Im Nürnberger Essigbrätlein habe ich Billy Wagner leider nicht mehr erlebt, dafür kenne ich ihn aus seiner Düsseldorfer Zeit im Monkeys, wo er zusammen mit Sebastian Bordthäuser (heute Steinheuers Restaurant – wo Billy als Sommelier des Jahres 2011 erst im März des Jahres die falstaff Wein Trophy entgegennehmen konnte) sein segensreiches Weinwirken entfaltete. In der Weinbar Rutz habe ich ihn nach einem schönen "Arbeits"tag aufgesucht. Heißester Tip abseits der sehr guten Küche ist der Champagne Duval-Leroy Femme de Champagne 1996; ein mörderharter Champagner mit der Gaumenwirkung einer Splitterbombe, für 99,00 €/Fl. im Restaurant extrem günstig!

A. Auftakt:

A.I Vorweg gab es Olivenfocaccia, Parmesan-Kartoffelbrot, Fenchelbutter, Meersalz und Olivenöl und zur Einstimmung ein Arrangement aus Krokant, Fenchel, Orange und Pinienkern zum lang gebeiztem Saibling. Daraufhin ging es Richtung Atlantik, zum Thun gab es Yuzupüree mit einer animierenden Sojasauce, beendet wurde der Auftakt mit einem erdigen Süppchen aus Gatower Kugeln und einem Mix aus Apfelsalat, Erbsenpurée, Orange und Fisch.

A.I.1 Der zur Begrüßung ausgeschenkte Blubber war Rutzens Rebellensekt 2006 vom Sekthaus Raumland, dégorgiert im April 2011. Das ist ein laut Etikett brut dosierter Burgundersekt aus Pinot Blanc, Pinot Gris, Pinot Noir, Frühburgunder und Chardonnay. Damit war sofort für etwas Irritation gesorgt, denn das rebellische beim Rebellensekt ist seine fehlende Dosage. Die erste Charge, das Januardégorgement, war ein brut nature. Rein geschmacklich käme das bei diesem zweiten Dégorgement hin, nur das Etikett wäre dann im Sinne der Rebellenidee erklärungsbedürftig. Geerntet wurden die Grundweine für diesen Sekt noch vor dem großen Regen, als das Material noch von erhabener Güte war. Spritziges Naturell und eine klebstoffige Nase schließen einander hier nicht aus. Zum Soja/Yuzu passte das herovrragend, auch mit Fenchel und Orange war die Kommunikation einwandfrei, zum Fisch kühlte sich das Verhältnis leider etwas ab.

A.I.2 Als Konter gab es den Rosé von der hierzulande zunehmend beliebten Veuve Fourny. Dieser Familienberieb aus Vertus vereinigt zwei Stärken des Örtchens in einer Hand. Vertus wird nämlich als Premier Cru und äußerster Südausläufer der Côte des Blancs oft nicht auf Augenhöhe mit den Grand Crus wahrgenommen, die sich von Epernay aus gesehen vorher aufreihen. Dabei wird heutzutage gern vergessen, dass gerade das berühmte Le Mesnil selbst lange Zeit "nur" als Premier Crus klassifiziert war. Darauf bezieht sich die eine Stärke der Ortschaft: teilweise partizipieren die Vertus-Chardonnays an der chthonischen Mineralität und Tiefe der Mesnil-Terroirs, was ihnen im Idealfall eine ungeahnte Langlebigkeit bei gleichzeitiger Delikatesse verleiht. Die andere unzweifelhafte Stärke von Vertus sind seine warmen, sämig-fruchtigen, Pinots. Im Rosé kommt beides zusammen. Der Spätburgunder beansprucht nach einer kurzen Aufwachphase den Platz an der Tafel, was der Chardonnayanteil in Höhe von ca. 20% schneidig sekundiert. Der Champagner ist leicht, aber nicht belanglos, fruchtig, nicht bonbonig und seine hintergründige Aromenfülle eignet sich bestens zur experimentierfreudigen Küche und lediglich mit dem Soja/Yuzu gab es Verständigungsprobleme.

Das Menu:

B. 15 min Atlantikküste

In der Speisenkarte annonciert als "Mariniert & Meersalz Rose, Estragon, im Heu geräuchert & Verbene, Pomelo", dazu gab es:

BI.1 Lauri Pappinen, Gotland, Batels 2010

Ein Mix aus Phönix und Solaris, der wie ein etwas schweißig geratener Sauvignon-Blanc schmeckte und sich bestens mit dem ersten Erlebnis vertrug.

BI.2 Philipp Wittmann, trockene Rebellen-Scheu 2009 en Magnum

Eine nur von wenigen Winzern trocken trinkbare Rebsorte, die ihre wahre Stärke zum zweiten Erlebnis zeigte und mit der Holzkohleräuchernote brillierte.

