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Category Archives: Champagner

Hier dreht sich alles um Champagner.

Mehr vermischte Champagnernotizen

Dieses Jahr lag Christi Himmelfahrt günstig. Was kann man in so einem Fall besseres machen, als kurz in die Champagner zu düsen?

I. Bonnaire Blanc de Blancs Grand Cru

Chardonnay. Cramant Grand Cru.

Etwas grüner Apfel, recht lang, behäbiger als die undosierte Version, anfangs noch nicht besonders komplex, aber eben auch kein langweiliger Durchschnittschardonnay. Diesen Erzeuger und genau diesen Einstiegschampagner von ihm darf man nicht unterschätzen: ganz langsam fügen sich nämlich die Puzzleteile ineinander und wie in Zeitlupe reifen die Chardonnays aus Cramant, wie man beispielsweise von Diebolt-Vallois weiß. In groß angelegten Proben überzeugt dieser Champagner nicht, bei Blindproben dagegen hat er etwas, das innehalten lässt. Nämlich genau diese langsame Art, die sagen will, dass da noch viel mehr ist. Passt sehr gut zur Tapasplatte, insbesondere zu grünen Oliven, zum Schinken und zu fetter Salami. Die Enthüllng kommt dann zur Entenleber mit Whiskylackierung, auch wenn die Kombination nicht gerade augenfällig zu sein scheint. Die spritig-süsslichen, torfigen, schon gereiften Whiskyaromen auf der Entenleber schmecken zwar großartig, bedürfen zur Vervollkommnung aber eines Champagners wie diesem, der sich nicht aufspielt, sondern mit seiner langsam und behutsam sich einfügenden Apfel-Mineral-Aromatik das Geschmacksbild perfektioniert.

II. Lacourte-Guillemart Brut Tradition

85% Pinot-Noir, 15% Chardonnay, drei Jahre Hefelager. Ecueil Premier Cru in der westlichen Montagne de Reims. Mit charmanter Winzertochter.

Ziegenledernase. Weinig und rund, leicht oxidativ, roter Apfel, standfester Champagner mit einiger Komplexität und Entwicklungsfreude im Glas. Schön zur Büffelmozarella und reifen Kirschpaprikas, nicht verkehrt zum Langustenschwanz mit Passionsfruchtbrunoise, obwohl ich mich bei dieser Kombination immer frage, ob nicht Diebolt-Vallois' Fleur de Passion noch besser dazu schmecken würde. Werde ich irgendwann mal ausprobieren müssen.

III. Abel-Jobart Brut Sélection

Blanc de Meuniers. Sarcy, tief in der Vallée de la Marne, 15 Monate Hefelager.

Quitten und Holzapfel, Wildkirsche, herbe Säure, gerbstoffig, dabei fruchtig und mit einer ansprechenden, etwas devoten, sich unter der Herbe durchschlängelnden Fruchtsäure. Blind nicht leicht als Champagner zu erkennen, aber ein kleines Lehrstück über die reinsortige Vinifikation von Meunier. Dazu kann man sich ein sehr stimmiges Barbenfilet mit geschmortem Fenchel und schwarzen Oliven servieren lassen. Die Fenchelsüße und das etwas anisige Aroma verweben sich mit dem Duft des Champagners zu einer beinahe orientalisch anmutenden Komposition, die Oliven, die um Gottes Willen jeder Spur von Herbe entbehren müssen, unterstützen diesen Eindruck gekonnt und schon wird aus einem nicht gerade wahnsinnig komplizierten Champagner ein Essensbegleiter mit leicht schwülstigem Charme und gebändigter Abenteuerlust.

IV. Delaunois Cuvée Royale

Klassischer Drittelmix mit 25% Reservewein, der selbst ein Drittelmix ist. Drei Jahre Hefelager. Rilly-la-Montagne Premier Cru.

Dieser Champagner hatte mich trotz seiner beiden Sternchen im Guide Hachette beim letzten Mal nicht überzeugt und die Cuvée Palmyre von André Delaunois hatte es in der letzten Verkostung schwer gegen Bruns „La Pelle, Cuvée des Sires“, daher der re-call. Herb und kräftig, eher einfach, aber noch nicht grob, war er solo wieder kein besonderes Vergnügen. Des Rätels Lösung offenbart sich nach dem Verzehr einer mehr als nur eishockeypuckgroßen Portion Boeuf Tartare mit einer Extrabeigabe Speck und grünem Spargel: dieser Champagner passt zu allem, wozu sonst ein schönes Pils passt. Ein Durstlöscher für Männer eben.

V. Carré-Guebels Rosé

70% Chardonnay, 30% Pinot-Noir. Trépail Premier Cru im Südosten der Montagne de Reims, schon fast etwas abseits gelegen, wenn da nicht die mitunter sehr interessanten Champagner wären, die eine Reise lohnenswert erscheinen lassen.

Ein Blick auf die watchlist und der nächste Kandidat stand fest. Dieser hier nämlich. Zuletzt hatte er mit seiner weißen Seele gut gepunktet und auch dieses Mal habe ich mir notiert, daß weißes Herz und rote Haut einen kernigen, am Anfang kirschigen, gegen Ende hin gekonnt ausgewogenen, nahtlos verschweissten Champagner ergeben. Mit Luft und zunehmender Temperatur verlor er etwas an Biss und wurde leicht wärmend-alkoholisch. Muss kalt getrunken werden und passte traumhaft zum Gurkensüppchen. Eine Empfehlung spreche ich auch zum festen Fleisch vom Seeteufel mit Wildreis, Rosmarin und balsamierten Tomaten aus.

VI. Laurent Gabriel Grande Reserve. Premier Cru am südlichen Fuss der Montagne de Reims und Avize Grand Cru. Tochter Marie-Marjorie hilft seit 2001 mit.

Selbst wenn das Thema Holzfassausbau beim Champagner keinen mehr vom Stuhl fegt, probierenswert sind die Kollegen meist durchaus. Dieser war besonders gut gelungen, das Holz dominant und dennoch nicht erdrückend. Laurent Gabriel hat bereits mit seinem Rosé gezeigt, wohin bei ihm die Geschmacksreise geht und seine Grande Réserve geht beherzten Schritts weiter. Vanillekeks, Kokos, Macarons, Brotrinde, auch stark geröstete Haselnuss und eine mit Luft sich immer besser und weiter entfaltende Struktur sind Indikatoren für den vielleicht auf Anhieb etwas vordergründig erscheinenden Stil des Hauses. Wobei ich die Aromenfülle dieses Champagners nicht im negativen Sinne vordergründig finde, bzw. hervorheben will, dass die Grande Réserve im Laufe eine halben Stunde noch eine ganze Menge nachlieferte. Gut! Zum kaffeegefüllten Krokant mit Karamelleis und Fleur de Sel passt der Champagner, weil Kaffee, Karamell, Salz und mäßige Süße sich so leichtherzig und übermütig mit den Holznoten vereinigen. Wer es konservativer mag, fährt mit einer karamellisierten Apfel-Birnen-Tarte nicht falsch.

VII. Banchet-Legras Blanc de Blancs

Chardonnay. Chouilly Grand Cru.

Unauffälliger, etwas altmodischer, fruchtiger, nicht so sehr mineralischer Chardonnay. Absolut unbekannt und sehr schwer zu finden! Passte zur Foie Gras von der Ente, bloss mit etwas grobem Pfeffer und Guérande-Salz ad libitum bestreut und mit Paprikaschnipseln garniert, war mir zu den confierten Entenmägen sehr willkommen und musste erst bei den etwas salzigen Entenrillettes passen.

VIII. Paul Michel Blanc de Blancs Premier Cru 1999

Cuis Premier Cru.

In der Nase reif, schwarzer Tee (irgendetwas zwischen Friesenmischung und Lady Grey) mit viel Kandis und einem Spritzer Limettensaft. Schwierig, dazu einen passenden Speisenpartner zu finden. Tranchen vom Iberico-Schwein mit Steinpilzen, Knoblauch und Blattpetersilie überzeugen jedenfalls nicht so recht, zu viel Geschmacksdurcheinander. Besser ist da schon die junge Ente mit behutsam getrüffelten Gnocchi und getrockneten Früchten.

IX. Franck Bonville Blanc de Blancs Grand Cru Brut 1998

Avize Grand Cru.

Helle, harmlos wirkende Strohfarbe. In der Nase eine sehr entwickelte, dem Alter besser entsprechende Nussigkeit, Apfel natürlich, Butteröl und etwas Hefe. Am Gaumen wieder eine Überraschung, kein leichtgängiger, runterflutschender und irgendwie überholzter Burgunderklon, sondern eine sehr eigenständige, nicht derbe, aber zielsicher zupackende Griffigkeit, nicht zu verwechseln mit alterungsbedingter Brandigkeit oder einem sonstwie unausgewogenen Auftreten. Zur Fischsuppe mit Zitronengras gerade noch vertretbar, schmeckt aber besser allein.

X. Perrier-Jouet Grand Brut

Epernay. 35PN, 40PM, 25CH.

Viel zu selten trinke ich diesen guten Standardbrut, obwohl er mir in praktisch allen Reifegraden gut schmeckt. Als Basischampagner eines großen Hauses kommt er mit viel Pinot Meunier ins Glas, was ich begrüße. Der Grand Brut reift übrigens sehr schön, was viele gar nicht für möglich halten. Dieser hier war sehr jung und zitrusfruchtig, aber nicht von der chardonnayigen Art, sondern mit rötlichen Akzenten, wie sie von der Pomelo, Grapefruit, Blutorange und vom Sanddorn kommen können. Angenehm, frisch und saftig. Kein Wunder, dass die gebratenen Speckscheiben mit Orangenconfit und Auberginenkaviar dazu schmeckten.

XI. Perrier-Jouet Belle Epoque 1996

Drittelmix.

Komplex, buttrig, reif, abgeblühte Akazie und reichlich Nuss. Stärker werdender Honig, immer noch vorhandene Limette, etwas Karamell. Dieser Champagner scheint sich noch nicht verabschieden zun wollen, obwohl er vor einiger Zeit bedenklich gewackelt hat und oft genug gar kein Urteil zuließ, weil schlimme Flaschenvarianzen oder Kork den Genuss verhinderten. Erscheint sehr fit, ohne dass ich damit rüstig sagen will. Ein starker Partner für das gebackene Lammbries mit Röhrchennudeln und Früchtemus.

XII. Perrier-Jouet Belle Epoque Rosé 1997

55PN, 5PM, 40CH, 15% Rotweinzugabe.

