Back to Top

Tag Archives: 1985

Belle Epoque und Grande Dame im Champagnerleistungszentrum

Im Champagnerleistungszentrum treffen nicht nur junge Talente aufeinander und messen sich im friedlichen Wettstreit, nein, auch die alten Kämpen müssen zeigen, ob sie noch Dampf haben. Selbst alter Adel wie der einer Grande Dame und einer Belle-Epoque schützt nicht vor dem unerbittlichen Blick unter den Rock.

Veuve Clicquot, Grande Dame 1985: wuchtig, herb und sehr füllig. Im Glas war der Champagner dann weniger alte Witwe, als vielmehr ziemlich knackiges, wenngleich nicht mehr ganz taufrisches Mädel. Ein schicker Twen, was ja auch zum Jahrgang paßt. Verhaltene Säure und sehr viel weinige Würze, Andeutungen von Milchkaffee, Karamell, Buttertoffee und Kakao, aber alles wirklich nur hauchfein und in den nächsten Jahren sicher immer stärker werdend. Dieser elegante, noch herzhaft jugendlich wirkende Champagner spricht sehr für das Haus, bzw. die Kunst des seinerzeitigen Kellermeisters Peters. In der Jugend sind die Champagner immer haarscharf zu hoch dosiert für meinen Geschmack – passen dafür aber zu zahlreichen Speisen sehr gut, dazu gleich mehr -, im Alter zeigt sich dann, was die Réaction Maillard alles vermag. Korrespondierende Speisen waren:
– Brunnenkressesuppe mit pochiertem Wachtelei: definitiv kein dreamteam zur Grande Dame, die beiden standen sich in respektvollem Abstand gegenüber, bzw. einander zur Seite, gingen aber keine harmonische Allianz ein. Getrennt voneinander am besten, zusammen war mir die Mixtur zu spannungsvoll.
– Jakobsmuschel mit hauchdünnem Cräcker auf blanchiertem Kohl: sehr schmackhaft, Jakobsmuschel und Champagner sowieso, in Verbindung mit dem kleingeschnipselten Kohlgemüse und dem Keks dann noch einmal bereichert.
– Kaninchen mit Linsen und Speckschaum: eine Spitzenkonstellation, für Liebhaber von herzhaften Variationen rund um den Speck ein besonders schönes Erlebnis. Dankenswerterweise war das Kaninchenfilet mit einem schützenden und gut harmonisierenden Teigmäntelchen versehen, zusammen mit den reifen Noten der Grande Dame wundervoll.

Es folgte

Perrier-Jouet Belle-Epoque 1983. Ein erstes kleines Stinkerle im Glas wich schnell, mit Zeit und Luft wurde ich dann auf Kosten der von vornherein optisch müden Perlage Zeuge eines kleinen Chardonnaywunders im Glas. Bei älteren Belle Epoques zeigt sich eben immer wieder die grandiose Standfestigkeit der Cramantchardonnays. Die Nase betörend mit kandierten Zitrusschalen, der Mund von stahlharter Säure ausgekleidet, mit langem, feinstprickelndem Nachhall. Dazu gab es:
– Stubenküken mit Knoblauchconfit: Köstlich! Punkt.
– auf der Haut gebratenen Zander samt Fenchelgemüse: ebenfalls eine ausgezeichnete Kombination und ein würdiger Platzhalter für das als Auftakt genossene 2005er Leitz'sche Magdalenenkreuz.

Die crème brûlée hatte mit den Champagnern nichts mehr zu tun und vertrug sich dementsprechend bestens mit Barbeitos 1978 Madeira Verdelho, nach dem Käffchen gab es dann Reisetbauers Elsbeere, ein Brand den man am liebsten inhalieren will, bis das Glas leer ist. Schmeckt aber auch so ganz gut, wenn man Schnaps mag.

Fazit: Beide Prestigechampagner verwöhntem auf sehr hohem Niveau, zeigten sich den Speisen überwiegend gewachsen, wobei die Grande Dame in der Konfliktsituation mit dem Ei weniger gut abschnitt, als die Belle-Epoque mit dem Knoblauch.

