Back to Top

Tag Archives: champagne krug

Säbeltanz: Pommery 1945 bis Krug 2003

An die vierzig Städte in Deutschland nennen sich Stetten, aber nur eine davon liegt im Donnersbergkreis und erlaubt Winzern den bequemen Zugriff auf gleich drei Anbaugebiete, Nahe, Rheinhessen und Pfalz. Stillweinfexe wissen, was das heisst; ich war bei Boudier & Koeller, der Trägerrakete des guten Geschmacks. Über die beiden Jungens, ihr geschichtsträchtiges Weingut und ihre Neuverpflichtungen in Keller und Küche wurde schon reichlich von besser dazu Berufenen geschrieben (CaptainCork, Drunkenmonday/Nico Medenbach, Vinositas/Joachim Kaiser); ich kann mich deshalb kurz fassen, allen Lorbeer als berechtigt bestätigen und mich selbst für die Entscheidung beglückwünschen, die Gastfreundschaft der Hausherren rechts und links der Hauptstraße in Stetten für eine Champagnerprobe in Anspruch genommen zu haben, auf der nicht nur tüchitg getrunken, sondern mit ebensoviel Fleiß gesäbelt wurde. 

Eingeleitet wurde mit einem Blanc de Noirs von Boudier & Koeller, der sicher manchem Champagnerkellermeistr noch Tränen der Rührung in die Augen treiben könnte; es folgte der geschichtsträchtige Müller-Thurgau Mathilde von Tuszien, sprich Toskana, in die man sich unter zig Feigenbaumarten und angesichts eines herrlichen Exemplars von Paradiesvogelbaum sowieso gefühlsmäßig versetzt fühlen konnte. Der M-T von Boudier & Koeller wäre zu schade für Cola weiß und das will was heißen, denn eigentlich gehören nach meinem Empfinden alle Müller zur Vollendung ihres irdischen Daseins in die Cola, wenn nicht gleich in den Ausguss. Der Müller von Boudier & Köller soll weder in das eine noch in das andere, sondern nur mit geschlossenen Augen getrunken werden, wer mag, mit einem der scheinbar immer gefragten Geschichtsschmöker auf dem Schoss. Die Cuvée Prestige von Serge Mathieu läutete den Übergang zur eigentlichen Champagnerzeitreise ein. Der Prestige erwies sich dabei als passendes Bindegleid zwischen dem unverschnörkelten Stil der Gastgeber und den ersten feinen Bläschen, die zum Essen serviert wurden und aus Gründen der Nahtlosigkeit zur Hälfte ihrerseits aus der Aube stammten. 

Tartar mit Beef Tea und Ingwer Gelee, dazu gab es
 Drappier Grande Sendrée 2006
und Cattier Clos du Moulin 2006

Die Champagner nahmen vertauschte Rollen ein, die Grande Sendrée kam als Aubeplayer und hätte daher die Rolle der robust geratenen Pinotcuvée mit weniger bedeutsamem Anteil Chardonnay innegehabt, während der Clos du Moulin Athletik, Konzentration und Sportlichkeit eines Premier Cru mit alten reben in der nördlichen Montagne de Reims hätte verkörpern sollen. Hätte. Denn in der Blindverkostung würden sicher weit über 90% die Champagner genau umgekehrt zuordnen, so mein Kalkül. Das ging auf und die beiden Champagner spalteten die Trinkerschaft sofort klar in zwei Lager. Crèmig, sahnig, weich, mit milchigem Toffee, das war der ruhevolle Clos du Moulin, den man mit etwas Konzentration vielleicht noch als Premier Cru hätte zurodnen können, aber die Aufgabe ist wahrhaftig nicht leicht. Vor allem das geschichtliche Erbe dieses 50PN 50CH Mix, der als ältester Clos der Champagne überhaupt gilt, macht die Zuordnung problematisch. Die Grande Sendrée wäre solo wahrscheinlich leichter zu erkennen gewesen, im Zusammenspiel mit dem Clos du Moulin brauchte es schon sehr viel Trinkerfahrung, am besten mit beiden Cuvées, um klare Unterscheidungen treffen zu können. Zum Beef Tea und zu den Ingwerwürfeln passten jedenfalls beide Champagner sehr gut und bei dieser Aromatik auf dem Teller habe ich dem Clos du Moulin sogar deutlich den Vorzug geben müssen.  

Seeteufel mit Zucchinispaghetti und Paprikasabayon, dazu
Taittinger Collection Vasarely 1978
Taittinger Collection Masson 1982

In erstklassiger Verfassung war Taittingers Vasarely 1978, die Plastikhülle hat also nicht nur einen künstlerischen, sondern auch einen für die Reifung förderlichen Mehrwert. Gut schonmal, das zu wissen. Richtig toll wird es dann beim Geschmack. Fizzy, drahtig und aufgekratzt war der 78er, formal ja eigentlich das unterlegen Jahr. Nur war hier so viel Kohlensäure und springlebendiges Leben drin, dass egal wer es danach schwerhaben musste. Dieser egalwer war die Collection 1982, die viel müder, langsamer, schwerer und oxidativer antrat. Meh Karamell, mehr Sherry, weniger Bläschen, warf der jüngere Flightpartner in die Waagschale und wurde deshalb von den meisten teilnehmern für zu leicht befunden. Mit dem Essen, das vor allem bei der Paprika fordernd war, schlug sich der behende und viel freier agierende Vasarely ebenfalls deutlich besser.

