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Tag Archives: pierre peters

ProWein 2014 – Die besten Champagner und Schaumweine

Die Prowein begann für mich am Samstag unter anderem mit einem sehr seltenen Champagner: de Marne – Frison Cuvée "Elion" Rosé. Von de Marne -Frison habe ich schon verschiedentlich berichtet und dabei letzthin leider auch erwähnen müssen, dass die Zukunft des 6,5 Hektarguts in Ville sur Arce (Aube) ungewiss ist. Aber Valerie Frison macht allein weiter, nachdem ihr Mann Thierry sich in den Süden Frankreichs verabschiedet hat. Die Zukunft ist also sicher und weil ich hoffe, dass sie auch rosig ist, kam der rare Rosé ins Glas. Der ist eher dunkel und so granatenfruchtig, so voller Granatapfel, dahinter Banane und Kirsche und ein etwas ungemütlicher Gerbstoff, dass mir um die Zukunft dieses sympathischen Kleinerzeugers nicht bang ist. 

Der Eröffnungssonntag brachte verschiedene schöne Schäumer ins Glas. Lanson öffnete beispielsweise aus der spätdegorgierten Jahrgangscollection (alles Magnums) ein paar Exemplare. Mir gefiel der ausdrucksstarke, einerseits sehr frische, andererseits gediegen-reife 1976er, dég. im Februar 2014, am besten.

Zuvor hatte Cyril Janisson aus seiner Einzellagen-/Einzelrebsortenserie den von "Chemin de Conges" in "Conges" umbenannten 2006er Meunier ins Glas gebracht und meinen Beifall geerntet. Der neue Jahrgang ist etwas niedriger dosiert, was ihm unheimlich gut steht und mehr Durchzugskraft verleiht. Der Champagner ist rassiger, klarer definiert, sportlicher und um Nummern forscher, als sein Vorgänger. 

In der nämlichen Champagnerlounge, die letztes Jahr erstmals oberhalb der Österreicher in Halle 7.1 zu finden war und heuer nicht so verdruckst im Halbdunkel, sondern in überwiegend strahlendem weiß vorzufinden war, schenkte Montgueux-Winzer Vincent Couche seinen Sensation 1997, dég. 12. April 2012, aus. Das ist seine Antwort auf den Trend zum verlängerten Hefelager und gefiel mir schon als 1995er sehr gut. Diesmal war eine Spur mehr Eleganz und Finesse, etwas weniger Oxidation und daher sogar mehr Trinkvergnügen als erwartet in der Flasche.

Von 1995 zu 1997 zurück zu 1995: Bruno Paillard, der zum Jahrgangsvergleich seiner aktuellen 2004er Vintages geladen hatte, überzeugte mal wieder mit seinem 1995er Assemblage, der sich bei mir wegen seiner perfekten Reife noch vor dem 2004er Blanc de Blancs, dem 2004er Cuvée und dem 1995er Blanc de Blancs platzieren konnte. Und das will was heißen, denn der 1995er Blanc de Blancs war in einer ähnlichen Vergleichsprobe mit den Jahrgängen 1989, 1995, 1999 Anfang des Jahres in Berlin noch mein klarer Favorit.

Die jungen Aube-Player Tendil & Lombardi mit dem verblüffend an Dom Pérignon angelehnten Etikett konnten vor allem mit ihrem Blanc de Noirs punkten, Piper-Heidsieck setzte sich mit dem 'gewöhnlichen' 2006er Vintage positiv nach oben vom sehr guten und mancherorts (FINE Champagne Magazine Nummer 1 der 100 Best Champagnes for 2011) für überragend gehaltenen Rare 2002 ab. Den sehe ich erst in der Spitzenriege, wenn der Babyspeck abgeschmolzen ist.

Bei den englischen Sparkling Wines ('Méthode Anglais') hat Gusbourne die Nase vorn; dort hat man sich Verstärkung geholt: Charlie Holland, der von Ridgeview kommt und Christian Holthausen, der vor gar nicht so langer Zeit von Piper-/Charles Heidsieck zu Nyetimber gewechselt hat. Während ich tüchtig mit Charlie probierte, schlürfte Christian übrigens den eben erwähnten Conges von Janisson-Baradon, was ich ihm von Herzen gegönnt habe. Schon länger im Auge habe ich von Camel Valley den Annie's Anniversary Brut, ein sagenhaft flottes Gerät mit quiekend frischer Säure, Boskoop und Lemon Curd, also allen Attributen, die man sich nur wünschen kann, um den eingestaubten Gaumen freizubekommen. Balfour hatten nur zwei Sparkler da, aber die waren ebenfalls sehr gut und hatten mir schon im letzten Jahr sehr gut gefallen. Die Präsentation war von der knorrigen Art und mit einem Humor, der den anhaltenden Kriegserfolg des Empires erklären hilft. 

Aus deutschen Landen habe ich leider nicht sehr viel probieren können, weil jeder Aufenthalt in der Deutschlandhalle selbst den ehrgeizigsten VKN-Produktionswillen unterminiert und zunichte macht. Vor lauter Begrüßung und Wiedersehen kommt man kaum zum probieren. Geschafft habe ich deshalb nur ein paar Flaschengärer wie Madame Bettys Rheingau Riesling Brut vom Sekthaus Solter, das auf den Etiketten witzigerweise und quasi im Anschluss an die Engländer (oder umgekehrt) die 'Méthode Allemande' für sich reklamiert. Aus der Raumland-Kollektion gefielen mir am besten Marie-Luise und Blanc et Noir, das Triumvirat muss noch ruhen, bevor es sich zum Gaumennahkampf rüsten soll. Vor allem optisch positiv aufgefallen ist mir außerdem mal wieder der Winzerhof Stahl aus Auernhofen, der in Würzburg die "Edel Stahl Brause!" versekten lässt. Dieser Riesling Brut Sekt ist mir eigentlich zu hoch dosiert und schmeckt verdächtig nach Aromahefen, aber wer partout keinen Champagner anrühren will, wird sich leicht mit diesem Frankensekt versöhnen und im Idealfall natürlich verwöhnen können.     