Silvesterchampagner

I. Gloria Ferrer Sonoma Brut

Ca. 90PN, 10CH, ca. 25% Tête de Cuvée, 20 Grundweine; 18 Monate Hefelager, 13g/l Dosage.

Saftig, mostig, Gummibärchennase. Reduktiv. Duft und Geschmack von Birne, Melone und rotem Apfel, mit Luft etwas röstig. Trinkt sich wie frischer Saft, etwas unchampagnerhaft, aber dadurch nicht schlechter.

 

II. Besserat de Bellefon Cuvée des Moines Rosé

30CH, 30PN, 40PM. Crémantstil, mit etwas weniger Flaschendruck und sehr crèmiger, sahniger Textur. Zunächst Duft von Buttercrèmetorte, Geschmack von Brombeerjoghurt, eher schwer am Gaumen. Dann entwickelt sich mehr und mehr Brioche, eine sanfte Röstaromatik gepaart mit frischer, sahniger Butter, immer noch sehr dicht.

 

III. Henri Germain Cuvée Bicentenaire 1789 – 1989, en Magnum (763/5000)

Das Haus existiert nicht mehr, die Marke gehört seit 1999 zu Vranken-Pommery. Beim einschenken sehr hell für sein Alter. In der Nase irgendwo zwischen metallischer und röstiger Aromatik. Kaffeebohnen und Kastanienschalen, wandeln sich mit Luft in deutlicher ausgeprägte Kaffee- und Nussnoten um, später kommen Röst- und Champignonaromen dazu. Leider nicht mehr sehr viel Frucht, sonst hätte ich ihn wesentlich besser gefunden. So überwogen die Altersaromen.

 

IV. Arunda-Vivaldi Blanc de Blancs Extra Brut, Mise en Cave 2002, dég. 04/2008, en Magnum

100CH, 36 Monate Hefelager.

In der Nase anfänglich etwas irritierend, mit Moosbeere, vielen spinatigen, vegetabilen Aromen, grünen Kaffeebohnen, altem Männerschweiss, Campher. Im Mund der Eindruck eines zu hoch dosierten Champagners, fast klebrig am Gaumen und nicht sehr lang. erst mit der Zeit und sehr viel Luft ändert sich der Gesamteindruck. In der Nase zeigen sich komplexere Aromen, alles wirkt durchkomponierter und ansprechender, auch im Mund entfaltet sich das nicht unattraktive herbe Beerenaroma deutlich und ohne störende Nebentöne.

 

V. Bernard Tornay Grand Cru Palais des Dames

50PN, 50CH aus Bouzy und Ambonnay.

Kirschnase, Toffifee, verlockend fruchtig wie ein Kaubonbon. Im Mund dann ebenso lang, lebhaft und saftig, wie in der Nase angekündigt.

 

VI. Bernard Housset Rosé

Rotfruchtig und etwas kakaodurchsetzt, gesalzene Mandeln, Apfelchutney, aber alles ziemlich zurückhaltend. Im Mund ebenfalls zurückhaltend, aber sauber. Der Chaoswinzer schafft es doch tatsächlich, einen anständigen Champagner herzustellen!

 

VII. Perrier-Jouet Belle Epoque 1985, en Magnum

50Ch, 45PN, 5PM. Reife, würzige Kaffee-, Vanille- und Röstnase. Im Mund dann viel jugendlicher und frischer, als die Nase vermuten ließ. Lebhafte, alerte Säure, die sich gut mit der fetteren Milchkaffeearomatik verträgt und dem Champagner eine leichte, elegante Erscheinung verleiht. Sahnebonbon und eine gleichzeitig vorhandene flintige Note erinnern an den starken Cramantchardonnayanteil. Der Champagner wirkt nie unbalanciert oder einseitig und behält seine trainierte, athletische, gleichzeitig damenhafte Form stets bei.