Als entr’acte hatte ich die Champagner von Benedicte Leroy vorgesehen. Grundidee und Analyse sollten es werden, das heißt: einmal den Rebsortenmix, um die Annäherung an Ruppert-Leroy zu ermöglichen und dann die einzelnen Rebsorten, kompromisslos bis zum Ende durchvinifiziert, um den Genotyp zu erkennen. Benedicte, die heute über vier Hektar gebietet, hat die Phase, in der wertvolles Rebland früher zum Schafeweiden verwendet, bzw. die Trauben an die Kooperative abgeliefert wurde, was zwar nicht aufs selbe rauskommt, aber zumindest eine Kontrolleinbuße bedeutet, 2009 radikal beendet. Seit sie sich selbst um die Trauben kümmert, hat sie einen irrsinnigen Aufstieg verzeichnet. Noch vor drei Jahren kannte, von den Nachbarn im malerischen Essoyes abgesehen, kein noch so champagnerinteressierter Mensch ihre Erzeugnisse, heute finden sie sich in den feinsten Kellern Europas und bald der ganzen Welt.  

Ruppert-Leroy Fosse-Grely Brut Nature

80PN 20CH

Nach der Tankgärung folgt eine Hefelagerzeit von 6 Monaten, in der Flasche gibt es zwei Jahre Hefekontakt. An dem Champagner ist kein Schmuck, kein Schnörkel und keine einzige unnötige Kleinigkeit, sondern alles ist Konzentration auf die unter Höchstdruck miteinander verschweißten Komponenten. Das lässt den Champagner wie ein nicht ganz fertig bearbeitetes Werkstück aussehen, dem jede Verfeinerung fehlt und so empfinde ich das auch. Man kann förmlich noch die Schweißnaht zwischen den beiden Rebsortenklötzen sehen, auch wenn man aromatisch keine Übergänge oder Unebenheiten wahrzunehmen vermag. Etwas ist doch da, das sich gegen die totale Vermählung wehrt und damit Spannung erzeugt.  

Ruppert-Leroy Martin Fontaine Blanc de Blancs Brut Nature 

Der Chardonnay macht klar, dass er kein Verschnittpartner sein will. Gegen jede Art von Vermählung würde er wütend protestieren. Das ist, in milderer Form, das was im Fosse Grely die Spannung ausmacht. Mit dem Martin Fontaine ginge das nicht, eine Cuvée würde dem Winzer wohl um die Ohren fliegen. Was der Chardonnay dagegen sehr gerne mag, sind reduktive, salzige und jodige Noten, ein Austernfrühstück mit bergeweise Zitronen wäre für ihn nicht nur kein Problem, sondern er hinterlässt auch dasselbe Gefühl im Mund.

Ruppert-Leroy Les Cognaux Blanc de Noirs Brut Nature

Nicht ganz so kämpferisch und wütend ist der Pinot Noir. Aber ein Hauch von sibirischem Bärenjäger wohnt auch ihm inne. Grimmig, dicht verpackt, dabei von praxiserprobter Funktionalität und ohne sinnlosen Ballast, wärmend wie ein gemütliches Feuerchen, aber nicht verbrennend, wie wenn man zu nah ans feuer drankommt; an Kälte und Einsamkeit gewöhnt, aber mit einem Auge für das Schöne, für Blumenwiese, vereinzelt wachsende Beerenfrüchte und das gegen Herbs ansetzende Fett wildlebender Tiere.  

Die Pause füllte ein kleines  Apfel-Kirsch Sorbet, denn der Gaumen sollte präpariert und geklärt sein, für Großes.

Krug 2003

gehört fraglos zum besten, was das Jahr herzugeben hatte. So unbelastet, schlank und rassig hätte ich mir noch Anfang des Jahres Krug 2003 nicht vorzustellen gewagt. Doch wurde ich eines bessern belehrt und konnte den Teilnehmern meiner kleinen Verkostung avec fierté et dignité den neuen Krug vorstellen. In Champagnerkreisen hat sich rumgesprochen, dass 2003 ein Jahr ist, das man guten Gewissens überspringen kann und speziell beim Chardonnay kann man das wahrscheinlich gut verallgemeinern. Für Krug 2003 heißt das, dass die Cuvée völlig anders gebaut werden musste, als die beiden Vorgänger 2000 und 1998, in denen Chardonnay eine tragende Rolle spielte. 2003 gabs nur winzige Mengen ausgereifter und brauchbarer Chardonnays, im diesjährigen Krug hat es für schmale 25% gereicht. Der Rest ist Pinot Meunier (25%) und Pinot Noir. Heftige Ansage also. Und heftiger Stoff, dem man die Problematik hinter seiner Entstehungsgeschichte gar nicht glauben will. Der 2003er Krug ist ein geschmacklicher Ritt auf der Kanonenkugel, bei dem das Jahr nicht einen Moment lang verleugnet wird und die Aromen dennoch so frisch sind, dass ich mich beim Trinken immer wieder gefragt habe, ob ich wirklich den richtigen Jahrgang gegriffen oder nicht am Ende durch einen irren Zufall sogar schon den 2004er im Glas habe. Hinkommen könnte es ja, so schlank und elegant wie der 2003er wirkt, mit wenig Nuss und Apfel, für Krugverhältnisse, dafür mehr Zitrus, Ingwer und frischem Wacholder. Warum der in England schon nach wenigen Stunden ausverkauft war, erschließt sich mir deshalb trotz aller Vorbehalte gegenüber dem Jahrgang. Der passte natürlich ohne dass das besonderer Erwähnung bedurft hätte gut zum folgenden Gang      

Rinderfilet Spargelgemüse und kleine gebratene Zitronenkartoffeln, dazu passten aber auch:


Pommery 1945, der sich spitzenmäßig gehalten hatte, viel Sherry, eine Anung von Restprickeln, viel Milchschokolade und etwas Kaffee ins Spiel brachte. Für mich zusammen mit Vasarely 1978 und Krug 2003 einer der drei Champagner des Abends. 

