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Falstaff Champagnergala 2013 im Capital Club, Berlin

Im #sparklingdecember lud der Falstaff zur Champagnergala am Gendarmenmarkt, im prestigeusen Capital Club. Die Verpflegung mit Austern und Sushizeugs war adäquat, das Raumangebot so, dass man trotz der Ballung an Ausstellern nicht ins drängeln kam. Die Champagner selbst waren aus dem aktuellen Programm der jeweiligen Erzeuger genommen und boten einen guten Überblick über das, was zur Zeit am Markt zu bekommen ist. Erstaunliches fand ich dort nicht, und weil ich noch eine Heimreise mit Zugbindung anzutreten hatte, musste ein Schnelldurchlauf genügen.   

Bollinger war mit den stets gleichermaßen guten Cuvées Special Cuvée und Rosé vertreten, wobei sich besonders der Rosé als mittlerweile in der Klasse spitzenmäßiger Non-Vintage Rosés etablierter Champagner behaupten konnte.

Bruno Paillard zeigte die Première Cuvée in weiß und rosé, an beiden gibt es nicht viel auszusetzen; interessanter war die noch ganz junge 2004er Cuvée, die in den nächsten sechs Monaten noch zur Ruhe kommen muss, bevor sie zu strahlen beginnen kann; bei Paillard ist das sowieso bekannt, weshalb die Mitt- und Endneunzigerjahrgänge jetzt als trinkenswert besonders hervorzuheben sind.

Cattier holte aus dem Fundus Champagner, die ich nur ganz selten mal trinke, weil sie einfach nicht so präsent sind, bzw. auch gerade erst ganz neu auf den Markt kommen. Brut Quartz, Blanc de Noirs und Glamour Rosé werde ich deshalb noch etwas eingehender zu betrachten haben.

Von de Saint Gall war der Orpale 2002 in der üblichen guten, aber noch nicht maßstabsetzenden Form, Tradition und Rosé haben keine tieferen Gedankenfurchen bei mir hinterlassen. 

Duval-Leroy gefiel mir mit dem 2004er Jahrgangschardonnay gut, der Premier Cru und der Premier Cru Rosé waren eine willkommene Gedächtnisauffrischung. 

Eric Rodez, der seine Fühler immer weiter nach Deutschland hinein ausstreckt und hier bald so etwas sein wird, wie Egly-Ouriet vor zehn Jahren, zeigte am Vorabend auf der Premierenveranstaltung der Caractères et Terroirs de Champagne in der Cordobar schon, was die Stunde geschlagen hat und war für den falstaff mit seiner Cuvée Crayères, dem Blanc de Noirs und der liebenswürdigen Cuvée des Grands Vintages angetreten. Eine gute Entscheidung, gemessen am Programm der Mitaussteller.

Gosset entließ Brut Excellence, Grande Réserve und Grand Rosé in die Gläser, wovon mir die Granden zusagten, der Excellence nicht so sehr, aber das schwankt bei mir sehr. Mal gefällt er mir gar nicht mal schlecht, mal kann ich ihn nicht leiden. Diesmal mochte ich ihn nicht.

Henri Billiot war wie Rodez schon am Vorabend dabei gewesen und brachte sich mit Grand Cru Brut Tradition, Brut Millésime und Julie ein. Da die Dosage bei Billiot zusammen mit den reifegraden der Grundweine zu schmackhaften Weinen mit leichtem Bauchansatz führt, waren das, wie man an der kontinuierlichen Nachfrage bemerken konnte, echte Publikumslieblinge. 

Von Laurrent-Perrier kam nichts aus der höchsten Preisklasse; Brut, Ultra Brut und Rosé waren aber drei schöne Klassiker aus dem bekanntermaßen guten Programm von Laurent-Perrier, den Ultra Brut habe ich vorgezogen.

Louis Roederer hatte den verlässlichen Brut Premier dabei und im Gepäck war außerdem der sehr gelungene 2008er Rosé, gefolgt vom exquisiten 2005er Cristal. Leider waren die Champagner arg kalt, sonst hätte ich vielleicht den Rosé noch besser gefunden als den Cristal, so blieb es für dieses Mal unentschieden.

Maison Bérèche war der dritte Erzeuger, der sich schon vor dem Caractères et Terroirs Publikum unter reichem Zuspruch entblößt hatte; Rafael brachte zur falstaff Gala seinen schönen Brut Réserve mit, außerdem seinen nagelneuen Côte aus der Negociant-Linie des Hauses, ein lange gereifter Chardonnay mit richtig viel Schwung, und schließlich noch den Le Cran 2006, der sich so eng und verbaut zeigte, wie eh und je.

Moet & Chandon hatte als Standards dabei den Brut Impérial und den Impérial Rosé, als Non-Standard gab es den auch wirklich nicht standardisierten Grand Vintage Rosé 2004, den ich für mehr als gelungen halte.

Nicolas Feuillatte hatte den rührigen Pierre Hartweg geschickt, der mit einem sourire de reims den nicht haften gebliebenen Brut Réserve und die dafür umso stärker haften gebliebenen Chardonnay Grand Cru und Palmes d'Or einschenkte. Mit dem Chardonnay hatte ich ein halbes Jahr vorher schon die Telnehmer des Vinocamps 2013 in Geisenheim auf typische Eigenschaften dieses Champagnertyps aufmerksam gemacht und die Palmes d'Or sind im Aufstiegskampf schon seit Jahren sehr erfolgreich. 

Bei Perrier-Jouet, deren alte Blasons de France in weiß und Rosé ich seit den 60ern mal gesammelt hatte, um sie dann dummerweise Stück für Stück statt auf einmal in einer größer angelegten Probe zu trinken, habe ich mich über den ultrazarten Blason Rosé gefreut, der aber mit dem alten Blason nichts mehr gemein hatte. Die Belle Epoque 2004 hingegen konnte an alte Zeiten anknüpfen. Leider nämlich hatte auch diese an sich wunderbare Cuvée eine Schwächephase, die Mitte der Neunziger begann und von der ich meine, dass sie erst seit dem 2002er so langsam als überwunden angesehen werden kann. Vorsichtig bin ich dennoch bis auf weiteres und solange man die Belle Epoques in weiß und rosé noch aus Jahren wie 1988, 1983, 1982, und davor bekommen kann.

Piper-Heidsieck war nur mit dem Brut Sauvage Rosé etwas schwach, der brut gefiel mir gut und der Rare Millésime 2002 war so mächtig wie immer, auf einige Mitverkoster wirkte er sogar holzig und zu hoch dosiert; das wird sich mit der Zeit legen und ich rate ausdrücklich dazu, diesen Champagner für ein paar Jahre wegzulegen.

Pol-Roger war mit dem soliden Trio aus white foil (en Magnum), Millésime 2002 (en Magnum) und Extra Brut angetreten. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass Pol-Roger mit den beiden jahrgangslosen Champagnern wirklich an der Dosageschere gearbeitet haben muss. Für mein Empfinden war der white foil süßer als in der Zeit ohne den Extra Brut. Wie dem auch sei, mit den beiden kann Pol-Roger jedenfalls eine größere Trinkerschicht abgreifen und das ist ja auch völlig ok.  

Pommery verführte vor allem mit der charmanten und selbstbewussten Louise 1999, legte aber mit der darunter neu platzierten Apanage Prestige schon sehr gut vor.

Aus den Hause Vranken gab es den Diamant zu trinken, der vom Traditionserzeuger Heidsieck Monopole quasi rübergeschafft wurde und mir viel zu süß schmeckte. Kein Vergleich mit alten Diamanten.

Veuve Clicquot war mit Vintage 2004 und Grande Dame 2004 dabei, die beide glänzen.

Das Champagnergipfeltreffen

Knalliger, harter Biowinzerchampagner von 0,3 ha Rebfläche dem Kalkuntergrund unter Lebensgefahr mit bloßer Hand entweder prähistorischen oder genetisch völlig verrückten Reben abgerungen, im selbstgebuddelten Keller ohne Dosagezucker entstanden und mit mindestens Mondgehölzausbau verfeinert, muss manchmal den Nobelkreszenzen und Hommageweinen der großen Erzeuger weichen, die bekanntlich fantastilliardenschwere Marketingbudgets dafür bereithalten, sich die ebenso seltenen wie scheuen High Net Worth Indivuduals gewogen und gefügig zu machen. Was die Großen dafür ins Glas bringen, wird vielfach kritisch beäugt, als gesichtslose Heuschreckenplörre, aufgeblasene Marketingsuppe, Snobbrause etc. getadelt bis verunglimpft. Trotzdem sind immer alle froh, wenn sie mal ein Gläschen – am liebsten umsonst – davon bekommen und sei es nur, weil sich dann kenntnisvoller drüber schimpfen lässt. Gemeckert wurde beim nun stattgehabten Repas au Champagne im Gourmet Bistro von Zurheide in Düsseldorf nicht – weil es nichts zu meckern gab.

1.

Champagne Hugot et Clement NV

dazu Trüffel-Frischkäse-Crème

60PM 30PN 10CH, mit ca. 8 g/l dosiert.

