Carsten Rath, der Kopf hinter dem Kameha Grand "Hotel des Jahres 2011" in Bonn, ist ein alter Koblenzer. Mit seinem Laudator Frank Marrenbach, Chef der Oetker-Hotelgruppe und des Brenners Park-Hotel & Spa in Baden-Baden, kam er vor fünfzehn Jahren in eben jenem rheinland-pfälzischen Epizentrum für hotelfachbezogene und gastronomische Ausbildungsberufe erstmals zusammen, in dem auch ich meine randaleträchtige Jugend verbracht habe – im schönen Koblenz natürlich. Seither hat sich eine spannungsvolle Freundschaft zwischen den beiden entwickelt, deren hoher persönlicher Stellenwert deutlich wird, wenn man weiß, dass Frank Marrenbach im letzten Jahr das Catering für Carsten Raths Hochzeit auf dem Petersberg übernommen hat. Während die Oetkergruppe auf Spitzenhotellerie alter Schule setzt, stürmt Rath avantgardistisch voran. Nicht nur der Bonner Oberbürgermeistert Nimptsch wusste das launig zu würdigen.

Der "Genießer des Jahres" ist Boris Becker, die Preisrede hielt Champagner-Confrère Hermann Bühlbecker, Alleingesellschafter der Henry Lambertz Printenfabrik, modischer Leuchtturm und Amtsvorgänger Beckers, der sich zu seinem Lieblingschampagner leider kein statement abringen ließ. Ganz anders dagegen Reiner Calmund, der während der Preisverleihung direkt vor mir saß und mir damit komplett die Sicht nahm, im Anschluss dafür umso freimütiger über seine Champagnerbegegnungen plauderte. Leutselig legte er los, stützte sich auf meinen Schultern ab, bzw. rüttelte halb versonnen, halb von der Erinnerung an eigene Genusserlebnisse geschüttelt an mir. Für den Mann, der sich einen Körper mit Helmut Thoma teilt und den ich noch nie gleichzeitig mit ihm in einem Raum gesehen habe, ist Champagner gleichbedeutend mit der Champions League des Weins. Ohne lang nachzudenken benannte er mir als ersten wirklich großen Champagner, den er – im Jahr 2005, als er selbst Genießer des Jahres wurde – getrunken hat, Dom Pérignon 1990. Sehr sympathisch, da es sich beim 90er Dom tatsächlich um einen phantastischen Champagner handelt, wenn er in Bestform ist. Außerdem ist das der Champagner, der mir im Jahr 1999 die trüben Augen öffnete und den ich zu Studienzeiten als Silvesterchampagner ebenso behende zu vertilgen wusste, wie zum gleichermaßen simpel gehaltenen wie schmackhaften Champagner-Trüffel-Risotto, das ein kochtalentierter Kommilitone im Rahmen eines unserer mehr regel- als unregelmäßig stattfindenden Gelage herzustellen wusste.

Am Rande und von vielen unbemerkt stellte die bend-IT GmbH eine Restaurant-App vor, die demnächst im Kameha zum Einsatz kommen wird. An den Tischen gibt es dann iPads, auf denen der Gast sich Speise- und Weinkarte ansehen und sogleich bestellen kann, zudem gibt es über vier webcams livestreamings aus der Küche von Jörg Stricker. Nach der Preisverleihung gab es aus genau dessen guter Küche einige schöne Speisen:

I. Fingerfood

1. Kalbsbackenpraline & Zwetschgenchutney mit altem Balsamico

Für Bäckchen bin ich immer zu haben, vor allem wenn das tierische Protein derart thermisch behandelt wurde, dass es an Zartheit und Aromenintensität mit Zwetschge und Balsamico eine saftig-barocke ménage à trois eingeht wie hier.

2. Gebeizter Saibling auf Röggelchencrouton und Kresse

Der Saibling ist ein gesuchter Fisch und sein Fleisch ist angenehm fest. Sehr fest war auch das Röggelchencrouton, leider so sehr, dass es mir schon wie altbacken vorkam.

