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Tag Archives: veuve clicquot

Grand Chapitre 2014 im A-Rosa, Sylt (I/II)

Das Sternefestival des Ordre des Côteaux de Champagne fand letztes Jahr in Salzburg statt, dieses Jahr geographisch ausgleichend auf Sylt. Das war eine gute Entscheidung, denn dort schließen gleich zwei Gourmetläden ihre Pforten. Der Jörg Müller haut, wie schon länger bekannt, in den Sack und im Hause A-Rosa leistet man sich den Zweisterneluxus ab Januar 2015 nicht mehr, wie erst kürzlich überraschend vermeldet wurde.

Menu au Champagne 1. Akt

1. Aufzug, kalte Speisen

Johannes King, Söl'ring Hof, **/17

Herbstlicher Gemüsesalat, dazu

Delamotte Blanc de Blancs Millésime 2007

Wurzelgemüse, leicht gebundene, feincrèmige Sauce mit einem Delamotte (Stahltankvinifikation der Trauben aus Avize, Cramant, Oger und Le Mesnil), den ich solo nicht als Jahrgang einsortiert hätte. Der Delamotte unterstützte den herbstlichen Charakter der kleinen Leckerei, die Süße und Konsistenz von blanchierter Pastinake scheint überhaupt dem Charakter des Champagners sehr nahezukommen.

Jörg Müller, */18

Gänseleberpraline, dazu

Veuve Clicquot La Grande Dame 2004

Eine Paarung auf Augenhöhe, ideal für Esser mit besonders gutem Appetit, durch die gargantueske Kalorienfülle, die sich auf wenigen Kubikzentimetern ballt. Die Grande Dame, deren körperliches Format ja selbst einer übergroßen Gänseleberpraline geähnelt haben muss, tat nichts, aber auch gar nichts, um den kleinen Happen von Jörg Müller zu relativieren, ihn aus seiner unanständigen Schlemmerhaftigkeit in Richtung gebremster und kontrollierter Nahrungsaufnahme zu ziehen. Ganz im Gegenteil, befeuerte die üppige Dame den kleinen Racker noch mit ihrem schmeichelnden Pinotaroma, das als Stillwein ganz unmöglich zu kombinieren gewesen wäre, aber in Champagnerform optimal passte. Nichts für Asketen und ehrlich gesagt war ich nach der dritten Praline eigentlich schon satt.

Sebastian Zier, La Mer, **/17

Kaisergranat, dazu

Nicolas Feuillatte Palmes d'Or 2004 en Jéroboam

Wie dankbar war ich, dass nach der Praline nicht etwas noch konzentrierteres kam, sondern ein kleiner Badeausflug. Der Kaisergranat, selbst ein nachtaktives Tier, weckte in mir schlummernde Essensaufnahmekräfte und bereitete auf die lange Nacht vor. Eingerahmt wurde er vom ungewöhnlich fein geschwungenen Palmes d'Or 2004 (50PN 50CH, wobei man bei Nicolas Feuillatte luxuriöserweise auf Chardonnays nicht nur von der Côte des Blancs, sondern auch aus Montgueux zurückgreift), der mit seiner Schwungkraft und Robustheit nie hinter dem Berg hielt, der aber manches Mal allzu prompt seine kräftige Botschaft auslieferte und deshalb nicht gerade ein Vorbild in Sachen Eleganz ist. Dass er auch elegant kann, zeigt er 2004 und zu einem nicht geringen Anteil wird das außerdem am Großformat gelegen haben. Liebhaber der klassischeren, mächtigeren, wärmeren Palmes d'Or sollten bei diesem Jahrgang aufpassen, er könnte hinter den erwartungen zurückbleiben. Wer die Palmes d'Or dagegen immer zu direkt und vordergründig fand, sollte sich mit dem 2004er auseinandersetzen.

2. Aufzug, warme Speisen

Sebastian Zier

Austernvelouté, dazu

de Saint Gall Blanc de Blancs Grand Cru "Orpale" 2002

Aus der Küche von sebastian Zier kam der nächste Schwimmausflug, eine kleine Auster auf einem vorbildlichen Austernsamtsösschen, hinzukombiniert war wieder ein Kooperativenchampagner, diesmal der andere Klassiker, die Cuvée Orpale von de Saint Gall (Chardonnays aus Avize, Cramant, Oger und Le Mesnil, teilweise ohne BSA, mit 7 g/l dosiert). Wirklich überzeugend fand ich diesen Champagner, bei dem immer nur technisch alles zu passen scheint, auch dieses Mal nicht. Weder zur Sauce noch zur Auster selbst wollte sich eine Kommunikation aufbauen lassen, die kleine Auster mit ihrem bisschen Jod und Meerwasser riss gleich alles an sich und wies dem Champagner eine Nebenrolle zu. Der Saucenespresso schlug sich in das Lager seiner Herrin und so hatte der Champagner insgesamt keine Chance, mit unterwürfigem Zuckerschwänzchenwedeln zog er von dannen.

Holger Bodendorf, */18

Wachtelravioli, dazu

Duval-Leroy Blanc de Blancs Grand Cru "Prestige" Millésime 2006

Ein beinahe übersehenes Vergnügen kurz vor dem Beginn des zweiten Akts offerierte Holger Bodendorf, der mit verschwommenem Blick betrachtet ein wenig so aussieht wie ein um Jahre jüngerer Charles Schumann. Beträchtliche Freude bereitete der Raviolo, was in Teilen an dem wohlig-kindheitlichen Gefühl liegen wird, das Raviolispeisen bei mir sowieso immer erzeugen. Überzeugend fand ich dazu den Jeahrgangschardonnay von Duval-Leroy (Oiry, Chouilly, Avize, Cramant, Oger und Le Mesnil), den ich leider etwas aus dem Blickfeld verloren hatte, nachdem er mir als 2002er Brut Nature und als 2004er Brut doch immer wieder gut gefallen hat. Sowohl Ravioli als auch der Champagner bekamen dadurch etwas vom hidden champion des 2. Aufzugs, bzw. um es vorweg zu nehmen: gefielen mir sogar am besten; dicht gefolgt vom Kaisergranat.

Patrick Büchel, Spices, */16

Home Style Asia – Hamachi, Dashi, Aubergine, dazu

Bollinger Special Cuvée en Magnum

Was sich hinter dem Hamachi jetzt genau verbarg, habe ich nicht ergründen können. Ob und welche Makrelenart oder, weil ich auch etwas von Sébaste murmeln hörte, resp. las, Barsch eine Rolle spielte oder ob es sich, was nun wirklich auf der Hand, bzw. auf der kleinen Küchenkreation obenauf lag, im wesentlichen um Seeigel handeln sollte, den ich nicht besonders mag, hier aber immerhin erträglich fand – ich werde dem nicht weiter nachgehen. Klar war immerhin, dass ich den Seeigel essen konnte und das Dashi gut zum Bollinger passte. Mehr braucht's ja eigentlich gar nicht für den Erkenntnisgewinn. Der war vor allem: Bollinger und Umami sind eine gute, aber anstrengende Kombinbation, die mit einem leichteren Champagner trotzdem nicht funktionieren würde.

Der erste Akt überzeugte vor allem im ersten Aufzug. Der Gemüsesalat war vollkommen adäquat zur Jahreszeit und leitete glänzend zur Gänseleber über, die einen ersten, buchstäblichen Schwerpunkt setzte, bevor der Kaisergranat die einsetzende Gemütsschwere leichtflossig aufhob.

Falstaff Champagnergala 2013 im Capital Club, Berlin

Im #sparklingdecember lud der Falstaff zur Champagnergala am Gendarmenmarkt, im prestigeusen Capital Club. Die Verpflegung mit Austern und Sushizeugs war adäquat, das Raumangebot so, dass man trotz der Ballung an Ausstellern nicht ins drängeln kam. Die Champagner selbst waren aus dem aktuellen Programm der jeweiligen Erzeuger genommen und boten einen guten Überblick über das, was zur Zeit am Markt zu bekommen ist. Erstaunliches fand ich dort nicht, und weil ich noch eine Heimreise mit Zugbindung anzutreten hatte, musste ein Schnelldurchlauf genügen.   

Bollinger war mit den stets gleichermaßen guten Cuvées Special Cuvée und Rosé vertreten, wobei sich besonders der Rosé als mittlerweile in der Klasse spitzenmäßiger Non-Vintage Rosés etablierter Champagner behaupten konnte.

Bruno Paillard zeigte die Première Cuvée in weiß und rosé, an beiden gibt es nicht viel auszusetzen; interessanter war die noch ganz junge 2004er Cuvée, die in den nächsten sechs Monaten noch zur Ruhe kommen muss, bevor sie zu strahlen beginnen kann; bei Paillard ist das sowieso bekannt, weshalb die Mitt- und Endneunzigerjahrgänge jetzt als trinkenswert besonders hervorzuheben sind.

Cattier holte aus dem Fundus Champagner, die ich nur ganz selten mal trinke, weil sie einfach nicht so präsent sind, bzw. auch gerade erst ganz neu auf den Markt kommen. Brut Quartz, Blanc de Noirs und Glamour Rosé werde ich deshalb noch etwas eingehender zu betrachten haben.

Von de Saint Gall war der Orpale 2002 in der üblichen guten, aber noch nicht maßstabsetzenden Form, Tradition und Rosé haben keine tieferen Gedankenfurchen bei mir hinterlassen. 

Duval-Leroy gefiel mir mit dem 2004er Jahrgangschardonnay gut, der Premier Cru und der Premier Cru Rosé waren eine willkommene Gedächtnisauffrischung. 

Eric Rodez, der seine Fühler immer weiter nach Deutschland hinein ausstreckt und hier bald so etwas sein wird, wie Egly-Ouriet vor zehn Jahren, zeigte am Vorabend auf der Premierenveranstaltung der Caractères et Terroirs de Champagne in der Cordobar schon, was die Stunde geschlagen hat und war für den falstaff mit seiner Cuvée Crayères, dem Blanc de Noirs und der liebenswürdigen Cuvée des Grands Vintages angetreten. Eine gute Entscheidung, gemessen am Programm der Mitaussteller.

Gosset entließ Brut Excellence, Grande Réserve und Grand Rosé in die Gläser, wovon mir die Granden zusagten, der Excellence nicht so sehr, aber das schwankt bei mir sehr. Mal gefällt er mir gar nicht mal schlecht, mal kann ich ihn nicht leiden. Diesmal mochte ich ihn nicht.