Der Einstieg war außergewöhnlich. PR-Profi Ralf List ist der Mann hinter Champagne Hugot & Clement, eine Marke d'Acheteur mit genau einem Champagner. Fast wie Salon. Nur dass die Pilze im Keller von Salon recht eindrucksvoll vor den Flaschenstapeln wachsen; anders, als bei diesem Champagner. Aber doucement: Hugot & Clement ist ein Kooperativenchampagner von der Cooperative des 6 Coteaux in Pouillon, einem Nachbarort von St. Thierry. Kooperativenchampagner fällt oft in die Kategorie drink and forget. Dieser nicht. Das liegt an seinem ungewöhnlich heftigen Trüffelduft. Der wiederum kommt von Trauben aus dem Herzen des Massif St. Thierry, genauer: aus Merfy, die der Marketinglegende nach eine geheimnisvolle mariage mit dem weißen Trüffel eingehen. So wie der Champagner als Teufelswein galt, war der Trüffel eine zeit lang als Teufelspilz verrufen, auch wenn er noch so sündhaft gut schmeckte. Frère Oudart, ein Mitbruder Dom Pérignons, soll, so wieder die Legende, eine Rezeptur entwickelt haben, die beides unter einen Hut, bzw. in die Flasche bringt. Natürlich ging das Rezept verloren, bis die Herrschaften Hugot und Clement es in den 1970ern wiederentdeckten, genaues weiß man aber nicht außerhalb der Kooperativenmauern. Sicher ist nur, dass dieser Duft von weißem Alba-Trüffel exzellent zur getrüffelten Frischkäsecrème passte, die wiederum selbst mit schön dick Trüffel belegt war. Im Mund war das Trüffelaroma des Champagners dann nicht ganz so ausgeprägt, da hätte es in dieser Intensität aber sowieso nur gestört. Im Übrigen ist der Champagner von solider handwerklicher Qualität, als Einstieg in eine exquisite Probe ist er ein schöner Überrascher. Allzu viel würde ich davon wegen des dominanten Trüffeldufts trotzdem nicht trinken wollen.

2.

Dom Pérignon 2003

dazu Fines de Claires

Mit dem 2002er Dom Pérignon geht es mir ähnlich wie mit dem 2002er Cristal; beide hatten nach 1996 eine mühsame Phase, die bei Dom Pérignon von geschmacklicher Japanisierung geprägt war und dabei die von mir so geliebte domtypische Leichtigkeit vermissen ließ. Beim Cristal dieser Zeit war es so, dass der mediale Prestigefunke qualitativ einfach nicht überspringen wollte, er wirkte auf mich ebenso verstockt und seltsam bemüht, wie die Jahrgangskameraden der anderen ältesten Prestigecuvée (Cristal ist zeitlich gesehen älter als Dom Pérignon, war aber lange eine reine Exklusivangelegenheit des russischen Zarenhauses; erst der 1945er Cristal wurde frei vermarktet. Dom Pérignon dagegen kam mit seinem 1926er, bzw. unter dem Namen Dom Pérignon erst mit dem darauf folgenden 1921er schon gute zehn Jahre zuvor auf den freien Markt). Wie auch immer, der 2002er versöhnte mich dann mit beiden wieder so richtig. Als Premiere gab es aber hier nicht den 2002er, sondern den im Dezember 2011 erstmals vorgestellten und in Deutschland erst ab Februar 2012 erhältlichen 2003er. Da klingelten natürlich erstmal alle Alarmglocken, denn 2003 ist ein ganz und gar untypisches, extrem schwieriges Jahr in der Champagne gewesen, das z.B. bei Bollinger die ungewöhnliche Entscheidung provoziert hatte, einen 2003 by Bollinger zu kreieren, der bekanntlich sehr kontrovers besprochen wurde. Viele Häuser haben gleich ganz darauf verzichtet, den Jahrgang zu deklarieren, wobei ich nicht unerwähnt lassen will, dass Philipponnat in diesem Jahr mal wieder allen eine Harke geschlagen hat und für meinen Geschmack einige der besten Resultate unter den größeren Erzeugern für sich verbuchen kann. Zurück zum Dom: Richard Geoffroy hat sich der Herausforderung gestellt, den hagel-, frost- und hitzeerprobten Winz-Ertrag der frühesten Ernte seit 180 Jahren zu einem Dom Pérignon zu formen. Der Mühe Lohn ist ein konzentrierter, luftbedürftiger Champagner, der in der Nase behutsam räucherig und speckig beginnt. Ist das Interesse daraufhin geweckt, muss man sich durch einen Schleier aus feinem Mineralstaub durchschnuppern, um auf eine herbpflanzliche Note zu stoßen, die an dicke, dunkelgrüne Sukkulentenblätter erinnert. Im Mund knüpft der 2003er Dom Pérignon an die gewohnte Ausgewogenheit von Chardonnay und Pinot Noir an, dabei wirkt er mächtiger, intensiver und massiver als der 2002er, dabei auch etwas chininig. Was ihm gleichzeitig fehlt, ist Säure. Bei der ungefährlichen Kombination mit Austern stieß das nicht weiter auf, dürfte sich aber auf sein Alterungsvermögen auswirken. Das ist angesichts der reichlichen Mengen noch im Umlauf befindlicher 2002er und des sehr ertragreichen kommenden 2004er Jahrgangs nur ein theoretisches Problem. Denn bevor der 2003er Dom an seine Lagerfähigkeitsgrenze kommt, ist er wahrscheinlich schon längst ausgetrunken. Mein Zwischenfazit: unter schwierigsten Bedingungen ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Für Richard Geoffroy ein gelungener Kraftakt, der jedoch hinter der mühelosen Erscheinung des 2002ers zurückbleibt und aller Voraussicht nach spätestens mit Freigabe des 2004ers als atypischer Zwischenjahrgang angesehen werden wird.

3.

Pol-Roger Cuvée Sir Winston Churchill 1999

dazu ein Schluck Erbsensuppe, Jakobsmuschel, Kaviar

Viel Lob hat er bekommen, der Winston Churchill 1999, stellenweise klang es mir zu überschwenglich und unkritisch, vielleicht angesichts der beeindruckenden Erfolge des Hauses auf allen Ebenen auch nur zu gewohnheitsmäßig positiv. Denn bei aller Güte und Stringenz der anderen Champagner des Hauses Pol-Roger sind mir die Churchill-Jahrgänge 1998 und 1999 nicht so lieb wie noch der galaktische 1996er. Eine Spur zu süß, lautet nämlich mein momentanes Verdikt. Zu süß vielleicht nur für meinen Gaumen und zu süß vor allem dann, wenn man ihn solo trinken will, was gerade in Deutschland immer noch die überwiegende Darreichungsform ist. Ich räume dabei gerne ein, dass der Churchill 1999 jetzt noch viel zu jung ist, um fair über ihn richten zu können. Und gerade wenn man schonmal einige ältere Pol-Roger Jahrgänge im Glass hatte, muss man den Dosagezucker unter reifestrategischen Gesichtspunkten sehen. Aber nun ist er am Markt und muss mit dem mildem Verweis leben, später wird ihn das sowieso nicht mehr anfechten. Abgesehen davon brilliert er als Speisenbegleiter, gerade wenn Salz im Spiel ist, weshalb ich ihn gern zur Erbsensuppe getrunken habe. Dort schnitt er dann völlig verdient als bester Wein des Abends ab. Die solo von mir bemängelte Süße störte hier kein bisschen mehr, vor dem deftigen Süppchenhintergrund konnte sich die ganze Muskelkraft des Churchill ungehemmt entfalten, mit dem Aroma der Jakobsmuschel im Gleichklang laufen und schließlich zusammen mit dem Kaviar einen finalen Akzent am Gaumen setzen. Bemerkenswert auch, welche Säurereserven sich hierbei auftaten, die ein weiterer Garant für großes Reifepotential sind.

4.

Veuve Clicquot La Grande Dame Rosé 1998

dazu geröstete Brioche, Gänselebermousse, Apfelconfit, Schokolade

Brioche, Leber und Schokolade, das ist nur auf den ersten Blick eine Kombination wie Roséchampagner, Gamma-GT und Führerschein. In Wirklichkeit ist das Verhältnis der Beteiligten viel entspannter, denn der kräftige Witwen-Burgunder bringt alle natürlichen Anlagen für die Vermählung mit dem Kakao mit. Milchschokolade, Milchkaffee, Noisette, Sauce Griottine prägen die Nase. Die Briochehefe ist glücklicherweise als ein altes Erbteil der Champagne von solcherlei Hochzeiten gar nicht erst wegzudenken und Apfelconfit ist eine Dreingabe, über die sich besonders die jungen Champagnerpaarungen stets glücklich schätzen. Die Gänseleber als zentrale Komponente erwies sich wie schon seit Jahrhunderten als gute Partie zum Champagner, von rustikal bis aristokratisch ist da alles drin, der Biographie unserer Witwe nicht ganz unähnlich. Die 1998er Grande Dame Rosé ist aber bei aller Aromenvielfalt eine Pinot-Essenz, die polarisiert. Wer den Stil des Hauses mag, findet ihn hier in unverfälschter Reinheit und eine ganze Klasse ausdrucksvoller, als in der weißen Grande Dame. Wer andererseits schon das Yellow Label nicht mag, wird bei diesem den Standardbrut potenzierenden Champagner keine Glückseligkeit erlangen.

5.