Die Nase erinnert mich an ein puderzuckerüberstäubtes Pfannkuchendessert mit Blutorangenfilets und Brombeersauce. Sonst der weißen Belle Epoque nicht unähnlich, wenn man mit geschlossenen Augen reinschnuppert. Im Mund ziemlich weinig, etwas griffig, nicht besonders säurehaltig und nicht mehr ganz auf der Höhe. Passt gut zu überbackenen Samtmuscheln und zum Seewolf in Mandelschuppen.

Schaumparty im Kloster Besselich – Champagnerverkostung für Einsteiger

Am Sonntag, 4. Juli 2010 um 19:00 Uhr ist es wieder so weit: ich halte eine meiner beliebten Champagnerproben ab. Und zwar im Weinstein/Klostergut Besselich, dem Showroom des Gourmetdepots von Marcus Stein in Urbar. Mit traumhaftem Blick auf das Deutsche Eck in Koblenz (BuGa-Stadt 2011, der Besuch dort lohnt sich schon jetzt!).

Zu probieren gibt es eine ganze Reihe aufregender Champagner, die nicht im Supermarkt stehen. Coole und verrückte Winzer, Kultstöffchen, Holzfasschampagner, Prestigecuvées, Grand Crus, Magnumflaschen, Biochampagner, kurz: alles, was das Herz eines Champagnerverrückten schneller pumpen lässt, wird aufgemacht. Dazu gibt es Kurzweiliges und lehrreiche Erläuterungen, Knabberspass aus dem Gourmetdepot und jede Menge Schaumschlägerei. Geplant sind folgende Champagner – kurzfristige Änderungen im lineup, die der Verbesserung dienen, natürlich vorbehalten:

Eric Isselée, Blanc de Blancs Grand Cru en Magnum

Voirin-Jumel, Blanc de Blancs Grand Cru en Magnum

Bernard Tornay, Bouzy Grand Cru Extra Brut

Tarlant, Extra Brut

Cattier, Renaissance

Vilmart, Grand Cellier d’Or

Gaston Chiquet, Blanc de Blancs d’Ay Grand Cru

Paul Déthune, Blanc de Noirs

Agrapart, Les Demoiselles Rosé

Frank Pascal, Tolérance Rosé

Moet et Chandon, Cuvée Dom Perignon 2000

Pol-Roger, Cuvée Sir Winston Churchill 1995 en Magnum

 

Teilnehmerzahl: max. 20

Teilnahmegebühr: 89,00 € pro Person

Anmeldung: bis spätestens 28. Juni 2010, Platzreservierung erfolgt durch Überweisung der Teilnahmegebühr

Fête de la vigne et du vin

Vom 13. – 16. Mai kleidet sich die Champagne festlich ein, die fête de la vigne et du vin steht an. Winzer öffnen ihre Kellertüren, bringen Champagner unters Volk und erklären, was sie jenseits von schierer Existenznot sonst noch bei der Weinbereitung antreibt.

Wer über das verlängerte Wochenende Gelegenheit hat, in die Champagne zu düsen, kann sich vorab Informationen bei der

"Action Champagnes Tourisme", Chambre d’Agriculture de la Marne, Tel.: +33 3 26 64 08 13 und natürlich per mail unter info@champagne-tourisme.com ausführliche Informationen besorgen.

Folgende Webseiten sind außerdem hilfreich bei der Tourenplanung:

www.marne.chambagri.fr

www.champagne-tourisme.com

www.fetedelavigneetduvin.com

Im Champagnerleistungszentrum: Armand de Brignac

Was hat das FINE Champagne Magazine mit dem chinesischen WineLife Magazine, dem peruanischen Magazin Luhho und der nackten Rachel Weisz zu tun oder gar gemeinsam? Und warum könnte ich die Reihe meiner Fragen noch um das slowakische Magazin Vinoviny oder um die südkoreanische Lifestylepostille luel erweitern? Es ist ganz einfach: das tertium comparationis ist die Champagnernovität "Armand de Brignac". Vielen ist er sicher schon begegnet, der aufwendig metallplattierte Vanity Champagner mit dem Ace of Spades, sei es, weil Jay-Z sich medienwirksam vom Cristal ab- und dem Ace zugewandt hat, vielleicht aber auch nur in der Kuriositäten- und Schmunzelecke einer Zeitschrift, die vom Leben der Reichen berichtet. Nachdem ich den Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg getestet habe, war es naheliegend, einen Champagner mit ähnlichem Bling-Faktor zu untersuchen.

Der Produktionshintergrund ist nicht kompliziert: so, wie Mariah Carey ihren "Angel's Champagne" von Michel Gonet in Avize produzieren lässt, gibt es auch für die schon seit fast siebzig Jahren eingetragene Marke "Armand de Brignac" einen Erzeuger für den unter diesem Namen verkauften Champagner. Es ist das Haus Cattier aus Chigny-les-Roses in der Montagne de Reims (bis ins 19. Jahrhundert hieß das geschichtsträchtige Nest übrigens Chigny-la-Montagne). Nicht nur, dass 1890 in diesem Örtchen 1890 Madame Pommery verstarb, sondern einer der historisch bedeutsamsten Weinberge der gesamten Champagne findet sich hier. Es ist die Parzelle von Allart de Maisonneuve, – vormals Offizier in Louis XV. Diensten -, seinerzeit eine Pilgerstätte für alle, die im Weingeschäft tätig waren, darunter war in jenen Tagen nicht zuletzt die damals noch junge Veuve Clicquot. Cattier also bereitet aus den Reben dieses alten Weinbergs einen Monocru, den "Clos du Moulin". Dieser Champagner ist für Prestigeverhältnisse mittelpreisig, von guter Qualität, steht aber nirgends wirklich im Fokus. Vielleicht war das der Grund dafür, eine Marke mit Leben zu füllen, deren Namenspatron de Brignac selbst nie gelebt hat, sondern an eine Romanfigur angelehnt ist. Der Marketingvorteil liegt auf der Hand, es ist vor allem die Freiheit von jedem historischem Ballast, die es wiederum ermöglicht, nach Belieben historisierend aufzutreten, dem Film "Wild Wild West" mit Will Smith nicht unähnlich.

Mit dem Marketingthema ist dann auch schon ein Thema angeschnitten, bei dem Kritiker schnell unsachlich werden und geizige Menschen mit einer Mischung aus hilfloser Überheblichkeit und geiferspuckendem Zorn reagieren. Aber sachte: Champagner ist nicht grundlos zum Synonym für luxuriöse Festlichkeit geworden. Ich bin sogar der Ansicht, dass zahlreiche Weine anderer Provenienz es ebenso zum Rang des Sonnenkönigs der Weinwelt hätten bringen können, wenn sie denn mit ähnlich beharrlichem Ehrgeiz und cleverem Marketing darauf hingearbeitet hätten. Für mich ist Champagnermarketing etwas, was zum Produkt dazugehört, manchmal nervt, oft genug positiv beeindruckt und womit ich mich letztlich gut arrangieren kann. So wie die Pornoindustrie wegweisend bei der Erfindung neuer Distributionskanäle und Abrechnungsmodelle im Internet war, ist das Marketing der Champagnerindustrie beispielhaft dafür, wie man selbst schwerst widerstreitende Interessen – von kleinen Winzern, großen Genossenschaften und noch größeren, konzernzugehörigen Champagnermarken – unter einen Hut und seine Schäfchen ins Trockene bringen kann. Darauf sollte man nicht mit dem Finger zeigen, wenn man selbst wegen heilloser Zersplitterung in den eigenen Reihen bloss neidisch ist.

Jetzt aber zu den Champagnern: die aktuellen Cuvées auf Basis des 2005ers mit Reservewein aus 2003 und 2002 stammen aus Grand- und Premier Crus (Chouilly, Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil und Ludes, Rilly-la-Montagne, Villers Allerand, Taissy, Villers Marmery, Montbre, Pierry, Damery, Vertus, Mareuil-sur-Ay), verwendet wird nur die erste Pressung. Die Cuvées sind mit 9,65 g/l dosiert, der Blanc de Blancs bekommt 10,4 g/l, bei allen drei Champagnern reift der Dosageliqueur zuvor neun Monate im burgundischen Holzfass. Die verkosteten Champagner wurden im März 2009 dégorgiert. Insgesamt werden zur Zeit 42000 Flaschen Armand de Brignac hergestellt, der größte Teil davon als Gold Cuvée, jeweils ca. 6000 Flaschen als Blanc de Blancs und Rosé. Mittelfristig ist die Ausweitung der Produktion geplant.

I. Gold

Ein Mix aus 40% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 20% Pinot Meunier. Die erste Version beruhte noch auf einer 2003er Basis mit 2002 und 2000 als Reservewein und ist ausverkauft.

Dieser Champagner fühlte sich in der Flöte wohl. Ins Auge fiel sofort das glanzvolle, auf die Flaschenfarbe und den Cuvéenamen abgestimmte goldene Funkeln. Ob die 20% Meunier ein Bekenntnis zur Leistungsfähigkeit der Traube sind, oder ob damit early accessibility und auf die in-crowd zugeschnittene Fruchtigkeit erzielt werden sollen, geht aus dem Informationsmaterial zum Gold nicht hervor. Angesichts der kurzen Hefelagerdauer, des in den Blick genommenen Publikums und der nachfolgenden Geschmackseindrücke liegt für mich der Schluss nahe, dass der in Prestigecuvées keineswegs zwingend notwendige Meunieranteil einesteils die altbewährte Scharnierfunktion zwischen rassigem Chardonnay und weinigem, opulentem Pinot-Noir übernehmen soll. Außerdem kommt dem Meunieranteil bei diesem Champagner offenbar die viel wichtigere Funktion zu, das Aromengefüge aufzulockern und frei schwingen zu lassen. Dementsprechend schmeckt der Champagner süffig, dick, mit etwas Marshmallow angereichert, aber zu keinem Zeitpunkt druckvoll oder mineralisch, mit langem, meunierfruchtigem finish. Daraus ergibt sich eine unkomplizierte, unverkrampfte, in gutgelaunte Golfrunden, Edeldiscos und Yachtclub-Parties passende Aromenstruktur. Ob exakt so der beste Champagner aus einer Reihe von Verkostungen mit insgesamt tausend Champagnern schmeckt? Ich meine nicht – allein schon, weil es in der Geschmackswelt zu viele Unterschiede gibt, um einen objektiv "Besten" zu haben. Im Kontext der Champagner seiner Preisklasse (und wir reden hier über den kleinen Club von Champagnern, die im Bereich von 300 EUR und mehr pro Flasche liegen) ist Armand de Brignac Brut Gold jedoch derjenige, dessen unzergrübelte, jugendlich sorgenfreie Stirn am leichtesten Zustimmung und Beifall ernten wird.