Perrier-Jouet Belle Epoque 1979 wollte erst nicht ganz so schön aufgehen und zierte sich gehörig, obwohl ich weiß, was für ein braves Mädchen das eigentlich sein kann. War sie dann auch, aber nicht ohne den Wermutstropfen einer rumpeligen Eröffnungsphase.


Pommery Louise 1988 wollte es der Belle Epoque eigentlich nicht gleichtun, war aber von der selbstbewussten Zickigkeit der älteren Cousine immerhin beeindruckt genug, um mich beim ersten Reinriechen erstmal an Kork denken zu lassen. Der Eindruck schwand zum Glück schnell und entpuppte sich als eine eher dem Jahrgang zuzuschreibende säuerliche Erdigkeit mit Krustentiercharakter, Land und Meer in ganz eigener Interpretation also.

Das Dessert lässt sich immer nur schwer mit Champagner begleiten, deshalb gab es zu

Creme brûlée mit Minze und Erdbeersalat einen

Champagne Charlot Côteaux Champenois Rouge 2005 und danach erst den bekanntermaßen guten Gosset Celebris 2002. Den Charlot Rotwein habe ich vor Ort probiert und war ganz überwältigt davon, wie ein 2005 von der Omi, die damals noch das Sagen hatte, im Tank vergessener Pinot Meunier (!) als Stillwein performen kann. Vor allem zur Crème brûlée eine zwar nicht naheliegende, aber sehr eingängige Kombination. Der Celebris putzte zum Schluss alles aus, was den Gaumen noch nicht verlassen hatte und schärfte mit seiner gefühlvoll tonangebenden Art die langsam wegnickernden Sinne für die weiteren noch anstehenden Sabragen.

Im freien Ausklang gab es von Champagne Tristan H. die viel zu früh aus dem Reifeschlaf gerissene Cuvée "Iseult", deren eigenwillige aber freundliche Art auch nach ausgiebigem Mahl noch zu gefallen wusste. Von Marie-Courtin habe ich danach die Eloquence geöffnet, um die nun schon teilweise zum mittlerweile laufenden Fussballspiel spitzenden Kämpen bei der Stange zu halten;mit Boizel, Tarlant Brut Zéro, Drappier Blanc de Blancs Signature, Molitors Wehlener Sonnenuhr Kabinett, dem Stettener Riesling von Boudier & Koeller, und ganz zum Schluss einem kräftigen Château Rieussec 1990 nahm der Abend dann ein schönes Ende, ungeachtet des Fussballresultats.

Zehn Sterne in Wolfsburg – Grand Chapitre 2011

I. Champagner-Apéritif im ZeitHaus mit Kleinigkeiten von Sven Elverfeld

1. Laurent-Perrier Vintage 2002 en Magnum

50CH 50PN, mit 8 g/l dosiert, das Dégorgierdatum konnte ich leider nicht prüfen, da ich keinen der Korken in die Finger bekam. Fließend, weich, rein, nicht sehr fordernd, sondern eher hingebungsvoll. Zitrusfrüchte, Kalk, Mineral, etwas kräuterig. Wirkte auf mich noch sehr jung.

2. Taittinger Prélude Grand Cru

Wie der Laurent-Perrier eine Komposition aus 50PN (Ambonnay, Bouzy) 50CH (Avize, Le Mesnil), der Fassausbau gibt ihm eine weiche, warme Feinheit. Hinzu kommen Hefegebäck, warmes Croissant, Butter, Birne, Quitte, weißer Pfirsich.

3. Duval-Leroy Authentis Cumières Premier Cru 2003

100PN aus Eichenfässern.

Einer der stärksten Weine des Abends. Schon der Vorgänger aus dem Jahrgang 2001 war beeindruckend, nun hat Carol Duval mit dem 2003er erneut ein schwieriges Jahr rundherum prachtvoll in die Flasche verfrachtet. An Aromenreichtum mangelt es nicht, schwierig war es wahrscheinlich vor allem, den Champagner nicht zu dickbauchig werden zu lassen. Das gelang. Hohe Pinotkunst, die im Mittelpunkt stehen sollte, selbst wenn sie gut zu ausgesuchten Speisen passt.

4. Alfred Gratien Vintage 1999

Zwetschgenlatwerge. Mandelmilch, Hefekuchenteig, Puderzucker, angenehme Fruchtsäure, Für mich ebenfalls einer der stärksten Champagner des Abends.

5. Nicolas Feuillatte Rosé en Magnum

Sehr leicht, sehr fein, sehr fruchtig war der Rosé von Nicolas Feuillatte. Allein und nach den beiden sehr expressiven Vorgängern hatte er es schwer. Also hieß es, neue Allianzen einzugehen, wozu sich die Köstlichkeiten von Sven Elverfeld anboten, am besten gefiel mir der Rosé dann zum fruchtigen Würfel aus Foie Gras und Gelee.

 

II. Zehnsternemenu von Sven Elverfeld, Thomas Bühner, Klaus Erfort und Christian Lohse im Ritz Carlton

1. Tartar à la Borschtsch und Impérial Caviar von Jan Hartwig, Aqua

dazu: Pommery Grand Cru Millésime 1998 en Magnum

Die sternförmige Betehülle barg ein köstliches Tartar, der daraufgesetzte hauchdünne Kekshut trug einen völlig ausreichend bemessenen Kaviarklacks. Der zum ersten Gang servierte Pommery war arg schweflig und musste erst seinen Böckser verduften lassen, bevor er sich nasal mit Borschtsch und Kaviar vertrug. Geschmacklich war die Kombination sowieso lehrbuchhaft, erdige Bete traf auf meerigen Kaviar, schaumgeboren der zu beiden Elementen passende 1998er, so durfte es weitergehen.

