Champagner ist der musikalischste aller Weine. Zwar gluckert er nicht so vernehmlich ins Glas, wie dicker Rotwein. Aber er plätschert lustig wie die Forelle im Wildbach hinein und seine zerplatzenden Perlchen flüstern einem kitzelnd kleine Schweinereien in das Ohr, wenn man es nahe genug dranhält. Nicht ganz ohne Grund haben in jüngerer Zeit Champagne Sélèque, Apollonis oder schon seit längerem Herbert Beaufort mit seiner Cuvée Mélomane, musikalische Cuvéenamen. Dreht man Musik laut auf, kann man damit sogar Duodezpotentaten wie einst Manuel Noriega aus der Obhut des apostolischen Nuntius locken und in Haft bringen. Mehr als Grund genug, den Champagnertrunk in eine Playlist zu übersetzen.

Die fängt mit der schlimmen Musik von Flach- und Wirrkopf Varg Vikernes an, wobei mit Flachkopf nicht die unter anderem schon oder noch von Rudolf Virchow den Ariern nachgeraunte Dolichozephalie gemeint ist: Burzum (Dunkelheit) und Unleashed (To Asgard We Fly) gehören auf den ersten Blick nicht zu den Verfertigern direkt lebensbejahender Musik. Trotzdem darf und soll man dazu Champagner trinken. Weil: Champagner lebt selbst von verschiedensten Gegensätzen, vom schwarz und weiß der Trauben, vom Ausgleich zwischen den Temperamenten, Luxusgetränk und Bordellbrause uswusf. Und da er also ganz am Ende auch jeder anstrengen Stillweinprobe die Funktion des großen Versöhners innehat, öffnen wir aus dem Hause Jacques Selosse die Parcellaires „Bout du Clos“ aus Ambonnay Grand Cru und „Côte Faron“ aus Ay Grand Cru. Den „Côte Faron“ kennen ältere Selosse-Fans noch als Solera unter dem Namen „Contraste“ und haben vielleicht sogar beneidenswerterweise noch etwas davon im Keller; beide Champagner sind Blanc de Noirs, beide sind röhrend und stark, beide so planetarisch, dass zugespitzte Extremismen aller Art kleinlich und belächelnswert daneben wirken.

Nach einem doch so unerwartet friedfertigen Einstieg hören wir uns von Slapshot feinsten Bostoner Hardcore an: Back on the Map, danach High Hopes von den Gorilla Biscuits, bevor es zu den Toy Dolls geht, bei denen es gleich mehrere Stücke sein dürfen, nämlich: H.O., Do You Wanna Be Like Dougy Bell und If You’re In A Pop Group You’ll End Up Paying A Fortune Practising at Peter Practice’s Practice Place. Allen gemeinsam ist der leicht brabbelige Bass wie von der subtil-eleganten doppelflutigen Auspuffanlage meines Autos (Assitaste sagen nicht ganz zu Unrecht die Verächter zum Sport+ Modus in der Mittelkonsole, zum Wegschieben des Auspuffkläppchens). Mit The Exploited, Son of a Copper, beenden wir vorerst den neuzeitlichen Teil unserer Playlist, deren Einführung freundlich begleitet wurde von Noel-Bazin „L’Unanime“, einer mit 10 g/l dosierten Chardonnay-Solera aus der Montagne de Reims und „La Douceur“, der mit 28 g/l dosierten Version, die den Musikstücken ein wenig von ihrer Härte nimmt. Zu den Toy Dolls darf es der „Blanc de Blancs Extra Brut“ von Antoine Bouvet aus Mareuil-sur-Ay sein, der ist jung, gutgelaunt, unverbildet und bringt dennoch die ganze Kraft 60 Jahre alter Reben ins Glas. Zum Kracher von Exploited halte ich die „Cuvée Préembulles“ von Lionel Carreau aus Celles-sur-Ource für würdig. Das anarchistische Moment dieses Champagners liefert der Anteil Pinot Blanc, sonst ist alles ganz gediegen.

