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Tag Archives: jahrgang

Unabhängige Winzer unter der Lupe – Sézannais: Olivier Collin, Broyes

Olivier Collin, Broyes

Der Namensgeber des Erzeugers aus Broyes ist der Vater von Fabrice, dem derzeitigen Chef. Der Ertrag von gut 7 ha geht an die Genossenschaft CRVC in Reims, die u.a. Champagne de Castelnau herstellt. Über Cuvée und Dégorgement bestimmt Monsieur Collin jeweils nachdem er den versekteten Wein von der Genossenschaft zurück erhalten hat. Verschluss ist Diam Mytik. Mit Olivier Collin von Ulysse Collin in Congy besteht übrigens kein Verwandtschaftsverhältnis.

1. Brut (2007)

2007er Jahrgang, 40CH 15PN 45PM, 40% Reservewein. 10 g/l Dosage.

Reifer, runder, gemütlicher, ziemlich klassischer, nicht gerade ultrafrischer Champagner von sehr kundiger Hand.

2. Cuvée Prestige, Blanc de Blancs (2004)

2004er Jahrgang.

Lebhafter Champagner mit mehr Druck, Finesse und Spiel, als der einfache Brut. Wuselige, d.h. nicht ganz pointierte, etwas einfache, aber präsente Säure.

3. Cuvée Celia (2003)

2003er Jahrgang. 32CH 68PN. 9 g/l. Das Etikett ziert die hübsch anzusehende Frau von Fabrice als kniender Akt, von einem befreundeten Bildhauer aus Troyes klassisch verewigt und daraufhin von einer ebenfalls befreundeten Malerin zur Etikettenvorlage umgearbeitet. Die Dame heißt auch gar nicht Celia, sondern eine etwaige gemeinsame Tochter hätte diesen Namen tragen sollen. Bis jetzt gibt's die aber nur in Flaschenform.

Haselnussige Aromen, reife rote Früchte, ein harmonischer, teilweise ins Herbe spielender Champagner, der dadurch nicht unebenmäßig wirkt. Erinnerte mich etwas an die Champagner von Jacky Charpentier.

4. Rosé

27,5CH 27PN, 45,5PM, 13,5% Pinotzugabe. 2007er Basis und 22% Reservewein. 10 g/l Dosage.

Leichter, durchgängiger, in sich geschlossenern Rosé mit minimaler Herbe, bei der ich nicht sicher bin, ob sie zum Stil des Hauses gehört.

Rési reloaded – Mit dem Fernseh in der Résidence

Beim Essen gefilmt zu werden ist gar nicht weiter schlimm, wenn man sich seiner Umgangsformen nicht schämen muss, oder wenn es einem sowieso egal ist. Oder aber, wenn das Fernsehteam dank fortgeschrittener Kameratechnik dezent im Hintergrund bleiben und dem sorglosen Schlemmer trotzdem auf die Gabel blicken kann. So war es letzten Dienstag in der Résidence, Essen-Kettwig.

O.1 Amuse Gueule: Frühlingsrolle, Selleriecréme auf Pumpernickel und Walnusscrème im Knusperröllchen

– Die Frühlingsrolle war mundgerecht, dicht, aber nicht zu dicht gepackt und daher angenehm bissfest;

– Die Selleriecrème als Würfel mit ca. einem Zentimeter Kantenlänge auf der Pumpernickelscheibe stand aromatisch im richtigen Verhältnis zum Brot, war mir aber als Kontrast zwischen wabbeliger Crème und festem Brot etwas zu weit auseinander;

– Die Walnusscrème im Knusperröllchen lag wieder auf meiner Wellenlänge, fluffige Crème, die intensiv nussig, aber nicht ranciohaft schmeckte, das Knusperröllchen harmonierte gut.