Henri Billiot war wie Rodez schon am Vorabend dabei gewesen und brachte sich mit Grand Cru Brut Tradition, Brut Millésime und Julie ein. Da die Dosage bei Billiot zusammen mit den reifegraden der Grundweine zu schmackhaften Weinen mit leichtem Bauchansatz führt, waren das, wie man an der kontinuierlichen Nachfrage bemerken konnte, echte Publikumslieblinge. 

Von Laurrent-Perrier kam nichts aus der höchsten Preisklasse; Brut, Ultra Brut und Rosé waren aber drei schöne Klassiker aus dem bekanntermaßen guten Programm von Laurent-Perrier, den Ultra Brut habe ich vorgezogen.

Louis Roederer hatte den verlässlichen Brut Premier dabei und im Gepäck war außerdem der sehr gelungene 2008er Rosé, gefolgt vom exquisiten 2005er Cristal. Leider waren die Champagner arg kalt, sonst hätte ich vielleicht den Rosé noch besser gefunden als den Cristal, so blieb es für dieses Mal unentschieden.

Maison Bérèche war der dritte Erzeuger, der sich schon vor dem Caractères et Terroirs Publikum unter reichem Zuspruch entblößt hatte; Rafael brachte zur falstaff Gala seinen schönen Brut Réserve mit, außerdem seinen nagelneuen Côte aus der Negociant-Linie des Hauses, ein lange gereifter Chardonnay mit richtig viel Schwung, und schließlich noch den Le Cran 2006, der sich so eng und verbaut zeigte, wie eh und je.

Moet & Chandon hatte als Standards dabei den Brut Impérial und den Impérial Rosé, als Non-Standard gab es den auch wirklich nicht standardisierten Grand Vintage Rosé 2004, den ich für mehr als gelungen halte.

Nicolas Feuillatte hatte den rührigen Pierre Hartweg geschickt, der mit einem sourire de reims den nicht haften gebliebenen Brut Réserve und die dafür umso stärker haften gebliebenen Chardonnay Grand Cru und Palmes d'Or einschenkte. Mit dem Chardonnay hatte ich ein halbes Jahr vorher schon die Telnehmer des Vinocamps 2013 in Geisenheim auf typische Eigenschaften dieses Champagnertyps aufmerksam gemacht und die Palmes d'Or sind im Aufstiegskampf schon seit Jahren sehr erfolgreich. 

Bei Perrier-Jouet, deren alte Blasons de France in weiß und Rosé ich seit den 60ern mal gesammelt hatte, um sie dann dummerweise Stück für Stück statt auf einmal in einer größer angelegten Probe zu trinken, habe ich mich über den ultrazarten Blason Rosé gefreut, der aber mit dem alten Blason nichts mehr gemein hatte. Die Belle Epoque 2004 hingegen konnte an alte Zeiten anknüpfen. Leider nämlich hatte auch diese an sich wunderbare Cuvée eine Schwächephase, die Mitte der Neunziger begann und von der ich meine, dass sie erst seit dem 2002er so langsam als überwunden angesehen werden kann. Vorsichtig bin ich dennoch bis auf weiteres und solange man die Belle Epoques in weiß und rosé noch aus Jahren wie 1988, 1983, 1982, und davor bekommen kann.

Piper-Heidsieck war nur mit dem Brut Sauvage Rosé etwas schwach, der brut gefiel mir gut und der Rare Millésime 2002 war so mächtig wie immer, auf einige Mitverkoster wirkte er sogar holzig und zu hoch dosiert; das wird sich mit der Zeit legen und ich rate ausdrücklich dazu, diesen Champagner für ein paar Jahre wegzulegen.

Pol-Roger war mit dem soliden Trio aus white foil (en Magnum), Millésime 2002 (en Magnum) und Extra Brut angetreten. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass Pol-Roger mit den beiden jahrgangslosen Champagnern wirklich an der Dosageschere gearbeitet haben muss. Für mein Empfinden war der white foil süßer als in der Zeit ohne den Extra Brut. Wie dem auch sei, mit den beiden kann Pol-Roger jedenfalls eine größere Trinkerschicht abgreifen und das ist ja auch völlig ok.  

Pommery verführte vor allem mit der charmanten und selbstbewussten Louise 1999, legte aber mit der darunter neu platzierten Apanage Prestige schon sehr gut vor.

Aus den Hause Vranken gab es den Diamant zu trinken, der vom Traditionserzeuger Heidsieck Monopole quasi rübergeschafft wurde und mir viel zu süß schmeckte. Kein Vergleich mit alten Diamanten.

Veuve Clicquot war mit Vintage 2004 und Grande Dame 2004 dabei, die beide glänzen.

Crossdrinking: Als Ernte-“Helfer” bei Numanthia

Toro – das heißt erst seit wenigen Jahren und nicht für besonders viele Winzer in dem kleinen Gebiet, den Stier bei den Hörnern packen. Von bolidenhaften Weinen ist im Zusammenhang mit Toro oft die Rede. Das ist nicht ganz verkehrt, denn die Ausgangsbedingungen sind wie gemacht für bulligen Wein: ausgeprägtes Kontinentalklima auf einer Höhe von gut 700 Metern, karge, sandig-steinige Böden, auf denen hie und da uralt reblausfreie Tinta de Toro Reben stehen, vielfach als bush vines, d.h. ohne Pfahl- oder Drahterziehung, sondern wie pflanzliche Minibrunnen aus der Erde quellend, mit Ärmchen, die sich tentakelartig über den Boden ausstrecken und tagsüber mit ihrem Laub die Frucht vor Sonnenbrand schützen, bzw. empfindliche nächtliche Abkühlung ertragen helfen. Die zylindrisch angeordneten, mittelgroßen Trauben stammen nach überwiegender Auffassung aus der Tempranillo-Familie, zeichnen sich aber durch geringere Säure bei einer Neigung zu höherem Tannin- und Extraktreichtum aus, als ihre Verwandten.

Das verführt weniger standhafte Winzer dazu, schwere, kraftstrotzende, steroidhaft überzeichnete oder sonst vollgeladene Weine zu machen. Doch diese international scheinbar noch immer gesuchte Stilistik findet sich bei den überhaupt erst seit ca. 2000 am Markt auftauchenden Spitzen-Toros gerade nicht. Höchstbewertete Toros zeichnen sich vielmehr durch kluge Zurückhaltung in der Weinbereitung aus. Bei den besten Toros holen die Kellermeister gerade nicht in allen Bereichen gnadenlos alles aus der Traube heraus, sondern gehorchen in besonderer Weise dem Cuvéeprinzip und suchen für die finale Zusammenstellung einzelner Partien nach Eigenschaften, die ein balanciertes und möglichst elegantes Gesamtbild abgeben.

Genau deshalb sind die dem Champagner sonst sehr fernen Rotweine der Gegend für mich interessant. Der Luxusgüterriese LVMH sah das vielleicht ähnlich und hat sich im Jahr 2008 die erst zehn Jahre zuvor von der Weinfamilie Eguren gegründete und schon mit dem 2000er Termanthia in die Weinweltspitze katapultierte Bodega Numanthia einverleibt. Deren 2004er Termanthia erhielt volle 100 Punkte vom Maryland-Bob und zementierte die Stellung des Weinguts vollends. Sowas schürt weitere Neugier und deshalb schlug ich die Einladung von LVMH zur Herbsterkundungstour nicht aus.

Nach zweistündigem Bustransfer vom Flughafen Madrid ins Nirgendwo stellte der polyglotte und überaus sympathische Kellermeister Manuel Louzado die ausnehmend schicke Bodega während der laufenden Ernte vor; später hatte ich Gelegenheit, selbst Trauben von den bush vines zu schneiden und in die kleinen Kistchen zu legen, in denen das kostbare Gut zum Pressoir gebracht wird, wo 35 bildhübsche Jungfern die Trauben handentrappen. Meine Erntehelfertätigkeit, die sicherheitshalber bildhaft dokumentiert ist, beschränkte sich entgegen anderslautender Vermutungen nicht nur auf das Abschneiden einzelner Trauben, sondern immerhin auf das Abernten mehrerer bush vines. In der Bodega selbst habe ich bei der Pigeage zugesehen und den werdenden 2012er Termanthia im Dreitages- und im Wochenstadium probieren können, was mir einen ungefähren Eindruck von dem verschaffte, was daraus später werden wird; eine kleine Fassprobe des 2011ers komplettierte den Technikteil. 

1. Numanthia 2011:

Hinter einer Zitronensäurewand dichtes Multivitamingewirbel und Cassis, einige Blumen, außerdem schon sehr elegantes Tannin, wenig Toast vom Taransaud GC-Fass. Eine andere Partie aus einer weiter westlich gelegenen Parzelle zeigte sich konzentrier, wesentlich beeriger, aber nicht pummelig, sondern trotz höherer Holzlast agil bis mäßig aggressiv. Eines minimal sandigen Eindrucks konnte ich mich nicht erwehren, bevor eine längere Variation über Chilischoten und Kirschpaprika ein herb parfumiertes finish brachte.

2. Termanthia 2011:

Gegenüber dem Numanthia war hier mehr Einheitlichkeit angesagt und noble Rondeur, die aufgrund des hohen Säureeindrucks vom Vorgänger beinahe mehlig und eingeigelt wirkte. Dunkle Kirsche, getrocknete Cranberry, Brombeere, die sich langsam hintereinander aufreiehn und auf ihre Verfeinerung im 6+6-monatigen Fasslager warten, bevor der Endausbau im alten Holz stattfindet.

Dann gab es den ersten Leistungstest. Nachdem mit reichlich Moet Brut Impérial der Gaumen präpariert war, präsentierten sich Numanthia 2008 und Termanthia 2006 zu regionalen Speisen. Die unvermeidlichen Croquetas passen, behaupte ich, zu jedem Wein, für die beiden Roten also keine Herausforderung. Schwieriger würden die Fischkombinationen werden. Zu Pulpo- und Gambabrochetas passten dennoch beide Weine gut, wegen seiner fortgeschrittenen, seidigeren Art verdient der Termanthia den Vorzug, zum kühlen Salmorejo-Süppchen ebenso. Die mit Zwiebel und Knoblauch überzogenen Zamburinas aus dem Ofen dagegen, bildeten mit dem stupenden Numanthia die überzeugendere Verbindung. Zum tomatenüberzogenen Seehecht bestach wieder der Termanthia, während der Numanthia sich mit dem exquisiten Minihamburger besser vertrug. Der Arroz à la Zamorana, eine Art Hasenpaella, ließ sich mit beiden Weinen gut genießen. Nach dem dreistündigen Mittagessen gesättigt und zufrieden hätte ich mein Arbeitsprogramm gut und gerne auch einstellen können, aber so einfach war das nicht. Denn die zauberhaften LVMH-Damen hatten einen Transfer in das gleichermaßen zauberhafte Castillo del Buen Amor vorgesehen, wo sogleich das Abendessen stattfand.