Albin Paulus, der außerhalb seiner praktisch nur aus ihm selbst bestehenden Zunft kaum bekannte Maultrommelvirtuose hat mit dem Ensemble Baroque de Limoges vier kleine Stückchen vom längst vergessenen Johann Georg Albrechtsberger vertont, die sehr gut als Inspirationsquelle für The Prodigy und, auf dem Wobblephone gespielt, auch für das Hilight Tribe Album Live in India hätten dienen können. Zu Albrechtsberger jedenfalls passt ganz klar der mit dem Album namensgleiche „Entre Ciel et Terre“ von Francoise Bedel, die ja selbst als eine der ersten in der Champagne Kuriositätenpflege, bzw. biodynamischen und auf Meunier konzentrierten Weinbau am Westrand der Appellation betrieb. Musik und Champagner gehen hier eine chthonische Verbindung ein, zu der Mahlerfreunde dessen Titanensymphonie Nr. 1. in D-Dur den Vorzug geben mögen. Die rare „Cuvée Robert Winer 1996“ mit ihrem gewaltigen Säurebums würde ich zu Prodigy (Voodoo People) einfüllen und den Indientrip mit Bedels „Dis, Vin Secret“ begleiten, es sei denn, es wäre wider Erwarten noch etwas vom psychedelischsten Champagner da, den ich kenne: Dufour „Jaune ohne Bulles Blanc de Blancs 1988“.

Aus transzendenten Sphären zurückgekehrt, geht es klassisch weiter mit Cecilia Bartolis Un Pensiero Nemico di Pace, an Atemlosigkeit und trotzig-gerechter Wildheit kann es nur Davy Dosnons „Ephemère“ aus 100% Meunier mit diesem großartigen Stück des zur Zeit seiner Komposition wohl noch scharfäugigen Händel (HWV 71) aufnehmen. Andreas Scholl wandelt mit Händels Al Lampo dell’Armi auf den Spuren von Julius Cäsar in Ägypten, dazu gehört schon wegen der Nähe zum Roten Meer das genaue Gegenkonzept zum lässigen poolside Rosé: der blutrote „Rubis de Noirs“ aus dem Hause Leclerc-Briant, von mir aus, wer noch hat, gerne auch einen von Jacquessons „Terres Rouge“ oder der „Saignée de Sorbée“ von Vouette et Sorbée, allesamt sanguinisch bis dorthinaus. Phonetisch zu Leclerc-Briant passend hören wir im Anschluss den händelgeschulten Vito Priante als Vivaldis lang verschollen geglaubten Motezuma so drängend wie berechtigt fragen: Dov‘è la Figlia? und sinnieren bei einem Gläschen der dauerunterschätzten, in der Gastronomie zum Glück oft günstig bepreisten und langlebigen „Femme de Champagne 2000“ aus der besonders dickbäuchigen Magnum von Duval-Leroy darüber, bevor Angelika Kirchschlager ruhig auch außerhalb der von Bach zugehörig gedachten Jahreszeit anordnen darf: Bereite Dich Zion (BWV 248). Bach hätte bei Fertigstellung des Weihnachtsoratoriums im Jahr 1734 wahrscheinlich etwas aus dem wenige Jahre (1729) vorher gegründeten Haus Ruinart getrunken, wenn er katholisch gewesen und sich etwas aus Sprudel gemacht hätte – dann hätten wir aber möglicherweise seine Fassung der 124 Jahre später von Johann Strauss Sohn geschriebenen Champagner-Polka zu hören bekommen, die trotz allem und nicht umsonst in der Form des Scherzo u.a. ihrem Widmungsempfänger, Finanzminister Bruck, durchaus ewige Wahrheiten verkündet (Mir is alles ans, mir is alles ans, ob i an Geld hab oder kans). Champagne Taittinger, tatsächlich im Jahr 1734 gegründet, würde gleichwohl mit dem aktuellen „Comtes de Champagne 2006“ eine äußerst würdige und, sozusagen als Kreuzfahrerchampagner, zumindest auf die Alterung bezogen sogar recht wehrhafte Alternative bieten.

Weniger christlich geht es nun bei Baba Haft zu. Haftbefehls Lass die Affen aus dem Zoo kann sinnvollerweise nur von einem Champagner begleitet werden, der genauso schiebt wie Hafti selbst. Ich tendiere zu Jean Laurents „Fleur de Celles“. Als ich den das erste Mal trank, dachte ich, mir greift jemand in den Hals bis zum Magen und knautscht den rhythmisch zusammen. Ziemlich wilde Brause also und ein Erlebnis, als hätte man soeben das Schlumpfdorf gefunden. Gemütlich kommt danach Xatar mit Original, bzw. nicht immer ganz einfach zu verstehendem Text und genauso ist auch der Champagner dazu: Michel Marcoult aus Barbonne-Fayel im Sézannais, dessen „Gamme Authentique“ Champagnerspaß für Negronitrinker und echte Pick-up Profis bietet. Ob die Prophets of Rage damit zu begeistern sind, weiß ich nicht. Der Mikrochampagner “La Parcelle: Le Bouc” von Chevreux-Bournazel könnte aber meiner Vorstellung nach selbst den härtesten Dauerkiffer für Champagner gefügig machen, was an seiner von mir zumindest eingebildeten grasigen Note liegt. Leichter stelle ich mir das Bekehrungswerk bei Harry Shotta (Back 4 More) oder Baron von Alias/Big Beat Bronson (Get Wild, Gan Mental) vor, die mit einem Mix aus Pinkbill (Billecart-Salmon Rosé, welcher ist egal) und Dourdon-Bourval, der „Tradition“ würde schon genügen, beinahe mühelos für die gute Champagnersache zu gewinnen wären.