2. Makrele mit Passionsfrucht und schwarzem Sesameis von Thomas Bühner, La Vie

dazu: Lanson Gold Label Millésime 1999 en Magnum

Tatsächlich ging es mit einer Kombination weiter, die gewagter, auf die Spitze getriebener, extremer war und dementsprechend stärker polarisierte. Für mich war es der beste Gang des Menus. Salzige Makrele, intensive Passionsfrucht und ein konzentriertes, auch sehr süßes schwarzes Sesameis, die, obwohl nur in Winzportionen auf dem Teller angerichtet, so essentiell schmeckten, dass größere Portionen zu reihenweisen blackouts geführt hätten. Nicht ganz auf der Höhe war leider der überfordert und trotz seiner allgemeinen Weltläufigkeit simpel wirkende Lanson. Zu diesem Gang hätte ich mir die Fleur de Passion von Diebolt-Vallois sehnlichst herbeigewünscht.

3. Langoustine Royal mit Apfel, Fenchel und Milchhaut von Klaus Erfort, Gästehaus Erfort

dazu: Dom Pérignon 2002

Langustenschwanz und Dom Pérignon 2002 sind ein Paar, das man schon ganz allein für einen kompletten Abend innigsten Vergnügens fest buchen kann. Daraus sollte aber an diesem Abend nichts werden. Denn bei Champagner-Confrère Klaus Erfort kam ein ebenso köstliches wie giftiggrünes Apfelgelee dazu, das zusammen mit Fenchel und Milchhaut aus einem trauten tête à tête eine ausgelassene Geschmacksparty machte. Für den wohlerzogenen, noch sehr schüchternen, aber nach Jahren einer japanisch-purisitschen Ästhetik endlich mal wieder ganz klassisch europäisch auftretenden Dom Pérignon war das nichts.

4. Bressetaube vom Holzkohlegrill, grüner Spargel gebraten in Dijonsenf, Rouennasier Sauce und Veilchenzucker von Christian Lohse, Fischers Fritz

dazu: Drappier Millésime d'Exception 2002 en Jéroboam

Veilchenzucker, Senf und grüner Spargel, das klingt nach Konfliktpotential. Wenn dann noch Holzkohle, Taubenfleisch und Champagner ins Spiel kommen, wird es gänzlich kriminell. Doch Kommissar Lohse löste den Fall. Natürlich bedurfte es dazu einer großkalibrigen Waffe, die Michel Drappier gern zur Verfügung gestellt hatte: sein Champagner aus 60PN und 40CH, durch neues Holz, altes Holz und Stahl gewandert, Absolvent eines meiner Lieblingsjahrgänge der letzten zehn Jahre, mit diskreten, höchst zuverlässigen Netzwerkqualitäten, serviert aus der Dreiliterbuddel. Für jedes Aroma war eine passende Anlaufstelle vorhanden, die nussige Vegetabilität des Spargels, das Blumenelement des Veilchenzuckers, die rauchig-röstige Fleischigkeit der Taube, die herzhafte Saftigkeit der Sauce mit dem Leberanteil. So wurde aus dem Kriminalfall der schlemmerigste, gargantueskeste Gang des Menus.

5. Gewürzlammrücken mit Couscous, Kefir und Granatapfel von Sven Elverfeld, Aqua

dazu: Krug, Grande Cuvée

Lamm muss man einfach gern haben, sei es, weil es auf der Weide niedlich aussieht, sei es weil es gut schmeckt. Das Lamm, das Sven Elverfeld auf den Teller brachte, hätte von mir aus noch so hässlich gewesen sein können, in dieser Form war es höchst liebenswert. Der junge Krug hatte es nicht ganz so gut getroffen, seine Geschmacks-Alterskurve nimmt bekanntlich einen anderen, geradezu umgekehrten Verlauf und erst wenn er eine Reifezeit hinter sich gebracht hat, in der Schafe üblicherweise auf natürlichem Weg ihren Atem ausgehaucht haben, geht er so richtig auf. Trinken konnte man ihn natürlich trotzdem, nobles Geblüt nimmt man selbst jungem Krug unbesehen ab. Doch ist er in dieser jugendlichen Phase nicht zart wie das Lamm, weichfleischig, noch an Milch gewöhnt und mit der Würzkruste von Sven Elverfeld garniert ein Traum für jede Zunge, sondern ähnelt den heranwachsenden Prinzen regierender Herrscherhäuser, die sich lieber in historischen Uniformen auf Parties herumtreiben und Vodka durch die Nase saugen, als schon jetzt an die Bürde des Regierens und vielmehr noch des repräsentierens zu denken.

6. Apfelstrudel Interpretation Aqua 09 von Nadja Hartl und Eric Räty, Aqua

dazu: de Saint Gall Cuvée Orpale Blanc de Blancs Grand Cru 1998

Chardonnays aus Cramant, Oger und Le Mesnil.

Mit der Cooperativenprestigecuvée kann ich mich nicht recht anfreunden. Was Nicolas Feuillatte mit den Palmes d'Or gelungen ist, haben die Jungs von de Saint Gall auch geschafft: den Sprung in die Spitzengastronomie. Hier nehmen beide Genossenschaften den angestammten Herrschern des Kohlensäureluftraums jenseits der 100 EUR/Fl. gehörig Anteile ab. Doch von Grund auf überzeugend fand ich die Cuvée Orpale zum Essen nie. Erst recht, muss ich leider sagen, nicht zum Dessert. Dabei ist der vielfach und verdientermaßen gelobte Apfelstrudel mit dem spektakulären Gewand ein vorzüglicher, anspruchsvoller Partner für großen Champagner. Kuchenteig, Apfel, Zuckerhülle sind die schlichten Komponenten, aus denen der Aquastrudel besteht und die sich in jedem Blanc de Blancs finden lassen. Nur muss es eben einer sein, der mit ebenso vollendeter Transparenz, Kunstfertigkeit, schlichter Anmut und stilistischer Größe brillieren kann. Wenn es ihn gäbe, würde ich 1988er Salon Extra Dry zum Strudel ausgewählt haben.

