Der Westerwald, das Münsterland, das Stuttgarter Umland – sie alle sind reich an kleinen und mittelständischen Betrieben der Autozuliefer-, Maschinenbau- oder sonstigen forschungsintensiven Industrie. Kaum einer kennt diese Betriebe, dabei stecken, so jedenfalls die Berichterstatter der jeweiligen IHK-Mitgliedsblättchen in unbremsbarer Euphorie, ihre Produkte in mehr oder weniger jedem Alltagsgerät, mit dem wir uns befassen. Viele dieser Unternehmer sind Weltmarktführer in ihrem Bereich oder werden jedenfalls zur Spitzenriege dazugezählt. Man nennt sie mit einem griffigen Importterminus hidden champions.

Champagne Deutz ist vielleicht auch so etwas wie ein hidden champion. Das Haus wurde 1838 von zwei Deutschen gegründet, in der Region ist man bestens verwurzelt – und zwar buchstäblich, denn Deutz kann sich prima selbst mit Trauben höchster Qualität versorgen, zugekauft wird nur wenig, was selten genug vorkommt; auch sonst bestehen historisch gewachsene Beziehungen in und um Ay, sowie in die ganze Welt. Der Stammsitz in Ay ist ein herrschaftlicher Sitz, dort wird gelebt und gearbeitet, hinter dem Haus türmen sich die Rebberge, darunter liegen die Keller. Champagne Deutz ist einer der Impulsgeber für den Zusammenschluss der Grandes Marques im 19. Jahrhundrt gewesen. Von Deutz war in Deutschland für lange Zeit dennoch nicht groß die Rede, obwohl zum deutschen Importeur uralte Beziehungen bestehen; fragt man Sommeliers, so hört man oft und nicht nur aus Höflichkeit, dass Amour de Deutz und William Deutz als Spitzencuvées gegenüber denen anderer Häuser bevorzugt werden, in der Bevölkerung ist das aber nie so recht angekommen. An alte Jahrgänge kommt man leider nur schwer bis gar nicht, was die Sache nicht leichter macht. Unter dem Dach von Louis Roederer hat sich Deutz dann aber doch prächtig entwickelt, nur kennt man die Cuvées des Hauses hierzulande eben immer noch viel zu wenig.  

Gute 67 Grundweine wurden dieses Jahr nach Lagen getrennt vinifiziert, der portentielle Alkoholgehalt liegt bei den am Besuchstag hereingeholten Pinots aus Ay bei 11,5%, die Säure soll dem Vernehmen an die 10 g/l heranreichen, was dem 90er Jahrgang schon recht ähnlich werden könnte. Bei Deutz wird die Cuvée nicht schon im Januar, wenn der Wein gerade fertig ist zusammengestellt, sondern erst Juni, wenn er schon mehr von sich gezeigt hat. Der Chef de Cave macht zu diesem Zweck fünf Cuvees, die beiden Sieger der Verkostung im gemeinsamen Verkosterpanel werden wieder auseinandergenommen und zu fünf neuen Cuvées zusammengestellt, die zwei Sieger wieder zerlegt und neu zusammengesetzt, etc.pp. Ganz schön aufwendig also. Doch die Mühe lohnt sich. Deshalb lohnt sich auch die Mühe, das Degordierdatum an der Halskrause zu dechiffrieren. Codiert ist zunächst der Name der Cuvée, dann folgt das eigentliche Degorgement: die letzten Ziffern geben das Jahr an und die davor den Tag im Jahr, d.h. die Ziffernfolge 29712 gibt als Degorgierdatum den 297. Tag im Jahr 2012 an.

Brut Classic

Drittelmix auf Basis des 2010er Jahrgangs mit Reserve aus 09, 08 (insgesamt ca. 20%, die 12er Cuvée wird ungewöhnliche 48% Reserve enthalten) 

1,8 Mio. von insgesamt 2,3 Mio. Flaschen Deutz gehen als Brut Classic auf den Markt. Wenn man also von Deutz spricht, dann vornehmlich von dieser Cuvée, die den Hausstil repräsentiert. Der ist so elegant und ausgewogen, wie nur bei ganz wenigen anderen Häusern. Die große Kunst ist bei diesem Stil, nicht langweilig zu wirken. Ein holzfassgeprägter Stil zum Beispiel hat es leicht, bei dem muss man, vereinfachend gesprochen, immer nur den Barriqueton identifizieren können. Ein ausgewogener Stil dagegen ist eine Art Prokrustesbrett, bei dem allerdings nichts zum Abschneiden übersteht. Hier befinden sich weiße Blüten, Apfelkuchen, Brioche, eine Ahnung von Nüssen und Mandarine, weisser Pfirsich, Birne, sehr feine und frische Buttercreme und ein zitronenmelissiges Bouquet auf dem Brett. Unaufdringliche Süsse und Knackigkeit bleiben lang und delikat am Gaumen und der Champagner erlaubt sich den Luxus einer gewissen Fülligkeit, bleibt aber im vorgenannten Sinne durchweg sehr präzise.  

Blanc de Blancs 2007

Chardonnay aus Le Mesnil, Avize, Cramant, Oger, Vertus, sowie 5-10% aus Villers-Marmery

Noten von Bienenwachs, Phenol und Granatapfel ergeben einen ungewöhnlich weichen Blanc de Blancs mit pikanter, zarter Säure, die gegen Ende leicht hakenförmig hochgeht. Mit Luft zeigt sich ein schön fleischiger Pfirsich, etwas Nektarine, dazu ein Seitenhalt bietendes Gerüst.

Cuvée William Deutz 2000, deg. 84. Tag 2012

Heisse Milch mit Kastanienhonig, Konditoreiaromen, gekochte Birne, Tarte tartin, Karamell, lange starke Säure, hochkomplex und sehr luftbedürftig, wie jemand, der aus großer Tiefe langsam aufgetaucht ist und an der Wasseroberfläche Frischluft inhaliert. Man merkt, dass das Auftauchen den Champagner körperlich mitgenommen hat, er wirkt also nicht so ausgeruht, wie man sich das wünschen würde – wohl ein Tribut an den Jahrgang. 

Cuvée William Deutz 1999 en Jéroboam

Enorme Eleganz und Strahlkraft hat der William 99 zu bieten, Säure, die auch ein englischer Maßschneider nicht passgenauer hinbekommen hätte und ein Gefühl von Verschwendungslust, das mir zwar sowieso angeboren ist, das ich aber zur Küche von Klaus Erfort noch in gesteigerter Form erlebt habe.

Cuvée William Deutz 1990 oenothèque, deg. 283. Tag 2012

60PN 30CH 10PM

Ganz feiner Kaffee, Mokka, Nachtkerzenoel, essbare Blüten, Quitte, Yuzu, Goji, Brioche, Toast, karamellisierter Sauerampfer, supersauber, flott, ultraelegant, viel frischer als 2000, mit Luft kommen immer neue Fuhren an Aromen von getrockneten Himbeeren, getrockneten Sauerkirschen, Minze, Tabak, Leder und Stahl. Eines der großen Champagnererlebnisse.