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Ein Traum in weiß: schöne Chardonnay-Champagner

Es gibt nichts schlimmeres, als einen durchschnittlich guten Blanc de Blancs. Das ist eines der wenigen Weistümer, die ich auf meiner Âventiure des Champagners erlangt habe. Das Thema Blanc de Blancs Champagner ist so ausgelutscht, fad und arg, dass man damit wirklich niemanden mehr belästigen mag. Und doch finden sich immer wieder Mutige, die es auf sich nehmen, die letzte, nein allerletzte Facette zu erspüren. Sascha Speicher vom Meininger Verlag ist zB so einer.

Aus meiner Tirade nehme ich, das vorweg, die Blanc de Blancs aus, die unter Beteiligung der alten Rebsorten entstanden sind, also alles, was mit Pinot Blanc, Arbane, Petit Meslier oder gar Pinot Gris zu tun hat. Mein Verdikt gilt nur für die – mengenmäßig ohnehin allein maßgeblichen – Chardonnaychampagner. 

Warum eigentlich ist denn nun also Blanc de Blancs Champagner so schlimm? Oder anders, was ist schlimm daran, Blanc de Blancs gut zu finden? Der Reihe nach. Blanc de Blancs sind an sich gar nicht schlimm. Schlimm ist nur die Verwahrlosung, die in diesem Champagnersegment herrscht. Die Einfalls- und Mutlosigkeit, die Mentalität des "lieber sicher als gut", die einlullende Überformung des antizipierten Massengeschmacks. Das ist schlimm am durchschnittlichen Blanc de Blancs. Über die dazu noch handwerklich schlecht geratenen Exemplare brauche ich mich gar nicht auszulassen und habe da nichts abzuarbeiten, darum geht es mir auch gar nicht. Zur zweiten Frage: warum darf man Durchschnittschampagner nicht gut finden? Antwort: dochdoch, man darf, aber man braucht darüber nicht groß palavern. Im besten Sinne (be)merkenswerte Champagner sind das nicht. Trinken und vergessen reicht völlig. Nur wenn es um mehr gehen soll, als gewohnheitsmäßig in Trab gehaltenen alkoholischen Metabolismus oder Champagner als reflexhaft geordertes Abschleppgetränk für Menschen, die Cliché für ihren höchstpersönlichen Geschmack halten oder rundheraus jede Entscheidung als Geschmackssache, in Sachen Wein und Champagner besser bekannt als "schmeckt mir oder schmeckt mir nicht"-Antwort, patziger noch: " mir schmeckt er halt", zu Tode relativieren – dann, ja dann wird es interessant. Nur ist das Eis in dieser Region sehr dünn. So dünn, dass es für die meisten nur aus der Ferne zu betrachten ist und dementsprechend verfälscht ist dann auch die mehr oder weniger sachunkundige Einschätzung.

Einige Champagner, die eine Betrachtung aus der Nähe lohnen, sind diese hier. Es sind nicht unbedingt die ultrararen oder ultrateuren Champagner oder förmliche unicorn wines, wie man so schön sagt, aber es sind Champagner, die Beschäftigung bieten und die man haben wollen muss.

1.a) Eric Rodez Blanc de Blancs Brut

Eric Rodez hier, Eric Rodez da, Eric Rodez überall. Seit Jahren hat der Mann bei mir einen festen Platz im Champagnerherz und muss deshalb immer wieder als Paradewinzer herhalten, wenn es um rebsortenreine Champagner, Multi Vintage und Kunst der Assemblage geht. Denn das kann er wie kaum ein anderer, ohne dass er dabei verschreckend oder verstörend wirkt. Man kommt sich bei ihm nicht vor wie bei einem irren Sektierer und allein schon für dieses gute Gefühl hat er meine Wertschätzung. Als Blanc de Blancs ist eigentlich der Einsteiger von Rodez schon hinreißend genug, noch verrückter wird es erst mit den Empreinte de Terroir Chardonnays, von denen sich jetzt noch einige 1999er am Markt befinden und der aktuelle 2003er, die gleichermaßen obergeil sind.

Bei dieser Gelegenheit weise ich gleich noch auf drei Champagner hin, die ebenfalls Aufmerksamkeit verdient haben und sich in gewisser Hinsicht sehr ähnlich sind:

– Regis Fliniaux Blanc de Blancs d'Ay Grand Cru NV, Regis ist in der Dorfmitte zu Hause und leider immer ausverkauft, aber wenn man beharrlich genug in seinem Minimuseum stehen bleibt und etwas zu kaufen verlangt, degorgiert er ggf. spontan was weg und stattet die Flaschen mit ihren Etiketten aus. Der Blanc de Blancs aus ay ist eine Seltenheit, weil in diesem Ort niemand Sinn für Chardonnay hat, alles stürzt sich verständlicherweise auf den Pinot. Dabei sind die Chardonnays von hier so herrlich eigenständig und beweisen mit ihrer typischen Aromatik beste Herkunft, da ist es ein Jammer, dass nicht mehr Winzer Blanc de Blancs d'Ay produzieren.

– Gaston Chiquet Blanc de Blancs d'Ay Grand Cru NV, wenn man Chiquet hört, denkt man schnell nur an die Chiquet-Brüder, die Jacquesson leiten und in immer neue Sphären heben. Aber Gaston Chiquet, wenige Meter daneben, ist immer gut für einen tiefen Schluck aus der Pulle. Sein Blanc de Blancs d'Ay gehört zu den ältesten, wenn es nicht sogar gleich ganz der erste ist.  

– Lallier, der einstige Kellermeister von Deutz & Geldermann, ist als Dritter im Bunde in Ay ansässig und macht einen Blanc de Blancs, der zu 70% Chardonnay aus den Dorflagen enthält und 30% aus der Côte des Blancs. Das hievt in nicht in ganz dieselbe Schiene wie die anderen beiden, aber ist auf jeden Fall probierenswert, um Erkenntnisse abseits des Massenchardonnays zu sammeln. 

2. Agrapart Minéral Blanc de Blancs Grand Cru Extra Brut 2005

Ein anderer Winzer aus dem Spitzensegment und einer der großen Avize-Winzer ist Pascal Agrapart, der unermüdlich an neuen Cuvées arbeitet. Wie bei Rodez kursieren vom Minéral derzeit zwei Jahrgänge, 2005 und 2007; der Verzihz auf BSA gibt dem Chardonnay sehr viel Schwung mit, wobei dem kräuterigen Apfelaroma Sahnigkeit und edle Herbe kunstvoll zur Seite gestellt sind.  

