Piper-Heidsieck, Charles Heidsieck, Heidsieck Monopole, wer von denen macht eigentlich was, ist das was unter dem Namen Heidsieck verkauft wird nicht sowieso alles eins, taugen die Champagner überhaupt was, warum gibt es die in Deutschland fast nur im Supermarkt und wie heißen eigentlich die einzelnen Spitzencuvées? Fragen, die sich der champagnerinteressierte Verbraucher stellen könnte, denn das Namenswirrwarr ist groß und wird nicht dadurch besser, dass zwei Heidsiecks unter einem Dach vereinigt sind und gerade verkauft wurden.

Das alles ist für mich Grund genug, mich mit dem Kommunikationschef von Piper- und Charles Heidsieck, dem fabelhaften Christian Holthausen zu einem champagnerhaltigen Schwätzchen zu treffen – über die Einzelheiten des Verkaufs der beiden Häuser wurde ich gleichwohl gebeten, vorerst Stillschweigen zu bewahren. Wir trafen uns in Reims an diskreter Stelle, vor den verschwiegenen Mauern des Gästeanwesens von Charles Heidsieck und Christian ließ mir ohne Umschweife den Genuß seiner Gastfreundschaft zuteil werden. In dem hinter den Mauern liegenden Park befindet sich ein Kleinod des architektonischen Konstruktivismus, ein veritables Gästehaus aus dem Jahr 1921, das so, und ganz genau so, direkt von Piet Mondrian hätte erbaut werden können. Die Inneneinrichtung lässt jede USM Haller Möbelschau alt aussehen. Schwarzes und weißes Leder, schwarzer und weißer Lack, spiegelnde Flächen wohin man blickt und das einzige was nicht spiegelt, sind die hinter der Bar vom Boden bis zur Decke einzeln horizontal präsentierten Champagnerflaschen. Und sapristi, sehr beeindruckend auch der Speiseraum mit riesiger Glastafel und extravaganter Beleuchtung.

Wer nur das affröse Image der beiden in Deutschland nicht ganz ohne eigenes, etwas ungeschicktes Zutun als Supermarktchampagner verschrienen Häuser kennt, wird erstaunt sein, was sich unter dem Namensdach Heidsieck tatsächlich verbirgt, tummelt und herumquirlt. Den Anfang machten wir mit dem früher nur sehr unzureichend als Mis en Cave kommunizierten Brut Réserve. Dieser Champagner gehört zu den ersten Champagnern eines großen Hauses und ist bis heute einer von nur ganz wenigen, die ein Dégorgierdatum auf der rückwärtigen Halskrause tragen. So weit, so gut. Was abturnt, ist der arg supermarktige Barcode auf dem sonst ziemlich nackerten Rückenetikett. Dass es dort Entwicklungsbedarf gibt, weiß auch Christian. Leider steht er hausintern im Clinch mit den Marketingmenschen, die sich offenbar mit Händen und Füßen gegen eine weitere Öffnung der bis jetzt nur halbherzig transparenten Informationspolitik wehren.

1. Charles Heidsieck Brut Reserve, dég. 2009

Mis en cave 2006, Drittelmix mit 60% 2005er Basisweinen, der Rest sind zwischen fünf und acht Jahre alte Reserveweine, dosiert mit ca. 10,5 g/l

Krachender Toast, goldener Honig über einem Hauch von Butter und reichlich reifer Apfel. Für mich eine der wirklich zuverlässigen Basiscuvées, vom Stil her völlig anders als die Bollinger-Zugmaschine unter den zuverlässigen Standards, doch würde ich nicht sagen, der Brut Réserve sei generell unterlegen. Der Stil ist zweifellos von der leichteren Stilistik der Drittelmixe geprägt und nicht so entschieden weinig, auch was Holzeinsatz und Dosage betrifft, liegen die beiden nicht gerade beieinander. Freunde hat der Brut Réserve jedoch bei den Anhängern eines behenden, auf Anhieb vollmundigen und schmatzigen Pinotstils, der von freundlichem Meuniereinfluss aufgelockert wird, ohne dadurch profaniert zu werden.

Sodann machten wir uns an den in Deutschland schon selteneren Jahrgang, wohlgemerkt, ein 2000er.

2. Charles Heidsieck Brut Vintage 2000, dég. Dezember 2009

55CH 45PN, dosiert mit ca. 10 g/l

Manchmal enthielt der von Daniel Thibault kreierte Jahrgang einen kleinen Meunieranteil, was ich sehr sympathisch finde. Seit er im Jahr 2002 verstorben ist, ist es Regis Camus, der in den Kellern von Piper- und Charles Heidsieck das Sagen hat; ob er die Meunierkontinuität wahren wird? Abwarten. Am 2000er Vintage fiel mir unterdessen auf, dass der Chardonnayanteil überwiegt, während es früher der Pinotanteil war. Der 2000er Charles Heidsieck ist somit vielleicht Ausdruck des von Daniel Thibault mit dem Wechsel von Champagne Charlie zu Blanc des Millénaires eingeleiteten Paradigmenwechsels hin zur Rassigkeit und Frische des Chardonnay und zudem im recht verkorksten Jahrgang 2000 taktisch gesehen eine kluge Entscheidung. Nach dem, was ich im übrigen bisher von Regis Camus probieren durfte, sehe ich keinen der von ihm verantworteten Champagner in gefährlichem Fahrwasser, sondern sich eher wie auf Schienen zielstrebig weiterentwickeln.

