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Tag Archives: grand cru

Celebrity Death Match im Champagnerleistungszentrum (Teil III.)

III.1 Gosset Celebris Blanc 1995

54PN 46CH.

Mit fünfzehn Jahren besuchte man zur der Zeit, aus der die ersten Urkunden des ältesten Weinhauses der Champagne stammen, die Artistenfakultät und übte sich in den freien Künsten. Waren es im ausgehenden Mittelalter Grammatik, Rhetorik und Dialektik, so besteht bei diesem Champagner das Trivium aus Apfel-Zitrusnase, Biskuitteig und Honignoten. Offen, weltzugewandt, schon leicht ankaramellisiert und mit einer lausbübischen, sehr frechen Säure zeigt sich diese Prestigecuvée. Das erstaunt nicht, denn die Säurewerte waren 1995 allgemein beachtlich ausgefallen. Erste Reifeanzeichen und schwärmerisch-verliebt eingesprenkelte rote Beeren zieren diesen ansehnlichen Jüngling. Er wird in wenigen Jahren einen guten Baccaleureus abgeben, ob er sich danach weiterhin so gut entwickelt, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls vollzieht sich seine Entwicklung langsamer, nicht so stürmisch, aber auch nicht so mitreißend wie die seines Jahrgangskameraden.

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III.2 Bollinger R.D. 1995, dég. Sep. 2004

63PN 37CH.

Die gute Stube von Bollinger und Gosset steht in Ay, in beiden Häusern wird mit Holz, wenig Dosage und ohne BSA gearbeitet (bei Gosset wird er stets vermieden, bei Bollinger nicht immer). Ähnliche Voraussetzungen müssen allerdings nicht zu ähnlichen Ergebnissen führen. Gossets Celebris hat den regulären Weg eingeschlagen und ist gerade erst dabei, seine Hochschulreife zu erlangen. Raus aus der Volksschule und direkt den Doktorhut aufgesetzt, das ist dagegen R.D. – at its best. Dieser Récemment Dégorgé hatte neun Jahre Zeit, zu reifen und gehört damit zu den frühen Dégorgements. Das mit dem Doktorhut funktioniert bei den frühen Dégorgements leider nicht immer reibungslos, bekannt sind dafür eher die danach noch kommenden Chargen, die nunmal deutlich mehr Zeit auf der Feinhefe hatten. Dabei ist bekannt, dass der Autolyseprozess nach ca. 18 Monaten abgeschlossen ist, danach dient der Hefekontakt nur noch als Oxidationsschutz – eigentlich. Und trotzdem geschehen in den Jahren danach noch geheimnisvolle und unerforschte Dinge. Der 95er R.D. hat wie der Gosset Celebris keinen BSA durchlaufen und bringt eine sehr solide Jahrgangsbasis mit. Eine immer noch massive Säure, begleitet von stückigem Apfelmus und langsam sich abzeichnende oxidative, von beginnender Reife zeugende Töne mit Marzipan, Toast, Pilzen und Karamell lassen den R.D. etwas unausgeglichen, wenngleich auf hohem Niveau angesiedelt wirken. Für mich am ehesten vergleichbar mit einem Promotionsvorhaben, das sich noch ein bisschen hinzieht und Gefahr läuft, von der Entwicklung überrollt zu werden.

Brüsseler Spitzen – Champagner- und Weinoldies verkostet

I. Weingut Fritz Allendorf, Winkeler Hasensprung Riesling Cabinet 1969, AP.-Nr. aus 1973

Erdig, etwas muffig und moosig, mit einer aparten Kräuteraromatik und angegorener Maracuja, wirkt exotischer und fetter, weil säurearm, als ein Rheingauer aus dieser Zeit. Außerdem deutliche Firne, die noch Platz für einen letzten mineralischen Druck am Zungenrand lässt. Erkennbar ausgesuchte Qualität aus der Übergangszeit zwischen altem und neuem Weinrecht.

II. Weingut Richard Nägler, Mittelheimer Goldberg Spätburgunder Weißherbst Auslese 1975

Sehr dunkel, wie Amarenakirschlikör. Auch in der Nase intensiver Kirsch-Schokoladen-Duft. Dessertcharakter. Im Mund sanft, samtig, wie feinpüriert und durchgeseiht. Langer, eleganter, ausgewogener, reifer, noch lange nicht am Ende angekommener Trinkgenuss, der weder optisch noch – zunächst – aromatisch den Spätburgunder Weißherbst verrät.

III. Champagne Grongnet, Carpe Diem Extra Brut avec ficelage traditionnelle

70CH 20PN 10PM.

