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Monthly Archives: Dezember 2011

Die Frohe Champagnerbotschaft in anderen Medien

Rechtzeitig zum Fest und Jahreswechsel verlasse ich meinen angestammten "Arbeits"-Platz am Champagnerverkostungstisch und trage das Champagnerevangelium in andere Medien hinein. Beispielsweise diese:

 

TV:

In fernsehgerechter Kürze bei Planet Wissen im WDR, bzw. SWR und BR Alpha, Themensendung zum Champagner: zum Champagner Internetstream von Planet-Wissen.

 

Print:

Im Münchner Foodhunter, dem Exquisitmagazin für kulinarische Entdeckungen: zum Interview im Foodhunter.

 

Radio:

MDR INFO, Sendung vom 31. Dezember 2011, Silvester-Thema: "Immer mehr Deutsche trinken Champagner. Wie kommt's?" – Beitrag anhören: Champagner.

Hier geht's zur Mediathek des MDR.

 

Im realen Leben:

Die nächsten Verkostungen und Champagner Master Classes stehen an!

Verkostungen finden bundesweit an geeigneten Orten statt. Master Classes finden immer in Sternerestaurants mit abgstimmtem Menu statt. Beide sind immer schnell ausgebucht. Flink sein lohnt sich deshalb mehr denn je.

Weitere Infos gibts nach Anmeldung für meine Champagnerdepesche per Mail. Zur Anmeldung für die Champagnerdepesche.

Einige Schaumweine dieser Welt

 

Wer zu den Festtagen partout keinen Champagner servieren kann, will oder sich, horribile dictu, daran sattgetrunken hat, öffnet einfach einen anderen Schäumer. Möglichkeiten gibt es viele, hier sind fünf teilweise etwas ausgefallene Vorschläge:

1. Weingut Im Zwölberich Pinot Noir Brut 2003

Spätburgunder-Rotsekt, Barriqueausbau. Sehr dunkel, optisch in der Nähe von sparkling Shiraz. In der Nase deutlich burgundische Noten und im Mund hat er was von gut gelungenem Frühburgunder, bei dem das Prickeln zunächst irritiert. Noch bevor ich mich dran gewöhnt hatte, war ich von dem Sekt schon satt. Vielesser können sich sowas gern im Sommer zur BBQ-/Cajun-Küche öffnen.

2. Mizubasho Pure Sparkling Sake

Den Hinweis auf diesen Schäumer verdanke ich Tim Raue, der den Mizubasho Pure auf seiner umfangreichen Sake-Karte gelistet hat. Nach Champagner-Alternativen gefragt, fiel dem überzeugten Krugisten zunächst sympathischer Weise nichts ein – warum auch, wenn man mit den Erzeugnissen von Krug zufrieden ist. Dann langte er aber doch noch in die Kellertheke und fischte eine Flasche von diesem Stöffchen hervor. Nicht als Alternative von Champagner im Sinne eines Festgetränks, sondern in einem Teilbereich der Speisenbegleitung sollte der Mizubasho verstanden und getrunken werden. Denn wer traditionellen warmen Sake nicht leiden kann, Pils zum Sashimi nicht schätzt, vom knochentrockenen Riesling bis zum feinherben oder süßen Gewürztraminer und leichten Burgunder schon alle Weinkombinationen durch hat, der greift künftig auf das einzig standesgemäße Begleitgetränk zum rohen Fisch zurück: sparkling Sake vom Nischenmarktführer. Üppige, sehr kräftige Birnennase, fruchtig-bonbonige Töne von kalter Gärung, die man einem auf Reis basierenden Getränk gar nicht zutraut. Im Mund außergewöhnlich fordernd, mit einer alkoholischen Präsenz von Grappalikör, dabei immer eine süßliche Soju-Note forcierend. Für den Sologenuss nicht geeignet, jedenfalls nicht am europäischen Gaumen.

3. Laetitia Brut Coquard Arroyo Valley 2005

Im Großhausstil gefertigter Kalifornier, der hauptsächlich aus Pinot besteht und dessen Saft mit der namengebenden Holzpresse gewonnen wurde. Minimal holzräucherig, kein Schwächling, auch nicht schwabbelig, aber mit merklicher Dosage. Geht als Champagner durch, ohne dass man ihn einem bestimmten Haus zuordnen könnte.

4. Family Estate Cuvée No. 1 Blanc de Blancs

Neuseeland. Marlborough, Blenheim. Daniel Lebrun aus der Champagne tummelt sich im Keller und bringt ein Getränk in die Flasche, das auf hohem Champagnerwinzerniveau mitspielt. Kostet in Deutschland locker 35 EUR, ist also nichts für Champagneralternativensparfüchse. Dürfte aber für bei denen für verblüffte Gesichter sorgen, die der Neuen Welt richtig guten Schaumwein nicht zutrauen.

