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Tag Archives: jacques lassaigne

Halloween-Roséchampagner im Restaurant Reuter’s, Frankfurt

Wer alle Achttausender der Welt erfolgreich besteigen will, muss grundlegende Akklimatisierungstechniken beherrschen. Eine der wichtigsten ist: "hoch steigen, tief schlafen". Um den Gipfel der Lust, bzw. des Champagners zu erklimmen, muss man es ganz ähnlich halten. Um sich an einen hochsteigenden flight heranzutrinken, nützt es, vorher einen soliden, leicht verständlichen Ausgangsflight zu trinken. Das sollte die Technik des Abends werden, begleitet von der dazu abgestimmten Küche von Franco Scavazza, der so freundlich war, für meine Übungen eine Hälfte seines halbmondförmig gebogenen und ob seiner Lage von vielen Frankfurtern noch gar nicht richtig ausgekundschafteten Restaurants zur Verfügung zu stellen. 

Opener

O.1 Adrien Redon l'R du Temps Extra Brut Rosé d'Assemblage

O.2 Grongnet Carpe Diem Rosé de Saignée Extra Brut

O.3 Bourdaire-Gallois Rosé

Adrien Redon aus Trépail gehört zu den jungen Winzern, seine Champagner sind dementsprechend weniger behäbig und weniger oxidativ als man es von den Ahnen kennt. Sein Rosé aus zwei Dritteln Chardonnay und einem Drittel Pinot Noir ist unter Zugabe von 15% Rotwein entstanden. Die Carpe Diem Champagner von Grongnet sind vom Stil her ähnlich winzerig wie die von Adrien, nur dass sie aus einer ganz anderen Ecke der Champagne kommen. Der Assemblagerosé wirkte großzügiger, voluminöser, bauchiger und gefiel mir etwas besser als der sonst so gern getrunkene Carpe Diem, wobei ich zugeben muss, dass ich den am liebsten in der weißen version trinke, weil er da noch ausgeprägter und typischer ist. Im Gefolge der beiden hatte ich noch einen Meunierrosé zum Kalibrieren eingebaut, weil ich nach meinem letzten Besuch in der Champagne unter anderem die beachtlich große und beachtlich gute Auswahl von David Bourdaire kennengelernt habe und mich schon drauf gefreut habe, einige seiner Champagner in verschiedenen Proben sich schlagen zu sehen. David, der 2002 mit seine ca. 4,8 ha die örtliche, von seinem Großvater einst gegründete Kooperative verlassen hat, öffnete vom Jungfernjahrgang bis zu den jüngsten Ernten alles, was da ist und wird in Zukunft sicher die Aufmerksamkeit einer ganzen Reihe von Champagnerfreunden für sich in Anspruch nehmen können. Dass es sich bei diesem Rosé um einen reinen Assemblage-Meunier handelt, hätte wahrscheinlich keiner gedacht. Dessen Herkunft von sandigen Untergrund machte eine Identifikation bsonders schwer und als Einstieg in den hochklassigen ersten flight war mir das gerade recht.

I. Römischer Schinken auf Belugalinsensalat


I.1 Pommery Louise Rosé 1996


I.2 Dom Ruinart Rosé 1996

Die Louise, als Rosé und vor allem aus diesem Jahrgang eine echte Rarität, hatte Mühe, sich unverfälscht und offen zu geben, leider wirkte der so hoffnungsvoll erwartete Champagner in meinem Glas leicht gehemmt und nicht so unbeschwert, wie geplant. Der Dom Ruinart trällerte dafür ein umso himmlischeres Liedchen, die ganze Wucht des Jahrgangs entlud sich in mehreren schweren Ergüssen und umschäumte die Linsen, den Schinken und den leichten Sud mit gewaltigen Wellen. Klarer Sieger war hier der Dom Ruinart, der eine nicht zerstörte, aber verwirrte Louise zurückließ.

II. Geräucherte Entenbrust mit hausgemachtem Apfel-Rilette, Feldsalat, Schnittlauchblinis

II.1 Tristan Hyest Rosé Grapillère

II.2 Jacques Lassaigne Rosé de Montgueux

Ein ähnliches Match wie im ersten flight hatte ich für den zweiten flight vorgesehen. So wie der Dom Ruinart ein Rosé mit weißer Chardonnayseele ist, ist auch der Rosé von Lassaigne ein Produkt, das man vor allem vor dem Hintergrund mächtiger Montgueux-Chardonnays erklären muss; 80-85CH, 15-20PN standen den 40CH von Tristan gegenüber, der wiederum ein ausgemachter Roséspezialist ist, während Emmanuel mit seinem Rosé eher einen lässigen vin de soif in die Weinwelt geworfen hat. Der vertrug sich vor allem mit der milden Schnittlauchschärfe gut, während der Einzellagenrosé von Tristan sich mit der Ente vereinigte. Mit dem Apfelrilette kamen beide Champagner gut klar und so ergab sich ein schöner Gleichstand.

Einschub: Laurent-Perrier Cuvée Alexandra Rosé 1982

Von der Plateauphase der Vorgänger, dem letzten Basislager bevor es in Richtung Gipfel ging, brach die Runde jetzt durch die Wolkendecke. Die Alexandra 1982 gehört schlicht zum besten, was das Jahr und was der Champagnermarkt zu bieten hat. Wunderbar gereift, ist dieser 50 PN/50CH Mazerationsrosé eine der schönsten Roséprestigecuvées überhaupt. Über Jahre hatte sich Fürst Nonancourt den Kopf über diese Cuvée zerbrochen, die er 1988 zur Hochzeit und zu Ehren seiner Tochter Alexandra der Öffentlichkeit vorstellte und die bei Laurent-Perrier bis heute nur zu hohen Anlässen geöffnet wird, im Jahr 1982 fiel die Entscheidung – zu Gunsten eines Jahrgangs, was an sich schon ein Ausbrechen aus der Multi-Vintage Philosophie des Hauses ist. Der Erfolg ist die schönste Bestätigung und eine, die bis heute andauert. Vibrierend, ätherisch, ja metaphysisch, die Abstraktion des reifen Rosés. Großartig.

III. Lauwarmer Muschel-Wirsing-Salat mit Champagner und Blauschimmelkäse

III.1 Dom Pérignon Rosé 2000

III.2 Jacques Selosse Rosé Brut

eigentlich hätte jetzt nach der Bergsteigertechnik ein deutlicher Rückschritt kommen müssen, aber das hielt ich für unzumutbar. Vom einen Gipfel auf den anderen Gipfel zu hüpfen kann wiederum ein mörderisches Unterfangen sein, wenn der Gaumen bereits geschwächt oder immer noch ganz überwältigt ist. Also habe ich mich eines Tricks bedient. Muschel, Wirsing und Blauschimmel führten die Geschmacksnerven in eine ganz andere Richtung, wo sie vom reifen und auf Muscheln spezialisierten 2000er Dom Pérignon Rosé erwartet, abgeholt und fortgeführt wurden. Staffellaufmäßig übergab der Dom an den reifen, schon vor sechs Jahren degorgierten, mächtigen, drängenden Selosse-Rosé, der wie ein verstärktes Echo auf die Alexandra 1982 antwortete und den Gipfelhüpfer kunstvoll abschloss.

IV. Hasenragout nach Art der Försterin mit Cognac, Pappardelle

IV.1 Benoit Lahaye Rosé de Maceration

IV.2 Laurent-Perrier Cuvée Alexandra Rosé 1998

Der Rosé von Benoit Lahaye hatte danach keine leichte Aufgabe, da er zwischen zwei so überragenden Champagnern wie eingeklemmt wirken musste. Aber der Scxhlawiner aus Bouzy erledigte seinen Auftrag sicher und gekonnt. Der Hase war eine gute Schützenhilfe und erleichterte den Übergang vom nachklingenden Selosse zum pikanten, feinen, ironisch das Haselnussterroir von Bouzy brechenden Champagner von Benoit Lahaye. Der verstand sich nicht nur als Durchgangsstation zur 98er Alexandra, die wie ein hyperintelligenter Teenager, jedoch ohne Hochnäsigkeit oder Sonderlingsgehabe vor allem den Cognac als Partner begriff.

V. In Balsamico und Chipotle geschmorte Spanferkel-Bäckchen mit Rotkrautsalat und Pfeffer-Gnocchi

V.1 deMarne-Frison Cuvée Elion Rosé de Saignée Brut Nature

V.2 Leclerc-Briant Cuvée Rubis de Noirs Millésime 2004

Die logische Folge auf den letzten flight wäre für viele Sommeliers wahrscheinlich eine Rotweinbegleitung zum Spanferkel gewesen. Aber das sollte nicht sein. Warum auch, wenn es Champagner wie diese gibt, Champagner mit der ganzen Weinigkeit burgundischer Pinots und dem unbeschwerten Gemüt des Schaumweins. Wobei ich zugebe: allein mögen diese Champagner mehr als schwierig zu trinken sein, auf den ungeübten Trinker sogar untypisch bis seltsam wirken. Ihre Stärke zeigt sich eben erst zum Essen. Zu Pfeffer, zu Chipotle, zu Rotkraut, Balsamico und zum Schwein, auch oder gerade wenn es Wildschwein gewesen wäre. Die seltene Cuvée Elion von Valerie Frison ist haarscharf am Rotsekt vorbeivinifiziert und wenn man sie trinkt fühlt man sich wie ein Beifahrer, der vergebens auf die imaginäre Bremse tritt, während sich das Fahrzeug des unbeirrt quasselnden Fahrers mit hoher Geschwindigkeit auf die Rückseite eines vorausfahrenden LKW zubewegt. Doch der Wagen kommt rechtzeitig zum Halten und der Champagner schafft es trotz aller Rotweinseligkeit Champagner zu bleiben. Eine nervenaufreibende Erfahrung. Ähnlich ist es beim Leclerc-Briant, der ohne Umwege mitteilt, er habe es nicht nötig, wie ein normaler Roséchampagner zu sein. Mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein und der Würde eines reichen Jahrgangs nimmt er den Gaumen in Beschlag und führt sich dort wie ein langjähriger Hausherr auf, so dass kurzzeitig der Eindruck entsteht, der eigene gaumen gehöre jemand anderem. So ist es natürlich nicht, aber der Rubis mit seiner Schokoladigkeit, den ätherischen Noten und seiner Kräuterwürze vermag heftig zu irritieren. Aber was soll's, das hier ist Schach und nicht Dame.