B.II.1 Serviert wurde als erstes Erlebnis dieser Inspiration Rote Garnele mit gegrillter Melone und Pomelo, dazu Rosenblätter, Estragontupfer und ein Meersalzgelee, das aussah, wie eine Ladung Zuchthengstsperma. Köstlich war's. Das obszöne Gelee verband auf magische Weise Meeresbewohner, Zitrus-, bzw. Kürbisfrucht, Rosengewächs und Küchenkraut. Dazu passte der Schwedentrunk auf eine bauhausartig funktionale Weise sehr gut. Die Aromen griffen ineinander, wenn schon nicht auf wundersame Weise, dann wenigstens mechanisch reibungslos.

B.II.2 Das zweite Erlebnis war eine ganze Garnele mit ausgeprägten Räucherduft, um die herum sich Zitronengras, ein kräftiger Sud in gesonderter Schale und Olivensalz im Alu-Töpfchen gruppierten, freundlicherweise gab es für die Hände ein heißes Handtuch. Nach getaner Schälarbeit war freies Würzen angesagt, ich habe alles mal probiert: die Garnele pur, mit dem Pipettenstoff, mit dem Salz, alles zusammen und in Einzelteilen, den kräftigen Sud aus der Schale mal dazu, mal davor und mal danach.War das eine Freude! Am Ende gefiel mir diese Kombination am besten: auf die Garnele ein paar Tropfen aus der Pipette, paar Krümel Salz drauf, zusammen mit einer winzigen Menge Sud runterspülen, Scheurebe hinterdrein.

C. Deutscher Imperialkaviar, Grübels Gartengurke & Maldon Auster, 2 mal Müller

Deutschen Imperialkaviar aus Münster und schöne Austern habe ich zuletzt in Höchstform beim Düsseldorf Oyster Massacre ganz clichéhaft zu Roederers Cristal Blanc und Rosé gefuttert. Dass es auch anders geht und dass vor allem Gurke ein fabelhafter Begleiter dazu ist, der die Weinauswahl wiederum nicht erleichtert, wurde nun luzid.

C.I.1 Zahel, Sauvignon-Blanc, Wien "Kroissberg" 2010

Ungewohnt hart schmeckte der weltläufig wirkende Sauvignon Blanc mit den Wiener Wurzeln zur Auster.

C.I.2 Veyder-Malberg, Grüner Veltliner, Wachau "Kreutles" 2010

Der feine Grüne Veltliner hatte eine Note von reifem Gemüse und kam wahrscheinlich deshalb mit der Gurke so gut zu recht, musste sich aber der Auster geschlagen geben, mir war er dafür zu leicht.

C.I.3 Champagne Duval-Leroy Millésime 1999

Zuckerbrotig, weich und mild, feine Nussigkeit und Milde, dabei nicht schlaff. Packte es gut zur Auster, ist aber natürlich nicht so waaahnsinnig originell.

C.I.4 Leitz, Rüdesheimer Berg Rottland Riesling Alte Reben 2008

Ein ganz starker Rheingauer Wein, standfest wie ein Mafioso mit Betonschuhen. Dabei eignet dem Wein nichts bedürckendes oder schwermütiges, lahmes, allzumächtiges oder irgendwie verschnarchtes und wäre da nicht die tiefe Gründung im Rheingestein müsste man im Gegenteil befürchten, dass der Wein mit gestreckten Sprüngen entfleucht.

C.I.5 Daniel Vollenweider, Wolfer Goldgrube Riesling Spätlese 2008

Für mich der Star aus Vollenweiders Wolfer Goldgrubenlagen ist der Schimbock, klar. Mineralisch wie ein Meteoritenfeld und ebenso schwerelos, nur ob er auch zum Essen passt? Zu diesem eher nicht. Deshalb ist die herb-feinherbe Wolfer Goldgrube Spätlese mit ihren zwischen Wachs und Grapefruit angesiedelten Noten wahrscheinlich die bessere Wahl gewesen. Der Wein drängte sich dank seiner diskreten Anlagen nicht in den Vordergrund, richtig herzliche Freundschaft entstand zwischen Auster und Wein aber auch nicht.

CII.1 Auster im Knuspermantel auf Austerntartar mit einem Löffel voll Kaviar

Auster auf Austerntartar hätte ich nicht so gut gefunden wie Auster im Knuspermantel auf Austerntartar. Normalerweise mag ich Auster sowieso lieber nur als Auster und kein Knusperzeug oder Gratin oder sonstige Garnitur dran oder drumherum. Dass hier eine gewisse Abgrenzung notwendig war, liegt aber auch wieder nahe, deshalb war der Knuspermantel mehr als ok, von seiner handwerklich tadellosen Ausführung (unverpappte Knusprigkeit) ganz zu schweigen.

