Francois Hautekeur ist neben seinem Job als Önologe im tasting panel von Veuve Clicquot freimütig bekennender Sünder und Genussmensch. Also der ideale Gesprächspartner für ein kleines technisches tasting und ein anschließendes Dîner im verträumten Manoir de Verzy von Veuve Clicquot. Er ist wie ich der Ansicht, dass man den Unterschied zwischen Bio-Champagner und konventionell erzeugtem Champagner nicht schmecken kann. Was man dagegen sehr wohl schmecken kann, ist, ob ein Champagner etwas taugt, oder nicht. Und darauf kommt's an.

Nach einem kleinen Rundgang durch die Keller in Reims – wo mittlerweile eine eigene Präsentationsfläche für die vor kurzem zusammen mit einigen Buddeln Juglar-Champagner in der Ostsee geborgenen Uraltflaschen Veuve geschaffen wurde – landeten wir im schlichten Verkostungsräumchen. Dort gab es einen Blitzüberblick über den Jahrgang 2010.

Vins Clairs:

1. Pinot Meunier

Banane, Mango, wenig Säure. Ich hatte mit 3,15 deutlich über pH 3,0 getippt und lag damit gar nicht so weit weg von der Wahrheit (3,20). Der Pinot Meunier zeigte sich so unverkrampft fruchtig und naiv, dass man ihn wahrscheinlich selbst dann erkannt hätte, wenn man ihn vorher nur aus dem Lehrbuch gekannt hätte.

2. Pinot Noir, Verzenay Grand Cru

Mehr Dimensionen, mehr getrocknete Früchte, Würze, Weite, tiefere Schichtung, Griffigkeit und einen ausgeprägter weiblichen, obwohl noch nicht divenhaften Charakter hatte der Pinot Noir, dessen pH 3,15 ich nicht vermutet hätte.

3. Chardonnay, Chouilly Grand Cru

Auch der Chardonnay hatte pH 3,15, was ich noch viel weniger gedacht hätte. Mineralisch, d.h. mit einer an kaltes, nasses Kalkgestein erinnernden Sprödigkeit war er nur zu Beginn, dann kamen agrûmes, Yuzu-Zitrone, Melonenschale, Waldmeister, Apfel und andere angenehm grüne Aromen zum Vorschein und ließen den Wein bei aller Konzentration doch schlank erscheinen.

4. Vin de Reserve, Pinot Noir Ambonnay Grand Cru 2006

Naturgemäß weiter entwickelt zeigte sich der Reservewein, doch mit einem jugendlichen Habitus. Tannennadeln und Honig, sirupartige Anklänge, die alle gar nicht den Eindruck von Reife und Alter vermittelten, prägten den Wein.

5. Cuvée Carte Jaune, 2010er Tirage (ab 2013 auf dem Markt)

ca. 15PM ca. 50PN ca. 35CH, mit ungewöhnlich hohem Reserveweinanteil von 43% aus den Jahren 2000 – 2009, ohne die Jahrgänge 2001, 2003 und 2005. 10% Taille.

Vordergründig ganz eindrucksvoll der Meunieranteil, wie man ihn bei Veuve mag etwas einfach in der Aromatik und gleichsam als Vorhut, bis nach etwa drei Jahren die fortgeschritteneren Aromenanteile der beiden Großreben soweit sind, dass sie gemeinsam hervortreten können. Sehr diskret daher hier der Pinot Noir, kaum merklich der Chardonnay. Wenn man sich vor Augen hält, dass Francois Hautekeur mit seinen Mitverkostern teilweise bis zu 500 Grundweine vermählt, um die Carte Jaune zu kreieren, dann ist die eigentlich bemerkenswerte Leistung dabei nicht, den Hausstil irgendwie solala zu treffen, sondern ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft so genau zu treffen.

Champagner:

1. Apéritif: La Grande Dame 1998

In der dienenden Rolle als Apéritif-Champagner im Garten des Manoir de Verzy mit Blick über die hinter dem Gartentor beginnenden, sanft talwärts rollenden Rebhügel, vorneweg die wenigen in Verzy beheimateten Chardonnays, gefiel mir die Grande Dame mehr als gut. Mit den Häppchen, die es dazu gab, konnte ich mich größtenteils zurechtfinden, am schönsten war die Kombination aus Shrimps und Gurkenschaum mit der Grande Dame, was mir wieder die weit unterschätzte Eignung der Gurke als Partner zum Wein bestätigte.

2. Vintage 2002

dazu: Blanc de Turbot de Bretagne au Jambon de Canard, Vinaigrette d'Artichauts Violets

Im Gegensatz zum später noch von mir zu diffamierenden 2002er Rosé war und ist der weiße Jahrgang ein richtiges kleines Goldstück. Wie alle Veuve-Champagner kann man ihn solo trinken, ich empfehle ihn aber lieber in Kombination mit Speisen, exzellent war er zum Steinbutt mit Jambon de Canard, eine Art Bresaola von der Entenbrust. Hier gebührt der Küche des Manoir ein großes Lob für die raffinierte Zusammenstellung. Zum Steinbutt allein wäre der Champagner schon tiptop in Ordnung gewesen, zum Jambon de Canard hätte das faszinierende Zusammenspiel von gesalzener Entenbrust und widerhallendem Champagner in den Bann zu ziehen vermocht; die pikant marinierten Artischocken vertrugen sich herzhaft mit dem Champagner. Alles zusammen war eine überreiche Geschmackserfahrung, die ungeübte Esser vorschnell satt und verblüfft zurückgelassen hätte.

