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Monthly Archives: Februar 2014

Die grösste Champagner-Bar der Welt: La Côte des Bar (I/III)

Seltsam genug: Das Nachtleben in der Champagne ist kaum nennenswert. In Epernay und Reims, immerhin der zweigeteilte Nabel der Champagnerwelt, ist abends weniger als nichts los, in Epernay ist der Tag offiziell beendet, wenn die stets gut besuchte, nein proppenvolle Pizzeria Sardaigne schließt. Wer sich danach noch auf den Straßen und nicht ausdrücklich auf dem Nachhauseweg befindet, ist verdächtig. In Reims ist es wenig besser, denn das Reimser Nachtleben findet der Einfachheit halber gleich in Paris statt. So leicht haben es die Bewohner der Aube nicht. Die müssen sich nach Troyes hin orientieren, aber dort finden sie mit der Weinbar Crieurs de Vin immerhin eine Anlaufstelle mit putzmunteren Kellnern, Essen nach Wahl des Küchenchefs und allerlei verrückten Stillwein, neben dem gut sortierten Champagnerregal. Der Großteil des Champagnersortiments stammt von der Côte des Bar. Die kennt nur keiner. Die Côte des Blancs kennt dagegen jeder, der mal in der Champagne war. Das ist jammerschade, aber Grund genug für mich, mal wieder und verschärft die südliche Champagne heimzusuchen.

I. Drappier

Wenn man Winzer besuchen geht, dann ist das oft schön, man erfährt viel, man bekommt auch viel Marketingspeech zu hören und man bekommt immer einen handgreiflicheren Eindruck als aus der öden Print- oder Onlineberichterstattung. Während man über das Weingut, in die Weinberge und durch die Keller latscht, lernt man den Winzer ein wenig kennen und solidiarisiert sich mit ihm, findet ihn oder sie im besten Fall sympathisch oder gar liebenswert. Je mehr Mühe sich der Gastgeber gibt, desto positiver lässt man sich gern stimmen. Dann geht es ans Probieren. Wie oft erlebt der freudig erregte Weinspitz dann aber herbe Rück- und Tiefschläge, wenn der Wein leider so gar nicht schmecken will, wenn Wunsch und Wirklichkeit zu sehr auseinanderklaffen. Dann quält man sich, je nach Gemüt, durch eine nicht endenwollende Reihe gleichschmeckender, phantasielos zusammengebrauter Durchschnittssüppchen und verspürt tiefen inneren Schmerz, wenn man über dem Probierglasrand die begeistert und erwartungsvoll geweiteten Augen des Verantwortlichen sieht. So ähnlich muss sich Marcus Hofschuster fühlen, kurz bevor er zB bei facebook über bestimmte Weinzumutungen wettert. Der Sam ist dabei freilich mehr oder weniger allein. Als Weingutsbesucher muss man dem Chef dann aber noch persönlich die Hucke vollügen, sich den Bauch reiben und Schleckbewegungen mit Schmatzgeräuschen oder sich selbst schnellstmöglich aus dem Staub machen, nicht ohne vorher noch eine Verlegenheitsmischkistchen mit den am wenigsten grauenhaften Weinen mitgenommen zu haben, nebst überreichlich Broschüren-Material und dem wilden Versprechen, einander sicher bald wiederzusehen. Nicht so bei Michel Drappier, weshalb ich mir den Einleitungssermon auch hätte sparen können. Denn der herzensfreundliche und angenehm unaufdringliche Michel Drappier macht Champagner, den er selber mag und den man genauso sympathisch finden kann, wie ihn selbst, ohne dass man in Gewissensnot kommt. 

1. Carte d'Or, dég. Nov. 2012

80PN 15CH 5PM

Das quittengelbe Etikett wird seit 1952 verwendet und hat dem Haus Drappier noch keinen Rechtsstreit mit der in Farbfragen empfindlichen Veuve Clicquot eingebracht. Die Champagner sind dafür sowieso zu unterschiedlich. Der Champagner lebt vom Pinot Fin der Ahnen, die sich nach der Reblauskatastrophe mit der Selektion bester Spätbrugunderreben befasst haben. Typisch ist ein knorriges, an alte Rebstöcke erinnerndes Gepräge, eine rustikale Struktur, die von feiner Frucht (Quitte!), Nuss und Holznoten umspielt wird, obwohl der Champagner überhaupt keinen Holzeinfluss hat. Ein selbsbewusstes "da bin ich!".

2. Brut Nature Sans Soufre

100PN

Schnittiger Stoff. Messerscharf, kantig, kerlhaft. Der Pinotdobermann. Unter den wenigen ausgeprägteren Aromen finden sich blanchierte Mandeln und wieder der zarte, holzlose Holzeindruck.

3. Carte d'Or, dég. Juli 2013 

100PN

Weiter als der Sans Soufre, ein Effekt, den ich schon oft festgestellt habe. Die Zugabe von Schwefel, selbst wenn es nur sehr wenig ist, wirkt sich positiv auf die Geschmackspalette von Champagner aus. Hier kommen zB weiße Schokolade, Trüffel und Walnuss hinzu, ohne den Champagner zu belasten oder ihm ein Iota von seiner Dynamik zu nehmen.