7. Dessertbuffet von Gabi Ortmann

dazu habe ich mir Krug und Cognac Hennessy genehmigt

a) Crémeux von Kaffee, Banane und Cognac

Ein bürgerlich-gewöhnlich wirkender Start in die Buffet-Schlacht, die vom Cognac souverän eröffnet wurde. Einerseits liebevoll, andererseits mit einer bürgerliche Sphären schnell verlassenden Aromenrakete war die Bananenattacke, der flankierende Kaffee brach jedes weitere etwa noch vorhandene Ressentiment gegen altbackene Kombinationen.

b) Tonkabohne und Espresso, Maracuja-Whiskygelee

Schwierig war hier anfangs die Wahl zwischen Cognac und Champagner. Dogmatische Bedenken wegen der Kombination eines Korns und zweier Traubenprodukte konnte ich aber schnell zurückstellen, denn Champagner und Cognac kamen gleichermaßen gut mit dem Whiskygelee zurecht. Kaffee und Maracuja verbanden sich ebenfalls mühelos mit beiden Traubenerzeugnissen.

c) Gebackener Apfel und Milchschokolade, Flor de Sel Vanille

Erneut ein Dessert, bei dem die Liebe zum Detail besticht. Die Wahl fiel hier ganz von selbst auf Champagne Krug, der sich im Dessert mit einigen seiner prominentesten Facetten wiedergegeben fand.

d) Manjarimousse, Passionsfruchtcrème, Kokos-Curry-Crunch

Noch ein sicherer Treffer. Die Schokolade und die Passionsfrucht vermählten sich zu einer sämig-fruchtsäuerlichen Melangeunterlage, auf der Kokos und Curry knuspernd zur Geltung kommen konnten. Klarer Fall auch für den dazu spitzenmäßig passenden Cognac.

e) Portweineis und Schokoladen-Ingwercrumble

Süß bis mastig, trotzdem konnte ich nicht die Finger von einem Nachschlag lassen. Der Cognac setzte sich mühelos gegen den Champagner durch, zum Portwein war das Verhältnis dabei nicht so gut, wie zu Schokolade und Ingwer.

f) Basilikum-Sauerrahmeis und Lavendelschaum

Erfrischender Abschluss, zu dem leider weder der Champagner noch der Cognac passen wollte.  

Stimmenfang: Tim Raue.


Stimmenfang ist eine lose Folge von Kurzinterviews mit Sommeliers über Champagner, Cognac und dies und das in der Spitzengastronomie. Den Anfang machte Hagen Hoppenstedt vom Adlon. Heute ist der Feinschmecker Koch des Jahres 2011 dran, der auch mal im Adlon zu Hause war, wo ich seine Küche im Jahr 2008 kennengelernt habe.

Wenn man früher in der Rudi-Dutschke-Str. im Sale e Tabacchi saß und sich z.B. eine Flasche Rosé-Champagner von Billecart-Salmon schmecken ließ, die es dort zu einem sagenhaft günstigen, ja APO-fähigen Preis gab, dann blickte man gegenüber in eine Toreinfahrt und auf gesichtlose Häuserwände. Daran hat sich nicht viel geändert. Doch wenn man heute durch diese Toreinfahrt geht und dann einen scharfen Rechtsschwenk macht, dann landet man im Restaurant von Tim Raue. Dort gibt es – nicht nur am Krug Table – Champagne Krug zu sagenhaft günstigen Preisen. Das Glaserl Champagne Krug Grande Cuvée kostet 28,00 €, eine ganze Flasche kostet mit 196,00 € kaum mehr als im Laden.

Ich weiß nicht, wie Tim Raue in seiner Frühzeit Mitte der 90er gekocht hat. Doch weiß ich, dass er sich von seinem damals nicht sehr üppigen Gehalt die ersten Krug-Champagner leistete. Für Jahrgänge wie 1979 und 1985 musste man damals schon stolze ca. 90 DM berappen, gute 10% seines damaligen Salärs, wie er mir in der Kellerbar verriet. Ein Glück, muss man sagen, dass Tim Raue sich seinerzeit kaltblütig zu dieser Ausgabe entschließen und sich in der Folge außerdem für die burgundischen Champagner von Anselme Selosse sowie für Burgund selbst begeistern konnte – eine Begeisterung, die bis heute anhält und hoffentlich noch lange fortdauern wird. Denn schließlich ist das gelungene Zusammenspiel von Speisen und Wein wie die glückhafte Beiwohnung von Mann und Frau eines der elementar schönsten menschlichen Erlebnisse, weshalb der Volksmund beides mit gutem Grund zur Liebe, die durch den Magen geht sinnerhaltend verkürzt. Die Verfeinerung eines großen repas au champagne ist für Tim Raue der Inbegriff dieser Emergenz. Kulinarisch dauerte es freilich eine gewisse Zeit, bis die Seelenverwandtschaft zwischen Küche und Champagner mit der heutigen Fulminanz, resp. Fulguration hervortrat. Mit der momentanen Manifestation in Form des Krug Table ist das Ehepaar Raue deshalb, so scheint's, ganz zufrieden.

