher manchem Champagnerkellermeistr noch Tränen der Rührung in die Augen treiben könnte; es folgte der geschichtsträchtige Müller-Thurgau Mathilde von Tuszien, sprich Toskana, in die man sich unter zig Feigenbaumarten und angesichts eines herrlichen Exemplars von Paradiesvogelbaum sowieso gefühlsmäßig versetzt fühlen konnte. Der M-T von Boudier & Koeller wäre zu schade für Cola weiß und das will was heißen, denn eigentlich gehören nach meinem Empfinden alle Müller zur Vollendung ihres irdischen Daseins in die Cola, wenn nicht gleich in den Ausguss. Der Müller von Boudier & Köller soll weder in das eine noch in das andere, sondern nur mit geschlossenen Augen getrunken werden, wer mag, mit einem der scheinbar immer gefragten Geschichtsschmöker auf dem Schoss. Die Cuvée Prestige von Serge Mathieu läutete den Übergang zur eigentlichen Champagnerzeitreise ein. Der Prestige erwies sich dabei als passendes Bindegleid zwischen dem unverschnörkelten Stil der Gastgeber und den ersten feinen Bläschen, die zum Essen serviert wurden und aus Gründen der Nahtlosigkeit zur Hälfte ihrerseits aus der Aube stammten. 

Tartar mit Beef Tea und Ingwer Gelee, dazu gab es
 Drappier Grande Sendrée 2006
und Cattier Clos du Moulin 2006

Die Champagner nahmen vertauschte Rollen ein, die Grande Sendrée kam als Aubeplayer und hätte daher die Rolle der robust geratenen Pinotcuvée mit weniger bedeutsamem Anteil Chardonnay innegehabt, während der Clos du Moulin Athletik, Konzentration und Sportlichkeit eines Premier Cru mit alten reben in der nördlichen Montagne de Reims hätte verkörpern sollen. Hätte. Denn in der Blindverkostung würden sicher weit über 90% die Champagner genau umgekehrt zuordnen, so mein Kalkül. Das ging auf und die beiden Champagner spalteten die Trinkerschaft sofort klar in zwei Lager. Crèmig, sahnig, weich, mit milchigem Toffee, das war der ruhevolle Clos du Moulin, den man mit etwas Konzentration vielleicht noch als Premier Cru hätte zurodnen können, aber die Aufgabe ist wahrhaftig nicht leicht. Vor allem das geschichtliche Erbe dieses 50PN 50CH Mix, der als ältester Clos der Champagne überhaupt gilt, macht die Zuordnung problematisch. Die Grande Sendrée wäre solo wahrscheinlich leichter zu erkennen gewesen, im Zusammenspiel mit dem Clos du Moulin brauchte es schon sehr viel Trinkerfahrung, am besten mit beiden Cuvées, um klare Unterscheidungen treffen zu können. Zum Beef Tea und zu den Ingwerwürfeln passten jedenfalls beide Champagner sehr gut und bei dieser Aromatik auf dem Teller habe ich dem Clos du Moulin sogar deutlich den Vorzug geben müssen.  

Seeteufel mit Zucchinispaghetti und Paprikasabayon, dazu
Taittinger Collection Vasarely 1978
Taittinger Collection Masson 1982

In erstklassiger Verfassung war Taittingers Vasarely 1978, die Plastikhülle hat also nicht nur einen künstlerischen, sondern auch einen für die Reifung förderlichen Mehrwert. Gut schonmal, das zu wissen. Richtig toll wird es dann beim Geschmack. Fizzy, drahtig und aufgekratzt war der 78er, formal ja eigentlich das unterlegen Jahr. Nur war hier so viel Kohlensäure und springlebendiges Leben drin, dass egal wer es danach schwerhaben musste. Dieser egalwer war die Collection 1982, die viel müder, langsamer, schwerer und oxidativer antrat. Meh Karamell, mehr Sherry, weniger Bläschen, warf der jüngere Flightpartner in die Waagschale und wurde deshalb von den meisten teilnehmern für zu leicht befunden. Mit dem Essen, das vor allem bei der Paprika fordernd war, schlug sich der behende und viel freier agierende Vasarely ebenfalls deutlich besser.