Der zweite Leistungstest begann mit superbem Bellotaschinken und Ruinarts Blanc de Blancs, bei den Croquetas hielt ich mich zurück, um deren tückisches und zur Unzeit einsetzendes Sättigungspotential mittlerweile genauestens wissend. Dann tischte schon die Schlossgastronomie auf. Ein Steinpilz- und Trüffelrisotto mit zu hartem Reis konnte mich zum Numanthia 2008 nicht so sehr erfreuen, wie die mittäglichen Muscheln. Sehr angenehm berührt war ich dagegen von den zarten Ochsenbäckchen, die sich hier Carilleras de Ternera nennen und sich, dem Namen der Lokalität verpflichtet, lüstern mit dem Termanthia um meine Gunst balgten, was eine schöne Ménage à Trois ergab.

Das dritte Exempel wurde in Toro statuiert, bzw. zelebriert. In einer ehemaligen Kirche, in der ausgerechnet auch noch Ausstellungsstücke von Delhy Tejero zu besichtigen waren, darunter ein überlebensgroßes Marienbildnis, das ich sofort für mein Schlafzimmer gekauft hätte, wenn es zum Verkauf gestanden hätte. Stand es aber nicht. Dafür wachte es über dem Mahl, das wir ad maiorem dei gloriam verzehrten. Ultrafrisch heruntergeschnittenen Bellotaschinken gab es, vom dem ich mir, bei der Hl. Muttergottes schon zu kurz gekommen, eine kleine Menge vakuumieren ließ, um meine Fleischeslust doch noch nach Belieben stillen zu können. Ferner gab es – wenn schon nicht Muttergottes, so muss sich auch der Essensarrangeur gedacht haben – Muttermilch, bzw. Ziegenmilch, bzw. Käse daraus. Dazu mundete die Carte Jaune der – natürlich – Nicole-Barbe Veuve Clicquot-Ponsardin. Es folgten Piquillos relennos, also gefüllte Pfefferschoten, und Carpaccio, dazu gab es schon angenehm weichen und leicht molligen 2009er Numanthia, der sich speziell zur Paprika wie magisch hingezogen fühlte. Dann gab es die in Kastilien nicht wegzudenkende Spezialität schlechthin, Spanferkel. Ich bekam ein köstliches komplettes Beinchen und knusperte das zusammen mit dem dazu vorzüglichen Numanthia 2008 weg, ließ mir aber auch noch einige Schlucke Veuve dazu schmecken, bevor der bombastisch gute 2007er Termanthia kam und alles wegzufegen drohte, was mir noch am Gaumen klebte. Die Tapita de Chocolate mit Olivenöl und Meersalz war eine Möglichkeit, diesem riesenhaften Wein Contra zu geben, und nicht die schlechteste. Letztlich fand ich den Wein aber durch Essen profaniert und verzichtete auf den Rest der Schokolade, um ganz für den Termanthia dasein zu können.

Die ‘großen’ Champagner: Grande … Dame, Année, Sendrée, Cuvée, … (Teil I)

Zu den Festtagen werden im ganzen Land wieder die im Supermarktregal gekochten Standardschäumer, der stets sehr gesuchte Champagner Bis(s)inger in seinen verschiedenen Spielarten aus dem Hause Vranken-Pommery, oder einer der notorischen Witwen-Klone zum Kartoffelsalat mit Würstln serviert, bzw. vorher oder nachher zur Einleitung des Fests feierlich vom Vati geöffnet, aber natürlich auch jede Menge schöne Winzersekte, Nobelcavas usf. aus der Sprudelecke des Weinkellers gekramt oder mit leuchtenden Augen aus dem Klimakühlschrank hervorgezogen. Einige ganz ganz Wenige werden die Festtage nutzen, ihren Lieben oder der Geliebten ganz besondere Schätze vorzusetzen. Die folgenden Notizen zu den derzeit marktgängigen Großcuvées mag als kleine Orientierungshilfe dienen. Naturgemäß sind nicht alle Champagner dabei. Ich habe mich auf die großen Häuser beschränkt und auch bei denen noch eine Auswahl getroffen. Ausgelassen habe ich nämlich der Einfachheit halber und weil es um große Champagner von großen Häusern geht alle, die nicht ein "Grand(e)" im Namen tragen.

1. Veuve Clicquot, La Grande Dame 1998, 1995, 1996

Auch schon wieder bisschen was her, dass ich die Grande Dame getrunken hatte. Zeit also für eine neuerliche Glasvisitation.

a) Im Frühjahr gab es eine 1998er zusammen mit Veuves Kellermeister Francois Hautekeur im Garten des zauberhaften Manoir de Verzy von Veuve Clicquot, wo wir uns die Wartezeit zum Dîner damit vertrieben, in den Weinberg und die Décolletés der Servierkräfte zu schauen. Das war eine sehr gute Sache, im Grunde hätte man daraus nahtlos ein Fotzsetzung von "Emmanuelle" drehen können. Mehr als ein halbes Jahr später ist die Softpornobeschaulichkeit einer höheren Form von Erotik gewichen. Ohne Schwulst in Mund und Nase, etwas Puder, etwas Verbene, rote und kandierte Früchte, durchweg klare Linien, sanft geschwungen und weiblich, schmeichelhaft, unverhüllt, gewiss nicht magersüchtig, aber ganz ohne Pölsterchen.

b) Die wenig später geöffnete 1995er Grande Dame konnte ihr Alter nicht verbergen, musste sie aber auch nicht. Mich interessierte nun, wie schnell oder langsam sich die 1995er Grande Dame 1995 fortentwickelt. Meine Hoffnung dabei: langsam, da ich mir vom 1995er Jahrgang mittlerweile noch einige schöne Trinkerlebnisse verspreche. Meine Hoffnung wurde bestätigt. Sicher ist die 1995er Grande Dame nicht mehr mit der Spannkraft einer Berufsanfängerin ausgestattet, dafür mit der versierten Überzeugungskraft einer berufserfahrenen Führungspersönlichkeit. Geschliffen, nobel, weinig und herb, wie ein Businesskostüm von Jil Sander. Auch frische Zitrusnoten aus ihrer ersten Reifephase haben sich erhalten, allem Anschein nach reift die Grande Dame auf dem jetzt erreichten Niveau langsam vor sich hin und wird noch einige Jährchen zur Verfügung stehen, bevor sie sich in die Seniorität zurückzieht.

c) Die Grande Dame 1996 habe ich bewusst weit weg gelegt, damit ich sie nicht versehentlich oder auf ihren Sirenenruf hin öffne. Jetzt war die Verlockung aber doch wieder so groß, dass ich mich rangemacht habe. Zur Strafe erging es mir wie dem Gouverneur Ollendorf in meiner Lieblingsoperette "Der Bettelstudent". Der erhielt von der schönen Comtesse Laura coram publico einen Fächerschlag ins Gesicht. Dabei hatte er sie vorher nur auf die Schulter geküsst. Das junge Fleisch ist nur scheinbar züchtig hochgeschlossen, weiß aber seine Reize sehr gezielt einzusetzen. Verboten scharfe, aber sehr effektiv den Champagner auf seiner Achterbahnfahrt in der Spur haltende Säure, geschwind bis turbulent ablaufende Aromenentwicklung, eine noch streng wirkende Mineralität, die schiere Sünde im Debütantinnen-Habit.

d) Kleines Fazit: Während die Heftigkeit der Umarmung des 1995ers etwas nachgelassen hat und Luft zum Atmen lässt, bockt die 1996erin noch ganz erheblich. Die Umarmung der 1998er Grande Dame ist demgegenüber innig, vertraut und von der richtigen Länge.

2. Über die Special Cuvée von Bollinger zu schreiben, ist ganz unergiebig, denn auf diese Cuvée ist so sehr Verlass, wie auf nur wenige andere Champagner. Trotzdem finde ich es immer sinnvoll, über die Standardbruts der Erzeuger an ihre Prestigeweine, d.h. hier über die Special Cuvée, bzw. den Rosé Sans Année an die jeweilige Grande Année heranzutreten. So mache ich das fast immer. Zur Standardcuvée von Bollinger erzähle ich an dieser Stelle trotzdem nichts und zum relativ neuen jahrgangslosen Rosé vielleicht gleich noch ein paar Worte.

a) Bollinger La Grande Année Blanc 2002, dég. Juli 2010 und dég. Februar 2011

Jetzt erstmal zur ungeduldig erwarteten 2002er Grande Année. Viel zu frisch war die natürlich, aber es half alles nichts, das Zeug musste runter. Was man bei anderen Weinen jung, quirlig, aufgeregt, auch kraftstrotzend oder übermütig nennen würde, erscheint hier nicht recht angebracht. Zwar trifft das alles zu, aber mit mehr Noblesse. Die aktuelle Grande Année ist juvenil, sportlich, trainiert, sehr konzentriert, dabei überraschend emotional. Wahrscheinlich genau der richtige Champagner für Sebastian Vettel. Seit dem 1990er die beste junge Grande Année, die ich getrunken habe.

b) Bollinger La Grande Année Rosé 2002, dég. Mai 2009 und dég. März 2011

Noch frischer als die weiße Grande Année war die Rosé-Version. Innerhalb der Bollingerfamilie ist die Grande Année Rosé, um ganz gegen meine Gewohnheit geschmacklose Inzestscherze auszulassen, der beziehungsreichste Champagner. Der Prototyp des Bollingerchampagners ist gewiss die Special Cuvée. Abgesehen von den Vieilles Vignes Francaises sind alle Champagner des Hauses in gewisser Weise Abkömmlinge von dem damit verkörperten Stil. "Alle" klingt dabei sehr zahlreich, doch gab es zusätzlich zur Special Cuvée lange Zeit nur die beiden Jahrgangschampagner Grande Année und seit dem Jahrgang 1952 die als "R.D." etikettierten Spätdégorgements der Grande Année. Mit dem 1976er Jahrgang trat die Grande Année Rosé dazu. Ein überschaubarer Clan, demnach. Der jüngst hinzugekommene jahrgangslose Rosé musste sich in dieses Bild einfügen, der Bezug zur Special Cuvée ist daher besonders eng. Ca. 6 % Pinot aus Verzenay machen den Unterschied zum weißen Standardbrut aus. Und wie der weiße Standard ist der jahrgangslose Rosé ideal, um sich an die Grande Année Rosé bruchlos heranzutrinken. Die Grande Année Rosé profitiert neben vielen Gemeinsamkeiten allerdings von einem noch exquisiteren Saft als der sans année, nämlich dem Pinot aus der Côte aux enfants. Was das an Verfeinerung und Klassenunterschied bringt, ist enorm. Unter den vielen gut gelungenen 2002ern gehört die Grande Année Rosé zu den besonders hervorhebenswerten Exemplaren. Wenn der Cristal Rosé 2002 der Unterwäscheparade von Vicoria's Secret entspricht, dann ist dies hier Lingerie von Valisere.

