Meine jüngste Tour führte mich wieder mal in Papstnähe. Nicht nach Rom, nicht an die Rhône freilich. Sondern nach Châtillon sur Marne. Zu Füßen der dortigen Statue von Papst Urban II. kenne ich ja mittlerweile schon den einen oder anderen nennenswerten Erzeuger. Nun kam ein weiterer hinzu. Passend zum Kreuzzugspapst ein gedienter Winzer und Reservist mit Nähe zur Biodynamie. Unterstützt wird er von seinem Cousin Francis Charlot, einem Mitarbeiter von Pierre Masson, Doyen der französische Biodynamie: der Endzwanziger Pierre Charlot führt seit 2009 die Geschäfte von Charlot Père et Fils. Übernommen hat er sie von seiner Großmutter mit dem für deutsche Verfassungsrechtler besonders sympathischen Vornahmen Solange, die 1941 in der Champagner begann und sich dann aber in die Reihe der Champagnerwitwen eingliedern musste. Ihr Sohn hatte am Weingeschäft kein Interesse und so gab sie das Heft gleich noch eine Generation weiter. Pierre bewirtschaftet leichthin etwas mehr als 4 Hektar, die überwiegend Pinot Meunier tragen.  

Weinbergseigene Hefen sorgen für die erste Gärung, vermarktet wird nur direkt, Kartenzahlgerät gibt es keines, aber Schecks akzeptieren Großmutter und Enkel. Ein Besuch auf der Domaine ist ein Besuch zu Hause beim Winzer, in der Küche – wo meiner Erfahrung nach immer die besten Verkostungen stattfinden, ähnlich dem Küchenparty auf der Party Phänomen. Pierre arbeitet mit Barriques von Jérôme Viard, das Eichen-Holz stammt aus Verzy und Pierre experimentiert noch mit unterschiedlichen Toastgraden, die Minutendauer findet sich praktischerweise auf der Vorderseite der Fässer, das ganze gleicht also einem Blick in die Geburtsstation. 

1. Cuvée Spéciale Brut Nature

100PM auf 2010er Basis mit Reserve aus 2009, BSA

Sehr kräftig, ja geradezu ungewöhnlich aromenstark und einer dann aber schon wieder erwartbaren Robustheit, die zum Ende hin leicht schmelzig, auch alkoholisch wird, wobei ich anmerken will, dass der Champagner ziemlich lang am Gaumen persisitiert.

2. Cuvée Speciale

Selbe Cuvée, mit 2g/l dosiert

Etwas zitrusfrischer in der Nase, offener im Mund, wirkte der Champagner mit der Minidosage weniger streng und spürbar leichter als die Bruta Nature Version.

3. Cuvée Speciale

Nochmal dasselbe, jetzt aber mit 6 g/l dosiert

Hier war am meisten Zitrus im Spiel, es war der charmanteste aus der Cuvée Speciale Reihe, aber gegen Ende macht sich die Süsse dann doch bemerkbar. Mir gefiel unter technischen Gesichtspunkten der Brut Zéro als der nackigste am besten, der mit 6 g/l dosierte Speciale wird aber wahrscheinlich die meisten Anhänger finden können. Die mittlere Version ist langfristig wahrscheinlich der schönste Speciale.

4. Cuvé Reserve Dosage Zéro

75PM 20CH 5PN, 2010er mit 2009er Reserve

Eine sehr vielversprechende Candynase, Butter und Karamell laden ein und bevor man sich dem Champagner nähern kann, kommt er schon von selbst losgestürmt. Vorwärtsdrängend, pikant, fein, schlank, hat mich diese Cuvée sofort überzeugt, wohingegen ich beim Speciale länger gebraucht habe.