Als entr’acte hatte ich die Champagner von Benedicte Leroy vorgesehen. Grundidee und Analyse sollten es werden, das heißt: einmal den Rebsortenmix, um die Annäherung an Ruppert-Leroy zu ermöglichen und dann die einzelnen Rebsorten, kompromisslos bis zum Ende durchvinifiziert, um den Genotyp zu erkennen. Benedicte, die heute über vier Hektar gebietet, hat die Phase, in der wertvolles Rebland früher zum Schafeweiden verwendet, bzw. die Trauben an die Kooperative abgeliefert wurde, was zwar nicht aufs selbe rauskommt, aber zumindest eine Kontrolleinbuße bedeutet, 2009 radikal beendet. Seit sie sich selbst um die Trauben kümmert, hat sie einen irrsinnigen Aufstieg verzeichnet. Noch vor drei Jahren kannte, von den Nachbarn im malerischen Essoyes abgesehen, kein noch so champagnerinteressierter Mensch ihre Erzeugnisse, heute finden sie sich in den feinsten Kellern Europas und bald der ganzen Welt.  

Ruppert-Leroy Fosse-Grely Brut Nature

80PN 20CH

Nach der Tankgärung folgt eine Hefelagerzeit von 6 Monaten, in der Flasche gibt es zwei Jahre Hefekontakt. An dem Champagner ist kein Schmuck, kein Schnörkel und keine einzige unnötige Kleinigkeit, sondern alles ist Konzentration auf die unter Höchstdruck miteinander verschweißten Komponenten. Das lässt den Champagner wie ein nicht ganz fertig bearbeitetes Werkstück aussehen, dem jede Verfeinerung fehlt und so empfinde ich das auch. Man kann förmlich noch die Schweißnaht zwischen den beiden Rebsortenklötzen sehen, auch wenn man aromatisch keine Übergänge oder Unebenheiten wahrzunehmen vermag. Etwas ist doch da, das sich gegen die totale Vermählung wehrt und damit Spannung erzeugt.  

Ruppert-Leroy Martin Fontaine Blanc de Blancs Brut Nature 

Der Chardonnay macht klar, dass er kein Verschnittpartner sein will. Gegen jede Art von Vermählung würde er wütend protestieren. Das ist, in milderer Form, das was im Fosse Grely die Spannung ausmacht. Mit dem Martin Fontaine ginge das nicht, eine Cuvée würde dem Winzer wohl um die Ohren fliegen. Was der Chardonnay dagegen sehr gerne mag, sind reduktive, salzige und jodige Noten, ein Austernfrühstück mit bergeweise Zitronen wäre für ihn nicht nur kein Problem, sondern er hinterlässt auch dasselbe Gefühl im Mund.

Ruppert-Leroy Les Cognaux Blanc de Noirs Brut Nature

Nicht ganz so kämpferisch und wütend ist der Pinot Noir. Aber ein Hauch von sibirischem Bärenjäger wohnt auch ihm inne. Grimmig, dicht verpackt, dabei von praxiserprobter Funktionalität und ohne sinnlosen Ballast, wärmend wie ein gemütliches Feuerchen, aber nicht verbrennend, wie wenn man zu nah ans feuer drankommt; an Kälte und Einsamkeit gewöhnt, aber mit einem Auge für das Schöne, für Blumenwiese, vereinzelt wachsende Beerenfrüchte und das gegen Herbs ansetzende Fett wildlebender Tiere.  

Die Pause füllte ein kleines  Apfel-Kirsch Sorbet, denn der Gaumen sollte präpariert und geklärt sein, für Großes.

Krug 2003

gehört fraglos zum besten, was das Jahr herzugeben hatte. So unbelastet, schlank und rassig hätte ich mir noch Anfang des Jahres Krug 2003 nicht vorzustellen gewagt. Doch wurde ich eines bessern belehrt und konnte den Teilnehmern meiner kleinen Verkostung avec fierté et dignité den neuen Krug vorstellen. In Champagnerkreisen hat sich rumgesprochen, dass 2003 ein Jahr ist, das man guten Gewissens überspringen kann und speziell beim Chardonnay kann man das wahrscheinlich gut verallgemeinern. Für Krug 2003 heißt das, dass die Cuvée völlig anders gebaut werden musste, als die beiden Vorgänger 2000 und 1998, in denen Chardonnay eine tragende Rolle spielte. 2003 gabs nur winzige Mengen ausgereifter und brauchbarer Chardonnays, im diesjährigen Krug hat es für schmale 25% gereicht. Der Rest ist Pinot Meunier (25%) und Pinot Noir. Heftige Ansage also. Und heftiger Stoff, dem man die Problematik hinter seiner Entstehungsgeschichte gar nicht glauben will. Der 2003er Krug ist ein geschmacklicher Ritt auf der Kanonenkugel, bei dem das Jahr nicht einen Moment lang verleugnet wird und die Aromen dennoch so frisch sind, dass ich mich beim Trinken immer wieder gefragt habe, ob ich wirklich den richtigen Jahrgang gegriffen oder nicht am Ende durch einen irren Zufall sogar schon den 2004er im Glas habe. Hinkommen könnte es ja, so schlank und elegant wie der 2003er wirkt, mit wenig Nuss und Apfel, für Krugverhältnisse, dafür mehr Zitrus, Ingwer und frischem Wacholder. Warum der in England schon nach wenigen Stunden ausverkauft war, erschließt sich mir deshalb trotz aller Vorbehalte gegenüber dem Jahrgang. Der passte natürlich ohne dass das besonderer Erwähnung bedurft hätte gut zum folgenden Gang      