4. Blanc de Blancs, dég. Juli 2013 

95CH 5PB

Kräftiger Stoff mit der im Hals diskret kratzenden Art des Weißburgunders. Sonst vorherrschend Litschi, Gurke und Melone. Eine ungewöhnliche Wahl für die Business Class einer Airline wie Etihad, aber eine gute.

5. Rosé Saignée Brut Nature, dég. Oktober 2013

100PN

Ein Rosé Saignée corrigé. Der Saft bleibt solange mit den Schalen zusammen, bis das rechte Maß an Fruchtigkeit erreicht ist. Dann wird abgezogen, egal, wie die Farbe gerade ist. Gegebenefalls kommt zur Feinabstimmung noch ein Anteil von 10% weiß gekeltertem Pinot Noir Stillwein dazu. Clever. Was die Fruchtigkeit betrifft, wird bei Drappier aber kein Schindluder getrieben. Herb darf und soll es zugehen, denn Michel Drappier liebt seit frühester Kindheit Schweppes, kein Wunder also, wenn er sich über schweppesige Aromen in seinem Champagner freut und sie zu kultivieren sucht.  

6. Millésime d'Exception 2008, dég. Jan. 2014

60PN 40CH, 35% Ausbau im Fuder. 

Unalkoholisches Feuer, Esprit und Schmelz. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, weil der Champagner seine Dosage noch nicht ganz verarbeitet hatte, was genauso ist, wie wenn ein Salat nicht gleichmäßig mit Dressing benetzt ist.

7. Cuvée Charles de Gaulle

80PN 20CH

Pol-Roger hat Winston Churchill und Drappier hat Charles de Gaulle. Bei beiden sagen die Verantwortlichen, dass die Cuvée dem Original sehr ähnlich sein soll, die Unterschiede dürften aber doch nicht ganz unerheblich sein. So ist die Cuvée Sir Winston Churchill eine ausgemachte Prestigecuvée und hebt sich deutlich vom sonstigen Programm des Hauses ab. Die Cuvée Charles de Gaulle ist, anders als das historische Vorbild, brut und nicht mehr extra dry dosiert, auch würde ich sie nicht als Prestigecuvée einsortieren, sondern als Reverenzcuvée. Die Spitze des Drappiersortiments bildet ja nun doch die Grande Sendrée in weiß und rosé. Die Cuvée Charles de Gaulle ist robust und saftig mit einer angenehmen, leichten Honignote. Yves de Gaulle, der immer noch Kunde des Hauses ist, bestellt aber trotzdem andere Sachen (Cuvée d'Or und Blanc de Blancs).

8. Cuvée Quattuor, dég. Oktober 2013

Jeweils ein Viertel CH, PB, Arbane und Petit Meslier, mit 4,5 g/l dosiert

Die vier Rebsorten bilden ein Quartett. Jede hat die Möglichkeit zum Soloauftritt, aber alle müssen miteinander harmonieren. Das ist nicht leicht, denn Arbanne rennt mit viel Säure vorneweg, der etwas dickliche Pinot Blanc kommt kaum hinterher, die reife Petit Meslier neigt in die Sauvignonschiene und beharkt sich mit dem chablisnahen Chardonnay. Der Champagner wirbelt zwischen weißen Blütentönen und schokolierter Opulenz hin und her. Das ist durchaus reizvoll und ein gänzlich anderes Champagnerkonzept, als man es von Häusern dieser Größe kennt.

II. Coessens

Der Aube-Leclapart. Seine Champagner sind zu 100% im Stahl zu Hause, einzige Ausnahme bildet der Sens Boisé aus dem gebrauchten Chablisfass. Der Korken stammt von Sagrera und hat zwei extra dicke Scheiben unterm Granulat. Im Weingut verrichten zwei 8000kg Coquardpressen ihren lautlosen Dienst vom allerfeinsten, Coessens presst damit sogar für Kollegen mit ab. Im Jahr bringt das 15000 Flaschen, mehr ist nur dann vorgesehen, wenn die Qualität es erlaubt.

1. L'Argillier Blanc de Noirs, dég. Mai 2013 

Jahrgang 2009 (die Weine von Jerome Coessens sind immer Jahrgänge, bislang einzige Ausnahme ist das 2011er Lot, das ist ein Mix aus 2009 und 2008). Aus dem Glas steigt Kokosduft auf, das auf dem Etikett gedruckte "chargé en argile" bewahrheitet sich dann im Mund explosionsartig. Die 10g/l Dosage bemerkt man nicht, besser kann man Zucker nicht verstecken, als in diesem flüssigen Kimmeridgien.

2.  L'Argillier Blanc de Noirs Brut Nature, dég. Mai 2013

Wieder 2009; hier aber roter Apfel statt Kokos, sehr viel Kimmeridgien, herbe Frische von Salbei, Chinin, Tonic Water, Russian Wild Berries, ein echter Ausnüchterungstrunk, wenn selbst im Berghain nichts mehr läuft. Ausserdem ein leicht holziger Eindruck wie ich ihn schon bei Drappier und an der Aube sowieso häufiger festgestellt habe, obwohl die betroffenen Erzeuger für die jeweiligen Cuvées gar kein Holz einsetzen oder zumindest Stein und Bein schwören, es nicht zu tun; oder nur ganz wenig. Ist wohl einfach so eine Terroirgeschichte.