Armand de Brignac Brut Gold

dazu Thunfischtatar, Sesam, Limone

Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber schamlos überteuerten Lifestyleweinchen darf man gerade beim Champagner nicht vergessen, dass er seinen phänomenalen Ruf nicht allein seiner Güte verdankt, sondern einem über Jahrhunderte perfektionierten Marketing, in dessen nur scheinbar schattigeren Gefilden sich reger Zuspruch aus dem Rotlicht- Bühnen- und sonstigen Halbweltmilieu ebenso findet, wie eine quirlige Avantgarde, wie wir sie im Moment an der Aube, im Marnetal und einigen anderen Eckchen der Champagner erleben. Vielleicht ist es dieses nicht streng naturwissenschaftlich zu verstehende Klima, dem sich neue Impulse überhaupt erst verdanken; sei es die Wiederbelebung des Fassausbaus bis hin zum Solerasystem, das Spiel mit der Dosage oder die Atomisierung der Cuvéeidee in Richtung immer speziellerer Lagen- und Rebsortenchampagner der Avantgardewinzer von Selosse über Laherte bis Gautherot, Bouchard, Collin, Dosnon & Lepage und Prevost. Eine ganz andere, meiner Meinung nach funktional gleichberechtigte Sparte besetzen die – exakt aufgrund ihrer professionellen Marketingkampagnen erfolgreichen – Zeitgeist-, Blingbling- und Markenchampagner wie z.B. der eingangs getrunkene Hugot & Clement, Tarlants QV Discobitch, das Champagnerprojekt der Rothschildfamilien und eben unser Armand de Brignac. Diese Champagner sind wegen ihres unterschiedlichen Publikums in einem völlig anderen Kontext zu verstehen, als die Champagner von Minimengenkultwinzern. Was die verschiedenen Sparten eint, ist ihre Pflicht, dem jeweiligen Klientel zu schmecken. Insofern lässt sich das Haupteinsatzgebiet unseres Ace of Spades schnell abstecken: Rapperfeten in Nobeldiscos. Weil dort nicht nur gekokst, sondern zwischendurch auch mal eine Kleinigkeit gegessen wird, drängten sich für die Kombination im Menu ein paar gecrossoverte Gabelhappen Thunfischtartar auf. Das ist bei der Zusammenstellung eines Champagnermenus gleichermaßen fordernd wie dankbar. Man muss nur einen Begleiter finden, der auf der Zunge lang und stabil genug ist, eine gewisse Bulligkeit mitbringt, sich aber nicht in den Vordergrund schiebt und allzu ehrgeizig die delikaten Aromen des Fischs übertönt, dem hier eine leicht kreuzkümmelige Crème nebst Salat beigetan war. Unser reichlich nobeltanzschuppenerprobter Champagner musste also ausnahmsweise seine Bodyguardqualitäten unter Beweis stellen. Das tat der erst anlässlich der Geburtstagsfeier von Jay-Zs Töchterchen wieder prominent eingesetzte Armand de Brignac im dafür wie geschaffenen Top Ten Glas von Schott-Zwiesel mühelos. In der Nase zeigten sich Verbene, Zitronengras, Tigerbalm, die ganze Operation verlief unfallfrei und in schönstem Einklang mit Sesam und Limonenöl. Der Gaumen dankte es mit Nachtrunkverlangen.

6.

a) Louis Roederer Cristal Blanc 2004 en Magnum

dazu Steinbeißer im Pata-Negra-Mantel Petersilienpurée, marinierte Shisokresse

Auf den Armand de Brignac Gold folgte gewissermaßen in nachträglich zeitlicher Umkehrung der jahrelang vor dem AdB im amerikanischen Rapmusikantenstadl beliebte Cristal. Den Spitzenplatz in der Blingliga hat der Cristal zwischenzeitlich frag- und klaglos geräumt. Seine Reputation und den angestammten Spitzenplatz in der Champagnerprestigeliga erobert er sich nach dem am Ende nur noch unfreiwilligen Ausflug in Musikmogulkühlschränke seit dem schönen 2002er Jahrgang zurück, dazu habe ich ja weiter oben schon ein paar Worte verloren. Nachdem pünktlich mit dem 2002er und jetzt mit dem 2004er die Qualität gestiegen, die Endverkaufspreise hingegen stellenweise sogar noch gesunken sind, gibt es für den Champagnerfreund nichts zu beklagen. Leider hatte die erste Flasche Kork, bei Magnums immer besonders ärgerlich. Zum Glück war für Reserve gesorgt. Die war einwandfrei. Der aktuelle Cristal zeigte sich ganz typisch geraten, mit Brioche, Biscuit, Amarettini, Aprikose, Zitronenschale, Ingwer. Gehaltvoller als der 2002er Cristal, aber nach dem schwergewichtigen Armand de Brignac merklich anders gestrickt, so als träte hinter Laurence Fishburne (dessen Tochter kurioser- wie irgendwie auch in das gerade hervorgerufene Bild passenderweise als Pornostarlet arbeitet) plötzlich Daniel Craig hervor.

b) Entr'acte: Louis Roederer Cristal Rosé 2004

Für mich der Wein des Abends. Der 2004er Cristal Rosé vermittelt genau das, was Norman Mailer in seiner Quatschbiographie über Marilyn Monroe immer so gut findet: puren Sex. Ohne angestaubte Pin-up Ästhetik, muss ich hinzufügen. Eher wie Sophie Dahl in der Anzeige für Yves Saint Laurents Parfum Opium: schneeweißer, formprächtiger, erwartungsvoll drapierter Körper mit verheißungsvollem roten Schopf. Und das sagt der Kinski dazu: guter Wein, pralles Weib, ist beides köstlich Zeitvertreib.

7.

Nicolas Feuillatte Palmes d'Or 1999

dazu Champagnersorbet aus Nicolas Feuillatte Palmes d'Or 1999

Es gibt viele Esser, die das vermehrt zwischen den Gängen servierte Sorbet ablehnen. Warum, ist mir nicht ganz klar. Ich freue mich bei einem langen Mahl immer sehr über einen kleinen, leichten, sehr gerne auch erfrischenden Gang. Ob das eine kalte Gemüsesuppe, Spiesschen, etwas Fluffiges oder ein mehr oder weniger fruchtiges Sorbet ist, interessiert mich dabei nicht so sehr, wenn es in die Gesamtarchitektur passt. Mag sein, dass die herrschende Rotweinfraktion das kritischer sieht, weil ihr die dazu passenden Weinkombinationen fehlen. Bei Champagner ist das anders. Da darf das Sorbet nur nicht zu süß sein. Darauf hatte ich Küchenchef Jörg Tittel vorher aufmerksam gemacht und dankenswerterweise hat er sich daran gehalten. Für mich war dieser unauffällige Zwischengang aufgrund des perfekten Zusammenspiels von herbfrischem, weitgehend süßefreiem, aus drei Flaschen Nicolas Feuillatte Palmes d'Or 1999 hergestelltem Sorbet und reifem, mildpilzigem Champagner der beste von allen Gängen. Der Champagner hat in den letzten zwei Jahren eine bilderbuchhafte Entwicklung hingelegt, auch wenn sie mir etwas zu schnell vorkommt. Die primären Aromen sind weg, die händeweise in den Mund gestopften Himbeeren aus seiner Frühphase sind den erwähnten pilzigen Noten gewichen, die ich bei Champagner im Allgemeinen liebe, die ich aber bei einem noch so vergleichsweise jungen Champagner in der Intensität nicht erwartet habe.

8.

Armand de Brignac Rosé

dazu ein Stück von der sous vide gegarten Kalbshüfte, Zwiebelmarmelade, Pariser Kartoffeln

Der Armand de Brignac Rosé ist von Beginn an mein Lieblingschampagner aus der AdB-Serie gewesen, auf deren Clos man allerdings wohl noch etwas warten muss – zehn Jahre, wie ich vernommen habe. Am besten schmeckte er mir schon bei der ersten Begegnung aus dem Burgunderkelch. Davon war hier keiner zur Hand, deshalb habe ich denjenigen, die diese Erfahrung ansatzweise auch einmal machen wollten, das umgießen in einen Bordeauxbecher empfohlen und erntete dafür herzlichen Dank. Weich, anschmiegsam, mit einer fließenden, glamourösen Robe war der Rosé, an dem ich keine Dosageerhöhung feststellen konnte, wie für Sommer 2011 angekündigt.

9.

Cattier Ratafia

dazu Schokosalzstangen, Trüffelmousse, Champagner-Amarettini

Der Ratafia von Cattier wird in einer Flasche angeboten die aussieht, wie eine Haarspraydose. Gewöhnungsbedürftig für ein Haus, dessen sonstige Flaschenausstattung eher konservativ ist. Konservativ ist auch der Ratafia selbst. Nicht zu süß, recht alkoholisch, eher leicht. Mit weißer Schokolade und Trüffelmousse hat er etwas zu kämpfen, Schokosalzstangen und die nur dezent-süßen Champagneramarettini bereiten dagegen keine Probleme.

Champagne Cattier und Armand de Brignac

 

In Chigny-les-Roses, das früher Chigny-la-Montagne hieß, ist Champagne Cattier zu Hause und erzeugt eine beeindruckende Menge unterschiedlicher Cuvées in einem an die ganz großen Häuser angelehnten Stil. Außerdem fertigt Cattier jährlich ca. 50000 Flaschen Armand de Brignac.