 

VIII. Picard-Collard Premier Cru Rosé de Merveilles, demi-sec, élevé en fûts de chêne

Junges Haus mit ehrwürdigen Wurzeln: Olivier Collard ist der Enkel von René Collard aus Reuil, seine Frau Delphine Picard ist die Cousine von Chantal Gonet von Champagne Phillippe Gonet in Le-Mesnil. So kommen mächtige Chardonnays aus Le-Mesnil und raffinierte Meuniers aus der Vallée de la Marne zusammen. In der Nase hat dieser rare Rosé demi-sec Kaffeekränzchenduft mit Schwarzwälder Kirschtorte, Linzer Torte, Frankfurter Kranz und Mon Chéri. Im Mund deutlich ausgeprägte Süße, aber durch den hohen Säureanteil – der Champagner durchläuft keinen biologischen Säureabbau – noch im Rahmen des erträglichen. Viel Kirsche, gleichzeitig buttrig und zartschmelzig.

 

IX. Jean Moreau Grand Cru Millésime 2002

70PN, 30CH. Der Erzeuger hat seinen Sitz direkt neben dem Clos d'Ambonnay von Krug. Der Champagner ist in der Kooperative vinifiziert, neben Toffee und einem schwierig zu identifizierenden Aroma, das an Dresdner Christstollen und Nusssplitter/Krokant erinnert, finden sich noch Spuren von Zitrus. Im Mund glatt, eine Textur wie Marzipanrohmasse.

Dom Pérignon 1952 bis 1990

 

I. 1952

Flasche im Top-Zustand, einwandfreies Etikett, vielversprechender, sehr hoher Füllstand, was beim Dom aber wegen der Halsform sowieso immer schwierig zu beurteilen ist. Der Korken ließ sich mühelos rauszupfen und war erwartungsgemäß geschrumpft. Undichtigkeit war aber nicht zu entdecken. Im Glas wenig, aber sehr sehr feine Perlage, in der Nase noch Toast, aber doch überwiegend saure, krautige und nussige Töne. Im Mund wenig Aufruhr. Nicht schal, aber schon ziemlich fertig.

 

II. 1959

Tiptop-Flasche, was angesichts der Probleme mit unebenen Flaschenhälsen und demzufolge Leckagen im Überfluss schon einen gehobenen Genusshorizont provozierte. Der Korken kam leicht raus, ein schwaches Seufzen war allenfalls noch zu vernehmen. Leider schien das die gesamte Restkohlensäure gewesen zu sein. Im Glas ließen sich die Perlen an einem Daumen abzählen. Nase war durchaus beschwingt und leicht, man konnte Größe ahnen. Im Mund nur noch abgestandener Apfelsaft mit Sherry. Unsagbar schade.

 

III. 1962

Von der Flasche hatte ich gar nicht viel erwartet, nachdem meine Erfahrungen mit dem ach so großen 59er doch ernüchternd waren. Der Flaschenzustand war auch nicht besonders, zumindest der Füllstand war aber ok. Der Korken kam locker aus der Flasche, Besonders gezischt hat's leider nicht. Beim einschenken dann die erste freudige Überraschung, süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll den nervus olfactorius. Hauptsächlich pilzige, aber auch toastige und apfelige Noten, ein etwas schwieriger, klebriger Tabakduft ist auch dabei, wie der von Büchern aus einem Pfeifenraucherhaushalt; Kokosmakronen und Mandeln. Im Mund noch eine handzahm gewordene Säure und ein mildes, weiniges herabgleiten, leider nicht mehr. Wie schön muss es sein, diese Flasche als Oenothèque zu bekommen.

 

IV. 1964

Keine besonders gut gelagerte Flasche, so der erste optische Eindruck. Aber was soll's, Überraschungen kann man mit den hässlichsten Flaschen noch erleben. Vom 64er darf man sich angenehme Überraschungen erwarten; ganz so war es leider nicht, vielleicht hätte eine tadellose Flasche doch mehr gebracht. Nicht, dass der Dom schlecht oder kaputt war, aber für den prominenten Jahrgang fehte einfach etwas Pfiff. Verglichen mit dem 62er vielleicht auf Augenhöhe. Mehr Toast und geschnittener Champignon, insgesamt eine Tendenz in die kräuterige Richtung, auch mit einem ganz leichten Marihuanaduft und einer milden Süße am Gaumen, von der ich vermute, dass sie sich vor allem deshalb ausgebildet hat, weil die Flasche mal zu warm geworden ist – aber das ist Spekulation.

