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Monthly Archives: Juni 2015

Champagne round-up, glyphosatfrei (hoffentlich), Teil II/II

Oft ist die Rede vom Generationswechsel in der Champagne und andernorts. Da ist etwas wahres dran. Seit den 2000er Jahren ist insbesondere in der Champagne zu beobachten, dass eine neue Generation ans Ruder tritt und das allein wäre sicher nicht der Rede wert, weil es laufend und überall so geschieht. Aber: in der Champagne geht mit dem Generationswechsel ein Paradigmenwechsel einher, den ich schon mehrfach thematisiert habe. Nicht nur, dass die Winzer mittlerweile selbstbewusst als Winzer auftreten und dabei sind, so etwas wie eine Winzeridentität zu bilden – auch wenn es schon wieder gegenläufige Tendenzen geben mag und immer mehr erfolgreiche Winzer sich um eine Négociantzulassung bemühen. Nein, darüber hinaus ist es so, dass immer mehr Winzer immer größere Anteile ihres Rebbesitzes aus dem Traubenverkaufsgeschäft herauslösen, bzw. entsprechende Verträge mit den Traubenaufkäufern nicht verlängern. Je nach Risikobereitschaft belassen die vermeintlich kleinen Winzer nur noch mehr oder minder existenzsichernde Teile ihrer Flächen im Verkaufssystem und leisten sich mit dem anderen Teil die wagemutigsten Experimente. Das bringt die gesamte region weiter, denn je weiter die Winzer in allen Winkeln der Champagne ihre Sache treiben und zuspitzen, desto mehr erfahren wir schließlich über die extreme, zu denen das gebiet als Ganzes in der Lage ist. Einige junge Winzer, die sich überwiegend dem Fassausbau verschrieben haben, stelle ich hier ausschnittweise vor.   
 

Wir starten im Norden, bei Reims.

 

"Minière F & R" steht auf dem Etikett. F steht für Fréderic, R für Rodolphe. Der Champagner kommt aus Hermonville, das vor allem durch Francis Boulard und seine Tochter bekannt geworden ist, sonst kennt man dort eigentlich niemanden groß. Die Cuvée Brut Blanc de Blancs "Blanc Absolu" in ihrer satinierten Milchglasflasche wirkt schon rein äußerlich so schleierig und vernebelt, als hätte man David Hamiltons Idee von erotischer Ästhetik in eine Flasche gesperrt. Geschmacklich ist der Champagner solide, weniger von der fetten, buttrigen Sorte, mehr mit Schmackes und Äpfelsäure, aber letztlich umherirrend zwischen den Stilen. An den technischen Werten kann es eigentlich nicht liegen, dass alls so gedämpft wirkt, der Grundwein wurde ohne BSA im 4- bis 10-fach belegten Holzfass (228 und 300 Liter) vergoren, der Champagner wurde nach fünf Jahren mit 6 g/l dosiert. Und dennoch: absolut ist da gar nichts, verschwommen so einiges. Viel besser gefiel mir die Cuvée Influence, auch dies ein im Holzfass vergorener Drittelmix, ohne BSA und mit fünf Jahren Reifezeit auf der Hefe, abschließend mit 5 g/l dosiert. Der entschieden dunkle Charkater zeigt, dass die Minièrebrüder sich sehr wohl entscheiden können und in der Lage sind, einen Champagner mit klarer Ausrichtung zu produzieren. Röstnoten, Brioche, gesalzene Butter, Brombeermarmelade. Seit die beiden Brüder 2005 den elterlichen Betrieb übernommen haben, wird sich einiges gewandelt haben, nicht nur die Vinifikation (findet sei 2007 ausschließlich im Fassl statt). Es ist zu wünschen, dass sie die bei der Cuvée Influence gefundene Linie weiter verfolgen und ausbauen.   

 

Auf der D27, parallel zur Autoroute de l'Est, liegt westlich von Reims, hinter dem mitterweile weithin bekannten Gueux, der Ort Janvry mit seiner Kooperative Prestige des Sacres. Diese kleine Kooperative konzentriert sich auf Chardonnay und Meunier, Pinot Noir ist dort ohne herausgehobene Bedeutung. Die Cuvée Boisée aus 70CH 30M, vinifiziert im 300-Liter Eichenfass (doppelt getoastet, ein bis drei Jahre alt), wird in kleiner Auflage (4000 Flaschen pro Jahr) und sechs Monate fassgelagert hergestellt, die Dosage nach ca. vier Jahren beträgt 3 g/l. Der Champagner strotzt nicht gerade vor Datteln, Feigen und getrockneten Aprikosen, hat aber immerhin reichlich davon. Auf mich wirkte er wesentlich höher dosiert und nicht sehr fokussiert, vielleicht hat der Meunier von dem ganzen Holz doch einen Knacks mitgenommen. Wie dem auch sei, die Cuvée Boisée ist mit unter 40 EUR gut im Rennenund bietet soliden Trinkspaß. Aus den Stühlen wirft sie sicher keinen, aber wer einen anpassungsfähigen und durchaus originellen Begleiter zum Essen sucht, wird hier fündig.  

 

Weiter geht es in das Marnetal.