Rinderfilet Spargelgemüse und kleine gebratene Zitronenkartoffeln, dazu passten aber auch:


Pommery 1945, der sich spitzenmäßig gehalten hatte, viel Sherry, eine Anung von Restprickeln, viel Milchschokolade und etwas Kaffee ins Spiel brachte. Für mich zusammen mit Vasarely 1978 und Krug 2003 einer der drei Champagner des Abends. 

Perrier-Jouet Belle Epoque 1979 wollte erst nicht ganz so schön aufgehen und zierte sich gehörig, obwohl ich weiß, was für ein braves Mädchen das eigentlich sein kann. War sie dann auch, aber nicht ohne den Wermutstropfen einer rumpeligen Eröffnungsphase.


Pommery Louise 1988 wollte es der Belle Epoque eigentlich nicht gleichtun, war aber von der selbstbewussten Zickigkeit der älteren Cousine immerhin beeindruckt genug, um mich beim ersten Reinriechen erstmal an Kork denken zu lassen. Der Eindruck schwand zum Glück schnell und entpuppte sich als eine eher dem Jahrgang zuzuschreibende säuerliche Erdigkeit mit Krustentiercharakter, Land und Meer in ganz eigener Interpretation also.

Das Dessert lässt sich immer nur schwer mit Champagner begleiten, deshalb gab es zu

Creme brûlée mit Minze und Erdbeersalat einen

Champagne Charlot Côteaux Champenois Rouge 2005 und danach erst den bekanntermaßen guten Gosset Celebris 2002. Den Charlot Rotwein habe ich vor Ort probiert und war ganz überwältigt davon, wie ein 2005 von der Omi, die damals noch das Sagen hatte, im Tank vergessener Pinot Meunier (!) als Stillwein performen kann. Vor allem zur Crème brûlée eine zwar nicht naheliegende, aber sehr eingängige Kombination. Der Celebris putzte zum Schluss alles aus, was den Gaumen noch nicht verlassen hatte und schärfte mit seiner gefühlvoll tonangebenden Art die langsam wegnickernden Sinne für die weiteren noch anstehenden Sabragen.

Im freien Ausklang gab es von Champagne Tristan H. die viel zu früh aus dem Reifeschlaf gerissene Cuvée "Iseult", deren eigenwillige aber freundliche Art auch nach ausgiebigem Mahl noch zu gefallen wusste. Von Marie-Courtin habe ich danach die Eloquence geöffnet, um die nun schon teilweise zum mittlerweile laufenden Fussballspiel spitzenden Kämpen bei der Stange zu halten;mit Boizel, Tarlant Brut Zéro, Drappier Blanc de Blancs Signature, Molitors Wehlener Sonnenuhr Kabinett, dem Stettener Riesling von Boudier & Koeller, und ganz zum Schluss einem kräftigen Château Rieussec 1990 nahm der Abend dann ein schönes Ende, ungeachtet des Fussballresultats.

