Eigentlich wollte ich Allerheiligen früh los gefahren sein. Ein am Vorabend spontan einberufenes rencontre in der von mir sehr geschätzten Koblenzer Weinbar gavino sollte meinem alkoholischen Metabolismus dazu schonmal als Leistungsanreiz dienen – eine Rechnung, die nicht ganz aufging. Denn die Alkohol-Dehydrogenase ließ sich mehr Zeit, als erwartet und gewünscht. Die erste Verzögerung brachte es dafür als Ausgleich mit sich, dass ich am geplanten Abfahrtstag ein rencontre ganz anderer Art wahrnehmen konnte, über dessen Verlauf zu sprechen erquickend, aber hier nicht angebracht wäre. So fuhr ich denn mit gern in Kauf genommener Verspätung in die Champagne und dort direkt zu Frédéric Savart, den ich im Keller überraschte. Ohne schuldhaftes Zögern öffnete er die Flaschen seines normalen Programms und komplettierte die Verkostung mit einigen spontan dégorgierten Schätzchen.

1. L'Ouverture

Blanc de Noirs. Basis 2010; 15% Taille, mit 7 g/l RTK dosiert.

Mittlerweile etwas weniger primärfruchtig mit einer Betonung bei den herberen Aromen. Quitte, Kumqat, Orangenschale, auch einen damenhaften Blumenduft vermeinte ich wahrzunehmen und nahm mir sicherheitshalber ein paar Schachteln mit.  

2. L'Accomplie

80PN 20CH, Basis 2009, Reserve aus 2008 und 2007, mit 6 g/l dosiert.

Der hautenge Anzug sitzt noch immer perfekt, der Champagner hat nichts von seinem raubkatzenhaften und latent angriffslustigen Naturell eingebüßt.

3. Millésime 2008

60PN 40CH.

Ohne etwas vorwegzunehmen: die früheren Jahrgänge von Savart zeigen, dass die elektrisierende Säure zum Jahrgangskonzept dazugehört und selbst vermeintlich schwachen Geschöpfen wie dem 1997er Biss verleihen kann. So darf man sich beim 2008er ebenfalls nicht von der Säure täuschen lassen, die so besitzergreifend wirkt, wie der schwarze Spiderman-Anzug auf Peter Parker.

4. Dame de Coeur 2007

100CH, Barriqueausbau, mit 2 g/l dosiert.

Die fülligen, aus dem Dessertsektor stammenden  Aromen seiner Frühzeit sind einem immer noch Körperfülle signalisierenden, aber burgundisch scheinenden, speckig-räucherigen Ton gewichen, ohne sich ganz verdrängen zu lassen. Zuchtmeisterin ist noch immer die Säure und die weitere Entwicklung muss zeigen, ob diese strenge Dompteuse weitere Mitspieler in die Aromenmanege einlässt, oder nicht.

4. Calliope Brut Nature 2006

60CH 40PN.

Vor allem Kastanienhonig beim ersten Mal, Akazie, Jasmin und Kastanienhonig beim zweiten Mal. Die charakteristische Zartbitternote ist es auch diesmal, die mir schon beim ersten Probieren nicht ganz eingängig vorkam und die sich jetzt verabschiedet; hoffentlich schnell genug, um den Champagner noch genügend lange in seiner Entwicklung beobachten zu können. 

5. Rosé

82PN 10CH 8% Rotweinzugabe

Ein lockender Duft von Kirsche, Litschi, Rosenblüten und Kokosflocken, ein impressionistischer Champagner – im Schatten junger Mädchenblüte.

6. Millésime 1999, dég. à la volée

60CH 40PN

Reif war der 99er, ich hielt ihn für einen 98er. Vollmundig und milchschokoladig war er außerdem und apfelig noch dazu, wie ein schokoladenüberzogener Apfel also, auch wenn entfernt leichte Rahnigkeit den schönen reinen Apfelgeschmack anzutrüben drohte. Der Champagner profitierte sehr merklich davon, keinerlei Dosagezucker erhalten zu haben, ich kann mir gut vorstellen, dass er damit kitschig und kirmeshaft gewirkt hätte. 

7. Millésime 1997, dég. à la volée

60CH 40PN

Zunächst pure Auster, die mich an einen irgendwann im Frühjahr getrunkenen und besonders reduktiv ausgefallenen Dom Ruinart 1998 erinnerte. Neben diesem Jodigen Element wirkte die Säure besonders prononciert und stach buchstäblich hervor, bzw. brach durch den Mineralschleier wie die ersten gleißenden Sonnenstrahlen durch den Nebel oder noch anders, wie die grelle Mittagssonne nur wenige Tage darauf in mein Zimmer einige Kilometer weiter im Hotel Les Avisés.  

8. Dame de Coeur 2008, dég. à la volée

100CH

Sehr viel Apfel, eine mittlere Familienpackung Zahnkreide, eine salbeiartige und von den klassischen Zahnputzkräutern gar nicht so weit entfernte herbfrische Note kamen noch dazu und gaben dem Champagner ein eigenes, noch sehr unfertiges Gepräge.

9. Dame de Coeur 2009, dég. à la volée

100CH

Fleischig und sehr burgundisch. Man muss diesen Champagner nicht kniend und mit entblößtem Haupt trinken, aber man kann.

10. Moet et Chandon Ratafia

Nuss, Kartoffel, Maronensuppe. Für einen Ratafia aus den Endsechzigern hat er sich gut, wenn auch nicht überragend gehalten, mir fehlte vor allem ein irgendwie noch Frische vermittelndes Element, wie es sehr guten Ratafia, alten Pineau de Charente und meiner Meinung nach alle vins mutés auszeichnet.