B. Das Marnetal

Die Aube ist das eine Stiefkind der Champagne, das andere Stiefkind ist das Marnetal mit der dort vorherrschenden Meuniertraube. Häuser, die auf sich halten, verwenden keine Trauben von der Aube, ehrenwerte Häuser verwenden auch keinen Pinot Meunier in ihren Champagnern, so kommuniziert es aus immer noch genügend Marketingabteilungen hart an der Wahrheit vorbei in die Welt hinaus. Richtig ist, dass die Aube keine Premier oder Grand Cru klassifizierten Ortschaften zu bieten hat und richtig ist auch, dass Pinot Meunier in klassifizierten Crus kaum bis gar nicht zu finden ist. Wenn sich dann ein Produzent entscheidet, seine Markenbotschaft auf den Cru-Status seiner Champagner zu konzentrieren, gelangen mit der Zeit Regionen wie die Aube und das Marnetal ins Hintertreffen.

Beide Gegenden befreien sich aber momentan gerade dank ihrer umtriebigen Avantgardewinzerschaft vom Image des Minderwertigen, ja manche Aubewinzer schaffen sogar mit der Assoziation zum nahen Burgund ganz neue Botschaften. Bekanntestes Beispiel ist Montgueux, vermarktet als 'Montrachet der Champagne' und ein besonders gelungener Coup. Das Marnetal hat einen solchen Wunderberg nicht, Leuvrigny und Le Breuil haben, obwohl bei den Kellermeistern der großen Häuser berühmt für ihre Spitzenmeuniers, diesen Nimbus nicht einmal von weiter Ferne.

Dafür gibt es im Marnetal eine ungewöhnlich hohe Anzahl langjähriger Biowinzer, von denen ich schon eine ganze Reihe bei verschiedenen Gelegenheiten vorgestellt habe. Francoise Bedel gehört zu den auch unter ihren Winzerkollegen selbst außerhalb des Marnetals bekanntesten und profiliertesten Biowinzerinnen, an ihr kommt man nicht vorbei. Franck Pascal ist ein Erzeuger, der sich dagegen noch in der Findungsphase austobt und sich hierbei von Jahr zu Jahr steigert. Christophe Lefvre schließlich, um die Riege der hier vorgestellten Winzer zu beschließen, ist ein stilistisch wieder völlig eigener Typ der es schafft, Bio-Champagner so ganz und gar un-nerdig, unverquast und gediegen rund zu machen, dass man jeden Vorbehalt gegen die manchmal allzu eckigen und ultraindividualistischen, teils viel zu anstrengenden Biowinzerprodukte gern zurückstellt.


I. Franck Pascal

Der Etikettenwechsel ist fast vollständig vollzogen. Dem kann sich auch der Stil des Hauses von der mittleren Marne nicht entziehen. Sehr deutlich wandelt der sich gerade, alle Champagner durchlaufen BSA und sind im Gegensatz zu früher nicht mehr auf Polarisation und Krawall, sondern auf mehr Balance ausgelegt. Die Dosage geht dafür gegen den allgemeinen Trend leicht nach oben. Insgesamt ist das eine sehr positive Entwicklung, in den letzten drei Jahren habe ich die Champagner von Franck Pascal nie besser getrunken, als jetzt.

1. Sagesse Extra Brut, 2006er Basis

57PM 38PN 5CH.

Alles, was ich mir in den vergangenen zwei Jahren bei mehrfacher Gelegenheit zu den Champagnern von Franck Pascal zurechtgetrunken und über Franck Pascals Champagner gedacht habe, muss ich nun gleichsam über den Haufen werfen. Das grimmige Naturell ist weg, der Sagesse schmeckt keksig, ganz leicht nach Toffee und harmonischem Familiennachmittag, von Säure keine Spur.

2. Tolérance Rosé, 2006er Basis, dég. 13. Dez. 2010

58PM 39PN 3CH, mit 6 g/l dosiert

Was für den Sagesse gilt, gilt ebenso frü den Rosé. Der besteht zu 96% aus Sagesse und zu 6% aus je hälftig Pinot Noir und Pinot Meunier. Von den Champagnern Franck Pascals hat er die beste Entwicklung hingelegt. Vom engen, eingeschnürten Programmsatz ohne Seele zum noch nicht ganz stimmigen, aber einnehmenden Cocktail aus Vanille, Waldmeister und Eukalyptus auf rotem Früchtebett mit einer minimal alkoholischen Note.

3. Cuvée Prestige "Equilibre" Mill. 2002

Drittelmix, mit 4,5 g/l dosiert.

Lebhafter, schnittiger und funkelnder als die beiden Vorgänger, was ein wenig auf Kosten des Gewichts geht, aber dicklich war diese Cuvée ja sowieso noch nie.