 

Avenay Val d'Or liegtgleich neben Ay und Mareuil-sur-Ay und ist nicht annähernd so bekannt wie die beiden Appellationsstars. Das liegt sicher daran, dass dort kein hochmögender Erzeuger seine Hallen errichtet hat. Was schade ist. Denn der Ort hätte das Zeug dazu, wie die Champagner von Yves Ruffin schon vor Jahren und über Jahre gezeigt haben. Sébastien Crucifix ist der jüngste Spross einer Winzerfamilie, deren neuere Geschichte 1947 in der örtlichen Kooperative begann und seit 2005 hat er die Geschicke des Hauses nun selbst in der Hand. Seine handschrift, die international geschult ist, kommt in der auf 1000 Flaschen begrenzten Cuvée Signature (80CH 20PN) zur Geltung. Ein Extra Brut, im Gegensatz zu den noch arg traditionellen, sprich viel zu hoch (10 g/l) dosierten und recht austauschbaren übrigen Cuvées, die ich probiert habe. Die Cuvée Signature wird in 205 und 300 Liter Fässern vinifiziert, die Grundweine liegen dann auch noch ein Weilchen (sechs Monate) darin und insgesamt braucht die Cuvée Signature an die sieben Jahre, um fertig zu werden. Das Ergebnis ist technisch sehr gut, röstig, aber nicht angebrannt, hefig, mit Brioche, Brotrinde, reifem Apfel, Nüsschen und allem was dazugehört. Was mir noch fehlt ist der touch an Originalität, der über die bloß gute Machart hinausgeht.     

 

In Boursault ist Champagne Claude Michez zu Hause, Laurence und Cyrille bringen unter dem Label La Villesenière zwei limitierte Cuvées heraus. Eine davon ist der Rosé de Saignée aus 80PN und 20CH. 900 Flaschen sind es nur, die Cuvée bekommt fünf bis acht Monate Zeit, im zwei- bis dreifach belegten, mittelstark getoasteten Holzfass zu reifen, bevor sie auf den Markt kommt. Wäre sie kübftig weniger stark dosiert, würde sie mir mehr Spaß machen. So ist der auch in die pflanzliche Richtung neigende Campagner zu süß und wirkt unharmonisch.

 

Von Boursault aus weiter in Richtung Westen liegt Champagne Piot-Sevillano aus Vincelles, gegenüber von Dormans und mithin kurz vor Trelou gelegen, gefiel mir gut. Christine und Vincent haben den uralten Betrieb 2007 übernommen. Die Cuvée Interdite ist das Schmuckstück der Produktion und mit 1500 Flaschen macht sie einen angemessen geringen Teil aus. Sie besteht zu 50% aus Chardonnay, 40% sind Meunier, 10% Pinot Noir. 15% vom Chardonnay haben einige Reifezeit im Fass verbracht, nach zwei bis drei Jahren ist die Cuvée fertig und kommt auf den Markt. Das war gar nicht so einfach, denn eigentlich sollte die Cuvée "Elegance" heißen. Ein Kollege hatte sich den Namen aber schon schützen lassen und den Piot-Sevillanos verboten, ihre Cuvée so zu nennen. Daher die neue, ihrerseits geschützte Namenswahl "Interdite". Verboten ist da sonst eigentlich nichts dran, eher leicht, fein, delikat, damenhaft, mit Rosen- und Orangenblüten, wie ich es ähnlich bei Charlot-Tanneux' Cuvée l'Extravagant empfunden habe.

 

Noch weiter westlich, wieder auf der linken Marneseite, ist Crézancy mit seinem Lycée Agroviticole, wo die jungen Leute von 3,23 ha immerhin sechs verschiedene Champagner und einen Ratafia herstellen, die Ecocert-Zertifizierung steht gerade bevor. Verkauft wird unter dem Namen Delhomme. Hauptakteur ist der Meunier. Gearbeitet wird mit dem klassischen pièce champenois, dem 205-Liter Fass. Mustergültig ist der bananig-birnig-exotische Brut Tradition, der jedem Meunierliebhaber das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Der Trick dabei ist eine minimale Zugabe von Chardonnay, die dem Meunier das nätige Rückgrat und die Struktur für das ganze Obst gibt. Bei einem Preis von 13,30 EUR/Fl. allemal ein Vergnügen. Die Cuvée Euphrasie 2006 ist leider ein etwas simpel geratener Jahrgang, aber nach 2004 hatte es schon der 2005er ziemlich schwer und 2006 war in weiten Teilen der Champagne auch nicht gerade leicht zu händeln, soweit ich weiß, wurde er praktisch durch die Bank nicht als reserve angelegt, wenn nicht unbedingt nötig. Gegenüber dem Brut Tradition sehe ich nur ein leichtes Plus in Sachen Nuss, wesentliche Komplexitäts- oder Individualitätszuwächse konnte ich nicht feststellen, Dafür war der Brut Terroir aus 100M, der 9 Monate im Fass auf der Hefe liegen durfte, wieder sehr schön, wenn auch schüchtern wie ein Schulmädchen. Diese Cuvée erzielte denselben Effekt wie der Brut Tradition, allerdings ohne Zuhilfenahme einer weiteren Rebsorte und mit dem Plus einer behutsamen Fassbehandlung. Mit 23 EUR noch nicht überbezahlt, aber an der Grenze.