II. Blanc de Blancs

60% der Trauben stammen aus der Côte des Blancs, 40% aus der Montagne de Reims.

Aus der Champagnerflöte machte der BdB einen unscheinbaren Eindruck. Erst aus dem Bordeauxglas kam eine ernstzunehmende Rückmeldung. Mineralität, die man sich vom nassen Kalk der Côte des Blancs herkommend vorstellen kann, dominierte in der Nase. Darunter lag eine Mischung aus weißen Blüten, man wird nicht mit mir schimpfen, wenn ich Akazienblüten sage, und Birnenkompott. Für einen jungen BdB sehr milde Säure. Wenn man die prunkige Flasche gesehen hat und dann einen so schüchternen Champagner ins Glas bekommt, kann man sich schonmal wundern. Vielleicht wird der Champagner mit der Zeit etwas mehr an Breite und Tiefe zulegen, das Traubenmaterial müsste jedenfalls das Zeug dazu haben. Mich würde nicht überraschen, wenn die verschnupfte, enge Nase darauf zurückzuführen ist, dass jugendliche Chardonnays aus Cramant, Avize, Oger und Le Mesnil das Regiment führen.

III. Rosé

50% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 10% Pinot Meunier, 12% Rotweinzugabe aus Pinot-Noir und Pinot Meunier von alten Reben.

Aus der Flöte kam die ersten paar Minuten nichts, als frische Austern. Ich habe den Champagner dann in einen üppigen Burgunderkelch umgefüllt, was ihm sehr geholfen hat. Denn wie ich zufällig weiss, sind frische Austern nicht nur nahr- und schmackhafte Speisetiere, sondern ihr unverkennbarer Duft kündet meist von zeitlich unmittelbar nachgelagerten, ganz besonders sinnesbetörenden Erlebnissen. Und siehe! Kaum ins Burgunderglas transvasiert, platzt die krustige Schale auf und entlässt einen lebhaften, munteren und animierenden Wein mit feinstem Burgundercharakter, viel Beerenaromatik, einer untergeordneten Menge Waldboden und verführerischer Würze in das wahre Leben. Ein femininer, weiblicher, fraulicher, kalipygischer Champagner, der zum schweinigeln einlädt  – und mein Favorit unter den Armand de Brignacs.

Angekündigt ist ein vierter Armand de Brignac, der gleich zwei Trends bedienen wird: es soll sich um einen reinen Pinot Meunier vom Clos du Yons handeln, Basis wird der 2007er Jahrgang sein, die Stückzahl soll bei 3000 Flaschen liegen. Bei einem Weingarten mit 11 ha bedeutet das ein nicht unerhebliches Steigerungspotential, wenn die Nachfrage entsprechend gross sein sollte. Zu rechnen ist mit diesem Champagner 2012 – 2013.

Informeller Besuch im Haus Stemberg

A. Die Weine:

I. Calitin, Simply Sunshine Sparkling Shiraz, McLaren Vale, NV

Diesen Wein und den Kuchen gab es vorweg als nachmittäglichen Auftakt.

Schlappe 40 g/l RZ lassen so manches Dessert neben diesem Wein überflüssig erscheinen. Zum Apfel-Weisswein-Kuchen mit Kakaohäubchen war der fruchtig-süsse Shiraz dennoch eine gute Wahl. Ein pH-Wert von 3,48 und mäßige 5,6 g/l Säure, vergleichsweise niedrige 28 g/l freier Schwefel liefern nur eine sehr unzureichende Begründung dafür. In Wirklichkeit braucht es diese Begründung meiner Meinung nach gar nicht und ich habe mir, obwohl allgemein kein Freund von Süßspeisen, die Kombination weitgehend kritiklos schmecken lassen. Solo hätte ich sagen müssen, wäre mir der Sparkling Shiraz zu säurearm und allzu schnell erdrückend bis ermüdend vorgekommen. Zum Kuchen war er herrlich, speziell die grossen Apfelstücke und die andeutungsweise vorhandene Weißweinnote lieferten dem Sparkling Shiraz glänzende Spielpartner.

II. Bernhard Prass, Bacharacher Schloss Stahleck, Riesling halbtrocken, Mittelrhein, 2008

Am Mittelrhein ist es bei vielen Winzern wie in Franken: halbtrocken steht dort bei Weinen auf Etiketten, die anderswo nur mit der Aufschrift "Vorsicht! Ultratrocken, nur für Spezialisten!" verkauft werden würden. Ich glaube, bei Prassens hat man kurz überlegt, ob man den halbtrockenen Stahleck-Riesling nicht sogar als lieblich oder mild deklarieren sollte, doch am Ende scheint der common sense gewonnen zu haben. Der Riesling schwebt zwischen trocken und fruchtig-süß, schlägt je nach Begleitung mal nach oben und mal nach unten aus – was ihn zu einem sehr galanten Essenbegleiter macht. Mir hat er schon allein gemundet, noch besser war er zu den Spargelvariationen des Abends und zum Entenleberpraliné, außerdem kam er überraschend gut mit der Graupensuppe zurecht.

III. Poss, Weissburgunder trocken, Nahe, 2008

Das Weingut Poss macht bekannte und in vielen Situationen bewährte Weißburgunder, die mir stets am besten zu deutscher Küche schmecken. Deshalb lag es nahe, aus Sascha Stembergs klug renovierter Weinkarte den Weißen Burgunder von Poss im Glaserl zu wählen. Es sollte keine Enttäuschung sein. Mit seinem mildschmelzigen, entgegenkommenden Naturell ist der Wein ein adäquater Rahmen für Spargel, Salat und Schnitzel gewesen, für das der Barrua zu machtvoll gewesen wäre. Gerade der leichte, nicht verpampte Kartoffel-Radieschen-Salat zum Schnitzel, sowie eben dieses zarte Kalbfleisch waren zusammen mit dem Wein von besonderer Harmonie.

IV. Agricola Punica, Barrua, Isola dei Nuraghi, 2006

Agripuninca ist ein Joint Venture von zwei sehr geschätzten Weingütern: auf der einen Seite Tenuta San Guido, deren Sassicaia weithin als sehr guter "Bordeaux" bekannt ist und den ich überaus gern trinke, auf der anderen Seite die Genossen der Cantina di Santadi, deren Rocca Rubia bereits ein bemerkenswerter Wein ist und deren Terre Brune zu den standardbildenden Weinen seiner Preisklasse gehört. Der aktuelle Duemilavini 2010 ist vom gemeinsamen Kind der beiden entzückt und gibt 5 Trauben, Gambero Rosso und Guide l'Espresso lassen sich ebenfalls nicht lumpen und Sardinien ist sowieso eine aufregende Insel. Also habe ich mir den Wein aus 85% Carignano, 10% Cabernet Sauvignon und 5% Merlot, 18 Monate Barrique, je hälftig in neuem und gebrauchtem Holz, mal in die Karaffe gefüllt. Ich erwartete einen kräftigen Wein, der sich gut mit der Kost aus Sascha Stembergs Küche vertragen würde und sollte nicht enttäuscht werden. Eine halbe Stunde freischwimmen in der Karaffe brachte einen charaktervollen, sonnenverwöhnten, jugendlichen Athleten hervor, den man sich besser in einem Davidoff-Werbespot vorstellen kann, als bei Dolce & Gabbana. Knackig, sonnengebräunt, mit viel pointierter Brombeere und kühlem Blaubeerjoghurt, schmeichelndem Tannin und leicht glyceriniger Süße zum Schluss.

V. Champagne Lanson Black Label (Dank gebührt dafür dem Patron Sascha Stemberg)

Irgendwann zwischen Espresso und dem Abplatzen der letzten verbliebenen Hosenknöpfe überkommt mich der Champagnerdurst anstelle des Verlangens nach Grappa oder anderem Schnaps. Wie gerufen kam deshalb Sascha Stembergs Hauschampagner, der Black Label von Lanson. Der kommt ohne biologischen Säureabbau und infolgedessen mit etwas mehr Säure als andere Champagner seiner Preisklasse ins Glas. Zusammen mit dem herbfrischen Champagnerprickeln ist das für mich der beste Abschluss eines guten Essens und der ideale Übergang zu Kaminfeuer und erotischem Laienschauspiel.

 

B. Das Menu:

I.1 Amuse Gueule: Spargelsüppchen, Nordseekrabben-Happen und Hummersüppchen mit Champagner

Das Spargelsüppchen bildete einen appetitanregenden Einstieg und machte Vorfreude auf den Spargel ganz zum Schluss. Der Happen aus Nordseekrabben und Dill war von einer Bissfestigkeit und Meeresfrische, dass sogar Meeresfrüchteskeptikern Zweifel an ihrer Haltung kommen mussten. Nicht zu vergessen das delikate Hummersüppchen, dessen empfindliche Aromatik völlig frei war von überhitzten Karkassen und angebranntem Hummerfett – ein Aroma, das in manchen gut beleumdeten Küchen wie selbstverständlich zum Krustentiersüppchen dazuzugehören scheint.

I.2 Erster Gruss aus der Küche: Spargelschaum

In der Spargelzeit bietet sich so eine Variation natürlich an. Mir kam sie auf eine fast schon japanische Art schlicht vor: feinstperliger, reinweißer, standfester Schaum, darauf ein paar geröstete Sesamkörner. Schon sehr subtil, um nicht zu sagen: sublim.

II.1 Graupensuppe

Omas Graupensuppe war nicht besser. Das liegt nicht nur daran, dass Oma nach dem Krieg keine nennenswerten Einlagen für die Suppe hatte, sondern das liegt vor allem daran, dass die von Sascha Stemberg einfach überragend gut ist. Früher, als ich noch ein Graupensuppenverächter war, wären mir die Unterschiede gar nicht aufgefallen. Heute dagegen freue ich mich über die herzhafte Wurst, die perfekt gegarten, sämigen, bissfesten, nicht zu matschigen, nicht zu harten Graupen, die richtige Menge an Gemüse und Kräutern, den Salzgrad und die möglichst hohe Serviertemperatur.