Aus Spanien drang lediglich eine Cava zu mir durch, die sich aber wegen des Chardonnayanteils darin selbst zu später Stunde noch mit Freude trinken ließ. Ausgeschenkt wurde sie von Hauptstadtwinzer Daniel Mayer, der für die spanischen United Wineries als Sales Director Deutschland fungiert. Eben diese United Wineries haben übrigens auch beim Sieger der italienischen Euposia Challenge unter den Rosé-Schäumern ihre Finger im Spiel. Denn der italienische Trento-DOC Erzeuger Cesarini Sforza, von dem der nicht zuletzt unter meiner Mitwirkung aufs Siegertreppchen gehobene "Tridentum Rosé" stammt, gehört den Spaniern.

Der Proweinmontag sollte Großes bereithalten. Nämlich die Party auf der Party: die Caractères et Terroirs de Champagne Single Vineyards Probe in luftiger Höhe. Jörg Kalinke hatte extra und dankenswerterweise höchst bereitwillig seine Bar M168 im Düsseldorfer Rheinturm zur Verfügung gestellt. So konnten gottlob 15 Champagnerwinzer ihren Stoff und seine Wirkung auf den menschlichen Organismus vorstellen. Champagne Aspasie brillierte mit den Cépages d'Antan und einem sehr gelungenen Brut de Fut, von Meunierspezialist Michel Loriot gefiel mir die Monodie, die mir aber neuerlich zu hoch dosiert vorkam. Über den modern gehaltenen Chétillons 2007 von Pierre Peters und die Cuvée des Grands Vintages muss ich glaube ich nicht viel sagen, die beiden haben ihren guten Ruf völlig zu recht, wenngleich sie völlig unterschiedliche Geschmäcker ansprechen. In Richtung des Chétillons ging auf der Caractères-Veranstaltung sonst nur noch die Einzellage "Les Fervins" von Penet-Chardonnet, der mit viel Energie den Markt aufrollt. Dass Eric Rodez auch mit Chardonnay umgehen kann, wissen mittlerweile selbst die erkenntnisscheuesten Typen. 

Daher überrascht es nicht, wenn ich bekenne, dass auf der Meiningerprobe von Sascha Speicher am Dienstag der Blanc de Blancs von Rodez zu meinen Favoriten unter den vorgestellten Chardonnays gehörte. Einhalt gebot dem erst der letzte Champagner der Verkostung, Ruinarts großartiger Dom Ruinart 2002. Dazwischen gab es mit der Cuvée des Caudalies von de Sousa, Emmanuel Lassaignes Le Cotet, Rafael und Vincent Bérèches lange auf der Hefe gebliebenen "Côte" sehr starke Mitbewerber und selbst Taittingers Comtes de Champagne 2005 schaltete sich kurz vor Schluss noch kurz ein, konnte aber nicht als game changer reüssieren. Denn für mich waren die Sieger klar: Rodez und Ruinart. Jacquesson, Bollinger, Gosset und Pol-Roger gerieten mir auf der diesjährigen ProWein etwas aus dem Fokus. Sie werden es verkraften, denn es ist kein Ausdruck von Missbilligung, sondern vielmehr so, dass diese guten und stabilen Erzeuger gerade nicht meiner ständigen Aufsicht bedürfen.   

Jerome Coessens' Champagner habe ich erst kurzem wieder lobend erwähnt, daher spare ich mir hier weitere Ausführungen. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle sehr gerne noch auf die Champagner des jungen Thibaud Brocard von der Aube, der als Winemaker bei Champagne Brocard-Pierre eine köstliche Cuvée mit dem Namen Limited Edition Blended zu verantworten hat. Das ist Champagner, wie man ihn sich von einem Talent der jungen Champagne-Avantgarde wünscht. Deutlich weniger weitläufig und fassnah angelegt ist die wagemutig gestaltete Cuvée Lady Style von Champagne Malard, Lieferanten des Hauschampagners von "Nicolas", dem französischen Pendant zu unseren Jacques' Weindepots. Die Cuvée Lady Style ist Extra Brut und aromatisch eine etwas unterkühlt wirkende Schönheit vom Typ der eiskalten osteuropäischen Spionin aus James Bond und anderen Agentenfilmen. An dem Cliché ist hier sogar etwas dran, denn Leitfigur ist die bildhübsch in Szene gesetzte Ehefrau des rugbyspielenden Hausherrn, Model und Volleyballspielerin Natacha Malard, die gebürtig aus der Ukraine stammt.  

Bubbles over Berlin (II/II)

V. Reinsortiger Pinot Noir, Cumières Premier Cru und unklassifiziertes Aubeterroir

Lavals Champagner müssen bei mir immer dann ran, wenn ich richtig gute Aubewinzer vorstelle.

1. Georges Laval Hautes Chèvres

Der Hautes Chèvres gehört mit zu den stärksten Pinot Noir-Champagnern, die ich kenne. Weil er zu den burgundischsten Champagnern gehört, die ich kenne. Wer dagegen anrennen will oder soll, muss sich ganz schön was einfallen lassen. Kraft, Pfeffer, KIrsche, eine Aromenmitrailleuse.

2. Vouette & Sorbée Fidèle

Die Aube mit ihren verführerischen Pinots hält mit Macht dagegen. Raubkätzisch, mit samtpfotiger Eleganz und verspielter Brutalität, wie sie Katzen beim Erlegen ihrer Beute aus unserer Sicht an den Tag legen. Das erklärt vielleicht auch, warum Martin Zwick, der sich vom Laval nicht das Herz berühren lassen wollte, den fidèle so offensichtlich bevorzugte.

VI. Clin d’Oeuil: Oeuil de Perdrix

1. Charles Dufour Oeuil de Perdrix Brut Nature

Die Entstehungsgeschichte (beim pressen ging die Presse kaputt, daher die Roséfärbung) erinnert ein bisschen an die der Papilles Insolites von Lassaigne (der die Beeren einfach auf der Presse vergessen hat). Auch der Champagner ist besonders, mit einer von Herzen kommenden und zu Herzen gehenden Wärme, die keine alkoholische Hitze ist; griffig wie die Mannequins der Stummfilmära und mit einem überraschend weit ausgreifenden Fruchtspektrum versehen; Orange, Melone, rote, blaue und schwarze Beeren, Kirsche, Zwetschgenröster. Dahinter tun sich immer weitere Aromatürchen auf, wie die Wächter in Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“, mit dem Unterschied, dass der Champagner bereitwillig Zutritt gewährt.

