Zwei starke Erzeuger mit jeweils ausgeprägt eigenem (pinotfreudigem) Stil und treuer Anhängerschaft sind Philipponnat und Pol-Roger. Ein rundherum überzeugendes und selbst beim 2003er Jahrgang bravouröses Programm hat Philipponnat derzeit anzubieten. Pol-Roger sehe ich nicht ganz auf dieser Höhe, dafür sind mir insbesondere Rosé und Winston Churchill zu arg an der Schmerzgrenze dosiert.

1. Philipponnat

1.1 Royale Réserve, dég. Oktober 2010

40-50PN 30-35CH 15-25PM, Vinifikation im Stahltank und zu einem kleinen Teil im Holzfass, dort auch kein BSA. 25-40% Reservewein aus Soleraverfahren (jedoch nicht klassisch in Pyramidenform, sondern durch nachfüllen im Stahltank), teilweise aus Holzfassausbau. Mit 8 g/l dosiert.

Herzhaft hefig, mild nussig, großzügige Weinigkeit, machte einen dem Dégogierdatum entsprechenden jugendlichen Eindruck und war keineswegs zu hoch dosiert.

1.2 Grand Blanc 2004, dég. Februar 2010

Chardonnay stammt zu 70% aus der Côte des Blancs, jeweils 15% stammen aus dem Clos des Goisses und aus Trépail in der Montagne de Reims. Mit 5-6 g/l dosiert.

Der erste große Wurf aus den modernisierten Kellern von Philipponnat und daher – obwohl ich die beiden Jahrgänge sonst auf Augenhöhe sehe und Philipponnat 2002 sogar höher einschätzt als 2004 – dem 2002er trotz seiner Jugend sogar noch überlegen. Mandeln, Nüsse, Honig, elegante Säure, exotische Frucht, also alles, was man von einem großen Chardonnay dieser Provenienz erwarten darf. Die exotische Frucht ist nach meinem Empfinden immer ein deutlicher Marker für die Chardonnays aus dem Marnetal und geht hier wohl auf den Clos des Goisses Anteil zurück. gegenüber dem schon sehr guten 2002er erschien mir der 2004er weniger verträumt, fokussierter, mehr bei der Sache.

1.3 Réserve Mill. 2003, dég. August 2010

70PN 30CH, mit 6 g/l dosiert.

Fein, ausgewogen und für den meist überreifen bis abgeschlafften Jahrgang erstaunlich frisch, ja sogar elegant und mit einer delikaten Säure ausgestattet. Das Mundgefühl von geschmolzener weißer Schokolade war sehr apart, enzückend fand ich dann noch, dass der Champagner im nschluss nicht ins überreif-rosinige weggerutscht ist, sondern mit feiner, wie ein elektronisches Stabilitätsprogramm beim Auto wirkender Säure ausging.

1.4 Cuvée "1522" Grand Cru Mill. 2003, dég. Januar 2009

60PN aus Ay 40CH jeweils zur Hälfte aus Cramant und Le Mesnil, mit 4 g/l dosiert.

Ein Champagner, der nach Auffassung des Hauses vorbildlich zu Schalentieren passt. Doch geht bei dieser Betrachtung ein vergnüglicher Teil verloren: besonderen Spass macht es nämlich zu beobachten, wie die dunklen Pinotaromen langsam in den mineralischen Teil überleiten, der am Ende die Herrschaft übernimmt und verantwortlich für die Meeresfrüchteaffinität des Champagners ist. Ob man die Assemblage auch historisierend nur aus der Vallée de la Marne, bzw. Ay hätte zusammenstellen können, beschäftigt mich schon länger, tut dem Erfolg, bzw. Güte der Cuvée aber natürlich keinen Abbruch.

1.5 Clos des Goisses Blanc 2000, dég. Oktober 2009

65PN 35CH, 30-50% im Fass vergoren. Mit 4 g/l dosiert.

Feiner, schlanker, dabei druckvoller und organischer, fester in sich geschlossen und auch länger, als der "1522". Sehr raffiniert und in sich verschachtelt gebaut, so dass man sich nicht wundert, im Alter die überwältigende und für diesen Champagner typische, nussige, kakaoige, röstige und an Kaffee erinnernde Fülle anzutreffen. Beim 2000er ist das gegenüber seiner spätwienerischen Primärfruchtphase von vor einem Jahr derzeit alles wie in einem Origami verborgen, allenfalls die köstliche Honignote lugt noch hervor und lässt die zutreffende Vermutung zu, dass hier ein starker Champagner schlummert.

 

2. Pol-Roger

Eine Konstante ist Pol-Roger. So zuverlässig wie früher Christian Pol-Roger kümmert sich schon seit einigen Jahren der freundliche und verbindliche Laurent d'Harcourt um die Gäste und Freunde des Hauses.

2.1 White Foil und

2.2 Pure

Ein schönes Duo, das sich noch aufeinander einspielen muss, ist der White Foil zusammen mit dem Pure, dem Brut Majeur von Ayala in der Programmatik nicht unähnlich.

2.3 Vintage 2000

Der Vintage stammt noch immer aus dem Jahrgang 2000 und wirkt auf mich langsam etwas mürbe; nicht altersschwach zwar, aber altersmilde. Ein Heißsporn war er nie, ein Charmeur mit anregenden Qualitäten in seinen besten Zeiten dagegen schon. Das Funkeln ist noch da, was sich verändert hat, ist das bezwingende Element. Dieser Champagner nimmt einen nicht mehr in Beschlag, sondern er bietet sich an.

2.4 Blanc de Blancs 1999

Mittlerweile ist der 1999er Chardonnay von Pol-Roger reifer, aber nicht gesetzter, sondern auf eine beeindruckende Art energischer geworden, in jeder Hinsicht bestimmter, konturierter und vollendeter.

2.5 Rosé 2002

Für mich der kontroverseste Champagner des Programms von Pol-Roger ist im Moment, vielleicht zusammen mit dem Winston Churchill, der sehr scharf an der – für mich – Lästigkeitsgrenze dosierte Rosé. Hier hat gewiss der Jahrgang dem Kellermeister reifemäßig in die Hände gespielt und selbst wenn ich von Pol-Roger zuverlässig gute Arbeit im Umgang mit der Dosage gewöhnt bin, im Rosébereich finde ich die Gefahr immer besonders groß, durch übermäßige Dosage ins Kitschige abzurutschen. Davor schützt in diesem Fall nur die besonders punktgenau eingesetzte Säure. Nun ist natürlich, das weiß ich selbst, mein Gaumen alles andere als maßgeblich für Pol-Roger und das Stammpublikum des Hauses; ich würde aber dazu raten wollen, diesen sehr schmalen Pfad bei den nächsten Jahrgängen wieder zu verlassen.

2.6 Cuvée Sir Winston Churchill 1999

So süß wie nie zuvor kam mir der aktuelle Sir Winston Churchill vor. Frucht spielt unverkennbar eine entscheidende Rolle bei diesem Eindruck, Dosagezucker aber auch. Mir kam der durch den Zucker etwas speckig geratene Champagner nur um ein Haar noch nicht schwabbelig vor, hier gilt, was ich auch beim Rosé meine: noch weiter sollte man es mit der Dosage nicht treiben.