 

I. Cattiers reguläre Linie

1. Premier Cru

40PM 35PN 25CH, mit 10 g/l dosiert.

Konventioneller, ziemlich süßer Champagner leichter Bauart mit der zaghaften Exotik von Dosenfrüchten, die es beim Chinesen als Dessert gibt. Dazu freundliche Trockenkräutersträusschenwürze und ein bisschen Hefe.

2. Blanc de Blancs

Mit 10 g/l dosiert.

Munterer, leichter Champagner mit kandiertem Apfel und Mandelmilch.

3. Millésime 2003

Drittelmix, mit 10 g/l dosiert.

Auch hier wieder Exotik. Mango-Papaya, Hefe, jahrgangstypische Reife, wenig Säure.

4. Rosé d'Assemblage

50PN 40PM 10CH, 10-11% Rotweinzugabe von alten Pinot-Reben, mit 10 g/l dosiert.

Etwas Bierhefe, Brandy, Erdbeerbowle und Hopfen. Schmeckt wie Edle Tropfen in Nuss. Erstaunlich mäßige Süße und ein feinsäuerlicher Ausgleich.

5. Brut Absolu

45PN 25PM 30CH, 08er Basis; ohne Dosagezucker

Schlanker einfacher Brut Nature ohen bemerkenswerten Persönlichkeitskern.

6. Clos du Moulin, Flaschennr. 9341/9781

50PN 50PM, aus den Jahren 2003, 2002, 2000, mit 10 g/l dosiert

Der berühmte Clos du Moulin hat nur 2,2 ha, schon die berühmte Veuve Clicquot kaufte hier Trauben ein. Leider Kork.

 

II. Armand de Brignac

Auf drei Cuvées ist das Programm der hippen Zweitmarke von Cattier beschränkt, ob und wann eine reinsortiger Meunier hinzukommt, ist noch nicht ganz klar. Jede Menge Publizität erfuhr der zeitweise als Cristal-Nachfolger annoncierte Bling-Bling-Champagner, als die Dallas Mavericks eund um Dirk Nowitzki und die NHL-Eishockeychamps der Boston Bruins ihren jeweiligen Meisterschaftssieg mit Armand de Brignac begossen, teilweise aus dem spektakulären 30 Liter fassenden Flaschenformat "Midas".

1. Gold

40PN 40CH 20PM aus den Jahren 2005, 2003, 2002

Der Vorgänger setzte sich noch aus den Jahren 2003, 2002 und 2000 zusammen. Der Übergang zum neuen Lot ist fugenlos gelungen. In der Nase kurz nach dem öffnen Chlor und Alkohol, dann zeigt sich der bekannt poppige, bzw. hip-hoppige Champagner: füllig, fluffig, weich; säurearm.

2. Blanc de Blancs

Chardonnay aus der Côte des Blancs und der Montagne de Reims, Jahrgänge 2005, 2003, 2002

Der Blanc de Blancs ist von seiner zusammensetzung her gegenüber dem letzten Mal unverändert geblieben. In der Nase war bei diesem Champagner nicht viel los, das scheint sich jetzt langsam zu ändern. Geißblatt, Campher und Flint, Salbei und Kamillentee. Im Mund wenig Säure und eher kurz. Scheint sich zu entwickeln, ich bin gespannt auf die nächste Stufe.

3. Rosé

50CH 40PN 10PM, 12% Rotweinzugabe aus Pinot-Noir und Pinot Meunier von alten Reben.

Der Rosé wird in der nächsten Auflage "dry" dosiert sein, was gut zu ihm passt. In der jetzigen Version, die es noch bis zum Sommer 2011 gibt, ist er voller sexy Wildkirsche und noch so gut wie das erste Mal; bzw. beim ersten Mal.

Bericht von der Champagne Master Class

Die I. Champagne Master Class im Club B der Résidence in Essen-Kettwig war eine Mischung aus phantastischem Zweisterne-Menu und einer tour d'horizon durch die Champagne, bei der es mir darum ging, möglichst viele Typizitäten und Facetten des Champagners zu illustrieren. Die überragende Küchenleistung von Henri Bach verdoppelte dabei das Champagnervergnügen und kitzelte bei manchem Champagner noch Eindrücke heraus, die in einer reinen Nur-Champagner Probe sicher verlorengegangen oder nicht ausreichend gewürdigt worden wären. Viele Champagner stellten ihre Gastroaffinität unter Beweis, manche liefen überhaupt erst zum Essen zu Bestform auf.

Im Einzelnen:

O. Opener: Philipponnat, Royal Réserve en Magnum, dégorgiert im September 2009

40-50PN 15-25PM 30-35CH, überwiegend Stahltank, 25-40% Reservewein aus Soleraverfahren. 9g/l. Das Haus hat ca. 17ha in Mareuil-sur-Ay, Ay, Mutigny und Avenay Val d'Or.

dazu: Ziegenkäsevariationen

Den Opener von Charles Philipponnat nahmen wir bei strahlend schönem Wetter am Stehtisch vor der Résidence ein. Die Dosage war unaufdringlich, der Champagner zeigte eine schöne, herbfrische, minimal rauchige Art, war erkennbar jung, doch mit einer harmonischen, wohlgeformten Rückenpartie ausgestattet, die sich dem Solera-Reservewein verdankt.

***

I.1 Jacky Charpentier, Cuvée Pierre-Henri (Extra Brut)

100PM von ca. 55 Jahre alten Reben in Reuil und Châtillon-sur-Marne, Fassausbau, Bâtonnage, dabei kein biologischer Säureabbau (BSA), 4,5g/l. Rebbesitz auf ca. 12ha in Villers-sous-Châtillon und in der Vallée de la Marne.

I.2 Tarlant, Vigne d'Or (1999, Extra Brut), dégorgiert von Hand am 13. Juli 2004

100PM, von damals 51 Jahre alten Reben aus der Einzellage Pierre de Bellevue, Fassausbau und Bâtonnage, kein BSA. 4g/l. Benoit verfügt über 13ha in Oeuilly, Boursault und Celles-les-Condé.

dazu ein erster Gruß aus der Küche: Variationen von Foie Gras als Eis, Mousse und Terrine, mit einem Stückchen Streuselkuchen

sowie ein zweiter Gruß aus der Küche: Hummerbisque mit Hummerhappen

sodann: marinierte Cantaloupe-Melone | Kaisergranat | Wiesenkräuter

Den ersten flight gab es vorweg als winziges Verkostungsschlückchen ins Glas, denn die freundlichen Küchengrüße bedurften einer adäquaten Begleitung auf dem Weg den Schlund hinab. Zum analysieren war das natürlich nichts, das ging erst mit dem ersten größeren Schluck, der passgenau vor dem Kaisergranat serviert wurde.

Der Charpentier zeigte sich herb, mit der kräuterigen und leicht rauchigen Nase, die er in seiner Jugend scheinbar immer hat. Säure und Holz waren nicht wahrnehmbar, der Champagner wirkte mürbe, ja etwas schläfrig und gewann mit Luft nicht hinzu, sondern blieb die ganze Zeit so. Damit bildete er jedoch einen sehr schönen Begleitchampagner für den Kaisergranat und die Wiesenkräuter.

Wie anders dagegen der Tarlant. Ein Kickstarter mit knalligem Eukalyptusduft und einer Duftfülle, die ich sonst noch von australischen Syrahs gleichen Alters kenne, der Elderton Command Shiraz beispielsweise, der Noon Eclipse Grenache 1999 oder der Fox Creek McLaren Vale Reserve Shiraz 1998 waren auf Anhieb so. Zum Krustentier verhielt er sich etwas angestrengter gespannt, trug jedoch solo deutlich den Sieg über den Pierre-Henri davon, auch weil er sich unentwegt fortentwickelte und noch längst nicht den Eindruck erweckt, als wollte er langsam Reife- oder gar Alterungserscheinungen zeigen.

***

II.1 Champagne Doyard, Cuvée Vendémiaire Multi Vintage (2004, 2002, 2001), dégorgiert im Dezember 2009

100CH, 50% Fassausbau ohne Bâtonnage, BSA bei 30%. Flaschenfüllung im Mai 2005. 7g/l. Yannick Doyard hat 10ha in Vertus, Le Mesnil-sur-Oger, Oger, Avize, Cramant, Dizy und Ay.

II.2 Robert Moncuit, Grande Cuvée Blanc de Blancs Grand Cru 2004

100CH von über 40 Jahre alten Reben. 8g/l. 8ha ausschließlich Chardonnay, ausschließlich aus Le-Mesnil-sur-Oger.

dazu: geräucherter Yellowfin als Filet und Tartar, in der Petri-Schale serviert | Wasabimayonnaise | Felchenkaviar

Als der Thun hereingetragen wurde, war noch nicht zu ahnen, was da kommen würde. Lediglich ein gewisses Klappern schien ungewöhnlich. Das Klappern rührte daher, dass der Thun in Petrischalen serviert wurde, die mit Glasdeckeln verschlossen waren. Mit dem Abheben der Deckel entfaltete sich dann schlagartig ein Duft von Lagerfeuer, Buchenholz und frischem Rauch im Club B der Résidence – ein schöner Auftakt für den nächsten Gang. Da es sich um einen reinen Chardonnayflight handelte, war mir die Wahl der passenden Champagner vorab schwer gefallen. Wohl hätte man "S" de Salon, Clos du Mesnil, Perrier-Jouet Belle Epoque Blanc de Blancs öffnen können. Denn jeder dieser Champagner ist hochgradig typisch für seine Gattung und gleichzeitig hochgradig außergewöhnlich. Doch bin ich der Ansicht, dass diese Champagner ein wesentlich höheres Maß an Konzentration verdienen, als sich das in einer Verkosterrunde gewährleisten lässt, bei der es nicht nur um den akademischen Aspekt der Probe geht, sondern vor allem auch um den Genuss im Rahmen eines ausgedehnten Menus. Daher blieb ich am anderen Ende der Preis- nicht jedoch der Qualitätsskala.