C.II.2 Pumpernickelwürfel, Crème Fraîche, Rote-Bete-Röllchen, Gurken-Austern-Süppchen mit Fentimans Tonic Water, serviert im der Länge nach durchgeschnittenen Bocksbeutel

Faszinierend war das Gurkensüppchen, originell die Servierweise, Pumpernickel, Kaviar, Crème Fraîche passten ideal, nur die Frage, ob man nicht auch einen passenden Müller-Thurgau aus Franken dazu hätte finden können, beschäftigte mich noch ein Weilchen.

D. Golden Balsam

Unter diesem Namen firmiert in der Karte eine Inspiration, die in Form von "Bisonhüfte & Anisduft, Sardinilla de Rianxo 1000 jähriges Landei & Pfifferlinge, Erbse" zum Erlebnis wird. Dazu gab es:

D.I.1 Nittnaus, Chardonnay Leithaberg 2008

Der Blaufränkisch passte mit seiner Blaubeerzuckerwattenaromatik und den karamelligen Noten traumhaft gut zum Ei.

D.I.2 Domaine de l'Horizon, Le Patriot VdP de Côtes Catalanes Blanc 2009

Dieser Wein brauchte die meiste Luft und schmeckte mir am besten, nachdem der Gang schon längst verputzt war. Bis dahin konnte er sich nicht recht zwischen Erkältungssalbe auf Eukalyptusbasis, Bienenwachs und Zitronenmelisse entscheiden

D.I.3 Elisabetta Foradori, Nosiola Fontanasanta, biodynamischer Amphorenwein

Erst kam mir eine erschreckende Säure entgegen, die mit dem Mund aber nicht mehr zu detektieren war, jedenfalls dort nicht störte. Aromatisch irgendwo zwischen Garrigue und Torrone, wenig Gerbstoff, sanft ausgleitend.

D.II.1 Unterm Glasdeckel befand sich das Bison-Tartar auf Balsam, Anissamen gaben beim Abheben des Deckels ihren Duft frei, zum Bison gab es außerdem noch eine reingespießte Babysardine, Knusper und einen Fenchel-Geleewürfel. Der Vollenweider, der noch auf dem Tisch stand, zeigte sich zur Sardine sehr spielfreudig und ging mächtig auf, zum Geleewürfel erhob sich auch der Leitz nochmal mühelos zu voller Größe. Der schwierige Amphorenwein war mir, wenn ich es recht bedenke, zum Bison der liebste Wein. Den bei aller Verspieltheit der Präsentation waren hier doch eine ganze Menge Komponenten unter einen Hut zu bringen, weshalb die Küche von Marco Müller nicht von allen in gleichhohem Maße geschätzt wird – und, man muss es sagen, wohl auch probematischer wäre, wenn nicht Billy Wagner immer mindestens ein Gewächs zur Hand hätte, das wie ein deus ex machina den Aromentumult befriedet. Der Foradoriwein zeigte hier sehr beachtliche Hütehundqualitäten und bewahrte den Gang davor, in alle Richtungen auseinander zu driften.

D.II.2 Mein kulinarisches Spitzenerlebnis war das 1000jährige Landei mit einer am Platz applizierten Injektion Apfelbalsamessig von Gegenbauer. Sensationell! Zwar weiß ich seit meiner ersten Lektüre der Bücher z.B. von Joseph Wechsberg, dass das Ei in der Spitzengastronomie – ähnlich wie die Gurke – unterschätzt wird, doch dass einem Ei solchen Zauber entlocken kann, finde ich umwerfend. Dass dazu der Chardonnay von Nittnaus perfekt passt, macht es nur umso schöner. Den Horizon-Wein fand ich gegen Ende immer besser zum Ei, aber weil wegen meiner übergroßen Gier von dem Ei schnell nichts mehr da war, konnte ich die Kombination nicht länger verfolgen. Durchweg kontrovers war das Verhältnis von Amphorenwein und Ei, hier war von der befriedenden Fähigkeit des Nosiola nicht mehr viel zu spüren, mir war das zusammenspiel zu unausgeglichen und unruhig.

E. Wagyurind

Diese Inspiration steht in der Karte als "Waldorf & Perigordtrüffel, confierte Brust Geschmortes & Aubergine, Rosmarin", dazu gab es:

E.I.1 Uwe Schiefer, Rutz-Rebellenwein Pala 2008

Ich fand den Wein solo zurückhaltend, geschmeidig, unaufgeregt und von eher nördlicher Bauweise. Eigenständigen Glanz versprühte er zusammen mit dem Waldorfsalat, zur Wagyubrust war er der perfekte Butler. Speziell zum geschmorten Bäckchen sollte sich diese Eigenschaft als sehr hilfreich erweisen.