Abschluss:

A.1 Pommery Louise 1999

A.2 Ulysse Collin Blanc de Noirs Extra Brut

A.3 Bollinger Grande Année 2000

A tergo gab es noch ein Stelldichein der nicht ganz so rötlichen Champagner. Die Louise war schwebend leicht, wie mittlerweile schon gewohnt und wie ich es mir bei der 96er Louise Rosé gewünscht hatte. Der Balnc de Noirs von Ulysse Collin war laut Etikett kein Rosé, aber die Farbe strafte das Etikett Lügen. Der Geschmack ist bei diesem ersten Blanc de Noirs von Olivier ganz eigentümlich. Eine alkoholische, schläfrige Süße, Hustenmedizin und Möbelpolitur, dann wieder Schattenmorelle, Himbeerbrause und Ingwer, keine Leichte Kost also, aber ein guter Schließer nach einer aufregenden Tour. Die hätte mit Leichtigkeit der Bollinger 2000 übernehmen können, der sich in guter Form zeigte und dessen feines Holz jedes noch so champagnerkritische Gemüt besänftigt und versöhnt. Nicht, weil es einen bewusstlos schlägt, sondern weil es so natürlich, so selbstverständlich und ausgleichend wirkt.   

Ein Traum in weiß: schöne Chardonnay-Champagner

Es gibt nichts schlimmeres, als einen durchschnittlich guten Blanc de Blancs. Das ist eines der wenigen Weistümer, die ich auf meiner Âventiure des Champagners erlangt habe. Das Thema Blanc de Blancs Champagner ist so ausgelutscht, fad und arg, dass man damit wirklich niemanden mehr belästigen mag. Und doch finden sich immer wieder Mutige, die es auf sich nehmen, die letzte, nein allerletzte Facette zu erspüren. Sascha Speicher vom Meininger Verlag ist zB so einer.

Aus meiner Tirade nehme ich, das vorweg, die Blanc de Blancs aus, die unter Beteiligung der alten Rebsorten entstanden sind, also alles, was mit Pinot Blanc, Arbane, Petit Meslier oder gar Pinot Gris zu tun hat. Mein Verdikt gilt nur für die – mengenmäßig ohnehin allein maßgeblichen – Chardonnaychampagner. 

Warum eigentlich ist denn nun also Blanc de Blancs Champagner so schlimm? Oder anders, was ist schlimm daran, Blanc de Blancs gut zu finden? Der Reihe nach. Blanc de Blancs sind an sich gar nicht schlimm. Schlimm ist nur die Verwahrlosung, die in diesem Champagnersegment herrscht. Die Einfalls- und Mutlosigkeit, die Mentalität des "lieber sicher als gut", die einlullende Überformung des antizipierten Massengeschmacks. Das ist schlimm am durchschnittlichen Blanc de Blancs. Über die dazu noch handwerklich schlecht geratenen Exemplare brauche ich mich gar nicht auszulassen und habe da nichts abzuarbeiten, darum geht es mir auch gar nicht. Zur zweiten Frage: warum darf man Durchschnittschampagner nicht gut finden? Antwort: dochdoch, man darf, aber man braucht darüber nicht groß palavern. Im besten Sinne (be)merkenswerte Champagner sind das nicht. Trinken und vergessen reicht völlig. Nur wenn es um mehr gehen soll, als gewohnheitsmäßig in Trab gehaltenen alkoholischen Metabolismus oder Champagner als reflexhaft geordertes Abschleppgetränk für Menschen, die Cliché für ihren höchstpersönlichen Geschmack halten oder rundheraus jede Entscheidung als Geschmackssache, in Sachen Wein und Champagner besser bekannt als "schmeckt mir oder schmeckt mir nicht"-Antwort, patziger noch: " mir schmeckt er halt", zu Tode relativieren – dann, ja dann wird es interessant. Nur ist das Eis in dieser Region sehr dünn. So dünn, dass es für die meisten nur aus der Ferne zu betrachten ist und dementsprechend verfälscht ist dann auch die mehr oder weniger sachunkundige Einschätzung.

Einige Champagner, die eine Betrachtung aus der Nähe lohnen, sind diese hier. Es sind nicht unbedingt die ultrararen oder ultrateuren Champagner oder förmliche unicorn wines, wie man so schön sagt, aber es sind Champagner, die Beschäftigung bieten und die man haben wollen muss.

1.a) Eric Rodez Blanc de Blancs Brut

Eric Rodez hier, Eric Rodez da, Eric Rodez überall. Seit Jahren hat der Mann bei mir einen festen Platz im Champagnerherz und muss deshalb immer wieder als Paradewinzer herhalten, wenn es um rebsortenreine Champagner, Multi Vintage und Kunst der Assemblage geht. Denn das kann er wie kaum ein anderer, ohne dass er dabei verschreckend oder verstörend wirkt. Man kommt sich bei ihm nicht vor wie bei einem irren Sektierer und allein schon für dieses gute Gefühl hat er meine Wertschätzung. Als Blanc de Blancs ist eigentlich der Einsteiger von Rodez schon hinreißend genug, noch verrückter wird es erst mit den Empreinte de Terroir Chardonnays, von denen sich jetzt noch einige 1999er am Markt befinden und der aktuelle 2003er, die gleichermaßen obergeil sind.

Bei dieser Gelegenheit weise ich gleich noch auf drei Champagner hin, die ebenfalls Aufmerksamkeit verdient haben und sich in gewisser Hinsicht sehr ähnlich sind:

– Regis Fliniaux Blanc de Blancs d'Ay Grand Cru NV, Regis ist in der Dorfmitte zu Hause und leider immer ausverkauft, aber wenn man beharrlich genug in seinem Minimuseum stehen bleibt und etwas zu kaufen verlangt, degorgiert er ggf. spontan was weg und stattet die Flaschen mit ihren Etiketten aus. Der Blanc de Blancs aus ay ist eine Seltenheit, weil in diesem Ort niemand Sinn für Chardonnay hat, alles stürzt sich verständlicherweise auf den Pinot. Dabei sind die Chardonnays von hier so herrlich eigenständig und beweisen mit ihrer typischen Aromatik beste Herkunft, da ist es ein Jammer, dass nicht mehr Winzer Blanc de Blancs d'Ay produzieren.

– Gaston Chiquet Blanc de Blancs d'Ay Grand Cru NV, wenn man Chiquet hört, denkt man schnell nur an die Chiquet-Brüder, die Jacquesson leiten und in immer neue Sphären heben. Aber Gaston Chiquet, wenige Meter daneben, ist immer gut für einen tiefen Schluck aus der Pulle. Sein Blanc de Blancs d'Ay gehört zu den ältesten, wenn es nicht sogar gleich ganz der erste ist.  

– Lallier, der einstige Kellermeister von Deutz & Geldermann, ist als Dritter im Bunde in Ay ansässig und macht einen Blanc de Blancs, der zu 70% Chardonnay aus den Dorflagen enthält und 30% aus der Côte des Blancs. Das hievt in nicht in ganz dieselbe Schiene wie die anderen beiden, aber ist auf jeden Fall probierenswert, um Erkenntnisse abseits des Massenchardonnays zu sammeln. 

2. Agrapart Minéral Blanc de Blancs Grand Cru Extra Brut 2005

Ein anderer Winzer aus dem Spitzensegment und einer der großen Avize-Winzer ist Pascal Agrapart, der unermüdlich an neuen Cuvées arbeitet. Wie bei Rodez kursieren vom Minéral derzeit zwei Jahrgänge, 2005 und 2007; der Verzihz auf BSA gibt dem Chardonnay sehr viel Schwung mit, wobei dem kräuterigen Apfelaroma Sahnigkeit und edle Herbe kunstvoll zur Seite gestellt sind.  

3. de Sousa Cuvée des Caudalies Blanc de Blancs Grand Cru Brut

Der dritte große Avize-Winzer, der sofort die Synapsen besetzt, wenn von dem Örtchen die Rede ist, ist Erick de Sousa, der als einer der ersten den Schritt zur Aufspaltung gegangen ist und unter seinem Namen die Winzertradition, das berühmte "RM" hochhält, während unter dem Label Zoémie de Sousa zugekaufte Trauben vinifiziert werden. Seine Cuvée des Caudalies ohne Jahrgang ist ein Klassiker der réserve perpetuelle und hat mir schon vor Jahren ein in mehreren Varianten erlebbares Paradoxon vor Augen geführt, nämlich das von Reife und Jugend im selben Champagner.  – man erlebt das sonst noch bei Spätdégorgements – überspitzt ausgedrückt –  in Form eines unerhörten Säureangriffs, dem dann unvermittelt wohltuende Tertiäraromen folgen. Bei der Cuvée des Caudalies ist es die besondere Solera-Weichheit, die den Champagner trotz seiner knackigen Säure so eindrucksvoll wirken lässt.  

4. Jacques Lassaigne Le Cotet Blanc de Blancs Extra Brut

Montgueux und die Winzer dieses Champagner-Tafelbergs, das ist per se schon etwas besonderes. Die Lage als südlichster Ausläufer der Côte des Blancs ist natürlich exponiert bis exotisch und so verblüfft es nicht, wenn sich einige der ansässigen Montgueuxwinzer von der fruchtigen Ausdrucksstärke ihrer Chardonnays dazu verführen lassen, allzu banale Weinchen zu vinifizieren, womöglich in der Hoffnung, bloßes Aroma könnte den entscheidenden Vorsprung garantieren. So ist es nämlich nicht. Im Gegenteil, das Aroma will korrekt geführt werden, sonst fasert es aus und macht den Wein lächerlich. Emmanuel Lassaigne ist einer, der das weiß und kann. Seine Champagner wirken puristisch und kompromisslos, auch salzig und gar nicht unbedingt wie Aromenschwergewichte. Aber Lassaigne geht mit dem großen Aromenvorrat, den ihm der Berg anvertraut um, wie der Bäcker mit dem Teig. Er knetet ihn gehörig und walzt ihn geschickt aus, am Ende steht kein dicker Klumpen mehr, sondern präzis ausgestochene Formen.