 

O.2 Gruss aus der Küche: Hummer-Fenchel-Variation

– einmal im Wan-Tan gebacken, mir zu sehr an die Frühlingsrolle angelehnt, aber geschmacklich gut;

– mit Fenchel-Tagliatelle, leicht säuerlich, wie beim Sushi-Rettich, als Appetitmacher ausgesprochen gklug platziert;

– als Tartar war mir der Hummer zu unsichtbar, ich habe ihn lieber in größeren Stücken;

– als gestreifte Terrine wiederum gingen Hummer und Fenchelcrème eine überaus schmackhafte einander spielend leicht ergänzende Kombination ein.

 

O.3 Zweiter Gruss aus der Küche: Tomatenessenz mit Gemüserauten

Das war das Signal für die Geschmacksnerven, die nächsten fünf Stunden unter Höchstspannung zu arbeiten. Die Essenz kam sozusagen als Blanc de Noirs, also nur als weiss abgepresster Saft aus den Tomaten, mit einem leicht rötlichen Schillern und war so konzentriert, so aromatisch, dass am Gaumen die schönste Sommersonne schien.

 

Währenddessen gab es Champagne Robert Moncuit Blanc de Blancs Grand Cru 2004. Am besten schmeckte er zur Frühlingsrolle und zum Wan-Tan-Hummer, auch zum Sellerie-Pumpernickel und zu den anderen Variationen mit Fenchel brillierte der Champagner, auch mit der Tomate hatte der champagner keine Mühe und das, obwohl die beiden sonst als geschworene Feinde gelten. An seine Grenze stiess er jedoch sehr klar, als er es mit der leicht süssen Walnusscrème aufnehmen musste, dafür fehlte ihm das nötige Alter und die dann sich langsam herausbildende nussige Aromatik reifer Chardonnays. Anzulasten ist das nicht dem Winzer, nicht dem hervorragenden Sommelier Herrn Voigt, sondern mir, denn ich hatte den Champagner mitgebracht.

 

I. Zweierlei vom geräucherten Chinook-Lachs mit Topinambur und Wildkräutern, dazu ein 2009er Klüsserather Riesling vom Weingut Kirsten, auf Wunsch der Ehefrau Inge von Geldern durchgegoren

Für einen jungen Riesling war der Klüsserather herausfordernd golden, mit aromatisch breiter Schulter und einem herbsüssen Restzuckerschwänzchen. Zum Topinambur mit seiner süsslichen Aromatik passte das schonmal sehr gut. Aber um den Topinambur ging es nicht, der Riesling sollte sich zum Lachs beweisen. Dessen Filet war wahrhaft königlich. Wer sich auf Empfängen und Buffets beim Lachs immer zurückhält, weil er sich vor den Hormonschleudern aus Aquakultur fürchtet, kann beim Chinook beherzt rein- und zubeissen, der Unterschied ist so groß wie der zwischen altem Badeschwamm und Kalbsbries. Dazu der Reisling und die eröffnung des Abends war gesichert.

 

II. Sautierter Skrei im Feldsalatsud, mit Lardo, konfierter Kartoffel und Senfsauce, dazu Rudolf May, Silvaner Spätlese trocken "RECIS" 2007

Kabeljau, bzw. eben Skrei ist und bleibt ein schmackhafter Fisch, den früher nur Kinder, Engländer und arme Leute gegessen haben. Daraus einen schmackhaften Gang zu kreieren, geht so: Den Kabeljau mit guter Butter auf der Haut anbraten, einen nur optisch draufgängerischen, aromatisch dafür umso delikateren Feldsalatsud zubereiten, der sich mit einer nicht zu senfigen Senfsauce optimal für das zarte Skreifleisch eignet, fertig. On top kam dann noch der leicht knusprige Lardo mit der konfierten Kartoffel und ganz on top der Silvaner von Rudolf May, der wie massgeschneidert für diesen Gang war.

 

Z.1 Den Übergang machte ein zartfaseriges, nussig-aromatisches, gesundfleischiges Bäckchen vom Ibericoschweinderl auf gebratener Tomate. Dazu tat der Silvaner weiterhin gut und zeigte bei aller Konzentration und Tiefe willkommene Durstlöscherqualitäten.

