Unaufgeregten und souveränen Weinservice ohne Punkteneurose, unnötiges Flaschenöffnungstamtam und Abverkaufsdruck bestimmter Pflichtweine findet man leider nicht sehr oft. Findet man ihn dann doch, kann man sehr froh sein. Ich bin sehr froh, dass ich mit Sebastian Bordthäuser einen besonders angenehmen Repräsentanten des Sommelierstands – früher im Düsseldorfer Monkeys West und nun – in Steinheuers Restaurant praktisch vor der Nase habe. Die dortige Weinkarte ist nicht reich an Champagnerspezialitäten, bietet aber eine ganze Reihe lohnender Trouvaillen. Wer sich für Dom Pérignon erwärmen kann, wird von der ansehnlichen Reihe an Oenothèques begeistert sein, Freunde von Billecart-Salmon kommen hier ebenso auf ihre Kosten, wie die große Gruppe derer, die den Winzerchampagnern von Egly-Ouriet verfallen sind. Die Preise sind nicht überzogen, wenngleich man natürlich nicht erwarten darf, eine Oenothèque in der Gastronomie für unter 500,00 €/Fl. zu bekommen. Wer bereit ist, für eine Flasche zwischen 135,00 € und 200,00 € anzulegen, darf sich z.B. über einen 1990er Nicolas-Francois Billecart freuen, den 1989er Cristal gab's für, ich will nicht sagen: lachhafte, aber eben für 'nur' 189,00 €. Gab's, denn es war die letzte Flasche!

 

A. Die Weine:

I. Krug Vintage 1982

Jancis Robinson gibt 20/20, womit sie nicht weit weg von der Wahrheit liegt. Die erste Sensation, noch bevor die Flasche überhaupt an den Tisch kam, war der Schmunzelpreis, zu dem sie verkauft wurde. Hätte mich nicht noch der Cristal aus der Karte heraus so bezwingend angesprochen, wäre ich bei diesem tatsächlich dicht an der Perfektion rangierenden Champagner geblieben. Was mich bei Krug immer wieder fasziniert, ist seine geheimnisvolle Doppelnatur, die sich beim 82er besonders deutlich bemerkbar machte: kaum ein anderer Champagner schafft es, gleichzeitig so dicht, konzentriert und wuchtig, ja mächtig zu sein, dabei aber behende und leicht über die Zunge zu schweben. Solange man ihn solo trinkt, stellt man diese ganz gewisse Janusköpfigkeit gar nicht fest. Das ändert sich, sobald man einen Vergleichschampagner im Glas hat.

II. Louis Roederer Cristal 1989

Unter Tränen brachte Sebastian seine letzte Flasche vom 1989er Cristal an den Tisch. Schon von Ferne hörte ich das vielversprechende Folienknistern und als sie dann da stand, war die Spannung greifbar. Denn den 1989er Cristal habe ich nach meiner Erinnerung noch nie mehr als nur schlückchenweise probieren können. Vom 1988er und vom 1990er Cristal weiß ich hinlänglich, wie sexy die beiden sein können. Der professionell anturnende 88er auf der einen Seite, der molligere und rubensartiger weiche 90er auf der anderen Seite sind schon ein prima Duo. In die Mitte, aber eher auf der Seite des 1988ers fügte sich der 1989er dem – nun – Trio ein.

 

Außerdem:

III. Haart, Piesporter Goldtröpfchen Auslese 2001

Leichtfruchtig, moselanische Lebensfreude mit verschmitztem Lächeln. Saftig, apfelig, mit Duftnoten von Tee und gepufftem Reis.

IV. Jochen Dreissigacker, Bechtheimer Hasensprung Auslese, Jg. ?

So fett wie die Farbe schon andeutete, war der Wein. Mir war das zu viel Schmelz, zu viel auch von der überreif und überkonzentriert süß-sauren, etwas unbeweglichen Art.

V. Weinrieder, Hölzler, St. Laurent Roter Eiswein 2008

Rötlich; jodig, fast salzig. Im Mund dann derbfruchtig, wie Acerola, Gojibeere, Wildkirsche, Blutorange mit leicht tanninigem grip. Starker Wein mit einem sahnigen Hauch, der nur leider etwas rumpelig und unelegant abgeht, was aber vielleicht in der Natur des St. Laurent liegt.

 

B. Das Essen:

I. Amuse Gueule: Tatar mit Crème Fraîche und Kaviarhaube – Aalsud mit Blutwurst-Chip – Spanferkelwürfel auf Grünkohl

Der Blutwurst-Chip hätte ruhig knuspriger sein dürfen, der Aalsud war mir etwas zu mild. Das Tatar war hingegen gut und verband sich über die Crème Fraîche gut mit dem Kaviar. Der feine Grünkohlsud tat es ihm mit dem Spanferkel nach.