II.2 Ziegenkäse mit Rapunzel-Bouquet, Pinienkernen und einer Sauce von Roter Bete, Kümmel und Karamell

Es ist leicht zu erraten, die Sauce gab hier den Ton an, erstklassig sekundiert von den Pinienkernen und in vollendeter Eintracht mit Salat und Ziegenkäse. Ein leichter, gaumenverwöhnender, wegen der großzügigen Menge an Ziegenkäse aber vom Sättigungseffekt her nicht zu unterschätzender Gang.

III. Zweiter Gruss aus der Küche: Entenleberpraliné im Pumpernickelmantel auf Hagebuttenreduktion

Immer wieder ein Vergnügen sind die Pralinés aus Sascha Stembergs Küche. Vor zwei Jahren war seine Blutwurstpraline der Höhepunkt des Abends, nun kam also Entenleber auf den Tisch. Die wirkte etwas rustikaler als die Blutwurstpraline; punkten konnte sie mit ihrer reizvollen Kombination aus Süsse, zartem Schmelz und angenehm vollkörniger Ummantelung. Die Hagebutte hätte etwas konzentrierter oder einfach mehr sein dürfen und gefiel mir zusammen mit Prassens halbtrockenem Riesling ausgezeichnet zu diesem Gruss aus der Küche.

IV.1 1/2 Wiener Schnitzel mit Kartoffel-Radieschen-Salat und Beerensauce

Das Stemberg'sche Wiener Schnitzel ist ebenso wie die Graupensuppe ein Gericht, das durch seine fast obszöne Einfachheit besticht. Die Herausforderung ist dabei nicht, einer altbekannten, täglich millionenfach zubereiteten Speise neue Facetten abzugewinnen. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, ein Basisrezept so ungekünstelt und natürlich wie möglich herzustellen. Das gelingt Sascha Stemberg bei beiden jedes Mal aufs Neue. Das Schnitzel profitiert mächtig von der Herkunft nur wenige Meter die Kuhlendahler Strasse bergaufwärts, die Konsistenz, Faserigkeit und Aromatik des geplätteten Kalbfleischs dürfte selbst Schnitzelstrategen vom Rang eines Figlmüller in bodenloses, oder doch zumindest sehr beifälliges Staunen versetzen.

IV.2 Senfrostbraten mit dicken Bohnen, Perlzwiebeln und Kartoffelstampf

Das Rind – und ich darf mich, da ich während des Studiums für das Fleischrinderherdbuch Rheinland gearbeitet habe, in Rinderfragen einiger Kenntnis berühmen – war seiner Bestimmung aus gutem Grunde nicht entgangen. Denn dieses Fleisch war wie geschaffen für den Teller eines passionierten, manche werden sagen: obsessiven Fleischessers, wie ich einer bin. Als Braten zubereitet schätze ich Rindfleisch besonders, wenn es im Kern nurmehr zartrosa und saftig ist, nicht jedoch blutig, respektive quasi-roh, oder, wie mir auch schon vorgeworfen wurde, nur scheintot, namentlich, wenn ich es als Steak auf dem Teller habe. Dieses erlesene Stück Fleisch entsprach also meinen Vorstellungen von einem guten Rostbraten sehr genau. Was allerdings die Senfkruste angeht, war die mir eine Spur zu wenig senfig. Zwiebelchen, dicke Bohnen und Stampf dagegen waren tadellos.

V. Dritter Gruss aus der Küche: Pfirsichsorbet mit hawaiianischem Vulkansalz

Eine kleine, den Appetit raffiniert befeuernde Erfrischung kam nun aus der Küche. Einige wenige Körnchen von dem ziemlich salzigen schwarzen Salz genügten, um aus einer unscheinbaren Pfirsichsorbetkugel eine Delikatesse zu machen, über deren aromatischen Sensationswert man streiten kann, die mir aber ausgezeichnet gefiel, da ich ein großer Salzfreund bin.

VI. Spargel mit Sauce Hollandaise

Der Spargel war einfach traumhaft. Gleichbleibend dick, nicht zu dick, unverholzt, bissfest, unzerfasert, aromatisch, eben so, wie man sich Spargel wünscht. Die Hollandaise dazu hätte ruhig etwas forscher sein dürfen, ich habe sie letztlich weggelassen, weil mir der Spargel pur lieber war.

VII. Käseauswahl: Brin d'Amour, Langres, Fourme d'Ambert, Rochebaron, eingelegte schwarze Nüsse, Birnenmus und Paprikachutney

Im Champagnerleistungszentrum: Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg

Sip of Gold

Die Brüder Michael und Christian Sieger präsentieren unter dem Markennamen Sieger eine vielfältige Produktpalette, die relevante Bereiche des stylebewussten Haushalts abdeckt. Neben Mode, Möbeln und Papeterie gehört dazu auch die Porzellankollektion „Sieger by Fürstenberg“, die in Kooperation mit der traditionsreichen Porzellanmanufaktur Fürstenberg entstanden ist.

Von besonderem Interesse ist für mich die Serie „Sip of Gold“. Die nur 2 – 2,5 mm dünnen Champagnerbecher von Sieger by Fürstenberg wirken berückend auch auf den, der hauchdünnes Kristallglas von Riedel, Zalto oder anderen Meistern der klassischen Trinkglasfertigung gewöhnt ist. Damit üben die Porzellanbecher eine Faszination aus, der man sich schwer entziehen kann: feinstes japanisches Teeporzellan beherbergt schließlich vergleichbar noble Gewächse und entbehrt einer Vergoldung mit 24 Karat – das ist schon ein Blickfang auf dem Tisch. Die von mir getesteten Modelle Plain, Cushion, Woven, Moon und Circus sind mit unterschiedlichen, eher minimalistischen Reliefdekors versehen, sonst unterscheiden sie sich nicht. Durchprobiert habe ich die Becher in unterschiedlichen Versuchsanordnungen mit Champagnern, deren Geschmacksprofile ich gut kenne. In einem Solotest habe ich die Becher mit drei unterschiedlichen, jeweils schon reifen und sehr ausdrucksvollen Champagner Prestige-Cuvées auf ihre Champagneraffinität hin geprüft. In einem zweiten Teil habe ich die Becher zu einem Menu von Ruhrgebiets-Topkoch Jörg Hackbarth und einer Reihe sehr unterschiedlicher Champagner ausprobiert.

A. Champagner

I. Krug Vintage 1988

Dieser in allen Varianten nussige Champagner, dessen immense Apfelpower sich nach und nach mit einer gemächlicheren Gangart ans gute Werk macht, glänzt mit einer (Aromen-)Vielfalt, wie man sie sonst nur zu Zeiten des Kalten Kriegs auf der ordensgeschmückten Brust eines sowjetischen Gardeoffiziers finden konnte. Die Wucht dieses Champagners allein hätte noch vor wenigen Jahren gereicht, den Eisernen Vorhang einzureißen. Heute ist er versöhnlich, aber nicht ohne ein grimmig-verschmitztes Blitzen in den Augen. Im Sip of Gold fand sich dieser Ausnahmechampagner in einer Ausnahmeumgebung wieder. Und wie das Leben manchmal so spielt – er kam damit nicht zurecht. Die ehrfurchtgebietende Aromaparade musste dramatische Einbußen wettmachen, was im Glas nach Uhrmacherpräzision aussah, wurde im Becher zum fröhlichen Durcheinander. Karneval statt Militärparade, der Champagner als Karikatur seiner selbst.

II. „S“ de Salon 1990

Ein anderer Grande ist der ehrwürdige „S“ de Salon. Ein Champagner, der ein Raunen durch den Raum gehen lässt, selbst wenn niemand im Raum ist. Von einer völlig anderen Bauart, als der 88er Krug, ihm in Sachen Langlebigkeit jedoch verwandt. Als mir ein lieber Kollege vor fünf Jahren einmal 1990er Salon vorsetzte, weil er selbst neugierig auf den Champagner war und nicht glauben wollte, dass ein Champagner nach so vielen Jahren nicht nur nicht tot, sondern noch gar nicht richtig wach sein kann, da war der „S“ gerade aus seiner ersten jugendlichen Bockigkeitsphase herausgetreten und wirkte sehr unausgeglichen. Mittlerweile gibt es einige große 90er, die schon wieder abtauchen, andere drehen nochmal richtig auf und dieser hier schien sich nicht recht entscheiden zu können. Im Impitoyables-Konterglas machte sich viel Cognac, Calvados, Walnuss, malzige, röstige Brotrinde und kandierte Frucht breit, am Gaumen wirkte er aber sehr uneinheitlich und fast ein bisschen müde. Im Porzellanbecher war der Eindruck nicht besser, allenfalls schwieriger zu fassen. Ersichtlich groß, aber seltsam unfokussiert wirkte dieser Champagner. Da ich von seiner Form außerhalb des Bechers nicht ganz und gar überzeugt war, kann ich keine gültige Empfehlung aussprechen, würde aber im Moment davon abraten, reife, mächtige und nussige Champagner aus dem Sip of Gold zu trinken.

III. Louis Roederer Cristal 1997

Eine schöne Paarung, von der ich im Vorfeld schon gedacht habe, dass sie überzeugen würde, war der jetzt sehr reife und gut trinkbare Cristal 1997 im Sip of Gold. Ganz, als hätten sich zwei gesucht und gefunden. Glamourfaktor und Anspruch bewegen sich auf derselben Wellenlänge, der üppige Zarenchampagner und das Adelsgeschirr passen so stimmig zueinander, wie sonst allenfalls noch Kaviar und purer Wodka. Nicht von ungefähr dürften handelsübliche Wodkagläser eine dem Sip of Gold entsprechende Form haben und Cocktails wie der Siberian Kiss aus Wodka, Champagner und sonst nichts erleben in einem Porzellanbecher wie diesem die „absolut“ höhere Weihe.

B. Menu

Der I. Gang bestand aus Hackbarth's Tapas: Thunfisch auf Rübchen, Ententerrine auf Chutney und Grissini mit Scampifüllung auf Asiasalat. Dazu gab es Bernard Tornays Extra Brut. Dessen haustypisch haselnussige, mit Mineralien und Räuchernoten unterlegte Nase wirkte im Porzellanbecher etwas zu breit und alkoholisch. Unterschiedlich hohe Befüllung half nicht, dieses Problem auszugleichen. Der Champagner von Tornay, der sonst in allen möglichen Gläsern zu überzeugen weiß, stieß hier offensichtlich an eine Grenze, was sehr bedauerlich war.

