Champagner und Speisen? Champagner kommt doch mit Speisen gar nicht in Berührung – weil: ist doch Apéro. Tja, falsch gedacht. So war es vielleicht mal und wenn, dann nur in schlecht informierten Haushalten. Tatsächlich ist Champagner ein Wein, der von Escortlady bis Gastgeber jede Funktion zum Essen einnehmen kann. Champagner kann teuer eingekaufte Begleitung zum Dîner mit anschließender private time sein, Champagner kann aber auch den ganzen Menuablauf verbindlich meistern, Champagner kann sich im Hintergrund halten oder diskret dominieren, Champagner kann sich unterhaltsam krähend in den Vordergrund spielen und er kann dezente Speise-Aromen behutsam anstupsen, um ihnen einen stärkeren Auftritt am Gaumen zu verschaffen. Ob Brathähnchen in der Toplessbar, kofta alemanni (vulgo: Boulette) oder Küchenparty in der Sternegastronomie, Begleitschluck zum gegrillten Bauchspeck, zu Innereienwürstln oder beseligende Einmalerfahrung beim japanischen Sushimeister, Champagner ist idealer Leberabschiedsgefährte und erste Wahl aller red carpet regulars, die sich nicht gerade für Kapselkaffee oder Schnaps entschieden haben und eine Umfrage unter Säuglingen ergab letzthin, dass Champagner sogar besser schmecken soll, als Muttermilch.

Die unerhörte phallische Turgeszenz des Champagners verlangt nach und bietet mehr als schale Halbzufriedenheit und folgerichtig ruft er nach Lebensmitteln, die ihren Namen verdienen. Gern dürfen das saft- und kraftstrotzende Speisen sein, aromatische Edukte, die nicht komplex, sondern zunächst einmal nur unverfälscht und bei Verarbeitung sinnvoll zusammengestellt sein müssen. Der hochgeschätzte Julien Walther formuliert, worauf es ankommt: "Keine Reduktion im Sinne von Enthaltsamkeit oder geringerer Ansprüche, sondern eine Besinnung auf für mich Wesentliches. Dazu gehört für mich gastronomisch eine Umgebung, die Unbeschwertheit vermittelt statt Etikette, und kulinarisch eine Form der Küche, die kein Konzept zelebriert, sondern hervorragende Rohstoffe und vorbildliches Handwerk auf den Teller bringt." (unbedingt nachzulesen hier). Beherzigt man das bei der eigenen Lebensführung, Lebens- und Genussmittelauswahl, braucht es für gelungene Champagner- und Speisenkombinationen nicht mehr viel, so archetypisch wie clichéhaft dafür steht im Grunde das Duo Champagner + Austern oder Champagner + Kaviar.  

Nun bestehen Austern und Kaviar leider überwiegend aus Wasser, sättigen also nur bedingt. Außerdem will sich natürlich kein vernünftiger Mensch der Gefahr einer Wasservergiftung aussetzen, austernkonsumbedingtes Hirnödem nach hypotoner Hyperhydration ist zwar eine schöne Alliteration, als Diagnose und Todesursache aber kaum wünschenswert. Was also passt sonst noch an erschwinglichen und im hiesigen Lebensmittelhandel weitestgehend umstandslos erhältlichen Speisen zum Champagner?  

Die Antwort: Salz und Fett. Sauer ist schon schwieriger und süße Sachen sind zu meiden, die Bauchspeicheldrüse wird's danken. Hier einige Denkanstöße und erprobte Vorschläge.

Trocken eingelegte Oliven, getrocknete/eingelegte Tomaten, fritierte Zucchiniblüte, marinierte Aubergine, frische Pilz- und Algensalate passen mit ihrer Pflanzlich-/Gemüsigkeit gut zu meunierdominierten Champagnern, die sich oft am besten auf Pflanzenprodukte verstehen. Die Meuniers sollten den Champagner schon prägen, ein Anteil von 60-70% müsste es also mindestens sein und die Dosage darf keinesfalls zu hoch ausfallen. Von Dosagelosen Meuniers rate ich in diesem Zusammenhang, Abstand zu nehmen. Dafür gibt es zu wenige wirklich gelungene Exemplare, besser sind die leicht dosierten Meunierchampagner, denen der geringe Zuckeranteil gut dabei hilft, sich an die Pflanzlichkeit der Speisen anzuschmiegen. 

