Wenn man aus Epernay rausfährt, links der Marne, landet man sofort in Mardeuil, wo knapp 1600 Mardouillats wohnen. Einer davon ist Vincent Charlot, dessen Vater entfernt aussieht wie Steve Martin. Um den geht es aber nicht. Sondern um Vincent, bzw. dessen Weine. Die liegen im Keller, d.h. in einem der vielen Keller, die sich unter dem Haus hintereinanderliegend erstrecken. Ganz hinten angekommen, liegen die Bordeauxfässchen mit dem kostbaren Inhalt. Ungewöhnlich: Vincent benutzt Rotweinfässer für seine – weißen – Grundweine. Das hat, innerhalb seiner tantrisch anmutenden Philosophie den Grund, dass der tanninstarke, gesättigte Rotwein sich wie ein schützender Mantel um den jungen Champagnergrundwein legt, anders als es in einem Weißweinfass der Fall wäre. Dort, so Vincent, würde der Grundwein nicht eingehüllt, sondern ausgesaugt und geschwächt werden. Naja. Schon besser gefiel mir die Begründung dafür, warum er überhaupt Fässer benutzt. Die seien nämlich das weibliche, aufnehmende Element für den männlichen, eindringenden Wein. Resultat sei, gleichsam als Baby, der Champagner. Schöner Gedanke, der so oder so ähnlich von vielen Winzern gedacht wird. Also: Fortpflanzung und Familie ist alles, daher kommen die ganzen mit Ahnenbildern ausgestatteten oder zur Geburt von Nachkommen kreierten Champagner.

Zurück in den Keller, wo Vincent den Ertrag seiner vier Hektar auf die Fässer verteilt hat und mir freundlicherweise Zugang dazu gewährte. Kurios gleich der Einstieg mit zwei ungeschwefelten Weinen, die ohne biologischen Säureabbau und immerhin 3,6 pH gegen alle Erwartung nicht zu Essig geworden sind. Und nicht nur das, die beiden sind so frisch, klar und rein, dass man ihnen die eigenartigen technischen Daten gar nicht abnehmen mag.

Mardeuil ist Meuniergegend, also kommt der im Keller vorrangig ins Glas und beeindruckt mit einer sehr rauchigen, steinichten Silexnote. Völlig anders ist der Meunier aus den Côteaux Sud d'Epernay, speziell jener aus der Lage Temple. Birne, Apfel und Kräuter geben den bilderbuchmäßigen Meunier preis. Im Gegensatz dazu steht der Meunier aus der nördlicheren Lage Chapottes, der sich mit mehr Diesel, Struktur und Masse auf die Zunge wälzt und offenbar eifrig den Schulterschluss mit dem Silexwein aus Mardeuil sucht. Im Vergleich dazu ist der Chardonnay aus derselben Lage damenhaft, mit einem Rosenblütenparfum und erheblicher Passsionsfrucht wirkt er einerseits fein, feminin und elegant andererseits durchaus fleischig, wobei die zarte Säure und geschmackvoll angepasstes, feines Tannin den Wein nicht schwer wirken lassen. Aus Ay kann nur Pinot Noir ins Glas kommen, aus der sandigen Partie, über die Vincent dort verfügt, gewinnt er einen buttrigen, dabei finessereichen Pinot, der leicht vegetabil wirkt.

Dann geht es richtig los. 70PN 30PM von einer 15 Ar großen Fläche in Mardeuil, auf der 50 Jahre alte Rebstücke stehen. Klassisch, dick, massiv und so herzhaft, dass man ihn eher in der Gegend von Ambonnay vermuten würde.

100CH mit viel Exotik, Salz und Bittermandel, ein Lübecker Marzipanbrot mit Fleur de Sel wäre nicht köstlicher.

70CH 30PN aus dem Clos des Futie, ein Clos mit zwei verschiedenen Bodenarten, bringt puren weißen Pfirsich, noch mehr Feinheit als Chapottes, für Vincent ist das ein sensibler und natürlich erotischer Wein. Noblesse statt Travestie oder dämlicher Burlesque.

Rubis de la Dune ist ein Saignée, der 14 Stunden Mazeration hinter sich hat. Der Weinberg wurde 1955 auf Silex gepflanzt. Trüffel und Sauerkirsche sind das wohlschmeckende, sehr feingeistige Ergebnis. Rubis de la Dune ist das Gegenstück zu Ecorche de la Genette, dem gegenüberliegenden Weinberg. Herber, kräftiger, krautiger, schmutziger ider der Ecorche und beide sind sie wie Pichon Comtesse und Pichon Baron.    

Aus Moussy gab es noch einen abschließenden Meunier, der besonders beeindruckend war. Mandel, schwarzer Pfeffer und Wildkirschengelee. Wein, der zwischen den Backen hin- und hergeschoben werden will und muss.

Blanc de Blancs 1999 en Magnum, sans dosage und vor einer Woche degorgiert. War enorm.stark, reif, voll, groß. Ich dachte zuerst, das sei eine Flasche, die Vincent sich von einem großen Haus besorgt hat, um sich Anregung zu holen. So war es aber nicht, dieser verglichen mit seinen Vorgängern wieder völlig andere Wein hatte das weiche, gefällige der großen Häuser, dabei war er doch ganz nach den Regeln der tantrischen Biodynamie nach Vincents persönlicher Lesart gemacht. Hätte er dann nicht verrückt, kratzig, seltsam, irgendwie hinkend, schielend oder sonstwie "interessant" schmecken müssen? Nein. Eben nicht. 

Ganz zum Schluss gab es noch die Cuvée Nicolas Premier Cru 2009 aus 80PN 20PM. Von diesem Wein gibt es nur 400 Flaschen, von denen ich mir glücklicherweise einen kleinen Teil sichern konnte. Kein BSA, 5 g/l Dosage. Und ein Duft von Kölnisch Wasser, nicht so, wie von Oma, sondern so, wie von einer umwerfenden Frau, die egal welchen Duft tragen könnte und damit gut röche, sich aber aus Provokationslust oder wegen eines unaufgearbeiteten Vaterkomplexes für Kölnisch Wasser entschieden hat. Außerdem gab es Zitronenpudding, Yuzu, Limone und schönes Eigelb. Fein, leicht, aber nicht schwerelos.