Aus Etoges kommt dieser kleine Erzeuger, der zum Kreis der Special Clubberer gehört. Die Cuvée ist auf Chardonnay fokussiert, dessen schneidige Säure sehr sportlich daherkommt. Die beiden Pinotrebsorten bemänteln diesen flotten Sportler seidig, insgesamt ergibt das eine herbfrische, mittellange und angenehm apfel-zitrusfruchtige Neuinterpretation des Chardonnaythemas.

IV. Laurent-Perrier, Brut, Halbe Flasche aus den späten 60ern oder frühen 70ern

Zweifellos ältlich, mit nur noch ganz verhaltenem, kaum vernehmbarem Seufzer beim Öffnen. Für eine kleine Flasche dennoch überraschend frisch, am Gaumen mit der charmanten Mischung aus damals wie heute üblicher recht hoher Dosage und als pièce de résistance einer gut merklichen Säure.

V. Graves Superieur Ende der 60er

Kraftvoller weißer Charakter von altem Sauvignon-Blanc. Abgelagertes Heu, das noch einen frischen Duft verströmt, weißer Nougat, Kokos, Sahne, englische Crème. Hätte ich bei einem simplen Graves Superieur nicht erwartet.

VI. Château de Madère, Cerons, aus den 60ern

Suesser, grobgemahlener Senf, Kerbel, gebackener Estragon. Nur noch leicht süsslich für einen richtigen Süßewein und schon reichlich alt, aber noch mit etwas Freude trinkbar, z.B. zum Baguette mit eingebackenen Oliven und Chili, wesentlich besser zu eingelegten Oliven mit Anchovis, deren salzige Aromen der Wein sehr gut einbettet.

VII. Coron Père et Fils, Négociants à Beaune, Puligny-Montrachet 1955

Klassischer Chardonnayauftritt mit einer etwas trocknenden Art, aber noch mit viel frischer Zitronenmelisse und minimal medizinalem Unterton, etwas augeblichenem Apfel, vital, aber langsam, d.h. innerhalb der nächsten ca. fünf Jahre an seine Grenze gelangend.

VIII. Château Cheval-Brun, St. Emilion 1964

Ein ordentliches Trinkerlebnis war der Cheval-Brun, langsam überhand nehmende Alterssüße ist mir ja alemal lieber, als knochige, ausgezehrte Weine. Tabak, Pflaumenmus, leicht rauchige, speckige Noten, alles in allem sicher kein sehr eleganter Wein mehr, aber immerhin ein alter Schmusetiger.

IX. Château Recougne, Bordeaux Superieur 1961

Klar überlegen war da der 61er Recougne, obwohl nur ein ordinärer Bordeaux Supérieur. Süß, aber von der noch saftigen Art, reif, alt, dicht, erstaunlich tiefgründig, auch mit viel Tabak und Rauch, aber vor allem einer im Vordergrund stehenden betörenden fruchtig-sämigen Weichheit, Balance und wundervoll gereiften Tanninstruktur.

X. Château Recougne, Bordeaux Superieur 1966

Kein Wunder, dass der 66er aus gleichem Hause dagegen kaum eine Chance hatte. Nach eine korkähnlichen Phase vor allem Ladungen von Erdal Schuhcrème mit Bienenwachs, auch schwarzes Leder. Für mich am ehesten Ähnlichkeit mit einem mittelstarken Lagrein.

XI. Vieux Château Bourgneuf, Pomerol 1967

Schwer war der Vieux Château Bourgneuf. Ein Wein, der den ganzen Rachen verstopft, wie ein zu großer Bissen von einem zu trockenen Kuchen. Dementsprechend gab es Kirsche, Johannisbeere, Schokoladenkuchen, dick gesossten Tabak, Marillenkernöl. Sehr süß kam mir der Wein vor und nicht ganz entschlossen, zwischen einem letzten säuregeladenen Aufbäumen und einer schweren, müden Dichte.

XII. Beaune, Cuvée Reservée, Ende 50er Jahre

Erst Milchschokolade, dann kam mehr und mehr Liebstöckel dazu, meiner Meinung nach entwickelte sich außerdem viel Eau de Vie de Kirsch, am Ende dann eine etwas einfältige Erdnussflipsaromatik.

XIII. Clos des Papes, Schweizer Füllung 1965

Hellroter, süßlicher, griffiger, am Gaumen leicht kühlend wirkender Wein, der wie eine Mischung aus Herta Müller und Gundel Gaukeley auf mich wirkte. Trotz des erkennbar fortgeschrittenen Alters immer noch irgendwie sexy. Reichlich rote Beeren, die mit einer agilen Säure für wohltuende Abwechslung im süßlicher werdenden Aromengemisch sorgen. Der Wein baute sich mit Luft noch etwas auf, bevor er nach einigen Stunden erst abzubauen begann.