Die grösste Champagner-Bar der Welt: La Côte des Bar (I/III)

Seltsam genug: Das Nachtleben in der Champagne ist kaum nennenswert. In Epernay und Reims, immerhin der zweigeteilte Nabel der Champagnerwelt, ist abends weniger als nichts los, in Epernay ist der Tag offiziell beendet, wenn die stets gut besuchte, nein proppenvolle Pizzeria Sardaigne schließt. Wer sich danach noch auf den Straßen und nicht ausdrücklich auf dem Nachhauseweg befindet, ist verdächtig. In Reims ist es wenig besser, denn das Reimser Nachtleben findet der Einfachheit halber gleich in Paris statt. So leicht haben es die Bewohner der Aube nicht. Die müssen sich nach Troyes hin orientieren, aber dort finden sie mit der Weinbar Crieurs de Vin immerhin eine Anlaufstelle mit putzmunteren Kellnern, Essen nach Wahl des Küchenchefs und allerlei verrückten Stillwein, neben dem gut sortierten Champagnerregal. Der Großteil des Champagnersortiments stammt von der Côte des Bar. Die kennt nur keiner. Die Côte des Blancs kennt dagegen jeder, der mal in der Champagne war. Das ist jammerschade, aber Grund genug für mich, mal wieder und verschärft die südliche Champagne heimzusuchen.

I. Drappier

Wenn man Winzer besuchen geht, dann ist das oft schön, man erfährt viel, man bekommt auch viel Marketingspeech zu hören und man bekommt immer einen handgreiflicheren Eindruck als aus der öden Print- oder Onlineberichterstattung. Während man über das Weingut, in die Weinberge und durch die Keller latscht, lernt man den Winzer ein wenig kennen und solidiarisiert sich mit ihm, findet ihn oder sie im besten Fall sympathisch oder gar liebenswert. Je mehr Mühe sich der Gastgeber gibt, desto positiver lässt man sich gern stimmen. Dann geht es ans Probieren. Wie oft erlebt der freudig erregte Weinspitz dann aber herbe Rück- und Tiefschläge, wenn der Wein leider so gar nicht schmecken will, wenn Wunsch und Wirklichkeit zu sehr auseinanderklaffen. Dann quält man sich, je nach Gemüt, durch eine nicht endenwollende Reihe gleichschmeckender, phantasielos zusammengebrauter Durchschnittssüppchen und verspürt tiefen inneren Schmerz, wenn man über dem Probierglasrand die begeistert und erwartungsvoll geweiteten Augen des Verantwortlichen sieht. So ähnlich muss sich Marcus Hofschuster fühlen, kurz bevor er zB bei facebook über bestimmte Weinzumutungen wettert. Der Sam ist dabei freilich mehr oder weniger allein. Als Weingutsbesucher muss man dem Chef dann aber noch persönlich die Hucke vollügen, sich den Bauch reiben und Schleckbewegungen mit Schmatzgeräuschen oder sich selbst schnellstmöglich aus dem Staub machen, nicht ohne vorher noch eine Verlegenheitsmischkistchen mit den am wenigsten grauenhaften Weinen mitgenommen zu haben, nebst überreichlich Broschüren-Material und dem wilden Versprechen, einander sicher bald wiederzusehen. Nicht so bei Michel Drappier, weshalb ich mir den Einleitungssermon auch hätte sparen können. Denn der herzensfreundliche und angenehm unaufdringliche Michel Drappier macht Champagner, den er selber mag und den man genauso sympathisch finden kann, wie ihn selbst, ohne dass man in Gewissensnot kommt. 

1. Carte d'Or, dég. Nov. 2012

80PN 15CH 5PM

Das quittengelbe Etikett wird seit 1952 verwendet und hat dem Haus Drappier noch keinen Rechtsstreit mit der in Farbfragen empfindlichen Veuve Clicquot eingebracht. Die Champagner sind dafür sowieso zu unterschiedlich. Der Champagner lebt vom Pinot Fin der Ahnen, die sich nach der Reblauskatastrophe mit der Selektion bester Spätbrugunderreben befasst haben. Typisch ist ein knorriges, an alte Rebstöcke erinnerndes Gepräge, eine rustikale Struktur, die von feiner Frucht (Quitte!), Nuss und Holznoten umspielt wird, obwohl der Champagner überhaupt keinen Holzeinfluss hat. Ein selbsbewusstes "da bin ich!".

2. Brut Nature Sans Soufre

100PN

Schnittiger Stoff. Messerscharf, kantig, kerlhaft. Der Pinotdobermann. Unter den wenigen ausgeprägteren Aromen finden sich blanchierte Mandeln und wieder der zarte, holzlose Holzeindruck.

