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Monthly Archives: August 2016

Champagne Deutz, the art of blending mit Olivier Bernard, Schloss Bensberg

Leute, die wenig oder keinen Champagner trinken kann ich nicht richtig einschätzen. Sie sind mir ein wenig suspekt. Ich habe auch meine Zweifel daran, ob sie das Himmelreich erlangen können. Vermutlich werden sie dem ewigen Feuer verfallen, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist und dann ist natürlich alles zu spät und ein Heulen und Zähneklappern uswusf.

Ich hingegen hoffe, dass meine frommen Werke den Gefallen des Flodoard von Reims, Hinkmar von Reims und Richer von Reims, des Gerbert von Aurillac (a.k.a. Papst Silvester II.) und Odo von Chatillon (a.k.a. Papst Urban II.) und, sollten die Genannten aus irgendwelchen Gründen keine Fürbitte für mich halten können, natürlich beim Allerhöchsten direkt finden.

Keinen Gefallen finden wird, das weiss ich, mein ausgeprägtes Blindverkostungsdefizit, mit dem ich hoffentlich bei Kellermeister Bernard nicht in zu hässlicher Erinnerung geblieben bin. Dieser gute Mann nämlich hatte das schützende Habitat in Ay verlassen, erstmals mit einer noch nicht marktfreigegebenen Flasche im Gepäck, um sie in Bensberg im Rahme eines Blendingsworkshops vorzustellen. Zu probieren gab es die unterschiedlichen Rebsorten als vins clairs, einen Brut Classic der 13er Füllung, frisch nach dem Dégorgement und die zur Flaschengärung bereitgemachte Cuvée des nächsten Brut Classic, der 2018 herauskommen wird (15er Basis, 16er Füllung). Danach wieder gewohnteres, sprudelndes Terrain

I. Chardonnay
1. Le Mesnil 2015 war säuerlich bis zur Mehligkeit, weil wahrscheinlich der gesamte Eiweisshaushalt im Mund kollabiert, bzw, agglutiniert ist. Danach blieb noch der Eindruck von Ananasschale.

2. Villers Marmery 2015 war im Anschluss das komplette Gegenprogramm, ein fast schon lascher Chardonnay, was die Säure angeht, und mit herzhaften Pinotcharakter, ein Chardonnay qui pinote, wie man deshalb vor Ort so schön sagt.

3. Avize 2014 (Réserve) zeigte feinen Reifeeinfluss, obwohl es sich ja nicht um einen wirklich alten oder gereiften Wein im landläufigen Sinne handelt, sondern um die ein Jahr zurückliegende Ernte. Gut zu trinken und von den anderen beiden klar zu unterscheiden (dachte ich zumindest, bis die Blindprobe mich eines besseren belehrte).

II. Meunier
1. Venteuil 2015 aus Südexposition, daher mit viel Orangeneinflüssen, Nektarine und herber Saftigkeit, die merkliche Säure empfiehlt sich für Reifung oder einen Jahrgangschampagner.

2. Troissy 2015 stammt aus nördlicher Exposition, war deshalb feiner, leichter, eleganter, ermöglichte einen einfacheren Zugriff und eignet sich laut Bernard für den Non Vintage.

3. Chavot 2015 kam aus einer ganz anderen, für gute Meuniers und ihre erhaben positionierte kleine Kirche trotzdem bekannten Ecke, hier fand sich viel Pomelo, eine cruhafte Nase, Kreide aus der beginnenden Côte des Blancs und kaum vorstechende Säure. Wieder drei völlig verschiedene Meuniers also, mit denkbar unterschiedlichem Charakter.

III. Pinot Noir
1. Ay 2015 bot Blumenerde, Veilchen und Marzipan, ein prächtiger vin clair.

2. Bouzy 2015 zeigte die ganze Noisettegalerie und noch mehr: pelzige Blumenblätter, Fleischigkeit und rote Beeren, ein idealer Rosé-Kandidat.

3. Verzenay 2015 war streng, athletisch und auch leicht grünlich, phenolisch, gerbend. So, wie man es von Verzenay erwartet und je nach weiterer Entwicklung ein Wein für einen guten Jahrgang oder sogar die Prestigecuvée des Hauses. Auch die Pinotreihe also war von drei markanten Fixpunkten eingegrenzt, deren Wiedererkennung mir dennoch unwahrscheinlich schwerfiel. Sei’s drum.