 

V. 1966

Diese Flasche stammt aus einem Päckchen, dass ich zum Geburtstag eines englischen Kunden zusammengestellt habe. Weil die Gelegenheit und vor allem der Flaschenpreis günstig war, habe ich mir eine Buddel von dem 66er auf Seite gelegt. Beim Öffnen der Flasche zeigte sich, dass die Entscheidung gut und richtig war. Wenig Druck, geschrumpfter Korken, beim Eingießen keine besondere olfaktorische Sensation, aber im Mund dann ein Champagner, der sich mit den Jungburschen noch messen konnte. Mit Luft entwickeln sich sehr reife, auch schon anmaderisierte Nusstöne, Apfel, viel Kräuter, aber auch die appetitanregenden Aromen von Ragout Fin im Blätterteig, am Gaumen nur ganz schwacher Kohlensäuredruck, aber eine kühlende, an naturtrübe Apfelschorle erinnernde Art, die viel Trinkfreude bereitet – nicht weil sie unkompliziert und doff ist, sondern weil sich die gesamte Erscheinung und Aromatik des Champagners darauf zuspitzt.

 

VI. 1969

Einwandfreie, sehr gut gelagerte Flasche, aber scheinbar kein wirklich ganz großer Dom. Unter der jungfräulichen Folie nur wenig Druck, kleiner Korken, eine etwas zu verschlossene Art, als habe da jemand sich einfach überschlafen. 1969 ist ein Jahr, das noch sehr muntere Champagner bringen kann, daher fand ich es etwas schade, von diesem Dom nicht mehr gezeigt zu bekommen. In der Nase ein den Toast überwiegender mineralischer, aristokratischer, aber auch ziemlich unzugänglicher Eindruck. Im Mund seltsam hohl, nicht, dass er überhaupt nach nichts geschmeckt hätte, aber eben auch nicht besonders elegant, auch nicht besonders typisch, sondern einfach nur wie ein sehr guter, aber nicht überragender alter Champagner.

 

VII. 1970

Ich hielt 1970 immer für ein völlig belangloses Jahr und wurde erst sehr spät wachgerüttelt. Offenbar sah man das nämlich in den späten 70ern und 80ern durchaus anders, denn viele 1970er begegnen einem heute nicht mehr. Sie werden anderen geschmeckt haben. Sehr gut geschmeckt hat auch der 1970er Dom. Vor allem, da ich damals gar nichts davon erwartet habe. Aber was war das für ein fröhlicher, saftiger, rundum aufgeräumter Champagner, fast schon zu lebensfroh für einen Dom, dessen Stilistik doch eher elegant als zupackend trinklustig ist.

 

VIII. 1971

Aus den Siebzigern nach meiner Ansicht einer der schwächeren Doms, vom 78er mal abgesehen. Ich kenne den 71er nur als schon ziemlich fertigen, zwar noch walnussigen, aber mehrheitlich maderisierten, günstigstenfalls "leckeren" Champagner, wobei lecker hier im Gegensatz zum 66er nichts weiter bedeuten soll, als dass er sich bedenkenlos wie Apfelsaft trinken lässt und auch höchstens so viel Aufmerksamkeit verdient. Aus diesem Jahr lohnt es sich eher, die deutschen TBAs zu kaufen.

 

IX. 1973

Das nun wieder ist großer, ganz großer Champagner! Vielleicht war der 71er vor fünf bis zehn Jahren mal so. Beide schmecken esentlich jünger als der 66er, mit einer Kraft, mit einem Ausdruck, mit einer Gewandtheit, die besonders beim 73er begeistert. Wüßte ich es nicht besser, ich hätte nicht auf 73 getippt. Der Champagner wirkt gut und gerne fünfzehn Jahre jünger, wie ein guter 89er oder 90er, nur mit mehr Tiefe, dafür weniger Druck. Hier findet sich die einmalig schöne Balance aus reifem Chardonnay und Pinot, die großen Champagner ausmacht. Reife Säure, zarter, fast milchschokoladiger Schmelz, Kräuterbonbons, dunkler Kandis, Earl Grey. Im Mund nicht pappig, klebrig oder mühsam zu schlucken, wie man das schonmal bei altem Wein haben kann, sondern ein Champagner, der wie ein Nebel die Kehle herunterwandert.

