Die Champagne erlebt Trends, wie jede andere Weinbauregion. Manche dauern länger und etablieren sich, andere sind nur kurzlebig. Roséchampagner, Zero-Dosage und Einzellagenchampagner rechnen ebenso dazu wie Altrebsortenexperimente und die vielfach seit den späten Neunzigern angelegten Soleras, bzw. strenggenommen sog. ewigen Reserven (reserve perpetuelle). Ein traditionelles, alle Jahre wiederbelebtes Thema ist der Holzfasseinsatz bei Vinifikation und Ausbau. Sascha Speicher vom Meininger Verlag hat sich auf der ProWein 2013 des Themas angenommen und die folgenden Champagner präsentiert:

1. Bruno Paillard Première Cuvée Brut en Magnum, dég. April 2012

Ca. 25PM 30CH 45PN, 20% Holzfassvinifikation im alten Bordeauxbarrique, mit 8 6/l dosiert.

Hoher Reserveweinanteil, der in der Magnum wirkungsvoll zur Geltung kommt als sahnige und reife Grundierung, die sich wie lemon curd an den Gaumen schmiegt und bei einer Dosage von 6 g/l nicht mastig wirkt (was für alle Paillard-Champagner gilt, die sämtlich zwischen 3 und 6 g/l dosiert sind). Vom Holzfass merkt man hier nicht viel und das ist von Kellermeister Guyot erkennbar beabsichtigt; ihm kommt es darauf an, dass die kräftigen Bordeaux (von den drei Chateaux, mit denen Paillard befreundet ist und die sich als Lieferanten für den Bestand von 400 Fässern gewissermaßen aufdrängen) dem Holz gehörig Gerbstoff abnehmen, bevor die Champagnergrundweine reinkommen, deren Robustheit man freilich nicht unterschätzen darf. 

2. Louis Roederer Brut Premier

Sehr modernen Holzeinsatz pflegt chef de cave Lecaillon von Roederer mit dem verstärkten Einsatz von Holzgärständern, wie sie hierzulande von Fürst verwendet und vor allem in Österreich zB bei Markowitsch, Halbturn, Gernot Heinrich oder Preisinger letzthin vermehrt Zuspruch finden. Holz hat bei Roederer lange Tradition und wird nach einer Phase des Verzichts sehr nutzbringend  eingeschaltet. Der Effekt ist so groß, dass sich Lecaillons Kellermeisterbuddy Dominique Demarvill von Veuve Clicquot nach einer Reihe von Parallelverkostungen ebenfalls davon überzeugen ließ, wieder Holz einzusetzen. Bei Roederer ist ca. 1 Mio Liter Reservewein in Fudern untergebracht, über BSA wird je nach vinifizierter Lage einzeln entschieden, die Liqueurs aus Trauben auf Cristalniveau liegen mit bis zu zehn Jahren besonders lange im Fass. Der immer schon gute Brut Premier von Roederer mit seinen 8-9 g/l profitiert davon. Sein Kräuterzuckeraroma wird von einer athletischen Säure flankiert, die sich den dafür prädestinierten Weinen aus Verzy und Verzenay verdankt.

3. Devaux, "D" de Devaux Brut

Hier stammt die als reserve perpetuelle angelegte Reserve (35-40%) aus Fudern zwischen 7000 und 14000 Litern Fassungsvermögen. Der Champagner ist dementsprechend weich und liefert neben Nuss, Butter und Malzbonbon nicht mehr sehr viel am Gaumen ab. Mir fehlten angesichts der robusten Machart Säure und Agilität.

4. Drappier Millésime d'Exception 2006 Brut, dég. Juni 2012

Der heiße Jahrgang brachte schöne Chardonnays, war bei den sonnengewohnten Aube-Pinots sogar sehr gut und schwächelt nur bei den sonst wegen des eigentlich kühleren Klimas muskulösen Pinots aus der Montagne de Reims. Michel Drappier setzt wie Roederer auf konische Holzgärständer, allerdings erst seit 2012. Beim 2006er ist von deren möglicherweise positiven Einfluss nicts zu spüren. Der Champagner wirkte auf mich wie der Devaux allzu robust, mit zu viel Kräuterzucker, Malzbonbon und einem nur alibihaft wirkenden Jod-Mineralton. Den Aufpreis zur köstlichen Grande Sendrée lohnt es sich deshalb bei Drappier auf jeden Fall zu zahlen.

5. Jacques Lassaigne Les Vignes de Montgueux Blanc de Blancs extra Brut, dég. 10. Juli 2012

Dieser üppige Chardonnay ist ohne Holz (Vinifikation zu 15% im Holzfass, Rest Emaille) fast nicht vorstellbar und würde sicher unvollkommen wirken. So aber wirkt er an allen Fronten druckvoll und überwindet mit seiner weinbetonten Mischung aus Kreideschlamm, Lohe und Toast selbst starke Player wie Jacquessons Nummerncuvée, die übrigens ruhig nochmal geringer, d.h. überhaupt nicht dosiert oder aufgesäuert werden dürfte. Ein weiterer Schritt nach oben ist natürlich die Colline Inspirée von Lassaigne, aber schon der einfache Vigne de Montgueux ist ein deutliches statement.    

6. Jacquesson No. 736 Extra Brut, dég. August 2012

53CH 29PN 18PM, 2008er Basis und 34% Reserveweine, mit 1,5 g/l dosiert.

