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Monthly Archives: Februar 2016

Champagner pêle-mêle in Mainz

Der Zirkumflex wird abgeschafft. Grund genug für einfache Gemüter wie mich, ihn in der Überschrift gleich doppelt zu bemühen. Sieht man sich die weiteren Sprachverrenkungen an, die den Franzosen sonst noch ins Haus stehen, dann erscheint die deutsche Rechtschreibreformkatastrophe nicht mehr ganz so zermürbend und schlimm. Was in Frankreich wiederum ganz gut funktioniert, und das seit vielen Jahren, das ist der Schaumwein, genannt Champagner. Im seinerseits gut funktionierenden Weinlokal Laurenz in der Mainzer Gartenfeldstraße war das leicht unter Beweis zu stellen.

Als allerersten Eröffner gab es Bérèches knochenbrecherisch trockenen Beaux Regards Chardonnay, mit ohne Dosagezucker aus dem Jahr 2009, dég. 2013. Wie mit Backpfeifen aus der Ohnmacht zurückgeholt, kommt man sich nach den ersten Schlucken vor und eine seltsame Amnesie macht sich breit, die Zeit fliegt dahin und die Flasche ist leer, ehe man sich’s recht versieht. An sich kein neuartiger Effekt, neu ist daran nur, dass das mit dieser brutal trockenen Art von Champagner oft geradezu anstrengend ist und bei Bérèche eben nicht. Ähnlich gibts das sonst nur noch bei Tarlants Brut Zéro, aber nicht in reinsortig.

Von Buhl Riesling 2013 en Magnum hatte danach einen äußerst schweren aber nicht unschaffbaren Einstand. Die viel höhere Dosage, dafür der Verzicht auf BSA, die pointierte, zielsichere Arbeit mit dem überhaupt nicht fettigen oder auch nur entfernt plump wirkenden Riesling, verdienen Zustimmung und Hochachtung.

Außerdem wurde der Übergang zu Champagne Reine Pédauque Millésime 1971 einfacher. Dieser Handelshauschampagner aus gutem Jahrgang war natürlich mit seinem jetzt 45 Jahren in der Flasche kein Jüngling mehr. Trotzdem schaffte er es, reife Würze und vormals frechgewesene Säure in einem Zustand vorzuzeigen, der im schönsten Sinne altersmilde genannt werden kann. Über dieses Stadium war Henriot Brut Souverain en Magnum leider schon hinaus, da war mehr Sherry, weniger, d.h. gar kein Bizzel mehr und die Flasche aus den vermutlich Endsechzigern oder höchstens Anfang der Siebziger des 20. Jahrhunderts war wohl einfach leider um.

Um, aber -werfend ist Val‘ Frison Chut Libre (pour Domaine Dominique Derain), die mehr als nur kleine Gefälligkeit, die Valerie Frison ihrem Burgunderkumpel Dominique Derain mit seinen auf Champagnergebiet stehenden Chardonnay- und Pinotreben erweist. Der Freifall hat auch etwas von einem Freischuss und erinnert ein wenig sogar an Wilhelm Tell. Die nervenzerfetzende Spannung vor dem Schuss, der Apfel, das Aufmüpfige, das bergvölkisch-rebellische. Aber auch das Gefühl des Sprungs aus der Maschine, der Ruck, wenn der Schirm aufgeht, das schwerelose Gleiten, der Überblick, die Ruhe machen dem Cuvéenamen alle Ehre.

Pommery Brut Royal en Magnum aus den späten Siebzigern war als Auftakt zu Pommery Louise 1979, dem ersten Louise-Jahrgang überhaupt, gedacht. Was ein unkomplizierter Steigbügelhalter für Madame sein sollte, entpuppte sich als selbstbewusster und forscher, hochgradig initiativer Reitlehrer, dessen höhere Dosage und formal geringere Abkunft der Liasion nicht schadeten. Männlich, breitschultrig, mit Mut zu seiner zarten Seite, ohne dadurch metrosexuell oder auf andere Weise verkorkst zu wirken, ist der Non Vintage von Pommery aus dieser Zeit ein echter Kauftip. Die Louise ist deutlich aristokratischer, entschieden feiner, mit viel geschliffeneren Formen, überspannt oder angekränkelt habe ich sie aber zum Glück bislang noch nicht erlebt, so dass ich mich noch auf eine Reihe kommender Flaschen innig freuen darf.