5. Rafael & Vincent Bérèche Côte Grand Cru Blanc de Blancs Extra Brut 2002

Bei Bérèche und kürzlich auch bei Janisson-Baradon hat sich dieselbe Entwicklung vollzogen, wie bei Agrapart, ein Teil der Produktion bleibt "RM", ein anderer wird "NM". Der Côte von Bérèche stammt aus der NM-Linie. Das macht ihn nicht schlechter, ganz im Gegenteil. Der Chardonnay für den Côte stammt großteils aus Cramant, der Ort ist bekannt für Ausgewogenheit und die Vereinigung aller Stärken der umliegenden Grand Crus. Ausgewogenheit ist deshalb bei diesem Champagner auch das Hauptstichwort. Die Säure ist zurückhaltender, Apfel, Nüsse und Brioche sind da, aber bleiben dem Rampenlicht fern. Und das ist klug, denn durch die marktschreierische Art, mit der diese typischen Aromen immer wieder an den Mann gebracht werden, gewinnt man keine Freunde. Die Textur ist seidig, fast hätte ich gesagt mehlig, denn kurz hatte ich den Eindruck, aber das teigige Element findet sich hier allerhöchstens in Form einer Erinnerung an Laugenbrezeln. 

6. Bruno Paillard Blanc de Blancs Brut 2004

Die gewaltige Ernte des Jahrgangs 2004 hat uns Champagner beschert, die von manchen mindestens auf dem Nioveau von 2002 gesehen werden, von manchen aber auch als gefährlich substanzschwach, ja dünn bis wässrig gesehen werden. Die Gefahr mangelnder Konzentration sehe ich beim 2004er Chardonnay von Bruno Paillard nicht. Er wirkt etwas fetter sogar, als der Côte von Bérèche, aber das mag eine Dosagefrage sein.

7. Duval-Leroy Blanc de Blancs Brut Nature 2002

Nussig, reif, mit Hefezopf und einem dezenten Holzeinfluss präsentiert sich der Chardonnay Brut Nature aus dem Duval-Leroy, das vor allem wegen seiner exquisiten Authentis-Champagner bekannt ist und das ich wegen der Femme de Champagne genannten Spitzencuvée schätze, die es jetzt auch als Rosé gibt. Der Chardonnay in undosierter Form ist recht neu und Zugeständnis an den dorthin drängenden Markt, sofern man bei der als brut nature insgesamt verkauften Menge an Champagner überhaupt von einem richtigen Markt reden kann. Jedenfalls aber ist dieser Champagner ein Bekenntnis in Richtung der Winzer, die damit angefangen haben, Einzelmerkmale vor Kontinuität im Geschmack zu setzen. Sahnig und reif, mit viel gelber Frucht schließt dieser untypische Champagner.  

8. Taittinger Comtes de Champagne Blanc de Blancs Brut 2005

Die Aromenklassiker Nuss, Hefe, Toast und Apfel haben diesen Champagner zu recht berühmt gemacht und unter den Chardonnay-Prestigecuvées gehört er zum nicht wegzudenkenden Inventar. Besonders, wenn er seine zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre hinter sich gebracht hat, wobei ich mich mit wohligem Schaudern an den 1994er Comtes de Champagne erinnere, den ich technisch für toto und in einer Probe nur als Kuriosum hätte betrachten wollen, der dann aber so aufdrehte, dass ich mich über meine voreilige Einschätzung richtig geärgert und umso mehr am Champagner gelabt habe. Zurück zum 2005er, der seinen Reiz von Currystraucharomen, Safran, Zimtblatt, Muscovado und trotz all der Orientalik einer kreuzfahrerischen Gemütsruhe und kühlen Ausstrahlung bezieht. Er wirkt und ist süßer als die Chardonnays der Winzer, aber meiner Liebe tut das keinen Abbruch.  

9. Ruinart Dom Ruinart Blanc de Blancs Brut 2002

Zusammen mit dem Comtes de Champagne und dem Blanc de Millénaires von Charles Heidsieck ist das wahrscheinlich einer der größten Chardonnaychampagner, die man von einem Erzeuger dieser Größenordnung bekommen kann. Er gehört schon kurz nach der Freigabe zu den würzigsten, auch am mutigsten mit Röstaromen versehenen Champagnern, bleibt aber dank des verschwenderischen Einsatzes von Butterschmalz, Hagelzucker, Macadamia, Pekan- und Paranuss, einer glanzvollen Parade unterschiedlichster Apfelsorten und dank seiner enormen Durchzugskraft nicht stehen, sondern spurtet unermüdlich und raubkatzenhaft über den Gaumen. 

Aube Wan Kenobi: Jedichampagner von der Côte des Bar

Ich kann es nur gebetsmühlenhaft wiederholen: die Aube ist der Rockstar unter den Champagnersubregionen. Piper und Charles Heidsieck, Louis Roederer, Nicolas Feuillate und Veuve Clicquot kaufen gern Trauben vom Montgueux zu. Die Winzer dort freut's, denn sie erlösen Preise pro Kilogramm, die es sonst nur in der Côte des Blancs gibt. Riceys, der praktische einzige Ort, den man in der Aube früher noch für einigermaßen (be)merkenswert halten konnte, ist zu neuem Leben erwacht. Celles sur Ource, Ville sur Arce, Landreville, Polisot, Polisy, Buxeuil, Avirey-Lingey, Gyé, Courteron sind Ortschaften, die man heute als Champagnerfreund kennen sollte, sie reichern die überkommene Premier-/Grand Cru Einteilung nicht nur an, sondern führen sie stellenweise ad absurdum. Das verdanken sie weniger ihrem einzigartigen Terroir, als der Besinnung einer ganzen Generation aufs Weinmachen. Verkauften die Väter ihre Trauben früher noch demütig an die hochmögenden Traubeneinkäufer aus dem Norden, so ist das heute nurmehr ein willkommenes Standbein um den eigenen önologischen Wagemut wirtschaftlich abzusichern. Dementsprechend kompromisslos, risikofreudig, schwefelarm, ungewöhnlich bis bizarr fallen die Champagner der Aube-Avantgarde aus – ein Luxus, den sich viele andere Winzer nicht leisten können oder wollen. Umso schöner für die, die sich die Resultate im langstieligen Vergrößerungsglas selbst ansehen.  

1. Jacques Lassaigne Blanc de Blancs Montgueux Le Cotet

Den Aube-Reigen eröffnet der bekanntermaßen starke Emmanuel Lassaigne mit seiner knalligen Chardonnayinterpretation vom großen Kalkhügel, wobei die namengebende Lage Le Cotet sogar direkt vor der Haustüre des Guts liegt. Trotz der nur geringen Dosage wirkt der Champagner exotisch angehaucht, anders allerdings als am Nordausgang der Côte des Blancs. Klare Ansage von einem der führenden Aube-Jedimeister.  

2. Jean Velut Blanc de Blancs Brut Montgueux

Denis Velut aus Montgueux bewirtschaftet ebenda 7 ha, weit überwiegend natürlich Chardonnay, doch fast 20% Pinot Noir sind auch dabei. Sein Champagner ist viel weicher, rundlicher und exotischer als der von Emmanuel Lassaigne, doch ganz ohne das fürchterliche Fett, das schwache Chardonnays so lahm werden lässt. 

3. Nathalie Falmet Blanc de Noirs "Le Val Cornet"

Nathalie Falmet ist Chemikerin und Önologin, eine ziemliche Seltenheit in der Champagne und nicht nur da. Deshalb hat das von ihr betriebene Weinlabor guten Zulauf und Nathalie profitiert von der Erfahrung, die sie im laufenden Beratungsgeschäft gewinnt. Sie bewirtschaftet 3 ha in in Rouvres les Vignes, in der Nachbarschaft von Colombey-les-Deux-Eglises, dem de Gaulle Städtchen. Der größte Teil ihrer Weinberge (2,4 ha) ist mit Chardonnay bestockt, Pinot Noir und Pinot Meunier machen nur ca. 0,5 ha aus. Aus den beiden Rebsorten macht sie einen Einzellagenchampagner, den Val Cornet, teilweise im Stahltank, teilweise im Barrique. Nach den beiden Chardonnays war es schon eine gewisse Herausforderung, einen geeigneten Champagner für den nächsten flight zu finden. Doch Nathalies präzis geformte dunkle Schönheit schaffte das spielend mit viel natürlicher Eleganz, das Ebenbild eines afrikanischen Topmodels.

4. Olivier Horiot Blanc de Noirs Sève Brut Nature "En Barmont" 2006, dég. 2011

Der erst Champagner des Abends, bei dem mir die Träne ins Lid zu steigen drohte. Ein heimlicher oder für manchen sicher auch offener Favorit des Abends war nämlich der Einzellagen-Pinot von Horiot. Ein mächtiges Geschoss, das erst verblüfft, dann Widerspruch herausfordert und dann fällt einem nichts ein, was man gegen diesen Champagner ernstlich vorbringen könnte. Ganz schön kontroverses Zeug also, auf seine Art. Als ich den En Barmont vor einigen Jahren das erste Mal trank, gefiel er mir einfach nur nicht, eine Meinung, die ich heute gar nicht mehr nachvollziehen kann. Einer der ganz wenigen Champagner, die wirklich und wahrhaftig auf jeglichen Dosagezucker verzichten können, ohne dadurch arm zu wirken.

5. Pierre Gerbais Blanc de Noirs L'Audace Brut Nature

Aus einer fünfzig Jahre alten Parzelle, 2010er Basis ohne Schwefelzusatz, natürlich mit vollem BSA, im Stahltank vinifiziert. Geschmacklich runder und weiter, als der En Barmont, etwas fruchtiger, mit feiner Noblesse burgundischer Prägung, von der ich letztes Jahr noch nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Da hatte ich zwar die leicht geschwefelte Version auf 2008er Basis im Glas, aber begeistert war ich nicht – und das, obwohl ich in Vergleichsproben oft festgestellt habe, dass die minimal geschwefelten Champagner besser schmecken, als die ganz ungeschwefelten Exemplare. Sei's drum, der schwefelfreie Audace ist ein kerngesunder Champagner, dem ich noch ein langes Flaschenleben wünsche, denn die bisherige Entwicklung war mehr als erfreulich und prognostisch ist zu hoffen, dass es am Schwefel nicht gebricht.