3. Drappier, Grande Sendrée

Michel Drappiers Grande Sendrée gehört zu den günstigsten Prestigecuvées am Markt, unter den Häusern vergleichbarer Größe gibt es nach meinem Wissen keines, das eine noch günstigere Prestigecuvée verkauft, die diesen Namen auch verdient hat und nicht einfach nur durch Zufall der teuerste Champagner des Portfolios ist.

a) Grande Sendrée Blanc 2004, dég. Januar 2011

55PN 45CH.

Leider befindet sich die ähnlich gebaute Grande Sendrée 2002 offenbar gerade in einer Verschlussphase, daher ist ein Vergleich zwischen beiden nicht sehr fruchtbringend. Gut hatte mir auf der Vinexpo dagegen die aktuelle Grande Sendrée 2004 gefallen, so dass es mir näherliegend schien, die jetzt nachzuprobieren. Die 2004er Grande Sendrée ist mittelgewichtig, aber nicht schmächtig. Sie gehört zu den Champagnern, bei denen ich immer wieder unterschiedliche Ausprägungen derselben positiven Attribute finde. Sanft und distinguiert, sehr präsent und hellwach. So wie man die Neigung zu einer halsbrecherischen Autofahrweise bei Michel Drappier gar nicht vermuten würde, kann man sich übrigens bei einem Besuch des Hauses, wo sie die Möglichkeit zur perfekten Reifung hat, von der wollüstigen Entwicklungsfreude der Grande Sendrée überraschen lassen. Nach einem doppelten Espresso zum Abschluss eines großen Mahls gibt es jedenfalls kaum etwas schöneres, als eine frische und vorzugsweise junge Grande Sendrée wie eben diesen 2004er für die inoffizielle Hälfte des Abends zu öffnen.

b) Grande Sendrée Rosé 2005, dég. Januar 2011

Mag sein, dass ich noch nicht genügend Grande Sendrée Rosé getrunken habe, mag sein, dass der Jahrgang besonders außergewöhnlich ist; hier zeigte sich ein etwas schwermütiger, melancholischer Rosé mit einem an smoothies erinnernden Früchtemuscharakter. Relativ wenig Säure und ein Schlußpunkt, der die Ballade stimmungsvoll und für mich ein wenig rätselhaft beendet. Wahrscheinlich noch etwas verschlafen, nach dem Dégorgement und ab Frühjahr 2012 überhaupt sinnvoll zu probieren.

In Teil II der Festtagschampagnerreihe geht es weiter u.a. mit Krugs Grande Cuvée.

Im Gespräch mit Francois Hautekeur (Veuve Clicquot)

 

Francois Hautekeur ist neben seinem Job als Önologe im tasting panel von Veuve Clicquot freimütig bekennender Sünder und Genussmensch. Also der ideale Gesprächspartner für ein kleines technisches tasting und ein anschließendes Dîner im verträumten Manoir de Verzy von Veuve Clicquot. Er ist wie ich der Ansicht, dass man den Unterschied zwischen Bio-Champagner und konventionell erzeugtem Champagner nicht schmecken kann. Was man dagegen sehr wohl schmecken kann, ist, ob ein Champagner etwas taugt, oder nicht. Und darauf kommt's an.

Nach einem kleinen Rundgang durch die Keller in Reims – wo mittlerweile eine eigene Präsentationsfläche für die vor kurzem zusammen mit einigen Buddeln Juglar-Champagner in der Ostsee geborgenen Uraltflaschen Veuve geschaffen wurde – landeten wir im schlichten Verkostungsräumchen. Dort gab es einen Blitzüberblick über den Jahrgang 2010.

Vins Clairs:

1. Pinot Meunier

Banane, Mango, wenig Säure. Ich hatte mit 3,15 deutlich über pH 3,0 getippt und lag damit gar nicht so weit weg von der Wahrheit (3,20). Der Pinot Meunier zeigte sich so unverkrampft fruchtig und naiv, dass man ihn wahrscheinlich selbst dann erkannt hätte, wenn man ihn vorher nur aus dem Lehrbuch gekannt hätte.

2. Pinot Noir, Verzenay Grand Cru

Mehr Dimensionen, mehr getrocknete Früchte, Würze, Weite, tiefere Schichtung, Griffigkeit und einen ausgeprägter weiblichen, obwohl noch nicht divenhaften Charakter hatte der Pinot Noir, dessen pH 3,15 ich nicht vermutet hätte.

3. Chardonnay, Chouilly Grand Cru

Auch der Chardonnay hatte pH 3,15, was ich noch viel weniger gedacht hätte. Mineralisch, d.h. mit einer an kaltes, nasses Kalkgestein erinnernden Sprödigkeit war er nur zu Beginn, dann kamen agrûmes, Yuzu-Zitrone, Melonenschale, Waldmeister, Apfel und andere angenehm grüne Aromen zum Vorschein und ließen den Wein bei aller Konzentration doch schlank erscheinen.

4. Vin de Reserve, Pinot Noir Ambonnay Grand Cru 2006

Naturgemäß weiter entwickelt zeigte sich der Reservewein, doch mit einem jugendlichen Habitus. Tannennadeln und Honig, sirupartige Anklänge, die alle gar nicht den Eindruck von Reife und Alter vermittelten, prägten den Wein.

5. Cuvée Carte Jaune, 2010er Tirage (ab 2013 auf dem Markt)

ca. 15PM ca. 50PN ca. 35CH, mit ungewöhnlich hohem Reserveweinanteil von 43% aus den Jahren 2000 – 2009, ohne die Jahrgänge 2001, 2003 und 2005. 10% Taille.

Vordergründig ganz eindrucksvoll der Meunieranteil, wie man ihn bei Veuve mag etwas einfach in der Aromatik und gleichsam als Vorhut, bis nach etwa drei Jahren die fortgeschritteneren Aromenanteile der beiden Großreben soweit sind, dass sie gemeinsam hervortreten können. Sehr diskret daher hier der Pinot Noir, kaum merklich der Chardonnay. Wenn man sich vor Augen hält, dass Francois Hautekeur mit seinen Mitverkostern teilweise bis zu 500 Grundweine vermählt, um die Carte Jaune zu kreieren, dann ist die eigentlich bemerkenswerte Leistung dabei nicht, den Hausstil irgendwie solala zu treffen, sondern ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft so genau zu treffen.

Champagner:

1. Apéritif: La Grande Dame 1998

In der dienenden Rolle als Apéritif-Champagner im Garten des Manoir de Verzy mit Blick über die hinter dem Gartentor beginnenden, sanft talwärts rollenden Rebhügel, vorneweg die wenigen in Verzy beheimateten Chardonnays, gefiel mir die Grande Dame mehr als gut. Mit den Häppchen, die es dazu gab, konnte ich mich größtenteils zurechtfinden, am schönsten war die Kombination aus Shrimps und Gurkenschaum mit der Grande Dame, was mir wieder die weit unterschätzte Eignung der Gurke als Partner zum Wein bestätigte.

2. Vintage 2002

dazu: Blanc de Turbot de Bretagne au Jambon de Canard, Vinaigrette d'Artichauts Violets

Im Gegensatz zum später noch von mir zu diffamierenden 2002er Rosé war und ist der weiße Jahrgang ein richtiges kleines Goldstück. Wie alle Veuve-Champagner kann man ihn solo trinken, ich empfehle ihn aber lieber in Kombination mit Speisen, exzellent war er zum Steinbutt mit Jambon de Canard, eine Art Bresaola von der Entenbrust. Hier gebührt der Küche des Manoir ein großes Lob für die raffinierte Zusammenstellung. Zum Steinbutt allein wäre der Champagner schon tiptop in Ordnung gewesen, zum Jambon de Canard hätte das faszinierende Zusammenspiel von gesalzener Entenbrust und widerhallendem Champagner in den Bann zu ziehen vermocht; die pikant marinierten Artischocken vertrugen sich herzhaft mit dem Champagner. Alles zusammen war eine überreiche Geschmackserfahrung, die ungeübte Esser vorschnell satt und verblüfft zurückgelassen hätte.

Zwei Weinempfehlungen, die ich hier mit Nachdruck wiederhole, gab mir Francois Hautekeur während des Essens, bzw. zwischen den Gängen mit auf den Weg. Da der sinnenfrohe Genussmensch zwar aus dem Nordosten Frankreichs stammt (und eigentlich Autoingenieur ist), aber in Toulouse Önologie studiert hat, kennt er die Weine des Südwestens sehr gut. Ein heißer und letzthin häufiger gehörter Tip ist deshalb der Jurancon Sec "Cuvée Marie" von Charles Hours. Der andere Knaller-Jurancon ist die "Cuvée des Casterasses" von Bru-Baché. Beides Weine, die um die 15 EUR kosten und amtlich liefern, was nicht nur von der prominentesten Jurancon-Fürsprecherin Colette versprochen wird: Noblesse, Feuer und eine geradezu tückische Verführungskunst.

Verführungskunst kultiviert, nein zelebriert der folgende Champagner, dem wir nach einem schwungvollen Auftakt höchst verdient unsere ganze Aufmerksamkeit zuwandten:

3. Cave Privée 1989, dég. 2009

dazu: Carré de Porcelet Piqué de Truffe Noir et Rôti au Jus

Zunächst der Champagner. Wenn man das Leidenfrost-Phänomen auf Champagner übertragen kann, dann ist es bei diesem hier geglückt. Wie auf einer Schicht aus Fruchtdampf tanzt und vibriert der Champagner ohne enden zu wollen über die Zunge. Ganz entgegen der landläufigen Auffassung, dass die einprägsamsten Weine mit besonders herausragenden Aromasensationen aufwarten müssten, ist es hier die unnachahmliche Leichtigkeit und perfekt kontrollierte, gleichzeitig völlig mühelos wirkende Entfaltung der Aromenabfolge, die begeistert. Dazu eignete sich das Ferkelchen sehr gut, wäre aber ohne den Trüffel überfordert gewesen. Die Kombination war sehr gelungen und schmackhaft, ohne ein Ausbund an Kreativität zu sein.

