Leute, die wenig oder keinen Champagner trinken kann ich nicht richtig einschätzen. Sie sind mir ein wenig suspekt. Ich habe auch meine Zweifel daran, ob sie das Himmelreich erlangen können. Vermutlich werden sie dem ewigen Feuer verfallen, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist und dann ist natürlich alles zu spät und ein Heulen und Zähneklappern uswusf.

Ich hingegen hoffe, dass meine frommen Werke den Gefallen des Flodoard von Reims, Hinkmar von Reims und Richer von Reims, des Gerbert von Aurillac (a.k.a. Papst Silvester II.) und Odo von Chatillon (a.k.a. Papst Urban II.) und, sollten die Genannten aus irgendwelchen Gründen keine Fürbitte für mich halten können, natürlich beim Allerhöchsten direkt finden.

Keinen Gefallen finden wird, das weiss ich, mein ausgeprägtes Blindverkostungsdefizit, mit dem ich hoffentlich bei Kellermeister Bernard nicht in zu hässlicher Erinnerung geblieben bin. Dieser gute Mann nämlich hatte das schützende Habitat in Ay verlassen, erstmals mit einer noch nicht marktfreigegebenen Flasche im Gepäck, um sie in Bensberg im Rahme eines Blendingsworkshops vorzustellen. Zu probieren gab es die unterschiedlichen Rebsorten als vins clairs, einen Brut Classic der 13er Füllung, frisch nach dem Dégorgement und die zur Flaschengärung bereitgemachte Cuvée des nächsten Brut Classic, der 2018 herauskommen wird (15er Basis, 16er Füllung). Danach wieder gewohnteres, sprudelndes Terrain

I. Chardonnay
1. Le Mesnil 2015 war säuerlich bis zur Mehligkeit, weil wahrscheinlich der gesamte Eiweisshaushalt im Mund kollabiert, bzw, agglutiniert ist. Danach blieb noch der Eindruck von Ananasschale.

2. Villers Marmery 2015 war im Anschluss das komplette Gegenprogramm, ein fast schon lascher Chardonnay, was die Säure angeht, und mit herzhaften Pinotcharakter, ein Chardonnay qui pinote, wie man deshalb vor Ort so schön sagt.

3. Avize 2014 (Réserve) zeigte feinen Reifeeinfluss, obwohl es sich ja nicht um einen wirklich alten oder gereiften Wein im landläufigen Sinne handelt, sondern um die ein Jahr zurückliegende Ernte. Gut zu trinken und von den anderen beiden klar zu unterscheiden (dachte ich zumindest, bis die Blindprobe mich eines besseren belehrte).

II. Meunier
1. Venteuil 2015 aus Südexposition, daher mit viel Orangeneinflüssen, Nektarine und herber Saftigkeit, die merkliche Säure empfiehlt sich für Reifung oder einen Jahrgangschampagner.

2. Troissy 2015 stammt aus nördlicher Exposition, war deshalb feiner, leichter, eleganter, ermöglichte einen einfacheren Zugriff und eignet sich laut Bernard für den Non Vintage.

3. Chavot 2015 kam aus einer ganz anderen, für gute Meuniers und ihre erhaben positionierte kleine Kirche trotzdem bekannten Ecke, hier fand sich viel Pomelo, eine cruhafte Nase, Kreide aus der beginnenden Côte des Blancs und kaum vorstechende Säure. Wieder drei völlig verschiedene Meuniers also, mit denkbar unterschiedlichem Charakter.

III. Pinot Noir
1. Ay 2015 bot Blumenerde, Veilchen und Marzipan, ein prächtiger vin clair.

2. Bouzy 2015 zeigte die ganze Noisettegalerie und noch mehr: pelzige Blumenblätter, Fleischigkeit und rote Beeren, ein idealer Rosé-Kandidat.

3. Verzenay 2015 war streng, athletisch und auch leicht grünlich, phenolisch, gerbend. So, wie man es von Verzenay erwartet und je nach weiterer Entwicklung ein Wein für einen guten Jahrgang oder sogar die Prestigecuvée des Hauses. Auch die Pinotreihe also war von drei markanten Fixpunkten eingegrenzt, deren Wiedererkennung mir dennoch unwahrscheinlich schwerfiel. Sei’s drum.