Als II. Gang gab es Jakobsmuscheln in Salbei gebraten auf sizilianischem Brotsalat. Dazu trank ich Champagne Nominé-Renard Brut Rosé. Der fruchtige, feine, sehr elegante, aber nicht überkanditelte Rosé ist auch eher ein Kandidat für Flötengläser. Das wurde einmal mehr im Sip of Gold deutlich. Denn das Verhältnis von Flüssigkeitsoberfläche zu darüberliegendem Duftkamin entspricht beim Sip of Gold in etwa dem eines bis zur breitesten Stelle gefüllten Top Ten Glases von Schott-Zwiesel oder dem eines halbgefüllten One for All Rotweinglases von Peter Steger. Auch aus diesen Gläsern empfiehlt es sich bekanntlich nicht, ultrafeine Rosés zu trinken.

Der III. Gang bescherte mir ein Steinbuttfilet mit Pinienkernen und Serranoschinken auf Tagliolini in Krustentierschaum. Dazu gab es weiterhin den Rosé und außerdem den Nominé-Renard Brut Tradition. Vom Rosé war auch mit Luft nicht mehr viel zu erwarten, der weiße Nominé-Renard gab dafür alles. Im Glas stets einer der lustigsten, zu jedem Gaumen freundlichen Champagner, zerrte er hier alles aus sich heraus und bewies seine wahre Größe. Kein vorschmeckender Alkohol, keine Hitze oder Schärfe, sondern eine üppige, blumige, von getrockneten Cranberries und Sanddorn geprägte Aromatik, dazu ein mildes Trockenkräuterbouquet. Na also, geht doch.

Gang IV. war Maishuhnbrust mit Morcheln auf Leipziger Allerlei und Kerbeljus, dazu gab es weiterhin den weißen Nominé-Renard und zusätzlich 2003 by Bollinger. Meine Haupteindrücke dieses Ganges stammen von den Morcheln, vom Kerbeljus und vom 2003 by Bollinger. Die drei waren wie füreinander geschaffen. Die Morcheln mit ihrer morbide Lüsternheit verbreitenden Aromatik, dazu der konzentrierte, aber nicht lästige Kerbel und ein 2003 by Bollinger in Bestform, Puligny-Montrachet pur! Im Porzellanbecher zeigte sich der Bollinger so opulent verführerisch, pudrig, buttrig, geschmeidig und mätressenhaft wie nie zuvor und war der Version im Konterglas deutlich überlegen.

Zum guten Schluss gab es den V. Gang, ein Délice Variée aus Zitronenparfait mit Erdbeere und Rhabarber, Armen Ritter und Streuselkuchen auf Quarkmousse mit Äpfeln. Dazu weiterhin Bollingers verrückten Jahrgang. Das Zitronenparfait war sauber, etwas milchig, mit angenehm herben Zitronenschalenschnipseln, Erdbeeren, die nach Erdbeeren schmeckten und einem bissfesten, aromatischen roten Rhabarber. Der Arme Ritter passte wegen seiner Herkunft aus der Backstube und seiner nicht so hervorstechenden Süße am besten zum Champagner, der sich von Minute zu Minute weiter in seine Burgunderrolle vertiefte und am Ende noch der Marquise Pompadour höchstselbst den Rang hätte streitig machen können.

Vor dem farbenfrohen Hintergrund des 18. Jahrhunderts, wie ihn der Film Marie-Antoinette mit Kirsten Dunst inszeniert hat, versteht man meiner Meinung nach die Porzellanbecher von Sieger by Fürstenberg erst richtig. Es geht weder im Film noch bei den Porzellanbechern um historische Richtigkeit und erst recht nicht um das unter Weinfreunden beliebte herumeiern um das beste Glas. Es geht bei diesen Bechern vielmehr um die Lust an der Zwanglosigkeit in einer so noch nicht dagewesenen Form. Das macht die Sip of Gold Reihe interessant, aber auch besonders anspruchsvoll …. Denn wie sich gezeigt hat, schmeckt daraus nicht jeder Champagner gut. Das ist kein Grund zur Beunruhigung, wenn man denn weiß, welche Champagner daraus gut schmecken. Und da beweist der Sip of Gold Klasse: Es sind die außergewöhnlichen Champagner, die in den Bechern dieser Serie zu einer Hochform auflaufen können, wie man sie nicht oft erlebt. Der Zarenchampagner Louis Roederer Cristal etwa öffnet in diesem Becher sein orthodoxes Herz und pulsiert mit ungekannter Kraft. Ein anderer mächtiger und rarer Champagner, der 2003 by Bollinger, wächst im Sip of Gold gleichsam über sich selbst hinaus.

Conclusio: Für den gewöhnlichen Genuss sind diese Becher nicht gemacht. Sie fordern kraftvolle, weinige und opulente Champagner. Wer sich zum Kauf von Bechern aus dieser Reihe entscheidet, sollte das sehr bewusst tun. Und er muss sich die Frage beantwortet haben, wie er seinen Champagner trinken will: nach dem Stil der Zeit und ohne Rücksicht auf Verluste, oder mit aller Distinktion und Sorgfalt, die der Wahl eines königlichen Getränks angemessen ist.

Hier geht es zum Hersteller: www.sieger.org/de/sip_of_gold

Champagnermenu in Hackbarth’s Restaurant

Lange bevor ich wusste, wo denn im Ruhrgebiet eigentlich Oberhausen liegt, empfahlen mir bereits verschiedenste Bekannte, bei Gelegenheit Hachbarth's Restaurant ebenda aufzusuchen. Diese Gelegenheit, so dachte ich seinerzeit, würde noch lange auf sich warten lassen und so könne es auch ruhig bis auf weiteres sein Bewenden damit haben. Doch dann kam alles anders, ich ins Ruhrgebiet und natürlich entsann ich mich der betagten kulinarischen Empfehlungen. Am eindrucksvollsten hatte ich den bezwingenden Ton eines ganz bestimmten Fürsprechers im Ohr und an den tagelang nachhallenden Tinnitus konnte ich mich ebenso lebhaft wie deutlich erinnern. So reifte denn der Entschluss in mir, den berühmten Herrn Hackbarth einmal aufzusuchen und setzte sich als latenter Wunsch in mir und letztlich auch in meinen tausenderlei über Tische, Desktop-PCs, Smartphones und Netbooks vagabundierenden, nie wirklich synchronisierten Kalendern fest.

Irgendwie wollte es dennoch nie klappen, mit dem Besuch. Bis ich vor wenigen Wochen eine Veranstaltung auf der Zeche Zollverein mit einem Weinbeitrag samt körperlicher, vor allem stimmlicher und nicht zuletzt auch geistiger Präsenz zu versehen hatte. Wer aber kommt da ebenfalls in das rückwärtige Räumchen? Meister Hackbarth, dem ich somit bei einem von ihm geleiteten Kochkurs von Ferne auf das Hackbrett schauen konnte. Die erste Kostprobe gab es an diesem Abend bereits in Form einer Flusskrebssuppe, die ich in Sterneschuppen schon schlechter bekommen habe. Der danach verabreichte Senfrostbraten vom Iberico Pata Negra-Rücken mit Mille-Feuille von geröstetem Wirsing, gebackenen Karrtoffeln, Birnen-Lauch-Confit und Trüffeljus konnte den Besuchsdruck noch ein weiteres Mal erhöhen.

Wer Hanseaten in der Familie hat, weiß, dass diese Leute gern den Patrizier und Pfeffersack geben. Nicht so der Hamburger Jörg Hackbarth: freundliches, einehmendes und verbindliches Wesen, ein guter Zuhörer und besonnener Sprecher. Und ein ungekünsteltes understatement, das man ihm gern abnimmt. Dabei, und das ist fast das beste, ein Champagnerfreund. Die Sache war schnell klar und gegen alle terminlichen Widerstände spitzte ich gestern endlich in Hackbarth's Restaurant.

Der I. Gang bestand aus Hackbarth's Tapas: Thunfisch auf Rübchen, Ententerrine auf Chutney und Grissini mit Scampifüllung auf Asiasalat. Dazu gönnte ich mir Bernard Tornays Extra Brut. Dessen haustypisch haselnussige, mit Mineralien und Räuchernoten unterlegte Nase war ein Sparringspartner auf Augenhöhe für den exzellenten Thunfisch. Ob die anderen beiden da mithalten würden? Sie hielten. Entenfleisch ist so oder so einer der absoluten Traumpartner für dosagearme Champagner denn das, was diesen Champagnern manchmal an Saftigleit fehlt, bekommen sie von einer guten Entenfleischterrine oder -galantine allemal zurück. Nun noch die Grissini, die nicht zu gross, nicht zu teigig, von der richtigen Knusprigkeit – nämlich ohne die Gefahr mittelschwerer Gaumenverletzungen durch granatsplitterartige Teigbruchstücke – und dem richtigen Verhältnis von Teig zu Füllung waren. Exakt zu diesem Champagner passte das nahtlos. Selbst der von mir ob seiner süssen Säure zunächst mit Sorge betrachtete Asiasalat spielte mit.

Als II. Gang gab es Jakobsmuscheln in Salbei gebraten auf sizilianischem Brotsalat. Dazu trank ich Champagne Nominé-Renard Brut Rosé. Die Salbeiblätter waren von milder Salbeiwürze und Gottseidank nicht so herb-medizinal, was zu dem feinfruchtigen Rosé nämlich gar nicht gepasst hätte. So allerdings passten die Salbeiblätter gut zum Champagner und zur Jakobsmuschel, die wiederum auf einem vorbildlichen Brotsalat thronte. Dessen geröstete Brotscheiben waren überwiegend dünn bis hauchdünn und allesamt knusprig. Das für mich entscheidende bei diesem Gericht ist, dass die Brotscheiben nicht von den Tomatenwürfeln aufgeweicht werden, bevor man mit dem Essen überhaupt beginnt. Sehr zu meiner Freude blieb die ganze Komposition stabil und verlief nicht zu einem Tomaten-Brot-Matsch. Der Champagner freilich hatte etwas Mühe mit dem rustikalen Salätchen, wäre aber auch schon mit der Jakobsmuschel allein in Bedrängnis geraten.