VII. Winzer-Prestigecuvées: Janisson-Baradon trifft Billiot.

1. Janisson-Baradon Tue Boeuf 2005

Über den Tue Boeuf als den Pinot-Bruder des Toulettes habe ich schon verschiedentlich geschwärmt, nachdem ich ihn solo getrunken hatte, nun musste er sich mit Laetitas Tochtercuvée einlassen. Ein Date der besonderen Art. Schnaubend, kraftgeladen, männlich, ganz ohne BSA der Champagner von Cyril Janisson, ganz der Vertreter einer erobernden Gattung.

2. Henri Billiot Cuvée Julie

Leichtherzig, frohgemut und in bester Raffaello-Werbefilmlaune war die ebenfalls ohne BSA entstandene Julie. Fruchtig, twenhaft, unverkitscht, eine selbstbewusste junge MIss und ein guter Fang allemal.

VIII. Aube und Grand Cru

Rein formal gesehen nochmal eine Steigerung zu der Kampfansage von Bertrand Gautherot an Lavals Premier Cru war dieser flight mit einem Minivinifikatuer von der Aube und einem Champagner aus dem kernhaftesten Kerngebiet der besten Champagnerpinots.

1. Cedric Bouchard Inflorescence Val Vilaine

Eigensinnig bis fanatisch darf man die Champagner von Cedric Bouchard wohl stellvertretend nennen. Bei der allerersten Konfrontation können sogar Zweifel aufkommen, ob der Inflorescence Val Vilaine überhaupt dem Champagner zuzurechnen ist. Ist er natürlich, nur dass die im Frühstadium prägnante Birnennote auf die falsche Fährte lockt. Mit mehr Luft kommt ein herberes, atlantischeres, mehr Salzgeschmack und Seeluft vermittelndes Aroma durch und selbst wenn dieser Champagner keine Fruchtbombe ist, punktet er ab diesem Stadium gerade mit seinen sparsam gesetzten, aber effektvoll kontrastierenden Birnen-, Apfel- und Marillenakzenten.

2. Gatinois Grand Cru Brut Réserve

Unberührt von den sich wandelnden Zeitläuften prangte die so klassische wie gute Reserve von Gatinois im Glas und wirkte, so Budi, wie ein Gentleman im Kordanzug. Nach meiner Auffassung und nach dem Genuss der Inflorescence allerdings auch einer, der für die deflorescence der Erstgenannten verantwortlich gemacht werden kann.

IX. Der Winzer und das Holz

Holz ist bei der Weinbereitung immer ein dankbares Thema. Deshalb gab es zum Ende hin einen flight, bei dem unter anderem der Holzeinsatz besonders schön nachvollzogen werden konnte.

1. Ulysse Collin Blanc de Blancs

Ganz behutsam und den jungen, auch jung vermarkteten Champagner nur leicht kitzelnd, setzt Olivier Collin seine Fässer ein. Heraus kommt ein kleiner, den silexdurchsetzten Boden des Sézannais funkensprühend und mit einer Note von Senfsaaten ins Glas transportierender Feuerteufel.

2. Vilmart Grand Cellier d’Or 2003

Laurent Champs kann wahrscheinlich mit solchen Feuerteufeln nichts anfangen, seine Champagner sind ganz anders, duftiger, konditorenhafter. Vielleicht, weil er auf seinem Gut von Kirchenfenstern umgeben ist. Ob nun freilich das himmlische Element obsiegt, oder das lokihaft-unterweltliche, kann bis zum apokalyptischen Weltenbrand nicht entschieden werden. Sicher ist nur, dass der zu 80% aus Chardonnay hergestellte Grand Cellier d’Or ausgerechnet als 2003er mir bislang schon so viel zuverlässigen Trinkspüass bereitet hat, wie nur wenige andere Champagner dieses Alters.

 

X. Schlussrosé Larmandier-Bernier Rosé de Saignée

Alle reden immer nur von Pierre Larmandiers Blanc de Blancs. Die sind toll, so puristisch und klar, keine Frage. Doch ist mir der Rosé der wichtigere und liebere Champagner aus seinem Programm. Für mich so etwas wie die Antwort auf Lavals Hautes Chèvres.

XI. Altweinschmankerl: Perrier-Jouet Belle Epoque 1971

Die Farbe altersgerecht, gerade wenn man die alten Belle Epoques kennt, die sich bei weiß und rosé einander immer sehr annähern. Leicht pieksende, acetige Säure war alles, was mich hätte stören können, wurde aber von einer unausgetrockneten Saftigkeit gut kompensiert. Ein wenig später getrunkener de Venoge Cuvée des Princes 1973 machte keinen so wohlgestaltigen Eindruck mehr.

Bubbles over Berlin (I/II)

Bubbles over Berlin, bzw. genauer genommen im Weinsalon von Martin Zwick, dessen Liebenswürdigkeit, Gastfreundschaft und Kochkunst den spannungsvoll erwarteten Champagnerabend zusammen mit einem zu der Zeit laufenden EM-Fußballspiel, das Deutschland meiner Erinnerung nach gewann, ganz und gar vollendeten. Die Veranstaltung selbst war deshalb so spannungsvoll zumindest von mir erwartet, weil gleich mehrere Sachen auf einmal ihrer Verwirklichung harrten. Nicht nur, dass es immer eine Herausforderung ist,Expertengruppen noch etwas beibringen oder veranschaulichen zu wollen. Es ist auch ein Herausforderung, die von mir dafür vorgesehenen Champagner in Deutschland, Frankreich und den sonstigen greifbaren Märkten zu bekommen. Nicht, weil es sich um Jahrgangsraritäten aus unvordenklicher Zeit handelt, sondern weil die Champagner nach Möglichkeit im genau richtigen Reifezustand sein sollten. Da es mir nicht darum ging, die als bekannt vorausgesetzten Spitzenerzeugnisse großer Häuser zu servieren, sondern exakt das Gegenteil davon, bin ich umso dankbarer, dass das Unterfangen geglückt ist. Nachgeholfen haben dabei zwei von mir sehr geschätzte und meiner innigsten Dankadressen würdige Händler. Nämlich Noblewine aus München und Vinaturel aus Berg am Starnberger See. Insbesondere Noblewine konnte mir einige Flaschen mit der von mir so dringend gewünschten längeren Flaschenreife zur Verfügung stellen; für mich ganz essentiell, denn viel zu viele Champagner werden viel zu früh getrunken: kurz nach der Marktfreigabe. Praktisch alle Champagner profitieren aber von einer Flaschenreife zwischen 9 – 18 oder 36 Monaten. Gerade die Champagner der Winzeravantgarde, die ich in Berlin vorstellen wollte, sind darauf nachgerade angewiesen. Umso schöner deshalb, dass die beiden engagierten Händler mir so hilfreich zur Seite standen. Getrunken wurde aus dem von mir für diese Zwecke favorisierten Zalto-Süßweinglas, für das Martin Zwick gesorgt hatte.