5. Astoria Prosecco Valdobbiadene DOCG Cuvée Tenuta Val de Brun Extra Dry 2010

Blumig, birnig, süß, dabei nicht unsauber oder pampig, auch ist die Süße für den Dosagegrad nicht übertrieben oder pampig, selbst eine Ahnung von milder Säure ist noch vorhanden, der Prosecco ist insgesamt rund, wenn man ihn sehr kalt trinkt sicher auch erfrischend und erfüllt alles, was man von Prosecco erwarten darf. Für Prosecco-Fans eine echte Empfehlung. Ich bin leider kein Prosecco-Fan. Deshalb trinke ich den vielleicht in vierzig Jahren nochmal, wenn Süße und Birne sich weiterentwickelt haben. Möglicherweise habe ich dann nochmal ein Erlebnis, wie mit dem Mittsechziger Carpene Malvolti, der für mich aus demselben Grund in der Form seines Flaschenlebens war.

Die ‚großen‘ Champagner: Grande … Dame, Année, Sendrée, Cuvée, … (Teil I)

Zu den Festtagen werden im ganzen Land wieder die im Supermarktregal gekochten Standardschäumer, der stets sehr gesuchte Champagner Bis(s)inger in seinen verschiedenen Spielarten aus dem Hause Vranken-Pommery, oder einer der notorischen Witwen-Klone zum Kartoffelsalat mit Würstln serviert, bzw. vorher oder nachher zur Einleitung des Fests feierlich vom Vati geöffnet, aber natürlich auch jede Menge schöne Winzersekte, Nobelcavas usf. aus der Sprudelecke des Weinkellers gekramt oder mit leuchtenden Augen aus dem Klimakühlschrank hervorgezogen. Einige ganz ganz Wenige werden die Festtage nutzen, ihren Lieben oder der Geliebten ganz besondere Schätze vorzusetzen. Die folgenden Notizen zu den derzeit marktgängigen Großcuvées mag als kleine Orientierungshilfe dienen. Naturgemäß sind nicht alle Champagner dabei. Ich habe mich auf die großen Häuser beschränkt und auch bei denen noch eine Auswahl getroffen. Ausgelassen habe ich nämlich der Einfachheit halber und weil es um große Champagner von großen Häusern geht alle, die nicht ein "Grand(e)" im Namen tragen.

1. Veuve Clicquot, La Grande Dame 1998, 1995, 1996

Auch schon wieder bisschen was her, dass ich die Grande Dame getrunken hatte. Zeit also für eine neuerliche Glasvisitation.

a) Im Frühjahr gab es eine 1998er zusammen mit Veuves Kellermeister Francois Hautekeur im Garten des zauberhaften Manoir de Verzy von Veuve Clicquot, wo wir uns die Wartezeit zum Dîner damit vertrieben, in den Weinberg und die Décolletés der Servierkräfte zu schauen. Das war eine sehr gute Sache, im Grunde hätte man daraus nahtlos ein Fotzsetzung von "Emmanuelle" drehen können. Mehr als ein halbes Jahr später ist die Softpornobeschaulichkeit einer höheren Form von Erotik gewichen. Ohne Schwulst in Mund und Nase, etwas Puder, etwas Verbene, rote und kandierte Früchte, durchweg klare Linien, sanft geschwungen und weiblich, schmeichelhaft, unverhüllt, gewiss nicht magersüchtig, aber ganz ohne Pölsterchen.

b) Die wenig später geöffnete 1995er Grande Dame konnte ihr Alter nicht verbergen, musste sie aber auch nicht. Mich interessierte nun, wie schnell oder langsam sich die 1995er Grande Dame 1995 fortentwickelt. Meine Hoffnung dabei: langsam, da ich mir vom 1995er Jahrgang mittlerweile noch einige schöne Trinkerlebnisse verspreche. Meine Hoffnung wurde bestätigt. Sicher ist die 1995er Grande Dame nicht mehr mit der Spannkraft einer Berufsanfängerin ausgestattet, dafür mit der versierten Überzeugungskraft einer berufserfahrenen Führungspersönlichkeit. Geschliffen, nobel, weinig und herb, wie ein Businesskostüm von Jil Sander. Auch frische Zitrusnoten aus ihrer ersten Reifephase haben sich erhalten, allem Anschein nach reift die Grande Dame auf dem jetzt erreichten Niveau langsam vor sich hin und wird noch einige Jährchen zur Verfügung stehen, bevor sie sich in die Seniorität zurückzieht.

c) Die Grande Dame 1996 habe ich bewusst weit weg gelegt, damit ich sie nicht versehentlich oder auf ihren Sirenenruf hin öffne. Jetzt war die Verlockung aber doch wieder so groß, dass ich mich rangemacht habe. Zur Strafe erging es mir wie dem Gouverneur Ollendorf in meiner Lieblingsoperette "Der Bettelstudent". Der erhielt von der schönen Comtesse Laura coram publico einen Fächerschlag ins Gesicht. Dabei hatte er sie vorher nur auf die Schulter geküsst. Das junge Fleisch ist nur scheinbar züchtig hochgeschlossen, weiß aber seine Reize sehr gezielt einzusetzen. Verboten scharfe, aber sehr effektiv den Champagner auf seiner Achterbahnfahrt in der Spur haltende Säure, geschwind bis turbulent ablaufende Aromenentwicklung, eine noch streng wirkende Mineralität, die schiere Sünde im Debütantinnen-Habit.

d) Kleines Fazit: Während die Heftigkeit der Umarmung des 1995ers etwas nachgelassen hat und Luft zum Atmen lässt, bockt die 1996erin noch ganz erheblich. Die Umarmung der 1998er Grande Dame ist demgegenüber innig, vertraut und von der richtigen Länge.