3. de Sousa Cuvée des Caudalies Blanc de Blancs Grand Cru Brut

Der dritte große Avize-Winzer, der sofort die Synapsen besetzt, wenn von dem Örtchen die Rede ist, ist Erick de Sousa, der als einer der ersten den Schritt zur Aufspaltung gegangen ist und unter seinem Namen die Winzertradition, das berühmte "RM" hochhält, während unter dem Label Zoémie de Sousa zugekaufte Trauben vinifiziert werden. Seine Cuvée des Caudalies ohne Jahrgang ist ein Klassiker der réserve perpetuelle und hat mir schon vor Jahren ein in mehreren Varianten erlebbares Paradoxon vor Augen geführt, nämlich das von Reife und Jugend im selben Champagner.  – man erlebt das sonst noch bei Spätdégorgements – überspitzt ausgedrückt –  in Form eines unerhörten Säureangriffs, dem dann unvermittelt wohltuende Tertiäraromen folgen. Bei der Cuvée des Caudalies ist es die besondere Solera-Weichheit, die den Champagner trotz seiner knackigen Säure so eindrucksvoll wirken lässt.  

4. Jacques Lassaigne Le Cotet Blanc de Blancs Extra Brut

Montgueux und die Winzer dieses Champagner-Tafelbergs, das ist per se schon etwas besonderes. Die Lage als südlichster Ausläufer der Côte des Blancs ist natürlich exponiert bis exotisch und so verblüfft es nicht, wenn sich einige der ansässigen Montgueuxwinzer von der fruchtigen Ausdrucksstärke ihrer Chardonnays dazu verführen lassen, allzu banale Weinchen zu vinifizieren, womöglich in der Hoffnung, bloßes Aroma könnte den entscheidenden Vorsprung garantieren. So ist es nämlich nicht. Im Gegenteil, das Aroma will korrekt geführt werden, sonst fasert es aus und macht den Wein lächerlich. Emmanuel Lassaigne ist einer, der das weiß und kann. Seine Champagner wirken puristisch und kompromisslos, auch salzig und gar nicht unbedingt wie Aromenschwergewichte. Aber Lassaigne geht mit dem großen Aromenvorrat, den ihm der Berg anvertraut um, wie der Bäcker mit dem Teig. Er knetet ihn gehörig und walzt ihn geschickt aus, am Ende steht kein dicker Klumpen mehr, sondern präzis ausgestochene Formen.

5. Rafael & Vincent Bérèche Côte Grand Cru Blanc de Blancs Extra Brut 2002

Bei Bérèche und kürzlich auch bei Janisson-Baradon hat sich dieselbe Entwicklung vollzogen, wie bei Agrapart, ein Teil der Produktion bleibt "RM", ein anderer wird "NM". Der Côte von Bérèche stammt aus der NM-Linie. Das macht ihn nicht schlechter, ganz im Gegenteil. Der Chardonnay für den Côte stammt großteils aus Cramant, der Ort ist bekannt für Ausgewogenheit und die Vereinigung aller Stärken der umliegenden Grand Crus. Ausgewogenheit ist deshalb bei diesem Champagner auch das Hauptstichwort. Die Säure ist zurückhaltender, Apfel, Nüsse und Brioche sind da, aber bleiben dem Rampenlicht fern. Und das ist klug, denn durch die marktschreierische Art, mit der diese typischen Aromen immer wieder an den Mann gebracht werden, gewinnt man keine Freunde. Die Textur ist seidig, fast hätte ich gesagt mehlig, denn kurz hatte ich den Eindruck, aber das teigige Element findet sich hier allerhöchstens in Form einer Erinnerung an Laugenbrezeln. 

6. Bruno Paillard Blanc de Blancs Brut 2004

Die gewaltige Ernte des Jahrgangs 2004 hat uns Champagner beschert, die von manchen mindestens auf dem Nioveau von 2002 gesehen werden, von manchen aber auch als gefährlich substanzschwach, ja dünn bis wässrig gesehen werden. Die Gefahr mangelnder Konzentration sehe ich beim 2004er Chardonnay von Bruno Paillard nicht. Er wirkt etwas fetter sogar, als der Côte von Bérèche, aber das mag eine Dosagefrage sein.

7. Duval-Leroy Blanc de Blancs Brut Nature 2002

Nussig, reif, mit Hefezopf und einem dezenten Holzeinfluss präsentiert sich der Chardonnay Brut Nature aus dem Duval-Leroy, das vor allem wegen seiner exquisiten Authentis-Champagner bekannt ist und das ich wegen der Femme de Champagne genannten Spitzencuvée schätze, die es jetzt auch als Rosé gibt. Der Chardonnay in undosierter Form ist recht neu und Zugeständnis an den dorthin drängenden Markt, sofern man bei der als brut nature insgesamt verkauften Menge an Champagner überhaupt von einem richtigen Markt reden kann. Jedenfalls aber ist dieser Champagner ein Bekenntnis in Richtung der Winzer, die damit angefangen haben, Einzelmerkmale vor Kontinuität im Geschmack zu setzen. Sahnig und reif, mit viel gelber Frucht schließt dieser untypische Champagner.  

8. Taittinger Comtes de Champagne Blanc de Blancs Brut 2005

Die Aromenklassiker Nuss, Hefe, Toast und Apfel haben diesen Champagner zu recht berühmt gemacht und unter den Chardonnay-Prestigecuvées gehört er zum nicht wegzudenkenden Inventar. Besonders, wenn er seine zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre hinter sich gebracht hat, wobei ich mich mit wohligem Schaudern an den 1994er Comtes de Champagne erinnere, den ich technisch für toto und in einer Probe nur als Kuriosum hätte betrachten wollen, der dann aber so aufdrehte, dass ich mich über meine voreilige Einschätzung richtig geärgert und umso mehr am Champagner gelabt habe. Zurück zum 2005er, der seinen Reiz von Currystraucharomen, Safran, Zimtblatt, Muscovado und trotz all der Orientalik einer kreuzfahrerischen Gemütsruhe und kühlen Ausstrahlung bezieht. Er wirkt und ist süßer als die Chardonnays der Winzer, aber meiner Liebe tut das keinen Abbruch.  

9. Ruinart Dom Ruinart Blanc de Blancs Brut 2002

Zusammen mit dem Comtes de Champagne und dem Blanc de Millénaires von Charles Heidsieck ist das wahrscheinlich einer der größten Chardonnaychampagner, die man von einem Erzeuger dieser Größenordnung bekommen kann. Er gehört schon kurz nach der Freigabe zu den würzigsten, auch am mutigsten mit Röstaromen versehenen Champagnern, bleibt aber dank des verschwenderischen Einsatzes von Butterschmalz, Hagelzucker, Macadamia, Pekan- und Paranuss, einer glanzvollen Parade unterschiedlichster Apfelsorten und dank seiner enormen Durchzugskraft nicht stehen, sondern spurtet unermüdlich und raubkatzenhaft über den Gaumen. 