Belle Epoque und Grande Dame im Champagnerleistungszentrum

Im Champagnerleistungszentrum treffen nicht nur junge Talente aufeinander und messen sich im friedlichen Wettstreit, nein, auch die alten Kämpen müssen zeigen, ob sie noch Dampf haben. Selbst alter Adel wie der einer Grande Dame und einer Belle-Epoque schützt nicht vor dem unerbittlichen Blick unter den Rock.

Veuve Clicquot, Grande Dame 1985: wuchtig, herb und sehr füllig. Im Glas war der Champagner dann weniger alte Witwe, als vielmehr ziemlich knackiges, wenngleich nicht mehr ganz taufrisches Mädel. Ein schicker Twen, was ja auch zum Jahrgang paßt. Verhaltene Säure und sehr viel weinige Würze, Andeutungen von Milchkaffee, Karamell, Buttertoffee und Kakao, aber alles wirklich nur hauchfein und in den nächsten Jahren sicher immer stärker werdend. Dieser elegante, noch herzhaft jugendlich wirkende Champagner spricht sehr für das Haus, bzw. die Kunst des seinerzeitigen Kellermeisters Peters. In der Jugend sind die Champagner immer haarscharf zu hoch dosiert für meinen Geschmack – passen dafür aber zu zahlreichen Speisen sehr gut, dazu gleich mehr -, im Alter zeigt sich dann, was die Réaction Maillard alles vermag. Korrespondierende Speisen waren:
– Brunnenkressesuppe mit pochiertem Wachtelei: definitiv kein dreamteam zur Grande Dame, die beiden standen sich in respektvollem Abstand gegenüber, bzw. einander zur Seite, gingen aber keine harmonische Allianz ein. Getrennt voneinander am besten, zusammen war mir die Mixtur zu spannungsvoll.
– Jakobsmuschel mit hauchdünnem Cräcker auf blanchiertem Kohl: sehr schmackhaft, Jakobsmuschel und Champagner sowieso, in Verbindung mit dem kleingeschnipselten Kohlgemüse und dem Keks dann noch einmal bereichert.
– Kaninchen mit Linsen und Speckschaum: eine Spitzenkonstellation, für Liebhaber von herzhaften Variationen rund um den Speck ein besonders schönes Erlebnis. Dankenswerterweise war das Kaninchenfilet mit einem schützenden und gut harmonisierenden Teigmäntelchen versehen, zusammen mit den reifen Noten der Grande Dame wundervoll.

Es folgte

Perrier-Jouet Belle-Epoque 1983. Ein erstes kleines Stinkerle im Glas wich schnell, mit Zeit und Luft wurde ich dann auf Kosten der von vornherein optisch müden Perlage Zeuge eines kleinen Chardonnaywunders im Glas. Bei älteren Belle Epoques zeigt sich eben immer wieder die grandiose Standfestigkeit der Cramantchardonnays. Die Nase betörend mit kandierten Zitrusschalen, der Mund von stahlharter Säure ausgekleidet, mit langem, feinstprickelndem Nachhall. Dazu gab es:
– Stubenküken mit Knoblauchconfit: Köstlich! Punkt.
– auf der Haut gebratenen Zander samt Fenchelgemüse: ebenfalls eine ausgezeichnete Kombination und ein würdiger Platzhalter für das als Auftakt genossene 2005er Leitz'sche Magdalenenkreuz.

Die crème brûlée hatte mit den Champagnern nichts mehr zu tun und vertrug sich dementsprechend bestens mit Barbeitos 1978 Madeira Verdelho, nach dem Käffchen gab es dann Reisetbauers Elsbeere, ein Brand den man am liebsten inhalieren will, bis das Glas leer ist. Schmeckt aber auch so ganz gut, wenn man Schnaps mag.

Fazit: Beide Prestigechampagner verwöhntem auf sehr hohem Niveau, zeigten sich den Speisen überwiegend gewachsen, wobei die Grande Dame in der Konfliktsituation mit dem Ei weniger gut abschnitt, als die Belle-Epoque mit dem Knoblauch.

Generation Champagner – Notizen von der Einsteigerprobe in Hackbarth’s Restaurant

A. Das Menu

I. Vorspeisenvariation: Tafelspitz-Salätchen, Bruschetta, gebratene Blutwurst, Lachstartar

Lachstartar und Bruschetta waren gut, berührten mich aber nicht so sehr wie die Blutwurst und das delikate Tafelspitzsalätchen. Die Blutwurst war kross, nicht zu gross, praktisch fettfrei gebraten und von einer confiseriehaften Zartheit, die ich ähnlich, aber natürlich abgewandelt beim feinfaserigen Tafelspitz wiederfand. Im Zusammenspiel mit den Gemüseschnipseln bot sich ein sehr appetitanregender Happen dar, der sich gut mit den ersten Champagnern vertrug.