 

X. 1975

Kork.

 

XI. 1976

Auch der 76er Dom ist ein herrliches Gewächs. Leider habe ich den nie zusammen mit dem 73er getruken, aber ich stelle mir vor, dass die beiden bei allen Unterschieden doch nicht leicht auseinanderzuhalten sind. Beide sind kraftvoll, jugendlich, auch etwas ungestüm, der 76er vielleicht mit etwas mehr Kohlensäure und Knackigkeit, aber ich würde sagen, nur um wenige Nuancen mehr. Toastbrot, Brotrinde, auch eine kalkige Nase findet sich da, roter Johannisbeersaft, kandierte Orangenschalen, kurz: ein Champagner, der noch immer nicht ganz ausgereift ist und noch eine ganze Weile bezaubern wird.

 

XII. 1978

Schwaches Jahr, schwacher Champagner, so scheint's, auch wenn es Varainzen nach oben hin geben mag. Mich hat der 78er leider nicht begeistern können. Unbegreiflich vor allem, warum es einen 78er, aber keinen 79er Dom gibt.

 

XIII. 1980

Nett, aber nach zwanzig Jahren nicht mehr so überzeugend, wie vielleicht während seiner ersten Reifephase. Die Flasche war vielleicht nicht völlig einwandfrei gelagert worden, ich habe auch nicht so wahnsinnig viele 1980er Champagner getrunken, aber ich habe den Eindruck, dass das Jahr einfach nicht für die Ewigkeit angelegt war. Wahrscheinlich einer der Doms, die wie 98, 99, 00 in den ersten fünf bis sieben Jahren passabel schmecken, einen dann im Ungewissen über ihr Potential lassen und dann urplötzlich tot sind.

 

XIV. 1985

Champagner von der strukturierten, architektonisch gegliederten Sorte. Mir fehlt da der Zauber, das überirdisch Leichte, die schwebende, schwerelose Aromatik.Ich glaube auch nicht, dass sich bei diesem Dom noch viel tun wird, dafür ist er einfach zu schwer und in diesem Alter verliert ein Champagner keinen Geschmacksballast mehr. Alles in allem natürlich ein guter Champagner, der sich aber zu Doms aus besseren Jahrgängen verhält wie eine Schwarzbrotstulle zu Pain Poilâne.

 

XV. 1990

Einer meiner Lieblingsdoms, leider habe ich den Eindruck, dass mit den Neunzigern auch die Zeit der viel zu vielen unnötigen Jahrgänge anfing, die Zeit der abnormen Flaschenvarianzen und der Unbeständigkeit. Gleich mehrfach erlebt habe ich das beim 90er, der in guter Form zur ersten Garnitur der Champagne gehören kann, der aber aus welchen Gründen auch immer dazu neigt, eng, "nur" zitrusfrisch und apfelig und, ohne Verdacht auf Korkschleicher, seltsam eindimensional zu schmecken. In Hochform der Archetyp eines ausbalancierten Jahrgangschampagners. Die Besonderheiten des Jahrgangs schmecken durch, aber der ätherische, mühelose Hausstil bleibt federführend. Für mich ein Champagner, der sich wie Sauerstoff verhält, zum weginhalieren.

 

 

XVI. 1990 Oenothèque, dég. 2003

Im Herbst 2009 getrunken, zeigte sich die Oenothèque in Topform. Bei späten Dégorgements stehe ich oft vor dem Problem, dass die Champagner nach der Freigabe schneller altern, als ihre regulär freigegebenen Pendants, so als müssten sie die Flaschenreife ihrer Jahrgangskollegen aufholen. Diese Oenothèque war von wundervoller fester Crèmigkeit, reifem Toast und heißem Butterdurft, einer entfernten Ahnung von Jod und Pilzen, roten und grünen Äpfeln, Preiselbeere, ein ganzes Erntedankfest könnte man meinen. Im Mund mit einer Säure in den besten Jahren, langem, varianten- und finessereichem Gaumenzauber und einer abschließenden Süße, die ahnen lässt, dass der Champagner demnächst in sein letztes Reifestadium eintreten wird.