 

III. Langostino mit karamellisiertem Blumenkohl und Trüffelscheiben, Frühlingsmorcheln und Dörraprikosen, dazu Domaine de Chatenoy, Menetou-Salon, Cuvée Pierre-Alexandre 2007

Wenn ich Menetou-Salon höre, stelle ich mir unwillkürlich immer eine seltsame Mischung aus dem Sioux-Häuptling von Karl May und dem Spitzenchampagner aus dem Hause Laurent-Perrier vor. Einen champagnerschlürfenden Indianer also, was irgendwie nicht passen will. Was jedoch sehr gut passt, ist Langostino und dieser Wein. Der war nämlich erst ganz sachte pfeffrig und andeutungsweise holzig, entwickelte eine kühl buttrige, ja speckige, auch ein wenig burgundische Stilistik, blieb lang, kühl und ohne Säure im Mund, so dass er mich von seinem ganzen Wesen an ein in dunklen und kühlen Regionen des Meeres herumwanderndes Krustentier erinnerte. Butter, Speck und Pfeffer riefen den Langostino leibhaftig auf den Plan und die zutage getretene Seelenverwandtschaft war das reinste Freudenfest, gekrönt noch von dem konzentrierten Dörraprikosengeleewürfel, von dem ich mir zu jedem Happen vom Langostino eine mikrometerdünne Scheibe herunterschnitt, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, mich an der Kombination der Geleescheiben mit Blumenkohl und Trüffel zu laben.

 

Z.2 Vor der Jakobsmuschel gab es noch Pulposalat mit Brunnenkresse, die den Gaumen wieder etwas klärten, was vor allem an der reinigenden, auch den Appetit wachhaltenden Schärfe der Brunnenkresse lag.

 

IV. Jakobsmuschel mit Kirschtomate, Kräuterfocaccia und Basilikumkresse, dazu Kruger-Rumpf Blanc de Noirs vom Spätburgunder, Spätlese trocken 2008

Kruger-Rumpfs 2008er Grosse Gewächse gehören zu meinen Lieblingen dieses Jahrgangs. Grosse Freude war deshalb gesichert, als Herr Voigt den Blanc de Noirs von Kruger-Rumpf vorschlug. An diesem Gang gefiel mir am besten die Basiliumkresse, die der Jakobsmuschel zusammen mit der Kirschtomate zu einer lebendigen Aromatik verhalf. Wie erwartet sehr gediegen dazu der Blanc de Noirs, dem es gelang, die entlegeneren Aromen der Kräuterfocaccia herauszukitzeln.

 

V. Medaillon und Tartar von der Gelbflossenmakrele mit Erbsenallerlei, dazu Churchview Estate, Margaret River unoaked Chardonnay 2007

Das Medaillon von der Gelbflossenmakrele war einer der Höhepunkte des Menus. Besser hätte man es nicht zubereiten können, das relativ feste Fleisch hätte schon für sich allein stehen können und genau deshalb habe ich es getrennt von den Beilagen genossen. Der Chardonnay dazu war mir leider zu lasch, ich wüsste aber aus dem Stand auch nicht, was mir ausser Sake oder Pils besser hätte gefallen können.

 

VI. Cherry Valley Entenbrust mit Rote-Bete-Ravioli, Pak-Choi und Belugalinsen, dazu Domaine de la Martinelle (Beaumes de Venise) Rouge 2008

Ein anderer Höhepunkt des Mahls war der Entengang. Auf die Garkunst von Henri Bach ist Verlass, so dass ich das Entenfleisch nicht noch weiter belobhudeln will. Worauf es mir hier im Gegensatz zur Makrele ankommt, ist die Kunst der Beilage. Das Türmchen von der Roten Bete und der kleine Ravioli mit Roter-Bete-Füllung waren trotz ihrer ja eigentlich erdnahen natur zusammen mit der Ente dem Himmel schon sehr nah. Die Reise wäre aber nicht anzutreten gewesen ohne den roten Beaumes de Venise, eine Gegend, aus der ich bis dahin nur Süssweine getruinken habe. Allein hätte mir dieser Rotwein auch gar nicht geschmeckt, fruchtig war er, erdig, trocken, nicht uncharmant, etwas mehlig, sehr bodennah. Flügel wuchsen ihm erst, als er der Kombination von Ente und Roter Bete den letzten Schliff gab.

