Stimmenfang ist eine lose Folge von Kurzinterviews mit Sommeliers über Champagner, Cognac und dies und das in der Spitzengastronomie. Den Anfang machte Hagen Hoppenstedt vom Adlon. Heute ist der Feinschmecker Koch des Jahres 2011 dran, der auch mal im Adlon zu Hause war, wo ich seine Küche im Jahr 2008 kennengelernt habe.

Wenn man früher in der Rudi-Dutschke-Str. im Sale e Tabacchi saß und sich z.B. eine Flasche Rosé-Champagner von Billecart-Salmon schmecken ließ, die es dort zu einem sagenhaft günstigen, ja APO-fähigen Preis gab, dann blickte man gegenüber in eine Toreinfahrt und auf gesichtlose Häuserwände. Daran hat sich nicht viel geändert. Doch wenn man heute durch diese Toreinfahrt geht und dann einen scharfen Rechtsschwenk macht, dann landet man im Restaurant von Tim Raue. Dort gibt es – nicht nur am Krug Table – Champagne Krug zu sagenhaft günstigen Preisen. Das Glaserl Champagne Krug Grande Cuvée kostet 28,00 €, eine ganze Flasche kostet mit 196,00 € kaum mehr als im Laden.

Ich weiß nicht, wie Tim Raue in seiner Frühzeit Mitte der 90er gekocht hat. Doch weiß ich, dass er sich von seinem damals nicht sehr üppigen Gehalt die ersten Krug-Champagner leistete. Für Jahrgänge wie 1979 und 1985 musste man damals schon stolze ca. 90 DM berappen, gute 10% seines damaligen Salärs, wie er mir in der Kellerbar verriet. Ein Glück, muss man sagen, dass Tim Raue sich seinerzeit kaltblütig zu dieser Ausgabe entschließen und sich in der Folge außerdem für die burgundischen Champagner von Anselme Selosse sowie für Burgund selbst begeistern konnte – eine Begeisterung, die bis heute anhält und hoffentlich noch lange fortdauern wird. Denn schließlich ist das gelungene Zusammenspiel von Speisen und Wein wie die glückhafte Beiwohnung von Mann und Frau eines der elementar schönsten menschlichen Erlebnisse, weshalb der Volksmund beides mit gutem Grund zur Liebe, die durch den Magen geht sinnerhaltend verkürzt. Die Verfeinerung eines großen repas au champagne ist für Tim Raue der Inbegriff dieser Emergenz. Kulinarisch dauerte es freilich eine gewisse Zeit, bis die Seelenverwandtschaft zwischen Küche und Champagner mit der heutigen Fulminanz, resp. Fulguration hervortrat. Mit der momentanen Manifestation in Form des Krug Table ist das Ehepaar Raue deshalb, so scheint's, ganz zufrieden.

Ein Blick in die Champagnerauswahl verrät oder bestätigt, je nach Vertrautheitsgrad, welchen Kochstil man bei Tim Raue erwarten darf. Der Hauschampagner ist die Grande Cuvée, klar. Doch kann der echte Sparfuchs in der Krugauswahl noch ganz andere Offerten ausmachen. So kostet der aktuelle Clos du Mesnil 666,00 €, ein Preis der gut 100,00 € unter dem durchschnittlichen Fachhandelspreis liegt. Eine andere Quasi-Kalkulationslücke bildet der ultrarare Clos d'Ambonnay, die Flasche schlägt mit 2.222,00 € zu Buche. Im Fachhandel kostet so ein Büddelken bis zu 2.500,00 €, mit etwas Ausdauer findet man sie geringfügig günstiger. Für die Gastromie jedoch ist die geforderte Schnapszahl ein Schnapperpreis, wenngleich unter Genussgesichtspunkten andere Champagner interessanter sind. Von Selosse gibt es eine schöne Auswahl, die mit dem Brut Initial beginnt und neben der Solera-Cuvée den Blanc de Noirs La Côte Faron aus Selossens jüngster Reihe an parcellaires beinhaltet; vermisst habe ich den Blanc de Blancs Extra Brut Vintage. Vom brother in arms Erick de Sousa (die hervorragende Cuvée des Caudalies kostet bei Tim Raue in weiß relativ sparsame 134,00 €, als rosé 222,00 €) und vom Fachhandels- wie Gastrolieblingschampagner aus dem Hause Egly-Ouriet (der selten gewordene 1999er und sein Blanc de Noirs Vieilles Vignes liegen beide bei 228,00 €, hier ist es wirklich Geschmackssache welchen von beiden man zu dem Preis bevorzugt bestellen sollte) gibt es jeweils eine schöne Auswahl, außerdem sind die Jacquesson-Inhaberbrüder bis zum Jeroboamformat auf der Karte vertreten und deren quasiburgundischen 2004er Terres Rouges Extra Brut Rosé gibts für 198,00 € – das ist nicht gerade günstig, aber man begegnet diesem klug ausgesuchten Champagner nur selten in der Gastronomie; was wiederum schade ist, denn nach dem ultraseltenen Jungfernjahrgang 2002 und dem arg fetten 2003er ist der meunierdominierte 2004er eine Sommeliergeheimwaffe für abgespannte Gourmetgaumen. Nicht auf der Karte, aber im Restaurant erhältlich ist der flaschenvergorene sparkling Sake Mizubashu Pure.

Was trinkt nun Tim Raue am liebsten für Champagner? Klare Antwort: Krug Vintage 1996. In all den unzähligen Weinforen im Internet und in einer fiktiven Befragung aller Wein- und speziell Champagnertrinker dürfte man vergleichsweise häufig diese Antwort erhalten und kaum überrascht sein, gemeinhin reicht nämlich die Erfahrungstiefe mit Krug-Jahrgängen selbst bei den älteren Semestern unter den Vinophilen selten weiter als bis in die 60er. Doch sollte man aufhorchen, wenn ein ausgemachter Champagnerspezi, der sich bei Krug bis 1928 durchgetrunken hat, mit den Collections-Jahrgängen vertraut ist und seit dem ersten von Krug vinifizierten Jahrgang (1979) alle Clos du Mesnil kennt, als seinen Liebling den 1996er benennt. Hiervon hat sich Tim Raue Magnums für den Privatgenuss hingelegt, was sogar doppelt aufhorchen lassen sollte. Denn dem Trinken um des trinkens willen ist er abhold, privat wird deshalb nur selten mal eine Flasche geöffnet.

Nun zum Cognac. Zum charentaiser Brandwein hatte Tim Raue lange Zeit kein rechtes Verhältnis. Den Bogen schlug er über den Rum und landete so bei den alten, reifen Eaux de vie. Ohne große Umstände zieht er deshalb zur Illustration eine Très Vieille Réserve de Lafite Rothschild aus der Kellerbar hervor, nebst einer Flasche Mouton Eau de Vie de Marc d'Aquitaine, (eigentlich ja eher ein Fruchtbrand auf Mouton-Basis) sowie eine Flasche des für den englischen Markt bestimmten Cognac Hine, landed in 1962, bottled in 1980. Alles Brände, die solo stehen und für sich selbst wirken müssen. Bei Tim Raue werden Cognacs dieser Art individuell nach dem Essen im nosing Glas offeriert, wenn der Gast den Eindruck vermittelt, dass er damit etwas anfangen kann. Dass diese Gäste nicht selten sind, zeigen die niedrigen Füllstände und damit zeigt sich auch, dass Tim Raues restaurant vor allem auch ein Restaurant für Leute ist die, mit seinen Worten, richtig lecker trinken wollen.