 

 

XVII. 1975 Rosé

Leider kenne ich den 75er Dom in weiß aus eigener Verkostungserfahrung nicht anders, als korkig. Der Rosé aus dem selben Jahr hingegen war ein sehr ordentlicher Vertreter. Alte Rosés sind ja oft so eine Sache, wenn zu viel Pinot im Spiel ist, werden sie schnell etwas streng, wenn zu viel Chardonnay drin ist, verlieren sie mit der Roséfärbung auch ihren speziellen Charakter. Bei diesem begann der Pinot die Oberhand zu gewinnen, die feinen nussigen und toastigen Aromen wurden mehr und mehr von kräftig rotftuchtigen Pinottönen verdrängt und mussten sich mit Luftzufuhr der Waldbodenaromatik beugen. Insgesamt eine immer noch sehr schöne Trinkerfahrung, aber die jüngeren Rosés gefallen mir meist besser.

 

 

XVIII. 1985 Rosé

So uninspiriert und routiniert der weiße 85er Dom war, so verspielt, künstlerisch, aber eben nicht artifiziell war der Rosé. Himbeer-Erdbeer, Kirsche, ein Schokoladenunterton, saftiges, frisches Früchtebrot, insgesamt ein Duft wie in der Confiserie. Im Mund läft Druckwelle über Druckwelle gegen den Gaumen, darauf surfen halsbrecherisch die einzelnen Komponenten im Wettstreit gegen die nonchalante Säure. Vielleicht einer der besten Doms die ich je getrunken habe.

Besuch der alten Dame: Grande Dame 1985

Gestern gab es Veuve Clicquots Grande Dame 1985. Die war schon in der Nase exakt so, wie auf der Kapsel: wuchtig, herbe, sehr füllig. Im Glas war der Champagner dann weniger alte Witwe, als vielmehr ziemlich knackiges, wenn auch nicht mehr gaanz taufrisches Mädel. Ein schicker Twen, was ja auch zum Jahrgang paßte. Verhaltene Säure und sehr viel weinige Würze, Andeutungen von Milchkaffee, Karamell, Buttertoffee und Kakao, aber alles wirklich nur hauchfein und in den nächsten Jahren sicher immer stärker werdend. Dieser elegante, noch herzhaft jugendlich wirkende Champagner spricht sehr für das Haus Clicquot, in der Jugend sind die Champagner immer haarscharf zu hoch dosiert für meinen Geschmack – passen dafür aber zu zahlreichen Speisen sehr gut, dazu gleich mehr -, im Alter zeigt sich dann, was die réaction Maillard alles vermag. Korrespondierende Speisen waren:

– Brunnenkressesuppe mit pochiertem Wachtelei, kein dreamteam zur GD, die beiden standen sich in respektvollem Abstand gegenüber, bzw. einander zur Seite, gingen aber keine harmonische Allianz ein. Trotzdem lecker und spannungsvoll.

– Jakobsmuschel mit hauchdünnem Cräcker auf blanchiertem Kohl, sehr schmackhaft, Jakobsmuschel und Champagner sowieso, in Verbindung mit dem kleingeschnipselten Kohlgemüse und dem Keks dann noch einmal bereichert.

– Kaninchen mit Linsen und Speckschaum, eine Spitzenkonstellation, für Liebhaber von herzhaften Variationen rund um den Speck ein besonders schönes Erlebnis. Dankenswerterweise war das Kaninchenfilet mit einem schützenden und gut harmonisierenden Teigmäntelchen versehen, zusammen mit den reifen Noten der Grande Dame wundervoll.

Dann war die GD leer und es folgte Perrier-Joeut Belle-Epoque 1983. Erst kleines Stinkerle im Glas, mit Zeit und Luft dann auf Kosten der von vornherein optisch müden Perlage ein kleines Chardonnaywunder im Glas. Bei älteren Belle Epoques zeigt sich eben immer wieer die grandiose Standfestigkeit der Cramantchardonnays. Die Nase betörend mit kandierten Zitrusschalen, der Mund von stahlharter Säure ausgekleidet, mit langem, feinstprickelndem Nachhall.