 

Wenn mir in einem Restaurant die Sauce besonders gelungen erscheint, dann nehme ich davon gern ein Espressotässchen für den Sologenuss. Hier musste ich ein Tässchen mit dem sensationellen Sesamjus haben, das ich in winzigen Schlückchen zusammen mit dem schon ganz irrational gut dazu passenden Beaumes de Venise wegschlürfte. Perfekt war an dieser Sauce alles, hervorheben muss ich die einzigartige Konsistenz der Sesamkerne. Die waren exakt bissfest, nicht mehr mehlig oder hart, aber auch noch nicht durchgeweicht und matschig, auch keine Abstufung irgendwo dazwischen, sondern exakt auf den Punkt. Sowas macht mich als Sesamfreund glücklich.

 

VII. Geschmorte und kurzgebratene Short Rib vom Angus-Rind mit Poweraden und Perlzwiebelpurée, dazu Côtes de Bourg, Château Falfas "Le Chevalier" 2005 ca. 2/3 Cabernet-Sauvignon und 1/3 Merlot von achtzig Jahre alten Reben, biodynamisch erzeugt

Dieser Wein scheint mir nicht geeignet, im Alleingang den Ruf einer in Vergessenheit geratenen Appellation zu restaurieren. Dazu erscheint er mir zu außergewöhnlich und untypisch für die Region, die ich aber – im Vertrauen – gar nicht besonders gut kenne. Zum geschmorten Rind, das ich mühelos noch Stunden lang hätte essen können, machte sich das Perlzwiebelpurée besonders gut, zum gebratenen Stück gefiel mir die Babyartischocke, deren Name so frappierend an ein isotonisches Getränk erinnert, besser.

 

VIII. Wölkchen von der Passionsfrucht, Sesamkrokant, Kokosnusseis und Zuckerblüte, dazu eine 2006er Riesling Beerenauslese von der Disibodenberger Klostermühle

Zum Passionsfruchtwölkchen hätte ich zu gerne und ganz gegen meine Gewohnheit und Vorliebe eine ältere Fleur de Passion von Diebolt-Vallois getrunken. Herr Voigt hatte aber eine – wahrscheinlich – bessere Idee. Er trug den Hauswein der großen deutschen Energierechtskanzlei Becker Büttner Held auf, deren Namenspartner Christian Held steht hinter diesem Weingut. Dass die Kollegen nicht nur etwas von Energie- und Infrastrukturrecht verstehen, wird schnell klar. Sonntägliches Toastbrot mit dick Butter und Honig drauf, dazu ein schöner Ceylon-Tee – oder ein Schluck vom Disibodenberger, dessen galoppierende Säure nach einem längeren Mahl jeden Schnaps ersetzt. Für das Passionsfruchtwölkchen war das schon eine Herausforderung, Sesamkrokant und Kokoseis dagegen verstanden sich auf Anhieb blendend mit dem Wein.

 

IX. Pitahayacrème mit Knallbrause, weißem Kaffeeeis und Schokobecher

Peta Zeta heisst die Knallbrause. Nun weiss ich es endlich, werde es mir aber wiederum nicht merken können, fürchte ich. Zur Pitahaya, die zu meinen Lieblingsfrüchten gehört, passte sie, so wie sie zu fast allen Desserts gut passen mag. Die Pitahayacrème war indes sehr delikat, mir wäre sie ohne Knalleffekt lieber gewesen. Auch Wein mochte ich dazu nicht kombinieren. Das konnte man schon eher mit dem weissen Kafeeeis machen, das sich ebensogut allein schön wegschlotzen liess. Der Schokobecher, so winzig er letztlich war, kam mir zu dem Zeitpunkt schon sehr mächtig vor. Zur BA passte er besser, als Pitahaya und Kaffeeeis.