3. Carte d'Or, dég. Juli 2013 

100PN

Weiter als der Sans Soufre, ein Effekt, den ich schon oft festgestellt habe. Die Zugabe von Schwefel, selbst wenn es nur sehr wenig ist, wirkt sich positiv auf die Geschmackspalette von Champagner aus. Hier kommen zB weiße Schokolade, Trüffel und Walnuss hinzu, ohne den Champagner zu belasten oder ihm ein Iota von seiner Dynamik zu nehmen.

4. Blanc de Blancs, dég. Juli 2013 

95CH 5PB

Kräftiger Stoff mit der im Hals diskret kratzenden Art des Weißburgunders. Sonst vorherrschend Litschi, Gurke und Melone. Eine ungewöhnliche Wahl für die Business Class einer Airline wie Etihad, aber eine gute.

5. Rosé Saignée Brut Nature, dég. Oktober 2013

100PN

Ein Rosé Saignée corrigé. Der Saft bleibt solange mit den Schalen zusammen, bis das rechte Maß an Fruchtigkeit erreicht ist. Dann wird abgezogen, egal, wie die Farbe gerade ist. Gegebenefalls kommt zur Feinabstimmung noch ein Anteil von 10% weiß gekeltertem Pinot Noir Stillwein dazu. Clever. Was die Fruchtigkeit betrifft, wird bei Drappier aber kein Schindluder getrieben. Herb darf und soll es zugehen, denn Michel Drappier liebt seit frühester Kindheit Schweppes, kein Wunder also, wenn er sich über schweppesige Aromen in seinem Champagner freut und sie zu kultivieren sucht.  

6. Millésime d'Exception 2008, dég. Jan. 2014

60PN 40CH, 35% Ausbau im Fuder. 

Unalkoholisches Feuer, Esprit und Schmelz. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, weil der Champagner seine Dosage noch nicht ganz verarbeitet hatte, was genauso ist, wie wenn ein Salat nicht gleichmäßig mit Dressing benetzt ist.

7. Cuvée Charles de Gaulle

80PN 20CH

Pol-Roger hat Winston Churchill und Drappier hat Charles de Gaulle. Bei beiden sagen die Verantwortlichen, dass die Cuvée dem Original sehr ähnlich sein soll, die Unterschiede dürften aber doch nicht ganz unerheblich sein. So ist die Cuvée Sir Winston Churchill eine ausgemachte Prestigecuvée und hebt sich deutlich vom sonstigen Programm des Hauses ab. Die Cuvée Charles de Gaulle ist, anders als das historische Vorbild, brut und nicht mehr extra dry dosiert, auch würde ich sie nicht als Prestigecuvée einsortieren, sondern als Reverenzcuvée. Die Spitze des Drappiersortiments bildet ja nun doch die Grande Sendrée in weiß und rosé. Die Cuvée Charles de Gaulle ist robust und saftig mit einer angenehmen, leichten Honignote. Yves de Gaulle, der immer noch Kunde des Hauses ist, bestellt aber trotzdem andere Sachen (Cuvée d'Or und Blanc de Blancs).

8. Cuvée Quattuor, dég. Oktober 2013

Jeweils ein Viertel CH, PB, Arbane und Petit Meslier, mit 4,5 g/l dosiert

Die vier Rebsorten bilden ein Quartett. Jede hat die Möglichkeit zum Soloauftritt, aber alle müssen miteinander harmonieren. Das ist nicht leicht, denn Arbanne rennt mit viel Säure vorneweg, der etwas dickliche Pinot Blanc kommt kaum hinterher, die reife Petit Meslier neigt in die Sauvignonschiene und beharkt sich mit dem chablisnahen Chardonnay. Der Champagner wirbelt zwischen weißen Blütentönen und schokolierter Opulenz hin und her. Das ist durchaus reizvoll und ein gänzlich anderes Champagnerkonzept, als man es von Häusern dieser Größe kennt.

II. Coessens

Der Aube-Leclapart. Seine Champagner sind zu 100% im Stahl zu Hause, einzige Ausnahme bildet der Sens Boisé aus dem gebrauchten Chablisfass. Der Korken stammt von Sagrera und hat zwei extra dicke Scheiben unterm Granulat. Im Weingut verrichten zwei 8000kg Coquardpressen ihren lautlosen Dienst vom allerfeinsten, Coessens presst damit sogar für Kollegen mit ab. Im Jahr bringt das 15000 Flaschen, mehr ist nur dann vorgesehen, wenn die Qualität es erlaubt.