Die grösste Champagner-Bar der Welt: La Côte des Bar (II/III)

"K.A. Hellenthals Hülfsbuch für Weinbesitzer und Weinhändler oder der vollkommene Weinkellermeister" von Johann Karl Lübeck, M.D., 1829 in Pesth erschienen, lobt die Weine aus den drei Markflecken Trois Riceys in Niederburgund als im ganzen Reiche berühmt. Besonders zögen viele den Wein von Chablis dem besten Champagner vor, heißt es dort weiter. Und damit ist das alberne Buch eines heute völlig zu recht vergessenen und unbekannten Quacksalbers und Kurpfuschers schon wieder uninteressant geworden. Interessant dagegen ist, dass Monsieur Guyot, nach dem eine der in der Champagne zugelassenen Reberziehungen benannt ist, aus Gyé stammte, also von der Côte des Bar; er sah die Dinge ganz ähnlich wie der verrückte Weinarzt aus Transsilvanien und kämpfte lange dafür, Riceys dem Burgund zuzuschlagen. Kümmern wir uns also endlich um Riceys. Ein Ort, der aus drei Orten mit dementsprechend drei Kirchen besteht. Die Erzdiözese Dijon hat historisch das Sagen in Riceys-Haut, die Parochie von Riceys-Bas gehört dem Bistum Troyes an, Riceys Haute-Rive steht unter dem Episkopat von Auxerre. Champagnerkabbalistisch herrscht deshalb die Drei. Keine andere Gemeinde der Champagne ermöglicht es ihren Winzern, zwischen drei verschiedenen Appellationen zu wählen: Coteaux Champenois für die roten und weißen Stillweine, Rosé des Riceys für den burgundischen leichten Rotwein, dem das Örtchen einige Prominenz verdank und schließlich natürlich ist da noch die AOC Champagne. Von meiner letzten Tour stelle ich drei weitere Erzeuger vor, von denen allerdings nur der erste direkt aus Riceys stammt. 

IV. Alexandre Bonnet

1934 wurden die ersten Reben gepflanzt, 1960 die bis heute tätige Firma gegründet. Die ist längst Teil eines größeren Ganzen geworden, Lanson BCC hat sich mit Alexandre Bonnet schlauerweise einen dicken Batzen in der Côte des Bar steckenden Reblands gesichert. Damit bestehen firmenverwandtschaftliche Beziehungen zu Lanson, Philipponnat, Boizel, Besserat de Bellefon, de Venoge, Chanoine und Tsarine. Ein gutes, vor allem gut gemischtes Umfeld. Wie behauptet sich da der Player von der Aube? Wir sehen es sogleich.

1. Grande Réserve

80PN 20CH, 2010er mit bis zu 45% Reservewein aus 2009 und 2008, 10 g/l Dosage

Wirkt trotz seiner 10 g/l Dosage frisch, leicht, mit brotigem Ton, feiner Würze und entfernter Röstigkeit, die vom malzigen Geschmack der Aube-Pinots herrühren wird. Insgesamt schmalhüftig, am Ende ganz leicht gerbend. Damit ist die Stoßrichtung auf ein breites, aber durchaus weinkundiges Publikum abgeklärt.

2. Noir Extra Brut

100PN, 2009er Basis, bis zu 45% Reserve aus 2008, 2007 und 2006, aus der Lage Les Forets.

Die holzige Anmutung findet keine Stützte in der holzlosen Weinbereitung und ist wieder einmal regionales Phänomen, andere würden sagen: Terroir. Altmodische bis klassisch wirkende, etwas apfelige Nase und ein leichtes gerben.Extra Brut, der fortgeschritene Anfänger in die Welt der Niedrigdosage geleiten kann. Mäßige Säure, Eindruck von nussigem Wassereis, Nussgranité.

3. Blanc de Noirs Brut

100PN, bis 40% Reservewein

Deutliche Süße, hineingemengt auch Süßholz und Schokolade, trinkt sich dann aber angenehmer und leichter, als die Nase vermuten lässt. Süße und Säure befinden sich in gutem Gleichgewicht, wobei die Säure länger durchhält und nachreinigt, was den dann zum Vorschein kommenden Tannennadeln und Anisnoten schöne Gelegenheit zur Präsentation gibt.

4. Millésime 2008

50PN 50CH, Trauben aus Les Riceys und neuville sur Seine, mit 8 g/l dosiert

Leider etwas unterdurchschnittlicher Jahrgang, dem der herrliche Schmelz, die weitgefächerte Aromatik und ätherische, unbelastende Süße des Jahrgangs abgeht. Malzbrot, Zuckerwatte und Hagelzucker finde ich da wieder und eine Menge röstiger Noten, was den Champagner in dieser Zusammenstellung geringfügig profaniert.

5. Cuvée Douceur

100PN, ca. 40% Reservewein, mit 33 g/l dosiert

Fruchtfleisch und Säure betten die deutliche Süße gekonnt ein.Außerdem wird die Süße von einer leichten alkoholischen Hitze ausgebremst, bevor sie wirklich nerven kann. Nüsschen, Honig, Blüten und Malz reihen sich auf und geben eine artige Vorstellung ab. Einer der wenigen besser gelungenen Demi-Sec Champagner und ein Produkt, das ich mir vorstellen kann, häufiger im Glas zu haben.

6. Noir Extra Brut Rosé

100PN aus Les Forets, mit 3 g/l dosiert

Rote Grütze meldet sich verhalten zu Wort, ein seidiger Schmelz wirkt genauso unaufdringlich, pikante Salzigkeit wie sie deutsche Heilwässer oder in Frankreich Badoit haben, passt gut zu Malz, Erdbeere und Nüssen, die am Ende eine herbfruchtige Liaison eingehen.

7. Perle Rosée

100PN, davon 90% weiß gekeltert, 10% rot, mit 11 g/l dosiert

Der zweite von drei Roséchampagnern, was doch einigermaßen reichlich ist, wie ich finde. In der Nase viel erdbeer-Rhabarber, im Mund trockener, als darob erwartet und vom Dosagewert angedroht. dafür leider nicht sehr lang, was schade ist, weil sich die Mischung aus Candy, Marshmallow und Himbeerbockbier, wie man es in Belgien zu brauen versteht, ganz vielversprechend zeigte.