 

Gen Süden! In die Côte des Blancs:

 

In Cramant gibt es nach meiner Erfahrung die ausgewogensten Chardonnays überhaupt. Hier treffen sich Frucht, Körper, Säure und das, was man immer als Mineral oder im Sonderfall Champagne eben als Kreide bezeichnet. Mit nur 1,3 ha ist Benoit Diot von Champagne Diot-Legras in Cramant einer der kleinsten Winzer. Seine Cuvée Subtil ist eine Mikrocuvée und besteht, für Cramant absolut ungewöhnlich, nicht nur aus Chardonnay, sondern 50CH 40M und 10PN, die aus le Mesnil, Oger, Avize und Cramant stammen. Die 500 bis 1000 Flaschen, die er pro Jahr macht, werden in feuillettes vinifiziert, das sind Fässer mit 114 Litern Inhalt, die außerdem als Solera aufgebaut sind. Den Rest seiner Trauben verkauft Benoit. Für meinen Geschmack ballt sich in diesem Champagner etwas zu viel Holz, Reife, Konzentration und Dosage (8 g/l), um das ergebnis noch als sonderlich subtil anzusprechen. Auch ist dieser Champagnertyp eigentlich genau das gegenteil desse, was Cramant für mich ausmacht. Oder, positiv gewendet, vielleicht eine extreme Zuspitzung der Cramant-Tugenden. Ein Champagner jedenfalls, der sättigt. Für 28 EUR nicht überbezahlt.

 

Die Champagne wäre nicht vollständig ohne die Aube. Dort tummle ich mich zunehmend und zunehmend gerne.  Jully-sur-Sarce liegt leicht westlich der Achse Bar-sur-Seine, Celles-sur-Ource, Polisot, Polisy, Buxeuil, Neuville sur Seine, Gyé-sur-Seine, Courteron, wo sich einige der schönsten Perlen des südlichen Teils der Champagne finden. In Jully ist Champagne Abin Martinot zu Hause und fertigt auf der Ferme de Chanceron seit 2005 seine Champagner, unterstützt von Frau Peggy. Holz spielt auch hier eine wichtige Rolle, am meisten in der Cuvée Rollon (55CH 45PN), mit 7 g/l dosiert. Die Cuvée ist trotz des hohen Stellenwerts, den Holz in der Familie hat, ohne übertriebenen Holzeinsatz ausgekommen und wirkt nicht nur angenehm bescheiden, unübertrieben und gediegen, sondern sogar fast unscheinbar. Vinifiziert wurde als Hommage an die Vorfahren des Winzerpaares (Urgrossvater Martinot war noch selbst Küfer, die Großeltern von Peggy abenteuerten auf einem hölzernen Segelschiff) im Fass (300 und 600 Liter), mehr als 2000 Flaschen gibt es nicht. Auch kein Übermaß an Komplexität. Dafür viel Trockenfrüchte, dezent autolytische Röstnoten und nur vereizelt Einsprengsel von Honig. Im understatement ist Albin Martinot schon ganz gut. Jetzt müsste noch ein bisschen was mit Ausrufezeichen kommen, so in den nächsten Jahren.   

Champagne round-up, glyphosatfrei (hoffentlich), Teil I/II

Honigbienen, die ich für großartige Geschöpfe halte, bürsten die bei ihren Pflanzenbesuchen am Körper haften gebliebenen Pollenkörner mit ihren Füsschen in Pollenkörbchen den Hinterbeinen, wo sie zu Pollenhöschen verkleben und bei der Rückkehr in den Bienenstock in leeren Waben abgelegt werden, um daraus Honig zu machen. Ganz so ist es bei mir nicht. Doch immerhin nehme ich bei meinen Touren durch die Champagne manche Information mit, um sie dann in mehr oder weniger veredelter Form zu verschriftlichen und mich damit der – zum Glück sehr kleinen – Fach- und interessierten Laienöffentlichkeit aufzudrängen. Jetzt ist es wieder an der Zeit, eine dieser Waben zu öffnen und einige der berichtenswerteren Eindrücke meiner jüngeren Anstrengungen freizugeben.  

1. Fleury-Gille Brut Absolu, Trelou sur Marne, Mix aus Meunier und Pinot Noir, von mir schon verschiedentlich probiert und gelobt, fühlte sich beim trinken an wie – ja, wie Trinken. So klar, gerade und isotonisch, mit so viel unverfälschter Natürlichkeit, die ich in dem von mir bisher noch kaum weiter erforschten Trelou schon jetzt für beinahe selbstverständliche Grundhaltung der – mir bekannten – Erzeuger annehme.

2. Hatt et Söner 2009, produziert von Francois Vallois in Bergères-lès-Vertus, war mit Toffee, Milch und einer sahnigen Crèmigkeit beladen, ganz am Ende hatte ich auch den Eindruck von milder, ungewöhnlich früh entwickelter Pilzigkeit, wie bei einem zwergwüchsigen Dom Pérignon. Überbordend und hipsteresk altertümelnd war auch das Etikett, das an Tapetendekor in besseren Designhotels erinnerte.

3. Roger Manceaux, Cuvée Grande Réserve Premier Cru, mit Trauben aus Rilly la Montagne und Taissy, war viel niedriger dosiert als der Hatt et Söner und eine stimmige Rückkehr in den Schoß der Champagnerwinzerigkeit, die sich für mich immer durch eine dunkle, an Fassausbau erinnernde Note, durchsetzt mit Oolon-Tee, Malz und Zuckerrübensirup zu erkennen gibt. 