IV. Cuvées, stets mit BSA, Reserveweine der letzten drei Ernten, im Beton gelagert und mit 9 g/l dosiert.

Die Brut Classic Cuvée, 15er Basis unmittelbar vor der Flaschengärung, also mis en cave 2016, 37CH 34PN 29M, 52% Réserveweine, Freigabe voraussichtlich 2018, stand dem Brut Classic, 2013er Füllung, 35CH 34PN 31M, gegenüber. Keksigkeit, dünnes Milchbärtchen, rotbackiger Apfel, kesse Säure, entfernt milde Röstnote, fanden sich im nasciturus genauso wie in der fertigen Cuvée, nur quasi am Ereignis Flaschengärung gespiegelt. Sehr kenntnisfördernd!

V. Die aktuellen Champagner

1. Brut Millésime 2009 ca. 60% Pinot aus Vouzy, Louvois, Verzenay und Ay, ca. 30% Chardonnay aus Avize, Le Mesnil, Vertus, Chouilly und Villers-Marmery und ca. 10% Meunier aus Pierry und Moussy. Blätterteig und Blüten gehen hier eine harmonische Liaison ein. Der Champagner ist leichtfüssig und von gesunder Substanz.

2. Blanc de Blancs 2009, 45% aus Avize, 35% aus Le Mesnil, den Rest teilen sich Oger, Cramant, Chouilly und Villers-Marmery. Das Ultraleichtflugzeug unter den Blanc de Blancs, aber beileibe kein einfacher Schönwetterchampagner.

3. Rosé Millésime 2010, Assemblagerosé mit 8 bis 10% Rotweinzugabe, die Trauben der Cuvée kommen aus der Montagne de Reims (80%) und aus dem Marnetal, Ay, Mareuil sur Ay, Bouzy, Ambonnay, Verzennay, praktisch alles Pinottrauben, mit nur einer kleinen Menge Chardonnay. Der Bouzy-Pinot aus der vin clairs Verkostung vorab vermittelte einen sehr guten Eindruck davon, was in diesem Champagner gewünscht ist.

4. Cuvée William Deutz 2006 aus ca. 2/3 PN (Ay, Ambonnay, Bouzy, Verzenay) und ca. 1/3 CH (Avize, Le Mesnil, Chouilly, Cramant, Villers-Marmery), etwas Meunier aus Pierry un dem Marnetal ist außerdem noch drin, wird allen, die ihn sich jetzt besorgen, in den kommenden Jahren viel Freude machen. Das dezente Äußere täuscht, der Champagner ist mit allen Wassern gewaschen, fruchtig, kräuterig, würzig, elegant, markant und anspruchsvoll.

5. Amour de Deutz 2006, ist ein Blanc de Blancs, der für sein Ausgangsmaterial auf nur wenige Gemeinden zurückgreift, Le Mesnil und Avize in der Côte des Blancs und Villers-Marmery als Haus-Cru von Deutz. Dadurch wird er nicht, wie Monocrus und Clos, zum ausschließlichen Terroirbotschafter, auch ist er geschmacklich nicht vorgeprägt oder eingegrenzt. Die drei Crus wirken vielmehr wie Fixpunkte einer geodätischen Triangulation, ein Prinzip, nach dem wir schon die vins clairs probiert hatten. Le Mesnil bringt Söure, Strukur, Kreide, Avize füllt Früchte und Balance auf, aus Villers-Marmery kommt der letzte Formschliff.

6. Amour de Deutz Rosé 2006, ist ein auf überwiegender Pinotbasis (55%) aufbauender, konzeptuell dem weißen Amour de Deutz aber nicht entgegengesetzter Champagner. Rotwein aus Ay (La Pelle, eine Lage, die man z.B. bei Champagne Roger Brun in Champagnerform probieren kann) und Mareuil-sur-Ay (Cumain, Charmont) kommt wie beim jahrgangslosen Rosé mit ca. 8% in die Cuvée. Dieser kleine Stillweinanteil ist, so vermute ich, der komplette game changer, der die Cuvée besonders pusht.

Fazit:
Erkannt habe ich praktisch nix, geschmeckt hat mir alles. Somit eine weitere Lektion in Demut und gutem Geschmack, gefördert von der Schlossküche, die perfekt abgestimmtes Essen lieferte.

Clos Lanson 2006 – 2015

Jonathan Margolis machte vor kurzem in seiner stets lesenswerten Technikkolumne darauf aufmerksam, wie faszinierend Fachsprache sein kann. Dazu muss man sich nicht air traffic control broadcasts reinziehen, was leicht möglich wäre und was ich zufällig jetzt gerade über die App LiveATC Air Radio mache.