8. Expression Rosée

100PN, davon 72% weiß und ganze 28% rot gekeltert, mit 11 g/l dosiert

Typischer Gastronomenrosé, viel Wildkirsche, Walderdbeere, Aromen des Waldes überhaupt.Viel Kraft, wenig Detailverliebtheit, ein Champagner, der zu Andouillettes verzehrt werden will, oder zu gefüllten Schweinsfüssen. 

Auf den Halskrausen steht bei allen Champagnern von Bonnet das Dégorgierdatum, leicht verschlüsselt: L1 GR 10 3 E1 liest sich "GR" für Grande Réserve, "10" für Oktober, "3" für 2013; die technischen Daten schwanken bei allen Cuvées um 3,13 pH und 4,60 g/l Säure. 

 

V. Serge Mathieu

Die Nr. 6 in der Rue des Vignes, Avirey-Lingey, da wo Serge Mathieu zu Hause ist, könnte ohne Umschweife als neue Heimstätte der Hobbits dienen, so niedlich, friedvoll und unbekümmert ist es dort. Die Weinbereitung geht dort ohne Filtration, Schönung, passage froid und ähnlichen Zauber vonstatten, daher kommt ein sauberer Stil ohne Holzeinfluss, nur der Fruchtsuche verpflichtet, entfernt vergleichbar mit dem, was bei Billecart-Salmon passiert. Das hebt die Biochampagner von Serge Mathieu vom Aubestil ab, der röstig, kräftig, auch mal derb, gerne malzig und selten besonders raffiniert ist. Auf den Etiketten von Serge Mathieu findet sich immer der kleine Löwenzahn, auf dem Rückenetikett ein durchgestrichener Dinosaurier, als augenzwinkernder Seitenhieb auf die immer alberner werdende Regulierungswut, die allerorten um sich greift und nicht nur in Frankreich die Winzer verpflichtet, immer mehr Warnhinweise auf ihren Produkten anzubringen. Ein mir sehr wichtiger Hinweis ist bei Serge Mathieu auf dem Korken angebracht: nach dem Buchstabenbrand findet sich dort das Jahr (zB "12") und der Monat (zB "11") des Dégorgements. Das alles ist so sympathisch, so präzise wie entspannt, didaktisch wie humorvoll, dass die Werbebroschüre des immerhin 100000 Flaschen in die Welt und bis auf das Dach der Welt verkaufenden Erzeugers gar nicht überzeugender ausfallen könnte.

1. Extra Brut Blanc de Noirs, dég. Nov. 2012

Basis 2010 mit 2009, 5 g/l 

Mineral, paradoxerweise wieder der aubetypische Holzgeschmack, leichte Herbe, die bei 6 g/l RZ überhaupt nicht stört, aber sonst ist der Champagner schon ungewohnt puristisch gehalten für die Gegend.

2. Tradition, dég. Okt. 2013

100PN wie der BdN Extra Brut, aber mit 8 g/l dosiert 

Kokos kam dazu, auch Blutorange, Fruchtfleischfetzen, wegen der Dosage wundert mich nicht, dass da mehr Spiel ist

3. Cuvée Prestige, dég. April 2013

70PN 30CH aus 2007 und 2006, Tirage war allerdings erst 2009, mit 8 g/l dosiert

Kratzig, bissig, schmissig, mit Guave, Kaktus und dem Willen, sicht fortzuentwickeln. Vielleicht einer der reifefähigeren Champagner von Serge Mathieu, wobei ich ihn nicht an seinem Reifepotential messen will, sondern an der spontanen Trinkfreude, die er vermittelt. Michel und Isabelle meinen, das sei ihr weiblichster Champagner, was ich so nicht unbedingt unterschrieben würde, es sei denn, man würde in der Cuvée Prestige die blonde Schwester der Cuvée Sélect sehen, dann stimmt das Bild wieder. 

4. Blanc de Noirs Millésime 2006, 

mit 5g/l dosiert 

Honig, wird langsam zu reif für die Mathieus, wie sie mir selbst sagten; mit gefielen weisse Schokolade und beginnendes Trüffelaroma, mir war aber auch klar, dass diese Entwicklung immer eine Zäsur bedeutet, die Jungweintrinker verabschieden sich an diesem Punkt der Reise, die Fans reifer Sachen treten auf den Plan, müssen aber bedenken, dass mir die Champagner von serge Mathieu noch nie wegen ihrer besonderen reifefähigkeit aufgefallen sind und dass sie auch gar nicht darauf hin angelegt sind. Eine Empfehlung zum Einlagern kann ich daher bei den jahrgängen von serge Mathieu nur auf eigenes Risiko geben.

5. Blanc de Noirs Millésime 2008, dég. Okt. 2013

5g/l

Zuckerwatte, dezent Candy und Marshmallow, etwas weisse Schokolade, Milchschokolade, die Süßigkeiten belasten aber nicht den Gaumen, sondern lassen einer sich entwickelnden Spannung zwischen kandiertem Ingwer, Orangenfilets, Grapefruit, und trockener holziger würze viel Raum. Im Vergleich mit dem 2006er ist dieser hier natürlich der elegantere, auch ausgewogenere Champagner, aber in den nächsten drei bis fünf Jahren kann ich mir gut vorstellen, dass beide nur eine Nasenspitze auseinanderliegen werden, bevor der 2008er die Überhand für sich gewinnt und der 2006er zu mürbe wird, um noch mithalten zu können. 

6. Sélect, dég. Jan. 2013

70CH 30PN aus 2006 und 2005, mit 8 g/l dosiert

Das ist die brünette Schwester der Cuvée Prestige, mit kräftigem Chardonnay macht sie deutlich, dass Druck herscht und keinerlei Anzeichen von Schlaffheit oder Nachgiebigkeit; versöhnliche Kakaonoten wie von der Etikettenfarbe angedeutet umschmeicheln die Zunge schlangengleich wie eine nubische Geliebte.

7. Rosé

90PN 10CH, 2009er Assemblage mit kleinem Rotweinanteil, 9,5 g/l Dosage

Löwenzahnsalat, Mineral, viel Wiesenblume, wenig Frucht. Der Rosé gehört wider Erwarten und trotz seiner an 10 g/l grenzenden Dosage zu den ernsteren Champagnern von Michel und Isabelle. Seine Fans hat er ganz zu recht und der ernste Gesichtsausdruck steht ihm sehr gut, denn da ist nichts ausgezehrtes oder verhärmtes drin, vielmehr ist da die Ruhe und Würde eines in sich ruhenden Champagner(macher)s erkennbar. 