1. L'Argillier Blanc de Noirs, dég. Mai 2013 

Jahrgang 2009 (die Weine von Jerome Coessens sind immer Jahrgänge, bislang einzige Ausnahme ist das 2011er Lot, das ist ein Mix aus 2009 und 2008). Aus dem Glas steigt Kokosduft auf, das auf dem Etikett gedruckte "chargé en argile" bewahrheitet sich dann im Mund explosionsartig. Die 10g/l Dosage bemerkt man nicht, besser kann man Zucker nicht verstecken, als in diesem flüssigen Kimmeridgien.

2.  L'Argillier Blanc de Noirs Brut Nature, dég. Mai 2013

Wieder 2009; hier aber roter Apfel statt Kokos, sehr viel Kimmeridgien, herbe Frische von Salbei, Chinin, Tonic Water, Russian Wild Berries, ein echter Ausnüchterungstrunk, wenn selbst im Berghain nichts mehr läuft. Ausserdem ein leicht holziger Eindruck wie ich ihn schon bei Drappier und an der Aube sowieso häufiger festgestellt habe, obwohl die betroffenen Erzeuger für die jeweiligen Cuvées gar kein Holz einsetzen oder zumindest Stein und Bein schwören, es nicht zu tun; oder nur ganz wenig. Ist wohl einfach so eine Terroirgeschichte.

3.  L'Argillier Blanc de Noirs Mill. 2009, dég. Oktober 2013

Extra brut mit 4g/l. Jerome hat den Millésime 2009 noch vor dem 2006er verkauft, weil der sich gegen den Verkauf noch sperrte. Die feine Kalkigkeit, das kimmeridgig-kalkige Näschen des 2009er empfahl sich besser und präsentierte grünliche, dicksaftige Agavennoten, sowie Efeu. Im Mund schön saftig, lässt er sich gegen Ende mineralisch ausgleiten, wirkt allerdings etwas dicklicher als die vorherigen Kalkmodels. 

4. Rosé de Saignée, dég. Februar 2013

2009, Saignée, mit 10 g/l dosiert. mit den Füssen gestampft und mit viel Herzkirsche der optimale Valentinswein. Hinzu kommen Minze, Balsam, Eukalyptus-Menthol, Kiefernnadelessenz; auch Blutorange und karamellisierte Kirschen. Den Zucker steckt der Wein weg, einfach so.

5. Sens Boisé, dég. Februar 2013 

2008er. Erstmal flüchtige Säure, dann Honig, Holz, weisser Trüffel. Der Champagner hat einen warmen Charakter, mit Pfeffer, Schwarzpulver, im Mund dann wieder sehr gut und dezent verbautes Holz, er gleitet lang und frech über den hinteren Zungenrand ab und schreckt mit seiner prallen Säure den vielleicht noch nicht ganz fitten Gaumen hoch. 

III. Charles Dufour

Robert Dufour, Yves Dufour, Charles Dufour, die Schwester von Charles Dufour, sie alle operieren unter dem Namen Dufour und sorgen damit für einige Verwirrung, denn teilweise überschneiden sich ihre Cuvées, so zum Beispiel die alte Cuvée mit dem anekdotischen Namen Jaune ohne Bulles (nach einer Erzählung innerhalb der Familie, wonach ein langjähriger deutscher Abnehmer sich in deutsch durchsetztem Französischkauderwelsch über mangelndes Mousseux und wahrscheinlich unreife, grüne Geschmacksnoten beschwert haben soll) aus dem Jahrgang 1988 und die Ligne 39, das zugehörige Spätdegorgement. Von Charles Dufour, an den ich mich immer halte, gibt es mit dem Jahrgang 2010er Jungfernjahrgangschampagner. Drei Blanc de Blancs. Zwei davon, Chèvetree und Avalon sind Chardonnays, der Champ de Clos ist ein reinsortiger Pinot Blanc und löst den alten Blanc Gourmand ab, der allerdings nie zu meinen Favoriten zählte; die Standardcuvée Bulles de Comptoir gibt es jetzt erstmals als Ecocert zertifizierten Wein. Degorgiert wird dreimal pro Jahr, diese hier wurden alle im Februar 2013 dégorgiert. Nächstes Jahr dann gibt es vielleicht schon die ersten Früchte einer selection massale, die zusammen mit Fleury, Horiot, u.a. durchgeführt wird. Verwendet werden weinbergseigene Hefen und eigene Bakterienstämme für den BSA. Charles selbst nennt seine Weine ganz offen Egoistenweine, weil sie einfach nur ihm gefallen sollen. Auf den jährlich wechselnd gestalteten Etiketten finden sich die wesentlichen Angaben zum Champagner. So meint L.R.10 nichts anderes als: lot récolte 2010 und "0.32.30" bezeichnet die Parzellengröße von 0,323 ha der jeweiligen Lage. 