– dazu Stubenküken mit Knoblauchconfit, köstlich! Punkt.

– zum auf der Haut gebratenen Zander samt Fenchelgemüse ebenfalls eine ausgezeichnete Kombination und ein würdiger Platzhalter für zB Leitz’ Magdalenenkreuz.

Die crème brûlée vertrug sich dann bestens mit Barbeitos 1978 Madeira Verdelho, nach dem Käffchen gab es dann Reisetbauers Elsbeere, ein Brand den man am liebsten inhalieren will, bis das Glas leer ist. Schmeckt aber auch so ganz gut.

Bordeauxsause in der Gesellschaft Harmonie

A. Bordeaux

Opener: Jakob Neumer, Riesling, Uelversheimer Tafelstein 2005

I.1 1986 Beau-Séjour Bécot

Entwickelte, rotbeerige, mit Pflaumenmus angereicherte Nase, im Mund crèmig, leicht, mittellang, wenig, aber milde, reife Säure (85)

I.2 1989 Grand Puy Ducasse
Dunkel, würzig, cassis- und graphitdurchsetzte Nase mit grtrocknetem Kräutersträußchen. Im Mund kühl, gegenüber dem Beauséjour länger und entwicklungsfreudiger (86)

II.1 1987 La Mission Haut Brion
Von Beginn an starke, sehr präsente Nase, erinnert vom Grundton an den heißen Fettrand vom T-Bone Steak, dazu Eau de Vie de Kirsch und Preiselbeersauce, zwischen Rosenblüten und Minzblättern, später auch mit Nivea eingecremtes Wildleder, etwas balsamisch; im Mund dann eine passgenaue Struktur, entwickelt, dabei butterweiches Tannin (92)

II.2 1991 La Mission Haut Brion
Zunächst eine etwas angebrannte Liebstöckelnase und Brombeeren, wirkt ganz stattlich, im Mund dennoch etwas flacher, dünner, gleichzeitig seidiger als der 87er, entwickelt sich mit Luft noch ganz erfreulich und macht in fünf Jahren vielleicht sogar noch mehr Spass (89+)

III.1 1991 Talbot

Reisgebäcknase, Schmoraromen, Spuren von Liebstöckel, kirschfruchtige Nase, Mandelkerne. Etwas enggeschnürt, aber zum Roastbeef genau richtig (83)

III.2 1986 Clos du Marquis
Mein erster Gedanke: Opas letzter Ständer, dafür aber ganz schön hart. Griffig, stahlig, etwas hartes Tannin, im Mund eher mehlig, wie angetrockneter Cassis de Dijon. Vielleicht totdekantiert?

IV.1 1990 Cissac
Offene, freundliche Nase mürbe und weich, aber eher kühl. Auch im Mund Kühl, mineralisch, mit etwas Luft rund, weich und mit seinem kräftigen Tannin auch nicht ungefällig. Gegen Ende etwas breit und alkoholisch (84)

IV.2 1988 Les Forts de Latour
Maskuliner Wein, der trotz Kokos und Schokospuren viel Graphit und Härte zeigt, mit Luft entwickelt sich bisschen Beerenfrucht. Im Mund gezehrt, dabei unfokussiert wie ein Marshmallow, auf dem letzten Viertel noch etwas griffiges Tannin (83)

V.1 1989 Cantemerle
Unter dem Duft von Pillenbox Pflaume und Brombeere, Maulbeere, im Mund jugendlich, glatt und regelrecht smart. klassische Schönheit, auf den Punkt gebrachter Wein, sehr erfreulich, der sich mit und ohne Begelitung in Höchtsform zeigt (91+)

V.2 1989 Rausan-Segla
Nase von Sauce Griottine, Limetten-Pfeffer-Himbeer-Mix, feine Noten von Eukalyptus und Menthol und Wacholder. Im Mund saftig, der reinste Rollbraten, kräftige Struktur, voll ausgerollter roter Teppich. (92-93)

VI.1 1988 Pape Clement
Minzige, balsamische Nase, bei beiden Weinen des flights nur verschwindende Unebenheiten und Unterschiede in der Nase, beim Pape Clement etwas mehr Schokolade oder After Eight. Im Mund Voll, komplex, lang und mit noch einem winzigen Schäufelchen mehr Potential (94+)