 

I. Rebsortencuvées

Im Einstiegsflight ging es mir weniger darum, die Gaumen zu kalibrieren, was genausogut zwei gewöhnliche Brut Traditions hätten leisten können; stattdessen ging es mir darum, die Aufmerksamkeit für die feineren Töne, letztlich also die Sinne zu schärfen. Daher der Trick mit dem auch vom Namen her natürlich gut zu dem Vorhaben passenden „5 Sens“.   

1.  Emmanuel Brochet Le Mont Benoit Premier Cru non dose (2007)

Ansatzlos trocken, keine verspielte Süße, insofern eine Perspektive auf das, was kommen sollte, nämlich eine Geschmackstournee zu einigen der derzeit meistbesprochenen Champagnerwinzer.

2. Olivier Horiot 5 Sens (2008)

Bei Horiots Fünf-Rebsorten-fünf-Einzellagen-Cuvée war gleich die erste Schikane eingebaut. Für Champagner ungewöhnlich florale Noten und eine unverblümte Sherrynote. Schuld sind Arbane und Pinot-Blanc, der mir nach mehrjährigen Annäherungsschwierigkeiten zuletzt als Vin Clair sehr gut gefallen hat.

 

II. Blanc de Blancs von der Aube

Die neue Aube kann auch Chardonnays von beachtlichem Zuschnitt. Der sportliche Argile-Champagner von Bertrand Gautherot musste sich mit dem eleganten Ironman unter den Champagnern messen.   

1. Charles Dufour Blanc de Blancs Brut Nature

Ein Champagner der wirkt, wie eine von Philippe Starck designte Bombe. Organisch, formschön, sinnesschmeichelnd, dabei nicht überfrachtet, sondern durch und durch auf Zweckmäßigkeit und Funktionsveredelung angelegt. Die Kombination dieses Champagners mit Auster, Brot, Yuzu- oder geräucherter Meersalz-Butter von Bordier ist immer noch maßstabsetzend.  

2. Vouette & Sorbée Blanc d’Argile

Viel ruhiger und in sich zurückgezogener ist der Argile jetzt. Unter den Aubechardonnays mimt er damit ein wenig die mineralischen Oger-Chardonnays, nachdem er in seiner unverschämten Frühphase noch so ausgelassen fröhlich war.

  

III. Reinsortiger Pinot Meunier

Jérôme Prévost und Benoit Tarlant zeigten die Schwingungsfähigkeit der Traube.

1. Jérôme Prévost La Closerie Les Béguines Blanc de Meuniers

Aronia, getrocknete Kumqat, Cashewkerne, Walnuss; unverfälscht, naturhaft und wie aus Urzeiten stammend. Als Goethe seinen Faust den Erdgeist beschwören ließ, muss er unter dem Eindruck dieses Champagners gestanden haben.  

2. Tarlant Blanc de Meuniers Vigne d’Or Extra Brut 2002, dég. 22.  Juni 2010

Schillernd und prachtvoll, gegenüber dem naturbelassen wirkenden Prévost so – allerdings im positiven Sinne – elaboriert und verschwenderisch, wie die Hofhaltung des Herzogs in, eben, Schillers Kabale und Liebe.

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IV.  Côte des Blancs Klassiker

Als Intermezzo kam ein Dreierflight aus Chardonnays der Côte des Blancs auf den Tisch. Angeführt von Pierre Peters aus Le Mesnil dem Repräsentanten einer für den Ort typischen mineralischen Champagnerstilistik. Erick de Sousa aus Avize mit seinem sonnenhell-körperreichen Avize-Champagner sollte die Aufmerksamkeit von Selosse, den man gemeinhin allein mit dem Ort verbindet, fort- und auf sich ziehen. Jacques Diebolt aus Cramant schließlich sollte seine ganz eigene Interpretation von Würze, Mineralität und Fruchtigkeit präsentieren dürfen. Am besten schnitt in der Runde de Sousas Charmebolzen ab. Nicht, dass ich zwingend damit gerechnet hätte, denn dafür war nun doch jeder der drei Champagner auf seinem Feld gut genug positioniert. Aber es zeigte sich einmal mehr, dass die Mesnilmineralität nicht überall gleichermaßen ungeteilten Beifall findet, selbst oder gerade beim deutschen, an Riesling gewöhnten Gaumen nicht. Die Komposition von Jacques Diebolt wiederum ist zwar nicht schwer zu verstehen, aber eine klare Stilfrage. Wer mit Portraits üppiger Frauen und molliger Putto-Kinder in kräftiger Farbigkeit nicht viel anfangen kann, wird auch keine Vorliebe für großformatige Kompositionen mit figurenreichen Gruppen in idealisierten Landschaften haben und von diesem Champagner kaum berührt werden.

 

P.  Pirat Raumland MonRose 2001

Nach dem Dreierflight hatte ein Pirat seinen Auftritt, der in meiner Mainzer Probe eine sehr starke Figur neben dem Rosé von Selosse machte und zur Zeit als bester Sekt Deutschlands gilt. Nach einer Reihe ausgesucht seltener und ausgesprochen typischer bis eigenwilliger Champagner und entsprechend geschärfter Sinne war es jedenfalls schonmal eine sehr gute Leistung der Gruppe, den Raumlandsekt als Nichtchampagner zu identifizieren. Damit verbunden war zu meiner Freude auch keine Abwertung, sondern eine meiner Meinung nach allseitig sehr faire Bewertung. Ich fand ihn diesmal etwas runder, gesetzter und crèmiger.   