IV. Cuvées, stets mit BSA, Reserveweine der letzten drei Ernten, im Beton gelagert und mit 9 g/l dosiert.

Die Brut Classic Cuvée, 15er Basis unmittelbar vor der Flaschengärung, also mis en cave 2016, 37CH 34PN 29M, 52% Réserveweine, Freigabe voraussichtlich 2018, stand dem Brut Classic, 2013er Füllung, 35CH 34PN 31M, gegenüber. Keksigkeit, dünnes Milchbärtchen, rotbackiger Apfel, kesse Säure, entfernt milde Röstnote, fanden sich im nasciturus genauso wie in der fertigen Cuvée, nur quasi am Ereignis Flaschengärung gespiegelt. Sehr kenntnisfördernd!

V. Die aktuellen Champagner

1. Brut Millésime 2009 ca. 60% Pinot aus Vouzy, Louvois, Verzenay und Ay, ca. 30% Chardonnay aus Avize, Le Mesnil, Vertus, Chouilly und Villers-Marmery und ca. 10% Meunier aus Pierry und Moussy. Blätterteig und Blüten gehen hier eine harmonische Liaison ein. Der Champagner ist leichtfüssig und von gesunder Substanz.

2. Blanc de Blancs 2009, 45% aus Avize, 35% aus Le Mesnil, den Rest teilen sich Oger, Cramant, Chouilly und Villers-Marmery. Das Ultraleichtflugzeug unter den Blanc de Blancs, aber beileibe kein einfacher Schönwetterchampagner.

3. Rosé Millésime 2010, Assemblagerosé mit 8 bis 10% Rotweinzugabe, die Trauben der Cuvée kommen aus der Montagne de Reims (80%) und aus dem Marnetal, Ay, Mareuil sur Ay, Bouzy, Ambonnay, Verzennay, praktisch alles Pinottrauben, mit nur einer kleinen Menge Chardonnay. Der Bouzy-Pinot aus der vin clairs Verkostung vorab vermittelte einen sehr guten Eindruck davon, was in diesem Champagner gewünscht ist.

4. Cuvée William Deutz 2006 aus ca. 2/3 PN (Ay, Ambonnay, Bouzy, Verzenay) und ca. 1/3 CH (Avize, Le Mesnil, Chouilly, Cramant, Villers-Marmery), etwas Meunier aus Pierry un dem Marnetal ist außerdem noch drin, wird allen, die ihn sich jetzt besorgen, in den kommenden Jahren viel Freude machen. Das dezente Äußere täuscht, der Champagner ist mit allen Wassern gewaschen, fruchtig, kräuterig, würzig, elegant, markant und anspruchsvoll.

5. Amour de Deutz 2006, ist ein Blanc de Blancs, der für sein Ausgangsmaterial auf nur wenige Gemeinden zurückgreift, Le Mesnil und Avize in der Côte des Blancs und Villers-Marmery als Haus-Cru von Deutz. Dadurch wird er nicht, wie Monocrus und Clos, zum ausschließlichen Terroirbotschafter, auch ist er geschmacklich nicht vorgeprägt oder eingegrenzt. Die drei Crus wirken vielmehr wie Fixpunkte einer geodätischen Triangulation, ein Prinzip, nach dem wir schon die vins clairs probiert hatten. Le Mesnil bringt Söure, Strukur, Kreide, Avize füllt Früchte und Balance auf, aus Villers-Marmery kommt der letzte Formschliff.

6. Amour de Deutz Rosé 2006, ist ein auf überwiegender Pinotbasis (55%) aufbauender, konzeptuell dem weißen Amour de Deutz aber nicht entgegengesetzter Champagner. Rotwein aus Ay (La Pelle, eine Lage, die man z.B. bei Champagne Roger Brun in Champagnerform probieren kann) und Mareuil-sur-Ay (Cumain, Charmont) kommt wie beim jahrgangslosen Rosé mit ca. 8% in die Cuvée. Dieser kleine Stillweinanteil ist, so vermute ich, der komplette game changer, der die Cuvée besonders pusht.

Fazit:
Erkannt habe ich praktisch nix, geschmeckt hat mir alles. Somit eine weitere Lektion in Demut und gutem Geschmack, gefördert von der Schlossküche, die perfekt abgestimmtes Essen lieferte.