Von den Chiquetbrüdern mit batonnage im Fuder vinifiziert, hat der jüngste Nummernchampagner von Jacquesson viel sportlichen Impetus, wirkt mit seiner schnittigen Säure flotter und dichter, als der standortbedingt waberndere Lassaigne, aber für eine gerade freigegebene Standardcuvée hätte ich mir schon mehr Aroma gewünscht, wir sprechen ja schließlich hier nicht von einem reinsortigen Mesnilchardonnay, sondern von einem Rebsortenmix, der sofort Spass machen soll. Abgesehen davon wird die Nummerncuvée künftig der einzige klassische Gebietscuvéechampagner von Jacquesson sein, die anderen Champagner werden reine lieu-dits und als solche stellen sie schon jetzt hohe Anforderungen an den Trinker; das muss bei einem Eingangsgetränk nicht sein.

7. Eric Rodez Blanc de Noirs Ambonnay Grand Cru

2/3 Holzfass, kein BSA.

Sehr deutlich tritt hier der (dreifach belegt, Burgunder-)Holzeinfluss hervor. Der Champagner ist selbstbewusst und stark, unter einer leichten Fettschicht zeichnen sich mächtige Muskeln ab und eine Nähe zur Krugstilistik darf man nicht nur wegen Rodez' früherer Kellermeistertätigkeit für das Haus unterstellen. Die Eröffnung hatte mich wegen des flüchtigen Eindrucks von Brühwürfeln in der Nase kurz irritiert, dann war's aber auch schon gut und die spätburgundische Ambonnaynase mit Kirschen, Pfeffer, Morcheln und Gebäck setzt sich klar durch. Säure, die wie ein Schäferhund die Aromaherde beisammenhält, und eine gegenüber früheren Versionen deutlich nach hinten ausgedehnte Länge machten den Champagner zusammen mit Lassaigne zum zweiten großen Gefaller für mich.

8. Billecart-Salmon Brut Sous Bois

Drittelmix, 2006er Basis mit 20% Reserve aus 2005 und 2004

Die nach mehrfacher Belegung von Jadot benutzten Burgunderfässer dienen jeder der drei Rebsorten als Ausbildungsort mit tüchtig batonnage und ganz ohne BSA. Das gibt rennpferdhafte Nervosität und hohe Profilschärfe, für die Kellermeister Domi aber sowieso bekannt ist. Nach dem Rodez wirkt die Cuvée Sous Bois hochgezüchtet und schlank, ohne wärmende Fettpolster. Butter und Öl vermitteln hier eher den Eindruck, als seien sie auf die Haut des Athleten aufgetragen und nicht in seinen körpereigenen Depost abgelagert. Feine Säure, angenehm seifig-gelige Textur, hohe Aromenkomplexität, die mir schon bei meiner ersten Begegnung mit dem Champagner gut gefallen hat; dennoch wirkt der Rodez auf mich im direkten Vergleich sympathischer.

9. Nicolas Feuillatte Cuvée 225 Millésime 2004

Am besten hat mir bis jetzt die 1999er Version der Cuvée 225 gefallen. Der 2004er konnte sich irgendwo zwischen Rodet und Billecart-Salmon einpendeln, wirkte auf der Zunge nur kurz und verschwand dann ziemlich sang- und klanglos. Fehlerhaft war er nicht, zu süß war er auch nicht, gesichtslos wirkte er ebenfalls nicht, so dass ich einfach vermute, er ist zu jung oder befindet sich in einer Übergangsphase, was bei dem jahrgang naheliegt.

10. Krug Grande Cuvée Multivintage, dég. Sommer 2011

2004er Basis mit Reserven bis 1990

Keine Holzfasschampagnerprobe ist vollständig ohne Krug. Um Vollständigkeit geht es auch bei den Grundweinen. Stücker 121 aus zwölf Ortschaften sind es, getrennt nach Traubenlieferanten und Parzellen, und entsprechend der Multivintagevorgabe auch nach Jahrgängen (echten Jahrgängen, nicht einfach nur jährlich wiederkehrenden Ernten), also ein schönes Stück Verkostungsarbeit für Eric Lebel und sein Team. Sehr leicht, sehr jugendlich und ungewöhnlich apfel-/nussarm selbst für einen jungen Krug. Die markante Säure indes ist da, auch Dichte und angeborene Eleganz habe ich nicht vermisst. Aber vielleicht ist ja was dran an der immer wieder zu vernehmenden Klage über die mit dem Etikettenwechsel einhergehende Stiländerung. Ich will mich dazu immer noch nicht festlegen, denn dafür reichen mir die Indizien einfach nicht aus, siehe dazu sogleich beim Bollinger.

11. Bollinger La Grande Année 2004

Die Grande Année 2004 hatte ich schon paarmal probiert und fand sie jedes Mal aufs Neue schön, fand aber auch jedes Mal die Süße zwar noch nicht problematisch, doch behandelnswert. Süßer sollte dieser Champagner nicht werden, hohe Reifegrade hin oder her. Gerade im Kontrast zum Krug machte diese Süße unvorteilhaft auf sich aufmerksam und ließ den Krug wie ein Säurebad dastehen. Bei geballten Aromen von Frankfurter Kranz, Trockenfrucht, Tabak und Waldmeister ist das nicht schwer, gibt aber zu denken. Die Grande Année ist nur deshalb noch nicht akut von Übersüßung gefährdet, weil sie genügend Eleganzreserve hat. Nachdem jetzt Matthieu Kauffmann als Kellermeister überraschend ausgeschieden ist, hoffe ich darauf, dass man bei Bollinger die Süße im Auge behält.