Der III. Gang bescherte mir ein Steinbuttfilet mit Pinienkernen und Serranoschinken auf Tagliolini in Krustentierschaum. Dazu gab es weiterhin den Rosé und außerdem den Nominé-Renard Brut Tradition. Der Fisch mit dem grotesk verdrehten Gesicht zeichnet sich durch ein festes, strahlendweisses Fleisch aus, das zur kombination mit dem Fleisch von Landbewohnern herausfordert. Oft bekommt man dann eine gebratene Blutwurstscheibe zum Steinbutt, bei Hackbarth's war es Serranoschinken. Den fand ich, zusammen mit dem ganz dezent aromatischen Krustentierschaum, gut dazu ausgewählt und zubereitet. Die Pinienkerne waren darüber hinaus eine geschickte Überleitung zu den recht weichen Tagliolini. Zu alldem vertrug sich der weiße Champagner-Allrounder von Nominé-Renard sehr gut und bei diesem Gang zeigte sich dann auch der Rosé wieder versöhnlich. Zum weißen Fischfleisch gefiel er mir übrigens besser, als zum Serranoschinken, beim weißen Champagner war es genau umgekehrt.

Gang IV. war Maishuhnbrust mit Morcheln auf Leipziger Allerlei und Kerbeljus, dazu gab es weiterhin den weißen Nominé-Renard und den 2003 by Bollinger. Meine Haupteindrücke dieses Ganges stammen von den Morcheln, vom Kerbeljus und vom 2003 by Bollinger. Die drei waren wie füreinander geschaffen. Die Morcheln mit ihrer morbide Lüsternheit verbreitenden Aromatik, dazu der konzentrierte, aber nicht lästige Kerbel und ein 2003 by Bollinger in Bestform, Puligny-Montrachet pur! Das zweifellos gelungene Maishuhn wurde fast zur Nebensache, das Leipziger Allerlei konnte im Rahmen der Butteraromatik glänzen.

Zu, Schluss gab es den V. Gang, ein Délice Variée aus Zitronenparfait mit Erdbeere und Rhabarber, Armem Ritter und Streuselkuchen auf Quarkmousse mit Äpfeln. Dazu weiterhin Bollingers verrückten Jahrgang. Das Zitronenparfait war sauber, etwas milchig, mit angenehm herben Zitronenschalenschnipseln, erdbeeren, die nach erdbeeren schmeckten und einem bissfesten, aromatischen roten Rhabarber. Der Arme Ritter passte wegen seiner Herkunft aus der Backstube und seiner nicht so hervorstechenden Süße am besten zum Champagner, der sich von Minute zu Minute weiter in seine Burgunderrolle vertiefte. Die Streusekuchenstange war wegen ihrer Festigkeit das ideale Werkzeug, um die fluffige Quarkmousse aus dem Becher zu holen und dabei immer auch ein paar Apfelwürfel mit aufzulesen. Noch vor wenigen Monaten hätte der Bollinger ganz gewiss auch dazu gepasst, aber an seinem Burgundertag war die Kombination mit dem Armen Ritter überlegen.

So ging die Zeit in Hackbarth's Restaurant dahin und hat sich gelohnt. Ein Blick auf das Regal mit den in der Vergangenheit geleerten Weinflaschen bestätigte, was ein Überfliegen der Weinkarte unmissverständlich angekündigt hatte: hier wird gute Küche mit Freude am Wein gelebt. Nicht unerwähnt bleiben darf der flotte und gut geschulte Service, kleine Holperer beim Dahersagen der Menuabfolge sind lässlich und spielen insbesondere für mich bei einem Haus, das mit guten Gründen nicht am Sternerummel teilnimmt, keine Rolle.

Dom Ruinart vertikal getrunken

A. Blancs:

I. 1981

Dem 81er hatte das Haus ein neues, nicht mehr ganz so überfrachtetes Etikett spendiert. Ob sich das auf den Champagner ausgewirkt hat? Man weiß es nicht. Überfrachtet wirkt an diesem athletischen, aber nicht asketischen Typ nichts. Drahtig und sehnig, Grapefruit und Toastbrot, ein isotonisches Getränk für Genießer, ideal nach dem Fressmarathon oder einer langen Rotweinprobe.

II. 1993

Kein sehr starker Dom Ruinart, man muss sich sogar fragen, was bei Ruinart in diesem Jahr passiert ist und für mich eng damit verknüpft ist die Frage, warum zum Teufel man keinen 95er Dom Ruinart bekommen kann. Der Champagner hat eine dürftige, allenfalls seltsam reife, aber überhaupt nicht ansprechende Nase. Und schmeckt einfach nur fertig. Meiden!

III. 1979

Mühelos überholt der 79er den 93er. Was ist da noch an Leben in diesem Champagner, ein bizzeln und sprotzeln, das reinste Fest. Dazu Milchkaffee, Toffee, ankaramellisierte Butter, englische Orangenmarmelade, so schön müssten alle reifen Champagner sein und vor allem die viel zu vielen viel zu gewöhnlichen Blanc de Blancs können sich bei diesem Reifeverhalten eine dicke Scheibe abschneiden.

IV. 1990

Ein Champagner, den ich mit Fragezeichen versehen hatte und auf den ich gespannt war. Die 1990er sind allgemein sehr früh – ich vermute ja: von Champagner-immer-viel zu-jung-Trinkern – enthusiastisch beschrieben worden. Und wahrlich, das timing war nicht schlecht: die Abfolge 1988-1989-1990 spielte guten Kellermeistern phantastisches Material in die Hände, viele 88er sind heute bombig, von den 89er hört man nicht mehr viel, weil sie wahrscheinlich überwiegend getrunken wurden, und 1990 nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Bis zum Jahreswechsel 1999/2000 waren die damals teilweise flammjungen 90er weit überwiegend in einer sehr guten Form. Danach tauchten viele ab, manche tauchten nie wieder auf, andere sind noch untergetaucht, andere kommen langsam in der nobel-zurückhaltenden Zeremonien-Gewandung großer Champagner wieder an die Oberfläche. Dieses Abtauchen wird bei anderen Weinen selbstverständlich hingenommen, bei Champagnern jedoch fast immer und vor allem von Bordeaux-Leuten zunächst mit Irritation quittiert. Völlig zu Unrecht, wie ich meine. Beim Dom Ruinart 1990 wusste ich nicht, in welcher Form ich ihn antreffen würde. Die Antwort hätte Conrad Ahlers kurioser Weise schon 1962 gewusst: "bedingt abwehrbereit"! So wie der 90er Rosé sich mit einer nicht altersuntypischen Gemütlichkeit rund und weich zeigte, war auch der weiße Dom Ruinart 1990 jenseits seiner midlife crisis wieder aufgetaucht. Leichte Bindegewebsschwäche, mäßig ausgeprägte Antriebsstärke, abgeschliffene Reiss- und Schneidezähne, erste Anzeichen einer Osteoporose. Damit will ich nicht sagen, dass der Champagner im Eimer war, so schwach wie der 93er war er lange nicht. Er war mehr der Typ Business Angel, also der gestandene Manager, der die gröbsten Stürme des Lebens hinter sich gebracht hat und jetzt sein umfangreiches Wissen weitergibt. Denn an Aromenfülle war kein Mangel. Jetzt trinken.

VI. 1988

Ein unerwartetes Kopf-an-Kopf Rennen gab es mit dem 1988er Dom Ruinart. Von schlankerer Anlage und bei den Rosés mit etwas mehr als einer Nasenspitze vorn, war hier der Gegensatz zwischen reifem, aufgeplustertem, farbenfrohem 90er Chardonnay und vorbildlichem, säurestarkem, reichlich bissigem, in der Jugend sogar giftigem Blanc de Blancs gut zu sehen. Im Vordergrund Kaffee und Röstaromen, dicht dahinter eine agile, mineralische Zitrussäure und ein feiner Schmelz. Ich glaube nicht, dass sich da noch sehr viel ändern wird, insbesondere weiß ich nicht, ob mit weiterer Flaschenreife noch eine zusätzliche Aromenschicht hinzutreten wird. Wenn er sich so noch etwas hält, ist das schon eine sehr gute Leistung. Traumhaft wäre dieser Champagner natürlich in einer mit Champignons und Waldboden angereicherten Form. Wird man ja sehen, ob das noch kommt.

VII. 1996

Der erste Dom Ruinart mit dem jetzt aktuellen abgerundeten Etikett. Kann man im Moment nicht viel zu sagen, finde ich. Hart, aber nicht abweisend, sehr viel Zitrusfrische macht sich am Gaumen breit, dahinter kommt noch nicht viel zur Geltung. Anknüpfungspunkte für ein gutes Reifeverhalten könnte die etwas undurchdringliche, milchige Crèmigkeit sein. Milchig empfinde ich hier vor allem im Sinne einer dicken, süsslichen Milchcrème, nicht im Sinne einer abgeflachten und breitgewalzten Aromatik, die auf übertriebenen Säureabbau zurückgeht. Der Champagner befindet sich offensichtlich noch im Puppenstadium, wo er gern die nächste Jahre bleiben darf, wenn es der guten Sache dient.

 

B. Rosés:

I. 1979

Ein Etikett so elegant wie die Holzstiche und Schnitzmotive von lustigen Biertrinkern in Opas Kellerbar. Stets als Assemblage-Rosé mit knapp 20% Stillwein aus Verzenay und Verzy, das Grundgerüst ist reiner Chardonnay. Schon ein sehr reifer Rosé, der mit viel kandierter Frucht, Orangeat, Amarena-Cocktail-Kirschen und einer insgesamt süsslichen Art, wie sie die älteren Herrschaften gern haben, zu überzeugen versuchte. Positiv hervorzuheben ist die enorme Präsenz, die der Champagner hatte und die sehr reichhaltige, das Alter und die vereinzelt trocknend wirkenden Sherrytöne etwas vergessen lassende Aromatik.

II. 1982

Diesen Dom Ruinart gab es zum Glück schon mit dem geringfügig aufgehübschten Etikett. Ebenfalls ein sehr rüstiger Rosé. Frühverrentete Lehrer, die im Garten ihre Kirschen vor dem Raub der Vögel beschützen, können nicht dynamischer sein. Gedeckter Kirschkuchen mit guter Schlagsahne, dazu Schwarztee. Gut möglich, dass der hohe Pinot-Anteil sich im Alter typischerweise mit dieser Kirschnote bemerkbar macht. Fällt mir erst jetzt auf.

III. 1986

Reifer, als ich vermutet hätte, vielleicht liegt's am Jahrgang. Während ich bei den beiden Vorgängern mit der Kaffeekränzchenstilistik gut zurecht kam, hätte ich mir hier Abwechslung oder zumindest eine jugendlichere Interpretation gewünscht. Doch statt einer aufgepeppten Version von gedecktem Kirschkuchen und Tee gab es nun Schwarzwälder Kirsch, Dänische Buttercookies, Mandelkrokant, Mürbeteigkuchen und Jacobs Krönung mit Kirschwasser. Sehr schön, einerseits, dass da noch so viel Spiel war, anstrengend andererseits, so viele, leider zum Teil schon etwas angetrocknete Aromen im Mund zu haben.