3.  L'Argillier Blanc de Noirs Mill. 2009, dég. Oktober 2013

Extra brut mit 4g/l. Jerome hat den Millésime 2009 noch vor dem 2006er verkauft, weil der sich gegen den Verkauf noch sperrte. Die feine Kalkigkeit, das kimmeridgig-kalkige Näschen des 2009er empfahl sich besser und präsentierte grünliche, dicksaftige Agavennoten, sowie Efeu. Im Mund schön saftig, lässt er sich gegen Ende mineralisch ausgleiten, wirkt allerdings etwas dicklicher als die vorherigen Kalkmodels. 

4. Rosé de Saignée, dég. Februar 2013

2009, Saignée, mit 10 g/l dosiert. mit den Füssen gestampft und mit viel Herzkirsche der optimale Valentinswein. Hinzu kommen Minze, Balsam, Eukalyptus-Menthol, Kiefernnadelessenz; auch Blutorange und karamellisierte Kirschen. Den Zucker steckt der Wein weg, einfach so.

5. Sens Boisé, dég. Februar 2013 

2008er. Erstmal flüchtige Säure, dann Honig, Holz, weisser Trüffel. Der Champagner hat einen warmen Charakter, mit Pfeffer, Schwarzpulver, im Mund dann wieder sehr gut und dezent verbautes Holz, er gleitet lang und frech über den hinteren Zungenrand ab und schreckt mit seiner prallen Säure den vielleicht noch nicht ganz fitten Gaumen hoch. 

III. Charles Dufour

Robert Dufour, Yves Dufour, Charles Dufour, die Schwester von Charles Dufour, sie alle operieren unter dem Namen Dufour und sorgen damit für einige Verwirrung, denn teilweise überschneiden sich ihre Cuvées, so zum Beispiel die alte Cuvée mit dem anekdotischen Namen Jaune ohne Bulles (nach einer Erzählung innerhalb der Familie, wonach ein langjähriger deutscher Abnehmer sich in deutsch durchsetztem Französischkauderwelsch über mangelndes Mousseux und wahrscheinlich unreife, grüne Geschmacksnoten beschwert haben soll) aus dem Jahrgang 1988 und die Ligne 39, das zugehörige Spätdegorgement. Von Charles Dufour, an den ich mich immer halte, gibt es mit dem Jahrgang 2010er Jungfernjahrgangschampagner. Drei Blanc de Blancs. Zwei davon, Chèvetree und Avalon sind Chardonnays, der Champ de Clos ist ein reinsortiger Pinot Blanc und löst den alten Blanc Gourmand ab, der allerdings nie zu meinen Favoriten zählte; die Standardcuvée Bulles de Comptoir gibt es jetzt erstmals als Ecocert zertifizierten Wein. Degorgiert wird dreimal pro Jahr, diese hier wurden alle im Februar 2013 dégorgiert. Nächstes Jahr dann gibt es vielleicht schon die ersten Früchte einer selection massale, die zusammen mit Fleury, Horiot, u.a. durchgeführt wird. Verwendet werden weinbergseigene Hefen und eigene Bakterienstämme für den BSA. Charles selbst nennt seine Weine ganz offen Egoistenweine, weil sie einfach nur ihm gefallen sollen. Auf den jährlich wechselnd gestalteten Etiketten finden sich die wesentlichen Angaben zum Champagner. So meint L.R.10 nichts anderes als: lot récolte 2010 und "0.32.30" bezeichnet die Parzellengröße von 0,323 ha der jeweiligen Lage. 

1. Champ du Clos

100PB aus einer Parzelle zwischen Landreville und Celles sur Ource. Inox, BSA, Nulldosage 

Das Resultat sind Kräuter, viele Kräuter, etwas Campher, etwas Geissblatt, sehr wenig Beifuss und Hopfenblüte. Ein ungewöhnlicher Pinot Blanc und einer, der mir viel besser schmeckt, als die Ausgaben davor. 

2. Chèvetree 

junge, 12 Jahre alte CH-Parzelle mit Südsüdwestausrichtung in Landreville Richtung Ville sur Arce, hier herrscht karger Boden. Die Pflanzen sind jung und dynamisch, so fordernd, wie der Champagner, der daraus wird. Säure schlägt mit 4,7 g/l zu Buche, der pH-Wert mit 3,2. Vergoren wurde im Holz es folgte der Fassausbau, in dreifach belegtem Barrique. Der Champagner ist mittellang, schlank, frech, hat den winzerigen Charme von Kleinstvinifikationen mit wohlüberlegtem, minimalem Fasseinfluss.

3. Avalon 

100CH, Lage in Essoyes; der Champagner ist holziger und dicker angelegt, der Weinberg liegt etwas ungewöhnlich am Fuss des Bergleins und nicht an der Kuppe. Da unten ist es nass, die Ostausrichtung bringt eine Mehltauproblematik mit sich. Die Erträge sind nicht so dolle, aber der Champagner ist mundfüllend, mit viel Zitrus und potentem Druck.

4. Bulles de Comptoir

55PN 10PB 35CH, 5g/l Dosage mit Mostkonzentrat; kein Egoistenwein, sondern ein wohlbalancierter Aubechampagner von ungewöhnlicher Finesse.

