Auch und gerade im Winter muss gegessen werden und Frank Rosin hält in Dorsten ein Wintermenu bereit, das zu kosten ich mich auf den Weg in das Baiersbronn des Gogerichtsbezirks Recklinghausen gemacht habe. Draußen prangt, Reverenz ans Ruhrgebiet, zu dem Dorsten ja irgendwie auch gehört, die König-Pilsener Reklame; drinnen geht es weniger kneipenmäßig zu, wenngleich der Laden immer voll zu sein scheint und Pils in der Tat oft und auf vielen Tischen steht. Doch auch zeitgenössische Kunst, zB von Christian Nienhaus, hängt da. Und der freundliche, sehr flotte, sehr aufmerksame Service lässt jedes Gefühl von Strukturwandel in den Hintergrund treten, Gedanken an Massenarbeitslosigkeit oder andere entmutigende Themen verblassen.

Als Eröffnung gab es Champagne Richard Royer, ein Aube-Champagner, gut gemacht, süffig, robust, drall. Na gut, dachte ich mir. Nicht das Nonplusultra an Eleganz, aber vielleicht passt er ja zur Küche. Und das tat er. 

1. Champagnerauster in Tomatenwasser; leider war der Auftakt schwierig. Zu simpel das Aromenarrangement und zu stark vorschmeckend ein Sojasaucengeschmack, der noch nicht einmal annonciert worden war. Eine uraltgereifte Sojasauce hätte ja hier durchaus einen gewissen Kick verpassen können, auch wenn ich so kräftiges zeug für ähnlich unsubtil halte, wie Worcestersauce oder Tabasco auf der Auster. Aber zumindest der Champagner fügte sich gut ein.

2. Kalbsbries mit Kapern und Hummergebäck; Vom Kalbsbries nahm ich auf dem teller nichts wahr. Konnte ich auch nicht, denn das war in einer Knusperhülle versteckelt. Die wiederum war so überzeugend knusprig geraten, dass man sie einfach wegknuspern konnte, ohne vom Bries etwas wahrzunehmen. Da hätte auch geronnenes Buschhirschsperma drin sein können – ich hätte es nicht gemerkt. Schade, denn dann ist ja völlig egal, was überhaupt drin ist und der Zweck irgendwie verfehlt. Der Kaperntaler dagegen war toll, schön kaperig, aber ohne counterparts auf dem Teller, denn das Briesknusper war schon weg und der Hummerkeks zu wenig ausdrucksvoll um irgendwas zu kontrapunktieren. So ganz allein wirkte der Kaperntaler dann auch wiederum recht salzig, doch zum Glück war noch Champagner zum Runterspülen da.

3. 24h gedämpfter Knusper-Ferkelbauch, Acorda, Peperonata; Acorda ist ein Armeleute-, will sagen: traditonelles Essen in Portugal. In großer menge ist es wahrscheinlich wie Stockfisch nur schwer erträglich, aber als witziger Menuaufhänger voll d'accord. So auch hier, als kleiner Flecken, auf dem das Ferkel montiert, bzw. aufgeklebt war. Das Ferkel bestach. Topfleisch, knusprige Schwarte, leider für meinen Geschmack zu klein (was ein Problem bei Rosin zu sein scheint; manches ist überdimensioniert, anderes lächerlich und bis zur Überflüssigkeit winzig).

4. Karamellisierter Kabeljau mit aufgeschlagener Krustentierbutter, Würzrillette von zweierlei Leber und Ayran; ein versöhnlicher, wer hätt's gedacht?, Gang, und das, obwohl ich dem Kabeljau abhold bin. Und noch schlimmer; Surf&Turf Kombinationen von Seegetier und typischem Landbewohner einschließlich der Speisepilze schätze ich nicht besonders. Aber hier ging alles glatt. Kess der Einfall mit dem Ayran, von goldrichtiger Dicke die Krustentierbutter, die ich weggeschmackofatzt habe, um den dortigen Jargon zu nutzen. 

Entr'Acte: Tafelschokolade mit Leber, Kalbsjus, Trüffel, Artischocke, Crème Brûlée von der Beerenauslese und Minblumenkohl; der Überraschungszwischengang enthielt viel. Zu viel und zu wenig zugleich. Zu viel war mir der riesige Foie-Gras Riegel, der mit lebkuchenartig gewürzter Schokolade überzogen war. Dieser gewaltige Klotz sättigte mitten zwischen den Gängen so gewaltig und brachte jegliche Ausgewogenheit und Ahnung von irgendwie stimmiger Speisenfolge so drastisch und endgültig durcheinander, dass er allein das Menu hätte ruinieren können. Der Miniblumenkohl war dagegen wieder so klein, dass er zwischen den Geschmackspapillen wohl einfach hindurchgefallen sein muss, denn haften blieb davon bei mir gar nichts.

5. Milchlamm, Kalbscannelloni von Limette, mit Tobinambur und französischem Wintertrüffel; das Lamm war schön, da gibts nichts dran zu rütteln und auch der kleinlichste Meckerer würde nur vernachlässigbare Kleinigkeiten gefunden haben. Die Cannelloni hätten nicht unbedingt mit Kal sein müssen, Limette und Tobinambur hätten ihren Job auf dem Teller auch ohne eine weitere Fleischart gemacht. Der Trüffel rundete das Ganze ordentlich ab. 

6. Dreierlei von der eingemachten Sommerkirsche; wie eine Badekugel, futuristisch mit Airbrush glänzend metallic lackiert, lag die eine Kirsche als Gelée in Ufopackung auf dem Teller. Ein bläulich-badeschaumhaft wirkendes Gebilde daneben schmeckte nicht unangenehm, richtig erschließen wollte sich mir die Kreation aber nicht. 

7. Joghurtsüppchen mit Himbeere, und Baileys Karamell-Schokolade; wieder war viel kleiner Kleinkram auf dem Tellerrand verteilt und sollte wohl aromatische Akzente setzen, verlor sich aber leider bloß. Himbeeren im Winter und Baileys im Dessert gehören aber sowieso nicht zu der von mir bevorzugten Art zu kochen. Das Süppchen an sich schmeckte formidabel.

Achso: wer bei Frank Rosin speist und sich wundert, warum ihm einer der Kellner immer so bekannt vorkommt: der hat einen Zwillingsbruder, der im Restaurant Sonnora von Helmut Thieltges arbeitet.

Fazit: wer nach Dorsten fährt, kann sich dort ruhig einmal richtig durchfuttern, denn kaum ein anderer Ort in Deutschland hat auf so wenigen Quadratkilometern so viele – formal betrachtet – gute Köche. Björn Freitag und Frank Rosin geben hochkulinarisch den Ton an, das Menu bei Frank Rosin gehört außerdem zu den günstigsten Zweisternermenus, die ich kenne; leider zeigt die Küche konzeptionelle Schwächen. Wer unterhalb des offziellen Sterneniveaus essen möchte, ist beim champagnerfreudigen Marco Hentschel und im Landhaus Nicolai bestens aufgehoben.