IV. 1985

Frischer, griffiger, frecher und mal wieder eine Bestätigung für die Langlebigkeit und Qualität des Jahrgangs war der 1985er. So simpel und unraffiniert es klingt: Rote Grütze (natürlich die mit dem guten Überseerum) mit Vanillesauce im Pfannkuchenwrap beschreiben es ganz gut.

V. 1990

Aus der Normalflasche war er mit viel Freude trinkbar, bei diesem Champagner lohnt sich aber die Anschaffung in Magnums, denn der Magnumeffekt ist hier scheinbar besonders stark ausgeprägt. Entwicklungsfreudig, wobei das Tempo, mit dem die Fruchtparade vorbeizieht teilweise etwas hektisch und überstürzt wirkt. Typisch für Dom Ruinart Rosé und beim 90er besonders stark ausgeprägt ist die weinige, deutlich vom Spätburgunder geprägte Art. Weiche Aromen von Kokos, Mandel und Milchschokolade, erfrischende Komponenten vom Erdbeer-Rhabarber Kompott. Aus der Magnum ist die Entwicklung langsamer, genussvoller.

VI. 1988

Auf Augenhöhe mit dem 90er. Gebuttertes Rosinenbrötchen, eine Auswahl verschiedener Fruchtmarmeladen, Toastbrot und Kaffee – bei diesem Champagner erkennt auch der Letzte die Bedeutung des Worts Champagnerfrühstück. Einziger Wermutstropfen: in der Normalflasche gewinnen nach Luftzufuhr süssliche, kräuterige Aromen und eine alterstypische eindimensionale Säure etwas zu schnell die Oberhand.

VII. 1996

Blind würde man sagen: erstens Blanc de Blancs und zweitens untrinkbar. Wer ihn jetzt öffnet, sollte ein Freund stark gepfefferter Austern mit etwas zu viel Zitronensaft sein. Daneben finden sich noch einzelne, verloren wirkende rote Johannisbeeren und ätherisch feine, bzw. ätherisch kleine Mengen reifer Himbeeren. Erinnert mit etwas Gewöhnung (oder Einbildung, schwer zu sagen) an Molke mit Erdbeer-Himbeer-Maracuja Geschmack. Jedenfalls ein gutes Zeichen für später.

Einladung zur Champagnerprobe für Neugierige

Für alle, die sich dem Champagner freundschaftlich nähern wollen und in den Tiefen der Kreidekeller von Reims und Epernay noch kein zweites zu Hause gefunden haben, biete ich am 15. Mai 2010 eine Auswahl von 14 aktuellen Champagnern an.

Neben bekannten Vertretern, werde ich einige in Deutschland weitgehend unbekannte Winzer der Champagne vorstellen. Winzer mit außergewöhnlichen Einzellagenchampagnern, exzellente Jahrgangschampagner und Grand Crus werden sich mit Biochampagner und holzfassausgebauten Cuvées ein Stelldichein geben. Natürlich wird auch ein Dom Pérignon geöffnet.

Und weil man nicht nur trinken kann, wird es auch noch tagesfrische, kulinarische Köstlichkeiten – auf die Champagner abgestimmt – geben.

Die Champagner-Verkostung findet am 15.Mai 2010 in Essen statt!
Die Kosten für die Veranstaltung betragen 95,- Euro gegen Vorkasse bis zum 30.4.2010

Darin enthalten sind:
– Die Verkostung von 14 Champagnern nebst lehrreichen Ausführungen zu den einzelnen Sprudlern
– Begleitende Speisen

Ich freue mich, viele bekannte Gesichter wiederzusehen und neue Champagnermitstreiter kennen zu lernen!

ProWein-Champagner: Nachlese Teil II

IX. Besserat de Bellefon

Auch hier selbst zu später Stunde noch freundlich Bewillkommnung und Vorführung der neuen, superschicken Lackholzkiste, in der sich die gamme stilgerecht präsentieren lässt.

1. Cuvée des Moines Blanc de Blancs

Ein zuverlässiger und immer wieder auf sehr hohem Niveau angesiedelter Champagner ist der Blanc de Blancs von Besserat de Bellefon. Schafgarbe als Hinweis auf eine flüchtige Säure vermochte ich darin weniger wahrzunehmen, als mir im Gespräch angekündigt wurde. Dafür reife Aprikosen und weisse Pfirsiche, mit Luft entfalteten sich tatsächlich noch ein paar gebrannte Mandeln und kandierte Früchte, der Säurewert blieb auf dem Teppich.

2. Cuvée des Moines Millésime 2002

Sahnig, stoffig, lockend, mit einer an Bienenwachs erinnernden Nase und sehr milder Textur. Wie schon der Blanc de Blancs war dieser Champagner kein Säuregigant. Tarurig hat mich das nicht gemacht, denn für Säure ist der Jahrgang sowieso nicht berühmt. Eher schon für eine lange, balancierte, sehr elegante Art. Die war hier etwas gehemmt und wirkte schüchtern, erholt sich aber bestimmt in den nächsten Jahren.


X. Francoise Bedel

Vincent Bedel nahm sich sehr viel Zeit, um die außergewöhnlichen Champagner seiner Mutter vorzustellen. Die Biodyn-Zertifizierung erfolgte 2001, nachdem Francoise und Vincent 1996 ein dramatisches Schlüsselerlebnis hatten. Dabei wurde vor allem Francoise klar, dass Leben und Arbeit bei ihr aus der Blanace geraten waren. Der Arzt Robert Winer, dem die Familie einen Hommage-Champagner widmet, ist der Impulsgeber für die vollkommene Umstellung von Lebensstil und Arbeitsweise gewesen.

1. Origin'elle 2004

78PM 13CH 9PN. Saftig und glatt, in der Nase hagebuttig, apfelpektinig, auch Fenchel, mit Kräutern und etwas exotischer Frucht. Machte einen warmen, wohligen Eindruck von altgewordenem Apfel. Am Gaumen wenig Angriffsfläche meiner Meinung nach der morbideste von allen Bedel-Champagnern

2. Dis, Vin Secret 2003 Brut Nature

86PM 8PN 6CH. Klassischer und schöner dagegen der Dis, Vin Secret, trotz des schwierigen Jahres. Aufgrund der hohen Reifegrade war bei diesem Champagner keine Dosage nötig, wie sich nachher beim dosierten Dis, Vin Secret zeigen würde. Merklich waren die fortgeschrittenen, reifen Aromen von Trockenobst und eine leicht alkoholische Note.

3. Entre Ciel et Terre 2002 Brut Nature

100% Pinot Meunier. Sehr spielfreudig zeigte sich der Entre Ciel et Terre. Hinter dem pudrigen Make-Up versteckte sich eine überraschend hervorschnellende Säure, die man einem reinen Meunier nicht ohne weiteres zutraut. Apfel, Hefezopf und allererste Anlagen für eine toastige Röstigkeit, dazu etwas Lemon Curd. Stattlicher Champagner.

4. Entre Ciel et Terre 2002 Brut

Erwartungsgemäss etwas gedämpfter, ich will nicht sagen verwaschener, waren die Aromen beim brut dosierten Entre Ciel et Terre. Immer noch ein schöner Champagner, der viele Champagnerfreunde sehr positiv überraschen dürfte, aber wenn man ihn als brut nature getrunken hat, wird man den dosagelosen Champagner bevorzugen. Wirkte am Tag davor und in einem anderen Kontext (nämlich gegenüber dem Dis, Vin Secret 2000 und 2003) besser.

5. Dis, Vin Secret 2003 Brut

Hier dasselbe. Gegenüber der dosagelosen Ausgabe einfach ein Haufen mehr an reifen, teilweise überreifen Aromen und kein bisschen übriggebliebener Säure. Lässt den Champagner langsam, fad und müde wirken, was schade ist.

6. Robert Winer 1996, dégorgiert im Oktober 2008

88PM 6CH 6PN. Einer Gesamtsäure von 8,01 g/l stehen hier 6,9 g/l Restzucker gegenüber, freies SO2 lässt sich mit lächerlichen 13 mg/l nachweisen. Das Öffnen der hanfstrickverschlossenen Flasche mit dem eigenwilligen Etikett lässt die Reise beginnen. Die fernöstliche Reisgebäcknase deutet noch nichts von der ungeheueren Kraft dieses Champagners an. Die kommt erst im Mund voll zur Geltung. Das ist kein harmloses tackling mehr, sondern ein rabiater bodycheck. Wie ein mittlerer Sekiwake verstopft der Champagner erstmal den Mund, bevor er mit einiger Anstrengung der Geschmacksnerven sinnvoll getrunken werden kann. Grapefruit, Pitahaya, Granatapfel, Kumqat und Physalis rumpeln erbarmungslos in den Schlund und lassen einen aufgerührten Trinker zurück.

Am Tag zuvor hatte ich auf der Renaissance des Appellations bereits folgende Champagner von Bedel probiert:

7. Dis, Vin Secret 2000

Fortgeschrittene, aber nicht unangemessene Reife. Mit Kandiszucker lackierter Apfel trifft es wohl ganz gut. Unter der knusprigen Karamellzuckerschicht lag ein warmer, mürber Apfel mit einem sehr appetitlichen Fruchtfleisch.

8. Âme de la Terre 1998, dég. Juni 2008

24PM, 35PN 41CH. Mit 11,9 g/l dosiert, bei 4,55 g/l Säure. Was war zu erwarten? Dass der Champagner fruchtig sein würde, weil leicht pinotdominiert und weil die Chardonnays von Bedel keine besonders fordernde Säure entfalten. Was noch? Dass die Frucht mir zu plakativ sein würde und der Dosagezucker mir zu hoch vorkommen würde. Und dann noch, dass das späte Dégorgement dem Wein etwas zusätzliches Leben einhauchen würde, worüber ich mir aber noch nicht ganz sicher war. Genau so war der Champagner am Ende. Eigentlich schade, denn in der langen Lagerphase hätte doch etwas viel besseres draus werden können – die Cuvée Robert Winer hatte es vorgemacht.