Mit Yannick Doyards Vendémiaire konnte ich ein Gewächs öffnen, auf das der Erzeuger zu Recht sehr stolz ist. Jung, stämmig, bärenstark. Auf dem Teller fand er sein Pendant im Thunfischfilet, das dunkel, saftig, lüstern, einladend, und auf mich sogar ein wenig geheimnisvoll wirkte, es bildete sich eine sehr fordernde Allianz. Der Kombination fehlte es dennoch etwas an Eleganz.

Klarer Sieger am Tisch war auch nach meiner Meinung in diesem flight der Jahrgangschardonnay von Moncuit. Der hatte seinen Einstand ja schon bei anderer Gelegenheit in der Résidence gefeiert. Damals hatte ich ihn zur Frühlingsrolle und zum Wan-Tan-Hummer, zum Sellerie-Pumpernickel und zu anderen Variationen mit Fenchel genossen. Dieser Champagner bietet Apfelsexyness, die man Ernst zu nehmen hat. Zum feinen Tartar entafaltete sich ein zauberhaftes Ingwer-Bitterorangenaroma, das wohl jeden am Tisch betört hat. Im Gegensatz zum Doyard, bei dem die mitschwingende Räuchernote Cowboyfeeling verbreitete, wairkte sie hier von so asiatisch und puristisch wie ein Parfum von Issey Miyake.

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III.1 Cedric Bouchard (Les Roses de Jeanne) Cuvée Inflorescence (2008, Brut Nature)

100PN aus der Lage Val Vilaine, fussgestampfter Most, in Edelstahltanks vergoren. Kein Dosagezucker. Cedric Bouchard verfügt über insgesamt nur 3ha in Celles-sur-Ource.

III.2 André Clouet, Un Jour de 1911 Multi Vintage (2002, 2001, 2000)

100PN. 10ha in Bouzy.

1911 Flaschen von alten Reben, unfiltriert, ungeklärt, ungeschönt, vinifziert wie 1911.

dazu: Jakobsmuscheln | Wakame Algen | Ingwergelée | Tom Ka Kai

Die Inflorescence von Cedric Bouchard wirkte rund, zeigte minimalen Babyspeck und machte noch nicht den Eindruck, als sei sie besonders ausgereift, was angesichts des Jahrgangs und der kurzen Hefeverweildauer kaum überrascht. Diesen raren Champagner wollte ich der Runde aber nicht vorenthalten haben, denn er ist ein Vertreter von der "neuen Aube". Dieses Stieftochtergebiet macht zur Zeit eine positiv unruhige Zeit mit vielen Neugründungen und experimentierfreudigen Winzern durch. Cedric Bouchard ist einer der wichtigsten Vertreter dieser Entwicklung und seine Inflorescence ist alles andere als ein Vieilles Vignes Francaises – doch dieser Champagner ist ein emblematischer Pinot-Noir aus einer Gegend, die in der Champagne niemand für konkurrenzfähig mit Bouzy, Ambonnay oder Ay gehalten haben würde. Seine seidige, verführerische Art passte meiner Ansicht nach besonders gut zu dem zwischen Jod und Gurke changierenden Algensalat und zur Jakobsmuschel.

Die "Jour de 1911" Champagner öffne ich immer zu früh. Sie machen mir aber jedes Mal so viel Spass, dass ich nicht die Finger davon lassen kann. Hier zeigte er sich wieder mit höchster Spielkultur, dem würzigen Tom Ka Kai locker auf Augenhöge begegnend: Galgant, Kokosmilch, Brühe, Zitronenmelisse, Verbene, Hagebutte, Goji-Beere, Cranberry, Schattenmorellen – alles lief so mühe- und kollisionslos durcheinander, dass ich zeitweise nicht wusste, woher welches konkrete Aroma kam, vom Tom Ka Kai oder vom Champagner.

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Pirat I.1 Bagrationi 1882, Finest Vintage 2007

100 Chinuri, Flaschengärung.

Pirat I.2 Robert Camak, Brut 2007

80% Riesling 20% Chardonnay, Flaschengärung. Kein BSA. 15,2g/l.

Die beiden Piraten wurden schnell als solche erkannt, womit ich bei der Probenplanung gerechnet hatte. Nachdem die drei Hauptrebsorten Gelegenheit hatten, sich vorzustellen, wollte ich nicht nahtlos mit den Rebsortencuvées beginnen. Eine Zäsur musste her und zum Glück hatte ich zwei etwas abseitig erscheinende Schäumer parat, die nichtsdestoweniger einem guten didaktischen Zweck dienen konnten. Den Georgier in einem so noblen Umfeld zu erleben, war für mich besonders spannend, er schlug sich dabei nicht schlecht, traf jedoch niemandes Geschmack so richtig. Der kroatische Sekt konnte durchaus einige Stimmen auf sich vereinigen, seine Aprikosenmusnatur, vermischt mit der milden, eigentlich gar nicht vorhandenen Säure und dem Ausklang von naturtrübem Apfelsaft ist sicher kein Sekterlebnis, das einen befeuert, dafür ist der Sekt zu behäbig. Er ist aber auf eine angenehme, pfälzisch anmutende Weise behäbig, die ihn sympathisch macht.

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IV.1 Chartogne-Taillet, Cuvée Fiacre 2000

40PN 60CH von alten, zum Teil wurzelechten Reben. Mit geringerem Flaschendruck von ca. 4,5 bar als klassischer Crémant erzeugt. 8g/l. Alexandre Chartogne hat 11ha in Merfy, Chenay und St. Thierry. Selosse-Schüler.

IV.2 Leclerc-Briant, Cuvée Divine 2004

50CH 50PN aus Dizy, Cumières, Daméry, Hautvillers. Biodynamisch (demeter). 7-8g/l. Pascal Leclerc bewirtschaftet 30ha und betreibt ein Resozialisierungsprojekt für Jugendliche auf dem Gut.

dazu: Tramezzini vom Kaninchen | Vanillemöhren | Löwenzahn

Dann ging es auf zum ersten Cuvéeflight. Wieder sollten sich zwei Champagner den Verkostergaumen stellen, die alle noch in guter Verfassung waren.

Beim Fiacre merkte man den niedrigeren Flaschendruck nicht unbedingt. Er war in frischer Verfassung, die Balance zwischen Pinot und Chardonnay war praktisch perfekt, ein klarer Rebsortencharakter ließ sich nicht mehr ausmachen, hier zeigte sich zum ersten mal im Laufe des Abends, was Verschneidekunst bewirken kann. Die Vanillemöhren – manchem waren sie zu krachend, andere mochten genau das – und der Champagner waren eine gelungene Kombination und gefielen mir an diesem Gang besonders gut.

Druckvoller, stärker moussierend wirkte im Vergleich der Divine von Leclerc-Briant. Ich meine nicht, dass die Perlage groib wirkte, wie versciedentlich angemerkt wurde, will das aber auch nicht kategorisch ausschließen, wobei ich das hauptsächlich mit dem Crémantcharakter des Fiacre erklären würde. Der Divine ist ein Champagner, der auch im klaren Kontrast zu den Monocrus von Leclerc-Briant steht. Dieser Champagner ist dicht, wuchtig, aber er gehört nicht zu den rasiermesserscharfen, ultrapräzisen Champagnern. Darin unterscheidet er sich z.B. von den Chèvres Pierreuses aus gleichem Hause.

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V.1 Armand de Brignac, The Ace of Spades Blanc, dégorgiert im März 2009

40CH 40PN 20PM. 2005er Basis mit Reservewein aus 2003 und 2002. Trauben aus Grand- und Premier Crus (Chouilly, Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil und Ludes, Rilly-la-Montagne, Villers Allerand, Taissy, Villers Marmery, Montbre, Pierry, Damery, Vertus, Mareuil-sur-Ay). 9,65 g/l. Der Dosageliqueur lagert neun Monate im burgundischen Holzfass. Erzeuger ist das Haus Cattier aus Chigny-les-Roses.

V.2 Vilmart, Coeur de Cuvée 2001

80CH 20PN von über 50 Jahre alten Reben, Fassausbau ohne biologischen Säureabau, verwendet wird nur das Herzstück der ersten Pressung. Laurent Champs verfügt über 11ha in Villers-Allerand und Rilly-la-Montagne.

dazu: Perlhuhnbrust | Steinpilze | Fregola | Paprikacoulis

Rund. Harmonisch. Sehr elegant. Animierend und balsamisch die Kehle heruntergleitend. Das ist der beste Champagner der Welt. Das süssliche Paprikacoulis war ein anspruchsvoller und geeigneter Partner für den Armand de Brignac.