 

VI. Jacques Lassaigne

Wie ein kleiner Tafelberg erhebt sich der Montgueux nördlich von Troyes aus der Ebene. Geologisch ist er ein extremer Südausläufer der Côte des Blancs, sein Boden ist kreidig und trotz seiner tatsächlichen Verortung in der Côte des Bars nicht von Portland- oder Kimmeridge geprägt. Der große Daniel Thibault nannte diesen Hügel mal den Montrachet der Champagne, so wie manche den Clos des Goisses als Romanée Conti der Champagne bezeichnen. Chantal Bregeon-Gonets (von Champagne Philippe Gonet aus, bezeichnenderweise, Le Mesnil) Großvater war einer der ersten, wenn nicht der Erste, die Montgueux als Spitzenterrain, resp. Terroir entdeckt haben. Bei Salon wiederum kann man mit Montgueux nicht viel anfangen, was nicht nur an der hauseigenen Ortsgebundenheit liegt, sondern am Stil der Weine, die vom Kreidehügel stammen. Der bekannteste Montgueuxagitator ist der – soweit mein Französisch reicht – ungemein witzige Emmanuel Lassaigne. Mit dem traf ich mich, um ein paar seiner à la volée dégorgierten Flaschen zu leeren und hinterdrein im Crieurs de Vin ausnehmend convivial zu speisen. 

Bei den Flaschen von Lassaigne fällt neben dem für burgundisch orientierte Winzer schon obligatorisch gewordenen schlicht-weißen Etikett auf, dass der Korken mit drei Schichten unter dem Granulat ausgestattet ist, was man nur allerhöchst selten antrifft und sehr zur guten Lagerfähigkeit beiträgt. Denn um eine Korkschicht zu durchfeuchten, braucht der Wein laut Emmanuel mindestens ca. drei Jahre. Gute zehn Jahre dauert es also, bis er an das minderwertige Granulat stößt und sich dort, bewahre, mit TCA infiziert. Wer so denkt und arbeitet, macht alles richtig und obendrein gibts im Hause Lassaigne gleich drei Töchter, die bald das heiratsfähige Alter erreichen und dafür wiederum, muss ich sagen, sieht Emmanuel auch noch erstaunlich ausgeglichen aus; ein echter Glückspilz also. Und was es heißt, sich wie ein Glückspilz fühlen zu dürfen, kann man mit jedem Schluck seines Champagners am eigenen Gaumen nachvollziehen.

1. Vigne de Montgueux

2011, 10, 09, Stahltank, 15% Fassausbau über ein Jahr

Massiger Champagner, rauchig, drückendstark und überlegen wie eine Profifussballmannschaft in der Kreisliga, außerdem geheimnisvoll, fein-nussig und etwas kräuterig mit einem milden Hang zum Kakteenhaften, Röstnoten, die von angebrannter Bananenschale stammen könnten, dazu eine lange, fließende Säure und das Gefühl verflüssigter Kreide im Mund

2. Millesime 2006

Den Champagner gibt es ab September 2014, er ist noch massiger, füllender, fetter und reifer als der Vigne de Montgueux, dabei agil, drahtig und wendig, mit weniger Nuss ausgestattet, macht er viel mehr Rabatz am Gaumen, ist oszillierend und frisst sich wie ein Tunnelbohrer in den Schädel. Der Champagner beruhigt sich mit sehr viel Luft, zeigt dann auch kurz, fast wie unwillentlich, etwas Nuss, als gehöre das zu einem ungeliebten Pflichtprogramm an Komplexität und Typizität, bleibt dabei aber durchweg dynamisch, fast ungeduldig, aber nicht genervt.

3. La Colline Inspirée

2010, 2009, dég. im Sep. 2013, zero dosage

Winzerig, umtriebig, aktiv, rumorend. Merkliche Fassvinifikation, burgundischer Typus, ein Charakter, der die Aufmerksamkeit an sich fesselt wie ein sehr guter Illusionist; nur dass hier keine Illusion vorgespielt wird, sondern echtes, großes Champagnerwerk vollbracht wird. Dazu gehört in diesem Fall ein Hauch von After Eight und sogar Cola. Riesenchampagnerspaß!

4. Le Cotet

Vieilles Vignes 1964, dég. Okt 2013, 90% 2010 und 10% 2006, 2004, 2002, quasi ein Multivintagesolera, 80% Stahl, 20% fut de chene; die alten Jahrgänge stammen von geöffneten und als reserve wiederverwerteten Flaschen, wie ich es auch innerlich weinend bei zB Veuve Devaux gesehen habe, wo ein Trupp Arbeiter den Vormittag über unausgelieferte Großflaschen  knallend öffnete und den Inhalt in Tanks schüttete, die dem Reserveweinbestand zugeführt wurden. Der Cotet ist sehr glatt für einen Champagner aus dem Hause Lassaigne, was ich auf den weichzeichnenden Soleraeffekt zurückführe. Von allen Champagnern Emmanuels bietet dieser am meisten easy drinking, das zeug geht runter wie man es in geeignetem Erwachsenenfilmmaterial staunend betrachten kann, oder wie das Schwert beim Schwertschlucker.

 

Champagner Boot-Camp

Die vielbelächelte, aber landschaftlich malerische Aube habe ich lange vernachlässigt. Deshalb führte mich meine letzte Sauftour Erkundungsreise in die Gegend zwischen Troyes und Bar-sur-Seine, in eine Region, die schon Voltaire und Charles de Gaulle für bewohnenswert hielten. Wegen der verzweifelten Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit und weil ich dort meine Winz-Allokation reserviert hatte, sollte es hauptsächlich zu einem Newcomer-Pärchen gehen und einigen Entdeckungen am Rande bin ich sowieso nie abgeneigt. 

0. Opener:

1. Husson-Joliet Rosé

Kleiner Erzeuger aus Boursault, dem Örtchen, das am, hinter und neben dem Château der Veuve Clicquot am Berg klebt. Solo und zur rustikalen Ententerrine war der Champagner ok, kam mir nur etwas einfach und eine Spur zu alkoholisch vor, besonders schlimm war das aber noch nicht, denn immerhin konnte er bei aller Einfachheit mit einer beeindruckenden, wenn schon nicht komplexen Fruchtfülle aufwarten. Das war zur Schweinelende sein entscheidender Trumpf, in Verbindung mit Fleisch und Sauce zogen sich nämlich die etwas unbalancierten Aromenverhältnisse wie unter dem Einfluss eines Katalysators gerade.

2. Michel Marcoult Blanc de Blancs Cuvée Francis

Noch südlich von Sézanne liegt Barbonne-Fayel, wo Michel Marcoult seinen Champagner erzeugt. Der ist mit seinen buttrigen Aromen und seinem zurückhaltend-milden Auftritt weder besonders gut, noch besonders schlecht und war für mich gerade recht, um eine handvoll schwarzer Oliven nebst Käsewürfeln runterzuspülen.