 

X. Himbeertörtchen, Orangen-Brombeer-Törtchen, Physalistörtchen und Chilipraliné

Die Törtchen wollte ich eigentlich gar nicht mehr. Zwei Dinge brachten mich dennoch dazu, davon zu probieren. Einerseits: die völlig absurde Überlegung, wenn ich etwas frisches, fruchtiges nehmen würde, hätte das vielleicht eine erfrischende Wirkung und ich könnte mich danach noch dem Käse zuwenden. Andererseits: ausgerechnet die angebotenen Sorten gefielen mir alle sehr gut, einzig die Schokotrüffeltorte liess ich aus. Vielleicht hätte ich davon ein Stückchen nehmen sollen, die Törtchen waren überzeugend. Himbeere, wie ich sie aus meiner Kindheit in Erinnerung habe, Brombeeraroma wie von den Sträuchern die damals direkt neben den Himbeeren standen, Physalis und Orange, die gute Laune verbreiten. Völlig überrumpelt vom plötzlichen Ende meiner gastrointestinalen Aufnahmefähigkeit musste ich auf den Käse dann leider verzichten und trollte mich rüber in den Club B. Und was sich dort noch ergab, darüber bald mehr an dieser Stelle und in der Champagnerdepesche!

Vermischte Champagnernotizen

A. Vilmart, Premier Cru Rilly-la-Montagne, Grand Cellier d'Or 2002

80CH, 20PN, 8-9 g/l dosiert, 10-monatiger Fassausbau, kein BSA. Der Maître weiss nicht nur, wie man Kirchenfenster kunst- und eindrucksvoll anmalt, sondern er kann auch ebensolchen Champagner machen. Die Nase ist schon ein Vergnügen, Aprikose, Marille, Walnuss und immer ein paar eingesprenkelte Zitrusfruchtakzente duften wie eine altwienerische Konditorei, im Mund kommt der Eindruck von Kokosnuss, natürlich auch wieder von saftig reifen Zitrusfrüchten, Bratapfel, Calvados und Mandelgebäck hinzu. Für einen 2002er schon ein ziemlich wuchtiges Geschoss, aber eins mit enormer Präzision. Tip: kaufen und lagern.

B. Jean Baillette-Prudhomme, Premier Cru Trois Puits, Vieille Cuvée

80 PN, 10CH, 10PM. Marie-France, die Witwe von Jean Baillette und ihre Töchter Laureen und Justine tragen die Firmenphilosophie weiter. Deren wichtigster Inhalt ist, mit einem hohen Anteil an Reserveweinen zu arbeiten, meist um die 50%. Das führt unweigerlich zu Champagnern mit stark entwickelten Aromen und der Gefahr allzuvieler Oxidationsnoten. In dieser Cuvée ist aber nichts schiefgelaufen, sondern alles ist an seinem Platz. Da nervt kein überreifer, raumgreifender Apfel, da ist noch genug Frische und jugendliche Säure, neben leicht grasigen und an Trockenkräuter erinnernden Noten finden sich getrocknete Aprikosen, Sternanis und eine Mineralität wie von gemahlenen Steinchen.