II. Kalbskopfvariation als Gruß aus der Küche: als Praline auf Belugalinsen – Zunge mit Tomatenconfit – als Carpaccio mit gepufftem Speck

Die Praline mit ihrer schönen Konsistenz und die Linsen gefielen mir am besten; die großzügig geschnittene Zunge mit dem Tomtenconfit war sehr puristisch gehalten und bot mir weder im positiven noch im negativen Angriffspunkte; das Carpaccio gefiel mir sehr gut und über den gepufften Speck brauche ich ja gar nicht reden, dafür bin ich immer zu haben.

III. Landei mit Culatello und Idiazabal

So klein es auch war, so gut schmeckte es doch, dieses magische Ei.

IV. Jakobsmuscheln mit Périgord-Trüffelkruste und zweierlei Lauchcannelloni

Wie der Lauch seine hier erreichte perfekte Konsistenz bekommt, ist mir ein Mysterium, kann es aber ruhig sein, solange ich ihn in Steinheuers Restaurant nachordern kann. Die Jakobsmuscheln haben vom Trüffel profitiert und ohne hätte ich sie auch gar nicht haben mögen, soo wahnsinnig gern esse ich die nämlich bekanntlich auch wieder nicht.

V. Sot l'y laisse mit Froschschenkel, Erbsen und Verbene

Ausschlaggebend war für mich bei diesem Gericht in erster Linie die Verbene, denn ich liebe ihr Aroma. In zweiter Linie dann fand ich es lustig und sinnig, das froschgrüne Thema mit den Erbsen mit freundlicher Ironie aufzunehmen. Dass meine Entscheidung goldrichtig war, wusste ich schon, als ich den Teller nur ansah. Bombensicher war die Sache dann, nachdem ich alles wegvertilgt hatte, wobei ich tatsächlich kurz überlegt habe, mir davon noch einen Teller kommen zu lassen.

VI. Rehrücken mit Lorbeer, Kohlrabi und Pimientojus

Traumhaft zart, mit der gewünschten Mürbe und dem ersehnten Wildaroma kam das Reh auf den Teller, auf den Kohlrabi kam es daneben nicht mehr an. Gemundet hat auch der Pimientojus.

VII. Bluttaube nach Schnepfenart, mit Lebercroûtons, Roter Bete, Speck und gebutterter Tauben-Consommé

Einen Knusperschlegel von der Schnepfe, von der ich mir erst via google ein Bild vergegenwärtigen musste um zu wissen, welches Lebewesen seine wertvollen Proteine für mich dahingegeben hat, futterte ich weg als säße ich bei KFC. Mit derselben besinningslosen Fresslust hätte ich auch noch den rest vom Teller verspeist, wenn ich mir nicht scharf innerlich Einhalt geboten hätte. So kam ich in den langsamen, würdigen Genuss der unnachahmlich saftigen Bluttaube, deren qualvoller Erstickungstod dem Vernehmen nach eine größere Menge vom Blut an den Muskeln des Körpers belässt, was nachher eine gute Kombination mit der Roten Bete abgibt und dringend nach Pinot ruft, den ich mir in Form eines Schlückchens vom guten Krug eigens dafür aufbewahrt hatte.

VIII. Côte de Boeuf mit Wasabi-Schalottenbutter, Aniskarotten und falschem Sellerie-Markknochen mit Ochsenschwanzragout-Füllung

Rind mit Wasabi war schön, sehr schön dazu waren die feinen Aniskarotten. Der aus einer ausgehöhlten Sellerie geschnitzte Markknochen war außerdem mit köstlichem Ochsenschwanzragout gefüllt, für das ich in dieser Form eine ausgeprägte Schwäche habe.

IX. Vacherin Mont d'Or im Belanakartoffelmantel gebacken, dazu Endivie und schwarzer Trüffel

Die wesentliche Daseinsberechtigung des Vacherin Mont d'Or ist seine famose Backofenverwendbarkeit. Statt ihn stumpf in den Ofen zu schieben hat Meister Steineheur sich einen Kartoffelmantel dazu einfallen lassen, der den schlichten Käse zusammen mit dem clever zugefügten Trüffel in den Propylon des guten Geschmacks versetzte.

X. Gewürz-Omelette "Surprise" mit Quittenvariation und Bereberitze

Die Surprise war ein Eis, auf das ich auch hätte verzichten können, die festen und die sämigen Quitten trafen meinen Geschmack schon viel besser und pfeilgrad den sweet spot fand die Berberitze.

XI. Pâtisserie: Zimtblüte, Ingwer und Engelwurz

Die Kleinigkeiten bildeten den perfekten, essbaren Übergang zum Cognac.

Abschluss: Cognac Hennessy Paradis

Dieser sehr anspruchsvolle Cognac nahm die Aromen von Zimtblüte, Ingwer, Engelwurz auf und warf sie zusammen mit Spekulatius, Nelke, Nüssen, Blutorangen, Iris, Leder, Trüffel und einer dichtgepackten Salve weiterer, auch hitzigerer Düfte zurück. Sehr sehr viel Luft und ein Glaswechsel waren erforderlich, um dem Cognac noch im Verlauf des Restabends überhaupt einige gelockerte, zwanglosere, weniger kompakte und ultradichte Noten zu entlocken.