 

Jetzt noch schnell besorgen: Champagner zum Valentinstag

Jedes Jahr ist Valentinstag, jedes Jahr weiß keiner so recht, was er seinem significant other schenken oder Gutes tun soll. Doch jedes Jahr ist Champagner eine gute Idee. Rebellisch ist sie obendrein. Denn der Quatschfeiertag ist ureigentlich dem, pardon: den Vögeln gewidmet, oder noch genauer: der englische Erzpoet Chaucer soll am 14. Februar 1383 ein Werk mit Namen "Parlament der Vögel" vorgestellt haben, in dem es um die Liebe geht, usw.usf., das Verhängnis nahm seinen Lauf. Irgendwann kaperten erst die Amerikaner und dann die sonst nicht wegen ihrer Marketingpfiffigkeit berühmten Blumenhändler das jährlich wiederkehrende Ereignis. Seitdem muss man Blumen oder anderen Beziehungsschnickes kaufen, wenn der eigene Chromosomenvorrat im Rennen oder zumindest der Hormonpegel händelbar bleiben soll. Kenner schenken eine ungerade Anzahl Rosen. Könner schenken Blumen in ihrer schönsten Form: als Weinbouquet. Und Echte Könner greifen auf Rosé zurück, den es als Stillwein praktisch nur in schlecht gibt, der aber als Champagner gleichzusetzen ist mit dem önologischen Korrelat romantischer Liebe. Die bewährtesten Valentins-Roséchampagner habe ich gerade bei CaptainCork vorgestellt, hier geht es zum Artikel. Die Rosés, mit denen sich nach einem trotz aller redlichen Mühewaltung, d.h. Beachtung meiner Champagnerempfehlungen, aus welchem unerfindlichen Grund auch immer völlig verpatzten Valentinstag dann die Partnerschaft noch retten und der beste Versöhnungssex nach einem handfesten Beziehungskrach einleiten lässt, sind diese:

1. Coessens Largillier Brut Rosé, dég. Feb. 2013

100PN Saignée, 2009er Ernte, mit vollen 10 g/l dosiert

Weil ich in der Champagne weile, während ich diese Zeilen tippe, und weil ich just den aufstrebenden Jerome Coessens besucht habe, dessen Rosé ich seit einiger Zeit schon beharrlich lobe, beginnt der Empfehlungsreigen mit dem Rosé Saignée, dessen Trauben fussgestampft werden, obwohl Coessens zwei megateure Coquardpressen, also den Bentley unter den Pressen, für jeweils 8000 kg zur Verfügung hat. Wenn es schon nicht die eigenen Füsse sein können, mit denen die Trauben unvergleichlich schonend bis sinnlich-vergnüglich zusamengestampft werden, dann ist es doch immerhin eine irgendiwe romatische und valentinsmäßige Vorstellung, dass zumindest Jerome und seine Familie Freude dabei hatten. Das Resultat ist energetisch, tonisierend und nimmt den Geist gefangen. Kirsche, Eukalyptus, Kiefernnadelessenz, wie ich sie mal infam gut im Essigbrätlein bekommen habe und die mir bis heute nachgeht, so gut wie sie nunmal war. Den geradezu abartig hohen Dosagezucker steckt der Wein einfach weg. Denn bei Coessens überdeckt nicht der Zucker die weineigene Aromatik, sondern das, was man aus lauter Verlegenheit und mangels einer besseren, ebenso griffigen wie zutreffenden Beschreibung als Kimmeridgemineralik bezeichnen könnte, überdeckt mühelos den Zucker. Wenn die Liebste nach diesem Champagner nicht wieder in der Spur läuft, ist die Trennung unausweichlich.

2. André Clouet Brut Rosé

100PN, < 10% Rotweinzugabe

Alle guten und auch schon die allermeisten schlechten Argumente sind ausgetauscht, die Stimmung dennoch im Eimer, Versöhnungssex wider erwarten und trotz ärgster Bemühungen, ganz zum Schluss den Streit noch mal ins Lächerliche zu ziehen längst nicht in Sicht? Dann hilft nur die retrograde Brachialmethode. André Clouet, den man nicht mit Paul Clouet verwechseln sollte, ist hier schon gelegentlich wegen seiner stets zu jung getrunkenen Cuvée "Un jour de 1911" in der Strohumwicklung gepriesen worden, auch den Jahrgang und den Silver aus Sauternesfassausbau habe ich schon vorgestellt. Jetzt der bei Tageslicht betrachtet lange fällige Rosé. Diesem ungewöhnlich fruchtstarken und nur wenig von bouzytypischer Haselnuss begrenzten Champagner kann keine Kratzbürste widerstehen, denn hier geben sich alle Dinge die rot sind und gut schmecken ein zärtliches Stelldichein. Blanchierte Mandeln, ein keckes Kräutersträusschen, aber vor allem eine so zauberhafte Beerig- und Schmelzigkeit, dass auch das im langjährigen Beziehungsstress abgenutzte Herz und verhärtetste Gemüt spontanen Kinderwunsch an den Restkörper aussendet. Der Champagner schmeichelt dem Herzen also in einem Maße, dass selbst der Widerspenstigsten Zähmung gelingen muss. Falls auch das nicht klappen sollte, bitte Vitalfunktionen prüfen oder vom Umtauschrecht Gebrauch machen, sollte die Herzdame im einschlägigen Versandhandel erworben sein.

