Verehrter Lesefreund! Die Lese ist rum. Nach allem, was ich so höre, war sie ganz erfreulich. Der Winter 2014/2015 war mild, der Reifezyklus ging ziemlich zügig voran und ließ eine frühe Ernte erwarten. Trockenheit und Hitze spielten den Winzern mehr in die Hände, als dass sie Probleme bereitet hätten, Vergleiche mit dem 1976er Jahrgang habe ich mehrfach gehört und gelesen. Im August gab es einen kleinen regnerischen Dämpfer, die große Botrytisgefahr blieb aber dank kühler Temperaturen aus. Der September bügelte die Delle weg, vor allem die Tag-Nacht-Temperaturunterschiede beförderten eine gesunde weitere Reifung. Die Lese konnte wie erwartet früh beginnen und bedurfte nur bei den Meuniers erhöhter Wachsamkeit. Potentielle Akoholwerte zwischen 10,5% und 11% und Säurewerte von 8 bis 8,5 g/l H2SO4 allüberall lassen die Ernte sehr vielversprechend erscheinen, eine Herausforderung wird voraussichtlich darin liegen, die Reife- und Alkoholwerte ins Gleichgewicht zu bringen. bzw. dort zu halten. 

 

Das wer der Blick nach vorn. Der ins Jetzt und in die Vergangeheit ist mindestens genauso wichtig. Dabei will ich nicht versäumen, auf einige Winzer und ausgesuchte Champagner hinzuweisen, deren Kauf und Verzehr mir dringend geraten scheint, nachdem ich mich auf der letzten Bulles Bio noch einmal gewissenhaft davon überzeugt habe, nicht am Ende doch daneben zu liegen. Hier also meine Favoriten:

 

Von Larmandier-Bernier habe ich gleich mehrfach den Vieille Vigne du Levant Grand Cru Extra Brut Millésime 2007, u.a. dég. 1. März 2015, probiert. Der ist so exemplarisch für Cramant, so rund, augewogen und saftig, so punktgenau zwischen Säure und Frucht, Pracht und Finesse, dass er wie die Aufhebung der Heisenberg'schen Unschärferelation wirkt. Bei den Blindproben für Meininger und für den Sternefresser Bubble Tank (dazu im nächsten Beitrag mehr) haben die Larmandier-Bernier Champagner leider nicht so abgeräumt. Macht aber nix. 

 

Aus dem Süden der Côte des Blancs kann man heutzutage nicht mehr einfach so nach Norden in die Vallée de la Marne oder Montagen de Reims fahren. Ein Schwenk in das Sézannais ist unerlässlich. Dort wartet z.B. in Villenauxe la Grande Champagne Barrat-Masson. Deren Chardonnay aus der Lage Les Marsannes (aktuell Ernte 2011) kann ich nur immer wieder und immer verschärfter empfehlen, damit es nachher nicht heißt "warum hast Du nichts gesagt?". Kaum merkliche 15% Fassanteil und ein Festival von Mandarine und Nektarine ergeben einen Chardonnay, der nach einer Phase der Heliumleichtigkeit im Frühjahr nun strotzend und stark ist, ohne vornüber zu kippen. Ungebundenheit, Stärke und Präzision machen diesen Champagner aus.

 

Über Thomas Perseval aus Chamery habe ich schon im April nur Gutes zu berichten gewusst. Geilen Saufstoff macht er nach wie vor, seine Cuvée Tradition aus 45PN 45M 10CH, 2012er Basis gehört in jeden gut sortierten Keller, ich rate außerdem dazu, genug davon einzulagern, bevor Preis und Verfügbarkeit die Rechnung wieder durchkreuzen.

 

Und was tut sich in Villers aux Noeuds unweit von Chamery? So manches. Olivier Langlais legt dort Champagne Solemme auf. Ein Biodyn-Vorzeigeprojekt auf knapp 6 Hektar, ich habe von der einzigen Cuvée die es dort momentan gibt, dem bundosierten Blanc de Blancs Nature de Solemme, die Jahrgänge 2011 (Jungfernjahrgang) und 2012 probiert. Viele Flaschen gibt es davon nicht, genaue Zahlen kenne ich nicht, aber die 2013er Ausgabe wird 4000 Flaschen für den Markt ergeben und die 2014er Ernte wird 5000 Flaschen bringen. Wenn die Entwicklung, die sich hier schon von 2011 zu 2012 abzeichnet weiter anhält, dann kommt da ein Champagner mit Riesenschritten auf uns zugerannt, der sich einen Platz im Oberhaus der Region verdient hat. Feine reduktion, schnittige Säure, sehr apart und gleichzeitig hochkomplex. Beobachten lohnt sich hier!