4. Barrat-Masson Grain d'Argile Extra Brut, 50PN 50CH, in Wahrheit undosiert, bot den meisten Spaß, die meiste Komplexität. Der Champagner aus dem südlichsten Zipfel des Sézannais ist irgendwo zwischen Mandelmus und Sesamsüßigkeiten aus dem Orient zu Hause, Kräuterzucker, Wildkirsche und Cola meine ich außerdem vernommen zu haben, das alles ohne den Eindruck jeglicher Süße. Einer meiner Lieblingserzeuger aus der bemerkenswert unaufgeregten Gegend abseits der bekannten Pfade.

Schon länger auf meiner Liste hatte ich Champagne Lecomte aus Vinay, das in der Vallée du Cubry liegt und somit in den Côteaux Sud d'Epernay. Der Cubry ist ein kleiner Bach, der sich aus dem Forêt d'Enghien bei St. Martin d'Ablois Richtung Epernay schlängelt. Der Legende nach trifft man dort jeden Morgen um 3 Uhr den bleichen Geist der schönen Adelsdame Alix, die im 13. Jahrhundert hier unglücklich verliebt ertrunken, bzw. in den Armen ihres Vaters gestorben sein soll. Entlang der Strecke von Epernay bis nach Festigny, auf der D36 gut zu fahren, finden sich zudem gleich mehrere Winzer, deren Meuniers besondere Beachtung verdienen. Unter ihnen ist aus Moussy natürlich José Michel einer der bekannteren, unter den Neulingen ist gewiss Sélèque der bekannteste. Festigny und Leuvrigny sind ihrerseits Bastionen des Meunier, wobei Loriot und der später hier im Text noch angesprochene Christophe Mignon zu den dort führenden Winzern zu rechnen sind. Abseits der Route liegt Chavot, noch am Eingang der Côte des Blancs und Grauves, praktisch auf der Hügelrückseite von Avize. Beide Orte haben ihrerseits ein eigenes Profil und am meisten macht meiner Meinung nach Aurelien Laherte in Chavot daraus, wohingegen Grauves mit seinen kühlen, säurelastigen und als Verschnittpartnern begehrten Chardonnays leider buchstäblich im Schatten liegt.

5. Lecomte Cuvée Darling Brut 100% Meunier, ist für geübte Trinker ganz gut als Meunier identifizierbar. Dunkle Frucht ist da, Brot und Luftton auch, die Dosage hält sich dezent zurück, die Säure auch und genau daran lässt sich die Rebsorte festmachen. Wenn man soweit gekommen ist, kann man außerdem feststellen, dass die Meuniers aus den Côteaux Sud d'Epernay gar nicht so exotisch-fruchtig sind, wie man der Rebsorte immer nachsagt, bzw. dass sie es hier im Gegensatz zu den Meuniers in der Vallée de la Marne eben nicht sind.   

6. Maurice Grumier Ultra; wenn wir schon über Vallée de la Marne reden, dann dürfen wir Fabien Grumier nicht unterschlagen, der in Venteuil einen guten Job macht und obendrein ein sympathischer Kerl ist. Der Ultra Brut ist bekanntlich ein Drittelmix auf 2009er Basis mit fünf Jahren Hefelager und Solera-Reserve, zum Einnorden des Gaumens bestens geeignet, mit einer unterschwelligen Bitternote sollte man umgehen können; ich kann's zum Glück.  

7. Tristan H. Brut, ist im Gefolge von Grumier eine gute Idee, geographisch betrachtet sind es nur ein paar Kilometer die Marne hinauf, champagnertechnisch betrachtet ist das Rezept ganz ähnlich dem Réserve von Grumier, der als grundlage für den Ultra dient. 50PM je 25PN/CH, 2009er Basis, 7g/l Dosage. Getragen wird der Champagner erkennbar vom Meunier, wobei sich hier die Unterschiede zur Machart wie beim Lecomte gut nachvollziehen lassen, ein ins Herber gehender Charakter verdankt sich hier wahrscheinlich eher den beiden Edelreben. Für mich immer wieder ein Vergnügen.

8. Lallier Millésime Grand Cru 2008 ist in dieser Preisklasse vielleicht nicht der einzige, aber einer von nur wenigen jahrgangsschampagner, die so präzis ausbalanciert sind und Jahrgangseigenschaften wie Reife und Säure so unverfälscht abliefern. Bildschön und leider unterschätzt. Der Rosé von Lallier ist auch nicht unbeachtlich und vielleicht sogar noch stärker unterschätzt, als der Jahrgang. Das liegt daran, dass man sich mit Roséchampagner kaum jemals wirklich ernsthaft auseinandersetzt, von den verrückten Sachen einmal abgesehen. Dafür ist das feld zu dominant besetzt von den üblichen Verdächtigen, dafür gibt es zu viel gleichartig Gutes und viel zu viel gleichartig Belangloses in diesem Segment. Die feinen, liebevoll gemachten, besonderen Rosés herauszufinden, ist noch schwieriger, als das ganze Weingeschäft an sich schon ist. Zu den ganz großen Rosés hat Lallier mit seinem noch nicht aufgeschlossen, aber die besten Anlagen dafür sind vorhanden.