6. Dufour Blanc de Noirs "Ligne 60" Millésime 1995, dég. 2008

Da schweigt die Nachtigall, hebt der Esel lauschend den behaarten Kopf. Denn das hier war a complete breath of fresh air, wie man wohl in England sagen würde. Der 1990er Blanc de Noirs Petit Renard von Dufour hatte schon die Sprengkraft einer Luftmine, so dass ich für den 1995er Ähnliches erwarten durfte. So war es auch, nur dass der 90er den 95er immer forgeblasen hat. Jetzt kehrt sich das Verhältnis langsam um und der ultrafrische 95er fegt alles im Umkreis weg, fast will man Gläser und Tischdeko festhalten, damit sie nicht umgestoßen werden. Ich werden diesen Champagner demnächst mit gutem Grund einer Grande Année 1995 R.D. gegenüberstellen.

7. Jacquart Blanc de Blancs 2006

Jacquart habe ich als Piraten eingeschleust, der sich mit seinen leichten Chardonnays aus Vertus, Villers- Marmery, Trépail und Vaudemange schnell zu erkennen gab; vielleicht lag das zusätzlich an der kultivierten Art, die der Champagner gewohnheitsmäßig an den Tag legt – eine Besonderheit, die mir beim 1997er erstmal aufgefallen ist und den Blanc de Blancs von Jacquart zum gerngesehenen Solisten bei unkomplizierten Abendverläufen macht. In gereifter Form kenne ich die Jahrgangschardonnays von Jacquart leider noch nicht, oder nicht besonders gut, denn die ersten Ermüdungserscheinungen setzten immer schon bedenklich früh ein, weshalb ich meinen kleinen Handvorrat dann auch immer ziemlich flott aufgelöst, bzw. ausgetrunken habe.

8. Marie-Courtin Blanc de Blancs Eloquence Brut Nature

Der Likymnische Glutblitz unter den Champagnern. Liegt es an der Holzfassvinifikation, liegt es am Barrique, an der Naturhefe, an den knapp 20 Jahre alten Chardonnays aus Massenselektion, an der Biodynamie? Egal. Wenn man diesen Champagner getrunken hat, kann man seine Champagnertrinkerkarriere in Ruhe beenden. Danach kann man nicht mehr viel verpassen.

9. Vouette & Sorbée Saignée de Sorbée

Pas de réception au domaine ni de vente aux particuliers. Fast wie bei Selosse, dem Über-Mentor. Seeehr kraftvoll, rotfruchtig und herb war das, was von Bertrand Gautherot ins Glas kam, sehr weinig, sehr burgundisch, dabei sehr eigenwillig und ich musste nicht zum ersten Mal an David Leclaparts Rosé denken, den ich gern einmal im direkten Vergleich trinken will.

10. Florence Duchêne Rosé 

Zum Schluss gab es mit Florence Duchenes Rosé-Schätzchen aus Cumières nochmal etwas Gebietsfremdes, aber dafür so wohlschmeckendes, dass von Untreue insoweit nicht die Rede sein kann. Florence ist einer der aufsteigenden Champagnersterne jüngster Generation, ihre ersten selbst vinifizierten Champagner gibt es seit Oktober 2013 zu kaufen – und ich habe mir nach mehreren ausgiebeigen Vorabtests in Cumières und im Weinberg gleich eine Allokation gesichert, die ich natürlich wieder allzu gierig und viel zu früh aufzureißen gewillt bin, doch ist der Genusslohn mehr als gerecht. Das genaue Gegenteil der Rosés, wie man sie von Vouette & Sorbée, Leclapart oder Jacquesson bekommt, ein Träumchen von roten Beeren, eine betörende Macht wie von der Fruchtbarkeitsgöttin höchstpersönlich gekeltert und eine hypnotisierende Nachwirkung, die einen überhaupt nicht merken lässt, wie schnell sich die Flasche geleert hat.

Champagner quick check: Jacquesson, Philippe Gonet, Besserat de Bellefon

I. Jacquesson

1. 735

47PN 33CH 20PM

Jahrgangsbasis ist das für die Pinotrebsorten schwierige Jahr 2007, 22% Reserve kommen aus dem Jahr 2006, 6% aus dem Jahr 2005.

Wer zufällig gerade keinen Bollingerdurst verspürt, kann nur eines tun: Jacquessons Nummerncuvée trinken. Das ist eine der besten jahrgangslosen Standardcuvées auf dem Champagnermarkt. Stilistisch freilich ganz anders als Bollinger. Nicht so bullig, nicht mit derselben Körperlichkeit. Wo Bollinger Balance vermittelt und panoramisch angelegt ist, ist Jacquesson zugespitzter und auf Thrillsuche, was gerade beim 735 deutlich wird und die Antwort des Kellermeisters auf die unausgewogenen Pinotqualitäten des Jahrgangs sein dürfte – im Moment ist er jung, buttrig und entschieden direktsaftfrischfruchtig. Der 735er gehört neben seinem aktiven, parteiischen Naturell auch noch zu den unruhigeren Jacquessons, die ständig nach neuer Herausforderung verlangen; Trüffelsalami, Anchovis, alter Langres, Hasenkeule, geräucherte Mettenden, der Jacquesson will zu allem probiert werden.

2. 2002

43CH aus Avize (36) und Chouilly (7), 57PN aus Dizy (35), Ay (15), Mareuil sur Ay (7), im Fuder vergoren; Bâtonnage.

Einer der Jahrgänge, in denen man als Kellermeister vermeintlich nichts falsch machen kann. Vermeintlich. Denn falsch wäre es, den Jahrgang unemotional und einfach nur unfallfrei auf die Flasche zu bringen. Das ist verlockend einfach, denn das Jahr bietet jedem Kellermeister das gesamte Eigenschafts-Repertoire der Champagne an. Blütenduft, Apfel, Brioche, Nüsse, Säure, Struktur, Länge, Mineralität, Crèmigkeit, ein touch Exotik, ein Spritzer Weinigkeit und Fülle. Wer das einfach nur wie immer zusammenstellt, komponiert nicht, sondern kompiliert höchstens. Von Jacquesson darf man zu recht mehr erwarten und wird nicht enttäuscht. Reife und Subtilität stehen hier im Vordergrund; gelbe Knorpelkirsche, Buttercrème, Blätterteig, Croissant, Baiser, Himbeer-Maccaron. Der Champagner wirkt für einen Jacquesson ungewohnt fragil, dabei sahnig und gehaltvoll.

 

II. Philippe Gonet

Der Großvater von Chantal Gonet war einer der ersten, wenn nicht gar selbst der erste, der die besonderen Qualitäten der Chardonnays von Montgueux erkannte. Heute wird Montgueux vor allem von Lassaigne-Anhängern als der Montrachet der Champagne, von Winzern aus der Côte des Blancs gern auch 'nur' als der Montrachet der Aube bezeichnet. Chantals Vater war übrigens schon ein guter Kumpel von St. Urbans-Hof Nik Weis' Vater und bis heute stehen die Familien in enger Beziehung zueinander, zumal sie sich auf vielen Exportmärkten, z.B. in Indien, denselben Importeur teilen. Ein Besuch bei Gonet in Le-Mesnil ist jetzt nach längerer Bauphase wieder umstandslos möglich, verfehlen kann man das Anwesen mitten im Ort kaum.

1. Blanc de Blancs GC NV

Basis 2008, 30% Reserve

Apfel, Salz und Toffee, etwas wenig Säure für Le Mesnil, aber ein guter Einstieg in den Chardonnay dieses Orts.

2. Cuvée 3210 Extra Brut

Die Ziffernfolge steht für 3 Jahre Hefelager, 2 Terroirs (Le Mesnil und Montgueux), 1 rebsorte und 0 Zucker. Hier knallen Welten aufeinander, nämlich die beiden entgegengestztesten Chardonnay-Terroirs der ganzen Champagne. Entsprechend brodelt der Champagner, ohne jede Zuckermoderation und mit dreijährigem Hefelager auch nur mühsam abgepuffert. Die Benamsung ist etwas arg modisch, so wie der Weinberg Montgueux zur zeit sehr en vogue ist, aber dem Champagner schadet's nicht. Rassig, schlank, meiner Meinung nach leicht vom Mesnilchardonnay dominiert.

3. Roy Soleil, dég. 29. Nov. 2011

Reiner Le-Mesnil, der seinem raumgreifenden Namensgeber alle Ehre macht und auf allzu harte Säure, allzu kompromisslose Mineralität verzichtet. Wer die sucht, findet sie im Belemnita, der immer sehr schnell ausverkauften Spitzencuvée des Erzeugers. Im Roy Soleil rundet sich das mit dem einfachen Grand Cru NV eingeleitete Schonprogramm ab. Das heißt nicht, dass die Gonet-Champagner weichgespült wären, das zeigt der Vergleich zu Blanc de Blancs aus anderen Crus; nur für Le Mesnil ist etwas wenig Biss drin. Deshalb für Terroir-Einsteiger und Gemütlichtrinker ideal.

4. Mill. 2006

Reiner Le-Mesnil, schlank, charmant, herzliches Naturell, das allerdings auch nicht unnötig nachgiebig wirkt, ein wenig wie die sympathisch sommerbesprosste Dame des Hauses selbst.

5. Rosé

Assemblage rosé mit 10% Pinot aus Vertus, das früher vor allem wegen seiner Pinots bekannt war und sich erst in den letzten Jahrzehnten zum Chardonnaygebiet gemausert hat. Anfänglicher Andouillettestinker, dann steigt langsam Frucht empor, es bleibt aber bei einem überwiegend weißfruchtigen Eindruck, der Pinot verleiht hier mehr Farbe und vielleicht noch etwas Körper, bringt aber selbst nicht genügend Gewicht auf die Waage, um den Champagner nachhaltig zu beeinflussen. Ein Blanc de Blancs mit der Farbe eines Rosé.

 

III. Besserat de Bellefon

Eine qualitativ gute Entwicklung macht das Haus Besserat de Bellefon seit Jahren, nur das Portfolio ist etwas unbeweglich. Was zum Beispiel fehlt, ist eine echte Prestigecuvée. Immer wieder schön sind hier die Blanc de Blancs; die Cuvée des Moines Linie ist mit niedrigerem Flaschendruck als üblich ausgestattet und gehört damit zu den letzten klassischen Crémants der Champagne. Das machen sonst nicht mehr viele, Bruno Paillard und Mumm gehören dazu, dann wird es aber auch schon eng.