4. Vintage Rosé 2004

dazu: Ziegenkäse mit Olivenöl, Lucullus, alter Comté

Den Vintage Rosé 2002 fand ich Mist. Und wäre ich nicht so ein besonnener und nachsichtiger Mensch, würde ich den Stab schon längst über den 2002er und angesichts der ärgerlichen Korkfehlerquote, die ich in den letzten Jahren ausgerechnet mit der Grande Dame hatte, auch über Veuve Clicquot gebrochen haben. Habe ich aber nicht, was mir den peinlichen Widerruf erspart, den ich sonst beim 2004er Rosé hätte aussprechen müssen. Denn der ist gelungen, rauscht wie flüssige Yogurette in Nase und Pharynx, nervt aber nicht mit der gleichen pappigen Süße; solo aufgrund des jedenfalls für mich detektierbaren Alkohols nicht so sehr zu empfehlen, wie zu weichem Käse, sehr gerne die Scheiben von der Ziegenkäserolle, mit einem Tropfen feinstem Olivenöls gekrönt, oder zum herrlich sahnecrèmigen Lucullus, bzw. Boursault von der Île de France. Zum alten Comté dagegen wollte keiner der Veuve-Champagner so recht passen.

5. Demi-Sec Carafé

dazu: Soufflé aux Fruits Rouges et Sirop de Citron

Selten genug wird hierzulande demi-sec Champagner getrunken. Noch, muss man vielleicht ergänzen, oder auch nicht, man weiß es nicht. Die hartgesottenen Ultra-Brut-Trinker werden sich kaum dazu hinreißen lassen, ein so milde süffiges Weinchen zu öffnen oder ernsthaft selbst zu trinken. Doch hat jeder Trend ein Spiegelbild. So wie vermehrt ultra brut dosierte Champagner auf den Markt kommen, finden sich mehr und mehr die süßer dosierten Champagner in den derart aufgespreizten Portfolios der Erzeuger. Wobei es leichter sein mag, eine Standardcuvée einfach etwas höher zu dosieren, als bloß den Zucker wegzulassen. Denn wo im einen Fall der Zucker einfach noch lieblicher rüberkommt, ist im andern Fall die Cuvée bloß-, ja entstellt und jeder noch so kleine Fehler wie unter dem Vergrößerungsglas sichtbar, wenn kein schmeichelnder Dosagezucker die Schamteile bedeckt. Aus der Karaffe ließ Francois Hautekeur den Demi-Sec servieren, weil dadurch ein nicht unerheblicher Anteil Kohlensäure verschwindet, die das Säureempfinden beeinflusst. So präpariert, kam ein koketter Champagner ins Glas, der sich gegenüber den roten Früchtchen und dem Zitronensirup trotzdem noch etwas ungezogen und kratzbürstig aufführte; die so aufgebaute Spannung sehnte sich nach Auflösung wie eine kleine Septime, blieb aber in diesem Gang unerlöst.

Abschließend gab es mit Cognac Hennessy Paradis und einer schönen Partagas Robusto (mein Lieblingsformat), Serie D No. 4 dann aber doch noch eine verspätete Auflösung und Modulation.

Bio-Champagner nachprobiert

 

I. Françoise Bedel

Ein nettes Wiedersehen mit der stets sehr eleganten Madame Bedel und ihren Weinen. Auf ihre exzellente Cuvée Robert Winer befragt, gab Madame Bedel zur Antwort, dass sie einen 2008er in petto hat. Darauf wird die Champagnerwelt leider noch gute zehn Jahre warten müssen, fügte sie aber sogleich hinzu. Wenn der 2008er mit dem famosen 1996er vergleichbar ist, werde ich gerne warten.

1. Dis, Vin Secret Brut Nature 2003

86 PM 8 PN 6CH. Die Apfelaromen vom letzten Mal haben sich wohl ausmetamorphiert und entschieden, sich in Richtung überreifer Schattenmnorellen zu entwickeln. Trotz seiner weichen Art mit einer angenehmen Spritzigkeit ausgestattet, wobei die Säure etwas überfordert wirkt.

2. Entre Ciel et Terre Brut 2002

100PM. Das feine, leichte elegante Element der Weizenmehlnase hat sich gehalten und verfeinert. Hinzu kommt ein leicht herbes Quittenmusaroma. Der Champagner ist balanciert, lebhafte Säure und eine leichte Mürbe stehen in gutem Gleichgewicht und können sich so sicher noch ein paar Jahre spannungsvoll belauern, bevor der Champagner abbaut.

3. Origin'elle Brut 2004

78PM 9PN 13CH. Alkoholische Nase, im Mund herb. Säurearm und in gewisser Weise effizient: aus dem was er an Meuniercharakter hat, holt er das beste raus.

4. L'âme de la Terre Extra Brut 2002 – informell –

Drittelmix. Erde, Brot, Getreide, wie der Name schon ankündigt. Im Mund glatt, sauber und schnittig, wenn nicht gar seidig. Milde, charaktervolle Herbe.

II. Thierry de Marne, Champagne Frison Demarne

Die allerersten Flaschen gab es, noch ohne Rückenetikett (das später einmal das Dégorgierdatum des jeweiligen Lots tragen wird). Im Frühjahr hatte ich in Paris die damals noch namenlosen Cuvées probiert, nun gab es die in den Startlöchern stehenden Champagner quasi als pre-opening.

1. Blanc de Blancs "Lalore" non dosé, 2007er Ernte

Hatte ich auf meine Merkliste gesetzt und siehe, der Champagner hat sich ganz prachtvoll entwickelt. Frisches Chardonnaynaturell, das mich auf Anhieb an einen am Vorabend getrunkenen 2004er Blanc de Blancs "Les Vents d'Anges" 2004 von Xavier Leconte erinnerte. Knackig, lang, ein vorwärtsdrängender Chardonnay mit einer feinen Butterweck-, Buttercroissantnase. Wenn dieses junge Haus so weitermacht und seinen Champagnern später einmal noch mehr Zeit auf der Hefe gönnt, haben wir einen neuen Spitzenerzeugeranwärter.

2. "Goustan", 2007er Ernte

50PN 50CH. Auch hier lohnt es sich, den Champagner im Blick zu behalten. Rassig, mineralisch; wie seine blonde Schwester mit starkem Vorwärtsdrang, etwas dunkler, eher auf der Krustenbrotseite. Sehr charmantes Mentholfinish.

III. Jean-Pierre Fleury, Champagne Fleury

Aus der Vielzahl der Cuvées von Fleury gab es diesmal drei Champagner.

1. Fleur de l'Europe Brut Nature

85PN 15CH. 2001er Basis mit Reserve aus 2000.

Frische Baumwollnase, dicht gewebt, fast filzig. Etwas chlorig, mittelschwer. Nicht der größte Wurf aus der Fleury-Kollektion.

2. Extra Brut 1995, dég. 2009

80PN 20CH.

Reifer 95er, dem man mit ein wenig glücklicher Spekulation das späte Dégorgement abschmecken kann. Vornerum lebhafte Frische, hintenrum altersangemessen Mürbe. Ähnliche Spannung wie bei Bedels Entre Ciel et Terre 2002. Kann noch ein ganze Weile.

3. Rosé de Saignée Brut (2007)

80PN 20CH.

Herber, kräftiger Rosé, dessen Blumendekor über sein männliches Interieur täuscht.

IV. Bertrand Gautherot, Champagne Vouette & Sorbée

Bertrand Gautherot stellte die Erzeugnisse seiner Kinder vor.

1. Fidèle

100PN. 2007er. Dégorgiert am 14. Dezember 2009. Je mehr Flaschenreife der Champagner bekommt, desto weiter entfernt er sich von seinem niedlichen Namen. Zur Zeit wirkt er kraftstrotzend und zeigt das reinste Raubkatzennaturell. Fleischig, gerbstoffig, lang.

2. Blanc d'Argile

100CH. 2007er. Am 12. Januar 2010 dégorgiert. Immer noch Banane, immer noch üppiges Erdbeer-Himbeer-Aroma, das sich mit Luft in einen gar nicht mal unangenehmen Klebstoffduft umwandelt. Sehr sportlicher, ausgeruhter und mühelos wirkender Typ, geht wie ein Rennwagen über die Zunge. Vom Holz merkt man nicht mehr ganz so viel. Wird sich weiterhin positiv entwickeln, denke ich.

3. Saignée de Sorbée

Ein 2006er. Dégorgiert am 12. April 2010. Dieser Champagner hat sich gegenüber dem letzten Mal gefangen. Ein betörender und für Roséchampagner ungewöhnlich geheimnisvoller Boudoirduft macht sich bemerkbar, floral, mit Maiglöckchen und Lilie. Ein Verkoster meint: das ist der Duft von getragenen Damenstümpfen. Wenn ich meine Damenstrümpfe ausziehe, duften die nicht so, aber wahrscheinlich meinte der Kollege das auch nicht. Am Gaumen ist der Champagner eigenwillig schön, die florale, etwas cremige Textur bleibt lang am Gaumen.

V. Vincent Laval, Champagne Georges Laval

Ohne Bart sieht er nicht mehr aus, wie Käpt'n Haddock; cool und entspannt, prächtig gelaunt präsentiert er seine Champagner, dass es eine Freude ist.

1. Cumières Premier Cru Brut Nature

2006er. 50CH 25PN 25PM. Kraftvoll, crèmig, etwas fleischig, milde Parfumnote, Duft von Nivea und Zitrusfrüchten. Am Gaumen dann pinotgeladen, weinig und gefühlvoll. Entwickelt sich scheinbar recht flott.

2. Les Chênes Cumières Premier Cru 2005

100CH. Starker Champagner in kleiner Auflage (1776 Flaschen und 49 Magnums). Haselnussnote und Aromen aus der Thaiküche. Immer wieder Zitronengras, Ingwer, Limette. Mildes Holz, superbe Sauberkeit und enormes Entwicklungspotential.

3. Cumières Premier Cru Brut Nature 2002 en Magnum

Schwebend leicht, fein, weich, haselnussig, mittelgewichtig. Schlank, doch im Kern sehr konzentriert. Da findet sich eine Ahnung von Ammoniak, die aber nicht zehrend oder sonstwie beschwerend wirkt, sondern dem Wein eine sportliche Aggressivität verleiht, die mir gut gefällt.