3. Olivier Horiot Sève en Barmont Rosé Saignée

100PN, immer < 2 g/l Dosage

Die Liebste schluckt mehr als der Lambo Murciélago auf dem coolen Monstertruck Unterbau von Dartz, den Sie sich kürzlich selbst geschenkt haben? Dann muss was stopfendes her, und zwar schnell. In den Sinn kommen mir bei der Gelegenheit immer die Apparate von Leclapart, der 2003er Terres Rouges von Jacquesson oder der Saignée de Sorbee von Vouette & Sorbée. Doch teuflischer, weil vertrackter, ist der Rosé von Horiot aus Riceys, dem ich vor gut und gerne zwei Jahren einen Nachbesuch nach Zweijahresfrist angedroht und nunmehr wahrgemacht habe, mit der schönen Erkenntnis, dass dort alles in geordneten Bahnen verläuft und die von mir anfangs argwöhnisch betrachteten Champagner sich in Bestform befinden. Der Rosé, für den die Trauben ähnlich wie bei Coessens mit den Füssen in die Pressform gestampft werden, wirft mit seinen Wildkirschen, Erdbeeren und sonstigen vollreifen Beeren nicht bloss wie ein tüchtig angetrunkener Karnevalsprinz seine Kamelle in die Menge, sondern feuert das reife Obst mit einer Steinschleuder in Gesicht und Mund, ein Champagnerfacial der Extragüte also. Doch ist es damit nicht getan; der Rosé sperrt sich gegen allzuschnelles Geschlucktwerden und stemmt sich gegen jedes noch so geniesserische Schmatzen, saugen und in den Hals hinabziehen. Bei dieser ganzen Prozedur wird jeder Tropfen Champagner notgedrungen so lange an Zunge und Gaumen gewendet, bis das sensorische Inventar ausgelastet ist. Danach gibt kein Mund dieser Welt mehr Widerworte.

Die Champagner sind im gut sortierten Fachversandhandel locker zu bekommen und jeden Expressaufschlag wert. Gutes Gelingen!

Reingespitzt: Frank Rosin (**/17), Dorsten

Auch und gerade im Winter muss gegessen werden und Frank Rosin hält in Dorsten ein Wintermenu bereit, das zu kosten ich mich auf den Weg in das Baiersbronn des Gogerichtsbezirks Recklinghausen gemacht habe. Draußen prangt, Reverenz ans Ruhrgebiet, zu dem Dorsten ja irgendwie auch gehört, die König-Pilsener Reklame; drinnen geht es weniger kneipenmäßig zu, wenngleich der Laden immer voll zu sein scheint und Pils in der Tat oft und auf vielen Tischen steht. Doch auch zeitgenössische Kunst, zB von Christian Nienhaus, hängt da. Und der freundliche, sehr flotte, sehr aufmerksame Service lässt jedes Gefühl von Strukturwandel in den Hintergrund treten, Gedanken an Massenarbeitslosigkeit oder andere entmutigende Themen verblassen.

Als Eröffnung gab es Champagne Richard Royer, ein Aube-Champagner, gut gemacht, süffig, robust, drall. Na gut, dachte ich mir. Nicht das Nonplusultra an Eleganz, aber vielleicht passt er ja zur Küche. Und das tat er. 

1. Champagnerauster in Tomatenwasser; leider war der Auftakt schwierig. Zu simpel das Aromenarrangement und zu stark vorschmeckend ein Sojasaucengeschmack, der noch nicht einmal annonciert worden war. Eine uraltgereifte Sojasauce hätte ja hier durchaus einen gewissen Kick verpassen können, auch wenn ich so kräftiges zeug für ähnlich unsubtil halte, wie Worcestersauce oder Tabasco auf der Auster. Aber zumindest der Champagner fügte sich gut ein.

2. Kalbsbries mit Kapern und Hummergebäck; Vom Kalbsbries nahm ich auf dem teller nichts wahr. Konnte ich auch nicht, denn das war in einer Knusperhülle versteckelt. Die wiederum war so überzeugend knusprig geraten, dass man sie einfach wegknuspern konnte, ohne vom Bries etwas wahrzunehmen. Da hätte auch geronnenes Buschhirschsperma drin sein können – ich hätte es nicht gemerkt. Schade, denn dann ist ja völlig egal, was überhaupt drin ist und der Zweck irgendwie verfehlt. Der Kaperntaler dagegen war toll, schön kaperig, aber ohne counterparts auf dem Teller, denn das Briesknusper war schon weg und der Hummerkeks zu wenig ausdrucksvoll um irgendwas zu kontrapunktieren. So ganz allein wirkte der Kaperntaler dann auch wiederum recht salzig, doch zum Glück war noch Champagner zum Runterspülen da.

3. 24h gedämpfter Knusper-Ferkelbauch, Acorda, Peperonata; Acorda ist ein Armeleute-, will sagen: traditonelles Essen in Portugal. In großer menge ist es wahrscheinlich wie Stockfisch nur schwer erträglich, aber als witziger Menuaufhänger voll d'accord. So auch hier, als kleiner Flecken, auf dem das Ferkel montiert, bzw. aufgeklebt war. Das Ferkel bestach. Topfleisch, knusprige Schwarte, leider für meinen Geschmack zu klein (was ein Problem bei Rosin zu sein scheint; manches ist überdimensioniert, anderes lächerlich und bis zur Überflüssigkeit winzig).