 

1. Extra Brut, dég. Juli 2008

Rassig, angriffslustig und flott, mit reifen Früchten und Noisette. Für mich die leichte Kavalleie unter den Champagnern. Der passende Sound zum Champagner: Aphrodite, Foghorn.

2. Blanc de Blancs, dég. Okt. 2010

Exotische Frucht tänzelt unter Säurestange hundurch, quasi der Limbotänzer unter den Champagnern des Hauses.

3. Mill. 2002, dég. Feb. 2010

Besonders elegant geratener Champagner, der nicht nur stumpf dahinvinifiziert wurde, sondern zarte Hinweise auf Bienenwachs und Lindenblüte enthält, besonders crèmig schmeckt und sich gerade ganz zaghaft zu öffnen beginnt.

4. Rosé

Leicht, etwas blumig, von kräftiger Statur und aus dem Programm von Besserat der von mir am wenigsten geschätzte Champagner. Alle Besserat-Champagner sind leicht, elegant, fein, da passt der etwas zu grob gewirkte Rosé einfach nicht so richtig ins Bild.

Kleine Champagnerprobe zum Lesebeginn

I. Regis Fliniaux, Blanc de Blancs d'Ay Grand Cru

Meistens sind die Champagner von Regis Fliniaux gut, machmal sind sie inspirierend, die Cuvée des Signataires kann exzellent sein und von seinem seltenen Blanc de Blancs war ich seit dem allerersten, damals aus der spontan à la volée dégorgierten Flasche genossenen Schluck angetan, bzw. sogar begeistert. Von dieser Hochform war der jetzige Blanc de Blancs weit entfernt. Ich schiebe es darauf, dass die Flasche erst vor drei Monaten dégorgiert wurde und der Champagner noch keine Zeit hatte, sich mit dem Dosageliqueur zu vermählen.

II. Regis Fliniaux, Cuvée Prestige Grand Cru

Die Cuvée Prestige von Regis Fliniaux fand ich nie so gut wie seine anderen Champagner dieser Preisklasse, etwa den eben besprochenen Blanc de Blancs oder die feine Cuvée des Signataires. Auch dieses Mal zeigte sich die Cuvée Prestige nicht überragend schön. Sie litt leider unter derselben Unausgewogenheit und Aufgekratztheit des BdB, denn auch sie war ganz frisch dégorgiert. Also: weiter liegen lassen!

III. Joel Michel, Oeuil de Perdrix, dég. 1. Okt. 2010

50PM 25PN 25CH, 10% Fassausbau, 2004er Basis.

Ca. 5 ha, bewirtschaftet Joel Michel selbst und biologisch (seit Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Verzicht auf Insektizide, Herbizide usw.), das sind im Jahr ca. 50000 Flaschen. Ursprünglich stammt er aus Moussy, das er schon 1970 verließ, um in der Nähe von Château Thierry ein eigenes Weingut zu eröffnen. Die parzellenreinen Weine gären im Fassl, werden nicht geschönt, geklärt, gefiltert. Sein ganz heller OdP war zag- und schmeichelhaft zugleich, ein ganz leichter, nur schwer einzuordnender Vertreter seiner Art, wofür der hohe Meunieranteil verantwortlich sein dürfte. Nach einer reduktiven Eröffnung war der Champagner weich, ja sämig, wenig säurehaltig, jedoch mit einerm prickligen Zitrusschlenker zum Ende hin. Kein spannungsgeladener Champagner, entgegen der Etikettenanmutung auch kein jagdlich-rustikaler oder gargantuesker Champagner, sondern ein garconhafter Schmeichler.

IV. de Sousa, Cuvée 3A Extra Brut

50CH aus Avize, 50PN jeweils hälftig aus Ay und Ambonnay, dosiert mit 5 g/l

Biodynamischer Champagner; spontaner Gärbeginn, dann thermoreguliert bei – 4 ° C, mit BSA, der Ausbau findet in Beton und 600-Liter-Fudern statt, die Weine werden nicht geschönt und bleiben unfiltriert. Die Trauben stammen aus den drei einzigen Grand Crus, deren Dorfnamen mit "A" beginnen, was den Namen erklärt, aber vielleicht ist das Triple-A ja auch eine Anspielung auf Erick und Michelles Bonität, wer weiß. Der Champagner ist dunkel, glatt, mystisch, pantherhaft, etwas exotisch und leicht karamellig.

V. Domaine Dehours, Pinot Noir Vieilles Vignes Parcellaire "Maisoncelle" Extra Brut 2004, dég. 30. Aug. 2010

Über Jerome Dehours habe ich ja schon im Nachgang zur Vinexpo mit Begeisterung berichtet. Dort habe ich seinen Chardonnay Parcellaire "Brisefer" herausragend gut gefunden, den "Côte en Bosses" Extra Brut 2004 aus allen drei Reben, dégorgiert 7. Januar 2010, fand ich kurz danach im Einzeltest wieder sehr überzeugend, der "Maisoncelle" sollte meine Meinung noch einmal bestätigen. Kirschig, knorpelig, unverwachsen und naturnah, mit einem obszönen Kaviarduft.

VI. Leclerc-Briant, Premier Cru Les Authentiques "Chèvres Pierreuses"

40PN 40CH 20PM.

Was ist denn mit Leclerc-Briant los? Seit der Winzer tot ist, schmecken seine Champagner nicht mehr. Früher war der Chèvres Pierreuses mein Lieblingschampagner aus der Authentique-Kollektion von Leclerc-Briant und letztlich aus dem Gesamtangebot des Erzeugers. Nun erwische ich schon zum wiederholten Male eine Flasche in schwacher Form. Zwar an sich sehr apfelsaftig, aber dann kommt nichts mehr und baut sich auch mit Luft nichts mehr auf. Schlaff, wachsig, ohne Pfiff, wirkt überreif und müde, erinnert ein wenig an überalterten Riesling, bei dem die an sich feine Petrolnote ausnahmsweise sogar störte. Schlimm!

VII. Jacques Lassaigne, Papilles Insolites

Ein in mehrfacher Hinsicht besonderer Champagner. Seine schwarzen Trauben stammen aus Montgueux. Montgueux wird immer als der Montrachet der Champagne dargestellt, die Chardonnays von diesem kleinen Berg mit der ungewöhnlichen Südexposition sind nicht unumstritten, aber sie haben einen unbestritten eigenen, meinetwegen burgundischen Charakter und machen zur Zeit reichlich Furore. Ob der Papilles Insolites wirklich zu 100% oder "nur" zu 75% aus Pinot Noir besteht, ist unklar, der Champagner ist eigentlich sowieso nur ein Experiment, bzw. ursprünglich sogar ein Unfall. Die Trauben der hier verwendeten 2005er Ernte wurde schlicht auf der Presse vergessen, daher die ungewöhnlich dunkle Färbung. Mit dem Saft experimentierte Emmanuel Lassaigne ein wenig, ließ den Schwefel weg und verkaufte das Resultat drei Jahre später an zwei seiner besten Pariser Handelskunden (aus deren Firmennamen sich der Name der Cuvée zusammensetzt: "Les Papilles" und "La Cave de l'Insolite"). Von der Farbe her dem Oeuil de Perdrix sehr ähnlich, wenn nicht sogar noch intensiver eingefärbt. Schokolierte schwarze Johannisbeere, Blaubeerjoghurt, Milchschokolade. Säurearm, etwas scotchig, Rumtopf, dabei ohne Rancio.

VIII. Francis Boulard, Mailly Grand Cru Extra Brut, neues Etikett, dég. 18. März 2011

90PN 10CH, 2007er Basis mit 30% reserve aus 2006 und 2005, mit 5 g/l dosiert

Im Fass spontanvergorener Champagner, den man schnell für einen reinen Chardonnay halten könnte, da er eine ansprechende Apfelsaftnote hat, die hier viel gesünder, strahlender und reiner ausgeprägt ist, als beim Chèvres Pierreuses. Einer der ersten Champagner von Francis Boulard, die ich seit dem Etikettenwechsel getrunken habe; zwar habe ich die von ihm und seiner Tochter kreierten Grundweine und Cuvées schon probieren können, da war aber alles noch unrund, ungelenk und nur schwer gut zu finden. In der jetzigen Form zeigt sich die altbekannte Größe von Francis Boulard, der Neustart ist mithin geglückt.

IX. Janisson-Baradon, Cuvée Georges Baradon 2001, dég.

70CH aus der Einzellage Les Toulettes, 30PN

Der 2001er ist der Nachfolger des sehr guten 1999ers, der weitestgehend ausgetrunken sein dürfte und mir vom ersten Kennenlernen bis zum letzten Tropfen erhebliche Freude bereitet hat. Leider war 2001 kein besonders starkes Jahr, was das Reifepotential betrifft. Der 2001er Georges Baradon muss nämlich jetzt ausgetrunken werden. Er ist nicht ungefällig, nur ein bisschen zu festgelegt auf eine Kirschwassernote, die rechts und links neben sich kaum andere Aromen zur Geltung kommen lässt und nocht nicht schnapsig wirkt – doch wird das wahrscheinlich bald kommen. Bis Weihnachten 2011 gebe ich ihm noch, danach steigt er definitiv und merklich ab, für manchen Champagnerfreund dürfte er schon in diesem hochreifen Zustand problematisch sein.

X. Janisson-Baradon, Blanc de Blancs Special Club "Les Toulettes" 2004

Eine ganze Stufe über dem Georges Baradon steht die 1947 bepflanzte Einzellage "Les Toulettes", in dieser Form nach dem 2000er überhaupt erst zum zweiten Mal auf den Markt gebracht und wiederum ein voller Erfolg. Aus den Toulettes bedient sich die Cuvée Georges Baradon zum größten Teil (und soweit ich weiß hat dort auch der famose Jacques Diebolt von Diebolt-Vallois Reben stehend), wie man weiß, mit allen Stärken und allen Schwächen die eine solche Cuvée dann hat. Im reinen Einzellagenchampagner findet sich dafür alles völlig fugenlos gefügt, geht Toffee mit Fruchtpüree Hand in Hand, ohne dass die fruchteigene Säure für Komplikationen sorgt. Brioche, Mandelsplitter, Lemon Curd, ein stattlicher Champagner mit Körper und Biß.