VI.2 1988 La Mission Haut Brion
Hier wieder Minze, After Eight, aber auch ein wenig Pilzduft. Im Mund kraftvoll, mit einer minimal metallischen Art. Beide Weine habe ich praktisch genau auf Augenhöhe gesehen, wobei der LMHB vielleicht schon einen Hauch weiter entwickelt ist (94)

VII.1 1987 Leoville las Cases
Grüne Paprika, Cassis und Moschus, im Mund strukturiert und klar, dabei nicht unkompliziert (89)

VII.2 1990 Beychevelle
Rote Paprika, Pilzduft, Johannisbeermarmelade, schwarzer Tee, frisch gesoßter Tabak. Komplexere Aromatik und ein etwas besseres Mundgefühl als der LLC (90)

VIII.1 1982 Calon Segur
Gemüsebouillon und Zündhölzchen, nicht so sehr flüchtige Säure. Im Mund wie Plumpudding und Rumkandis (ohne Wertung)

VIII.2 1985 Chasse Spleen

Erde, Humus, Schwarzkirsche, im Mund noch überraschend druckvoll, mit sauberen, gesunden Tanninen (89)

B. Das Essen:

I. Roastbeef | Salat | Kräuter-Crème dazu:

2006 Domaine Chanssaud Châteauneuf-du-Pape

2006 Domaine Santa Duc, Gigondas, Cuvée des Hautes Garrigues

Der Châteauneuf war fruchtig, aufgelockert, beerig, fein, elegant und lang, der Gigondas in allem etwas dichter, konzentrierter, aber nicht so beweglich.

II. Wildschinken | Jakobsmuschel | Gamba dazu:

2006 Domaine Chanssaud Châteauneuf-du-Pape

2006 Domaine Santa Duc, Gigondas, Cuvée des Hautes Garrigues

III. Lammnüsschen | Kaiserschoten | Kartoffeln dazu:

2006 Domaine Chanssaud Châteauneuf-du-Pape

2006 Domaine Santa Duc, Gigondas, Cuvée des Hautes Garrigues

IV. Schokoladenfondant | Eiscrème dazu:

1985 Esteve Désiré, Maurydoré, Grenache élevé en fûts de chêne

Malzig, schokoladig, reif und süß, genau richtig zum Schokofondant.

C. Schließer:

I. 1995 Le Petit Cheval
Hart, kraftvoll, noch nicht ausentwickelt, Graphit, Metall, Mineral und Frucht stehen noch ein bisschen nebeneinander und müssen nach meinem Geschmack erst noch zueinander finden.

II. 1966 Tertre d’ Augay

Schon ein ziemlich abgefahrener Reifen mit wenig Restgrip und einem Duft nach leerer Weinflasche.

D. Kellerparty bei Uwe:

I. 2007 K.-P. Keller, Scheurebe (Morstein) trocken

Toll, was trockene Scheurebe aus Toplage so schaffen kann. Und das für kleines Geld.

II. Chartogne-Taillet, Cuvée Sainte Anne, 50CH 40PN 10 PM, 2004er Basis, 20% 2000er Reservewein

Süffiger Champagner mit gutem Säuregerüst, darüber ein Mantel von warmem Apfelkuchen, Mandeln und vor allem Quitten.

III. 2006 K.-P. Keller, Grauburgunder -S- trocken

Schmelziger, säurearmer Grauburgunder mit viel Butter und weissen Blüten.

IV. 1978 Domaine Baron Chenard, Givry

Speckduft und erdige Pinotnatur in voller Ausprägung.

V. 1988 Château Musar

Erdiger, von Cassis und Holundersirup geprägter Duft, wie ein sehr eigenwilliger Bordeaux. Durch seine ständig präsente, aber irgendwei gar nicht so sehr störende flüchtige Säure wirkt er etwas exotisch; im Mund dagegen alte Schule, mit kräftigem, noch nicht ganz eingebundenem Tannin, das sich erst langsam ins süssliche dreht, an Kardamom, Zimt und Süßholz erinnernde Würze und eine leicht hitzige Art von erkaltendem Kompott.