Ein Blick in die Champagnerauswahl verrät oder bestätigt, je nach Vertrautheitsgrad, welchen Kochstil man bei Tim Raue erwarten darf. Der Hauschampagner ist die Grande Cuvée, klar. Doch kann der echte Sparfuchs in der Krugauswahl noch ganz andere Offerten ausmachen. So kostet der aktuelle Clos du Mesnil 666,00 €, ein Preis der gut 100,00 € unter dem durchschnittlichen Fachhandelspreis liegt. Eine andere Quasi-Kalkulationslücke bildet der ultrarare Clos d'Ambonnay, die Flasche schlägt mit 2.222,00 € zu Buche. Im Fachhandel kostet so ein Büddelken bis zu 2.500,00 €, mit etwas Ausdauer findet man sie geringfügig günstiger. Für die Gastromie jedoch ist die geforderte Schnapszahl ein Schnapperpreis, wenngleich unter Genussgesichtspunkten andere Champagner interessanter sind. Von Selosse gibt es eine schöne Auswahl, die mit dem Brut Initial beginnt und neben der Solera-Cuvée den Blanc de Noirs La Côte Faron aus Selossens jüngster Reihe an parcellaires beinhaltet; vermisst habe ich den Blanc de Blancs Extra Brut Vintage. Vom brother in arms Erick de Sousa (die hervorragende Cuvée des Caudalies kostet bei Tim Raue in weiß relativ sparsame 134,00 €, als rosé 222,00 €) und vom Fachhandels- wie Gastrolieblingschampagner aus dem Hause Egly-Ouriet (der selten gewordene 1999er und sein Blanc de Noirs Vieilles Vignes liegen beide bei 228,00 €, hier ist es wirklich Geschmackssache welchen von beiden man zu dem Preis bevorzugt bestellen sollte) gibt es jeweils eine schöne Auswahl, außerdem sind die Jacquesson-Inhaberbrüder bis zum Jeroboamformat auf der Karte vertreten und deren quasiburgundischen 2004er Terres Rouges Extra Brut Rosé gibts für 198,00 € – das ist nicht gerade günstig, aber man begegnet diesem klug ausgesuchten Champagner nur selten in der Gastronomie; was wiederum schade ist, denn nach dem ultraseltenen Jungfernjahrgang 2002 und dem arg fetten 2003er ist der meunierdominierte 2004er eine Sommeliergeheimwaffe für abgespannte Gourmetgaumen. Nicht auf der Karte, aber im Restaurant erhältlich ist der flaschenvergorene sparkling Sake Mizubashu Pure.

Was trinkt nun Tim Raue am liebsten für Champagner? Klare Antwort: Krug Vintage 1996. In all den unzähligen Weinforen im Internet und in einer fiktiven Befragung aller Wein- und speziell Champagnertrinker dürfte man vergleichsweise häufig diese Antwort erhalten und kaum überrascht sein, gemeinhin reicht nämlich die Erfahrungstiefe mit Krug-Jahrgängen selbst bei den älteren Semestern unter den Vinophilen selten weiter als bis in die 60er. Doch sollte man aufhorchen, wenn ein ausgemachter Champagnerspezi, der sich bei Krug bis 1928 durchgetrunken hat, mit den Collections-Jahrgängen vertraut ist und seit dem ersten von Krug vinifizierten Jahrgang (1979) alle Clos du Mesnil kennt, als seinen Liebling den 1996er benennt. Hiervon hat sich Tim Raue Magnums für den Privatgenuss hingelegt, was sogar doppelt aufhorchen lassen sollte. Denn dem Trinken um des trinkens willen ist er abhold, privat wird deshalb nur selten mal eine Flasche geöffnet.

Nun zum Cognac. Zum charentaiser Brandwein hatte Tim Raue lange Zeit kein rechtes Verhältnis. Den Bogen schlug er über den Rum und landete so bei den alten, reifen Eaux de vie. Ohne große Umstände zieht er deshalb zur Illustration eine Très Vieille Réserve de Lafite Rothschild aus der Kellerbar hervor, nebst einer Flasche Mouton Eau de Vie de Marc d'Aquitaine, (eigentlich ja eher ein Fruchtbrand auf Mouton-Basis) sowie eine Flasche des für den englischen Markt bestimmten Cognac Hine, landed in 1962, bottled in 1980. Alles Brände, die solo stehen und für sich selbst wirken müssen. Bei Tim Raue werden Cognacs dieser Art individuell nach dem Essen im nosing Glas offeriert, wenn der Gast den Eindruck vermittelt, dass er damit etwas anfangen kann. Dass diese Gäste nicht selten sind, zeigen die niedrigen Füllstände und damit zeigt sich auch, dass Tim Raues restaurant vor allem auch ein Restaurant für Leute ist die, mit seinen Worten, richtig lecker trinken wollen.  

Die Blanc de Noirs Nacht

 

1. Wilhelmshof, Blanc de Noirs Brut 2007

20 Monate Hefelager.

Der erste Wein in einer Verkostung sein zu müssen, ist immer mit Schwierigkeiten behaftet. Der Gaumen mancher Verkoster ist vielleicht noch nicht recht kalibriert, die Begeisterungsschwelle noch nicht alkoholbedingt gesunken. Der Wilhelmshof musste als leicht zu enttarnender Pirat diese undankbare Einsteigerrolle übernehmen. Für den bekanntermaßen exzellenten und vielfach dekorierten deutschen Sekterzeuger mit der hohen Champagneraffinität war die Pole-Position leider besonders ungünstig, denn Sekt und Champagner lassen sich nur ganz schwer in einer Probe, bzw. in einem flight unterbringen. Hinzu kommt noch, dass der konkret verkostete BdN mit einem unangenehmen Sauerkrautstinker nicht auf Anhieb begeistern konnte; besser wurde er dann zu allem Unglück auch nicht mehr. Keine Spur von der sonst vom Wilhelmshof bekannten Sekt-Noblesse, keine betörende Frucht, zwar ein angenehmes Mundgefühl, aber letztlich zu wenig von allem.

2. Marie-Noelle Ledru, Ambonnay Grand Cru Brut

80PN 20CH, mit ca. 8g/l dosiert.