I. Thierry de Marne – Frison

Bei diesem sympathischen Winzerehepaar habe ich vergangenes Wochenende die allerersten Flaschen der allerersten Allokation des Jungfernjahrgangs, dégorgiert im Oktober 2010, abgeholt. Verkauft werden die Cuvées "Lalore" und "Goustan" erst seit dem genau 1. Dezember 2010. Unweit von Bar-sur-Seine an der Aube liegt Ville sur Arce, manchen vielleicht bekannt vom dort alteingesessenen und tatsächlich nicht ganz unbekannten Champagnererzeuger Remy Massin. In Villes sur Arce ist der Erzeuger nicht leicht zu finden, wie so oft in der Champagne sind Straßenschilder nur sehr sparsam und etwas beliebig im Ort aufgestellt, auf das – noch junge – Haus de Marne weist auch am Haus selbst nichts hin. Hergestellt wird der Champagner auch gar nicht dort, sondern einige Meter weiter in einem kleinen Hallenkomplex, wo die Fässer (von der Chablisienne) und Stahltanks stehen, wo abgepresst und konfektioniert wird. Thierry lässt sein Bio-Lesegut nach Parzellen getrennt im Fass vergären und ca. ein Jahr auf der Feinhefe liegen, den BSA vermeidet er, wenn nicht widerspenstige Bakterien selbst bei kühlen 5° C sich weigern, den Betrieb einzustellen – wie es bei meinem Besuch gerade der Fall war. De Marne kann man neben dem ihm befreundeten Bertrand Gauthérot (Vouette et Sorbée) aus Buxières-sur-Arce, Cedric Bouchard und Jacques Lassaigne zur neuen Winzer-Avantgarde der Aube zählen.

1. Les Cotannes 2010 (Lalore)

Mit 11% vol. alc. schon sehr alkoholisch für einen Grundwein, merkte man ihm dieses Gefahrpotential nicht an. Mit einer ähnlichen Problematik hat ja Olivier Collin zu kämpfen, dessen 2006er Blanc de Noirs greift nach den 15% vol. alc, schmeckt aber trotzdem nicht hitzig oder spritig – man kann das also händeln. Ganz so arg ist es ja bei Thierry momentan auch nicht und die Substanz im Glas war mir zwar mit einer etwas verdächtigen Herbe ausgestattet, konnte das aber mit einer prallen Frucht aufwiegen.

2. Clos de la Côte 2009 (Goustan) aus dem Barrique

Der Banana Joe unter den Weinen von Thierry. Über die Primärfrucht hinaus blitzeblank und fein strukturiert, was ich trotz der Kälte (5° C) feststellen konnte.

3. La Chevètrée 2010

Fruchtarm, karg und am ehesten noch mineralisch muss man diesen Wein nennen. Im Mund ungeheuer lang und spritzig, mit tollem, von den drei bis dahin verkosteten Weinen wohl sogar der mit dem meisten Potential.

4. Clos de la Côte 2010 aus dem Stahltank

Anders als der fassausgebaute Genosse viel weniger Frucht, dafür alkoholischer, dennoch ein sehr präziser Wein.

5. Cuvée Lalore 2009 still

Erinnerte mich von der Stilistik an manche von den Rheingauer Großen Gewächsen, etwa Georg Breuers Nonnenberg, hart aber herzlich, erdig, würzig, mit gnadenloser Säure.

II. Bérèche et Fils

Rafael Bérèche aus dem Premier Cru Ludes, genauer Craon de Ludes, habe ich auf dem Rückweg besucht. Auch er war unter denen, die ich 2010 nicht mehr zu besuchen geschafft habe. Er gebietet nicht nur über drei sehr ernstzunehmende Hofhunde, sondern auch über jährlich 90000 Flaschen, also über gar nicht mal wenig. Trotzdem sind seine Champagner immer schnell ausverkauft und sein Chardonnay "Les Beaux Regards" ist ebenso wie der "Reflets d'Antan" ab Hof auf drei Flaschen pro Käufer limitiert. Irgendwas muss er also richtig machen. Dieser Eindruck bestätigt sich sofort, wenn man seine Verkostungsgläser in die Finger bekommt. Nobles Zaltomaterial!

1. Brut Réserve, 08er Basis mit 30% Reservewein, 9 g/l

Rötliches Schimmern, in der Nase aufgeladen, im Mund straff, lang und gut. Für eine Basiscuvée sehr einnehmend.

2. Brut Rosé, 07er Basis, dég. von Hand im Oktober 2010, mit 4 g/l dosiert, 45 mg/l SO2 total

35PN 35PM 18CH, Stillweinzugabe aus PN/PM

Ingwercookies, Blutorange, Pomelo und Mandarine locken die Nase tief in den Champagner hinein, mit jedem Schluck wird das Verlangen rauschhafter, Opiate können nicht sinnesbetäubender wirken.

3. Instant "Le Cran" 2004

50CH 45PN 5PM

Herbe Nase, nasse Kreide, etwas Holz, kaum Frucht. Im Mund legt der Champagner sich mächtig ins Zeug. Der verschlossene Naseneindruck weicht einem strahlenden Aromenaufgang, der sich rasend schnell abspielt und einem kaum Zit lässt, die einezelnen Aromen zu identifizieren. Bei jeden Schluck wandelt sich der Champagner und zeigt neue Facetten seiner kraftvollen Persönlichkeit. Stets merklich ist noch das Holz, aber anders als bei Vilmart spielt das Holz hier offenbar gerade keine tragende Rolle, sondern soll sich gleichberechtigt zu den anderen Aromen fügen, wenn die in einigen Jahren so weit sein werden, dass der Champagner die 90 Punkte deutlich hinter sich lässt.

III. Yves Ruffin

Thierry Ruffin ist leider kürzlich verstorben, seine Frau führt den Ecocert-Betrieb deshalb allein. Hilfe erhält sie dabei von Laurent Chiquet, einem der beiden Chef-Brüder von Jacquesson aus Dizy, ein guter Freund ihres allzu früh verstorbenen Mannes – der Ort hat mit Poul-Justine übrigens noch einen weiteren wichtigen Winzer verloren, dessen Spezialität waren die Solera-Champagner. Derzeit gibt es bei Madame Ruffin holzfassausgebaute Champagner in Brut und Extra Brut, einen Demi-Sec, einen Rosé, einen Jahrgang und eine Cuvée, die Thierry komponiert hat, bevor er verstarb. Über deren Schicksal ist entschieden: es wird eine Hommagecuvée à Thierry. Die beiden fassausgebauten Champagner werden voraussichtlich im Programm bleiben, was mit Rosé und Jahrgang passiert, ist noch unklar. 