XI. Bérèche et Fils, Instant "Le Cran" 2004, Handdégrogement am 5. November 2010

55CH 45PN, alte Reben gepflanzt von Großvater Pierre Bérèche, mit 2 g/l dosiert

Köstliches Himbeeraroma und ein verführerischer Knackarsch, ultrafein, gleichzeitig unaufgesetzte, ungekünstelte Coolness, eine Mischung aus der kess-frechen Bryce Dallas und der naiv-holden Jennifer Finnigan. Kauftip.

XII. Piper-Heidsieck, Rosé Sauvage

Zum Zeitpunkt der Neuauflage des Sauvage-Champagners war die angesprochene Käuferschicht zu jung, um sich an den alten weißen Extra Brut Sauvage von Piper-Heidsieck zu erinnern, daher gab es wahrscheinlich keinen Konflikt zwischen den beiden. Der Rosé Sauvage ist jung, jugendlich und schmeckt möglichst früh nach der Marktfreigabe sehr gut, mit zunehmender Lagerdauaer baut er leider unverhältnismäßig schnell ab. So war es hier. Zwar prägten viele rote Beeren das Bild, aber alles wirkte zusammengequetscht, gedrückt, eng, schwer und gezwungen. Keine Leichtigkeit, keine sündige Sorglosigkeit; zum Steak noch gut, allein nicht mehr so recht zu genießen.

Aube-Intermezzo mit Champagne Drappier

 

Die Champagner von Drappier und ganz besonders die Grande Sendrée galten lange Zeit als die mit Abstand besten Aube-Champagner. Das war freilich in einer Zeit, als von der Avantgardetruppe um Cedric Bouchard, Jacques Lassaigne, Bertrand Gautherot usw. nur in einem sehr kleinen Kreis die lobende Rede war. Heute muss sich Platzhirsch Drappier zwar nicht mühevoll, aber doch in einem Feld sehr guter bis überragender, teilweise ultraindividualistischer Champagner mit höchsten Ansprüchen an sich selbst behaupten. Ich denke, das tut ihm eher gut als weh. Plaudern konnte ich mit Michel Drappier diesmal leider nicht sehr lange, sonst hätte ich ihn gern dazu befragt

I. Carte d'Or

90PN 5CH 5PM

Sonniger Champagner mit massenkompatibler Dosage, kann man aber auch als Champagnerpurist noch ok finden.

II. Quatuor, dég. Januar 2011

Je ein Viertel CH, PB, Petit Meslier und Arbane, 07er Basis, mit 8,5 g/l dosiert.

Fand ich im Frühjahr kräftiger und fetter, auch wuchtiger, diesmal kam er mir eher vor wie ein richtig gutes Sektsorbet.

III. Grande Sendrée 2004, dég. Januar 2011

55PN 45CH.

Die aktuelle Grande Sendrée ist mittelgewichtig, aber nicht schmächtig; leider befindet sich die ähnlich gebaute Grande Sendrée 2002 gerade in einer Verschlussphase, daher ist ein Vergleich zwischen beiden nicht sehr fruchtbringend. Die Grande Sendrée gehört zu den Champagnern, bei denen ich immer eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Chef des Hauses finde. Sanft und distinguiert, sehr präsent und hellwach, die Neigung zu einer halsbrecherischen Autofahrweise würde man bei Michel Drappier gar nicht vermuten, ebenso nicht die wollüstige Entwicklungsfreude der Grande Sendrée, wenn sie die Möglichkeit zur Reifung hat. Nach einem doppelten Espresso zum Abschluss eines großen Mahls gibt es nichts schöneres, als eine frische und vorzugsweise junge Grande Sendrée wie eben diesen 2004er für die inoffizielle Hälfte des Abends zu öffnen.

IV. Grande Sendrée Rosé 2005, dég. Januar 2011

Etwas schwermütiger, melancholischer Rosé mit einem an smoothies erinnernden Früchtemuscharakter. Relativ wenig Säure und ein Schlußpunkt, der die Ballade stimmungsvoll und für mich ein wenig rätselhaft beendet.

Champagner Boot-Camp

Die vielbelächelte, aber landschaftlich malerische Aube habe ich lange vernachlässigt. Deshalb führte mich meine letzte Sauftour Erkundungsreise in die Gegend zwischen Troyes und Bar-sur-Seine, in eine Region, die schon Voltaire und Charles de Gaulle für bewohnenswert hielten. Wegen der verzweifelten Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit und weil ich dort meine Winz-Allokation reserviert hatte, sollte es hauptsächlich zu einem Newcomer-Pärchen gehen und einigen Entdeckungen am Rande bin ich sowieso nie abgeneigt. 

0. Opener:

1. Husson-Joliet Rosé

Kleiner Erzeuger aus Boursault, dem Örtchen, das am, hinter und neben dem Château der Veuve Clicquot am Berg klebt. Solo und zur rustikalen Ententerrine war der Champagner ok, kam mir nur etwas einfach und eine Spur zu alkoholisch vor, besonders schlimm war das aber noch nicht, denn immerhin konnte er bei aller Einfachheit mit einer beeindruckenden, wenn schon nicht komplexen Fruchtfülle aufwarten. Das war zur Schweinelende sein entscheidender Trumpf, in Verbindung mit Fleisch und Sauce zogen sich nämlich die etwas unbalancierten Aromenverhältnisse wie unter dem Einfluss eines Katalysators gerade.

2. Michel Marcoult Blanc de Blancs Cuvée Francis

Noch südlich von Sézanne liegt Barbonne-Fayel, wo Michel Marcoult seinen Champagner erzeugt. Der ist mit seinen buttrigen Aromen und seinem zurückhaltend-milden Auftritt weder besonders gut, noch besonders schlecht und war für mich gerade recht, um eine handvoll schwarzer Oliven nebst Käsewürfeln runterzuspülen.

I. Thierry de Marne – Frison

Bei diesem sympathischen Winzerehepaar habe ich vergangenes Wochenende die allerersten Flaschen der allerersten Allokation des Jungfernjahrgangs, dégorgiert im Oktober 2010, abgeholt. Verkauft werden die Cuvées "Lalore" und "Goustan" erst seit dem genau 1. Dezember 2010. Unweit von Bar-sur-Seine an der Aube liegt Ville sur Arce, manchen vielleicht bekannt vom dort alteingesessenen und tatsächlich nicht ganz unbekannten Champagnererzeuger Remy Massin. In Villes sur Arce ist der Erzeuger nicht leicht zu finden, wie so oft in der Champagne sind Straßenschilder nur sehr sparsam und etwas beliebig im Ort aufgestellt, auf das – noch junge – Haus de Marne weist auch am Haus selbst nichts hin. Hergestellt wird der Champagner auch gar nicht dort, sondern einige Meter weiter in einem kleinen Hallenkomplex, wo die Fässer (von der Chablisienne) und Stahltanks stehen, wo abgepresst und konfektioniert wird. Thierry lässt sein Bio-Lesegut nach Parzellen getrennt im Fass vergären und ca. ein Jahr auf der Feinhefe liegen, den BSA vermeidet er, wenn nicht widerspenstige Bakterien selbst bei kühlen 5° C sich weigern, den Betrieb einzustellen – wie es bei meinem Besuch gerade der Fall war. De Marne kann man neben dem ihm befreundeten Bertrand Gauthérot (Vouette et Sorbée) aus Buxières-sur-Arce, Cedric Bouchard und Jacques Lassaigne zur neuen Winzer-Avantgarde der Aube zählen.

1. Les Cotannes 2010 (Lalore)

Mit 11% vol. alc. schon sehr alkoholisch für einen Grundwein, merkte man ihm dieses Gefahrpotential nicht an. Mit einer ähnlichen Problematik hat ja Olivier Collin zu kämpfen, dessen 2006er Blanc de Noirs greift nach den 15% vol. alc, schmeckt aber trotzdem nicht hitzig oder spritig – man kann das also händeln. Ganz so arg ist es ja bei Thierry momentan auch nicht und die Substanz im Glas war mir zwar mit einer etwas verdächtigen Herbe ausgestattet, konnte das aber mit einer prallen Frucht aufwiegen.

2. Clos de la Côte 2009 (Goustan) aus dem Barrique

Der Banana Joe unter den Weinen von Thierry. Über die Primärfrucht hinaus blitzeblank und fein strukturiert, was ich trotz der Kälte (5° C) feststellen konnte.

3. La Chevètrée 2010

Fruchtarm, karg und am ehesten noch mineralisch muss man diesen Wein nennen. Im Mund ungeheuer lang und spritzig, mit tollem, von den drei bis dahin verkosteten Weinen wohl sogar der mit dem meisten Potential.

4. Clos de la Côte 2010 aus dem Stahltank

Anders als der fassausgebaute Genosse viel weniger Frucht, dafür alkoholischer, dennoch ein sehr präziser Wein.

5. Cuvée Lalore 2009 still

Erinnerte mich von der Stilistik an manche von den Rheingauer Großen Gewächsen, etwa Georg Breuers Nonnenberg, hart aber herzlich, erdig, würzig, mit gnadenloser Säure.

II. Bérèche et Fils

Rafael Bérèche aus dem Premier Cru Ludes, genauer Craon de Ludes, habe ich auf dem Rückweg besucht. Auch er war unter denen, die ich 2010 nicht mehr zu besuchen geschafft habe. Er gebietet nicht nur über drei sehr ernstzunehmende Hofhunde, sondern auch über jährlich 90000 Flaschen, also über gar nicht mal wenig. Trotzdem sind seine Champagner immer schnell ausverkauft und sein Chardonnay "Les Beaux Regards" ist ebenso wie der "Reflets d'Antan" ab Hof auf drei Flaschen pro Käufer limitiert. Irgendwas muss er also richtig machen. Dieser Eindruck bestätigt sich sofort, wenn man seine Verkostungsgläser in die Finger bekommt. Nobles Zaltomaterial!

1. Brut Réserve, 08er Basis mit 30% Reservewein, 9 g/l

Rötliches Schimmern, in der Nase aufgeladen, im Mund straff, lang und gut. Für eine Basiscuvée sehr einnehmend.