2. Über die Special Cuvée von Bollinger zu schreiben, ist ganz unergiebig, denn auf diese Cuvée ist so sehr Verlass, wie auf nur wenige andere Champagner. Trotzdem finde ich es immer sinnvoll, über die Standardbruts der Erzeuger an ihre Prestigeweine, d.h. hier über die Special Cuvée, bzw. den Rosé Sans Année an die jeweilige Grande Année heranzutreten. So mache ich das fast immer. Zur Standardcuvée von Bollinger erzähle ich an dieser Stelle trotzdem nichts und zum relativ neuen jahrgangslosen Rosé vielleicht gleich noch ein paar Worte.

a) Bollinger La Grande Année Blanc 2002, dég. Juli 2010 und dég. Februar 2011

Jetzt erstmal zur ungeduldig erwarteten 2002er Grande Année. Viel zu frisch war die natürlich, aber es half alles nichts, das Zeug musste runter. Was man bei anderen Weinen jung, quirlig, aufgeregt, auch kraftstrotzend oder übermütig nennen würde, erscheint hier nicht recht angebracht. Zwar trifft das alles zu, aber mit mehr Noblesse. Die aktuelle Grande Année ist juvenil, sportlich, trainiert, sehr konzentriert, dabei überraschend emotional. Wahrscheinlich genau der richtige Champagner für Sebastian Vettel. Seit dem 1990er die beste junge Grande Année, die ich getrunken habe.

b) Bollinger La Grande Année Rosé 2002, dég. Mai 2009 und dég. März 2011

Noch frischer als die weiße Grande Année war die Rosé-Version. Innerhalb der Bollingerfamilie ist die Grande Année Rosé, um ganz gegen meine Gewohnheit geschmacklose Inzestscherze auszulassen, der beziehungsreichste Champagner. Der Prototyp des Bollingerchampagners ist gewiss die Special Cuvée. Abgesehen von den Vieilles Vignes Francaises sind alle Champagner des Hauses in gewisser Weise Abkömmlinge von dem damit verkörperten Stil. "Alle" klingt dabei sehr zahlreich, doch gab es zusätzlich zur Special Cuvée lange Zeit nur die beiden Jahrgangschampagner Grande Année und seit dem Jahrgang 1952 die als "R.D." etikettierten Spätdégorgements der Grande Année. Mit dem 1976er Jahrgang trat die Grande Année Rosé dazu. Ein überschaubarer Clan, demnach. Der jüngst hinzugekommene jahrgangslose Rosé musste sich in dieses Bild einfügen, der Bezug zur Special Cuvée ist daher besonders eng. Ca. 6 % Pinot aus Verzenay machen den Unterschied zum weißen Standardbrut aus. Und wie der weiße Standard ist der jahrgangslose Rosé ideal, um sich an die Grande Année Rosé bruchlos heranzutrinken. Die Grande Année Rosé profitiert neben vielen Gemeinsamkeiten allerdings von einem noch exquisiteren Saft als der sans année, nämlich dem Pinot aus der Côte aux enfants. Was das an Verfeinerung und Klassenunterschied bringt, ist enorm. Unter den vielen gut gelungenen 2002ern gehört die Grande Année Rosé zu den besonders hervorhebenswerten Exemplaren. Wenn der Cristal Rosé 2002 der Unterwäscheparade von Vicoria's Secret entspricht, dann ist dies hier Lingerie von Valisere.

3. Drappier, Grande Sendrée

Michel Drappiers Grande Sendrée gehört zu den günstigsten Prestigecuvées am Markt, unter den Häusern vergleichbarer Größe gibt es nach meinem Wissen keines, das eine noch günstigere Prestigecuvée verkauft, die diesen Namen auch verdient hat und nicht einfach nur durch Zufall der teuerste Champagner des Portfolios ist.

a) Grande Sendrée Blanc 2004, dég. Januar 2011

55PN 45CH.

Leider befindet sich die ähnlich gebaute Grande Sendrée 2002 offenbar gerade in einer Verschlussphase, daher ist ein Vergleich zwischen beiden nicht sehr fruchtbringend. Gut hatte mir auf der Vinexpo dagegen die aktuelle Grande Sendrée 2004 gefallen, so dass es mir näherliegend schien, die jetzt nachzuprobieren. Die 2004er Grande Sendrée ist mittelgewichtig, aber nicht schmächtig. Sie gehört zu den Champagnern, bei denen ich immer wieder unterschiedliche Ausprägungen derselben positiven Attribute finde. Sanft und distinguiert, sehr präsent und hellwach. So wie man die Neigung zu einer halsbrecherischen Autofahrweise bei Michel Drappier gar nicht vermuten würde, kann man sich übrigens bei einem Besuch des Hauses, wo sie die Möglichkeit zur perfekten Reifung hat, von der wollüstigen Entwicklungsfreude der Grande Sendrée überraschen lassen. Nach einem doppelten Espresso zum Abschluss eines großen Mahls gibt es jedenfalls kaum etwas schöneres, als eine frische und vorzugsweise junge Grande Sendrée wie eben diesen 2004er für die inoffizielle Hälfte des Abends zu öffnen.

b) Grande Sendrée Rosé 2005, dég. Januar 2011

Mag sein, dass ich noch nicht genügend Grande Sendrée Rosé getrunken habe, mag sein, dass der Jahrgang besonders außergewöhnlich ist; hier zeigte sich ein etwas schwermütiger, melancholischer Rosé mit einem an smoothies erinnernden Früchtemuscharakter. Relativ wenig Säure und ein Schlußpunkt, der die Ballade stimmungsvoll und für mich ein wenig rätselhaft beendet. Wahrscheinlich noch etwas verschlafen, nach dem Dégorgement und ab Frühjahr 2012 überhaupt sinnvoll zu probieren.