Bellotaschinken, Gänserillettes, (an)geräucherte Entenbrustfilets, Bündner Fleisch, Sülze, Geliertes, Schmalz, Holsteiner Sauerfleisch, der petersilienlastigere und weniger saure Jambon de Reims, Tatar und die Spielarten davon sind die Wunschpartner für Chardonnaychampagner aller Art. Hier gilt allenfalls die Warnung, dass der Champagner nicht zu hoch dosiert und möglichst nicht zu reif sein sollte, sonst geht das köstliche Aromenwechselspiel verloren. 

(Jahrgangs)Sardinen, Anchovis bis hin zu den salzig-pikanten Myeolchi der koreanischen Küche, deren Fermentierfreudigkeit und Schärfe mit brut nature oder sehr sparsam dosiertem Champagner gut pariert werden kann – gleichzeitig ist das eine elegantere und weniger einfältige Lösung als der meistens empfohlene restsüße oder feinherbe Riesling. Zu Seefischen empfiehlt jeder, der eine mehr oder weniger bürgerliche Erziehung mit Grundzügen der Wein-und-Speisen Kombinatorik erhalten hat, sowieso reflexarig Champagner. In seiner unüberschaubaren Pauschalität ist das eigentlich infam, führt aber trotzdem meistens zu vertretbaren Ergebnissen. Wem das nicht reicht, der probiert vorzugsweise brut nature zu Seefischen und hält sich dabei mit pinotgeprägten Champagnern lieber etwas zurück, es sei denn, er serviert surf & turf oder vergleichbare Speisekombinationen, bei denen See und Land (z.B. in Form von Pilzen oder Speck) gemischt werden.    

Rustikal darf es zugehen, wenn Pinot-Noir im Champagner vorherrscht; mit viel Röstaromen auch. Aus der portugiesischen Küche der gegrillte Pulpo und natürlich alle Variationen von Blutwurst machen zum Champagner aus überwiegend Pinot Noir (gerne von der Aube, wo er ganz ohne Holzfasseinsatz gernedie passenden holzig-röstigen Noten entwickelt) Spass und praktisch alle pinotgeprägten Champagner entwickeln mit zunehmender Flaschenreife entweder pilzige, röstige, schokoladig-kaffeeeige oder auch Toastaromen. Klar, dass man dazu Kräftigeres bis hin zum Wildschwein, das in der Region Champagne-Ardenne mit einer asterix-und-obelixhaften Häufigkeit vorkommt, reichen darf. Pinotchampagner verträgt sich aber auch gut mit Ei, sei es pochiert, verbuddelt oder in der Sauce verarbeitet. Krug empfiehlt sein Pinotflaggschiff Clos d'Ambonnay 1998 in aller Unschuld zu Rührei mit Trüffeln, und das völlig zu recht. 

Reifer Parmigiano Reggiano, getrüffelter oder gepfefferter Pecorino, Ziegen(frisch)käse sind sichere Paarungen mit den weitverbreiteten Drittelmixen aus Chardonnay, Pinot Noir und Meunier, damit kann man praktisch nicht daneben liegen. Zu Penne/Spaghetti alla Carbonara, deren Zutaten eigentlich nur Pancetta, Pecorino und Eigelb sind, sollte es ein Champagner mit tüchtiger Säure sein, wobei die Zutaten ihrerseits Wege in den Bereich reinsortiger Champagner bahnen. Trotzdem finde ich zu Einzelspeisen wie Käse oder Gerichten mit nur sehr wenigen Zutaten den Drittelmix meist am besten, weil dadurch alle denkbaren Anspielstatonen die Möglichkeit haben, sich am Gaumen zu äußern.