„Portland Ground, United 135 off runway 28R at alpha six.
United 135, taxi straight ahead to gate charlie five.
Straight ahead to charlie five, United 135.“

So und anders klingen da die verrauschten und kaum verständlichen Nachrichten, die trotzdem ein Gefühl von Professionalität und Sicherheit vermitteln. Zum nachvollziehen reicht es im Normalfall aus, wenn man sich daran erinnert, wie entschlackt und reduziert die Meldungen z.B. im Bordfunk sind, die man als Passagier bei Flugreisen so mitbekommt. Auch da wird nicht nebulös rumgeeiert:

„doors to arrival, crosscheck and all call“.

Früher habe ich mit ähnlicher Freude die Physikalischen Blätter gelesen, zumindest die kleineren vermischten Nachrichten darin.

Ganz anders Pseudofachsprachen wie die sogenannte Weinsprache, die sich als Kunstsprache wie ein Esperanto aus mehreren verschiedenen Fachsprachen, teils handwerklichen, teils naturwissenschaftlichen und für die Feuilletontauglichkeit den unvermeidlichen Hilfswissenschaften, zusammensetzt. Da wimmeln die interdisziplinären Begriffsbeliebigkeiten natürlich nur so vor sich hin und laden jeden ein, sich mit seiner jeweils eigenen Rabulistik daran abzuarbeiten und Diskussionen über z.B. Schwefelgehalt, Salzigkeit oder Mineralik im Wein zu führen. Ob sinnreich oder nicht, als Sprachspiel taugt die Weinsprache allemal, weshalb ich mir die ganze Einleitung auch hätte sparen können. Flugs zum Wein:

In der Champagne sind Clos im Trend. Diese Trends können sehr dauerhaft sein und bezeichnen daher oft wichtige Entwicklungslinien der Champagne. Holz, Rosé und Dosage sind solche außerhalb der Champagne deutlich merkbaren Entwicklungslinien, an denen sich die Produzenten der Champagne jeweils höchst individuell positionieren, wenn sie wollen. Ein anderer Trend ist die Beschäftigung mit dem Rebsortenspiegel. Hier gibt es einmal die Beschäftigung mit den alten Rebsorten, unter denen speziell der Weissburgunder immer wieder positiv auffällt. Dann gibt es noch die Beschäftigung mit Neuzüchtungen, die mit den klimatischen Bedingungen der Zukunft zurecht kommen sollen. Ob das nicht nur eine fixe Technokratenidee ist oder ob hier wirklich nahtlos Champagnergeschichte fortgeschrieben werden kann, wird man sehen. Wenn ich mir vergegenwärtige, wieviele Neuzüchtungen ich beim Namen kenne und wieviele davon mir als genussvoll trinkbar in Erinnerung geblieben sind, hege ich momentan Zweifel. Bessere Vorschläge habe ich aber leider nicht, das Wetter selbst wird man ja kaum nach Belieben ändern können. Egal. Clos sind also im Trend. Dieser Trend bezieht sich nicht nur auf Clos, sondern auf Lagen allgemein. Clos sind nur ein besonders prägnanter Ausdruck davon. Die Stars unter den Clos sind der Clos des Goisses und der Clos du Mesnil, unter den neueren Clos ist der Clos d’Ambonnay einer der bekanntesten, der Clos Pompadour einer meiner Lieblinge. Flammneu ist außerdem der Clos Lanson (1961 und 1986 gepflanzte plots mit einer um satte 2°C höheren Durchschnittstemparatur bei hohem Durchlässigkeitsbeiwert, bzw. hydraulischer Leitfähigkeit, also schnellem Wasserabfluss, was den Boden überwiegend trocken hält).

Lansons Kellermeister Hervé Dantan hat gerade erst den Jungfernjahrgang 2006 freigegeben und bis 2015 jedes weitere Jahr einen in petto. Ich habe mich da im Frühjahr mal durchprobieren dürfen und bekam sogar noch ein kleines Töpfchen Honig geschenkt, mit Honig von den Bienen, die im biodynbewirtschafteten Clos ihre Arbeit verrichten. Der Wein wird sechs bis acht Monate im Holzfass (dreifache Vorbelegung mit Bourgogne Grand Cru und Fässer aus der lokalen Argonner Eiche, die Familie Lanson hat ihre Wurzeln dort) vergoren, um die typischen Stärkungseffekte zu erzielen, ein Zugewinn an Griffigkeit wird nicht angestrebt, die closeigene Typik brauche das nicht, so Dantan.