1. Champ du Clos

100PB aus einer Parzelle zwischen Landreville und Celles sur Ource. Inox, BSA, Nulldosage 

Das Resultat sind Kräuter, viele Kräuter, etwas Campher, etwas Geissblatt, sehr wenig Beifuss und Hopfenblüte. Ein ungewöhnlicher Pinot Blanc und einer, der mir viel besser schmeckt, als die Ausgaben davor. 

2. Chèvetree 

junge, 12 Jahre alte CH-Parzelle mit Südsüdwestausrichtung in Landreville Richtung Ville sur Arce, hier herrscht karger Boden. Die Pflanzen sind jung und dynamisch, so fordernd, wie der Champagner, der daraus wird. Säure schlägt mit 4,7 g/l zu Buche, der pH-Wert mit 3,2. Vergoren wurde im Holz es folgte der Fassausbau, in dreifach belegtem Barrique. Der Champagner ist mittellang, schlank, frech, hat den winzerigen Charme von Kleinstvinifikationen mit wohlüberlegtem, minimalem Fasseinfluss.

3. Avalon 

100CH, Lage in Essoyes; der Champagner ist holziger und dicker angelegt, der Weinberg liegt etwas ungewöhnlich am Fuss des Bergleins und nicht an der Kuppe. Da unten ist es nass, die Ostausrichtung bringt eine Mehltauproblematik mit sich. Die Erträge sind nicht so dolle, aber der Champagner ist mundfüllend, mit viel Zitrus und potentem Druck.

4. Bulles de Comptoir

55PN 10PB 35CH, 5g/l Dosage mit Mostkonzentrat; kein Egoistenwein, sondern ein wohlbalancierter Aubechampagner von ungewöhnlicher Finesse.

 

Champagnerentspannung mit “happy end“

1. Gardet Selected Reserve
Drittelmix mit 25% Reserve aus dem Eichenfass und zusätzlich einjährigem Fassausbau
Hefig bis bierhefig, jung, unuhig, unausgewogen, noch keinerlei Spuren von Reife. Der bierhefige touch wie ich ihn zuletzt bei den Champagnern von Tribaut-Schloesser sehr unangenehm empfand, ist hoffentlich eine vorübergehende Erscheinung oder ein individueller Flaschenfehler gewesen. Werde ich demnächst verifizieren.

2. Bérèche Père et Fils Brut Rosé, dég. Sep. 2010
Von meinem letzten Besuch bei Bérèche habe ich diesen Rosé mitgebracht, den ich in meiner Hast und Gier schon bei zwei anderen Gelegenheiten verheizt habe. Belebend, spritzig, an der Zungenspitze blüht er richtig auf, umfasst die ganze Zunge und klingt dann etwas zu kurz nach hinten hin ab. Erdbeere, Baiser, Knisterzucker.

3. Dosnon & Lepage Récolte Noir, dég. 2. Halbjahr 2007
100PN
Einer der ganz starken kleinen Champagnererzeuger. Aube-Avantgarde, die beiden Macher stammen aus dem Kaff Avirey-Lingey, der eine hat Champagnererfahrung bei den ungleich größeren Herstellern Serge Mathieu und Moutard gesammelt, der andere als Strafverteidiger in Paris. Der Ertrag von zwei ha eigener und fünf ha fremder Rebfläche steht den beiden zur Verfügung und reicht für ca. 50000 Flaschen im Jahr. Wenn die kontinuierlich das Niveau des Récolte Noir halten, ist die glänzende Zukunft des sympathischen Labels gesichert. Der Blanc de Noirs ist üppig ausstaffiert mit blumigen, nobel-holzigen, überaus delikaten und recht burgundischen Aromen, wirkt an keiner Stelle schwächlich oder weichgelegen-morbid, ja schwingt zu meinem größten Entzücken noch mit einem kecken Schwanzwedeln originell aus, resp. das Halsinnere hinab. Einer der Champagner, mit denen sich die Mehrdimensionalität von Champagner wunderbar erfahren lässt.