9. Jacques Lassaigne Vigne de Montgueux en Magnum, ist trotz des Durstlöscherformats kein hirnloser Runterspülwein, sondern ein kleines Meisterwerk an Interpretation. Der falsche Weg wäre es, hier nach unendlich vielen Deutungsmöglichkeiten zu suchen. Der Weg ist nämlich vorgegeben: Weinigkeit und Säure zwischen Burgund und den kreidigen Tiefen von Le Mesnil. Weder dem einen noch dem anderen sich zu sehr zu ergeben, bedeutet das. Gebot der Stunde ist es vielmehr, den Montgueux selbst sprechen zu lassen. Dessen Botschaft ist gar nicht so wahnsinnig schwer verständlich und ergibt auch nicht die komplexesten aller Champagner, um hier mit einem auf das Montrachet-Bonmot zurückzuführende Missverständnis und damit hervorgerufenen falschen Erwartungen aufzuräumen. Denn die Champagne ist und bleibt (aller Wahrscheinlichkeit nach) eine Region, die vom kunstvollen Verschnitt lebt und vor allem damit Komplexität erzeugt. Einzellagen, in denen das gelingt, sind die extrem seltene Ausnahme. Der Montgueux allein ist, wie auch die Weine zB aus Bouzy, charakterstark und im Idealfall ein herausragender Verschnittpartner. Als Solowein reüssiert Montgueux dagegen nicht so sehr. Vielleicht, weil seine Aussage dazu doch zu lapidar ist. 

10. Barrat-Masson Blanc de Blancs Les Margannes ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die als abseitig betrachteten Gegenden wahre Schätze bergen können. Ich habe das schon oft von den Kellermeistern großer Häuser zu hören und zu schmecken bekommen, aber es ist natürlich nicht ganz einfach, die Perlen dieser Region in Eigeninitiative ausfindig zu machen. Umso größer die Freude, wenn es denn doch mal gelingt und noch dazu in einem Zusammenhang mit Lassaigne zur Verkostung gelangt. Die UNterschiede liegen auf der Hand und erstaunlich finde ich, dass der Margannes viel karger wirkt, als der auf einem doch viel kargeren, reinkreidigen Boden gediehene Lassaigne. Autolyse, Hefe, ganz zarte Röstnoten vom teilweisen Fasseinsatz und sehr viel nach vorn drängender, den Gaumen penetrierender Chardonnay, wegen der pikanten Noten von Zitrusfruchtkonfitüre von Loic Barrat und Aurelie Masson (bis zur Gründung des 7-Hektarbetriebs Chefönologin der lokalen Kooperative) vollkommen richtig ohne Dosagezucker vermarktet und übrigens auch nicht chaptalisiert. BSA mal so, mal so. Pflichtkauf. 

11. Savart l'Ouverture, ist ein anderer Pflichtkauf für alle, die ihn noch nicht kennen und mal wissen wollen, was Pinot eigentlich noch so alles kann. Und für die, die in Pinot Noir immer nur die erotisierende Diva unter den Trauben sehen. Als ich den Champagner von Frederic Savart vor fünf Jahren zum ersten Mal trank, hat es sofort Peng gemacht und bis heute hallt der Knall nach. Muss man selbst probiert haben – gibt aber leider nicht viel.

12. Dosnon Recolte Noire en Magnum. Ein weiter Weg ist es vom einen Ende der Champagne an das andere, von Ecueil nach Avirey-Lingey, wo Davy Dosnon seine hammermäßigen Pinotchampagner mittlerweile allein macht. Die Récolte Noire kenne ich erst seit drei oder vier Jahren, bin aber nach wie vor begeistert. Aus der Zeit bei Serge Mathieu hat Davy Dosnon sicher die saubere, kontinuitätsgeneigte Arbeitsweise mitgenommen, von Moutard das Gefühl für die aromatische Dimension der ihm zur Verfügung stehenden Trauben. Beides vereint er mit traumwandlerischer Sicherheit in Gaumenvolltreffer. Pfeffer, Schwarzkirsche, den Wechsel der Jahreszeiten, den von Voltaire aus Cirey in Richtung Paris herüberwehenden Esprit, alles vermeint man hier mit allen Sinnen mehr zu spüren als zu schmecken.   

13. Marie-Courtin Efflorescence (2007), näher dran an Avirey als an Cirey ist Polisot, direkt an der Seine, kurz nachdem sie etwas weiter südlich die Laignes aufgenommen hat. In Polisot muss man Dominique Moreau von Marie-Courtin kennen und richtigerweise auch ihren Mann, dessen Champagner unter dem Namen Piollot begeistern. Als Antonio Galloni die 2008er Erzeugnisse von Dominique Moreau so lobend besprach, dass sie in den USA gleichsam über Nacht zum Star wurde, gab es den betrieb noch nicht sehr lange, nämlich erst seit 2006, was ja auch heute noch nicht alt ist. In der Zeit seit es die ersten Champagner von Dominique zu probieren gab, hat sich aber sehr viel getan. Immer ausgefeilter, an den richtigen Stellen naturbelassen und an den passenden Ecken durch behutsamen Eingriff veredelt, wurden die Champagner, wobei man über den letzten, den Rosé wohl noch sprechen muss.    