1. Brut Premier Cru aus dem Eichenfass

75PN 25CH.

Fruchtig, herb und frisch, mit gut integriertem Holz. Kräftige, etwas wilde Säure. Kunstvolles Früchtepanorama und gekonnter Holzeinsatz.

2. Extra Brut Premier Cru aus dem Akazienholzfass

Behäbiger, weicher, mürber, etwas sandiger auch als der eichenfassausgebaute Ruffin. Nicht so sehr mein Fall.

3. Cuvée Thierry Ruffin

Hochaufgeschossen, schlank, schnittig, mitreißende Säure, noch arg jung und in alle Richtungen auseinanderstrebend, ohne dass man den Eindruck hat, der Champagner würde aromatisch auseinanderfallen. Stattdessen wirkt er, als hätte er einfach nicht genug Platz im Mund. Vielversprechend.

4. Rosé

Fruchtig, nicht zu hoch dosiert, mild, beerig, sahnig, aber nicht übertrieben laktisch.

IV. Danach noch zwei Rosés:

1. Remy Massin, Ville-sur-Arce, Brut Rosé

Weiche Süße, üppige Beernfrucht, dabei nicht kitschig oder eindimensional, etwas breiter dimensioniert als der Rosé von Bérèche.

2. Xavier Leconte, Troissy, Brut Rosé

In der Nase angenehm, zurückhaltend, distinguiert. Im Mund herb, kantig, karg, verschlossen. Deutlich geringer dosiert, als der Aube-Kollege. Erst mit sehr viel Luft geringfügig freundlicher, aber keinesfalls ein Spaßchampagner. Auch als Speisenbegleiter nicht ohne weiteres zu empfehlen. Hat einen eigenwillig intellektuellen Charakter, der zum hageren und mürrischen Winzer passt.  

Magnumparty

Mehr noch als jedes andere Datum im Jahr ist Silvester ein Champagnerdatum. Deshalb gab es zu Silvester eine Magnumparty, bei der sich das Flaschenformat en passant auf seine Kriegswaffentauglichkeit oder zumindest auf seine Eignung für das Abfeuern von Silvesterraketen praktisch untersuchen ließ.

Da für einen originalgetreuen Nebelwerfer sechs glatte Rohre erforderlich sind, mussten erst sechs Magnums geleert werden, im Verlauf der Vorbereitungsarbeit war dabei sogar noch Zeit, Appetit und Muße für erstaunliche Experimente, wobei ich eine koffeinfreie Coke Deluxe (d.i. koffeinfreie Coke mit Jahrgangschampagner aus der Magnum) nur um Haaresbreite letztlich doch nicht zubereitet habe.  

I. Paul Michel, Blanc de Blancs Premier Cru 1988 en Magnum

Der Erzeuger aus Cuis ist Mövenpick-Kunden als deren Hauschampagner bekannt. Ob er das schon war, als der 1988er in den Handel kam, weiß ich nicht. Was ich aber schnell festgestellt habe ist, dass dieser Champagner seinen Zenit schon lange überschritten hat. Vielleicht ist Cuis nicht das Örtchen, aus dem die Granatenchardonnays kommen, vielleicht ist aber auch Paul Michel nicht der Erzeuger für langlebige Champagner. Ich vermute das letztere. Daher wanderte der Champagner dann auch in das Käsefondue, wo er allerdings eine tragende Rolle spielte und sich sehr gut mit Kirschwasser und Bergkäse verband.

II. Vilmart, Grand Cellier d'Or 2000 en Magnum

Einer der stärksten Champagner des Abends, wenn nicht sogar gleich ganz Gesamtsieger war der 2000er Vilmart, der sich in anspruchsvoller Umgebung befand. Zunächst hätte ich ihm nicht zugetraut, seinen älteren Jahrgangsbruder zu überflügeln, von den Prestigecuvées ganz abgesehen. Der Grand Cellier d'Or 2000 war auf den Punkt gut; geschmeidiges, von der kräftigen Aromenstruktur gut eingebundenes Holz ließ ihn unangreifbar erscheinen, der Auftritt am Gaumen war dementsprechend selbstbewusst.

III. Vilmart, Grand Cellier d'Or, 1995 en Magnum

Stark, mit dem 2000er offensichtlich eng verwandt, aber nicht gleichermaßen auf den Punkt war der 95er Grand Cellier d'Or. Das Holz konnte man gut wahrnehmen, auf eine andere Weise freilich, als beim frischen 2000er, denn der Champagner hatte sich ja schon ein paar Jährchen entwickelt.

IV. Vilmart, 'Solera' aus Grand Cellier d'Or 1995 und 2000

Eine mehr als interessante Erfahrung war der Mix aus Grand Cellier d'Or 1995 und 2000. Arithmetisch wäre es am ehesten ein 1997er, geschmacklich war der Mix ebenfalls sehr dicht dran, vielleicht aber noch eine Spur besser, dank der überaus guten Form, in der sich der 2000er präsentierte und wohl auch dank des guten 95er Materials.

V. Taittinger, Comtes de Champagne 1995 en Magnum

Unter den Prestigecuvées stets eine sichere Bank, im Vergleich mit dem prächtig aufgelegten Vilmart merkte man aber vor allem, dass die raffiniert kaschierte aber letztlich doch relativ hohe Dosage dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Typ smarter Entertainer und damit ganz aus dem Holz, aus dem auch Pierre-Emmanuel Taittinger selbst geschnitzt ist.

VI. Pol-Roger, Cuvée Sir Winston Churchill 1995 en Magnum

Leider etwas verschnupft zeigte sich der sonst so zuverlässige SWC. Wo gewöhnlich kein Mangel an Pinotkraft und stahlhartem Chardonnay herrscht, war nachgiebige bis schwammige Struktur und eine unentschiedene bis diffuse Aromatik auszumachen. Anzeichen für einen Korkschleicher vielleicht, vielleicht aber auch Ausdruck langsamer Reifung und längeren Verbleibens in aromatisch indifferenten Entwicklungsphasen. Wäre es nicht meine letzte SWC 95 Magnum gewesen, würde ich grundoptimistisch übrige Flaschen nach dieser Erfahrung für längere Flaschenreifung wegpacken.

VII. André Robert, Blanc de Blancs Grand Cru 2003 en Magnum

Definitiv kein Chardonnayjahr war 2003 für Champagne Robert aus Le-Mesnil. Schwermütig und nur mit einem verzweifelten, ins Bittere schlagenden aufbäumen annähernd den Ausdruck von Lebhaftigkeit vermittelnd, außerdem praktisch säurelos. 

