Die traditionelle Probierwoche in der Champagne ist so traditionell noch gar nicht. Keine zehn, sondern nur läppische sechs Jahre ist es her, dass eine Reihe aktionslustiger und besonders dynamischer Winzer sich entschloss, im Frühjahr eine Verkostung auf die Beine zu stellen, die dem interessierten Publikum tiefere Einblicke in das Terroir der Champagne ermöglichen sollte, als gemeinhin üblich. Dazu gehörte auch, was mittlerweile zum Wahrzeichen dieser Art von Verkostung geworden ist, die Bereitstellung charakteristischer Vins Clairs der vergangenen Ernte. Dieses fiese Zeug hat früher keinen interessiert und jeder war eigentlich froh, dass die Kellermeister das jeden Tag selber süppeln müssen, um in einem kaum näher nachvollziehbaren Prozess einen richtig tollen Champagner zu kreieren. Sicher, einige Autoren schwärmen in ihren Standardwerken vergangener Tage von den hervorragenden Grundweinqualitäten bestimmter Hersteller. Aber sich damit so richtig auseinandersetzen? Lieber nicht. Das hat sich zum Glück geändert, auch wenn die Verkostung von Vins Clairs eine anstrengende und schwierige Sache bleibt, die für mich auch nach fünfzehn Jahren noch keinen Deut einfacher geworden ist. Genau das ist einer der Gründe dafür, dass Assistenzkellermeister oder Kellermeister aus einem Team von Kellermeistern nach ebenso langer Zeit noch als rookies angesehen werden, deren Meinung im Verkosterpanel immer als erste gehört und postwendend abgetan oder vergessen wird. 

In großen Häusern, wo Hekatomben unterschiedlichster Crus in eine Cuvée wandern, ist diese Aufgabe ungleich schwieriger als bei einem Monocru-Winzer, soviel ist andererseits auch wieder klar. So darf man also weder unnötig verkomplizieren, noch unangemessen vereinfachen. Einfach machen es uns die Winzer von sich aus schon. Denn Teil des Konzepts ist es eben, Vins Clairs vorzustellen, die auf besondere Merkmale hinweisen können, die tragende Merkmale einer späteren Cuvée verdeutlichen oder Aspekte aufzeigen, über die man sich im Eifer des Gefechts vielleicht gar keine Gedanken gemacht hätte.    

Mittlerweile haben sich am und um diesen etablierten Termin jedenfalls weitere Winzergruppierungen an die Öffentlichkeit gewagt. Ein der jüngsten, die dieses Jahr Premiere feierte, ist die der "Origines Champagne". Von den dortigen Winzern kenne ich ein paar schon länger persönlich oder verfolge ihr Wirken mit Wohlwollen. Umso schöner ist es dann, wenn sich drumherum eine möglichst homogene Truppe findet, in der eine Bündelung von Ideen und Aktionen möglich ist.

Gleich als erstes war ich bei Florence Duchêne aus Cumières, die ich schon verschiedentlich vorgestellt und gelobt habe, weil mir der jugendlich-frische Ansatz gefällt, aber auch die interkulturelle Vermählung: die Cuvées oberhalb von Brut Tradition und Reserve tragen die Namen philippinischer Naturgottheiten und den Eindruck von subtropischer Wildheit bekommt man durchaus, wenn man den bewusst ungebändigten Noten der Duchêne-Champagner nachspürt. 

Tristan Hyest, den ich seit einiger Zeit schon aufsuche, um seine Einzellagenchampagner in statu nascendi zu probieren und abzugreifen, gefiel mir besonders gut mit seinem Brut Reserve, der vor Lebensfreude strotzte und damit selbst die von mir sehr geschätzte Cuvée Colostrum, die ich von ihm ja als allererste kennen- und lieben gelernt hatte, in die Schranken wies. Der feine Rosé hatte es dann natürlich schwer, noch zu punkten.

Benoît Déhu, dessen 200er Millésime mich vor längerer Zeit nachhaltig positiv angesprochen hatte, war mit einem ganz anderen lineup an den Start gegangen. Er hat die Einzellage La rue des Noyers in drei unterschiedlichen Formen vinifiziert: als Weißwein, als Rotwein und als Extra Brut Champagner. Die Rebsorte ist jeweils Pinot Meunier und das ist das tolle an solchen Veranstaltungen: Winzer, die sich genaue Gedanken darüber machen, was sie dem Publikum neben einem milden Rausch noch mit auf den Weg geben können. Ich fand jedenfalls den Champagner exquisit und werde nicht versäumen, mir davon einen kleinen Handvorrat anzulegen, denn Pinot Meunier in dieser Form zu bekommen, gelingt nicht alle Tage. Als Weißwein ließ er alle Facetten exotischen fruchtreichtums spüren, ohne dabei oberflächlich oder auf Effekt ausgerichtet zu wirken, als Rotwein gehört er zu den ernstzunehmenden Gewächsen, mit denen sich eine württembergische Konkurrenz von Drautz-Able, Schnaitmann oder Neipperg wunderbar aufmischen ließe.