In Teil II der Festtagschampagnerreihe geht es weiter u.a. mit Krugs Grande Cuvée.

Schlosshotel Hugenpoet: tour de plaisir mit Künstler, Salwey, Knipser et al.

Im Essener Schlosshotel Hugenpoet, wo die besternte Frau Bergheim in gediegenstem Ambiente kocht und eine Übernachtung zwar nicht billig, aber schön ist, habe ich mir einige aktuelle Kreszenzen zu Gemüte geführt. Die beiden jeweils favorisierten Weine der einzelnen Winzer stelle ich im Folgenden kurz vor.

I. Künstler

Künstler einmal in trocken und einmal in süß, jeweils aus der jetzt schon ihre Langlebigkeit ankündigenden Hölle:

1. Hochheimer Hölle Riesling trocken Erstes Gewächs 2010

Den Rummel um die Großen und Ersten Gewächse verstehe ich nicht, Namenswahl und Bezeichnungswirrwarr machen die Angelegenheit nicht sympathischer. Was mir aber trotz meiner Vorliebe für die fruchtigen Kabinette und Spätlesen von der Mosel sehr sympathisch ist: die Hochheimer Hölle von Künstler. Die geht selbst in trocken gut runter. Ein Weingewebe wie Werkstoff aus der Weltraumforschung. Leicht, strapazierfähig, elastisch. Vollreife blassgelbe Früchte. Wirkt zeitlos.

2. Hochheimer Hölle Auslese 2010

Die Aromenintensität von Früchtemus ohne dessen konzentrierte bis scharfe Süße, blumige Noten und eine das ganze Obstgewicht stützende Säure. Von mittlerer Länge.

II. Salwey

Aus dem rundum guten Burgunderangebot bei Salwey fiel es mir schwer, mich zu entscheiden. Letztlich wurden es trotz starker Rotweine doch die Weißen:

1. Henkenberg Weißburgunder Großes Gewächs 2010

Merkliche, aber nicht vordergründige Säure, erstaunlich viel reifes Obst, das den Wein sehr ausdrucksvoll wirken lässt, fast als hätte man gar keinen Weißburgunder, sondern einen Viognier im Glas.

2. Henkenberg Grauburgunder Großes Gewächs 2010

Muskatig, mostig, würzig, etwas pfeffrige, vielleicht alkoholische Schärfe bildet sich außerdem am Gaumen und gleitet Richtung Rachen süßlich aus. Holz ist ebenfalls etwas dabei. Wenn ich es recht bedenke, würde ich rückblickend dem Grauburgunder den Vorzug gegenüber dem Weißburgunder geben, bin mir aber nicht sicher wegen des Lagerpotentials, das ich beim Weißburgunder höher einschätze.

III. Dr. Heger

Nicht sehr überzeugend fand ich die Weine von Dr. Heger. Noch am besten waren:

1. Ihringer Winklerberg Spätburgunder "Mimus" 2008

Gut geraten, aber in allem zu konzentriert, zu viel von allem wahllos über den Gaumen schüttend war der Mimus. Weine dieser Art können sicher eine breite Käuferschicht erreichen, laufen aber auch Gefahr, verwischt und beliebig zu erscheinen. Gerettet hat den Mimus seine warme Erdigkeit, die auf eine schöne Reifung in der Zeit nach dem Abklingen der Früchtedominanz hoffen lässt.

2. Ihringer Winklerberg Spätburgunder *** Großes Gewächs 2007

Dichter an der natürlichen Rasse und Eleganz der Rebsorte war das Große Gewächs. Pektinig bis trocknend fand ich ihn in Spuren, störte mich aber angesichts der reichhaltigen Aromenfülle daran nicht besonders. Butter, Croissant, Marmelade, Mokkabohne, Früchtetee und Schokonote, also mal wieder ein halber Frühstückstisch kam da ins Glas. Anders als beim Mimus wirkte hier alles geschmackvoller komponiert und mit einem schimmernden, extraktigen Glanz überzogen, der mir zwar nicht herbbitter aber durchaus niveacremig vorkam. Vielleicht brauchen beide Weine noch ein paar Jahre, bis sie sich gefunden haben.

IV. J. J. Adeneuer

Aufsteiger des Jahres 2008, Kollektion des Jahres 2009, da sollte sich ein vertiefender Schluck aus der Pulle lohnen. Meine Favoriten von Adeneuer 2010:

1. Frühburgunder trocken 2010

Sehr leicht, trotz schweissiger Note sehr fruchtig, beinahe leichtsinnig, jedenfalls mit viel Freude wegzuschlürfen, mit Cassis und Blaubeermuffin, dabei keinesfalls belanglos, bonbonig oder ein bloßer Saufwein. Gefiel mir besser als der ernstere, viel komplexere, aber auch umständlichere Spätburgunder und ist mit 15 EUR preislich ganz im Rahmen.