14. Charlot-Tanneux l'Extravagant Sans Soufre Ajouté, 50CH, 25PN 25PM, sponta vergorener Grundwein, 11 Monate Fassaufenthalt, 4 g/l Dosage, hatte einen lächerlich hohen pH-Wert und jeder gescheite Önologe hätte nach einem ersten Überfliegen der Labordaten gesagt: schütt weg. Nicht so Vincent Charlot, den man übrigens nur selten außerhalb seiner Weinberge antrifft und der bei meinen Besuchen stets erst von dort herbeigerufen werden musste. Ich finde das gut und sehe das wie bei den Köchen, die teilweise ihre hohe Dekoration in Fernsehstudios versilbern, während andere kaum einmal aus der Küche herauszuholen sind und es nur mit viel gutem Zureden zuwege bringen, mal ein Buch o.ä. zu verfassen. Mir ist die letztgenannte Sorte lieber. Vincent vertraute auf die tiefrgündige biodynamische Fundamentierung seiner Weine und ließ den Extravangant ohne BSA, ohne Schwefel, Klärung, Schönung oder Filtration werden wie er wollte und siehe, er wurde gut. Nein, nicht nur gut, sondern extravangant. So anders, wie es nur biodynamische Erzeugnisse zu sein vermögen. So blumig, dass mir schwindelig wurde, mit einer unglaublichen Säure, die wie von einer Metaebene auf den Wein einzuwirken scheint. Leider oder zum Glück konnte ich davon nur extrem wenige Flaschen mitnehmen. Eigentlich sogar nur eine pro Person und Besuch. Da ich aber die anderen bei ihm gekauften Flaschen selbst etikettiert habe, hatte er freundlicherweise ein Einsehen und gewährte mir eine großzügigere Zuteilung, die leider schon wieder komplett verzehrt ist. Der Charlot-Tanneux Expression en Magnum, 70PM 20CH 10PN, ist nach dem Sans Soufre mit gebührendem Abstand zu trinken, wie eigentlich alles danach mit gebührendem Abstand zu trinken ist, außer vielleicht der schwefelfreie Champagner von Marie-Courtin (Concordance heißt er) oder der neue von Leclerc-Briant. Der Expression, um auf den wieder in etwas einfacher nachvollziehbaren Bahnen laufenden Champagner zurückzukommen, ist weniger ein statement für die Rebsorte, als für den Boden. Ich weiß, dass man das schwer trennen kann. Aber nachdem ich die Grundweine von Charlot-Tanneux getrunken habe, die aus derselben Lage auf unterschiedlichen Bodentypen so grundverschieden sind, sehe ich die Dinge anders. Hier gebietet wirklich der Boden über Rebsortencharakteristika und nicht die Rebsorte über den Boden. Die leichthändige Art des Jiu-Jitsu prägt den Champagner, der in allem nachgiebig, eöastisch und flexibel wirkt.  

15. Moet et Chandon Millésime 1988, wirkt gute zehn Jahre jünger als er ist und kann daher immer wieder als Beispiel für die Lagerfähigkeit von Champagner herangezogen werden. Denn bei Licht betrachtet ist der Jahrgang von Moet nur eine ganz gewöhnliche Cuvée, eben mit Jahrgang versehen. Kein Hinweis auf die Lagenherkunft der Trauben oder deren Zusammensetzung findet sich da, was den Champagner formell ziemlich eindeutig in das Lager der einfacheren Cuvées rückt. Auch preislich ist er keine unleistbare Herausforderung und doch bringt er formvollendet alles das auf den Tisch, was man von einem starken Champagner erwartet. Vor allem Komplexität, Balance und eine merkliche Entwicklung, einerseits merklich als Resultat mehrere Jahre in der Flasche, andererseits merklich als Entwicklung, die vor dem Dégorgement stattgefunden haben muss, um die spätere Entwicklung überhaupt zu ermöglichen. Säure und Toast, Röstnoten, Apfel und Nuss versammeln sich da und gern hätte ich diesen Champagner in vier oder fünf Jahren nochmal im Glas, nur leider war dieses meine letzte Flasche.

16. Dom Pérignon 1998, gehörte mit 1999 und 2000 zu den Dom Pérignons der schwachen Phase. Nach der Freigabe schieferig, leicht schwefelstinkig, sonst sehr auf Noriblätter, Jod, Benzbromaron und höchstens noch etwas Toast beschränkt, konnte ich mich nie für dieses trinkbare Sushi begeistern. Erst seit zwei oder drei Jahren dreht sich hier der Wind und der 98er Dom blüht in seiner zweiten reifephase auf. Der 98er P2 ist zum Beispiel bildschön und auch wenn er völlig anders schmeckt als der regulär dégorgierte 98er, bleibt die Verwandtschaft erkennbar. Der normale 98er hat mehr Schrunden, Falten und Narben im Gesich, was ihm gut steht. Zu seiner Dompérignonigkeit bekennt er sich mit nun deutlich auszumachenden Toast-, Röst- und Pilznoten, die in unnachahmlicher Leichtigkeit ineinander verschränkt sind und den Champagner nicht eine Spur alt wirken lassen.   