4. Coteaux Champenois Rouge Cumières Premier Cru 2008

Langpfeffer, Tellycherrypfeffer, Kirsche, mandel- und Aprikosenkerne. Weich, mit dennoch kerniger Säure, die sich aber nicht aufdrängt und gegen Ende etwas seifig wirkt.

VI. David Léclapart, Champagne David Léclapart

Immer Chardonnay, immer Jahrgang, immer ohne Dosagezucker und stets mit vollem BSA. Das ist die scheinbar einfache Formel, auf die sich David Léclaparts Champagner bringen lassen.

1. Amateur 2007

100CH von sechs Parzellen. Stahltankausbau. Nur ca. 2-3 freies SO2 mg/l. Rund, weinig, etwas kratzig, auch gerbstoffig.

2. Alchimiste 2007

Marzipan, Rosenwasser, Aprikosenmus, weißer Pfirsich, Orangenblüten, auch Fleur de Sel und was das Verblüffendste ist: ein Geschmack von frischer Foie Gras. Enorm.

3. Artiste 2005

100CH von zwei Parzellen. Halb Stahl, halb Barrique. Weich, schaumig, rund und lang. Schmeichelhafte und leichtfüßig daherkommende Mineralität mit darübergestreuten Zuckerblüten. Sanftes Timbre, das ein wenig der Stimme von David Léclapart entspricht

VII. Champagne Leclerc-Briant

Pascal Leclerc-Briant ist leider am 6. Oktober 2010 verstorben.

1990 begann er mit dem biodynamischen Weinbau nach Jacques Puisais in einer nur 50 Ar großen Parzelle. Im Jahr 2000 wurden erst die Lagen Les Crayères und Les Chèvres-Pierreuses, dann der gesamte Rebbestand in Cumières und Verneuil biozertifiziert. Seit 2006 ist der gesamte Rebbesitz von Leclerc-Briant bio-, seit 2008 demeter-zertifiziert. Pascal Leclerc-Briant war einer der unermüdlichen Antreiber in der Region und einer der wirkmächtigsten Biopioniere der Champagne. Auf ihn gehen die Bio-Tastings der AIVABC zurück.

1. Cuvée de Reserve Brut

70PN 30CH aus 06, 05 und 04. Mit 8 g/l dosiert. Entweder hat die zusätzliche Flaschenreife dem Champagner sehr gut getan, oder die vor einem halben Jahr probierte Cuvée de Réserve hatte einen Hau, bzw. war eben einfach noch nicht soweit. Saftig, g'schmackig, mit einer für 8 g/l schon mehr als nur leichten Süße, dennoch mit hintergründiger Kraft. Schöner Standardbrut.

2. Les Chèvres Pierreuses Cumières Premier Cru

40PN 40CH 20PM.

Mein Liebling aus der Kollektion von Leclerc-Briant. Fordernder, druckvoller Mix aus quietschlebendigem Chardonnay und nur scheinbar um Seriosität besorgtem Pinot, der gegen Ende handzahm wird.

3. Cuvée Divine 2004

50PN 50CH.

Weicher Champagner mit dem Charakter von Kalbfleischrollbraten. Was ich auf der Master Class schon festgestellt habe, bewahrheitet sich hier erneut. Der Champagner ist dicht, aber nicht fokussiert, wuchtig, aber nicht massig.

VIII. Bruno Michel

Bruno Michel erklärte mir, weshalb sein "Rebelle" diesen und nicht einen anderen Namen bekommen hat. Weil er die Biobewegung als eine rebellische Bewegung ansieht, die sich gegen den industriellen Massenwein zur Wehr setzt. Eine sympathische Begründung, wie ich finde.

1. Cuvée Blanche Brut

50PN 50CH. 07er Basis mit Reservewein aus 2006. Mit 8 g/l dosiert. Fruchtiger, für die Chardonnays aus Pierry und Chouilly recht typischer Stil, angereichert mit floralen Aromen von Geißblatt und Weißdorn. Stoffig und etwas rauh am Gaumen. Schön.

2. Cuvée Rebelle Extra Brut

2006er von alten Reben. Mit 2 g/l dosiert. Herb, griffig, gegenüber der letzten Probe deutlich runder und nicht mehr so stürmisch-kämpferisch. Kirschkerne und Birnengehäuse, drumherum weiches, sehr aromatisches Fruchtfleisch.

3. Cuvée Blanc de Blancs Pierry Premier Cru

Gegenüber der Cuvée Blanche verfeinert, geschliffener, eleganter, länger und tiefer.

4. Cuvée Rosé

80PM als Saignée und 20CH als Assemblage dazu. Dieser Champagner passt zu Andouillettes, das habe ich beim ersten mal festgestellt und dabei bleibt es nach meiner Meinung auch. Jetzt schmeckt er allerdings schon deutlich feiner nach pürierten Erdbeeren, bzw. Erdbeermargarita. Schlotzig.

IX. Franck Pascal

Neue, wie Franck Pascal einräumte auch schönere Etiketten zieren nun seine Flaschen. Der Inhalt entspricht dem, was ich bereits von ihm kennengelernt habe.

1. Sagesse Brut Nature, dég. 11. Mai 2010

57PM 38PN 5CH.

Alkoholische Nase, wässriger Gaumen. Dann viel Säure. Wieder mal ein viel zu junger Champagner von Franck Pascal. Ich wüsste zu gerne mal, wie die denn in reif schmecken. So kann ich wenig drüber sagen.

2. Tolérance Rosé, dég. 6. Juli 2010

Aus Assemblage entstanden, bilden 96% Sagesse und 6% Pinot-Noir + Pinot Meunier die Cuvée. Etwas enger zusammengeschnürt sind bei diesem Champagner die verschiedenen Stränge aus Säure und wässrig-flüssigem Aromen-Liktorenbündel. Leicht, mineralisch, fruchtarm.

3. Coteaux Champenois Rouge Confiance

Erinnert in der Nase an gedeckten Pflaumenkuchen und an den selbstgebrannten Pflaumenschnaps der Bauern in der Gegend um Nevers. Griffige, konsequent kühl und etas steinig wirkender Pinot.

Nachgespürt: Premier Cru und Grand Cru

I.1 Domaine Déliance Ruban Mauve Crémant de Bourgogne: die kleine, ziemlich unbekannte Domaine erzeugt für etwa ebenso kleines Geld bildhübsche Weine und eben auch Crémants. Dieser ist ein Blanc de Pinot-Noirs, der durch seine helle, freundliche, etwas frische und manchem etwas hoch dosierte Art auffiel. Sanft, etwas säureschwach, gleichwohl vor allem kühl charmant zu trinken. Wird u.a von Tom Stevenson heiß empfohlen und ist in USA sehr gesucht.

I.2 Milazzo Federico II. Rex Sicilie 1993, dég. Herbst 1997: drei Chardonnayklone und etwas Weißburgunder konnten nicht verhindern, daß dieser Wein nun sehr deutliche Reifetöne, strenggenommen sogar eine gewisse Müdigkeit zeigte. Trotzdem ansprechend, mürbe, morbid, von Honignoten geprägt, ließ er Raffinesse vergangener Tage ahnen.

Da es sich nicht um Champagner, sondern nur um eine Einstimmrunde handelte, ergab sich natürlich keine bemerkenswerte Erkenntnis über PC/GC.

II.1 Poul-Justine Premier Cru: der hierzulande nicht sehr bekannte Winzer aus dem auch in der Champagne nicht so berühmten Avenay Val d'Or hat einen schönen, relativ hoch dosierten Champagner von süffiger Art, mit stabiler Frucht und charmanter Säure auf die Flasche gebracht. Der Champagner wurde im Soleraverfahren hergestellt (machen sonst nicht sehr viele: Selosse gehört dazu, Francis Boulards Petraea, Aurelien Laherte experimentiert damit, R. Dumont et Fils aus Champignol-lez-Mondeville an der Aube hat einen Solera-Champagner, die Royal Reserve von Philipponnat profitiert von dieser Methode, die Mis en Caves von Charles-Heidsieck und eine Handvoll weiterer Erzeuger arbeiten ebenfalls noch damit), eine etwas niedrigere Dosage hätte die Feinheiten etwas besser heraustreten lassen können, daß Poul-Justine das gelang, weiß ich von seinem in gleicher Weise hergestellten Jahrgangs-Premier Cru. Der Winzer ist vor einem Jahr leider ohne Nachfolger verstorben.

II.2 Boulard Mailly Grand Cru: gekonnt anoxidierter Apfelsaft vom – für diese Lage ungewöhnlichen – 10%igen Chardonnayanteil, leckere Fruchtnoten, rotfruchtkompottig, saftig, dabei von feiner, leichter Art, mit einem durchgehend präsenten Säuregerüst, das mußte der Grand Cru sein und war es auch.

Der Poul-Justine wirkte etwas naiv-süß neben dem Grand Cru. De mortuis nil nisi bene, doch nicht ganz zu Unrecht sparen viele terroirbedachte Winzer am Dosagezucker.

III.1 Lassalle Cuvée Angeline 1999 Premier Cru: in sich geschlossener, runder, gesunder Wegschlotzchampagner, der ebenfalls mit hoher Dosage daherkam, die aber aufgrund seines insgesamt femininen Art durchaus glaubhaft und stimmig war. Ob die in der Runde gefallene Bezeichnung "kleine Schlam*e" unbedingt zutrifft, kann dahingestellt bleiben, wenn man jedenfalls zugesteht, daß der Champagner eine verführerische, zum beschleunigten Trinken einladende Art hat.

III.2 Bonnaire Cramant Grand Cru Blanc de Blancs NV, en Magnum: fleischig, saftig, aber auch nasse Schafwolle und Sauerkraut. Toastige Noten und chardonnayige Säure, dieser Champagner konnte nicht überzeugen, sondern zeigte eher einen übetriebenen BSA oder sonstigen Weinfehler, der dafür sehr schön, fast vorbildlich gereift war. Ließ sich trinken, war aber leider kein großer Genuß, sehr schade.

Der Premier Cru konnte punkten, während der Grand Cru fehlerhaft im Keller blieb. Insofern leider kein guter Vergleich.

IV.1 Duval-Leroy Authentis 100% Chardonnay, Trépail Premier Cru 1999: Flotter, g'schmackiger, von Feuerstein und anderen steinig-mineralischen Tönen geprägter Champagner. Kontrastreich, voller Schwung und Abwechslung, bescheidener dosiert als die Vorgänger und vom Gesamteindruck auf Grand Cru Niveau.