2. Walporzheimer Gärkammer (Monopollage) Spätburgunder trocken 2010

Ich will nicht sagen kolossal oder gigantisch, aber jedenfalls am Tag der Probe zu groß für mein Glas, in dem der Wein sich regelrecht gefangen vorkommen musste. Dementsprechend wenig Chancen hatte er, sich auszubreiten und sein Qualitäten zu zeigen. Lorbeer, Wacholder, Laub, Kirschwasser, Pflaume, Veilchen, verhaltene Säure; buttrige Noten fehlten zum Glück hier ganz. Die Anlagen für einen mächtigen Wein waren zweifelsohne da, aber eben wie eine meisterliche Skizze von z.B. Dalì auf einem zusammengeknüllten Blatt Papier.

V. Knipser

Einmal rot, einmal weiß, beide aus einem starken Sortiment noch herausragend:

1. Mandelpfad Riesling trocken Großes Gewächs 2010

Rassig, noch pricklig, schon reichlich kernig, auch noch etwas hefig. Trinkt sich verführerisch gut und ist doch noch so jung. Bestürzend, dass dieser Wein vielfach ausgetrunken sein wird, bevor er sich zu seiner tatsächlichen Höhe aufrichten kann. Die sanfteste Art, großer Riesling zu sein.

2. Kalkmergel Spätburgunder Spätlese trocken 2009

Hier ist die Situation ähnlich wie bei Adeneuer, den Kalkmergel ziehe ich dem ebenfalls verkosteten aber noch völlig unausgeglichenen (nicht im Sinne von spannungsgeladen und bereits trinkbar, sondern im Sinne von nur ansatzweise entwickelt und noch ruhebedürftig) Kirschgarten GG 2008 zur Zeit deutlich vor.

VI. Hans Wirsching

Zwei frankenuntypische Weine gefielen mir bei Wirsching am besten. Das zeigt mir mal wieder, wie wenig ich von Frankenwein wahrscheinlich verstehe.

1. Iphöfer Kronsberg Riesling trocken Großes Gewächs 2010

Nie, nie, nie hätte ich so einen guten Riesling in Franken erwartet. Zitrus, Apfel, Quitte, Mirabelle, Kräuternoten und Boden, umspielt von frei schwingender Süße. Hohe Rieslingkunst, ich bin sehr angetan.

2. TriTerra (Grauburgunder, Weißburgunder, Chardonnay) trocken 2008

Sicher hätte ich auch den Silvaner von Wirsching an zweiter Stelle platzieren können, aber mir sagte einfach die sehr gute, freilich etwas konventionell anmutende Burgundercuvée stärker zu. Buttergebäck, Sahnigkeit und Nusstörtchen, etwas Säure, meinetwegen sogar flüchtige Säure, das Ganze nicht halb so mastig wie es sich anhört, von hoher handwerklicher Güte und elegantem Süßefinish, Wein dieser Art hätte ich im silvanerseligen und ultratrockenen Frankenland gar nicht vermutet. Sicher ein schöner Essensbegleiter.

VII. Drautz-Able

Württemberg gehört zu den Gebieten, in denen ich noch orientierungsloser bin, als sonst schon in der Weinwelt. Von Möbitz und Knauß abgesehen, bin ich kaum mit einem der dortigen Winzer auch nur halbwegs vertraut, auch sagen mir die dort bevorzugten Rebsorten nicht besonders zu.

1. Jodokus Beerenauslese 2009

Exzellent war die Beerenauslese, der zuvor probierte Sekt aus PN PM PB ist mir demgegenüber nicht so sehr in Erinnerung geblieben. Wahrscheinlich ist das besser so. Also die Beerenauslese: die war von einer dunklen, geheimnisvollen Art, raffiniert und vielschichtig, mit einer unter mehreren Schichten versteckten Süße, die man sozusagen erst hervorlocken musste und die sich dann mit einer Delikatesse entfaltete, wie ich sie sonst nur von der Mosel kenne, mit wesentlich höheren Säurewerten allerdings. Spitzenwein, der Jodokus. Unter gleichem Namen gibt es bei Drautz-Able einen 2008er Mix aus Cabernet-Sauvignon, Merlot, Lemberger und Samtrot, der mir wie ein gut gepolsterter Bodeaux vorkam und reichlich gut schmeckte; obsiegen musste aber der Süßwein.

2. Lemberger Reserve trocken "Hades" 2007

Toastig, mit Milchschokolade und Zwetschgenröster. Wenig Säure und ich habe mich außerdem gefragt, was den Wein eigentlich im Kern bzw. natürlich auch außen rum zusammenhält, denn besonders viel Tannin habe ich ebenfalls nicht detektiert. Egal, der Wein hält sich vielleicht selbst irgendwie zusammen und schmeckt mir trotz seiner düsteren Namensgebung sehr gut.