4. Ulysse Collin Blanc de Noirs, dég. 16. März 2010
Dieser Champagner vereint alles, was ein Blanc de Noirs in sich vereinigen muss. Er ist prächtiger und größer dimensioniert als der Dosnon-Lepage, was ihm aber fehlt, wie mir mit zunehmender Flaschenreife auffällt, ist ein kleines bisschen Säure. Ich kann nicht sagen, ob ihm das im Alter das Genick brechen wird, oder ob er das nonchalant aus dem Füllhorn seiner Möglichkeiten überspielen können wird. Mir scheint aber klar zu sein, dass dieser Champagner momentan für sich die Weichen stellt. Ich würde ihn noch dieses Jahr trinken, dann aber für mindestens fünf Jahre ruhen lassen. Dann ist er entweder noch ein Stück gewachsen, oder aber er hat dann begonnen, sich zurückzubilden.

5. Champagne Mumm Cordon Rouge Millésime 1985
Auf dem Niveau eines reifen Piper-Heidsieck Rare bewegte sich der vermutlich letzte große Mumm-Jahrgang vor der Krise des Hauses. Mokka, Röstaromen, Speck. Kraftvoll anschiebend und mit Wucht gegen den Gaumen prallend, was frelich nur das halbe Vergnügen ist, oder gar keins, wenn man die röstigen Champagner nicht so sehr mag. Für mich war’s schön.

6. Drappier Grande Sendrée Rosé 2004, dég. Juni 2008
Ganz zauberhaft war die Grande Sendrée Rosé, feinstschlanke, bei der Grande Sendrée offenbar sowieso nie besonders vordergründige oder sonst piekende Säure, dazu ein edles Parfum aus Wildkirsche und anfermentierter Erdbeere; elegisch.

Aube-Intermezzo mit Champagne Drappier

 

Die Champagner von Drappier und ganz besonders die Grande Sendrée galten lange Zeit als die mit Abstand besten Aube-Champagner. Das war freilich in einer Zeit, als von der Avantgardetruppe um Cedric Bouchard, Jacques Lassaigne, Bertrand Gautherot usw. nur in einem sehr kleinen Kreis die lobende Rede war. Heute muss sich Platzhirsch Drappier zwar nicht mühevoll, aber doch in einem Feld sehr guter bis überragender, teilweise ultraindividualistischer Champagner mit höchsten Ansprüchen an sich selbst behaupten. Ich denke, das tut ihm eher gut als weh. Plaudern konnte ich mit Michel Drappier diesmal leider nicht sehr lange, sonst hätte ich ihn gern dazu befragt

I. Carte d'Or

90PN 5CH 5PM

Sonniger Champagner mit massenkompatibler Dosage, kann man aber auch als Champagnerpurist noch ok finden.

II. Quatuor, dég. Januar 2011

Je ein Viertel CH, PB, Petit Meslier und Arbane, 07er Basis, mit 8,5 g/l dosiert.

Fand ich im Frühjahr kräftiger und fetter, auch wuchtiger, diesmal kam er mir eher vor wie ein richtig gutes Sektsorbet.

III. Grande Sendrée 2004, dég. Januar 2011

55PN 45CH.

Die aktuelle Grande Sendrée ist mittelgewichtig, aber nicht schmächtig; leider befindet sich die ähnlich gebaute Grande Sendrée 2002 gerade in einer Verschlussphase, daher ist ein Vergleich zwischen beiden nicht sehr fruchtbringend. Die Grande Sendrée gehört zu den Champagnern, bei denen ich immer eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Chef des Hauses finde. Sanft und distinguiert, sehr präsent und hellwach, die Neigung zu einer halsbrecherischen Autofahrweise würde man bei Michel Drappier gar nicht vermuten, ebenso nicht die wollüstige Entwicklungsfreude der Grande Sendrée, wenn sie die Möglichkeit zur Reifung hat. Nach einem doppelten Espresso zum Abschluss eines großen Mahls gibt es nichts schöneres, als eine frische und vorzugsweise junge Grande Sendrée wie eben diesen 2004er für die inoffizielle Hälfte des Abends zu öffnen.

IV. Grande Sendrée Rosé 2005, dég. Januar 2011

Etwas schwermütiger, melancholischer Rosé mit einem an smoothies erinnernden Früchtemuscharakter. Relativ wenig Säure und ein Schlußpunkt, der die Ballade stimmungsvoll und für mich ein wenig rätselhaft beendet.