Wie sich um Mitternacht herausstellte, eignen sich Champagnermagnums nur bedingt für den Abschuss von Silvesterraketen. Denn das Holzstöckchen, das an der eigentlichen Treibladung befestigt ist und gemeinhin in leere Sektflaschen gesteckt wird, neigt bei ungünstigem Winkel dazu, sich mit der Bodenausbuchtung von Champagnerflaschen zu verkeilen, so dass die Treibladung nicht mehr ausreicht, um die Rakete aus der Flasche zu ziehen. Das führt zu hautnahen, auf Augenhöhe stattfindenden Explosionssensationen mit staunenden Aaaahs und Ooohs aus der Zuschauermenge und ggf. jeder Menge Verletzten, ist aber dennoch eine Mordsgaudi.

Nachgespürt: Premier Cru und Grand Cru

I.1 Domaine Déliance Ruban Mauve Crémant de Bourgogne: die kleine, ziemlich unbekannte Domaine erzeugt für etwa ebenso kleines Geld bildhübsche Weine und eben auch Crémants. Dieser ist ein Blanc de Pinot-Noirs, der durch seine helle, freundliche, etwas frische und manchem etwas hoch dosierte Art auffiel. Sanft, etwas säureschwach, gleichwohl vor allem kühl charmant zu trinken. Wird u.a von Tom Stevenson heiß empfohlen und ist in USA sehr gesucht.

I.2 Milazzo Federico II. Rex Sicilie 1993, dég. Herbst 1997: drei Chardonnayklone und etwas Weißburgunder konnten nicht verhindern, daß dieser Wein nun sehr deutliche Reifetöne, strenggenommen sogar eine gewisse Müdigkeit zeigte. Trotzdem ansprechend, mürbe, morbid, von Honignoten geprägt, ließ er Raffinesse vergangener Tage ahnen.

Da es sich nicht um Champagner, sondern nur um eine Einstimmrunde handelte, ergab sich natürlich keine bemerkenswerte Erkenntnis über PC/GC.

II.1 Poul-Justine Premier Cru: der hierzulande nicht sehr bekannte Winzer aus dem auch in der Champagne nicht so berühmten Avenay Val d'Or hat einen schönen, relativ hoch dosierten Champagner von süffiger Art, mit stabiler Frucht und charmanter Säure auf die Flasche gebracht. Der Champagner wurde im Soleraverfahren hergestellt (machen sonst nicht sehr viele: Selosse gehört dazu, Francis Boulards Petraea, Aurelien Laherte experimentiert damit, R. Dumont et Fils aus Champignol-lez-Mondeville an der Aube hat einen Solera-Champagner, die Royal Reserve von Philipponnat profitiert von dieser Methode, die Mis en Caves von Charles-Heidsieck und eine Handvoll weiterer Erzeuger arbeiten ebenfalls noch damit), eine etwas niedrigere Dosage hätte die Feinheiten etwas besser heraustreten lassen können, daß Poul-Justine das gelang, weiß ich von seinem in gleicher Weise hergestellten Jahrgangs-Premier Cru. Der Winzer ist vor einem Jahr leider ohne Nachfolger verstorben.

II.2 Boulard Mailly Grand Cru: gekonnt anoxidierter Apfelsaft vom – für diese Lage ungewöhnlichen – 10%igen Chardonnayanteil, leckere Fruchtnoten, rotfruchtkompottig, saftig, dabei von feiner, leichter Art, mit einem durchgehend präsenten Säuregerüst, das mußte der Grand Cru sein und war es auch.

Der Poul-Justine wirkte etwas naiv-süß neben dem Grand Cru. De mortuis nil nisi bene, doch nicht ganz zu Unrecht sparen viele terroirbedachte Winzer am Dosagezucker.

III.1 Lassalle Cuvée Angeline 1999 Premier Cru: in sich geschlossener, runder, gesunder Wegschlotzchampagner, der ebenfalls mit hoher Dosage daherkam, die aber aufgrund seines insgesamt femininen Art durchaus glaubhaft und stimmig war. Ob die in der Runde gefallene Bezeichnung "kleine Schlam*e" unbedingt zutrifft, kann dahingestellt bleiben, wenn man jedenfalls zugesteht, daß der Champagner eine verführerische, zum beschleunigten Trinken einladende Art hat.

III.2 Bonnaire Cramant Grand Cru Blanc de Blancs NV, en Magnum: fleischig, saftig, aber auch nasse Schafwolle und Sauerkraut. Toastige Noten und chardonnayige Säure, dieser Champagner konnte nicht überzeugen, sondern zeigte eher einen übetriebenen BSA oder sonstigen Weinfehler, der dafür sehr schön, fast vorbildlich gereift war. Ließ sich trinken, war aber leider kein großer Genuß, sehr schade.

Der Premier Cru konnte punkten, während der Grand Cru fehlerhaft im Keller blieb. Insofern leider kein guter Vergleich.

IV.1 Duval-Leroy Authentis 100% Chardonnay, Trépail Premier Cru 1999: Flotter, g'schmackiger, von Feuerstein und anderen steinig-mineralischen Tönen geprägter Champagner. Kontrastreich, voller Schwung und Abwechslung, bescheidener dosiert als die Vorgänger und vom Gesamteindruck auf Grand Cru Niveau.

IV.2 Pierre Peters Cuvée Speciale 1999 100% Chardonnay, Grand Cru Monocru (Chétillons), Vieilles Vignes (72 Jahre Durchschnittsalter): sperrig, eckig, scharfkantig, ein Champagner, der erst gekaut werden will. Wirkte mit seiner etwas ungelenken Art noch etwas zu jung, war aber von beeindruckender Vielfalt und überraschender Fülle, die viel erahnen ließ. Ein Champagner, der irgendwie beeindruckend schmeckte, ohne daß sich das an der Frucht, an der Ausgewogenheit oder an etwas anderem Konkreten festmachen ließ. Ein würdiger Vertreter der Grand Cru Fraktion.

Als Schließer gab es noch einmal den

V.1 Deliance vom Anfang, der gut und gerne als Champagner hätte durchgehen können und

V.2 Duval-Leroy Authentis Petit Meslier 1998. Der holzgeprägte Wein war auf Anhiebüberzeugend und gut, von Fremdartigkeit keine Spur (und das, obwohl die Meslier eine der "verschollenen" Rebsorten ist), wie ein langer ruhiger Fluß zog sich die Aromenprozession über den Gaumen. Ein gelungener Champagner und eine gelungene Überraschung zum Ende des Abends.