Von Viticultrice Marie-Noelle Ledru ist mir die Spitzencuvée de Goulté sehr ans Herz gewachsen. Ihre anderen Champagner kenne ich nicht so gut und so war es für mich schwer, mich dem Champagner blind zu nähern. Hochwertiges Lesematerial konnte man vermuten, dafür gaben Struktur und Gewicht des holzlos ausgebauten Weins genügend Anhaltspunkte. Die deutlich schmeckbare Wildkirsche kam mir allerdings allein etwas zu simpel vor, Nebenaromen konnte ich kaum ausmachen.

3. Roger Brun, Cuvée des Sires, Grand Cru "La Pelle" Extra Brut 2002

100PN aus südlich exponierter Einzellage; in kleinen Holzfässern vinifiziert. Unfiltriert, mit 3 g/l dosiert.

Kräftig, reif, vollmundig, dabei etwas pektinig und ganz leicht trocknend, daher an der Gaumenmitte vielleicht nicht gerade ein Loch, aber eine dünnere Stelle. Ich dachte wegen seiner verschwenderischen Fruchtnase (Kirsche, Banane, Bratapfel) zuerst an eine noch ganz junge Cuvée des Signataires von Régis Fliniaux, den ich erst kurz zuvor noch besucht hatte. Zumindest was den Ort betrifft, lag ich also richtig. Ein schöner Champagner, der wegen seiner durchdringenden Aromatik nicht an einen 2002er denken lässt und gut zum Essen passt.

4. André Clouet, Un Jour de 1911 Multi Vintage (2002, 2001, 2000 (?))

100PN aus Bouzy Grand Cru.

Ein langgehegter Wunsch ging in Erfüllung: mal eine etwas reifere Flasche vom 1911er trinken. Bisher habe ich diesen Champagner immer viel zu jung getrunken. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn schon in seiner Jugend schmeckt er famos, bei mir ist er als Burlesque-Champagner abgespeichert. Doch ist mir bei früheren Flaschen stets sehr schmerzlich bewusst gewesen, wie viel Potential er hat. Köstlich war der Mix aus weichen, sämig-fruchtigen Aromen vollreifen Beeren, die behutsam daruntergewobene Vanilligkeit, die unverpampte Textur. Die sehr scharf umrissenen Konturen von Goji-Beere, Cranberry und Zitrusfrüchten jüngerer Flaschen sind jetzt nicht verschwommener, aber gaumenfreundlicher, nicht mehr so dichtgedrängt und quirlig. Dieser Reifezustand entspricht seinem wärmenden Naturell – vielleicht schaffe ich es jetzt, dies Flaschen länger unangetastet zu lassen.

5. Jérôme Prévost, La Closerie, Rosé Brut Nature "fac-simile" (2007er), #58/2800, dég. Dezember 2009

100PM davon 11% Meunier Stillweinzugabe. Ausbau in jungen und alten Barriques.

Ich meine ja, dass längst nicht jeder der mal bei Anselme Selosse ein Praktikum gemacht hat, gleich ein Selosse-Schüler ist. Jérôme Prévost ist aber doch einer. Zu Hause ist er in Gueux. Das ist ein beschauliches Nest westlich von Reims, an der A4 Richtung Paris, IKEA-Freunde wissen, wo. Das Aufsehenerregendste in Gueux ist die freundlich-geschwätzige Verkäuferin im Tante-Emma-Eckladen, aber rein äußerlich gewiss nicht das Prévostische Anwesen. Daran fährt man schnell mal vorbei, denn Monsieur Prévost bewirtschaftet nicht zig Hektar und residiert nicht wie die großen Herrschaften. Über eine unscheinbare Bimmel kündigt sich der Besucher an, wenn er Einlass begehrt und wird freundlich aber bestimmt abgewiesen, wenn es nichts zu verkaufen gibt, was der Regelfall ist. Sein Champagner mit dem außergewöhnlich schlichten Etikett kam hell-zwiebelschalenfarben ins Glas. Kaum zu greifen war die Aromatik dieses noch ganz blutjungen Champagners, von dem man sich nur wünschen kann, dass er in Zukunft mehr Zeit auf der Hefe verbringen darf. Mineralisch, dicht, wandlungsfreudig. Beerig, vegetabil, mineralisch. Wispernd und leise, aber nicht vernuschelt. Kompromisslos und bestimmt, mit hoher Kraftreserve und viel Potential, allerdings von völlig anderer Machart als der 1911er in seiner Jugend. Sehr schön dürfte dieser ultrarare Champagner derzeit zu sparsam gewürztem Fisch mit hoher Eigenaromatik schmecken, noch viel schöner in fünf Jahren solo.

6. Jacquesson, Rosé, Dizy Premier Cru Extra Brut "Terres Rouges" 2003, mise en bouteille 14. Mai 2004, dég. 1er Trim. 2008

83PM, gepflanzt 1971 und 17PN, gepflanzt 1993; Mazerationsrosé mit 12 Stunden Schalenkontakt. Vinifikation im Fuder, dosiert mit 3,5 g/l.

Mit diesem Champagner kam das genaue Gegenteil des Prévost ins Glas. War der eine schon fast zu hell für einen Rosé, so war dieser hier meiner Meinung nach zu schon wieder sehr sehr dunkel und hätte ebensogut als – unzulässiger – Rotchampagner eingeordnet werden können. Dem 1959er Bourgogne Mousseux Méthode Champenoise vom Wochenende zumindest in der Farbe sehr ähnlich. In der Nase konzentriert, schwere, aber nicht bordellige Duftschwaden. Intensiv erdbeerig, mehr noch kirschig und mit viel Bodenhaftung – kein bloßer Früchtchenchampagner, sondern merklich enge Verwandtschaft zu Burgund. Sehr reif, säurearm. Überaus stark in Kombination mit Schinken, Salami, Pfeffer, Edelschimmelkäse. Faszinierend.