 

Das schreiben die anderen: Patrick Dussert-Gerber

Der aktive Autor hat sich in der aktuellen Ausgabe von "Millésimes" mit seinem Champagner-Classement für 2010 zu Wort gemeldet. Nicht zur Unzeit, wie ich meine, denn Zeit für Champagner ist bekanntlich immer – nicht nur kurz vor Weihnachten. Also, was schreibt er denn? Zunächst mal muss man seine Classements kennen. Darin unterscheidet er zwischen erst-, zweit- und drittklassifizierten Weinen. Diese Classements stellt er für jede Weinbauregion gesondert auf, d.h. ein erstklassifizierter Champagner unterliegt den Regeln seines Champagner-Classements und ist insofern nicht vergleichbar mit einem von ihm erstklassifizierten Bordeaux. Innerhalb der jeweiligen Classements herrscht nochmal eine Hierarchisierung, wobei Dussert-Gerber im Champagner-Classement jede Klasse nochmal in kräftige und elegante Champagner unterteilt. Dabei fließen Werte wie Reifevermögen, Preis-Leistungs-Verhältnis und Kontinuität der letzten Jahrgänge einer Cuvée ein. Wer also in der Spitze eines Classements steht, dem kommt eine gegenüber den nachfolgenden Weinen herausgehobene Bedeutung zu.

Neu hinzugefügt hat er die folgenden Champagner (A steht jeweils für die Gruppe der körperreichen Champagner, B für die eleganten Champagner):

AVENAY-VAL-D'OR, CHAMPAGNE LAURENT-GABRIEL, 2ème A

AY , CHAMPAGNE GOSSET, 1er B

BOUZY, CHAMPAGNE MAURICE VESSELLE, 2ème A

CHAMERY, CHAMPAGNE PERSEVAL-FARGE, 2ème B

CHIGNY-LES-ROSES, PHILIPPE DUMONT, 2ème A

CHOUILLY, CHAMPAGNE LEGRAS ET HAAS, 2ème B

COURTERON, CHAMPAGNE FLEURY, 2ème A

CRAMANT, CHAMPAGNE P. LANCELOT-ROYER, 3ème A

DAMERY, CHAMPAGNE DANIEL CAILLEZ, 2ème B

DIZY, CHAMPAGNE VAUTRAIN-PAULET, 2ème A

EPERNAY, CHAMPAGNE ELLNER, 1er A

LE BREUIL, CHAMPAGNE PIERRE MIGNON, 2ème B

POUILLON, CHAMPAGNE BOURDAIRE-GALLOIS, 2ème A

RILLY-LA-MONTAGNE, CHAMPAGNE ANDRE DELAUNOIS, 2ème B

Um einen Eindruck von seinem Classement zu bekommen, ist es hilfreich, sich seine erstklassifizierten Champagner anzusehen.

In der Gruppe A, bei den körperreichen Champagnern, finden wir:

CHARLES HEIDSIECK (Millénaire)
KRUG (Grande Cuvée) (r)
MOËT ET CHANDON (Dom Pérignon)
POL ROGER (Sir Winston Churchill) (r)
TAITTINGER (Comtes de Champagne) (r)
ALAIN THIÉNOT (Grande Cuvée)
DEVAUX (D) (r)
ELLNER (Réserve) (r)
PHILIPPONNAT (Clos des Goisses)
(BOLLINGER (RD))
CANARD-DUCHÊNE (Charles VII)
RENÉ GEOFFROY (Volupté)
LAURENT-PERRIER (Grand Siècle)

In Gruppe B, bei den eleganten Champagnern, finden wir:

GOSSET (Grand millésime) (r)
PIPER-HEIDSIECK (Rare)
ROEDERER (Cristal)
DE SOUSA (Caudalies)
DE TELMONT (O.R.1735)
Pierre ARNOULD (Aurore)
PAUL BARA (Réserve) (r)
Pierre PETERS (Spéciale Millésime)
RUINART (Dom Ruinart) (r)
DE VENOGE (Princes)

Was sagt uns das? Das sagt uns, dass Monsieur Dussert-Gerber einen, sagen wir mal: sehr eigenständigen Gaumen hat. Wie sonst ist es zu erklären, dass er Dom Pérignon, den Inbegriff der Leichtigkeit und des schwerelosen Genusses in die Gruppe der körperreichen Champagner einordnet? Liegt es vielleicht daran, dass er nur die klobigeren, angestrengteren Jahrgänge aus den späten Neunzigern getrunken hat? Wir wissen es nicht. Auch eine Erklärung über die Jahrgangschampagner aus dem Hause Krug bleibt der Meister schuldig. Doch der Seltsamkeiten noch nicht genug, finden wir unter den erstklassifizierten Champagnern Häuser wie Devaux, Ellner und Canard-Duchêne, nicht jedoch die Grande Dame von Veuve Clicquot, keine Champagner aus dem Haus Perrier-Jouet, Delamotte, Salon oder Besserat de Bellefon, die alle wahrlich keine Geheimtips mehr sind und es mit einigen der erstklassifizierten Champagner ohne weiteres aufnehmen könnten.

Sehr seltsam ist auch, dass sich im gesamten Classement Winzer finden, die gut und gerne trinkbare Champagner machen, Erzeuger wie Selosse, Prevost, Ulysse Collin, David Leclapart, Jacques Lassaigne, Tarlant, Cedric Bouchard, Vouette et Sorbee, Georges Laval, Diebolt-Vallois jedoch noch nicht einmal unter den drittklassifizierten auftauchen. So ist doch ausgesprochen fraglich, ob die süffigen, aber nicht besonders inspirierten Champagner beispielsweise vom Château de Boursault und Abel-Jobart einen Platz im Classement halten könnten, wenn die anderen genannten Winzer dort ebenfalls vertreten wären.

Will man Monsieur Dussert-Gerbers Gaumen kein voreiliges Unrecht antun, so kann man nur vermuten, dass er einige sehr wichtige Champagner noch gar nicht getrunken hat. Dann aber, so meine ich, muss man sich mit der Herausgabe eines Classements zurückhalten und artig gedulden, bis die Datenbasis dafür groß genug ist.

