Liebe Krawallbrüder und -schwestern,
sexy Mamas & sexy Papas,
Flora und Fauna,

die ultimative Fêtenbiesterreihe “Sekt trifft Champagner” fand vorletztes Mal am Vizefreitag – scilicet Donnerstag – statt, das war eine gute Idee für alle, die am nächsten Tag nicht arbeiten müssen. Damit die werktätige Bevölkerung sich nicht ausgeschlossen fühlen muss, war nun zwingend ein Freitag zu wählen, um Adrenalin ins Glas zu bringen.

Adrenalin bringt auch die Griesel & Compagnie Sekthaus Streit GmbH & Co. KG von der Hessischen Bergstraße in die deutsche Sektszene, also war flottestens klar, wo die Fortsetzung stattfinden musste. In Bensheim, Grieselstr. 34. Dort habe ich mir erlaubt, das stattlich angeschwollene Sektprogramm der Grieseljungs (passende Genderisierung bitte hinzudenken, oder auch nicht) unter den verschiedensten Blick- und Brechungswinkeln zu betrachten. Dabei ging es wie immer in diesen Fällen nicht um ein besser oder schlechter der einen oder der anderen Schaumweinsorte oder Stilistik, sondern schlicht darum, Griesel in einem passenden Wettbewerbsumfeld einzusortieren und zu zeigen, wo die Reise hingehen kann, was vergleichbare Anbieter ähnlich oder völlig anders machen usw. und ganz am Ende sollte für alle ein schöner Rausch stehen.

I. Opener
Barrat-Masson Grain d’Argile Brut Nature, 50CH 50PN, ein Champagner, der in besonders schöner Weise vor Augen führt, was Champagner ausmacht: Balance zwischen den Rebsorten, in diesem Fall ohne vermittelnden Meunier, Leibhaftigkeit des Weins, der auf schminkenden Zucker verzichten kann, oxidative Noten, die im deutschen Sekt verpönt, beim Champagner aber traditionell gewünscht und am Platz sind.
Bardong Riesling Erbacher Honigberg Extra Brut 2009, das ist gekonnter reifer Rieslingsekt und ein kleines Lehrstück, was das Zusammenspiel von längerem Hefelager und niedrigerer Dosage betrifft.
Griesel Tradition Riesling Brut hatte im Eröffnungsflight die Rolle des Sektgegenstücks zum Champagner zugewiesen bekommen, sollte also durch Reintönigkeit, glockenhelle Klarheit und lehrbuchhafte Frische typische Eigenschaften der deutschen Sekttradition präsentieren, was einwandfrei gelang. Damit waren die Pflöcke eingeschlagen, die Permutationen konnten beginnen.

II. Blanc de Blancs
Guillaume Sergent Blanc de Blancs Les Prés Dieu war kein zwingender Vertreter dieser an passenden Champagnern so reichen Equipe. Sicher hätte ich mit guten und überzeugenden Gründen auch eine Unzahl anderer, typischer, erstaunlicher oder vorbildlicher Chardonnaychampagner auswählen können. Aber an diesem hier habe ich eben meine verstärkte Freude, seit ich ihn auf einer der vielen Verkostungsveranstaltungen in der Champagne entdeckt habe. Feinsinnig, gerade heraus, mit praller Aromatik, gut geschnittener Säure, hilfreichem Holz, das diskret im Hintergrund bleibt.
Wageck-Pfaffmann Chardonnay 2010 habe ich deshalb ausgewählt, weil hier Volker Raumland seine Finger im Spiel hat und seine Freude an maßgeschneidertem Holzeinsatz, wie man ihn bei Guillaume Sergent erleben kann, fand bei diesem Chardonnay mit langem Hefekontakt einen effektvollen Rahmen. Der Wageck-Sekt ist etwas breitschultriger als der Champagner, robuster, aber nicht unfeiner. Zwei Schäumer auf Augenhöhe und ein Eindruck, der sich noch einige Male wiederholen sollte.