IX. von Hövel

1. Oberemmeler Hütte Riesling Spätlese 2010

Für schlappe 10 EUR gibt es diesen Wein zu kaufen. Mir kam er vor, wie ein Zweizack. Hie Süße, da Säure. So einfach, schön, gut gearbeitet und effektiv wie eine Bratengabel aus Omas Silberbesteckkasten.

2. Scharzhofberg Riesling Großes Gewächs 2010

Abtörnend fand ich die trockene Scharzhofberger Spätlese wegen ihrer ungehörigen Sauvignon-Blanc Aromatik. Im Großen Gewächs war die nicht so plärrend präsent, sondern einem weichen Muskattraubenton gewichen, der dem schlanken, fließend gewandeten Wein gut stand, so dass er mir am Ende besser gefiel als die Kanzemer Hörecker Auslese 2007 – deren Petrol- und Popcornnase ich nicht so unwiderstehlich fand, wie sonst. Obwohl dem trockenen Mosel-Saar-Ruwer Wein abhold, verdient dieses Große Gewächs Lob. Kostet vergleichsweise bescheidene 22 EUR.  

Champagne Floater


1. Paul Dethune Blanc de Noirs, dég. Juni 2010

Üppiger Winzerchampagner mit leichtem Fassausbau, immer wieder eine sichere Bank, leider nicht mehr zum Kleinerwinzerpreis zu bekommen. Tip: die Lotnummern geben bei den Champagnern von Dethune das Dégorgierdatum an. Die Großbuchstaben stehen für die Cuvée, danach kommen die mit (T) gekennzeichneten beiden Endziffern des Jahrs der Tirage. Das (D) steht für das Datum des eigentlichen Dégorgements.

 

2. Marc Hébrart Premier Cru Reserve

Handgerüttelt, ca. 80% Pinot aus Bisseul, Avenay Val d’Or und Mareuil, aus Weinbergen direkt neben dem berühmten Clos des Goisses von Philipponnat; der Rest ist Chardonnay. Zu diesem Champagner habe ich mal Apfelspass notiert und genau das ist die zutreffende Bezeichnung auch nach einiger Flaschenreife. Nicht mehr ganz so ausgelassen tobend, aber mit einer immer noch frappierenden, von lieblicher Säure begleiteten Apfelfülle.

 

3. Janisson-Baradon Brut

50PN 40CH 10 PM.

Eigentlich so etwas wie die Visitenkarte des Hauses, dessen Portfolio sich nach oben hin etwas auszufasern beginnt. Dort steht die meist etwas knorrige Großvatercuvée George Baradon neben der Special Club Einzellage Les Toulettes und beide Champagner sind gut, die Toulettes ohne die Oxidationsneigung vom Opa und mit längerem, stärkerem Griff. Man ist beim Durchkosten erstmal geneigt zu fragen, wo denn das Verwandtschaftliche Element steckt. Wahrscheinlich in der Weinigkeit aller Champagner des Hauses. Denn flirrige Flitterbrause ist nicht das Metier dieses Erzeugers. So ist denn der Brut kein belangloser Appetitanreger, sondern ein hefig-röstiger, für seine Preisklasse sehr fordernder und dabei mit nur wenig Früchteaufwand antretender Champagner.

 

4. Maxime Blin Vintage 2000

Das Massif St. Thierry ist die Heimat der Blin-Familie und eine der ersten Gegenden, die für den Weinbau kultiviert wurde, eine der zahlreichen Wiegen der Champagne, wenn man so will. Reine Schwerkraftpressung ergibt bei Maxime Blin (es gibt eine ganze Reihe Blins in der Gegend, daher obacht bei der Planung von Besuchen auf dem Weingut) einen leichten, fruchtigen, auch blumigen Wein mit nobler Säure und sehr viel Engagement im Mund. Trinkt sich zur Zeit besser als der 2002er.

 

5. Baillette-Prudhomme Reserve

Dreimädelhaus in Trois-Puits. Marie-France, die Witwe von Jean Baillette und ihre Töchter Laureen und Justine führen das unscheinbare Haus mit dem erstaunlichen Keller. Belebend, jugendlich, trotz des Reserveweinanteils, der bei Baillette-Prudhomme meist ziemlich hoch ausfällt und auch mal 70% betragen kann. Palatschinken mit Marille; Kräuter. Nach dem Preisanstieg der girls in jüngster Zeit greife ich am liebsten auf diesen noch bezahlbaren Sprudel zu, bei den Töchtern verkneife ich mir das zugreifen, da muss schauen genügen. 

 

6. Leclerc-Briant Chèvres Pierreuses

40PN, 40CH, 20PM. Biodynamisch.

Hat sich scheinbar wieder etwas gefangen, kam mir aber erneut zu hoch dosiert vor.

 

7. Lamiable Grand Cru Extra Brut

60PN, 40CH. 5 g/l Dosagezucker.

Verführerisch, saftig, rein, aber nicht unschuldig. Sehr weltlicher, genussfördernder Champagner. Von Lamiable habe ich bisher nur Gutes getrunken, mich wundert etwas, dass das Haus nicht dieselbe Aufmerksamkeit erfährt, wie andere, ähnlich gut und konsistent produzierende Erzeuger. Besonders schön finde ich, dass die Auswahl der Champagner nicht verfranst ist, sondern überschaubar, mit sinnvollen Dosageabstufungen, einem anständigen Special Club und einem exzellenten Einzellagenchampagner mit sechzig Jahre alten Rebstöcken: Les Meslaines. Die neue Chardonnaycuvée Phéérie aus dem Pinot Grand Cru Tours sur Marne muss ich erst noch probieren. Ich erwarte eine weitere Bereicherung für die Nische der Blanc de Blancs aus dem Pinot-Eck östlich von Dizy.