II. Vorspeisen

1. Geschmorte Ochsenbacke mit Zuckerrübenjus, geriebener Limette und gebratenen Steinpilzen

Ein Traum war das Ochsenbäckchen, herber, kräftiger und markiger als das vom Kalb, mit einer korrespondierenden Fruchtherbe aus der darübergeriebenen Limettenschale, die sich auch mit den Pilzen gut vertrug. Statt des allfälligen Moet Brut Impérial en Magnum ließ ich mir dazu ein Glas Piper-Heidsieck Brut schmecken.

2. Gänseleberpraline im Pumpernickelmantel mit weißer Schokolade und Mango aus der Pipette

Die Gänseleberpraline war sehr fein und schmelzig, litt aber unter der etwas zu dicken und zu trockenen Pumpernickelummantelung. Weiße Schokolade habe ich nicht wahrgenommen, auch die Mango kam mir sehr sparsam dosiert vor.

3. Maccarons von der Gänsestopfleber

Das Problem bei Maccarons ist immer deren Knusprigkeit. Bereitet man Maccarons zu lange im Vorfeld bereits fertig zu und deckt sie dann bis zum servierzeitpunkt mit Frischhaltefolie ab, sammelt sich gern mal Kondenswasser oder der Knusper geht verloren, weil die Füllung zu viel Feuchtigkeit abgibt. Bei den Gänsestopflebermaccarons habe ich von beiden Problemen keins festgestellt, der Genuss war folglich ungetrübt, denn auch die Gänseleberfüllung an sich war überzeugend.

4. Lachstatar mit Gartengurke, Crème fraîche und Kaviar

Lachs und Jakobsmuschel meide ich nach Möglichkeit, ebenso Thunfisch und Kabeljau. Trotzdem habe ich manchmal davon auf dem Teller und insbesondere beim Thunfisch bedaure ich das weniger aus Geschmacksgründen, als wegen der schlimmen Überfischung und des verbrecherischen Raubbaus, den die großen Fischfänger unter anderem eben bei der Thunfischjagd an den Weltmeeren treiben. Meine Tränen ersticke ich jedoch meist sehr schnell und schlucke sie zusammen mit dem guten Thunfischfleisch hinunter. Bei Jakobsmuschel, Kabeljau und Lachs fällt mir das schwerer, denn meist schmecken mir die drei einfach nicht so gut wie Thun. Das Lachstatar war nicht der Gipfel kulinarischen Einfallsreichtums, sondern recht bodenständig. Dazu passten Gurke, Crème fraîche und Kaviar, alle zusammen waren stimmig, weder zu pampig noch zu mager, gut ausgewogen zwischen lachsöliger Textur und wässernder Gurke, also insgesamt trotz meiner Vorbehalte schmackhaft und gut.

5. Kaisergranat mit süß-saurem Kürbissalat und Kalbszunge

Diese drei Komponenten standen nicht mit der selben Eintracht und Harmonie nebeneinander. Wie die Zinken einer Gabel schien jeder Bestandteil in die gleich Richtung zu stoßen, wie die beiden anderen, doch immer in starrem Abstand dazu. Das Grundthema gab der Kürbissalat vor, dessen süß-saure Note animierend war und eine entfernte Verbindung zu Kalbszunge in Aspik herstellte. Zum Kaisergranat fand ich den süß-sauren Verweis machbar, aber nicht dringen erforderlich. Kaisergranat und Kalbszunge zusammen waren auch nicht unbedingt die besten Spielpartner.

6. Crostinivariation mit Entenrilette und Elstar; Ziegenkäse und eingelegter Pflaume; Avocado und grünen Tomaten

Entenrilette und Elstar waren sehr schön, der Apfelspass und das saftige, weichfaserige Entenfleisch verschmolzen schnell miteinander. Auch Ziegenkäse und Pflaume waren ansatzlos zu genießen, Avocado und grüne Tomaten waren mir eine Spur zu fad. Die Crostinis waren allesamt kross und von mundegerechter Größe.