III. Magnum
Palmer Brut Réserve en Magnum ist ein oft übersehener Klassiker aus 50CH 40PN 10M, dessen ausgeprägt nussige Noten in der Normalflasche schonmal stören können, in der Magnum aber dank höherer Komplexität besser eingebunden sind. Geklärte Butter, Keksteig, Phenol, ungewöhnlich für einen Champagner mit so relativ hohem Chardonnayanteil, vielleicht ist der Reserveweinanteil von gut 35% dafür verantwortlich.
Griesel Tradition Blanc de Noirs Brut en Magnum war gegenüber Palmer leicht im Vorteil, wirkte ungebundener, leichtfüssiger, eleganter, rassiger. Mundwässernd, mit Zitrus, Mandelmus und Brioche, ein Sekt, den man sich warm dampfend vorstellen könnte, wenn er nicht im selben Augenblick kühl und sprudelnd im Glas wäre. Vom Magnumeffekt, der mehr Finesse, mehr Tiefe, mehr Ausformuliertheit bringt, pofitierte der Griesel besser.

IV. Reif
Dehours Trio S, eine 1998 angelegte Solera ist hier für die Reifeempfindung zuständig und sorgt, bei einer Dosage von immerhin 7 g/l und einem dominierenden Meunieranteil (60M 30CH 10PN) für Verwobenheit, Tiefschichtigkeit, Sättigung und Stoffigkeit. Für mich einer der stärksten Weine des Abends.
Solter Reserve 2001, erst sehr spät dégorgiert, damit schwer lange auf der Hefe. Zwar drei Jahre nach dem Champagner produziert, dafür hatte der eine etwas längere Zeit nach dem Dégorgement frei in der Flasche und somit alternd verbracht. Zwei sehr unterschiedliche Arten von Reife standen also hier zur Debatte, der Solter eröffnete mit Bienenwachs, Pfirsich und einem Schwung reifen Obstes, er vermied gänzlich den Eindruck, es könnte sich um einen älteren Jahrgang handeln. Das ist der immer wieder zu beobachtende Effekt später Dégorgements, der jedes Mal zum Staunen anregt. Von Griesel gibt es naturgemäß noch nichts in dieser Altersklasse, aber es wäre schön, in 15 Jahren von dort ähnlichen Stoff erhalten zu können.

V. Niedrigdosage
Remi Leroy Brut (60PN 40CH aus dem Erntejahr 2011 mit etwas Reserve aus 2009 und 2008, dosiert mit 3g/l), die Frage war, ob es sinnvoll ist, einen Pinot Noir aus Verzenay, Ambonnay, Bouzy oder Ay in den undosierten flight zu geben, oder einen Chardonnay aus der Côte des Blancs. Hätte ich machen können, ja. Ich hatte aber eine meiner Meinung nach bessere Idee. Statt der altbekannten Platzhirsche aus dem Norden sollte es was flippiges aus der Aube sein, von Rémi Leroy in Meurville. Der arbeitet mit Fässchen, die er bei Hubert Lamy abgreift und vorsichtig zur Mikrooxidation seiner Weine verwendet, die zeigen sich dann entsprechend gestählt, unempfindlich und konzentriert.
Griesel Prestige Riesling Extra Brut, der Riesling mit dem burgundischen Stil, wie es in der grieseleigenen Beschreibung treffend heißt. Deshalb mein Gedanke, den Champagner mit dem burgundischen Stil in den Vergleich einzubauen und siehe, der Griesel schlug sich ein weiteres Mal glänzend. Wenn man nämlich burgundisch, eigentlich ein ziemlich unbestimmter und weithin bis zur völligen Konturlosigkeit verkommener Quatschbegriff, als Symbol für Finesse, von Säure und Struktur getragene Weinigkeit versteht, dann geht’s.