Ulysse Collin Chardonnay Les Roises Lot 09 ist mit seiner Herkunft aus dem Sézannais und seinen mit atypischem Gestein durchsetzten Böden ein bereichernder Partner für Roland Piollot Chardonnay Champs Rayés, vom untersten Zipfel der Aube. Die beiden Chardonnayparcellaires sind wie ein Gespräch zwischen Oswald Spengler und Benedetto Croce oder ein Duell Gene Hackman vs. Ben Kingsley, wobei ich nicht sagen könnte, wer da jetzt wen genau vorstellen würde. Darauf kommt es auch nicht an, sondern: die beiden sind dramatisch unterschiedlich und einander doch nah, ohne direkte Verbindung zueinander und dennoch ineinander verschränkt und das nicht nur, weil ich sie in einen flight gezwungen habe.

Deshalb konnte es nur mit einem gleichartigen Chrakterkopf, Jérome Prévosts Meunier La Closerie Lot 06 als erstem Champagner einer 2006er-Reihe weitergehen. Und hui, was legt der für einen flotten Tanzschritt vor. Keine Spur von bremsendem oder behäbigem Holz, Schwefel sowieso nicht und kein den deutschen gaumen störender Luftton, sondern Reinheit, Klarheit und Frische, die wiederum nicht gekünstelt und durch zwanghaft niedrig gehaltene Dosage auch nicht fremdartig wirkt. Ein Jammer, dass ich davon nichts mehr habe. Beinahe logische Folge war dann Charlot-Tanneux Cuvée Micheline Millésime 2006 (70CH 30PN aus Pierry), der von ähnlicher Gediegenheit ist, dabei so sanft, so eingehüllt, so einlullend und lockend, der reinste Sexuallockstoff, wäre da nicht das Portrait von Oma Micheline auf dem Etikett. Um den Weg zu Dom Pérignon 2006 zu bereiten, war Aurelien Laherte 2006 die goldene Brücke (85CH 15M aus Chavot). Zwischen Charlot-Tanneux und Dom Pérignon liegt ja nun nicht gerade nur ein unregelmäßiges Spaltmaß, wie bei älteren englischen Sportautos, sondern da krachen Kontinentalplatten aufeinander. Wie moderiert man sowas? Gar nicht, sondern man muss selbst Naturereignis sein. Nun sind die Champagner von Laherte keine Vulkanausbrüche, sondern eher so etwas wie eine sich gemächlich vollziehende Gebirgsbildung. So vielschichtig, erratisch gezackt, schroff abfallend, sanft hügelig, almbegrünt und schneebedeckt können die Champagner von Aurelien wirken. Der 2006er gehört zu den früheren Werken und ist entsprechend urtümlicher, dabei aber auch schon verwitterter, was ihn, der mit 2,5 g/l dosiert ist, weicher und freundlicher wirken lässt, nach blanchierten Mandeln etwa, etwas Kräutereinfluss und Hefe. Und da übernimmt der Dom, der eine Spur brenzlig wirkt, bevor er sein großmeisterliches Feuerwerk abbrennt. In der Vierergruppe, nach drei unerhört selbstbewussten Winzern, ist das kein Spaziergang und ohne die buddhistische Ruhe von Richard Geoffroy hätte ich eine Großhausprestigecuvée wohl auch nunr ungern in den Ring gelassen. Aber ich weiß ja, was ich am 2006er habe. Dessen anfängliche Brenzligkeit öffnet sich und dann wird klar, dass Süßholz, Veilchen und Orangenblüten sich so eng eingerollt und konzentriert hatten, bis sie sich so stark überlagerten und verschärften, dass es schon unangenehm wirkte. Was dieser Champagner also braucht, ist viel Luft, um diese Spirale ausrollen und sich entfalten lassen zu können. Im Mund derselbe Wirbel, ohne fummelige Süße, ohne übergenaues Herumgezirkele, mit einer überlegenen Leichtigkeit dahingeworfen und zum Kunststück geronnen.