4. Cuvée "Quinte-Essence" Extra Brut Mill. 2004, dég. 17. Nov. 2010

25PM 60PN 15CH, mit 4,5 g/l dosiert

Gegenüber der letzten Verkostung ist der Funke chaotisch-genialen Irrsinns verschwunden, was mancher bedauern mag, ich begrüße das bei diesem Champagner. Rund, reif, ausgefaltet, weinig, stoffig und lang präsentiert er sich, ohne dass ich an ihm irgend eine Form von Mystizität vermisse, die er nämlich sowieso nie hatte. Die Stabilität dagegen tut ihm sehr gut.


II. Christophe Lefevre

Bewirtschaftet seine 3,1 ha seit 2003 en bio und macht jährlich rund 24000 Flaschen draus. Zu Hause ist er in Bonneil, einige Kilometer hinter Baslieux, wo Franck Pascal seinen Sitz hat. Genauer ist Lefèvre in Mont de Bonneil ansässig, da wo die Marne ihre moselartigen Bögen macht, zwischen dem Fluss und der Autorute de l'Est nach Paris, hinter Château Thierry in der Picardie. Der Stil von Lefèvre ist in positivem Sinn gefällig und frei von größeren Irritationen. Wer sich für Champagner jenseits der großen Häuser interessiert, bekommt hier einen leichten Übergang.

1. Cuvée de Reserve, 80% 2008er und 20% 2007er Jahrgang

60PM 30PN 10CH, mit 6 g/l dosiert. Stahltank.

Ohne die grünlich-säuerliche und ganz leicht harzige Note wäre der Champagner vollkommen massenkompatibel.

2. Cuvée Prestige

80PM 20CH, mit 8 g/l dosiert.

Die höhere Dosage bekommt der Cuvée Prestige sehr gut, den Champagner habe ich im Handel noch nirgends gesehen. Wer ihn findet, sollte ihn kaufen.

3. Rosé de Saignée

100PN, 36 Stunden Maischestandzeit, mit 6 g/l dosiert.

Leicht flintig, hauptsächlich aber fleischig und dabei überhaupt nicht hitzig oder garstig; schlank, sehr ansehnlich, erinnert mich an Spätburgunder von der Ahr.


III. Françoise Bedel

Auf den 2008er Robert Winer müssen wir leider immer noch warten. Einen Teil der anderen Cuvées von Madame Bedel, die nur wenige Kilometer von Christophe Lefèvre flussabwärts beheimatet ist, habe ich zum Trost verkostet.

1. Origin'elle Extra Brut 2004, dég. Jan. 2011

57PM 11PN 32CH.

Diesen Champagner habe ich nie als gehaltvoll kennengelernt, es ist kein Champagner, der mit großer Geste daherkommt oder der besonders durchgeistigt wäre. Er hat im besten Fall etwas Flüchtiges, und damit meine ich nicht flüchtige Säure, sondern ein nur schwer greifbares Element, das ihm bei den gelungeneren Exemplaren seinen Reiz verleiht. Dies hier war eine der gelungensten Flaschen, die ich je vom Origin'elle hatte. Das flüchtige Element deutete für mich auf einen sehr aristokratischen, säurearmen, sandelholzigen Damenduft. Wie ein Parfum, das den noblen Auftritt einer Person wirkungsvoll unterstreicht, jedoch allein auf Duftstreifen etwas beziehungslos wirkt.

2. L'âme de la Terre Extra Brut 2003, dég. März 2011

67PM 17PN 7CH, mit 3 g/l dosiert.

Immer wirkt der Âme de la Terre auf irgendeine Weise so, wie er heißt. Diesmal war es eine Malzbrotkruste, die den Bezug zur Erde herstellte und nicht als brotiger Luftton missverstanden werden darf. Außerdem Zuckerwatte, Popcorn, Butter. Rund, fein, frisch, obwohl säurearm.

3. Entre Ciel et Terre Brut 2004, dég. April 2011

80PM 20PN.

Leicht und fruchtig. Nicht ganz so augenfällig wie beim Âme de la Terre wird hier der Name umgesetzt, aber den Eindruck einer gewissen schwebenden Leichtigkeit kann man dennoch, bzw. durch entsprechende Suggestion gewinnen. Besonders schwerelos wirkte die mir besonders apart vorkommende Süße, die sich nichtendenwollend hinauszog, ohne dass der Champagner hoch dosiert wäre.

4. Dis, Vin Secret Brut Nature 2003

86PM 8PN 6CH.

Schlank bis dünn, wie eine mit Mineralwasser verdünnte Limonade, dafür immer noch sehr lang und sauber. Ob mir die Extra Brut Version hiervon am Ende doch besser gefällt?