Den 2015er gab es als Stillwein mit 11,3 % vol. alc. frisch vom Fass. Der Wein schmeckte schon in dieser Fassung sehr elegant, hatte süßlichen Schmelz, pikante Säure, eine großzügige Burgunderaromatik und schien mir sehr elegantes Ausgangsmaterial für einen prachtvollen Champagner zu sein.

Der 2014er, gefüllt im Juni 2015, war von apfeligen Aromen und apfeliger Säure geprägt, wirkte lebhaft bis aufgeregt, mit viel Hefe und Kokos, dabei präzise und unverwackelt, mit Luft weicher und weniger nervös.

Der 2013er hatte mehr tartrische Säure, auch wieder Kokosraspel und Ananas, weniger Zitrusfrische bei gleichförmig starkem Säureeindruck. Ich fand ihn erst etwas zwischen den Stühlen, mit Luft aber immer noch sehr stramm und etwas entschiedener, durchsetzungsfreudiger als den 2014er.

Der 2012er war dann beinahe das genaue Gegenkonzept zum 2014er, viel weniger Kokos und Apfel, dafür schon sehr entwickelte Noten von Mandel und vanilliertem Puderzucker, im Kern ein festgewirkter, sehr munterer Bursche, muskulös, sicher, mit gesunder Säure und würziger Schärfe.

Nicht sehr beeindruckend war 2011, ein Jahrgang, der hier und bei einigen anderen schon im August eingeholt wurde, was beim 2015er super geklappt hat, bei 2003 und 2007 aber nicht immer nur die helle Freude war. Der Wein hätte etwas mehr Zeit in der freien Natur gebrauchen können, wie ein Kind, das zu früh eingeschult wurde. Es ist natürlich alles da, aber etwas zu schwächelnd, etwas zu süsslich.

Gut entwickelt zeigte sich der mit nur 5000 Flaschen eingebrachte 2010er. Delikat, aber nicht zerbrechlich, ganz leicht tonisch, als hätte man Schweppes mit natriumreichem Mineralwasser verdünnt. Etwas Wachs, etwas wenig Säure, etwas Orangina.

Schon jetzt sehr gut trinkbar war 2009, fleischiges Obst, offene Arme, Crèmigkeit, Sahnigkeit, Butter, vorhandene und gut platzierte Säure, ein Vergnügen schon jetzt. Laut Hervé Dantan ist angedacht, den 2009er vor dem 2008er herauszubringen, auch wegen der Parallelen zu 1989 und 1988. Ich fänd’s gut.

Sehr vielversprechend war 2008. Rauflustig, intelligent, wie Tyler Durden aus Fight Club, nur ohne die Kapitalismuskritik. Entwickelt, immer noch vielversprechend, mit Luft immer weiter nach oben steigend, sehr stark.

Der 2007er war auch schon sehr weit, aber eben fast schon wieder zu weit für sein Alter. Orangenfruchtfleisch, saftspritzend und einer leicht zügelnden Herbe. Viel Trinkspass, bei dem aber mitschwingt: wie lange wird der noch so bleiben? Und: was kommt danach? Vielleicht ein guter Clos Lanson, um sich mit Clos Lanson bekanntzumachen.

Der 2006er Jungfernjahrgang hatte einen erstaunlich starken Holzdurchschlag, viel Gebäck, Gewürze, hellen Tabak, Shishabarcharakter, freundliche, optimistische Säure. Mit Luft kommt eine winzerige, sehr individuelle Räuchernote durch, die gar nicht wie großes Haus schmecken will, im Mund bleibt der Champagner dann aber doch wieder so geschmeidig wie ein ganz großer. Gelungener Auftakt und wenn sich alle nachfolgenden Jahrgänge als ähnliche Mixturen und Wundertüten entpuppen, hat Lanson da etwas prachtvolles an den Start gebracht, mit ca. 195 €/Flasche in der Liga eines Clos des Goisses ziemlich gut und klug positioniert.

Fazit: Nachdem ich einige ältere Lansonjahrgänge seit 1971 getrunken habe und vor allem den 1971, 1976 und 1979 überaus gut, ja phänomenal fand, bin ich ziemlich sicher, dass der Clos Lanson mit ähnlicher Langlebigkeit ausgestattet in einigen Jahrzehnten noch so manche Weinrunde sehr erstaunen und entzücken wird.