C. Marquis de Marmontel, Blanc de Noirs

Eine seltene oder untypische Art von Champagner musste ich da blind konstatieren. Das war mir nachher gar nicht recht, war doch die Flasche auf Empfehlung hin gekauft. Aber egal, nun musste dieser im Vergleich mit dem Goria Ferrer wasserhelle Blanc de Noirs eingeschätzt werden. Die Perlage war nur bemerkenswert hinsichtlich ihrer untypisch tumb-groben Bläschen. Zum Glück gebe ich auf Äußerlichkeiten und speziell die Bläschen nicht sehr viel, ein gutes Zeichen war es trotzdem nicht. In der Nase schwer einzuordnen, die weinige, auch etwas mehlige Art sprach für Pinot Noir, wobei ich auf einen Anteil im 80%-Bereich getippt habe. Im Mund nun auch nicht gerade everybody's darling, sondern ein etwas verstockter junger Adliger. Mittlerer Druck am Gaumen und ein immerhin sehr ordentlicher, mittellanger Säureteppich ohne Bruchkante am Schluss. Mit Luft und Zeit zog sich der ganze Champagner am Ende noch gerade, aber das Zeug zum Publikumsliebling hat er nicht.

D. Doquet-Jeanmaire, Coeur de Terroir 1996, dég. 6. Okt. 2008

60 CH, 40 PN Das Haus ging 2004 an Laurent-Perrier; der Junior Pascal Doquet führt einen Teil des Betriebs unter seinem in der Biowinzerszene schon jetzt ganz klangvollen Namen weiter. Im Glas also ein Champagner, dessen Grundweine seine Eltern im Jahr 1996 gelesen hatten, dessen Cuvée 1997 in die Flasche kam und nach einer luxuriösen Lagerzeit von elf Jahren dégorgiert wurde. Farblich noch sehr hell, in der Nase dagegen die eigentümlich reife Art noch nicht so lang dégorgierter älterer Jahrgänge. Diese Spötdégorgements sind ja alle ein wenig paradox angelegt, von der Feinhefe gegen Oxidation geschützt und aromatisch verfeinert, wenn nicht sogar überfeinert, wie ein Messer, dessen Klinge so lange scharf gewetzt wird, bis es mangels Masse schartig wird. Der als Terroirchampagner annoncierte Jahrgangsblubber hatte das angereifte, aber bei weitem noch nicht reife Auftreten einer schwangeren Vierzehnjährigen. Haselnuss, Milchschokolade und Äpfel konnte man erkennen, Säure war in gewissem Umfang da und trug dazu bei, dass der Champagner aromatisch nicht ins Infantile kippte. Mit Luft legte der Champagner merklich zu und füllte die noch vorhandenen Reifelücken gut auf.

E. Gerard Littière, Mill. 2004

Der Name Littière ist in Oeuilly allgegenwärtig, wenngleich in der champagnertrinkenden Öffentlichkeit nicht annähernd so bekannt wie der Name Tarlant. Dieser Jahrgangsvertreter war noch ersichtlich jung und keiner von den phantasievollen, geheimnisumwitterten oder gar magischen Champagnern. Solide gemacht, mit sauberem Lesegut, bisschen mineralisch, bisschen fruchtig, mit einer etwas angelernt wirkenden Eleganz, ohne besonders herausragenden Jahrgangscharakter. Man muss vielleicht dazu noch sagen, dass Jahrgänge wie 2002 und 2004 für die meisten Winzer und großen Häuser Fluch und Segen zugleich sein dürften. Denn diese leichten, ätherischen, elfenhaften Jahre werden in der Hand eines untalentierten, industriell oder nachlässig arbeitenden Kellermeisters schnell zu austauschbarer und gesichtsloser Ware. Nur derjenige, der erstens über erstklassiges Lesegut und zweitens über das notwendige feine Gespür für diese Art von Jahrgang verfügt, wird daraus sagenhaft langlebige, schwerelose Champagner komponieren können.