Die Reifeprüfung – Comtes de Champagne in der Bibliothek (*/16), Balduinstein

Reinsortige Prestigecuvées sind nicht die Regel in der Champagne. Die lebt vom Mix der Rebsorten, Jahrgänge und Lagen. Reinsortigkeit an sich ist deshalb schon ein statement. Die Erzeuger sind mit diesen statements vorsichtig. Bollinger bewirbt die Vieilles Vignes Francaises nicht, Krug hält sich mit den Clos ebenfalls zurück und Salon ist sowieso ein Sonderfall. Nur Ruinart bekennt sich beim Dom Ruinart offen zum Chardonnay. Und Taittinger. Deren Comtes de Champagne gehören zu den selbstverständlichen Kompagnons der Tischkultur, aber man weiß doch recht wenig über sie. Daher schätzt man sie oft falsch ein. Die schlimmste Fehleinschätzung ist die, wenn man den Wein zu früh öffnet. Ein trauriges Schicksal für den Champagner, der zum Spülhelfer degradiert wird, ohne seine Qualifikation je wirklich ausdrücken zu können. Die Tellerwäscher zum Millionär Geschichte kann so jedenfalls nicht funktionieren. Champagner ist aber nunmal nicht, d.h. nicht mehr, der Tellerwäscher unter den Weinen. Vermeiden wir also in Zukunft, und das ist auch die Lehre, die ich mal wieder aus der Verkostung gezogen habe, ein allzu frühes, unbedachtes Wegtrinken großer Champagner, auch wenn es noch so viel Spaß macht. Warten wird mit noch viel mehr Spaß belohnt.

 

Terrassen-Wartechampagner war, bevor es in den gemütlichen Hallen der Familie Buggle, am Fuße von Burg Balduinstein und Schloss Schaumburg losging, der Brut von Taittinger, den man im Jardin de Crayères genauso bekömmlich wegsüppeln kann, wie im schönen Lahntal. Drinnen wurden gerade die Crespelle mit Lachs, Gurke, Kaviar und Wasabi gerichtet, damit es pünktlich losgehen konnte. Derweil kam draußen noch schnell der Comtes de Champagne 1997 in die Gläser, damit keiner auf dem Weg über die Straße dürsten müsse und das Körperinnere gebührend präpariert sei. Der 97er überraschte mit erheblicher Stärke und Präsenz. Makrele, Buchenholzrauch, verbranntes Fett, dazu eine ungeahnte und vor allem ungeahnt fitte Säure, die eine Entwicklung ins Orangige begleitete und selbst durchmachte, bei der mir alle Sünden und frevlerischen Aussprüche über den Jahrgang bitter und verkehrt vorkamen.

 

Der erste förmliche flight des Abends warf mein Weltbild weiter durcheinander. Comtes de Champagne 2005 war mandelig, süffig, voller Sapidität und Sukkulenz, aber genau deshalb auch unkonturiert und nebulös. Wie das bei jungen Großchampagnern eben oft so ist. Viel jünger als getippt schmeckte direkt danach der Comtes de Champagne 2000, dessen ausdrucksstarke Nase und aparte Säure mich eher an 2002 denken ließen. Unfassbar, gleich der zweite angeblich schwache Jahrgang, der so aufdrehte. Danach kam der gerade erst auf den Markt gelangte Dom Pérignon 2005, dessen toastige, röstige, holznahe aber holzfreie Art gerade in einer Comtes-Runde doch erheblichen Erkennungswert besitzen dürfte. Dachte ich. Aber nein, ich griff voll daneben und tippte auf Comtes 2000, den ich tatsächlich gerade erst zuvor im Glas gehabt hatte, nichtsahnenderweise. Beim Aufdecken also großes Hallo und das Koordinatensystem neu geordnet, Comtes 2000 für mich an der Spitze des flights und die beiden 2005er extrem unterschiedlich und dennoch pari.

 

Ein Zweierlei vom Rind mit Roter Bete und Räucheraal gab Gelegenheit zur Besinnung und Neuordnung, unterstützt von Nicolas Feuillattes Palmes d'Or 1996 und Feuillattes Blanc de Blancs 2002. Die Palmes, die man trotz ihres günstigen Preises und ihrer hohen drinkability nie so recht auf dem Schirm hat, wirkten entwickelt, buttrig, mit einer gegen Ende leider etwas wässrigen Art, die Säure hingegen unaufdringlich, wenngleich fortwährend da. Der Blanc de Blancs verblasste neben der fleischigen Körperlichkeit des Palmes d'Or und wirkte etwas eingeschüchtert.

 

Sehr reduziert, mit viel Austernschale, Löwenzahnblüte und kerbeligen Noten trat der Comtes de Champagne 1998 auf. Zwischen Reduktion und Frucht wollte sich nirgends so recht einpendeln der nächste Champagner. Ich hätte ihn in die Zeit nach 2000 gepackt und dachte, wir hätten es vielleicht jetzt mit 2002 zu tun. Aber wieder falsch. Um einen exquisiten, die Fahne des Jahrgangs noch einmal höher haltenden 1995er handelte es sich. Hätte ich, bei aller Begeisterung für dieses Jahr nicht für möglich gehalten. Für deutlich älter hätte ich hingegen den dann folgenden Comtes de Champagne 1999 gehalten. Der schmeckte so ähnlich, wie ein Dom Pérignon 1993 von vor drei Jahren. Erst völlig zugenagelt, dann rasend schnelle Entwicklung von Eisen, Jod und Seetang bis zu Weihnachtsgewürz und schließlich Minzöl. Wenn der Champagner das auch noch in langsam hinbekommt, freue ich mich auf die nächsten Jahre damit, aber in diesem flight bleibt für mich 1995 der klare Sieger.