Dass er einige sehr gute Champagner auf dem Schirm, resp. im Glas hatte, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er Champagne Aspasie von Ariston Père et Fils hoch einstuft. Franck Bonville, Pascal Agrapart und Jacky Charpentier haben sich ihren Platz gewiss ebenfalls verdient, wenngleich ich ihre Champagner nicht zu den körperreichen zählen würde. In der Kategorie ist richtigerweise der "Comète" von Francis Boulard gut aufgehoben – auch wenn dieser Champagner ultrarar ist und die anderen Champagner von Francis scheinbar keine Berücksichtigung gefunden haben. Bei den eleganten Zweitklassifizierten stoßen wir sodann auf Gaston Chiquet, Leclerc-Briant, Legras et Haas, Bonnaire, Comte Audoin de Dampierre, Drappier und Gimonnet, sowie auf andere alte Bekannte: Blin, Bedel, Tixier, Brice, Chapuy, Robert Charlemagne und Michel Turgy. Wieder könnte man darüber streiten, ob die Champagner z.B. von Dampierre zu den allerelegantesten gehören, oder ob sie nicht wegen ihrer reichlichen Dosage bei den körperreichen Champagnern anzusiedeln wären.

Lässt man die Frage nach der Notwendigkeit eines Champagner-Classements offen, so kann man sich fruchtbar nur noch mit der tatsächlich erfolgten Umsetzung eines solchen Classements befassen. Das von Dussert-Gerber ist gut gewollt, doch unübersichtlich und die vergleichsweise umfangreichen Beschreibungen der Erzeuger wiegen nicht seine allzu kurz geratenen Weinbeschreibungen auf. Wichtige Champagner fehlen völlig, mancher nur leicht überdurchschnittliche oder gerademal durchschnittliche Erzeuger erhält durch die viel zu dünne Datenbasis ein unproportional hohes Gewicht. Das mag den betroffenen kleinen Winzer freuen und mit Sicherheit werden einige Winzer nach der Publikation des jeweils aktuellen Classements ein verdientes Maß erhöhter Aufmerksamkeit erhalten. In diesem Punkt erweist sich Dussert-Gerber nämlich als fleißiger Verkoster – was letztlich dem Verbaucher nur willkommen sein kann. Meiner Ansicht nach leidet das Classement aber noch zu sehr unter seiner Unausgewogenheit.

Nachgespürt: Premier Cru und Grand Cru

I.1 Domaine Déliance Ruban Mauve Crémant de Bourgogne: die kleine, ziemlich unbekannte Domaine erzeugt für etwa ebenso kleines Geld bildhübsche Weine und eben auch Crémants. Dieser ist ein Blanc de Pinot-Noirs, der durch seine helle, freundliche, etwas frische und manchem etwas hoch dosierte Art auffiel. Sanft, etwas säureschwach, gleichwohl vor allem kühl charmant zu trinken. Wird u.a von Tom Stevenson heiß empfohlen und ist in USA sehr gesucht.

I.2 Milazzo Federico II. Rex Sicilie 1993, dég. Herbst 1997: drei Chardonnayklone und etwas Weißburgunder konnten nicht verhindern, daß dieser Wein nun sehr deutliche Reifetöne, strenggenommen sogar eine gewisse Müdigkeit zeigte. Trotzdem ansprechend, mürbe, morbid, von Honignoten geprägt, ließ er Raffinesse vergangener Tage ahnen.

Da es sich nicht um Champagner, sondern nur um eine Einstimmrunde handelte, ergab sich natürlich keine bemerkenswerte Erkenntnis über PC/GC.

II.1 Poul-Justine Premier Cru: der hierzulande nicht sehr bekannte Winzer aus dem auch in der Champagne nicht so berühmten Avenay Val d'Or hat einen schönen, relativ hoch dosierten Champagner von süffiger Art, mit stabiler Frucht und charmanter Säure auf die Flasche gebracht. Der Champagner wurde im Soleraverfahren hergestellt (machen sonst nicht sehr viele: Selosse gehört dazu, Francis Boulards Petraea, Aurelien Laherte experimentiert damit, R. Dumont et Fils aus Champignol-lez-Mondeville an der Aube hat einen Solera-Champagner, die Royal Reserve von Philipponnat profitiert von dieser Methode, die Mis en Caves von Charles-Heidsieck und eine Handvoll weiterer Erzeuger arbeiten ebenfalls noch damit), eine etwas niedrigere Dosage hätte die Feinheiten etwas besser heraustreten lassen können, daß Poul-Justine das gelang, weiß ich von seinem in gleicher Weise hergestellten Jahrgangs-Premier Cru. Der Winzer ist vor einem Jahr leider ohne Nachfolger verstorben.

II.2 Boulard Mailly Grand Cru: gekonnt anoxidierter Apfelsaft vom – für diese Lage ungewöhnlichen – 10%igen Chardonnayanteil, leckere Fruchtnoten, rotfruchtkompottig, saftig, dabei von feiner, leichter Art, mit einem durchgehend präsenten Säuregerüst, das mußte der Grand Cru sein und war es auch.

Der Poul-Justine wirkte etwas naiv-süß neben dem Grand Cru. De mortuis nil nisi bene, doch nicht ganz zu Unrecht sparen viele terroirbedachte Winzer am Dosagezucker.

III.1 Lassalle Cuvée Angeline 1999 Premier Cru: in sich geschlossener, runder, gesunder Wegschlotzchampagner, der ebenfalls mit hoher Dosage daherkam, die aber aufgrund seines insgesamt femininen Art durchaus glaubhaft und stimmig war. Ob die in der Runde gefallene Bezeichnung "kleine Schlam*e" unbedingt zutrifft, kann dahingestellt bleiben, wenn man jedenfalls zugesteht, daß der Champagner eine verführerische, zum beschleunigten Trinken einladende Art hat.

III.2 Bonnaire Cramant Grand Cru Blanc de Blancs NV, en Magnum: fleischig, saftig, aber auch nasse Schafwolle und Sauerkraut. Toastige Noten und chardonnayige Säure, dieser Champagner konnte nicht überzeugen, sondern zeigte eher einen übetriebenen BSA oder sonstigen Weinfehler, der dafür sehr schön, fast vorbildlich gereift war. Ließ sich trinken, war aber leider kein großer Genuß, sehr schade.