F. Voirin-Jumel BdB Cuvée 555 élevé en fûts de chêne

Die Cuvée hat ihren Namen nicht etwa vom Fassungsvermögen der für den Ausbau verwendeten Holzfässer; sondern daher, dass Cramant ein ganz kleines Nest mit nicht einmal tausend Feuerstellen ist. Die paar Häuschen wurden einfach fortlaufend durchnumeriert und der Sitz von Voirin-Jumel bekam die Nummer 555. Tochter Alice spricht sehr gut deutsch, was den Besuch vor Ort für viele Altsprachler komfortabler macht – und was Komfort betrifft, gehört Voirin-Jumel zusammen mit Eric Isselée zu den beiden einzigen Anbietern des Örtchens, die ein modernes Apartmenthaus für zehn und mehr Gäste anzubieten haben. Fragen lohnt sich, die Kurse sind human. Der Champagner zeigte sich zurückhaltend, mineralisch, mit spürbarem, aber unaufdringlichem Holz, Apfelaromatik und einigermassen eleganter, langer Säure. Kein Knaller, der auf Verkostungen erstaunte Gesichter hinterlässt, aber ein solider Holzfasslchampagner, der in ambitionierten Restaurants übers amuse gueule hinaus eine gute Figur zum Essen macht.

G. Lemaire-Rasselet Brut

Reif, oxidativ, etwas einfach, aber vollmundig. Der Winzer, der am westlichen Ortsausgang von Boursault in Richtung Oeuilly am Waldesrand wohnt, macht einen von einer flüchtigen Holzandeutung und beachtlichem Reserveweinanteil geprägten Champagner. Dem Dreimädelchampagner von Baillette-Prudhomme insofern nicht unähnlich, aber etwas grober gestrickt.

Piper-Heidsieck spart (Arbeitsplätze ein)

Das Reimser Haus, dessen gehobene Champagner in Deutschland praktisch niemand kennt, streicht etwas mehr als ein Viertel seiner Arbeitsplätze. Damit gibt sich eines der ersten Opfer der als Champagnerkrise viel betratschten Kurskorrektur zu erkennen. Warum es gerade Piper-Heidsieck so drastisch trifft? Vielleicht, weil man dort in den letzten Jahren allzusehr auf den Supermarkt gesetzt hat. Die Versuche, im Prestigebereich etwas, z.B. Marktanteile, (an sich) zu reißen, sind eher mißglückt und zumindest in Deutschland hat sich die von Piper beauftragte Distributionsgesellschaft damit schlicht keine Mühe gegeben.

Die von Jean-Paul Gaultier gestaltete Lack-Corsagen-Cuvée dürfte sich stärker auf ebay und im sonstigen grauen Markt verkauft haben, als über reguläre und gewinnträchtige Vertriebskanäle. Auch die unfassbar originelle Kopfstandversion von Viktor & Rolf oder zuletzt "Le Rituel", der Champagnerschuh in Zusammenarbeit mit Christian Louboutin, haben zwar ihren Platz im Pariser Designkaufhaus Colette, aber nicht in den Weinschränken und Impitoyables der Champagnerfreunde gefunden.

Dabei sind die Champagner von Pipers Kellermeister Régis Camus nicht schlecht. Sie reifen teilweise sogar charaktervoll und schön, sogar der einfache Standardbrut mit dem markant roten Etikett entwickelt ein beachtliches Flaschenbouquet. Und selbst die Fachwelt staunte nicht schlecht, als Piper mit dem 79er und dem 88er einige alte Jahrgangsversionen des "Rare" hervorkramte, mit dem 98er einen aktuellen Jahrgang dreingab und mittlerweile in seinen erst kürzlich eröffneten Airport-Boutiquen auch noch einen 99er feilbietet.