7. Fine de Claires von der Austern-Bar

Die Austern vom Rungis-Express habe ich mit Blick auf das sagenhafte Décolletée der DJane weggeschlürft, danach war es Zeit für einen Schluck vom Auxerrois aus dem Hause Bernhard Huber, den ich dann auch gleich an der Bar in ein Gespräch in seinen exzellenten Pinot Rosé Sekt verwickelt habe.

III. Hauptgänge

1. Kalbstafelspitz aus dem Sud mit Salsa Verde

Die Salsa Verde schien mir wenig verde, sondern recht klar und hell zu sein. Den Tafelspitzhappen hat sie aber gut getan, die waren wie aufgeladen mit Aromen, saftig, ohne wässrig zu sein und zart, dabei bissfest.

2. Rouget Barbet auf Bouillabaissegemüse

Das war eine Kombination nach meinem Geschmack. Gemüsiges Gemüse, ohne großen Firlefanz, mit ganz konzentriertem Eigengeschmack; dazu ein Fisch, der sich merklich gegen die Bouillabaissearomen absetzte, ohne dabei allzu heftig zu kontrastieren. Das heißt nicht, dass ich kontrastierende Aromen nicht mag, aber hier war mir die dezente Harmonie einfach lieber.

3. Ibericoschwein & Jakobsmuschel, gegrillter Spargel und Mispelchutney

Zum Thema Jakobsmuschel lasse ich mich regelmäßig aus, daher an dieser Stelle nicht. Das Ibericoschweinderl war gut gegart, der kleingeschnittene Spargel bissig, aromatisch und beides zusammen eine gelungene, etwas herbe Kombination zum Schweinchen.

4. Mild geräucherter Heilbutt, Portulak, Graupen und Mandarinenöl

Portulak ist eines dieser Wildkräuter, die man bis vor wenigen Jahren noch pauschal als Unkraut bezeichnet hat. Dabei hat er ein angenehmes, überhaupt nicht unkrautiges, kratzendes oder aufdringlich simples Aroma und gehörte in der Kombination mit den Graupen und vor allem mit dem Mandarinenöl zum Heilbutt für mich zu den besten Speisen des Abends.

IV. Food Next Level

1. Hummer-Medaillons mit Brie de Meaux, Flammkuchenröllchen, Currysabayon, Blumenkohlvariation und guter Luise

Die Hummermedaillons waren fleischig und bissig, der darübergelegte und angeschmolzene Brie schien mir erst etwas sehr aromenschwach zu sein, aber nach dem dritten Happen erwies er sich als klug gewählter Begleiter. Die verschiedenfarbigen Blumenkohlvariationen gaben dem milden Aromenspiel einen für mich nicht notwendigen vegetabilen touch, der von Currysabayon und guter Luise sinnreich wieder in Richtung eines mir stärker zusagenden Aromenspektrums ergänzt wurde.

2. Hoch gestapeltes von der Barbarie-Ente

Drei Balken hatte ich auf dem Teller: einen dicken, buttrigen Stift, einen fleischigen und einen mit Entenrilette in einer dünnen Kakaohaut. Der dicke und buttrige war mir zu sättigend, so viel quasi pures Fett auf einmal hätte eine ausgleichende Komponente benötigt. Das Barabrieentenfleisch in der mittleren Etage war asugezeichnet und konnte ohne weiteres bestehen. Schwieriger war es beim Dachgeschoss. Die Kakaohaut war leicht bitter, das Fleisch darinnen nur sehr zartaromatisch. Zusammen ergab sich eine Kombination, die nich ganz festgelegt war und keine eindeutigen Aromen preisgab.

V. Desserts

1. Krokantnüsse

Die waren gut, nicht zu gross und mit Zartbitter-, Milch-, oder weißer Schokolade überzogen.

2. Maccarons

Deren Krossität litt unter Feuchtigkeit, die Füllung war dagegen stimmig.

3. Petits Fours

Die Petits Fours waren farbenfroh, teils sehr erfrischend mit Himbeer und Zitronenaromen, so dass ich gegen meine Gewohnheit doch häufiger darauf zugreifen musste.