Der Premier Cru konnte punkten, während der Grand Cru fehlerhaft im Keller blieb. Insofern leider kein guter Vergleich.

IV.1 Duval-Leroy Authentis 100% Chardonnay, Trépail Premier Cru 1999: Flotter, g'schmackiger, von Feuerstein und anderen steinig-mineralischen Tönen geprägter Champagner. Kontrastreich, voller Schwung und Abwechslung, bescheidener dosiert als die Vorgänger und vom Gesamteindruck auf Grand Cru Niveau.

IV.2 Pierre Peters Cuvée Speciale 1999 100% Chardonnay, Grand Cru Monocru (Chétillons), Vieilles Vignes (72 Jahre Durchschnittsalter): sperrig, eckig, scharfkantig, ein Champagner, der erst gekaut werden will. Wirkte mit seiner etwas ungelenken Art noch etwas zu jung, war aber von beeindruckender Vielfalt und überraschender Fülle, die viel erahnen ließ. Ein Champagner, der irgendwie beeindruckend schmeckte, ohne daß sich das an der Frucht, an der Ausgewogenheit oder an etwas anderem Konkreten festmachen ließ. Ein würdiger Vertreter der Grand Cru Fraktion.

Als Schließer gab es noch einmal den

V.1 Deliance vom Anfang, der gut und gerne als Champagner hätte durchgehen können und

V.2 Duval-Leroy Authentis Petit Meslier 1998. Der holzgeprägte Wein war auf Anhiebüberzeugend und gut, von Fremdartigkeit keine Spur (und das, obwohl die Meslier eine der "verschollenen" Rebsorten ist), wie ein langer ruhiger Fluß zog sich die Aromenprozession über den Gaumen. Ein gelungener Champagner und eine gelungene Überraschung zum Ende des Abends.

Pfingsten in der Champagne

La Banque

Flammneu ist die Bar au Champagne in Epernay, im ehemaligen Gebäude der Nationalbank. Grosszügig ist die Schalterhalle, mit langer Theke und dahinter einer halboffenen Küche, die Bestuhlung ist bistromäßig. Über die Inneneinrichtung kann man streiten, die kühl und dunkel wirkende Halle ist sparsam dekoriert, die großzügigen Leuchter über der Theke würden stimmiger wirken, wenn die ikeahaften Stoffbahnen drumherum nicht wären. Stahl, Alu oder Kristall hätte da besser gepasst. Im hinteren Teil der Bar ist ein kleiner Restaurantbereich mit größerer Bestuhlung und anständigen Tischdecken, dahinter geht es dann zur hübschen Terrasse. Ausgeschenkt werden sechsundfünfzig Champagner, davon die Hälfte glasweise. Richtige blockbuster habe ich auf der Karte nicht gefunden, aber ich habe mich ja auch noch nicht ganz durchprobiert. Der Service wirkt etwas unbeteiligt, ist aber recht flott. Die Preise sind ganz schön happig und angesichts der nur durchschnittlichen Küchenleistung zu hoch. Die Toiletten im Keller befinden sich im ehemaligen Tresorraum, zur Herrentoilette gelangt man, indem man durch die Damentoilette marschiert, was natürlich irrsinnig charmant ist. Trotzdem werde ich mich für eine gute Bistroküche künftig die noch ca. dreißig Meter bis zum Berceaux schleppen.

I. Kaltes Rote-Bete-Süppchen, dazu Pierre Mignon Brut Grande Réserve (80PM 10 CH 10 PN) – fein fruchtig, dicht, nussig, mit weißen, auflockernden Blüten. Passte schon ganz gut zum sparsam gewürzten, etwas erdig rüberkommenden Süppchen.

II. Croustillon mit Ziegenkäse und Brie, dazu Apfel, Rote Bete und Speck, dazu Ruffin et Fils Cuvée Volubile (70PM 20CH 10PN) – fruchtig, erinnert an Zitronenseife, ist ein offensichtlich als Sommerchampagner für das Einsteigerpublikum gedachter und gemachter Champagner, dessen sehr fortschrittliches Etikett auch von einer der in Designfragen ebenfalls oft sehr fortschrittlichen südfranzösischen Grosskellereien hätte stammen können. Ziegenkäse, Brie, Apfel und Rote Bete fügten sich dazu gut.

III. Kaltes und Heißes von der Entenleber, dazu Fleur de Sel, Birnenchutney mit Zimt, Physalis und geröstetes Landbrot, dazu Pierre Gimonnet Blanc de Blancs Cuis Premier Cru – Birne, Zitrone, Klarheit und Frische, sehr schmale Dosage, gegen Gimonnet kann man ja nie etwas haben und auch hier enttäuschte er nicht.

IV. Maishühnchenfrikassée mit dick geschnittenen Kartoffeln und getrüffeltem Risotto, dazu Pierre Peters Blanc de Blancs Cuvée de Reserve Grand Cru – der Sud vom Frikassée war sehr gut, die Hühnchenteile jedoch trocken, faserig, zu dick und wahrscheinlich nicht lange genug mitgekocht. Da konnte dann auch der zuverlässige Pierre Peters nichts mehr retten, im Gegenteil, er verstärkte den trocknenden Eindruck vom Hühnchen noch.

V. Kotelett vom Ibericoschwein mit Honigsauce, dazu weiterhin der Pierre Peters – das Kotelett war anständig gebraten, mit schmackhaftem, nicht zu großem Fettrand, das Fleisch zart und ordentlich, aber noch keinesfalls so aromatisch, wie ich es von einem Iberico-Schweinderl erwarte. Die einfache, aber gute Honigsauce allein rettete das Gericht nicht.

Kleine Champagnerprobe auf Schloss Westerholt

I. Flight
Pierre Peters Perle de Mesnil Blanc de Blancs Grand Cru NV
150000 Fl. p.a.
Liebling der französischen Sternegastronomie. Viel Le-Mesnil-Säure, mit Frucht und Malo abgedämpft. Champagner für Feingeister.