2. Brut Rosé, 07er Basis, dég. von Hand im Oktober 2010, mit 4 g/l dosiert, 45 mg/l SO2 total

35PN 35PM 18CH, Stillweinzugabe aus PN/PM

Ingwercookies, Blutorange, Pomelo und Mandarine locken die Nase tief in den Champagner hinein, mit jedem Schluck wird das Verlangen rauschhafter, Opiate können nicht sinnesbetäubender wirken.

3. Instant "Le Cran" 2004

50CH 45PN 5PM

Herbe Nase, nasse Kreide, etwas Holz, kaum Frucht. Im Mund legt der Champagner sich mächtig ins Zeug. Der verschlossene Naseneindruck weicht einem strahlenden Aromenaufgang, der sich rasend schnell abspielt und einem kaum Zit lässt, die einezelnen Aromen zu identifizieren. Bei jeden Schluck wandelt sich der Champagner und zeigt neue Facetten seiner kraftvollen Persönlichkeit. Stets merklich ist noch das Holz, aber anders als bei Vilmart spielt das Holz hier offenbar gerade keine tragende Rolle, sondern soll sich gleichberechtigt zu den anderen Aromen fügen, wenn die in einigen Jahren so weit sein werden, dass der Champagner die 90 Punkte deutlich hinter sich lässt.

III. Yves Ruffin

Thierry Ruffin ist leider kürzlich verstorben, seine Frau führt den Ecocert-Betrieb deshalb allein. Hilfe erhält sie dabei von Laurent Chiquet, einem der beiden Chef-Brüder von Jacquesson aus Dizy, ein guter Freund ihres allzu früh verstorbenen Mannes – der Ort hat mit Poul-Justine übrigens noch einen weiteren wichtigen Winzer verloren, dessen Spezialität waren die Solera-Champagner. Derzeit gibt es bei Madame Ruffin holzfassausgebaute Champagner in Brut und Extra Brut, einen Demi-Sec, einen Rosé, einen Jahrgang und eine Cuvée, die Thierry komponiert hat, bevor er verstarb. Über deren Schicksal ist entschieden: es wird eine Hommagecuvée à Thierry. Die beiden fassausgebauten Champagner werden voraussichtlich im Programm bleiben, was mit Rosé und Jahrgang passiert, ist noch unklar. 

1. Brut Premier Cru aus dem Eichenfass

75PN 25CH.

Fruchtig, herb und frisch, mit gut integriertem Holz. Kräftige, etwas wilde Säure. Kunstvolles Früchtepanorama und gekonnter Holzeinsatz.

2. Extra Brut Premier Cru aus dem Akazienholzfass

Behäbiger, weicher, mürber, etwas sandiger auch als der eichenfassausgebaute Ruffin. Nicht so sehr mein Fall.

3. Cuvée Thierry Ruffin

Hochaufgeschossen, schlank, schnittig, mitreißende Säure, noch arg jung und in alle Richtungen auseinanderstrebend, ohne dass man den Eindruck hat, der Champagner würde aromatisch auseinanderfallen. Stattdessen wirkt er, als hätte er einfach nicht genug Platz im Mund. Vielversprechend.

4. Rosé

Fruchtig, nicht zu hoch dosiert, mild, beerig, sahnig, aber nicht übertrieben laktisch.

IV. Danach noch zwei Rosés:

1. Remy Massin, Ville-sur-Arce, Brut Rosé

Weiche Süße, üppige Beernfrucht, dabei nicht kitschig oder eindimensional, etwas breiter dimensioniert als der Rosé von Bérèche.

2. Xavier Leconte, Troissy, Brut Rosé

In der Nase angenehm, zurückhaltend, distinguiert. Im Mund herb, kantig, karg, verschlossen. Deutlich geringer dosiert, als der Aube-Kollege. Erst mit sehr viel Luft geringfügig freundlicher, aber keinesfalls ein Spaßchampagner. Auch als Speisenbegleiter nicht ohne weiteres zu empfehlen. Hat einen eigenwillig intellektuellen Charakter, der zum hageren und mürrischen Winzer passt.  

Das schreiben die anderen: Patrick Dussert-Gerber

Der aktive Autor hat sich in der aktuellen Ausgabe von "Millésimes" mit seinem Champagner-Classement für 2010 zu Wort gemeldet. Nicht zur Unzeit, wie ich meine, denn Zeit für Champagner ist bekanntlich immer – nicht nur kurz vor Weihnachten. Also, was schreibt er denn? Zunächst mal muss man seine Classements kennen. Darin unterscheidet er zwischen erst-, zweit- und drittklassifizierten Weinen. Diese Classements stellt er für jede Weinbauregion gesondert auf, d.h. ein erstklassifizierter Champagner unterliegt den Regeln seines Champagner-Classements und ist insofern nicht vergleichbar mit einem von ihm erstklassifizierten Bordeaux. Innerhalb der jeweiligen Classements herrscht nochmal eine Hierarchisierung, wobei Dussert-Gerber im Champagner-Classement jede Klasse nochmal in kräftige und elegante Champagner unterteilt. Dabei fließen Werte wie Reifevermögen, Preis-Leistungs-Verhältnis und Kontinuität der letzten Jahrgänge einer Cuvée ein. Wer also in der Spitze eines Classements steht, dem kommt eine gegenüber den nachfolgenden Weinen herausgehobene Bedeutung zu.

Neu hinzugefügt hat er die folgenden Champagner (A steht jeweils für die Gruppe der körperreichen Champagner, B für die eleganten Champagner):

AVENAY-VAL-D'OR, CHAMPAGNE LAURENT-GABRIEL, 2ème A

AY , CHAMPAGNE GOSSET, 1er B

BOUZY, CHAMPAGNE MAURICE VESSELLE, 2ème A

CHAMERY, CHAMPAGNE PERSEVAL-FARGE, 2ème B

CHIGNY-LES-ROSES, PHILIPPE DUMONT, 2ème A

CHOUILLY, CHAMPAGNE LEGRAS ET HAAS, 2ème B

COURTERON, CHAMPAGNE FLEURY, 2ème A

CRAMANT, CHAMPAGNE P. LANCELOT-ROYER, 3ème A

DAMERY, CHAMPAGNE DANIEL CAILLEZ, 2ème B

DIZY, CHAMPAGNE VAUTRAIN-PAULET, 2ème A

EPERNAY, CHAMPAGNE ELLNER, 1er A

LE BREUIL, CHAMPAGNE PIERRE MIGNON, 2ème B

POUILLON, CHAMPAGNE BOURDAIRE-GALLOIS, 2ème A

RILLY-LA-MONTAGNE, CHAMPAGNE ANDRE DELAUNOIS, 2ème B

Um einen Eindruck von seinem Classement zu bekommen, ist es hilfreich, sich seine erstklassifizierten Champagner anzusehen.

In der Gruppe A, bei den körperreichen Champagnern, finden wir:

CHARLES HEIDSIECK (Millénaire)
KRUG (Grande Cuvée) (r)
MOËT ET CHANDON (Dom Pérignon)
POL ROGER (Sir Winston Churchill) (r)
TAITTINGER (Comtes de Champagne) (r)
ALAIN THIÉNOT (Grande Cuvée)
DEVAUX (D) (r)
ELLNER (Réserve) (r)
PHILIPPONNAT (Clos des Goisses)
(BOLLINGER (RD))
CANARD-DUCHÊNE (Charles VII)
RENÉ GEOFFROY (Volupté)
LAURENT-PERRIER (Grand Siècle)

In Gruppe B, bei den eleganten Champagnern, finden wir:

GOSSET (Grand millésime) (r)
PIPER-HEIDSIECK (Rare)
ROEDERER (Cristal)
DE SOUSA (Caudalies)
DE TELMONT (O.R.1735)
Pierre ARNOULD (Aurore)
PAUL BARA (Réserve) (r)
Pierre PETERS (Spéciale Millésime)
RUINART (Dom Ruinart) (r)
DE VENOGE (Princes)

Was sagt uns das? Das sagt uns, dass Monsieur Dussert-Gerber einen, sagen wir mal: sehr eigenständigen Gaumen hat. Wie sonst ist es zu erklären, dass er Dom Pérignon, den Inbegriff der Leichtigkeit und des schwerelosen Genusses in die Gruppe der körperreichen Champagner einordnet? Liegt es vielleicht daran, dass er nur die klobigeren, angestrengteren Jahrgänge aus den späten Neunzigern getrunken hat? Wir wissen es nicht. Auch eine Erklärung über die Jahrgangschampagner aus dem Hause Krug bleibt der Meister schuldig. Doch der Seltsamkeiten noch nicht genug, finden wir unter den erstklassifizierten Champagnern Häuser wie Devaux, Ellner und Canard-Duchêne, nicht jedoch die Grande Dame von Veuve Clicquot, keine Champagner aus dem Haus Perrier-Jouet, Delamotte, Salon oder Besserat de Bellefon, die alle wahrlich keine Geheimtips mehr sind und es mit einigen der erstklassifizierten Champagner ohne weiteres aufnehmen könnten.

Sehr seltsam ist auch, dass sich im gesamten Classement Winzer finden, die gut und gerne trinkbare Champagner machen, Erzeuger wie Selosse, Prevost, Ulysse Collin, David Leclapart, Jacques Lassaigne, Tarlant, Cedric Bouchard, Vouette et Sorbee, Georges Laval, Diebolt-Vallois jedoch noch nicht einmal unter den drittklassifizierten auftauchen. So ist doch ausgesprochen fraglich, ob die süffigen, aber nicht besonders inspirierten Champagner beispielsweise vom Château de Boursault und Abel-Jobart einen Platz im Classement halten könnten, wenn die anderen genannten Winzer dort ebenfalls vertreten wären.

Will man Monsieur Dussert-Gerbers Gaumen kein voreiliges Unrecht antun, so kann man nur vermuten, dass er einige sehr wichtige Champagner noch gar nicht getrunken hat. Dann aber, so meine ich, muss man sich mit der Herausgabe eines Classements zurückhalten und artig gedulden, bis die Datenbasis dafür groß genug ist.