5. Cuvé Reserve

Nun mit 6g/l dosiert, sonst gleich

Die Extra Brut Version ist viel klassischer, dadurch auch gewöhnlicher als der Zéro, stilistisch gleichbleibend und weit von kommerzieller, sprich großhausartiger Klassik entfernt – nur ist es eben so, dass die Zéros von Pierre Charlot so viel Aufmerksamkeit aufsaugen, dass man sich nur schwer von ihnen lösen kann.

6. Rosé, dég. à la volée

100PM, Assemblagerosé mit 8´12% Coteaux Rouge aus Meunier. 

So ganz dosagelos war das eine sehr hellfarbige, herbe Schönheit, leicht adstringierend, mit Frucht nur in der Nase und noch lange nicht im Mund. Für mich so etwas wie die Tilda Swinton unter den Roséchampagnern.

7. Rosé 

mit 6g/l dosiert

Immer noch wenig fruchtig, für meinen Geschmack andouillettemäßig, will sagen: mit einem ausgeprägten Stinkenäschen und einer Pinothaftigkeit, die ich erstmals vor beinahe fünfzehn Jahren kennen und schätzen gelernt habe, als ich in Oeuilly meine ersten Andouillettes mit einem kräftigen Rosé von einem der örtlichen Winzer verzehrte.

8. Vin Clair: Chardonnay 2012

Mit sehr reichlichen 12,6% alc. kam der Chardonnay aus dem Barrique, wo er noch auf der Hefe liegt. Ein Grundwein von exquisiter Güte. Vom Alkohol merkt man gar nichts, dafür öffnet sich das ganze Aromenspektrum der rebsorte wie ein Dimensionstor. Enorm. 

9. Coteaux Rouge

100PM, 2005er Ernte, wurde von der Großmutter, die damals noch das Sagen hatte, für fünf Jahre im Barrique mehr vergessen als bewusst gelagert. Dem Himmel sei Dank. Schwarzer Pfeffer, Holzfass für fortgeschrittene, reife Kirsche, Paprika, nie hätte ich von still gekeltertem Schwarzriesling derartiges erwartet. Zum Glück konnte ich davon ein Fläschchen mitnehmen.

10. Blanc de Blancs Parcellaire "Sous le Bois", dég. à la volée 

2010er Chardonnay aus dem Barrique, die Parzelle ist überwiegend mit Meunier bestockt, aber im Kern stehen ca. 80 Ar Chardonnay. Eine Ähnlichkeit zum 2012er Vin Clair war offenkundig, ganz ohne Dosage ließ sich eine gewisse Schroffheit aber nicht verhehlen. Von den 500 Flaschen, die es geben wird, werde ich mir sicher einige besorgen.

11. Blanc de Noirs Parcellaire "Les Bois Sercelins", dég. à la volée

100PN von einem kleinen, 25 Ar messenden Stückchen Rebfläche, Stahltank, 2010er, 1,2g RZ

Hohe Reife und merkliche Süsse, dabei wieder diese vorwärtsdrängende Art, wie sie Adenauer dem frühen Franz-Josef Strauß attestierte. Dieser Champagner ist fertig so wie er ist und er ist richtig gut, nur leider nicht käuflich zu haben, daher heißt es warten.

12. Blanc de Noirs Parcellaire

100PM, Barriquevinifikation im vierfach belegten Barrique, ohne BSA, 2009er 

Wieder gibts nur 500 Fl. vom fertigen Stoff, den ich ebenfalls haben will, um die 50 € sind da keinesfalls zu viel. Zur Zeit steht die Holznote noch etwas im Vordergrund, aber weisser Trüffel, Mandelkrokant und eine ultrafeine Pilznote holen rasch auf. Der Champagner ist schlank, sehr fein, sehr entwicklungsfreudig und fing mich vor allem mit seiner hochpikante Zitrusfrische immer wieder ein.

Fazit:

Die Champagner von Charlot werde ich schärfstens im Blick behalten, das, was ich probieren und mitnehmen konnte, gefiel mir sehr gut und das was sich ankündigt, wird zusehends besser.