Yves Delozanne Cuvée d’Exception NV (1997)
60000 Fl. p.a.
Je 1/3 PN, CH, PM
Archetypischer Vallée de la Marne Champagner. Mürbe, biscuitig, sehr ausgewogen und schon gut reif, solo besser als mit Begleitung; sympathischer, etwas rustikaler Stil nach Art der Pfalzrieslinge

II. Flight
Michel Gonet Blanc de Blancs Grand Cru 1998, btl. no. 3801
300000 Fl. p.a.
handbemalt
Klassischer Avizechampagner mit einer Perlenkette freundlicher Aromen, von Weissdorn über Nashibirne, Ananas, Weinbergpfirsich hin zu Mandarine, Nektarine und einem Mineralrückgrat, das den Champagner immer aufrecht stehen lässt.

André Clouet Un Jour de 1911 Blanc de Noirs Grand Cru, btl. no. 800, degorgiert am 27. Feb. 2007
65000 Fl. p.a.
25% 1997, 50% 1996, 25% 1995
Grosser Champagner nach Art der Grossväter. Ein Abgrund von Pinot Noir: Erotik im Glas, würzig, weinig, warm, fast schwül, ein richiger Burlesque-Champagner.

III. Flight
Bernard Hatté Rosé NV
40000 Fl. p.a.
100% PN
Winzerrosé aus der östlichen Montagne, Verzenay Grand Cru ist zusammen mit Ay und Ambonnay eines der mächtigsten Pinotterroirs der Champagne – und bernard Hatté macht das Beste draus, je nach Jahr mit Stahltank oder Holzfass, aber immer bis ins Letzte ausgeleuchtete Aromatik, präzise sitzende Säure und ein ruckelfreises Weinvergnügen zum kleinen Preis, leider auch nur in kleiner Menge

Larnaudie-Hirault Rosé Premier Cru NV
30000 Fl. p.a.
20% Rotweinzugabe
Winzerrosé von der westlichen Montagne, Premier Crus aus Trois Puits und Rilly-la-Montagne kommen in diesem Rosé zusammen. Gaumenschmeichler mit viel Rosenblättern, Zitrusschale, Kräuterwürze. Reiner Wein aus dem Stahltank, unverkitscht auf die Flasche gebracht.

IV. Flight
Tarlant Brut Zéro Rosé NV, degorgiert Juni 2006
100000 Fl. p.a.
15% PN, 85% CH
holzfassausgebaut, Rotweinzugabe
Parkers Liebling mit einem innovativen Geschoss. Dass die Tarlants schon seit 50 Jahren mit Extra-Brut hantieren, weiss fast keiner. Deshalb staunt alle Welt immer über diese aus dem Handgelenk geschüttelten Cuvées von Jean-Mary und Benoit Tarlant. Aber diese mühelose entfachte Fruchtexplosion verdankt sich nicht dem Zufall, sondern langer Erfahrung und harter Verkostungsarbeit.

Taittinger Comtes de Champagne Rosé 1997
4,7 Mio. Fl. p.a.
70% PN, 30% CH
Maischekontakt
Der alte Adel unter den grossen Rosés und einer der besten Prestigerosés überhaupt. Trinkt sich hervorragend und kostet im Gegensatz zu den edelrosés der anderen Grosskopfeten nicht die Welt. Taittingertypische Eleganz, sportliche Sehnigkeit, der perfekte Triathlet: gut aussehen, gut duften, gut schmecken.

V. Flight
Regis Fliniaux Cuvée des Signataires NV
20000 Fl. p.a.
50% PN, 50% CH
holzfassausgebaut
Das Genie aus Ay, leider ständig ausverkauft, aber wenn man Regis mal vor dem ersten Hahnenschrei in seiner Heimstätte beim Dégorgieren (alles von Hand!) überrascht, dann darf man auch ein paar Flaschen mitnehmen. Die Signataires sind ein Wahnsinn aus Kirsche, Banane, Ananas, Mango, Passionsfrucht, mit spritziger Säure und gutem Kehlenprofil.

2003 by Bollinger
1,3 Mio. Fl. p.a.
70% PN, 30% CH
holzfassausgebaut
Hommage an ein desaströses Jahr. Einer der merkwürdigsten Champagner der letzten Jahre, hing zuerst wie ein toter Wellensittich im Glas, entwickelt sich aber seit etwa einem jahr immer besser und rollt unaufhaltsam auf seinen wahrscheinlich recht baldigen Reifehöhepunkt zu. Kaffee, Toffee, viel Apfel, wenig Säure, Mürbeteig, mineralisch-jodige Noten. Sicher nicht für jeden ein Genuss, aber auf jeden Fall eine Besonderheit.

VI. Flight
Moet et Chandon – Dom Pérignon 1998
26 Mio. Fl. p.a.
50% PN, 50% CH
Der Mönch und die Mode – von Lagerfeld aufwendig in Szene gesetzt und von den Stars und Sternchen weltweit mehr oder minder besinnungslos weggeschlürft. Dabei verdient dieser Champagner und dieser Jahrgang eine genauere Betrachtung und eingehendere Würdigung; sicher: als überragend werden 98, 99, 00, 01 nicht in die Geschichte der Champagne eingehen – aber das gilt auch für 1987, 1995 und 1997. Und aus diesen Jahren gibt es sensationelle Champagner. Das wiederum zeigt: der Könner im Keller kann was draus machen. Beim Dom hat es geklappt. Kein Dom vom Kaliber eines 90 oder 96, aber einer mit einem eigenständigen, bodennahen Profil, fast ein wenig back to the roots. Mineralisch, sehr viel Toast, Kräuter, die typisch dommige Leichtigkeit und die ständige Verwandlung und weiterentwicklung im Glas machen aus diesem Champagner dann doch noch einen würdigen Dom.

Gosset Celebris 1998
900000Fl. p.a.
36% PN, 64% CH
kein BSA; Holzfassausbau
Champagner vom ältesten Weinhaus der Champagne. Völlig anders als der durchgeistigte Mönch. Von Anfang an präsent, mit starker Stimme, starken Aromen, starker Säure, von allem etwas, ohne dass man das Gefühl des non multa sed multum bekommt. Starke performance dieses etwas aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gerutschten Hauses.