Dass er einige sehr gute Champagner auf dem Schirm, resp. im Glas hatte, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er Champagne Aspasie von Ariston Père et Fils hoch einstuft. Franck Bonville, Pascal Agrapart und Jacky Charpentier haben sich ihren Platz gewiss ebenfalls verdient, wenngleich ich ihre Champagner nicht zu den körperreichen zählen würde. In der Kategorie ist richtigerweise der "Comète" von Francis Boulard gut aufgehoben – auch wenn dieser Champagner ultrarar ist und die anderen Champagner von Francis scheinbar keine Berücksichtigung gefunden haben. Bei den eleganten Zweitklassifizierten stoßen wir sodann auf Gaston Chiquet, Leclerc-Briant, Legras et Haas, Bonnaire, Comte Audoin de Dampierre, Drappier und Gimonnet, sowie auf andere alte Bekannte: Blin, Bedel, Tixier, Brice, Chapuy, Robert Charlemagne und Michel Turgy. Wieder könnte man darüber streiten, ob die Champagner z.B. von Dampierre zu den allerelegantesten gehören, oder ob sie nicht wegen ihrer reichlichen Dosage bei den körperreichen Champagnern anzusiedeln wären.

Lässt man die Frage nach der Notwendigkeit eines Champagner-Classements offen, so kann man sich fruchtbar nur noch mit der tatsächlich erfolgten Umsetzung eines solchen Classements befassen. Das von Dussert-Gerber ist gut gewollt, doch unübersichtlich und die vergleichsweise umfangreichen Beschreibungen der Erzeuger wiegen nicht seine allzu kurz geratenen Weinbeschreibungen auf. Wichtige Champagner fehlen völlig, mancher nur leicht überdurchschnittliche oder gerademal durchschnittliche Erzeuger erhält durch die viel zu dünne Datenbasis ein unproportional hohes Gewicht. Das mag den betroffenen kleinen Winzer freuen und mit Sicherheit werden einige Winzer nach der Publikation des jeweils aktuellen Classements ein verdientes Maß erhöhter Aufmerksamkeit erhalten. In diesem Punkt erweist sich Dussert-Gerber nämlich als fleißiger Verkoster – was letztlich dem Verbaucher nur willkommen sein kann. Meiner Ansicht nach leidet das Classement aber noch zu sehr unter seiner Unausgewogenheit.

Unabhängige Winzer unter der Lupe – Aube: Champagne Fluteau, Gyé-sur-Seine

Fluteau, Gyé-sur-Seine

Über neun Hektar verfügt dieser unter anderem von Tom Stevenson sehr positiv bewertete Aube-Winzer, dessen amerikanische Ehefrau Jennifer einen Champagnerblog betreibt: http://champagnefluteau.over-blog.com/. Die Verwandtschaft kennt man auch: Biopionier Fleury aus Courteron.

1. Cuvée Prestige Blanc de Blancs

Mineralische, enge Nase mit Salmiakbonbon, das sich im Mund wiederfindet.

2. Cuvée Symbiose Millésime 2004

50PN 50CH.

Buttercrèmige Nase, ungewohnt griffiges, dabei sehr feinkörniges Tannin, immer noch balanciert, von herber Frische und mit ansprechendem mineralischem Druck, bei mittellangem Ausklang.

3. Cuvée Reservée

85PN 15CH.

"Sheer glugginess", sagt der Decanter (http://www.decanter.com/archive/article.php?id=121968). Hat er damit recht? Drei Wörter: er hat. Grasig, mit etwas Stachelbeere und Kiwi, ohne dass der Champagner wie ein verkappter Sauvignon-Blanc schmecken würde. Leider habe ich ihn sehr kalt getrunken, daher konnten sich die geschmeidigen, weichen und weinigen Pinotaromen nicht sofort mit der Würde und Eleganz aus dem Primäraromenkonzert lösen, wie es mit etwas Temperatur dann der Fall war.

4. Blanc de Noirs

100PN.

Auch wieder von primären Aromen, diesmal Banane und Kirsche dominiert, mit etwas Luft kalter Rauch wie von Mentholzigaretten, leider mit einer wenig ansprechenden, noch nicht direkt rapsigen, aber etwas unreif und minimal kratzig wirkenden Unkrautnote. Ich weiß, dass es Leute gibt, denen das gefällt – ich gehöre nicht dazu. Leider, wie alle Fluteau-Champagner, zu kalt getrunken, daher vielleicht das etwas getrübte Geschmacksbild.

5. Brut Rosé de Saignée

100PN.

Bildhaft gesprochen ein Bauernnase. Grobschlächtig, knollig, ja kartoffelig. Und dann: überreife Honigmelone, Beerenkompott, rote Grütze, dazu ausgeprägt hefige Noten, die sich mit Malzbier vermählen und an belgisches Kirschbier erinnern. Gehört vielleicht zu den robusteren Champagnern, mancher wird sagen: typisch für die Gegend, Bauernchampagner; für mich zeigt das esamtprogramm von Fluteau, dass man sich der Vorbehalte gegen die Aube wohl bewusst ist, die Herausforderung aber annimmt. Die Champagner scheinen, soweit ich das wegen der Temperaturprobleme beurteilen kann, alle mit einer geradezu ironischen Interpretation des Bauernchampagnerthemas auf die Flasche gebracht. Ein gut gangbarer Weg, um sich vom Image der Region zu emanzipieren. Wenn Fluteau so weitermacht, steht höheren Weihen nichts entgegen.

Unabhängige Winzer unter der Lupe – Aube: Didier Doué und Champagne Velut aus Montgueux

Didier Doué, Montgueux

Beim Örtchen Montgueux läutet im Kennerkopf sofort die Jacques Lassaigne-Glocke und das erst seit kurzer Zeit. Für die meisten, selbst gut informierten Champagnerfreunde ist Montgueux jedoch noch völlige terra incognita. Dabei ist der in mehrfacher Hinsicht abseits gelegene Ort landschaftlich überaus reizvoll und von seinen Weinbergen aus hat man eine herrliche Sicht auf die mittelalterliche Minimetropole Troyes. Die 5 ha von Didier Doué werden integriert, d.h. bei ihm quasi biodynamisch bearbeitet und über seine CO2-Bilanz macht er sich zudem noch Gedanken, weshalb die ausladenden Dachflächen der Wirtschaftsgebäude komplett mit Photovoltaikzellen bestückt sind. Seine Champagner sind setets Einzellagen-Champagner (Monocrus), die Böden verfügen teilweise über Silex-Einsprengsel, die auch das Terroir bei Ulysse Collin im Sézannais so sehr bereichern. Ecocert. Für einen Betrieb, der erst seit 1980 Champagner macht, höchst respektabel.

1. Brut Selection

80 CH 20PN, 2006er Basis mit Reserve aus 2005, 10 g/l Dosage.

Brioche mit Honig und Mandelsplittern, etwas hefiges, auch etwas hoch dosiertes Naturell. Insgesamt kräftig, kommt aber schnell aus der Puste.

2. Brut Prestige

60CH 40PN, 2005er Basis mit Reserve aus 2004 und 2002, 7 g/l Dosage.

Brioche, Honig und Mandeln, im Gegensatz zum Brut Selection angereichert durch freche Säure, druckvolle Mineralität, insegesamt viel mehr Leben, Ausdauer und Rasse. Tom Stevenson sah ihn immerhin gleichauf mit zwei so unterschiedlichen und schwergewichtigen Champagnern wie der Cuvée Louis von Tarlant und beispielsweise dem Clos Jacquin von Callot (http://www.wine-pages.com/guests/tom/fizz04_3.htm), von dem es gerade einmal tausend Flaschen gibt und den ich zufällig nur kurz nach Doués Champagner probiert habe.

3. Blanc de Blancs Millésime 2002

Mit 5 g/l dosiert.

Kraftvolle Steigerung zum Brut Prestige und zum Selection, für mich beginnt mit diesem Champagner das Portfolio von Doué hochklassig zu werden. Florale, vor allem aber auf die Silexeinsprengsel zurückzuführende tiefgründige Mineralität, die zum Kauen anregt, dazu wieder Brioche, außerdem hochelegant, weisser Pfirsisch und Nashibirne. Ein würdig vinifizierter 2002er.

4. Brut Nature

70CH 30PN, 2006er Jahrgang aus dem lieu dit le Corre.

Nackt und herzhaft, sprich drall, jedoch nicht plump oder hitzig, sondern mit einem kühlen, etwas distanzierten Habitus. Reizvoller Champagner, bei dem mir noch nicht ganz klar ist, warum er als Einzellage vinifiziert wurde, aber da es nicht meine letzte Begegnung mit Didier Doués Champagner sein wird, kann ich darüber in Zukunft ja vielleicht noch mehr lernen.

5. Rosé

85CH 15PN, 2006er Basis mit Reserve aus 2004, 10 g/l Dosage.

Selten finde ich eine Dosage von 10 g/l oder mehr angemessen oder gar schmackhaft. Bei diesem Rosé hat mich der Schleckermaulfaktor voll erwischt. Mandeln, Holz und Rauch umwehen den ersten Schluck, bevor sich eine tiefgründige, zwischen triefend-saftig und knisternd-knackig kandiert changierende Blutorangenaromatik entwickelt. Ein herbes, etwas dünnes finish tut der Freude keinen Abbruch.

 

Champagne Velut, Montgueux

Die sieben Hektar des Erzeugers sind größtenteils mit Chardonnay bestockt.

1. Brut Tradition

75CH 25PN

Einen beeindruckenden Start legte der Brut Tradition hin, was gemeinhin als gutes Zeichen gewertet werden darf. Schnelle, starke Entfaltung ausgeruhter und sehr motivierender, von schlanker Säure getragener Apfel-Birnenaromen am Gaumen. Als gälte es, mit einem Panzerregiment tief in den feindlichen Raum vorzudringen besetzt dieser Champagner die strategisch wichtigen Punkte an Zungenspitze und -rändern. Dazu passte die etwas starre, pektinige Rüstung des Champagners.

2. Cuvée Speciale, Blanc de Blancs

Nicht mehr ganz so aufregend und rapide arbeitet die Cuvée Speciale sich vor. Klar, limettig, frisch, mit einer ununterbrochenen, sauberen, Apfel und Birne duplizierenden Aromatik aber ohne den rechten Schwung, wie ihn der einfache Brut Tradition gezeigt hatte. Trotzdem eine überaus solide Leistung.

3. Rosé

100PN

Muffig, aber nicht korkig, erdig, im Kern etwas zu dick und unausgewogen, mit einem allzustark rot durchscheinenden Charakter war abschließend der Rosé.