IV.2 Pierre Peters Cuvée Speciale 1999 100% Chardonnay, Grand Cru Monocru (Chétillons), Vieilles Vignes (72 Jahre Durchschnittsalter): sperrig, eckig, scharfkantig, ein Champagner, der erst gekaut werden will. Wirkte mit seiner etwas ungelenken Art noch etwas zu jung, war aber von beeindruckender Vielfalt und überraschender Fülle, die viel erahnen ließ. Ein Champagner, der irgendwie beeindruckend schmeckte, ohne daß sich das an der Frucht, an der Ausgewogenheit oder an etwas anderem Konkreten festmachen ließ. Ein würdiger Vertreter der Grand Cru Fraktion.

Als Schließer gab es noch einmal den

V.1 Deliance vom Anfang, der gut und gerne als Champagner hätte durchgehen können und

V.2 Duval-Leroy Authentis Petit Meslier 1998. Der holzgeprägte Wein war auf Anhiebüberzeugend und gut, von Fremdartigkeit keine Spur (und das, obwohl die Meslier eine der "verschollenen" Rebsorten ist), wie ein langer ruhiger Fluß zog sich die Aromenprozession über den Gaumen. Ein gelungener Champagner und eine gelungene Überraschung zum Ende des Abends.

Einladung zur I. Champagne Master Class

Liebe Champagnerfreunde,
bei Gelegenheit zahlreicher Champagnerverkostungen wurde ich immer wieder mit der Idee konfrontiert, doch endlich eine Champagne Master Class zu etablieren. Dieser Gedanke hat mittlerweile Form angenommen. Im Laufe der Planung musste ich mich mit mehreren Aspekten auseinandersetzen, die das Wesen einer Wine Master Class ausmachen.

Die Zusammensetzung der Teilnehmer einer Master Class spielte dabei eine wichtige Rolle. Ich habe mich dafür entschieden, die Veranstaltung allen Champagnerinteressierten zugänglich zu machen. Ausschlaggebend war dabei, dass die Verkostungserfahrung von professionellen und privaten Champagnerliebhabern nach meinem Eindruck in der Praxis nicht so weit auseinanderklafft, wie bei Bordeaux, Burgund und anderen Stillweinen. Es erscheint mir deshalb gerechtfertigt, Angehörige beider Gruppen an dem "Exotenthema" Champagner teilhaben zu lassen. Eine weitere wichtige Überlegung war der Probenaufstellung selbst gewidmet. Schon eine kurze Beschäftigung mit der Materie reicht, um festzustellen, wie höchst heterogen selbst ein so überschaubares Gebiet wie die Champagne ist. Dem sollte die Probenzusammenstellung Rechnung tragen, ohne jedoch ein Unschärfe in das didaktische Konzept zu bringen. Ohne vorzugreifen hoffe ich, dass mir der Mix gelungen ist. Schließlich musste ich mich noch mit der Frage befassen, ob und welche Speisen die Verkostung begleiten sollen.

Nach langem Ringen und weil ich weiss, wie anstrengend eine intensive Probe mit zwanzig Champagnern sein kann, habe ich mich für eine Menubegleitung entschieden. Damit fiel gleichzeitig die Entscheidung gegen eine labormäßige, allzu verschulte Verkostung. Bei allem Bildungsmehrwert, den eine Master Class haben soll, steht für mich bei dieser Veranstaltung doch die champagnertypische Lebenslust und ungehemmt hedonistische Begeisterung im Vordergrund.

Ich freue mich, Sie

am Samstag, 21. August 2010 zur I. Champagne Master Class in der Résidence, Essen-Kettwig einladen zu dürfen.

Einen geeigneteren Zeitpunkt als das Kulturhauptstadtjahr kann ich mir für die erste Champagne Master Class in Essen nicht vorstellen. Und es gibt keinen geeigneteren Ort für diese erste Veranstaltung, als das erste Haus am Platz – den exklusiven Club B in der Résidence (2 Sterne im Gault-Millau und 18 Punkte im Guide Michelin). Diese von Patron Berthold Bühlers freundlicher Präsenz gekennzeichnete Chambre Séparée bietet Platz für maximal zwanzig Schlemmer und Geniesser. Werfen Sie hier schonmal einen Blick hinein: http://www.hotel-residence.de/page16/page16.html.

Was es geben wird:
Henri Bach wird zu den insgesamt acht Flights mit zusammen zwanzig Champagnern ein exklusives Sieben-Gang-Menu auf die Teller bringen. Für alle, die sich danach nicht mehr in ein Taxi setzen wollen, hat Berthold Bühler zum Preis von 50 statt 95 Euro pro Person im Doppelzimmer inklusive Frühstückschlemmerbuffet ein kleines Zimmerkontingent reserviert (Einzelzimmer sind für nur 75 statt der sonst fälligen 125 Euro verfügbar).
Zimmerbuchungen können über mich oder direkt in der Résidence vorgenommen werden. Verkostet werden Champagner von 1979 bis 2005, darunter Magnums, Spätdégorgements, Bio-Champagner, Rebsortenraritäten, Starwinzer und renommierte Prestigecuvées, kurz: es wird eine tour d'horizon durch die Champagne.

Die Anmeldung:
Der Preis für Champagner und Menu beträgt 200,00 EUR. Sommeliers und Restaurantfachleute, die an der Champagne Master Class teilnehmen, erhalten auf Wunsch ein Zertifikat. Um den reibungslosen Ablauf zu gewährleisten und allen Interessierten eine faire Chance zur Teilnahme zu geben, ist die Teilnahme nur gegen Vorkasse möglich. Anmeldungen nehme ich per mail und auf den üblichen Kommunikationswegen bis zum 30. Juni 2010 entgegen. Unmittelbar nach Eingang der Anmeldung verschicke ich jeweils eine vorläufige Anmeldebestätigung mit der Bitte um Zahlung des Teilnehmerbeitrags. Die endgültige Anmeldebestätigung versende ich dann in der Reihenfolge der Zahlungseingänge. Es gilt wie immer: wer zuerst kommt, trinkt zuerst.

Ich freue mich auf eine hervorragende Veranstaltung in herrlichem Ambiente mit einer Runde von Champagnerbegeisterten,

Boris Maskow

Der Champagner und die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-Claims-Verordnung). Ein Traktätchen.

Von Normtexten und Erwägunsgründen

Die Europäische Union hat mal wieder ein Meisterstück an gesetzgeberischem Pfusch und mehrfach übersättigter Interessenpolitik unvollendet in die Rechtsanwendung entlassen. Das kann man leicht von fast allen europäischen Normtexten behaupten, deshalb hier die notwendige Konkretisierung: Es geht um die sogenannte Health-Claims-Verordnung. Also eine Verordnung, die sich mit Behauptungen über gesundheitsfördernde Eigenschaften der Produkte von Lebensmittelherstellern befasst. Gewollt ist, wie in diesen Dingen immer, der gewohnte Dreiklang aus Verbraucherschutz, Transparenz und maximalkorrumptiver Industrieprotektion (in den mit unbeschreiblichem Stumpfsinn und einer an vorzeitlich-magische Rituale erinnernden Förmelei jeder Verordnung vorangestellten Erwägungsgründen klingt das freilich so:"… um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, dem Verbraucher die notwendigen Informationen für eine sachkundige Entscheidung zu liefern und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Lebensmittelindustrie zu schaffen"). Wie man diese quirlige Mischung in höchster Verschwiemeltheit ausdrückt und in Normtexte giesst, weiss niemand besser, als der große Drache, die uralte Schlange, die Widerwirker und Satan heißt die europäischen Bürokraten.

Worum es eigentlich geht

Man kann trefflich darüber streiten, ob Champagner hartes Suchtgift oder profanes Lebensmittel, ein schlichtes Nahrungsmittel oder, ohlala, ein richtiggehendes Genussmittel ist. Er ist allem Anschein nach nicht ätherisch genug, um den Klauen der Eurokraten zu entwischen, ein jüngeres Beispiel dafür ist die abscheuliche Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission vom 14. Juli 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse. Wobei ich gar nicht sagen kann, wie hoch das Mass an Mitschuld ist, das die Weinindustrie in diesem Zusammenhang auf sich geladen hat. Doch geht es hier der kämpferischen Einführung zum Trotz unmittelbar weder um die rechtsdogmatische, noch um die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Richtlininen und Verordnungen. Mir geht es vielmehr um ein Thema, das im Weinbau höchst unterschiedlich gewürdigt und angepackt wird. Es geht um das Marketing.

Die Champagnerfamilie als Aristokratenclique

Ein Zweig innerhalb der großen Familie aller Weinbauern hat es zu einer überragenden und Maßstäbe setzenden Meisterschaft im Marketing gebracht. Es ist eine der alten adeligen Linien, und zwar die der Champagnererzeuger. Will man nicht inadäquat verallgemeinern, so kann man dabei zwischen den Champagnern unterscheiden, die herrschenden Häusern angehören und jenen, die dem sonstigen hohen, bzw. niederen Adel angehören – angesichts des ausgeprägten Familiensinns innerhalb dieses überschaubaren Pools spielen Rangunterschiede in den meisten Bereichen keine allzu bedeutende Rolle. Hinzu kommt die bemerkenswerte Offenheit der Champagnerfamilie für Fremde, sei es aus uralt-innewohnendem Instinkt sozialer Wesen oder als Reverenz der Aristokratie an die Macht des Faktischen. Nicht nur am kometenhaften Aufstieg von Francois Vranken lässt sich ablesen, dass die Champagne keine hermetisch geschlossene Gesellschaft ist; um im Bild zu bleiben: es finden Erhebungen in den Adelsstand statt. Die Geschichte des Champagners wäre schließlich nicht denkbar ohne auswärtige Namen wie Müller, Werler, Roederer, Krug, Bollinger, Mumm und Deutz. Nach der hier skizzierten Herrschaftslehre soll im übrigen offen bleiben, ob nicht am Ende der Markt als eigentlicher Souverän anzusehen ist. Joseph de Maistre und Carl Ludwig von Haller würden sich freilich bei dem Gedanken im Grab umdrehen. Man wird ferner vermuten dürfen, dass nicht zuletzt der Koblenzer Konterfeigeber für einen der bekannteren deutschen Sekte, Clemens Fürst von Metternich, mit dieser Idee ebenfalls nicht einverstanden gewesen wäre.