Danach sollte man zu etwas aromatisch ganz anderem übergehen und was ist einfacher, als zum Rosé zu wechseln. Dom Ruinart Rosé 1986 ist ein Rosé mit weißer Seele, kurz nach der Freigabe für meinen Geschmack noch nicht genügend amalgamiert und im Alter dafür umso bombenfester im Sattel. Ganz deutlich kann man das am 1986er Rosé erkennen, bei dem der Rouge sich farblich sehr viel Anteil gesichert hat, geschmacklich ist die Verschmelzung mit dem chablisstählernen Chardonnayanteil aber nach Jahren auf der Flassche so vollendet, dass alles wie aus einem Guss wirkt. Und darin liegt ja beim Rosé die große Kunst: dass man nicht den Eindruck gewinnt, nur ein vergoldetes, sondern ein massivgoldenes Schmuckstück zu bekommen. Zu denen gehört fraglos Louis Roederer Cristal Rosé 2000, der leichte Toast- und Röstnoten eleganten Spritz und weltgewandte Mühelosigkeit an den Tag legt. Natürlich wirkt er viel leichter und jünger als der 86er Dom Ruinart, aber er wirkt auch so, als könnte er Mühe mit einem anspruchsvollen Essen haben, was in Wahrheit aber gar nicht der Fall ist. Cristal Rosé ist ein Champagner mit einer viel größeren Substanz und Tiefe, als viele Kritikaster wahrhaben wollen. Man merkt das oft erst im direkten Vergleich mit angeblichen Cristalkillern, die dann mit eingekniffenem Schwanz von dannen ziehen.

Ganz zum Schluss mussten dann noch zwei Champagner ran, die aus unterschiedlichen Gründen nicht täglich auf der Verzehrliste stehen. Benoit Dehu La Pythie, die Single-Barrel Version des Meunier-Monoparcellaire La Rue des Noyers; 329 Flaschen gibt es davon. Perrier-Jouet Belle Epoque 1983, davon gibt es wahrscheinlich etwas mehr als 329 Flaschen, alle Tage begegnet man ihnen aber auch nicht. Dehu hätte ich gern mal im Vergleich mit Prevost, Laval, Tarlant, Chartogne, oder Egly-Ouriet, das wird aber noch bis zur nächsten oder übernächsten Probe dauern. Belle Epoque 1983 werde ich dann vielleicht in derselben Probe mit einigen anderen Anfangachtzigern aufmachen, weil die zur Zeit fast durchgehend riesigen Trinkspass bereiten. Die Pythie zeigte sich fast genauso, wie ich sie bei der ersten Verkostung kennengelernt habe, etwas verhaltener möglicherweise, so dass ich wohl mit der Meunierprobe noch etwas warten werde, die Belle Epoque wird das geduldig ertragen, da sie noch nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen ist.

Das Fest – Winebank, Hattenheim: Aufwärts im Rheingau!

Aufwärts geht es im Rheingau vor allem mit dem Sekt. Barth, Bardong, Solter, Schönleber, Wegeler Geheimrat J. sind Namen, mit denen man auf guten Schaumweinproben rechnen muss, sei es unter den Topplatzierungen, sei es als selbstbewusste Piraten. Beim jetzt schon berühmten Winebank-Fest dominierte der Hattenheimer Hassel Brut 2011 en Magnum von Mark Barth sehr deutlich den Primus 2009, der ja eigentlich selbst auch ein Hassel ist, nur dass es eben da noch nicht draufstand. Der 2009er Geheimrat J. wusste ebenfalls zu begeistern Schönlebers Grande Reserve Brut 2009 und Vollrads Brut 2013 folgten mit etwas Abstand, beim Vollrads vor allem süßebedingt.

Aus der Küche von Gabi Würtz gab es das seit langer Zeit beste, weil funktionierende und überaus schmackhafte flying buffet, bestehend aus Ochsenschwanzsülze, Trüffelremoulade und angebratenem Rotkohlsalat; Ricottaklösschen, Blattspinat, Salbeibutter; Tomatenessenz; Geschmnorter Rinderbacke, Petersilienwurzel, Süßkartoffel; Lauwarmem Schokokuchen, Parfait.

Unter den unzähligen Rieslingen stachen für mich im Jahr 2013 weniger Weine heraus, als 2014:

2013
Wisselbrunnen von Knyphausen, trotz einer sanften Firne, die ich eigentlich bei trockenem Riesling dieses Alters nicht wünsche oder begrüße. Hier aber doch.

Nussbrunnen von Ress hatte diesen betörenden Stinker, den man immer als Mineralität
zu vereinfachen geneigt ist und der bei vielen großen Weinen von Überlegenheit kündet.

Doosberg und St. Nikolaus von Peter Jakob Kühn waren erdverbunden, mit dem salzigen Charakter, der als Beschreibung ja auch schon wieder verpönt, aber eben leicht mit dem Trinkempfinden Vieler abzugleichen ist. Von beiden zeigte der Nikolaus noch etwas mehr Finesse und Güte als der Doosberg.