E.I.2 Az. Agr. Cos, Rutz-Rebellen- und Amphorenwein Pithos 2009

60 Nero d'Avola 40 Frappato. Rosa Beeren, Früchtekompott und eine vielleicht sogar nur eingebildete, aber auf jeden Fall eigenwillige – und meiner Meinung nach: – Steingutnase.

E.II.1 Ein Waldorfsalat à la Marco Müller begleitete zusammen mit Périgordtrüffel die confierte Rinderbrust. Deren unanständiger Glanz war so verlockend, dass ich den Salat ganz aus den Augen verlor. Ganz und gar getrübt wurde meine Wahrnehmung von dem Zusammenspiel mit dem an sich erstmal gar nicht besonders auffälligen, wenngleich einnehmenden und sympathischen Wein von Uwe Schiefer. Natürlich: ich könnte jetzt an- und abheben, von ungarischem Feuer, burgundischer Feinheit und österreichischem Schmäh zu schwadronieren, damit läge ich noch nicht einmal besonders weit neben der Sache.

E.II.2 Geschmortes Wagyubäckchen, Zucchini-Röllchen, Mangold-Croutons, Sud. Das ganze schmeckte wegen der konzentrierten Würze schon beinahe scharf, was ein Warnhinweis für drohende Übertreibung ist. Auch dies ist wieder so ein Gericht, das manchen Esser davon abhalten wird, sich den Müllerschen Kreationen aussetzen zu wollen. Mir gefällt gerade diese auf die Spitze getriebene Würzung, sie ist aber auch sehr anstrengend und wirkt too much, wenn sie sich durch das ganze Menu zieht. Das war bei mir zum Glück nicht der Fall, ein zuverlässiger Partner war weiterhin der Pala, dessen Butlerfähigkeiten hier stark gefordert wurden.

F. Käse

Auf Desserts lege ich keinen besonderen Wert, um mich dennoch weiter durchporbieren zu können, orderte ich eine kleine Käseauswahl. Dazu gab es:

F.I.1 Haart, Piesporter Goldtröpfchen Kabinett Erste Lage 2009

Dem Wein fehlte nur ein Hauch Säure, sonst war er in guter Form und gehört nicht umsonst zu meinen Mosellieblingen. Bestens war er zusammen mit dem Blauschimmel. Erstaunlich gut gefiel er mir zum Epoisses und zum Munsterkäs.

F.I.2 Dr. Henrik Möbitz, Gewürztraminer Auslese "Kapelle" 2008

Ultrarar sind die Weine vom Freiburger Pinotspezialisten Henrik Möbitz. Deshalb freute ich mich umso mehr, auch noch ausgerechnet seinen schönen Gewürztraminer ins Glas zu bekommen. Der ist mild, weich, hält gierige Trinker mit einer leichten Chlornote vom unbedachten wegsüppeln ab und belohnt den wartenden mit einer piekfeinen Note von Muskatellertrauben und Rosenblüten. Zum Crottin de Chavignol, zum Munster und zum Hartkäse mit der Tresterkruste dessen Namen ich nicht mehr weiß, war das der klare Favorit. Zusammen mit dem Blauschimmel wirkte er leider zu dünn und wässrig.

F.I.3 Graham's Tawny Port 20 yrs

Stets eine sichere Bank, mit seinen Mandel- und Mon-Cheri Aromen, der bei allem friedlichen Fruchtaroma im Hintergrund agierenden seriösen Herbe, den nicht überkonzentrierten Trockenfrüchten und der nicht übermäßig mehligen Textur. Überzeugte zusammen mit der marinierten Birne und den Cookiekrümeln, sowie zum selbstgemachten, saftigen Früchtebrot und zum Hartkäse, war für den Ziegenkäse dagegen nicht gemacht, gefiel mir auch nicht besonders gut zum Epoisses. Schwierig war er auch mit dem Blauschimmel.

F.I.4 Bodegas Tradicion Pedro-Ximenez 20 yrs, Flasche #872/1850

Pflaumenmus, Russische Schokolade, mit Spuren von schwarzem Pfeffer. Klar und strukturiert, kam mir auch sehr dicht vor, fast schon monolithisch. Gegenüber dem Ziegenkäs zu massiv, dem Epoisses begegnete er mühelos, zu Munster und Hartkäse war er überaus konziliant, mit dem Blauschimmel tat er sich schwer.

Als Abschluss gab es noch etwas Zuckerwerk:

Der Passionsfruchtlolly war spitze, auch die Cointreaupraline fand ich gut. Die geeiste Kokoskugel war mir zu sehr Raffaello, das Linzer Törtchen sprach mich ob seiner Winzigkeit nicht genügend an, die im Kakao versunkene Mandel war mir dagegen zu mastig.