4. Karamellisierter Kabeljau mit aufgeschlagener Krustentierbutter, Würzrillette von zweierlei Leber und Ayran; ein versöhnlicher, wer hätt's gedacht?, Gang, und das, obwohl ich dem Kabeljau abhold bin. Und noch schlimmer; Surf&Turf Kombinationen von Seegetier und typischem Landbewohner einschließlich der Speisepilze schätze ich nicht besonders. Aber hier ging alles glatt. Kess der Einfall mit dem Ayran, von goldrichtiger Dicke die Krustentierbutter, die ich weggeschmackofatzt habe, um den dortigen Jargon zu nutzen. 

Entr'Acte: Tafelschokolade mit Leber, Kalbsjus, Trüffel, Artischocke, Crème Brûlée von der Beerenauslese und Minblumenkohl; der Überraschungszwischengang enthielt viel. Zu viel und zu wenig zugleich. Zu viel war mir der riesige Foie-Gras Riegel, der mit lebkuchenartig gewürzter Schokolade überzogen war. Dieser gewaltige Klotz sättigte mitten zwischen den Gängen so gewaltig und brachte jegliche Ausgewogenheit und Ahnung von irgendwie stimmiger Speisenfolge so drastisch und endgültig durcheinander, dass er allein das Menu hätte ruinieren können. Der Miniblumenkohl war dagegen wieder so klein, dass er zwischen den Geschmackspapillen wohl einfach hindurchgefallen sein muss, denn haften blieb davon bei mir gar nichts.

5. Milchlamm, Kalbscannelloni von Limette, mit Tobinambur und französischem Wintertrüffel; das Lamm war schön, da gibts nichts dran zu rütteln und auch der kleinlichste Meckerer würde nur vernachlässigbare Kleinigkeiten gefunden haben. Die Cannelloni hätten nicht unbedingt mit Kal sein müssen, Limette und Tobinambur hätten ihren Job auf dem Teller auch ohne eine weitere Fleischart gemacht. Der Trüffel rundete das Ganze ordentlich ab. 

6. Dreierlei von der eingemachten Sommerkirsche; wie eine Badekugel, futuristisch mit Airbrush glänzend metallic lackiert, lag die eine Kirsche als Gelée in Ufopackung auf dem Teller. Ein bläulich-badeschaumhaft wirkendes Gebilde daneben schmeckte nicht unangenehm, richtig erschließen wollte sich mir die Kreation aber nicht. 

7. Joghurtsüppchen mit Himbeere, und Baileys Karamell-Schokolade; wieder war viel kleiner Kleinkram auf dem Tellerrand verteilt und sollte wohl aromatische Akzente setzen, verlor sich aber leider bloß. Himbeeren im Winter und Baileys im Dessert gehören aber sowieso nicht zu der von mir bevorzugten Art zu kochen. Das Süppchen an sich schmeckte formidabel.

Achso: wer bei Frank Rosin speist und sich wundert, warum ihm einer der Kellner immer so bekannt vorkommt: der hat einen Zwillingsbruder, der im Restaurant Sonnora von Helmut Thieltges arbeitet.

Fazit: wer nach Dorsten fährt, kann sich dort ruhig einmal richtig durchfuttern, denn kaum ein anderer Ort in Deutschland hat auf so wenigen Quadratkilometern so viele – formal betrachtet – gute Köche. Björn Freitag und Frank Rosin geben hochkulinarisch den Ton an, das Menu bei Frank Rosin gehört außerdem zu den günstigsten Zweisternermenus, die ich kenne; leider zeigt die Küche konzeptionelle Schwächen. Wer unterhalb des offziellen Sterneniveaus essen möchte, ist beim champagnerfreudigen Marco Hentschel und im Landhaus Nicolai bestens aufgehoben.

Caractères et Terroirs de Champagne in der Cordobar, Berlin

Die unermüdliche Nicola Neumann von Noblewine München ist die wackerste Streiterin für den Winzerchampagner in Deutschland, gleichsam ein Winzerchampagnerinformations- und Lieferbüro in einem. Daher ist sie auch berufen, eine Veranstaltung wie die Caractères & Terroirs de Champagne auf die Beine zu stellen, in bedeutungsschwerer Anlehnung an mehr oder weniger lose, bzw. eng geknüpfte Winzervereinigungen der Champagne (Origines Champagne, Terres et Vins de Champagne, Artisans de Champagne und Terroirs & Talents de Champagne, die sich aber umbenannt haben in Les Mains du Terroir de Champagne). Deren frühjährliche Verkostungen sind Pflichtveranstaltungen für jeden, der sich mit der Materie tiefer auseinanderzusetzen gewillt ist. Außerhalb Frankreichs sind derartige Verkostungen selten. Deshalb und weil es einfach längst überfällig war, gibt es seit diesem Jahr die Caractères & Terroirs de Champagne. Im hippen Berlin gibt es zur Zeit kaum einen hipperen Platz für eine solche Veranstaltung, als die Cordobar der – natürlich – Österreicher Gerhard Retter und Willi Schlögl. Dort bot sich am Vorabend der Falstaff Champagnergala die Gelegenheit, drei angesagten Winzern ins Angesicht und Glas zu schauen.

Alle drei Winzer sind mehr oder weniger alte Bekannte:

A. Eric Rodez

Über eric Rodez muss man nicht mehr ernstlich viel schreiben, der Mann ist eine feste Größe und das wissen alle, die mit ihm zu tun haben, das weiß er selbst und damit gut. Interessant ist, dass seine Champagner das auch zu wissen scheinen, denn sie strahlen so etwas wie ein eigenes Selbstbewusstsein aus, vielleicht stehen sie auf der selben Intelligenzstufe, wie mancher Meeressäuger.