XI. Fleury

Fleury ist mit revolutionären Methoden vertraut. 1901 gehörte Fleury (gegründet 1895) zu den ersten Winzern der Region, die gepfropfte, reblausresistente Pinot-Noirs pflanzten. Während der Wirtschaftskrise von 1929 gehörte Fleury dann zu den ersten Erzeugern, die ihre Trauben wieder selbst vinifizierten und nicht mehr zu Schleuderpreisen an die großen Häuser verkauften. Im Jahr 1970 war Fleury einer der ersten ökologisch arbeitenden Winzer. Die Umstellung auf biodynamisch erfolgte schrittweise seit 1989, damit ist Fleury wiederum einer der ersten biodynamisch arbeitenden Winzer in Frankreich. Schon am Vortag auf der Renaissance des Appellations probiert.

1. Brut Tradition Blanc de Noirs

Vollmundiger, gutmütiger Champagner.

2. Brut Prestige Fleur de l'Europe

Gewöhnungsbedürftiges Etikett. 85% Pinot-Noir und 15% Chardonnay. In Nase und Mund dann nicht ganz so gewöhnungsbedürftiger, kräftiger, dichter, nicht sehr komplexer Champagner.

3. Rosé de Saignée Brut

Nach den beiden behäbigen, ordentlichen weissen Champagnern kommt beim Rosé eine kleine Überraschung, der Champagner ist von einer gewissen Eleganz und Leichtigkeit, die man gemeinhin mit Rosé-Champagner verbindet, vom Hausstil aber nicht unbedingt erwartet.

4. Millésime 1995, dég. 2009

Wie praktisch immer bei Fleurys Jahrgängen 80% Pinot-Noir 20% Chardonnay. Deutlich ist das Pinotübergewicht, aber der Chardonnay setzt sich mannhaft zur Wehr. Unterstützung erhält er vom späten Dégorgierzeitpunkt, das gibt ihm einen Frischeturbo. Im Moment sehr schön zu trinken, vielleicht die nächsten drei Jahre noch auf diesem Niveau, dann dürfte der Champagner abbauen. Interessanter Kandidat für eine Gegenüberstellung normaler Dégorgierzeitpunkt ./. spätes Dégorgement.


XII. Franck Pascal

Monsieur Pascal war wieder selbst am Stand und erklärte seine Champagner, die es demnächst mit neuen Etiketten zu kaufen gibt. Zur Biodynamie kam er über das Militär. Dort lernte er chemische Kampfstoffe kennen und war später ganz frappiert, als er auf der Weinbauschule eine ähnliche Wirkweise von Pestiziden, Herbiziden und allen möglichen anderen -ziden auf lebende Organismen kennenlernte. Folgerichtig beendete er 1998 den Einsatz von Chemikalien und Düngemitteln im Weinberg.

1. Cuvée Prestige Equilibre 2003

Drittelmix, der mit backenzusammenziehendem Süssholz anfängt und die schwarze, von Holunderbeersaft, Brombeeren und Cassis geprägte Aromatik durchhält. Wirkt bereits ganz zugänglich.

2. Cuvée Prestige Equilibre 2002

Drittelmix, mit 4,5 g/l dosiert. Viel enger, verschlossener, mineralischer als der 2003er. Kein Champagner, der jetzt oder innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre viel Freude bereitet und im Moment nur sehr trainierten Champagnerfreunden gefallen dürfte. Wenn alles gutgeht, ändert sich das demnächst, der Champagner ist einfach noch viel zu sehr in sich selbst verdreht.

3. Cuvée Tolérance Rosé

Nach den beiden Jahrgängen wirkte der Rosé fruchtig, unausgezehrt, ausgeruht und wie zu Scherzen aufgelegt. War er in Wirklichkeit natürlich nicht, da war sein vom Sagesse ererbtes Naturell und die schwer entzifferbare Handschrift des Winzers davor. Unter den Rosés unserer Zeit sicher einer der interessantesten. Nichts für Hedonisten.


XII. Philipponnat

Die Champagner von Charles Philipponnat sind immer ein Gläschen wert, waren am Stand leider sehr sehr kalt.

1. Royal Reserve

Jugendlich, unbekümmert, frisch und fruchtig plätscherte der Standardbrut ins Glas. Dahinter steckt überwiegend Pinot-Noir, ca. ein Drittel Chardonnay und ca. ein Viertel Pinot Meunier. Der Reserveweinanteil kann auf bis zu 40% klettern und wird im Soleraverfahren gewonnen. Biologischer Säureabbau ist für diejenigen Grundweine, die bei Philipponnat ins Holz dürfen, kein Thema. Unter anderem deshalb stecken sie die 9 g/l Dosagezucker gut weg. Für ein großes Haus wäre das übrigens nicht besonders viel, doch ist Philipponnat kein grosses Haus, sondern eher ein großer Winzer. Das sieht man allenthalben an der sehr sorgfältigen, am Detail orientierten Vinifikation. Wie es sich für gute Winzer gehört, trägt jede Flasche das Dégorgierdatum auf dem Rückenetikett. Immer wieder eine Freude und in Deutschland ein noch immer viel zu unbekanntes Haus.

2. Grand Blanc Millésime 2002

Dieser Champagner ist in Teilen ein Clos des Goisses. Dort stehen nämlich ein paar Chardonnayreben, die nachher einen Teil der Wirkmacht des Clos des Goisses ausmachen. Zu 15% stammen die Chardonnays dieses Weins ebenfalls aus dem Clos des Goisses. Der Rest kommt überwiegend aus der Côte des Blancs. Im Stahltank bekommen diese Weine ihren Schliff und ihre chablismässige Statur, wobei es auch in diesem Champagner Anteile gibt, die im Holzfass waren und keinen BSA mitgemacht haben. In der mit 5 g/l dosierten Cuvée merkt man von alledem nicht viel. Ich war zum Beispiel viel mehr damit beschäftigt, über den Chardonnay aus dem Clos des Goisses nachzudenken und ob ich den beim nächsten Besuch mal als Grundwein probieren könnte. Denn irgendwas haben diese Trauben, was dem Champagner einen besonders weichen twist verleiht, eine träumerische Unschärfe nach der Art wie sie David Hamiltons Bilder berühmt gemacht hat.

3. Réserve Millésimé 2002

70% Pinot-Noir aus Ay und Mareuil, 30% Chardonnay aus der Côte des Blancs. Trotz seiner Dosage von 9 g/l ein lebhafter, frischer Champagner, der mir aus der Kollektion am gefälligsten vorkam. Datteln, Feigen, Aprikosen, weisse Schokolade und Limette halten sich hier spannungsvoll die Waage.

4. Cuvée 1522 Blanc Grand Cru 2002

Gedächtniscuvée anlässlich der Niederlassung der Familie in Ay. Folglich muss Pinot-Noir aus Ay mit 60% den Löwenanteil in der Cuvée bekommen. Warum der Rest Chardonnay aus Oger stammt, ist mir nicht klar. Ich finde das nicht konsequent; Philipponnat hätte viel lieber Chardonnay Grand Cru aus Ay nehmen sollen, das hätte viel authentischer zu der Cuvée gewirkt und außerdem traue ich Philipponnat ohne weiteres zu, mit den Trauben vernünftige Resultate zu erzielen. Im Bereich der von diesem Champagner bereits preislich anvisierten Kundschaft wäre das sicher auf große Entzückung gestossen. Mit 4 g/l dosiert und langem Hefelager ist der 1522 so etwas wie eine kleine Prestigecuvée. Schmeckt balanciert, pendelt sich aromatisch beim Khakisüppchen mit Pinienkernen und Ingwer ein.

5. Clos des Goisses Blanc 2000

70% Pinot-Noir und 30% Chardonnay. Wie bei allen Philipponnat-Champagnern geht es auch hier um Frische, Klarheit, Rasse und Stil, daher der bewährte Mix aus Stahltank und BSAlosem Fassausbau. Obwohl mit nur 4 g/l dosiert und zu kalt serviert, entfaltete der Clos des Goisses mühelos seine ganze Pracht. Kakao und Kirsche, Toastbrot und Powidl-Palatschinken, Kaisermelange, Germ- und Marillenknödel, die ganze Wiener Kaffeehauskultur in einem Champagner! Ein schöner Beleg dafür, dass der Clos des Goisses besonders in schwachen Champagnerjahren großartige Champagner liefern kann.

6. Royal Reserve Rosé

Ein Assemblage-Rosé mit 7-8% Coteaux Champenois. So leicht und lebensbejahend wie das zarthelle Rosa des Champagners schmeckt er, Erdbeer-Himbeeraromen werden von 9 g/l Dosagezucker recht vorteilhaft herausgehoben, eine hauchdünn unterlegte Tanninstruktur erinnert daran, dass der Champagner aus einem sehr distinguierten Haus kommt. Alles in allem dennoch kein besonders komplizierter Champagner.


XIII. Paul Goerg

Monsieur Moulin, den die Genossen bei Ruinart herausgekauft haben, stellte die Cooperativenchampagner und die neue, 2004 als Handelshaus gegründete Marke Prieur vor. Die Goutte d'Or aus Vertus stand bis vor kurzem unter der Leitung von Pascal Férat, der nach den jüngsten Querelen in der Winzerschaft die Führung des Winzerverbands übernommen hat. Unter dem Namen Paul Goerg treten die Genossen seit 1982 eigenständig am Markt auf, vorher teilten sie das Schicksal des unbekannten Saftlieferanten mit zahllosen anderen Kooperativen der Region.

1. Brut Tradition

60CH 40PN. Sehr leichter, mit seinen 8 g/l nicht hoch dosierter Champagner. Weinig und angenehm, etwas kurz.

2. Blanc de Blancs

Dem Tradition eng verwandt, mit mehr Dampf, mehr campheriger Säure und einem Beigeschmack von geschwenkter Butter. Nicht besonders groß.

3. Blanc de Blancs Millésime 2002

Stärker hervortretende Chardonnayeigenschaften, voluminöser Apfel, bei mäßigen Säuregraden. Wenn die Mitgliedsbetriebe ihre Lagen in den Premier und Grand Crus der Côte des Blancs haben – so scheint hier doch überwiegend das leichte, fruchtige Element verarbeitet zu werden. Geht beim 2002er in Ordnung.

4. Cuvée Lady Millésime 2000

85CH 15PN. Acht Jahre Hefelager. Ziemlich proper, dabei fast ein wenig divenhaft schwankend zwischen fruchtiger Herzlichkeit und spröder Mineralität präsentiert sich die Prestigecuvée der Genossen. So stellen sich die Mitglieder die perfekte Champagner-Winzerehefrau vor, geschäftlich diamanthart, aber reinen Herzens, rund, facettenreich, nach innen ausgeglichen und harmonisch. Gelungen.