Pierre Amillet von Robert Moncuit aus Le Mesnil war in meinen Augen schon lange ein Typ, der mit seinem Champagner Mitglied einer dieser Winzergruppen hat werden müssen. Seit geraumer Zeit gehören seine Jahrgänge und seine jahrgangslosen Extra Bruts für mich zu den Dauerbrennern auf der Einkaufsliste besonders bekömmlicher und freudestiftender Le-Mesnil Champagner. Eine richtige Prestigecuvée fehlt noch, aber dringend erwarten tue ich sie nicht. Dafür ist schon sein Champagner aus dem preislichen Fundaments- bis Mittelbaubereich genug Entertainment. Spannend ist es aber auf jeden Fall seine Chétillons und die von Pierre Peters nebeneinander zu probieren (was hier nur nacheinander ging), auch sein Solera-Projekt gibt begründeten Anlass zu der Hoffnung, dass aus dem Haus gegenüber vom Bahnhof in Le Mesnil noch viel Gutes kommen wird. Übrigens ist der Bahnhof seit gerade mal einer Woche zu einem hübschen kleinen Restaurant umgewidmet und gebaut, dort kann man die Muóncuit-Champagner glasweise schlürfen und aus der umfangreichen Karte weitere örtliche Erzeuger hinzuwählen. 

Der junge Laurent Vauversin von Champagne Vauversin aus Oger, das trotz Grand Cru Status noch viel zu viele unbekannte Winzer beherbergt, stellte einen Champagner vor, den ich noch einige Male zu trinken haben werde, bevor ich ihn ganz ergründen kann. Die Reserve Orpair 2007. Ein ausgemacht raffiniertes Stück aus alten kleinen Holzfässchen, mit vollem BSA und 6 g/l Dosage. Sowas von schmackhaft und sowas von durchtrieben, dass es mir regelrecht Schauer über den Rücken treibt.

Sehr sympathisch war Nicolas Salomon von Champagne Denis Salomon aus dem Marnetal. Seine Champagner sind mir wenigstens teilweise schon länger bekannt, weil sie oft glasweise in der Region angeboten werden und zuletzt hatte ich im Champagnerlädchen der drei Mädels aus Dizy, die nun nach Hautvillers gezogen sind, davon gekostet. Zu einer sehr schmackhaften Platte mit regionalen Kleinigkeiten übrigens. Die beiden Jahrgänge 2008 und 2009 waren wie ihr Schöpfer sympathisch, der Rosé schön fruchtig, alle drei hätten mehr Druck Dynamik und Frechheit vertragen können, finden aber sicher auch ohne ihre Liebhaber, gerade bei den Freunden des nicht allzu säurestarken Champagners.

Aus Venteuil, wieder Vallée de la Marne, kommt Champagne Maurice Grumier. Fabien Grumier hatte die Cuvées Amand Extra Brut, Mill. 2005 Extra Brut und Instant Brut Nature mitgebracht, außerdem gab es einen Meunier aus Festigny zu probieren, eine der Hochburgen des Spitzenmeunier, sowie eine Solera, begonnen 2013. Mein Favorit dieser Auswahl dicht beieinander liegender Champagner war die Cuvée Amand aus einem Viertel Pinot Noir und sonst Chardonnay, mit 6 g/l dosiert. Reichhaltig, von altmodischer Großzügigkeit, der man einen kundigen Holzeinsatz abschmeckt.   

Sehr gut gefiel mir außerdem die Leistung von Jérôme Bourgeois, der Champagne Bourgeois-Diaz aus Crouttes sur Marne vertreten hat und dessen Rosé ausgezeichnet mit schwarzen Noten von Pfeffer und Lakritz arbeitet. 

Nicht so gut gefallen haben mir die Champagner von Nathalie Falmet. Der Brut Nature war so karg, dass er mir schon bitter vorkam, der eigentlich sehr schöne, wenngleich ebenfalls karge Einzellagenchampagner Val Cornet und selbst der Rosé de Saignée waren alle nicht Hochform. Das habe ich schon besser von ihr getrunken, daher hier keine weiteren Auswalzungen.