 

Zur gebackenen Salzwassergarnele mit Lardo, Erbse und Kopfsalat ließe sich sich wahrscheinlich jeder Chardonnay gut trinken, was vor allem an den grünen aber weichen Aromen von Kopfsalat und Erbse und ihrer Empfänglichkeit für Salz jeder Art gelegen haben mag. Das wurde hier über den Lardo eingepflegt und passte sehr gut zum Sortencharakter der Champagner.

 

Zum Wildfangsteinbutt mit grünem Spargel, Spitzmorcheln und Estragon Beurre Blanc durfte es ruhig ein Comtes de Champagne 2004 sein. Zwischen ghee und trinkbarer beurre blanc in der Grundfrom bewegte sich dieser auch immer noch sehr junge Champagner. Natürlich ist das ein wundervolles Spielfeld für Spitzmorcheln. Auch der Butt tat sich nicht schwer und so konnte es nochmals gestärkt weitergehen.

 

Mit viel Rauch, Toast und Seetang kündigte sich der nächste Champagner an. Das fühlte sich an, wie wenn ein Zauberer oder eine Rockband auf die Bühne kommt. Der Bühnenrauch ist nur Show und eine echte Überraschung gibt es nicht, weil man sehr gut weiß, für wessen Show man das Ticket gekauft hat. Ich jedenfalls wäre verwundert gewesen, wenn es sich hier nicht um einen reifen Dom Pérignon gehandelt hätte, wobei ich irrig auf 1985 statt 1983 getippt habe. Den nächsten Champagner habe ich nur wegen seiner Eukalyptus-Mentholnote, die für deutliche und gelungene Reife spricht, für einen älteren Jahrgang gehalten. Sonst war da nichts, was auf Comtes de Chanpagne 1976 hingewisen hätte. Ein Kernstück des Abends. Als würdiger Paladin gesellte sich Comtes de Champagne 1983 hinzu, der sich nicht so zeitlos zeigte wie der Dom, sondern mit oxidativem Schokoton zu kämpfen hatte und bei dem später Minze und Liebstöckel eine Ältlichkeit ergaben die den Champagner müder wirken ließ, als den starken 1976er.

 

Gegrillte Meeresfrüchte mit Orangenfenchel und Bouillabaissesauce, dazu gab es Henriet-Bazin Brut Blanc de Blancs aus dem Erntejahr 2009 (70%) mit einer Solera von 1968 (!) bis 2008. Gepasst hätte wahrscheinlich auch der 97er Comtes mit seinen Orangenfilets, aber der war ja schon lange weg. Nun war es Henriet-Bazins Aufgabe, den Fenchel zu umwerben, was Solera sei Dank bestens gelang und dem frischen Chardonnayanteil des Champagners den Rücken freihielt für die Beschäftigung mit Meeresfrüchten, Röstaromen und Bouillabaisse.

 

Dick und saftig wie das rosa gegarte Bürgermeisterstück vom Kalb, das mit Spitzkohl, Petersilinpurée und Babymais auf die Teller kam, wirkte der erste Champagner des anschließenen flights. Dessen leichte alkoholische Schwere und das entwickelte Walnussaroma ließen einen vorsichtigen Schluss auf Comtes de Champagne 1990 zu. Danach gab es Dom Pérignon 1990, ein Champagner, der wie einst Willy Millowitsch nicht abtreten kann, der auf der Bühne sterben will. Der als Säureschlenker gedachte Comtes de Champagne 1996 hatte leider Kork und musste durch Bollingers Grande Année 1990 ausgetauscht werden, die sich aber nicht in Bestform zeigte. Abweisend, verschlossen, abgekehrt, erkaltet, mit schnell abnehmendem Mousseux. Besser aber immer noch, als der Comtes de Champagne 1986, dessen Whiskynote am Tisch so gar nicht zu begeistern vermochte.

 

Ein versöhnlicher Ausklang wurde uns dann beschert von zwei Champagnern, die man gut auseinanderhalten konnte, Dom Pérignon 1985 und Comtes de Champagne 1985. Natürlich war das Identifikationskriterium beim Dom Pérignon das kräftige Toastaroma und zum Topfensoufflé mit Rhabarber und Käsekucheneis wäre das einer der ganz wenigen Champagner, die ernsthaft etwas beitragen könnten. Wir haben uns aber zum Dessert doch lieber für einen klassischen Süßwein aus dem Hause Schönborn entschieden, der seiner gar nicht so einfachen Aufgabe, zwischen Quark und Rhabarber zu moderieren, gut nachkam.

 

Was habe ich gelernt? Vor allem Details. Die sind wichtig, wenn man es blind mit Wein zu tun hat. Am deutlichsten wurde mir das beim 1976er Comtes. Der schmeckte sehr jung, viel jünger, als der Jahrgang laut Etikett in meiner Vorausbeurteilung je hergegeben hätte. Aber Details in der Nase waren es, die den 76er verrieten. Außerdem habe ich über die Jahrgänge 1997 und 2000 gelernt, dass sie niht nur drei und vier und fünf Chancen verdient haben, sondern dass die Zeiträume zum Nachprobieren deutlich länger gestreckt sein dürfen. Ich werde das mit dem Jahrgang 2003 jetzt so handhaben. Beim Dom Pérignon 2005 habe ich festgestellt, dass er so stark auf typische Merkmale baut, wie vielleicht noch nie zuvor. Mir kommt er zur Zeit vor wie eine Konzentration von Toast und Röstnote, verbunden mit einer Leichtigkeit, die sich paradoxerweise fast greifen lässt.