 

Selbst die kürzeste Empfehlungsliste wäre unvollständig ohne den Hinweis auf Champagne Charlot-Tanneux aus Mardeuil. Der reinsortige Chardonnay L'Or des Basses Ronces (Millésime 2011) ist schon wieder so ein herrliches biodynamisches Meisterstück. Wie die von den Inquisitoren eingesetzte Mundbirne spreizt der Champagner den Mund auf und am Ende meint man, der Kopf müsse vor lauter Aroma platzen. Die versöhnliche Säure erdet das Bewusstsein wieder und lässt einen erstaunt schweigenden Trinker zurück.  

 

Der Marne folgend kommt man mit etwas Geduld nach Fossoy, wo Benoît Dehu über Holz aus seinem Wäldchen bei Meilleray gebietet, bzw. daraus Fässlein fertigen lässt, in denen seine Champagner entstehen. Besonderes Augenmerk hat ein Champagner verdient, der als Einzelfass völlig aus der reihe tanzte. Eigentlich hätte daraus der reinsortige Meunier aus der Parcelle La Rue des Noyers werden sollen, die an sich schon aufregend genug ist. Dieses spezielle Fass aber wollte da nicht mitmachen und wurde farblich ein Oeil de Perdrix mit auch sonst devianten Eigenschaften. Die wiederum hat Benoît (dessen Namensvetter in Oeuilly über ein ähnlich verrücktes und hernach zum Riesenerfolg geratenes mocque tonneau verfügte) champagnifiziert undosiert gelassen und unter dem Projektnamen Pythis (oder Pythie) zur Debatte gestellt. Ab November 2015 wird es davon 320 Flaschen geben, dann ist das Fass leer und der Spuk vorerst vorbei. Der Champagner hingegen ist gewaltig und reicht weit über die Aromenwelt von bloßem Meunier hinaus. Schon jetzt Kaffee, Kakaobohne, Kirsche, pflanzliche Einflüsse und keine Spur von Überreife. Was da noch alles kommen mag, kann man sich nur schwer ausmalen und die Versuchung wird riesig sein, die beiden Flaschen die ich mir gesichert habe, nicht vor der Zeit zu öffnen.   

 

In Polisot reißt, resp. zerrt, resp. zieht Roland Piollot, der Mann von Dominique Moreau (Champagne Marie-Courtin) immer mehr Aufmerksamkeit auf oder an sich, bzw. auf Champagne Piollot Père et Fils. Sein reinsortiger, undosierter, nur minimal geschwefelter Weißburgunder aus der Lage Colas Robin, Erntejahr 2010, gehört mit dem Zeug von Cedric Bouchard und Charles Dufour zum Kanon der großen Rebsortenchamnpagner. 

 

Wenige Kilometer entfernt lohnt sich stets der Check im Hause Ruppert-Leroy. Deren Chardonnay aus der Lage Martin-Fontaine (aktuell: 2012er Ernte) betört mich jedes Mal aufs Neue. Apfelkompott, Ananas, Rumrosine, Zitronenzeste. Zutaten, wie man sie jedem reifen, ja sogar leicht überreifen Chardonnay zubilligt, oder zutraut, wenn nicht sogar gänzlich voraussetzt. Nur hier gibts das in einer Aubeinterpretation, die den schon leergesuchten Horizont wider jedes Erwarten weitet. 

 

Bertrand Gautherot, dessen Freude an bunten Klamotten sich nicht so sehr in der Etikettengestaltung wiederfindet, aber dafür in seinen Vouette & Sorbée Cuvées reflektiert wird, hat mit dem undosierten Extrait 2006 einen Champagner aus fassvinifizierten 60PN 40CH gezaubert, dessen vollmundige Herbe zusammen mit der verblüffenden Frische elektrisiert.