VI. Rebsortenvergleich: odd man out!
Piollot Pinot Blanc Colas Robin, der Weißburgunder, der in so einer Runde einfach nicht fehlen darf, aus der sehr guten Lagenweinserie von Piollot.
F.B. Schönleber Grande Reserve 2009, Oestrich, Löss, Lehm, Riesling, schon jetzt eine Menge an Auszeichnungen und Lorbeer, eine Versteigerungsbuddel im Salmanazarformat brachte satte 800,00 €, dem musste also im direkten Leistungsvergleich nachgegangen werden.
Barth Hassel 2011 en Magnum Versteigerungswein Nr. 32/300, mit Magnumvorteil ausgestattet und Primus in der Runde, vor Schönleber und Piollot. Erstaunlich? Unerwartet? Schwer zu sagen. Der Hassel hätte vielleicht hinten heraus noch etwas länger durchgewirkt sein dürfen, aber sonst war hier wieder alles so rein, so stimmig und purste Rieslingfaszination, wie zuletzt beim Fest der Weinbank.

VII. Pinot
Clement Perseval Blanc de Noirs Premier Cru en Magnum, 50PN 50M, also gar kein reinsortiger Pinot Noir, wie die anderen Mitspieler im flight und strenggenommen sogar kein reiner Pinot, nachdem Meunier das Pinot-Präfix nun auch formalampelographisch eingebüßt hat; aber nichtsdestoweniger eine passende Einleitung in den flight, bestehend aus 13er Ernte mit 12 und 11 in der Reserve, 20% Fassvinifikation und Teil-BSA, eine urfranzösische Interpretation des Pinotthemas.
Bamberger Cuvée Pinot S 2010, Fülle, Reife und Schmelz, leichte Mürbe, feine Säure, Balance und Komplexität, eine klassische Interpretation aus deutscher Sicht.
Griesel Prestige Pinot Brut Nature, das komplette Gegenprogramm zu Bamberger, blutjung, frech, unklassisch, keck. Noch nach der Probe ließ mich dieser Sekt nicht los, selbst im Angesicht der Flasche Ayala 1959, die noch in meinem Auto wartete.

VIII. Rosé
Thomas Perseval Rosé (Assemblage) Premier Cru aus dem Erntejahr 2012, 50PN 30CH 20M, Fass- und Tankvinifikation der Grundweine, voller BSA, Nulldosage. Das Pendant zum Einstiegsschampagner im Openerflight und eine Art Schlußstein, ein Roséchampagner wie ein Saibling im Forellenteich.
Griesel Tradition Rosé Brut und Griesel Prestige Rosé Extra Brut machten noch einmal ganz klar, dass man von Griesel künftig nicht nur im Rieslingbereich, sondern auch und vor allem im Pinot- und Rosébereich erhebliches zu erwarten haben darf. Filetausbeute, Fettgehalt und Festigkeit sind bei beiden enorm, der Brut (kostet lachhafte 13,70 €) begeistert mit seiner Vielschichtigkeit, Würze, meisterlichen Balance und kunstvoll geschwungenen Säure, der Extra Brut zeigt etwas mehr Kante und wird vor allem in einigen Jahren nochmal zeigen müssen, was er drauf hat.

Fazit:
Hessische Bergstrasse meets Avenue de Champagne hätte alles werden können, von überregulierter deutscher Straßenverkehrsbevormundung bis zum wacky race. Es wurde eines jener Stücke, die man bei Youtube findet, wo 24 Stunden Verkehr an einem überdimensionalen Kreisel, meist in Indien oder Südostasien belegen, in fastmotion gezeigt werden und alles wie von höherer Hand gelenkt, ja konzertiert wirkt und wo wie durch ein Wunder nie ein Unfall stattfindet, was dann wieder, noch verstärkt durch Optikeffekte, seltsam schön und faszinierend wirkt, wie das natürliche Gewimmel eines Ameisenhaufens. Klingt wild und durcheinander, war aber dank aller Mitwirkenden toll.