Rottland von Leitz war flüssiger als flüssig, eine Supraflüssigkeit, wenn man so will, nur umgekehrt, also nicht wie ein Stoff, der ohne äußeren Anstoß das Gefäß verlässt, sondern der sich von selbst den Weg ins Leibesinnere sucht. Weder Mumm, noch Johannishof und Ress konnten mit ihrem Rottland da mithalten.

2014
Hölle von Künstler war famos, von geradezu unnachahmlicher Leichtigkeit, die es vermeidet, substanzlos zu wirken.

Walkenberg von Jost war dynamisch, gedrängt, nichts für Menschen mit Magenproblem, dafür umso mehr für Leute, die Freude an z.B. Champagne-Grundwein haben.

Langenberg von Diefenhardt zog es in die Tiefe des Rachens herab, das es eine Freude war, der Schlenzenberg zog nicht ganz so gut mit.

Hohenrain von Knyphausen und von Jung waren beide gut, der Knyppie etwas buttriger, entwickelter, mehr abgewetztes Tweedjacket, bei Jung dafür mehr Schärfe, mehr Präzision.

Schönhell von Prinz gefiel mir besser als seine Jungfer, einzig störend der süssliche touch, von dem ich, das gilt aber für alle GGs, einfach nicht verstehen kann, was er in einem Wein verloren hat, der sich allen Ernstes auf dem Etikett „trocken“ nennt.

Rosengarten von Spreitzer bekam das mit der Süße so hin, dass er schön süffig wirkte, also gerade unterhalb eines störenden Süßepegels agierte, was ihm mein Wohlwollen bescherte.

Silberlack von Schloss Johannisberg ist für mich einer der besten Rieslinge des Abends gewesen. So schön, so exemplarisch, so zugpferdhaft und treibend.

Rothenberg von Wegeler war auf vergleichbarem Niveau wie Johannisberg, ein wenig ist das so, als würde man Dom Ruinart und Comtes de Champagne in rheingauer Übersetzung trinken.

Rottland von Ress übernahm in der Rottlandreihe die Führung vor Mumm und Johannishof, Leitz war aber gar nicht erst mit seinem Rottland angetreten.

Berg Schlossberg von Leitz stach den Berg Schlossberg von Künstler aus, der mir zu poliert und blank wirkte.

Diese Rieslinge waren für die Jahre 2013 und 2014 in Flussrichtung das, was meinem ungehobelten Gaumen am meisten behagte. Nicht unerwähnt lassen will ich, dass auch mancher mauer, müder, süsslicher Wein dabei war, der für mich alles andere als Aufbruchstimmung vermittelte. Zu den sonst erwähnenswerten Weinen rechne ich, um dieses Thema nicht weiter zu vertiefen, noch den raffinierten Gräfenberg 2013 von Weil, den sehr ambitionierten Marcobrunn 2013 von Oetinger und die unverkrampfte Hölle 2013 vom Johannishof; die 2014er Hölle vom Johannishof stand leider etwas im Schatten der sie umringenden Granaten vom Schloss Johannisberg und Wegerler, verdient aber dringend Aufmerksamkeit. Der fruchtige, junge Wisselbrunnen 2014 von Barth zeigte, dass da, wo exzellenter Sekt entsteht, auch sehr guter Stillwein entstehen kann.

Abschließend gab es noch zwei Weingänge mit je 21 Rieslingen, bzw. Spätburgundern. Da gefielen mir am besten der 2009er Hochheimer Hölle erstes Gewächs von Künstler und der Sankt Nikolaus 2010 von Peter Jakob Kühn. Auch der Doosberg GG 2012 en Magnum von F.B. Schönleber der Schloss Johannisberg Silberlack 2009 aus der Doppelmagnum machten gehörig Freude. Unter den ausdrücklich Süßen gefiel mir, nachdem ich allein ca. 3 Fläschchen davon zu Probezwecken geleert hatte, die Rüdesheimer Berg Rottland Trockenbeerenauslese von Mumm am besten.

Fazit:
Wenn ich sehr gut trocken und still trinken will, kann ich in den Rheingau und werde auf höchstem Niveau befriedigt. Aber hundert Prozent sicher bin ich mir dort nicht. Dafür kursiert mir da vor allem unter der Bezeichnung GG zu viel scheintrockener Wein. Und wenn ich wirklich süß trinken will, bleibe ich doch lieber an der Mosel.