Wuchtig, holzig, aus dem Glas drängend, dabei so seidenglatt und trotzdem raumgreifend ist das Schätzchen von Vilmart. Von Beginn an zeigt er eine Nase von frischgeschnittenen Pilzen, die sich oft bei reifenden Champagnern entwickelt und die fabelhaft zu den Steinpilzen passte. Bemängelt wurde, dass Vilmart mit dem offensiven Holzaroma Leere zu überdecken versuchen könnte. Das finde ich eindrucksvoll anhand der schillernden Aromenvielfalt des Champagners widerlegt. Bei reifen Vilmarts zeigt sich, dass die herausgehobene Holzaromatik sich einbindet, nicht indem sie zurückgeht oder auf unerklärliche Weise abgebaut wird, sondern weil die fortschreitenden Flaschenreifearomen aufschließen, der Kontrast zwischen Primärfrucht und Holz ist eben doch ein anderer, als der von Champignon und Fass.

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VI.1 Perrier-Jouet, Belle Epoque 1979 en Magnum

45PN 5PM 50CH. 95 Punkte bei Richard Juhlin.

VI.2 Laurent-Perrier, Grand Siècle Lumière du Millénaire 1990

58PN 42CH. 95 Punkte bei Richard Juhlin.

dazu: Ziegenfrischkäse | Schwarze Oliven | Ofentomate

Dann kam der Rocker des Abends. Die Belle Epoque zeigte sich in famoser Form. Reif, gewiss mit Apfeltypik aus Cramant unterlegt, doch spielte das für mich nicht die Hauptrolle. Viel wichtiger war mir der bestrickende Mundeindruck. So präzis und messerscharf wie das japanische Seppuku-Kurzschwert, mit dem man früher u.a. die Köpfe gefallener Gegner abgetrennt hat. Kühlend, ohne ein Übermaß an reifetönen, die gleichwohl merklich vorhanden waren. Unausgezehrt, vielschichtig und entwicklungsfreudig, trotz praktisch fehlender Perlage klar als Champagner erkennbar und schnurgerade auf dem Weg in eine burgundische Zukunft. Sehr schön zum Ziegenkäse, der die feine Säure des Champagners angemessen erwiderte, sehr schön auch zu Oliven und Tomate und wahrscheinlich der Champagner mit der rundum besten performance des Abends.

Schwächer war der Grand Siècle, ich vermute deshalb, dass die Zeit für diesen Champagner trotz vereinzelt vielleicht noch anzutreffender besonders schöner Exemplare gekommen ist. Obwohl erkennbar jünger als die Belle Epoque, schien mir hier die Substanz schon wesentlich weiter von Reife- und Alterstönen in Mitleidenschaft gezogen. Nicht, dass der Sonnenkönig mit zerkratztem Gesicht dagestanden hätte, aber er wirkte doch, als sei ihm die Schminke arg verlaufen. Er konnte das aber bei Tisch noch wettmachen, zusammen mit den schwarzen Oliven und der gebackenen Tomate kam mir der Champagner um Längen besser vor.

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Pirat II.1 Bergdolt, Weissburgunder-Sekt 2005 (Extra Brut), von Hand dégorgiert 2008

Grundweine in Kabinettqualität aus dem Kirrweiler Mandelberg – kalkhaltiger Lössboden – im Stahltank ausgebaut. Kein BSA. 3g/l.

Pirat II.2 Robert Dufour, "Les Instantanés" Blanc Gormand Extra Brut (genauer: Blanc de Pinot Blancs, Brut Nature), 2003, Tirage am 12. Mai 2004 , dégorgiert am 15. Juni 2009

100PB. 10ha in Landreville.

danach: Himbeeren | Sauerrahmsorbet

Bergdolts Weißburgunder war ordentlich, für Sektverhältnisse sogar ziemlich gut, doch kam es darauf nicht an. Denn er sollte sich einer Herausforderung aus der Champagne stellen, sich auf ein Duell einlassen, das nicht offensichtlich von den Stärken der Champenois dominiert wurde. Denn sein Flightpartner war ein ebenfalls aus Weißburgunder gewonnener Champagner. Beide verfügen über eine für ihre jeweiligen Verhältnisse recht lange Hefeverweildauer, liegen technisch am untersten Ende der Süßeskala und selbst die Bodenverhältnisse sind sich nicht unähnlich. Umso überraschender war es – oder auch nicht -, dass der Champagner überwiegend, schnell und ohne Zweifel als Champagner identifiziert wurde. Besonderen Trinkspaß, das sei noch hinzugesetzt, hat er aber nicht bereitet, dafür fehlte ihm meiner Meinung nach Pfiff, Witz, Rasse, Schwung, Aroma, Sapnnung, ja eigentlich alles, was einen guten Champagner ausmacht. Zu den Himbeeren ließen sich dennoch beide Schäumer gut vertilgen und abgesehen davon, dass die Himbeeren mit dem Sauerrahm schon sehr gut waren, kam mir die Kombination von beidem mit jedem der beiden Blubberer exzellent vor.

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VII.1 Pommery, Falltime Extra Dry

100CH. Drei Jahre Hefelager.

VII.2 Pommery, Drapeau Sec NV (70er Jahre)

60-70PN 30-40CH, 27g/l.

VII.2 Abel-Jobart, Doux, Millésime 2004

60PM 40CH. 55g/l. 10ha Sarcy

dazu: Pfirsich | Zitronenthymian | Erdnusseis

Klarer Favorit war für mich der Falltime. Der wirkte wie ein besonders saftig geratener Standardbrut, den Chardonnay vermochte ich nicht unbedingt herauszuschmecken. Wahrscheinlich handelt es sich dabei überwiegend um Chardonnays von fruchtiger Art und vielleicht sind noch ein paar Trauben aus zugigen Ecken wie Grauves dabei, die den erfischenden Säureunterbau verantworten. Fein schmeckte mir der Falltime zum Zitronenthymian. Zum Erdnusseis passte natürlich der merklich gealterte Drapeau Sec recht gut, da kam Nuss auf Nuss, aber auch Sherry und einige flüchtige Säuren waren im Spiel und trübten mir den Gesamteindruck – wobei sich der Drapeau insgesamt wacker schlug. Keineswegs so süß wie gedacht war dann der Abel-Jobart, aber auch nicht besonders fordernd. Anders als beim Doux von Fleury kam hier keine erkennbare Säure dazu, oder ein begeisterndes Aromenspiel. Auch mit dem Dessert vermochte sich der Champagner nicht recht anzufreunden. Als Schlusspunkt des flights wirkte er am schwächsten.

Bling-Bling-Champagner und Wirtschaftskrise

Champagner ist ein zuverlässiger Konjunkturindikator, sagt man. Doch was passiert eigentlich genau in der Champagne, wenn Krisenzeiten anbrechen? Klar, da werden Arbeitsplätze abgebaut, Verwaltungsstrukturen verändert, Lagerbestände weggeramscht, Modernisierungs- und andere Projekte gestoppt. Mit diesen anderen Projekten wollen wir uns einmal näher befassen.

Seit 2000 und gegen den Trend der geplatzen Internetblase waren Champagner, Vodka und Cognac die französischen Exportzugpferde schlechthin. Zuwachsraten bis zum Rand der Produktionskapazität, wie selbstverständlich vorgenommene quartalsmäßige Preiserhöhungen und eine traumhafte Aufwärtsentwicklung allenthalben, vom simplen Standardbrut über ausgesuchte Crus und Jahrgänge bis hin zu den Spezialcuvées und Prestige-Champagnern konnte man da staunend mitverfolgen. 

Wer nur irgend konnte, grub einen alten Clos aus oder legte eine Rosé-Version seiner altbekannten Champagner auf, für's doppelte vom Weißen, versteht sich. Häuser wie Perrier-Jouet feuerten die bis dato im Schatten der Spezialforen und Top-Key-Accounter-Präsente ihr sagenumwobenes Dasein fristende Belle-Epoque Blanc de Blancs für über 1000 Dollar ab, Moet et Chandon illuminierte die New Yorker Freiheitsstatue, Krug ließ sich mit dem seit 1995 in petto gehaltenen Clos d'Ambonnay nicht lumpen und Jay-Z trieb den Preis für Louis Roederers Cristal in Bereiche, bei denen selbst die seither in ihrer Leidensfähigkeit schwer geprüften Bordeauxsammler sich abzuwenden begannen. Das alles kann man noch zur ganz normalen Markttätigkeit eines Luxusgütersegments zählen. Eine Seifenblase war das noch nicht.

Denn was wäre eine Seifenblase ohne ihr regenbogenfarbiges Schillern? Und was wäre die Weinwelt ohne die vielen Trittbrettfahrer, Ahnungslosen, Etikettentrinker und Pseudokenner? Zum allgemeinen Wohlbefinden und zum weiteren aufpusten der Blase fehlte also noch etwas, mit ein paar von langer Hand lancierten Super-Prestigecuvées war es bei weitem nicht getan, zumal die nur über langweilige klassische Vertriebskanäle und meist langjährige Handelsbeziehungen zu bekommen sind. Farbe kam erst in den Markt, als eine bunte Schar von Mitverdienenwollern eigene Luxuschampagner aufzulegen begann.