1. Cuvée des Crayères

50PN 50CH, 2009er Basis, Stahl und Holz (20%) Ausbau, weitgehender Verzicht auf BSA, mit 5 g/l dosiert

Wie eine mit Süßholzsud lackierte Gourmandise aus dem gleichnamigen Zweisterneschuppen in der Champagne glänzt der Champagner das Auge an und ist im Restaurant Les Crayères deshalb ganz selbstverständlich und mit dem allerbestem Grund zu ordern.  

2. Blanc de Noirs

100PN, Basisweine stammem mit Basis 2007 und den vier Vorgängerjahren in Reserve. 

Die Weichenstellung findet hier statt: Pinot Noir bedeutet bei Rodez nicht besinnungsloses Frönen in Divenhaftigkeit, Weichheit und Verführungskunst, sondern innere Disziplin, die nicht in Strenge ausartet, sondern das Naturell adelt, wenngleich die verbindliche Art des Champagners gegen Ende etwas abgehackt wirkt.

3. Cuvée des Grands Vintages

Réserve perpetuelle von ca. 30CH und 70PN im Holzfass, kein BSA, 5 g/l Dosage

Yogi Rodez hat die tückischen Jahrgangsschlangen 1992, 1993, 1996, 2000, 2001 hier meisterlich im Griff, an keiner Stelle tanzt etwa eine aus der Reihe, nichts wirkt hier ältlich, unpassend oxidativ oder gar unfrisch. Im gegenteil, die Cuvée des Grands Vintages ist eine Emergenzcuvée reinsten Wassers, die teils arg schwierigen Jahrgänge bilden mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Die jüngsten Jahrgänge haben da sicher ihr bestes dazugetan und stehen als Garanten für eine sich munter über viele Jahre unter dem wachsamen Auge von Eric Rodez weiterschlängelnde Karawane. Pfiffig, erfrischend und beinahe limonadig ist das aktuelle Dégorgement.

4. Empreinte de Terroir Chardonnay 2003

Ausbau im dreifach belegten kleinen Eichenfässern, kein BSA, ohne Klärung, Schönung, Filtration. 

Bitteschön, das ist der Beweis, dass 2003 in der Champagne geht und ein Arschjahr ist, aber eins, das entzückende Stellen aufzuweisen hat. Beim Dom Pérignon findet man sie im Magnumformat, bei Bollinger leider gar nicht, bei Philipponnat findet man sie ziemlich mühelos und bei Rodez zeigen sie sich als Empreinte. Erzrassig und hochgradig feminin, von völlig eigenständiger Art und sich ihrer Wirkung bewusst, daneben sieht die blutjunge und schon so verdorbene Tochter der verrückten Voodoopriesterin aus wie ein verzogenes Internatsgör oder Larissa Marolt.   

5. Empreinte de Terroir Pinot Noir 2003

Beim Pinot Noir etwas wesentlich anderes. Glatter, saumloser Champagner, der in nichts ungezogen wirkt und dennoch keine Langeweile aufkommen lässt. Warum? Weil man ja weiß, wie die Schwester ist und ahnt, bzw. vermutet, dass unter der Pinothaube der gleiche blutüberkochende Mix steckt? Nein. Sondern weil der Champagner eine natürliche Größe hat, die ebenso imponiert, wie Fruchtbarkeitsgöttinnen auf Steinzeitmenschen gewirkt haben. Man hat den Champagner im Glas und versteht sofort, dass das etwas Größeres ist, das sich organoleptisch nicht greifen und mit dem unvollkommenen Sprachinventar nicht fassen lässt. Großer Champagner eben. 

B. Henri Billiot

Gute 5 ha hat Madame Billiot, wie Eric in Ambonnay Grand Cru, und der größte Teil davon ist natürlich mit Pinot Noir bestockt. Malo gibts keine, dafür eine etwas reichlicher bemessene Dosage.

1. Brut Tradition Grand Cru NV

Bei konsistenten Erzeugern kann man an der Standardcuvée ablesen, wo die Reise hingehen soll, was der Stil des Hauses ist und wo der Kellermeister seine Schwerpunkte, Stärken und Schwächen hat. Beim Brut Tradition aus dem Hause Billiot ist das nicht anders. Der Champagner ist immerhin schon auf Eingangsniveau Grand Cru und steht in der Hierarchie formal zwei Stufen über dem, was sonst am Markt ist. Auf dieser Ebene ist er körperreich und fleischig, aber nicht schwabbelig, hat eine feine, feminin-süße Art und wirkt ausgesprochen fraulich.

2. Brut Grand Cru Mill. 2005

Rassiger und flotter ist der schon nicht mehr ganz aktuelle Jahrgang, aber man erkennt das Weib wieder, das sich schon im Tradition so offenherzig gezeigt hat.

3. Brut Grand Cru Mill. 2007, dég. Nov. 2013

Noch schlanker, frischer und regelrecht verjüngt ist der aktuelle Jahrgang, der wie der 2005er gemeinhin noch nicht einmal als besonders gut gilt. Ein schöner Mehrwert ist die leichte, keineswegs billig wirkende Candynote, die sich mit der Zeit noch zu einer ausgewachsenen Karamelligkeit auswachsen will, wie mir scheint.  