 

8. Remy Massin, Rosé

Voilà, die Aube. Nicht ganz die Avantgarde, die Aubewinzer wie Bertrand Gautherot, Cedric Bouchard, Emmanuel Lassaigne oder Thierry de Marne repräsentieren, aber ein Champagner, der das Image der Gegend sicher nicht beeinträchtigen wird. Mollig, eingängig, freundlich, unkompliziert, aber nicht banal, von breiterer Statur als die kühlen Pinots, die man z.B. bei Lamiable finden kann. Überdurchschnittlich guter Aubechampagner, dem das täppische, bäuerliche fast ganz fehlt.

 

9. J.-F. Launay, Cuvée Grain de Folie

Wenn Künstlers Kirchenstück der Pinot unter den Rieslingen ist, dann ist die Cuvée Grain de Folie das was der Elbling unter den Moselrieslingen darstellt oder so ähnlich. Sympathisch-frecher Außenseitercharakter aufgrund seiner stichelnden bis blanken Säure und ein Trinkerlebnis so brenzlig wie ein heißer Flirt mit der Personalchefin. 

 

10. Grongnet, Carpe Diem Extra Brut

70CH 20PN 10PM.

Einer der unbekannteren Special Club Erzeuger, ähnlich wie Lamiable. Der Chardonnay gibt hier klar den Ton an und wirkt so bubenhaft, tatkräftig und unverbraucht, wie der Freiherr zu Guttenberg in seinen besten Tagen. 

 

11. Bérèche  Père et Fils, Réserve

Von fast allen Champagnern hat Rafael Bérèche immer zu wenig, das ist leider so. Den besten Zugriff und Einstieg in seine Geschmackswelt kann man sich aber durch intensives Verkosten seiner langjährig erprobten und stets für gut befundenen Réserve sichern. Für fortgeschrittene Ultrabruttrinker ist der Réserve natürlich nichts, die stören sich an den 9 g/l Dosage und warten lieber auf ihre Miniallokationen an "Beaux Regards", "Reflets d'Antan" oder "Le Cran" – ich ja eigentlich auch, aber irgendwas muss man in der Wartezeit zwischen Zuteilung und erster Flasche, bzw. während der selbst besorgten Flaschenreife ja trinken.  

 

12. Yves Ruffin, Premier Cru Élevé en Fûts de Chêne

75PN 25CH, vinifiziert von von Laurent Chiquet (Jacquesson).

Man weiß nicht, ob und wie lange die Witwe von Thierry Ruffin das Haus in dieser Form führe wird. Sollte sie sich dagegen entscheiden, wäre das ein Verlust. Die Spezialität von Ruffin sind nämlich fassausgebaute Champagner, bei denen jetzt schon viel los ist und bei denen sich gute Önologen sicher noch so richtig schön austoben können, auf der Suche nach dem letzten Schliff. Kraftvoll, holzwürzig, mit nahtlos angesetzter Frucht und frischfröhlichem Ausgleiten.

Kellerparty mit trockenen Rieslingikonen und Schwanengesang

Passender als mit Kellers Hubacker kann man eine Kellerparty gar nicht eröffnen.

I.1 Keller Hubacker trocken 2001

Am Anfang der Kellerparty stand die Frage, ob, warum und welcher deutsche Riesling stärker ist, als österreichischer vom Zuschnitt beispielsweise eines Wachauer Smaragds, vom Zuschnitt eines sagen wir mal: Knoll, Ried Loibenberg. Eine erste Antwort sollte Kellers monolithischer Hubacker liefern, dem aber sogleich aufgrund gerade seiner massiven, nach dem Abklingen eines leichten Eröffnungsprickelns kompromiss- und fugenlosen Art die speziell dem deutschen Riesling so typische Facettenhaftigkeit abgesprochen wurde – nachdrücklich bis krakeelig, unterbrochen nur von ebenso unmittelbar wie stimmungsvoll bis wehmütig angestimmten Versfetzen des Udo Jürgens Klassikers "Griechischer Wein", von einem sonst sehr angenehmen Österreicher übrigens (dessen Sangeskunst keineswegs geschmälert werden soll, wenn ich sie nur knapp unterhalb der Melodie des sterbenden Schwans ansetze). Der jugendliche Eindruck traf auf andeutungsweise firnige Reife, der 2001er Hubacker dürfte jetzt das Hochplateau seiner Entwicklungsfähigkeit erreicht haben.

I.2 Wittmann Morstein trocken 2005

Also musste der etwas jüngere Wittmann ran. Schlank und drahtig zeigte der Morstein den Unterschied zwischen schwerem Panzerkampfwagen und agilem Jagdpanzer. Noten von Popcorn und Pink Grapefruit, Apfel und Ananas, Mineral und Stahl oder anders: nicht nur Feuerkraft und Panzerung, sondern Kraftbeherrschung und Beweglichkeit machen diesen Wein aus. Damit war die Frage nach Deutschland oder Österreich eigentlich schon entschieden. Geklärt werden musste nun noch, wem denn die Krone unter den trockenen deutsche Rieslingen gebührt.