In ruhigere Fahrwasser gelangen wir mit Amons Tobin Chaos Theory, sei es das Breaking Protocol oder Kokubo Sosho Stealth im Daedalus Remix, obwohl bei The Lighthouse im King Cannibal Remix schon wieder die Post abgeht. Was trinkt man zu sowas? Ganz klar: Penet-Chardonnet „Grande Réserve Brut Nature“. Das ist Champagner gewordene Ingenieurkunst, trinkbarer Le Corbusier. Der von ihm gewiesene Weg zum Brutalismus lässt sich musikalisch begleiten mit Gaslamp Killers Baiafro von der schon älteren Platte My Troubled Mind, anschließend scheint mir Huoratrons 2017 erschienene Single Mortality Salience passend auch als Überleitung zu Ministrys N.W.O., seit den 90ern, etwa auf der Sphinctour, ein großer Klassiker. Rektumkrampfend gut passen dazu die Monoparcellaires von Penet-Charonnet: der Blanc de Blancs „Les Blanches Voies“, der „Les Fervins“ und der Blanc de Noirs „Les Epinettes“, alle aus Verzy Grand Cru. Beim Fervins ist die Besonderheit, dass es sich zwar um eine Monoparcellaire, nicht aber um einen Monocépage handelt: Chardonnay und Pinot Noir stehen dort zusammen im Weingarten und landen gemeinsam im Champagner. Wer es etwas dreckiger mag, greift zum famosen Champagner von Mouzon-Leroux, wenige Meter weiter in Verzy gelegen.

Wenn es dreckig wird, darf die Musik von Demented Are Go (DAG) nicht fehlen. Deren unsterbliches Album In Sickness and in Health aus dem Jahr 1986 gehört in jede Plattensammlung, genauso wie jeder mal den einen oder anderen älteren Collections-Champagner von Taittinger getrunken haben muss, z.B. eben den 86er mit dem Dekor von Hans Hartung, dem trinkbaren Ebenbild von DAG-Frontmann Sparky. Zu dem würde auch der irrsinnige 1986er „Année de la Comète“ von Francis Boulard passen, der changiert zwischen Mentos mit der Geschmacksrichtung LSD und exquisit gereifter TBA. Aber genug der Abkürzungen, musikalisch machen wir mit der Platte Texas Whore Pleaser von Slackeye Jim weiter, denn wenn einer den Schrottwestern White Comanche mit William Shatner mag, dann muss seine Musik gut sein. Und sie ist es, weshalb wir uns gleich Evil Eye anhören und von Arnaud Moreau aus Bouzy einen „Brut Tradition“ einschenken; dadrüber gibt’s noch die kaum oder gar nicht dosierten Cuvées „Arrakis“ und „Odyssee“, aber der Tradition ist einfach ein Cowboychampagner, der unvergleichlich gut zu Gothcountry/Creepabilly/wieauchimmer passt. Er würde auch zu Little Lisa Dixie (Bonnie and Clyde) und Creepers a.k.a. Gravemist (Wait all Night) passen, die alle nur noch von Those Poor Bastards mit ihrem elysischen Glory Amen übertroffen werden, eine noch bessere Champagnerpaarung drängt sich aber sofort in Form von Eliane Delalots (1 Hektar, Bio) „Les Dionysiaques Brut“ auf, der ganz gegen den abflauenden Trend furchtlos dosiert (11 g/l) ist und mit seinem nächtlichen Etikett zusammen mit Little Lisda Dixie herrlichst wider den Stachel löckt. Creepers‘ Nastassja Noctis ist wesentlich düsterer, Benoit Marguets „Shaman 13 Extra Brut“, der in Wahrheit ohne Dosage auskommt, entspricht dem ganz gut. Zu den Poor Bastards geht nur ein völlig schamloser Champagner, d.i. der mit 65 g/l dosierte „La Libertine“ vom kürzlich verstorbenen Charles Doyard.

Alsdann: Hallelujah, worthless fuckers, hallelujah!