Das wiederum passt zum jetzt verkündeten Strategiewechsel mit Schwerpunkt im Luxussegment. Aber ob das so einfach werden wird? Wer erst jahrelang mit Macht den Billigheimer gibt und sich dann gegenüber Vranken-Pommery-Monopole, den Genossenschaften von Jacquart (CRVC), Nicolas Feuillatte (CV) und Union Champagne beugen muss, wird Schwierigkeiten haben, den untenrum ramponierten Ruf beim Edeltrinker fruchtbar zu machen. Und was wäre denn aus der Mitte des Portfolios zu erwarten? Nun, da gäbe es beispielsweise die Sauvage-Serie. Die ließe sich dem aktuellen Ultra-Brut-Trend anpassen. Dann gibt es natürlich einen Jahrgangschampagner, der freilich noch nie für Aufsehen gesorgt hat. Einen Premier- oder Grand Cru sucht man vergebens. Auch Blanc de Blancs oder Blanc de Noirs finden sich nicht, ebensowenig eine Cuvée du Fondateur, eine Holzfasslchampagner oder eine Einzellage – alles Spielarten, mit denen andere Häuser im Moment bei den Liebhabern Neugier erwecken und punkten. Stattdessen hat es da einen süßlichen Sublime und eine Babybottle. Das eine liegt gerade am entgegengesetzten Ende des Trends, das andere steht im aufzehrenden Wettbewerb mit POP Pommery, den Feuillatte-Piccolöchen, Heidsiecks kleinen Blue-Tops und Clicquots Minibuddeln. Aber man wird sehen, was Konzernmutter Rémy-Cointreau draus macht.

Champagner-Umfrage: die Ergebnisse

Hier sind die Ergebnisse meiner kleinen Schaumwein-Umfrage

the results of my sparkling-survey

1. bei der Frage nach Champagner oder einem Alternativsprudler war die Tendenz deutlich

the majority went for champagne instead of alternative sparklings

– Champagne 76,47%
– anderer Schäumer/other sparkling 5,88%
– manchen war es auch egal/don't care 17,65%

2. Noch klarer ist die Farbpräferenz

colour preferences were even clearer

– weiss/white 84,31%
– rosé 5,88%
– beides gleich gut fanden/both 9,80%

3. die Liebhaber des Blanc de Blancs überwogen

blanc de blancs rules

– BdB 47,06%
– BdN 29,41%
– beides gleich gut oder egal fanden/both 23,53%

4. auch die Jahrgangsfraktion ist stark

vintage, too

– mit Jahrgang/vintage 66,67%
– jahrgangslos/NV 15,69%
– mal so mal so mögen es/depends 17,65%

5. die jungen Früchtchen kommen nicht so gut an

nolita

– jung und sexy/barely legal 19,61%
– reif und schön/milf 58,82%
– mal hier und mal da naschen wollten/nibble on both 21,57%

6. die Winzer sind beliebt

growers have strong support

– Grande Marque/big house 17,65%
– vigneron indépendant/grower 56,86%
– auch hier gab es viele Wechselwähler/changelings 25,49%

7. knochentrocken lautet die Devise

dosage: the lower the better

– Ultra Brut 88,24%
– zum sugardaddy bekannten sich nur/candy shop's almost closed with a mere5,88%
– und das ganze Spektrum wollten ebenfalls nur/take 'em all no matter how much sugar's in there 5,88%

8. die Einzellagenfreunde waren in der Mehrzahl

single action strikes

– Monocru/single vineyard 49,02%
– Gebietsverschnitt/blend 25,49%
– aus Kosten- oder anderen Gründen nicht festlegen wollten sich/not sure 25,49%

8. Freunde der Kathedralenstadt fanden sich nicht so viele, Krug-Fans dafür um so mehr

looks like the krugists did not support the city of reims

– Reims 19,61%
– Epernay 49,02%
– unentschlossen oder egal/whatever 31,37%

10. trotz des Bekenntnisses zum Winzerchampagner konnten sich nicht so sehr viele zum Starwinzer durchringen. Vielleicht deshalb, weil Krug ja selbst so etwas wie ein grosser Kultwinzer ist

Krug defeats Selosse

– Krug 41,18%
– Selosse 29,41%
– einige konnten zu einem oder beiden Champagnern nicht so viel sagen und blieben deshalb unentschieden/some haven't had enough drinking experience with any or both of the producers 29,41%