Jahrgangschampagner aus dem nur mäßig prominenten Champagnerjahr 1994? Da würde ich normalerweise abwinken. Bei Philipponnat nicht. Nicht, nachdem ich mit dem als ähnlich düster bekannten Jahrgang 1991 aus demselben Haus so gute Erfahrungen gemacht habe und Philipponnat sich nach einigen weiteren Proben sogar als regelrechter Spezialist für derartige Schwachjahre (2000, 2001, 2003) in meinem Verkostungshirn verankert hatte. Eine kleine Vertikale drängte sich also förmlich auf und wenn man schonmal in der Champagne ist, sollte man sich einen Besuch in Mareuil-sur-Ay sowieso nicht entgehen lassen. Die Champagner aus dem Clos des Goisses werden mit Anteilen zwischen 30% und 60% im kleinen Fass vergoren und durchlaufen keinen BSA, egal ob im Fass oder im Stahltank vergoren. Ein Chardonnayanteil von meistens zwischen 30% und 40% dient als Frischespielbein, während der dominierende Pinot Festigkeit, Struktur und Würze liefert. Das Geheimnis seiner outperformance in den bekanntermaßen schwachen Jahren ist damit aber noch längst nicht gelüftet. Muss auch nicht, mir reicht es völlig, wenn ich weiß, auf wen ich mich dann verlassen kann.

 

1. Clos des Goisses 2004, dég. Februar 2013

Eine ganze Wiener Feingebäckstube in der Nase, sehr viel Hagelzucker, einige Zimtblätter, Fenchelsamen und Lindenblütenduft. Der Champagner wirkte noch unentschlossen, war reichlich zu jung und wie mitten in der Pubertät erwischt, der uneinheitliche Mundeindruck rührt außerdem vom kürzlich erfolgten Dégorgement her, denke ich. Ein noch unzusammengefügtes Meisterstück, dessen künftige Balance, eingängig-crèmige Art und superbe Balance greifbar im Raum steht und wahrscheinlich durch nichts mehr verhindert werden kann, außer eben durch unglücklich gewählte Dégorgierzeitpunkte.

 

2. Clos des Goisses 2003, dég. August 2012

Hitzige Nase mit Dill, frischen Kräutern und Anis. Im Mund eine kaktusfeigenartige Stacheligkeit, mit hinterlistigen Säurefäden, die fast schon mehr stören, als helfen. Hilfe nämlich braucht man beim Verdauen dieses dicken Champagners, dem in seinen ersten Glasminuten mittlere und hohe Töne völlig abgehen, wie bei einer defekten Lautsprecherbox. Mit Luft entsteht ein etwas teeriger Duft, der mich an den geschätzten, aber schwierigen Duft Palais Jamais von Etro erinnert.

 

3. Clos des Goisses 2002, dég. Februar 2012

Algen, Apfel, Feigenschale, Melone, ein Nasengefühl wie bei einer sehr noblen Seife. Im Mund geheimnisvoll, mit dunkleren Aromatönungen, als die Nase ankündigt, wirkt zähfließend, was aber täuscht, wobei ich nicht unterschlagen will, dass ich eine höhere Säurepräsenz wünschenswert gefunden hätte. Wie der eng verwandte 2004er wirkt auch der 2002er noch unfertig und weitere drei Jahre Flaschenruhe seien ihm herzlich gegönnt.

 

4. Clos des Goisses 2001, dég. Juni 2011

Mein Favorit. Aus einen frostigen Jahr mit später Lese, Richard Juhlin empfiehlt sogar, den Jahrgang gleich komplett zu ignorieren, aber so kann man eben danebenliegen. Wie im Land der Raketenwürmer schießen Säurefontänen durch den Champagner, eine gewaltige und unbändige Kraft will sich hier aus der Flasche und dem Glas befreien, wenn der Champagner nicht so gut wäre, würde ich Alpträume von der Vorstellung bekommen, sowas in den Eingeweiden sitzen zu haben.

 

5. Clos des Goisses 2000, dég. Juni 2011

und dég. Oktober 2009 getrunken März 2011; deg juni 11, getr juni 11

Ein alter Bekannter ist mittlerweile der 2000er Clos des Goisses und einer von der Sorte, mit denen der Abend gar nicht schiefgehen kann. Komplex und in jeder Sekunde Neues aus den Tiefen seiner Perlage hervorholend, wie ein in Rausch geratener Verkäufer einer Edelboutique. Das ist nicht immer von Anfang an so, diese Flasche hier fand ich zum Beispiel erst etwas arg reduktiv, als sei sie mit einer dicken Kruste Austernschalen verschlossen, die sich aber schnell als brüchig entpuppte und das Panorama exquisit reifer Röstaromen in Nase und Mund entließ. Natürlich wirkte dieser Champagner nach dem brutaleren 2001er süßer, aber eben nicht unterlegen. Die meisten würden ihn dem 2001er wahrscheinlich deutlich vorziehen.

 

6. Clos des Goisses 1995, dég. Juni 2011 (Long Vieillissement)

Von diesem Champagner mussten drei Flaschen von ihrer Daseinsnot befreit und aus dem irdischen Jammertal entlassen werden; die erste hatte deutlichen Kork, die zweite wurde von heftiger Reduktion gebremst und erst die letzte Flasche dankte für die Erlösung mit körpeweise reifen Äpfeln, Kaffee, Pilzen, crèmiger, rahmiger Textur, Veilchennoten, obszön glitschiger Säure und einem ebensolchen Drang in Richtung Rachen.

 

7. Clos des Goisses 1994, dég. September 2004

Der Scheidebecher in mehrfacher Hinsicht. Für die Verkostung der letzte Champagner und für die meisten Champagnertrinker das Reifestadium, ab dem sie aussteigen. Dabei wirkte der 94er Clos des Goisses nicht überreif, maderisiert, allzu sherryhaft oder gar angeschossen, sondern hat derzeit so viel Reife und Konzentration in sich vereinigt, dass ich ihm gut und gerne noch ein beachtliches Leben in der Flasche prophezeie; was die meisten Trinker hingegen stören dürfte, ist die mit der allgemeinen Konzentration einhergehende Ballung herber, dunkler, kräftig-würziger Aromen, die dem Champagner etwas an Tempo zu nehmen scheinen. Für mich bedeutet das Erreichen dieses Reifestadiums nicht anderes als den Aufstieg in eine andere Klasse, weiter nichts.

 

Fazit:

Paradox, dass der Clos des Goisses, eine der heißesten Weinbergslagen der Champagne überhaupt, in so gegensätzlichen Jahren wie 2001 und 2003 so hochzuschätzende Champagner bringt. Toll, dass der Clos des Goisses so eigene, eigenwillige und reifebereite Weine liefert.