Diese Club- und Discotheken-Champagner hörten auf Namen wie "Angel's" (http://www.angelchampagne.com/index.html), "Vertuze" (http://www.vertuze.com/), "Palatine" (http://www.palatine-champagne.com/), "Leon Verres – The Billionaire Champagne [die Nähe zum Buchtitel "The Billionaire's Vinegar" ist wahrscheinlich nicht gesucht]" (http://www.verres.de/english/), "Goldfinger" (http://fashions-addict-com.micrologiciel.com/index.asp?id=372&idf=660), "Diadema" (http://www.diadema-wine.com/) oder "Armand de Brignac" (www.armanddebrignac.com).

Übriggeblieben – und ich erkläre gleich auch, warum – ist davon eigentlich nur Champagne Armand de Brignac. Von den anderen existieren höchstens noch halbfertige Webpräsenzen mit vollmundigen Ankündigungen und ein paar besonders exclusive (schreibt man in diesen Kreisen so) Händler, die das Produkt gelistet haben. Seriöse Verkostungsnotizen oder Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme? Selten bis gar nicht. Wahrnehmung in der Fachpresse oder bei Tastings? Was denken Sie denn?

Ist das normal, gehört das zum Luxusgütersegment dazu? Oder haben wir es mit einer unerwünschten Form von Auswüchsen zu tun? Nun, bei Newcomern wie Christian Audigier sehen wir, dass man mit gleichsam aus dem Boden gestampften Marken wie "von Dutch" und "Ed Hardy" weltweite Nachfrage erzeugen kann und durch die Nachahmungen der Markenpiratenindustrie werden solche Produkte letztlich geradezu geadelt. Das zeigt, dass zumindest die Modewelt kein closed shop ist. Doch gilt das auch für Champagner?

Jein. Wie sich nämlich nach noch nicht einmal besonders tiefgehender, sondern schon bei nur summarischer Untersuchung zeigt, hat auf dem Champagnermarkt nur Erfolg, wer einige grundlegende Prinzipien beachtet.

Qualität: Die Qualität von Champagner ist nur scheinbar abgekoppelt vom Produkt selbst. Zwar wird man bei Champagner wie bei vielen anderen Luxusgütern davon ausgehen können, ja müssen, dass nur ein Bruchteil der Kundschaft in der Lage ist, Qualitätsunterschiede auszumachen oder zu würdigen; auch verhalten sich die qualitativen Unterschiede zwischen einem sorgfälig hergestellten Winzerchampagner und einer berühmten Prestigecuvée in der Regel weder proportional zum Preis, noch lassen sie sich anhand der tatsächlichen Preisdifferenz festmachen. In Zahlen: ein "S" de Salon für 240,00 EUR schmeckt nicht zehnmal so gut wie ein Chèvres Pierreuses von Leclerc-Briant für 24,00 EUR und die Kosten für die Produktion unterscheiden sich am Ende noch nicht einmal um den Faktor 1,3. Was beide Champagnererzeuger teilen, ist ein kompromissloses Qualitätsstreben. Ohne dieses ruhelose Bemühen hätte weder der eine noch der andere seinen Status erreicht.  

Herkunft: Ein Champagner, der nicht aus gutem Hause kommt, hat es schwer. Ich weise immer wieder darauf hin, dass die Champagnergesellschaft vertikal durchlässig sein kann. Das zeigen die vielen historischen Beispiele und das bestätigen die Erfolgsgeschichten der jüngsten Zeit. Es ist also möglich, von einem namenlosen zu einem guten Haus zu werden. Ob sich die Güte eines Hauses darauf beschränkt, lediglich einen guten Namen zu haben, oder ob sich in Weinbergen und Kellern eine adäquate Substanz findet, spielt eine nur auf den ersten Blick zweitrangige Rolle. Häuser ohne namhaften Weinbergsbesitz und/oder ohne talentierte Kellermeister halten sich demzufolge nicht lange in der ersten Liga. Bei der Entwicklung einer neuen Luxusmarke darf man folglich nicht aus dem Blick verlieren, welchem Erzeuger man sich anvertraut.

Marketing und Vertrieb: Der einzigartige Erfolg des Champagners in der Welt der Luxusgüter beruht ganz wesentlich auf seinem Erfolg im Marketing. In mehr als dreihundert Jahren haben es die Champenois geschafft, Champagner als Luxus- und Festgetränk schlechthin beim Verbraucher fest zu verankern. Clevere Marketingkampagnen zu initiieren, ist heute einfacher denn je, wenn die notwenige Finanzkraft da ist. Weltweite Wein-Logistik allein ist ebenfalls kein Problem. Doch wohin kanalisieren, wenn man eine neue Marke auf den Markt bringen will? In diesen Bereichen liegt wiederum oft die einzige Stärke und das Konzept von Vanity-, Quereinsteiger und Super-Prestige-Projekten ohne tiefe Verwurzelung im Champagnergeschäft.

Die als Bling-Bling geplanten Champagnerkreationen mit den lustigen Namen sind, so meine Vermutung, deshalb verschwunden oder nie richtig aufgetaucht, weil eines oder mehrere dieser Prinzipien nicht beachtet wurden und darüber das Geld ausgegangen zu sein scheint. Die bislang einzige, mit ca. 45000 Flaschen p.a. in nennenswertem Umfang erfolgreiche Kreation ist Champagne Armand de Brignac. Hinter diesem Markennamen steht nämlich ein alteingesessener und renommierter Erzeuger aus der Montagne de Reims, Champagne Cattier. Hier stimmen demzufolge Qualität und Herkunft. Lediglich in Marketing und Vertrieb wurden neue Wege beschritten, ohne dabei die alten ganz zu verlassen. So wendet sich Armand de Brignac an Club- und Discoklientel, aber auch an etablierte Schichten. An Bord sind Profis, die Erfahrung bei Roederer gesammelt haben oder sich durch belastbare Netzwerke im Barbereich oder in der Rock- und Popwelt auszeichnen, eine Verkostungsnotiz und ausführliche Bemerkungen zu diesem Champagner habe ich bereits hier veröffentlicht.

Verblüffend ähnlich, wenngleich nicht als langfristiges profit center angelegt, ist übrigens der Erfolg der "QV Discobitch" von Benoit Tarlant. Dessen sehr ernstzunehmende Spitzencuvée Louis war in den ersten Füllungen des Spaßprojekts enthalten und sorgte im Spätsommer/Herbst 2008 für Aufregung, bevor sich alle Weinwelt wieder den beginnenden Lesearbeiten zuwenden und das Sommerloch schließen konnte.

 

 

Schaumparty im Kloster Besselich – Champagnerverkostung für Einsteiger

Am Sonntag, 4. Juli 2010 um 19:00 Uhr ist es wieder so weit: ich halte eine meiner beliebten Champagnerproben ab. Und zwar im Weinstein/Klostergut Besselich, dem Showroom des Gourmetdepots von Marcus Stein in Urbar. Mit traumhaftem Blick auf das Deutsche Eck in Koblenz (BuGa-Stadt 2011, der Besuch dort lohnt sich schon jetzt!).

Zu probieren gibt es eine ganze Reihe aufregender Champagner, die nicht im Supermarkt stehen. Coole und verrückte Winzer, Kultstöffchen, Holzfasschampagner, Prestigecuvées, Grand Crus, Magnumflaschen, Biochampagner, kurz: alles, was das Herz eines Champagnerverrückten schneller pumpen lässt, wird aufgemacht. Dazu gibt es Kurzweiliges und lehrreiche Erläuterungen, Knabberspass aus dem Gourmetdepot und jede Menge Schaumschlägerei. Geplant sind folgende Champagner – kurzfristige Änderungen im lineup, die der Verbesserung dienen, natürlich vorbehalten:

Eric Isselée, Blanc de Blancs Grand Cru en Magnum

Voirin-Jumel, Blanc de Blancs Grand Cru en Magnum

Bernard Tornay, Bouzy Grand Cru Extra Brut

Tarlant, Extra Brut

Cattier, Renaissance

Vilmart, Grand Cellier d’Or

Gaston Chiquet, Blanc de Blancs d’Ay Grand Cru

Paul Déthune, Blanc de Noirs

Agrapart, Les Demoiselles Rosé

Frank Pascal, Tolérance Rosé

Moet et Chandon, Cuvée Dom Perignon 2000

Pol-Roger, Cuvée Sir Winston Churchill 1995 en Magnum

 

Teilnehmerzahl: max. 20

Teilnahmegebühr: 89,00 € pro Person

Anmeldung: bis spätestens 28. Juni 2010, Platzreservierung erfolgt durch Überweisung der Teilnahmegebühr

Im Champagnerleistungszentrum: Armand de Brignac

Was hat das FINE Champagne Magazine mit dem chinesischen WineLife Magazine, dem peruanischen Magazin Luhho und der nackten Rachel Weisz zu tun oder gar gemeinsam? Und warum könnte ich die Reihe meiner Fragen noch um das slowakische Magazin Vinoviny oder um die südkoreanische Lifestylepostille luel erweitern? Es ist ganz einfach: das tertium comparationis ist die Champagnernovität "Armand de Brignac". Vielen ist er sicher schon begegnet, der aufwendig metallplattierte Vanity Champagner mit dem Ace of Spades, sei es, weil Jay-Z sich medienwirksam vom Cristal ab- und dem Ace zugewandt hat, vielleicht aber auch nur in der Kuriositäten- und Schmunzelecke einer Zeitschrift, die vom Leben der Reichen berichtet. Nachdem ich den Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg getestet habe, war es naheliegend, einen Champagner mit ähnlichem Bling-Faktor zu untersuchen.