Zwei Weinempfehlungen, die ich hier mit Nachdruck wiederhole, gab mir Francois Hautekeur während des Essens, bzw. zwischen den Gängen mit auf den Weg. Da der sinnenfrohe Genussmensch zwar aus dem Nordosten Frankreichs stammt (und eigentlich Autoingenieur ist), aber in Toulouse Önologie studiert hat, kennt er die Weine des Südwestens sehr gut. Ein heißer und letzthin häufiger gehörter Tip ist deshalb der Jurancon Sec "Cuvée Marie" von Charles Hours. Der andere Knaller-Jurancon ist die "Cuvée des Casterasses" von Bru-Baché. Beides Weine, die um die 15 EUR kosten und amtlich liefern, was nicht nur von der prominentesten Jurancon-Fürsprecherin Colette versprochen wird: Noblesse, Feuer und eine geradezu tückische Verführungskunst.

Verführungskunst kultiviert, nein zelebriert der folgende Champagner, dem wir nach einem schwungvollen Auftakt höchst verdient unsere ganze Aufmerksamkeit zuwandten:

3. Cave Privée 1989, dég. 2009

dazu: Carré de Porcelet Piqué de Truffe Noir et Rôti au Jus

Zunächst der Champagner. Wenn man das Leidenfrost-Phänomen auf Champagner übertragen kann, dann ist es bei diesem hier geglückt. Wie auf einer Schicht aus Fruchtdampf tanzt und vibriert der Champagner ohne enden zu wollen über die Zunge. Ganz entgegen der landläufigen Auffassung, dass die einprägsamsten Weine mit besonders herausragenden Aromasensationen aufwarten müssten, ist es hier die unnachahmliche Leichtigkeit und perfekt kontrollierte, gleichzeitig völlig mühelos wirkende Entfaltung der Aromenabfolge, die begeistert. Dazu eignete sich das Ferkelchen sehr gut, wäre aber ohne den Trüffel überfordert gewesen. Die Kombination war sehr gelungen und schmackhaft, ohne ein Ausbund an Kreativität zu sein.

4. Vintage Rosé 2004

dazu: Ziegenkäse mit Olivenöl, Lucullus, alter Comté

Den Vintage Rosé 2002 fand ich Mist. Und wäre ich nicht so ein besonnener und nachsichtiger Mensch, würde ich den Stab schon längst über den 2002er und angesichts der ärgerlichen Korkfehlerquote, die ich in den letzten Jahren ausgerechnet mit der Grande Dame hatte, auch über Veuve Clicquot gebrochen haben. Habe ich aber nicht, was mir den peinlichen Widerruf erspart, den ich sonst beim 2004er Rosé hätte aussprechen müssen. Denn der ist gelungen, rauscht wie flüssige Yogurette in Nase und Pharynx, nervt aber nicht mit der gleichen pappigen Süße; solo aufgrund des jedenfalls für mich detektierbaren Alkohols nicht so sehr zu empfehlen, wie zu weichem Käse, sehr gerne die Scheiben von der Ziegenkäserolle, mit einem Tropfen feinstem Olivenöls gekrönt, oder zum herrlich sahnecrèmigen Lucullus, bzw. Boursault von der Île de France. Zum alten Comté dagegen wollte keiner der Veuve-Champagner so recht passen.

5. Demi-Sec Carafé

dazu: Soufflé aux Fruits Rouges et Sirop de Citron

Selten genug wird hierzulande demi-sec Champagner getrunken. Noch, muss man vielleicht ergänzen, oder auch nicht, man weiß es nicht. Die hartgesottenen Ultra-Brut-Trinker werden sich kaum dazu hinreißen lassen, ein so milde süffiges Weinchen zu öffnen oder ernsthaft selbst zu trinken. Doch hat jeder Trend ein Spiegelbild. So wie vermehrt ultra brut dosierte Champagner auf den Markt kommen, finden sich mehr und mehr die süßer dosierten Champagner in den derart aufgespreizten Portfolios der Erzeuger. Wobei es leichter sein mag, eine Standardcuvée einfach etwas höher zu dosieren, als bloß den Zucker wegzulassen. Denn wo im einen Fall der Zucker einfach noch lieblicher rüberkommt, ist im andern Fall die Cuvée bloß-, ja entstellt und jeder noch so kleine Fehler wie unter dem Vergrößerungsglas sichtbar, wenn kein schmeichelnder Dosagezucker die Schamteile bedeckt. Aus der Karaffe ließ Francois Hautekeur den Demi-Sec servieren, weil dadurch ein nicht unerheblicher Anteil Kohlensäure verschwindet, die das Säureempfinden beeinflusst. So präpariert, kam ein koketter Champagner ins Glas, der sich gegenüber den roten Früchtchen und dem Zitronensirup trotzdem noch etwas ungezogen und kratzbürstig aufführte; die so aufgebaute Spannung sehnte sich nach Auflösung wie eine kleine Septime, blieb aber in diesem Gang unerlöst.

Abschließend gab es mit Cognac Hennessy Paradis und einer schönen Partagas Robusto (mein Lieblingsformat), Serie D No. 4 dann aber doch noch eine verspätete Auflösung und Modulation.