7. Xavier Leconte, "Les Vents d'Anges" 2005

100PM.

Nach dem Roséflight und ganz besonders nach dem mächtigen Jacquesson hatte es dieser weiße Meunierflight nicht leicht. Die Champagner von Xavier Leconte aus Troissy gehören zu den eleganteren Vertretern aus dem Marnetal. Von bäuerlicher Unbeholfenheit und trampelnder, etwas unsauberer Fruchtigkeit bei ihm keine Spur. Die Rebsortenchampagner aus seiner Serie "Les Vents d'Anges" gefallen mir alle gut, am besten gefallen mir Chardonnay und Pinot Noir. Den Pinot Meunier habe ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal geöffnet. Grapefruit und Birne, reif, aber nicht überreif. Schlanker Wein ohne störende Holzeinflüsse.

8. Leclerc-Briant, Cumières Premier Cru Les Authentiques "La Ravinne"

2006er und 2005er, Blanc de Noirs von Pinot Meunier aus Verneuil. Mit 5 g/l dosiert.

Von der Frucht her dem Leconte sehr ähnlich, lediglich mit einer Spur mehr frischer Säure und einer etwas breiteren Bauart.

9. Egly-Ouriet, Blanc de Noirs Grand Cru Pinot-Noir Vieilles Vignes "Les Crayères", dég. nach 54 Monaten im Januar 2008

Erste Gärung im Holzfass (kennt man sonst noch von Krug oder Alfred Gratien). Ungeklärt, ungeschönt, ungefiltert. Kein BSA. Mit 2 bis 4 g/l dosiert.

Ein klarer Schritt nach oben und gelungener Abschluss eines schönen Blanc de Noirs Abends war der Crayères von Egly-Ouriet. Sattes Gold kündigt reife Aromen an, aber auf das dann kommende Erlebnis sollte man vorbereitet sein. Der erste Schluck ist, als würde man in eine bereits fahrende Achterbahn einsteigen. Temporeiche Entwicklung, mit Beerenfrüchte, Zwetschgenkuchen, pikant holziger Minzigkeit, die entfernt an amerikanische Eiche erinnert und ganz dezenter Hefe. Anders als in der Achterbahn rutscht man hier nicht auf einer glatten Sitzbank hin und her, sondern hat in phantastischen Sportsitzen jederzeit perfekten Halt. Völlig zu recht ein weithin begehrter Champagner.

10. Zoémie de Sousa, Blanc de Blancs, Cuvée Precieuse

Chardonnay aus Chouilly, Cramant, Avize, Oger und Le-Mesnil.

Der große Erfolg der Winzerchampagner von Erick de Sousa führte dazu, dass er den Status des négociant erwarb und begann, unter dem Namen Zoémie eine Champagnerlinie zu kreieren, bei der er Trauben zukauft. Das gelingt ihm ganz gut, denn an den Prinzipien der Weinbereitung wird dabei nicht gerüttelt. Die Vinifikation findet in 400-Liter Eichenfässern statt, es folgt ein dreißigmonatiges Hefelager. Autolytische Aromen, rote und grüne Äpfel prägen das Geschmacksbild.

Celebrity Death Match im Champagnerleistungszentrum (Teil II.)

II.1 Krug Grande Cuvée MV old label

50PN 15PM 35CH.

So schön, kristallklar und entzückend, wie eh und je war Krugs vielgeliebte Grande Cuvée mit der alten Ausstattung. Acht, vielleicht neun oder zehn Jahre Flaschenreife muss dieser Kollege also bekommen haben. Das Krugspektakel lief mit Uhrwerkspräzision ab und selbst wenn es eigentlich immer wieder gleich ist, ist es doch jedes Mal zutiefst ergreifend. Walnüsse, Mandelnoisette, Toffee, Vanilleschäumchen, eine irre Bandbreite an Apfelaromen, Quitte, Maracuja, Kumqat und Physalis – vor allem in Form einer reifen, orangigen Säure bemerkbar – im Hintergrund Kräuter und selbst dahinter noch toben sich Aromenschichten aus, die vielleicht erst in fünf oder zehn Jahren deutlicher erkennbar werden. Man merkt bei Krug immer wieder, warum er Leitbildfunktion hat, Champagner, die ähnlich kontinuierlich auf diesem hohen Niveau angesiedelt sind und während ihrer irdischen Verweildauer stets dort anzutreffen sind, muss man lange suchen.

./.

II.2 Laurent-Perrier Grand Siècle Lumière du Millenaire 1990

58PN 42CH.

Ähnlich viel Flaschenreife, leicht wachsige Noten und eine beginnend rosinige Art hatte Laurent-Perriers seltenes Jahrgangsschätzchen. Der 90er ist nach meiner Erfahrung als Jahrgang weitaus kapriziöser, als der unheimlich geradlinige und nur in seiner Jugend durch seine besonders stürmische Natur schwierige 88er, davon sind selbst die großen Gewächse von Laurent-Perrier nicht ganz frei. Manche 90er Grand Siècles schmecken überragend, andere nicht. Wieder andere sind irgendwo dazwischen. Dieser hier zum Beispiel. In der Nase zeigte die sehr starke Reifenote, dass mit einem Feuerwerk der Leichtigkeit und guten Laune wohl nicht zu rechnen sein würde, sehr viel Toast und röstige Noten lechzten danach, endlich die Herrschaft zu übernehmen. Der Naseneindruck bestätigte sich jedoch nicht am Gaumen, da war noch nichts von der vermutlich bald kommenden Abwärtsentwicklung zu spüren. Knisternde Kohlensäure, quietschlebendige Säure, eingebettet in wohlig-vollmundige Weinaromen, mit reifen Beerenfrüchten abgepolstert, von einem kunstvoll geschmiedeten Mineralstoffgerüst gegen allzufrühe Reifung geschützt.