Der Produktionshintergrund ist nicht kompliziert: so, wie Mariah Carey ihren "Angel's Champagne" von Michel Gonet in Avize produzieren lässt, gibt es auch für die schon seit fast siebzig Jahren eingetragene Marke "Armand de Brignac" einen Erzeuger für den unter diesem Namen verkauften Champagner. Es ist das Haus Cattier aus Chigny-les-Roses in der Montagne de Reims (bis ins 19. Jahrhundert hieß das geschichtsträchtige Nest übrigens Chigny-la-Montagne). Nicht nur, dass 1890 in diesem Örtchen 1890 Madame Pommery verstarb, sondern einer der historisch bedeutsamsten Weinberge der gesamten Champagne findet sich hier. Es ist die Parzelle von Allart de Maisonneuve, – vormals Offizier in Louis XV. Diensten -, seinerzeit eine Pilgerstätte für alle, die im Weingeschäft tätig waren, darunter war in jenen Tagen nicht zuletzt die damals noch junge Veuve Clicquot. Cattier also bereitet aus den Reben dieses alten Weinbergs einen Monocru, den "Clos du Moulin". Dieser Champagner ist für Prestigeverhältnisse mittelpreisig, von guter Qualität, steht aber nirgends wirklich im Fokus. Vielleicht war das der Grund dafür, eine Marke mit Leben zu füllen, deren Namenspatron de Brignac selbst nie gelebt hat, sondern an eine Romanfigur angelehnt ist. Der Marketingvorteil liegt auf der Hand, es ist vor allem die Freiheit von jedem historischem Ballast, die es wiederum ermöglicht, nach Belieben historisierend aufzutreten, dem Film "Wild Wild West" mit Will Smith nicht unähnlich.

Mit dem Marketingthema ist dann auch schon ein Thema angeschnitten, bei dem Kritiker schnell unsachlich werden und geizige Menschen mit einer Mischung aus hilfloser Überheblichkeit und geiferspuckendem Zorn reagieren. Aber sachte: Champagner ist nicht grundlos zum Synonym für luxuriöse Festlichkeit geworden. Ich bin sogar der Ansicht, dass zahlreiche Weine anderer Provenienz es ebenso zum Rang des Sonnenkönigs der Weinwelt hätten bringen können, wenn sie denn mit ähnlich beharrlichem Ehrgeiz und cleverem Marketing darauf hingearbeitet hätten. Für mich ist Champagnermarketing etwas, was zum Produkt dazugehört, manchmal nervt, oft genug positiv beeindruckt und womit ich mich letztlich gut arrangieren kann. So wie die Pornoindustrie wegweisend bei der Erfindung neuer Distributionskanäle und Abrechnungsmodelle im Internet war, ist das Marketing der Champagnerindustrie beispielhaft dafür, wie man selbst schwerst widerstreitende Interessen – von kleinen Winzern, großen Genossenschaften und noch größeren, konzernzugehörigen Champagnermarken – unter einen Hut und seine Schäfchen ins Trockene bringen kann. Darauf sollte man nicht mit dem Finger zeigen, wenn man selbst wegen heilloser Zersplitterung in den eigenen Reihen bloss neidisch ist.

Jetzt aber zu den Champagnern: die aktuellen Cuvées auf Basis des 2005ers mit Reservewein aus 2003 und 2002 stammen aus Grand- und Premier Crus (Chouilly, Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil und Ludes, Rilly-la-Montagne, Villers Allerand, Taissy, Villers Marmery, Montbre, Pierry, Damery, Vertus, Mareuil-sur-Ay), verwendet wird nur die erste Pressung. Die Cuvées sind mit 9,65 g/l dosiert, der Blanc de Blancs bekommt 10,4 g/l, bei allen drei Champagnern reift der Dosageliqueur zuvor neun Monate im burgundischen Holzfass. Die verkosteten Champagner wurden im März 2009 dégorgiert. Insgesamt werden zur Zeit 42000 Flaschen Armand de Brignac hergestellt, der größte Teil davon als Gold Cuvée, jeweils ca. 6000 Flaschen als Blanc de Blancs und Rosé. Mittelfristig ist die Ausweitung der Produktion geplant.

I. Gold

Ein Mix aus 40% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 20% Pinot Meunier. Die erste Version beruhte noch auf einer 2003er Basis mit 2002 und 2000 als Reservewein und ist ausverkauft.

Dieser Champagner fühlte sich in der Flöte wohl. Ins Auge fiel sofort das glanzvolle, auf die Flaschenfarbe und den Cuvéenamen abgestimmte goldene Funkeln. Ob die 20% Meunier ein Bekenntnis zur Leistungsfähigkeit der Traube sind, oder ob damit early accessibility und auf die in-crowd zugeschnittene Fruchtigkeit erzielt werden sollen, geht aus dem Informationsmaterial zum Gold nicht hervor. Angesichts der kurzen Hefelagerdauer, des in den Blick genommenen Publikums und der nachfolgenden Geschmackseindrücke liegt für mich der Schluss nahe, dass der in Prestigecuvées keineswegs zwingend notwendige Meunieranteil einesteils die altbewährte Scharnierfunktion zwischen rassigem Chardonnay und weinigem, opulentem Pinot-Noir übernehmen soll. Außerdem kommt dem Meunieranteil bei diesem Champagner offenbar die viel wichtigere Funktion zu, das Aromengefüge aufzulockern und frei schwingen zu lassen. Dementsprechend schmeckt der Champagner süffig, dick, mit etwas Marshmallow angereichert, aber zu keinem Zeitpunkt druckvoll oder mineralisch, mit langem, meunierfruchtigem finish. Daraus ergibt sich eine unkomplizierte, unverkrampfte, in gutgelaunte Golfrunden, Edeldiscos und Yachtclub-Parties passende Aromenstruktur. Ob exakt so der beste Champagner aus einer Reihe von Verkostungen mit insgesamt tausend Champagnern schmeckt? Ich meine nicht – allein schon, weil es in der Geschmackswelt zu viele Unterschiede gibt, um einen objektiv "Besten" zu haben. Im Kontext der Champagner seiner Preisklasse (und wir reden hier über den kleinen Club von Champagnern, die im Bereich von 300 EUR und mehr pro Flasche liegen) ist Armand de Brignac Brut Gold jedoch derjenige, dessen unzergrübelte, jugendlich sorgenfreie Stirn am leichtesten Zustimmung und Beifall ernten wird.

II. Blanc de Blancs

60% der Trauben stammen aus der Côte des Blancs, 40% aus der Montagne de Reims.

Aus der Champagnerflöte machte der BdB einen unscheinbaren Eindruck. Erst aus dem Bordeauxglas kam eine ernstzunehmende Rückmeldung. Mineralität, die man sich vom nassen Kalk der Côte des Blancs herkommend vorstellen kann, dominierte in der Nase. Darunter lag eine Mischung aus weißen Blüten, man wird nicht mit mir schimpfen, wenn ich Akazienblüten sage, und Birnenkompott. Für einen jungen BdB sehr milde Säure. Wenn man die prunkige Flasche gesehen hat und dann einen so schüchternen Champagner ins Glas bekommt, kann man sich schonmal wundern. Vielleicht wird der Champagner mit der Zeit etwas mehr an Breite und Tiefe zulegen, das Traubenmaterial müsste jedenfalls das Zeug dazu haben. Mich würde nicht überraschen, wenn die verschnupfte, enge Nase darauf zurückzuführen ist, dass jugendliche Chardonnays aus Cramant, Avize, Oger und Le Mesnil das Regiment führen.

III. Rosé

50% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 10% Pinot Meunier, 12% Rotweinzugabe aus Pinot-Noir und Pinot Meunier von alten Reben.

Aus der Flöte kam die ersten paar Minuten nichts, als frische Austern. Ich habe den Champagner dann in einen üppigen Burgunderkelch umgefüllt, was ihm sehr geholfen hat. Denn wie ich zufällig weiss, sind frische Austern nicht nur nahr- und schmackhafte Speisetiere, sondern ihr unverkennbarer Duft kündet meist von zeitlich unmittelbar nachgelagerten, ganz besonders sinnesbetörenden Erlebnissen. Und siehe! Kaum ins Burgunderglas transvasiert, platzt die krustige Schale auf und entlässt einen lebhaften, munteren und animierenden Wein mit feinstem Burgundercharakter, viel Beerenaromatik, einer untergeordneten Menge Waldboden und verführerischer Würze in das wahre Leben. Ein femininer, weiblicher, fraulicher, kalipygischer Champagner, der zum schweinigeln einlädt  – und mein Favorit unter den Armand de Brignacs.

Angekündigt ist ein vierter Armand de Brignac, der gleich zwei Trends bedienen wird: es soll sich um einen reinen Pinot Meunier vom Clos du Yons handeln, Basis wird der 2007er Jahrgang sein, die Stückzahl soll bei 3000 Flaschen liegen. Bei einem Weingarten mit 11 ha bedeutet das ein nicht unerhebliches Steigerungspotential, wenn die Nachfrage entsprechend gross sein sollte. Zu rechnen ist mit diesem Champagner 2012 – 2013.