Die beiden Rieslingaufklärer in Punkten:

Keller Hubacker 2001: 93

Wittmann Morstein 2005: 93+

 

II. Kutch Pinot Noir Sonoma Coast 2008

Statt einer Werbepause, wie im Fernsehen kurz vor dem Scheitelpunkt des Spannungsbogens üblich, gab es zwischendurch einen kalifornischen Pinot Noir von Jamie Kutch. Schnell als Pinot aus heißem Anbaugebiet identifiziert, sprach er, da außerdem viel zu jung, nicht alle an, was ich vollauf verstehe. Von meinen verbliebenen drei Flaschen werde ich die nächste erst in vier bis fünf Jahren öffnen.

 

III.1 Emrich-Schönleber Monzinger Halenberg Auslese trocken 2001

Zurück zum Riesling. Und gleich zu so einem erhebenden Wein. Von den vier angetretenen Kämpen war das der filigranste, zarteste, eleganteste, in der Sagenwelt sozusagen der Elf unter den Weinen. Eine erstaunliche Nase, die vom Grundton her zwischen Orangenmarmelade, Lemon Curd und Pimm's No.1 angesiedelt ist und damit sehr englisch wirkt. Außerdem Noten von Kräutertee und eine feinkörnige Süße. Spannungsvoll wie ein englischer Langbogen, mit dem Edward III. im Hundertjährigen Krieg bekanntlich eine legendär gute Figur machte.

III.2 Köhler-Ruprecht Kallstadter Saumagen Auslese trocken R 1998

Rockiger, massiver Wein, der wie eine mittelalterliche Ramme den Gaumen penetriert, so dass der ganze Kopf nachwackelt. Trockenblumen, Kräuter, Honigkruste. Wirkt reif, aber nicht mitgenommen, Säure ist viel da, zeigt sich aber nicht. Die Belagerungsmaschine unter den Rieslingen und trotz seiner gigantischen Abmessungen ohne jede Ähnlichkeit zu den behäbigeren, speckigeren Österreichern.

III.3 Künstler Kirchenstück Auslese trocken 1998

Zurückhaltender, diplomatischer als der Saumagen. Sehr fein gewandet und erkennbar aus bestem Haus bringt er Reiswaffel und türkischen Honig als Gastgeschenk für die Nase mit, eine pikante Zitruszubereitung mit u.a. betörendem Verbeneduft lässt jedes nur denkbare Eis sofort schmelzen, nein sublimieren. Der Pinot des Rieslings, wie der Künstler selber sagt.

III.4 Georg Breuer Berg Schlossberg trocken 2001

Stoffig, herb, rauh; kräftiger Schwarztee und Zitrone. Zupackender als das Kirchenstück, dabei nicht plump oder grobschlächtig, sondern von Säure umgeben, die dem Wein Akrobatik und Elastizität verleiht.

Die vier Rieslingikonen dieses flights stecken das derzeit für mich gültige Weltbild des trockenen Rieslings ab. In Punkten:

Emrich-Schönleber Monzinger Halenberg Auslese trocken 2001: 97

Köhler-Ruprecht Kallstadter Saumagen Auslese trocken R 1998: 96+

Künstler Kirchenstück Auslese trocken 1998: 95

Breuer Berg Schlossberg trocken 2001: 95

Viel besser konnte es also nicht mehr werden. Nur anders.

 

IV.1 Santenay Henri de Villamont Collection du Dr. Barolet 1924

Was macht man auf, wenn man die feinsten trockenen Rieslinge getrunken hat, für süß aber noch nicht bereit ist? Was Rotes. Gut, wenn man in so einer Situation auf eine Buddel aus dem berühmten Bestand vom vedienten Dr. Barolet zugreifen kann. Nicht so gut, wenn der Wein putt ist. Rote Grütze, Schoko und eine immer stärker werdende Metallnote künden von einstiger Größe, die massive Trübung des Weins wies uns Ahnungsvollen aber schon vorab den Weg zur Schädelstatt.

IV.2 Cabernet Franc (?) ohne Etikett von der Loire, wahrscheinlich vor 1931

Man hätte meinen können, einen gut gereiften Lagrein im Glas zu haben, so sehr dominierten Leder, Schuwichse und Paprikanoten, die wir aber als zuverlässige Cabernet-Franc Indikatoren ansprachen.

 

V. Château Fortia Châteauneuf du Pape 1920

Vom Gründer des französischen AOC-Systems gab es nach einem Abend der Superlative noch eine ultimative Steigerung, Wein so anrührend wie der Gesang eines sterbenden Schwans. Ein Wein, der still macht und dem man mit dem üblichen Vokabular gar nicht recht beikommen kann. Speckig, räucherig, bouquet garni, im Mund die meiste Zeit voll üppiger Süße und Malzigkeit, dabei kühlend und balsamisch, erst am Ende wechselt die Rosmarin-Thymian-Mischung ins Medizinal-phenolische. Prall, lebhaft und komplex, wirkte sehr viel jünger als 1920.