Dann kam einer der wildesten Schönheiten des 1995er Jahrgangs ins Glas.

3. Charles Heidsieck Blanc des Millenaires 1995, dég. Juli 2009

100CH aus Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil-sur-Oger und Vertus, dosiert mit ca. 10 g/l

Toast und Honig, Mineral, Frische, Rasse, Druck, Apfelkuchen, Mandelsplitter, Crème brûlée, Erdbeer-, Himbeer- und Orangenmaccarons, Limettenparfum, Bergamotte, hinreißend. Zusammen mit Bruno Paillards Nec Plus Ultra außerdem einer der ältesten "aktuellen" Jahrgänge, wenn man bedenkt, dass andere schon bei 2004 angekommen sind.

Im Park befindet sich der Einstig in die Crayères von Charles Heidsieck, die unterirdisch am Ende unserer Tour in die Champagner-Bibliothek des Hauses führen. Dort zog es uns, hätte Christian den weg nicht auch blind gekannt, wie magisch hin. Inmitten eines der pyramidenförmigen Kreideabbauschächte beherrscht eine kreisrunde Theke den Raum und der Blick fällt von dort in die verschiedenen Kavernen: rare und längst vergriffene Jahrgänge Champagne Charlie, Blanc des Millénaires und Royale Cuvée liegen zwanglos, aber ordentlich geschichtet dort herum und warten darauf, ihrer Bestimmung zugeführt zu werden.

4. Charles Heidsieck Blanc des Millenaires 1983, dég. wohl 2005

100CH aus Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil-sur-Oger und Vertus, dosiert mit ca. 10 g/l

Was für eine Begegnung. In Butter karamellisierter roter und grüner Apfel, warmer Grießpudding, minimal salziger Toffee; selten habe ich einen Champagner getrunken, der eine ähnliche, an Windbeutelchen erinnernde Fluffigkeit gepaart mit geeistem Verbenengelee vorweisen konnte, der so schön ausbalanciert war, weniger in puncto Aromatik als mehr zwischen langer Flaschenreife und spätem Dégorgement. Für eine Flasche, die wahrscheinlich vor ca. fünf bis sechs Jahren dégorgiert wurde, hatte sich der erste aus dem vormaligen Blanc de Blancs entstandene Blanc de Millenaires phantastisch gehalten, was vielleicht wiederum daran liegt, dass die Lagerbedingungen in den Crayères optimal sind.

5. Charles Heidsieck Champagne Charlie 1981, dég. wohl 2005

60PN 40CH, dosiert mit ca. 10 g/l

Bei diesem Champagner wurde mir bis zum Schluss nicht klar, wo och ihn einordnen sollte. Eine mörderische Stinknase störte über lange Minuten und wollte nur sehr langsam vergehen. Dann zeigte sich darunter so etwas wie ein leichter Korkschleicher, doch im Mund war der Champagner trotzdem deliziös, sehr feinporig, mit einer betörenden Zitrusfrische, die mich weit weg von der Korkidee brachte. Da sich die Aromenstörung aber bis zum Schluss nicht verziehen oder einbinden wollte, gehe ich davon aus, dass die Flasche einen Hau hatte. Sehr schade, denn das was ich da erlebt habe, war schon angeschlagen grandios.

Nach 147 Stufen wieder ins Tageslicht zurückgekehrt, hatten wir uns zum Abschluss noch eine letzte Belohnung verdient.

6. Piper-Heidsieck Rare Vintage 1988, dég. Juni 2008

65CH 35PN, dosiert mit ca. 10 g/l

Ein völlig anderer Stil, stärker von Kaffee beeinflusst und mit einer durchdringenderen, unverschämt provokanten Säure. Milchige Noten wie sie bei Charles durchaus zu finden sind, sucht man hier vergeblich. Hier ist Würze angesagt, Champignons, vollreifer Boursaultkäse, Trüffel, Tellycherry-Pfeffer, Boskoop, Feige, Muskatnuss, Walnuss, Orangenabrieb. Neben den eleganten Tänzern aus dem Hause Charles Heidsieck ist der 88er Rare sicher sowas wie ein Rockertyp, aber einer mit Klasse. Starker Ausklang! Es ist nur todtraurig, dass in Deutschland viel zu wenig bekannt ist, was für ein herrlicher Champagner unter diesem Namen verkauft wird. Den Vorwurf, das Konzept vom jahrgangslosen Rare und vom Jahrgangs-Rare nur sehr lasch unter die Leute gebracht zu haben, muss sich das Haus deshalb gefallen lassen. Wenn man sieht, was da für herrliche Perlen schlummern und nach und nach in Form von Sondereditionen zu leider auch sehr stattlichen Preisen geborgen werden, ists ein Jammer. Doch vielleicht wird ja bald alles besser.