Entr'acte

Dem Champagner steht, das will ich zur allgemeinen Erleichterung vorwegschicken, kein nicht selbstverschuldetes Ungemach ins Haus. Die im letzten Jahr von allerlei Unberufenen daherpalaverte Champagnerkrise ist erwartungsgemäß ausgeblieben, wie die kürzlich veröffentlichten Zahlen des CIVC belegen. Sicher, Häuser wie Piper-Heidsieck streichen ein Viertel ihrer Stellen, in England kostet big house bubbly stellenweise nur noch 17 GBP, das sind nur zwei Anzeichen für einen schwierigen Markt. Aber am Beispiel Champagner kann man gleichzeitig sehen, wie sich gelungenes Marketing langfristig auszahlt und ganz nebenbei eine in klebrig-trüben Beamtenschweiss getunkte Vorschrift spurlos abperlen lässt.

Was macht Kultwein aus?

Das liegt, horribile dictu eigentlich, zu einem nicht unwesentlichen Teil am Kultcharakter des Champagners. Dem wollen wir an dieser Stelle kurz nachgehen. Verfassungsrechtlich bietet sich dazu ein Vergleich mit Religionsgemeinschaften an, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anstreben. Denn um kaum etwas anderes als einen "Kult" geht es letztlich bei der Verehrung bestimmter Weine, bzw. Weinregionen. Man könnte also in analoger Anwendung des Art. 140 GG, und des Art. 137 Absatz 5 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) an eine Kultweinregion bestimmte Anforderungen stellen. Sie müsste "durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten", so die WRV knapp über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Daraus lassen sich für unsere Zwecke drei maßgebliche Elemente isolieren: eine Verfasstheit im Sinne eines bestimmten Terroirs, eine Gefolgschaft im Sinne einer treuen Kundschaft und schließlich noch zeitlich gesehen ein gewisses Stabilitätsmoment. Alles Dinge, die man ebenso an Rhein und Mosel, in Burgund, an der Rhône, in Piemont und Bordeaux findet.

Die profanen Lebensmittel …

Doch was ist nun das Fundament für den außergewöhnlichen Kultcharakter des Champagners? Die Antwort wird man zumindest teilweise bei den elementaren Bedürfnissen und überlebenswichtigen Gemütsbewegungen finden. Beschränken wir uns dabei auf die Lebens- und Nahrungsmittel, denn um diese geht es in der Health-Claims-Verordnung. Ohne Lebensmittel kommt der Mensch, obacht, nicht aus. Kein Wunder, dass hier intensive Werbung und Positionierung stattfindet. Unter den mit Fleiß beworbenen Produkten finden sich gleichwohl nur wenige, die es in Hinblick auf Bekanntheit und positive Konnotationswirkung mit dem Champagner aufnehmen können. Selbst wenn man Junkfood unter dem Gesichtspunkt der Popularität in der Wertung behalten wollte, müssten Hamburger, Fischstäbchen, Zuckerwatte und Co. recht bald ausscheiden, weil ihnen objektiv die positive Wertschätzung abgeht. Gänsestopfleber und Froschschenkel wiederum gelten als essbarer Inbegriff der Gaumenfreude, leiden aber unter dem Verdikt der Tierquälerei. Der zweifellos wichtige Fortpflanzungstrieb scheidet – und es gibt niemanden, der das mehr bedauert als ich – leider ebenfalls frühzeitig aus der Wertung aus, denn sein Markenbild ist trotz hoher Strahlkraft arg gebeutelt – was für unsere Betrachtung nicht entscheidend ist. Seine Bedeutung als Nahrungsmittel dürfte nämlich selbst unter Einbeziehung extremer Praktiken gering sein.

… und was den Champagner davon unterscheidet

Aber der Weg vom Spitzenhöschen zum Spitzenchampagner ist, ich werde nicht müde es zu wiederholen, nicht weit. Er führt über die berühmten Genusscousins aus Bordeaux und Burgund. Ich sage das nicht, weil ich das Bonmot "beim Bordeaux denkt man Dummheiten, beim Burgunder sagt man Dummheiten und beim Champagner macht man sie" kenne. Sondern weil beide Weinregionen seit Jahrhunderten hoffähig sind und mal mehr, mal weniger, mit Wohlstand, Sammeltrieb, höchstem Genuss und tiefer Leidenschaft in Verbindung gebracht werden. Dennoch: selbst ein Spitzenbordeaux wird immer etwas für Londoner Investmentbanker, Gynäkologen und Chinesen sein. Will man selbst da wirklich dazugehören? Geschweigedenn die Mehrheit der Verbraucher? Wie? Na bitte. Die kapriziöse Diva Burgunderwein hat schon mehr erotisches Potential, ist aber so kompliziert, wie eine Frau aus Fleisch und Blut, wenn nicht noch komplizierter, wenn's denn überhaupt möglich ist. Und Châteauneuf? Tja, der ist zwar unheimlich sexy, aber wie das mit Sexyness und Päpsten nunmal so ist, nicht alle finden das gleichermaßen gut. Das Thema Deutschwein und hier natürlich die Spitze der edelsüßen Granaten wäre noch geeignet, eine lange und fruchtbare Diskussion zu entfachen, auch die Italiener hätten sicher einige wichtige Erzeugnisse beizusteuern, die Neue Welt nicht minder, an Kandidaten aus der übrigen Weinwelt mangelt es demnach nicht. Ihnen fehlt jedoch stets das eine oder andere wichtige Element um in puncto Marketingerfolg auf Augenhöhe mit dem Champagner zu rangieren. Keiner dieser Weine evoziert nämlich seit so langer Zeit ein gleichermaßen positives Bild beim Konsumenten, sei er unbeleckter Amateurtrinker oder gewiefter Weinprofi. Wir können also festhalten, dass Champagner in dem lange mit Fleiss aufgebauten und gutgenährten Ruf steht, ein Luxusprodukt der Extraklasse zu sein.

Champagner als Weinphänomen

Als Festgetränk höfischer Unzucht über Jahrhunderte unverzichtbar, sickerte das perlende Nass seit dem Ende der Bourbonenherrschaft immer häufiger und strömender in Literatenfedern und bourgeoise Gelage. Champagner Charlie und das Russlandgeschäft der Veuve Clicquot, Napoleons Neigung zu Lakritze und Champagner, Churchills und nicht zuletzt Bismarcks Freude am Champagner sind glanzvolle Facetten dieses Weinphänomens und bilden dessen Fundament, weshalb also Champagner am Ende bedeutend mehr ist, als nur ein Weinphänomen, sondern lange etablierter Kult, womit sich der Zirkel virtuos, nicht vitios schließt.

Conclusio

Was hat das mit der Health-Claims-Verordnung zu tun? Erfreulich wenig. Denn obwohl nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung nun "jede Aussage oder Darstellung, die nach dem Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften nicht obligatorisch ist, einschließlich Darstellungen durch Bilder, grafische Elemente oder Symbole in jeder Form, und mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt" unter den Oberbegriff der "Angabe" fällt, bieten die Werbekampagnen der Champagnerhäuser der Verordnung wenig bis gar keine Angriffsfläche. Art. 4 Abs. 3 schnürt für Getränke mit mehr als 1,2% vol. alc. das Vorgabenkorsett noch einmal enger, indem keine gesundheitsbezogenen, und nährwertbezogene Angaben nur insoweit zugelassen werden, als sie sich auf einen geringen Alkoholgehalt oder eine Reduzierung des Alkoholgehalts oder eine Reduzierung des Brennwerts beziehen. Davon wird man beim Champagner schon produktionsbedingt keinen Gebrauch machen können. Gleichzeitig fällt jetzt selbst Bier unter das harte lebensmittelrechtliche Regime dieser Verordnung, was die Situation für Werbetreibende auf diesem umkämpften Markt nicht erleichtert. Eine schwierige Situation also für eine Agentur, die das Werbebudget einer Champagnerfirma anzapfen möchte. Doch genau hier bewährt sich der Champagner: es bedarf keiner umständlichen Aussagen, um Champagner zu verkaufen. Champagner muss nicht erklärt werden, Champagner muss nicht angepriesen werden, sondern Champagnerwerbung braucht nur die fest in der Vorstellungswelt ihrer – potentiellen – Konsumenten verankerten Assoziationen von Festlichkeit und Luxus anzustoßen, um die vollständige Werbebotschaft an den Mann zu bringen. Champagnerwerbung kann sich, da ist sie der Parfumwerbung oder auch der Werbung für Luxuslimousinen nicht unähnlich und darin liegt die eigentliche conclusio, einen besonders hohen Abstraktionsgrad erlauben. Dadurch entzieht sie sich der (An-)Greifbarkeit durch Regelungen wie die Health-Claims-Verordnung. Und das ist keine besonders moderne Form des viralen Marketings, sondern ein bemerkenswertes Resultat und schöner Nebeneffekt jahrhundertelanger Arbeit.

Celebrity Death Match im Champagnerleistungszentrum (Teil I.)

I.1 Veuve Clicquot La Grande Dame 1993

62PN Grand Crus Verzenay, Verzy, Ambonnay, Bouzy, Ay, 38CH Grand Crus Avize, Oger, Le-Mesnil-sur-Oger

Nougatnase, Mandelcrème, Kokos und Sahne, danach rote Beeren und Apfel, später überwiegen nussige Töne und kristalliner Honig. Man merkt dem Champagner an, dass er schon einige Jahre in der Flasche verbracht hat und letztlich merkt man auch, dass 1993 kein Jahrgang für die lange Reifung ist. Ich fand die Grande Dame schon etwas aus dem Gleichgewicht, wie eine alternde Diva, die nie den ganz großen Durchbruch hatte und morgens schon leicht angetrunken ist. Darüber täuscht selbst professioneller Aromenzirkus nicht hinweg. Zum Essen mit Sicherheit ein größeres Vergnügen, als solo.

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I.2 Dom Ruinart 1993

100CH

Das passende Gegenstück zur Grande Dame war dieser Dom Ruinart. Niemals werde ich begreifen, warum es ihn gibt und warum es dafür keinen 1995er Dom Ruinart gibt. Diese Frage bewegt mich in etwa so sehr wie die Frage, warum es zwar einen 1978er Dom Pérignon, aber keinen 1979er gibt.

Reif, aber noch nicht senil war der Dom Ruinart, ohne das weltläufige Format eines alternden Playboys und ohne die sympathische-schrullige Art mancher anderen reifen Champagner. Vergangene Größe zu ahnen, fiel mir die ganze Zeit über schwer. Schwung, Rasse, Frische waren komplett weg und das was übrig geblieben ist, waren Anzeichen für einen vor paar Jahren noch überdurchschnittlichen, aber mit Sicherheit nicht bewegenden Champagner.