4. Cuvée Julie NV

50CH 50PN, Basis 2006, Fassausbau

Als Abschluss gab es die Tochterehrencuvée. So wie Laetitias Vater seine Spitzencuvée nach eben der heute an der Spitze des Hauses stehenden Laetitia benannt hat, hat sie ihrem Töchterlein Julie ein eigenes Champagnerdenkmal gesetzt. Der Champagner ist in der Verjüngungsreihenfolge tatsächlich auch der jugendlichste, unbelastetste Champagner, heiter, selbstbewusst und mit funkelnden Äuglein. 

C. Bérèche

Über Rafael Bérèche habe ich schon verschiedentlich Gutes gesagt, wer mag, kann sich bequem dazu belesen. Viel Neues gibt es, trotz des laufenden Fortschritts am Weingut und des ständig modifizierten Portfolios nicht zu vermelden. Die Biodynamie hält ihren schrittweisen Einzug, Fässlein von Burgunderliebling Pierr-Yves Collin leisten artig ihre Dienste, die zweite Gärung findet noch immer unter Korken statt, die Resultate sind nach wie vor berückend.

1. Brut Réserve, dég. Juli 2013

Drittelmix, Basis 2011, Spontangärung, Ausbau in Stahl und Holz, spontan vergoren, mit 7 g/l dosiert

Als Extra Brut gefällt mir der Eingangschampagner von Bérèche besser, da ist er flummihafter und dynamischer, während er mit immerhin 7 g Dosagezucker wie eine Flipperkugel in Zeitlupe wirkt. Die crèmige Textur und das sahnig-eingängige des Champagners bewirken sogar noch eine weitere Verlangsamung. Für größeres Publikum aber sicher ok und ein schöner Scharfmacher.  

2. Vallée de la Marne Rive Gauche, dég. Dezember 2012

100PM aus einer 1969 gepflanzten Parzelle (Les Misy), 2009er Jahrgang, Fassvinifikation (300 und 600 Liter) ohne Batonnage und Filtration, 3g/l Dosage

Erstmal Kartoffelnase und wenig einladende Nasencharakteristik insgesamt, von ungarischem Temperament, frivoler Exotik, wie sie noch dem Opa vorgeschwebt hat, keine Spur – seltsam, bei einem Meunier, der doch als Rebsorte so schon mit nichts prunken kann, von seiner bei Tageslicht betrachtet vordergründigen Exotik vielleicht mal abgesehen. Doch im Mund kommt der Wirbelwind auf, da macht sich die junge Marika Rökk breit und steppt über die Zunge. Winzerige Fassaromatik und die gesammelte Wucht jugendlichen Winzertalents, wie sein Vater es nie auf die Flasche gebracht hat. Anzumerken ist nur, dass Rafael sich mit dem gedanken trägt, die unverschämte Spritzigkeit dieses reinsortigen Champagners künftig, wenn alles danach ist, mit Chardonnay zu ergänzen, der zudem noch entschleunigend wirken soll. Ich weiß, was er meint, doch höre ich schon die ersten Dogmatiker und Vereinfacher heulen, er möge bloß bei seiner Reinsortigkeit bleiben. Na, wir werden sehen.   

3. Le Cran 2006, dég. Januar 2013

50PN 50CH, aus Ludes PC, spontan vergoren, ohne BSA, danach Fassausbau (228 und 500 Liter), mit 3 g/l dosiert

Gesetzter und öliger als der flotte 2004er, mehr big booty als der 2005er und am Ende mit einer überraschenden Betthupferlsüße, die ich beim Le Cran noch gar nicht kannte. Ein weiniges Schwergewicht war er schon immer, diesen Status unterstreicht er mit dem jetzigen Auftritt. 

4. Reflet d'Antan, dég. November 2012 

Drittelmix, Vinifikation und Ausbau im Stahltank, danach Unterbringung im Holzfass (600l), "Solera" (1985) 1990 – 2008, mit 6 g/l dosiert

Für mich immer schon einer der stärksten Weine von Rafael Bérèche, zusammen mit dem viel zu selten getrunkenen Beaux Regards, dessen 1902 gepflanzte Chardonnayreben der Massenselektion dienen. Der Reflet d'Antan ist gegenüber dem vorwärtstobenden Beaux Regards beschaulicher, ein rückwärts schauender Betrachter, was von der réserve perpetuelle kommt, die ihm mit dem Sauerstoffeintrag, der Oxidation und dem fortwirkenden Erbe vergangener Jahrgänge ein Gefühl für das Zeitliche geben mag. Weich ist er, dieser Zeithüter, komplex und so wie alle in diesem Verfahren entstandenen Champagner für eingefleischte Champagnertrinker eine Herausforderung; denn je länger und tiefer man sich in die Welt der ultratrockenen Individualchampagner eintrinkt, desto größer ist die Überraschung, auf ein so ungewohnt weiches Produkt zu treffen, das blind schnell mit dem Verdikt Grosshausbrause, aber sehr gut gemacht, abgestraft werden kann. 

5. Côte

62 Monate auf der Hefe. Premier Cru sélectionné de 3500 bouteilles. Mehr weiß ich darüber auch nicht. Außer dass es ein Champagner ist, der eine Art Ausgleich zwischen dem stürmischen Beaux regards und dem beständigen Cran bedeuten könnte. Dort passt er jedenfalls meiner Meinung nach gut hin.