II. Scampi-Tournedo und Scampi-Knusperstange

Weich, aber bissfest kam der kleine Schalenracker auf den Teller, in ungewöhnlicher Langform zusätzlich die Knusperstange mit Scampifüllung. Dazu passten die weißen Champagner des zweiten flights besser noch als die Rosés, ich begann bedenklich zu schwanken – zwischen dem Premier Cru von den drei Mädels aus Trois Puits und dem Holzfasschampagner von Voirin-Jumel, dessen leicht minzige Note im Gegensatz zum Schaumzuckererdbeer-Katjes-Joghurtdrops der Girls stand. Beide Champagner hatten Komponenten, die vorteilhaft zum Essen wirkten, am Ende schien mir der Voirin-Jumel eine Winzigkeit besser zu passen, vielleicht bin ich aber auch nur etwas konservativer, was solche Paarungen betrifft.

III. Zander auf seiner kross gebratenen Haut, dazu knackiger Hünxer Spargelsalat

Der Spargelsalat war so aromatisch, wie man das von frischem Spargel erwarten darf. Viel wichtiger noch war mir die Knackigkeit der Spargelspitzen und die ließ nichts zu wünschen übrig. Fast wie Rettich krachte der Spargel beim reinbeißen und das habe ich sehr gerne, wenn der Spargel blutjung und unverholzt ist. Das kleine Zanderstück passte dazu, als wäre der Zander allein zur Begleitung von Spargelsalat Teil der Schöpfung geworden. Das Gericht brachte ganz nebenbei die regionale Verwurzelung der hackbarth'schen Küche zum Ausdruck, Spargel vom Niederrhein, Zander aus demselben, mit einer abgestimmt gemüsigen, sehr harmonischen Vinaigrette konnte man diesen kleinen Gang schon ganz schön groß finden.

IV. Lämmchen mit Kräuterkruste

Kräftig-aromatisch war die Kräuterkruste, zartfleischig das Lamm. Besser noch als Champagner konnte zu dieser Speise nur noch ein roter Coteaux Champenois passen, den Jens freundlicherweise spendierte. Das Haus Bernard Tornay hatte diesen Stoff 2000 geerntet und vinifiziert. Leider hatten wir den Wein nicht rechtzeitig dekantieren lassen, denn als er ins Glas kam, brauchte er erstmal seine Zeit, um sich von dicken Schichten flüchtiger Säure und reinster Nagellackentfernernase freizuschütteln. Auch nach sehr viel Luftzufuhr wirkte der Spätburgunder jugendlich und quasi wie frisch gefüllt, von Flaschenreife in weiter Ferne keine Spur.

V. Armer Ritter

Eine der typischsten Ruhrgebietsnachspeisen überhaupt ist der Arme Ritter. Das macht es für die Küche, wie so oft bei weitverbreiteten Speisen, nicht leichter. Denn jeder kennt das Gericht von Oma, Mutter, Betriebskantine und Familienfesten, hat eine meist sehr fest gefügte Meinung dazu und ist nur schwer davon zu überzeugen, dass dieses Basisgericht die Aufmerksamkeit einer guten Küchenbrigade verdient. Ein ähnliches Schicksal teilen Schnitzel, Boeuf Tartare, Omelette und das gute alte Steak. Macht aber alles nichts, denn Jörg Hackbarth bekommt seinen Alten Ritter immer wieder so gut hin, dass man alle Bedenken darüber vergisst, sobald man den weichen, schmeichelnden Teig im Mund hat und die süßen Früchtchen auf der Gabel.

 

B. Die Champagner

I.1 Tarlant, Brut Zéro

Oeuilly. Drittelmix. 2004er Basis mit fassgereiften Reserveweinen. Tirage im Mai 2005, Dégorgement im Juni 2007.

Dieser Champagner ist ein deutlicher Beleg dafür, dass undosierte Weine nicht nur reifen können, sondern es mitunter sogar müssen. Noch vor wenigen Monaten war dieser Champagner, obwohl mittlerweile schon seit fast drei Jahren am Markt, fest verschlossen und wehrte sich gegen jeden Versuch einige charmante Noten herauszuschnuppern mit einer kräftigen Chlornase. Davon war jetzt nicht mehr viel zu spüren, der Champagner hat sich merklich entspannt und lieferte die längst fälligen Äpfelchen, eine fast joviale Weinigkeit und zum Schluss eine für manchen Probeteilnehmer unerwartete glycerinige Süße ab. An der Nacktheit dieses Champagners war nichts Anstößiges, im Gegenteil, mit Sandro Boticellis unmittelbar bevorstehendem 500. Todestag konnte dieser Champagner geradezu als eine Hommage an die Wiederkunft der Aktmalerei in der Renaissance gelten.

I.2 Robert Moncuit, Blanc de Blancs Grand Cru Extra Brut

Le Mesnil. Dieser Champagner stammt aus den Grand Crus Oger und Le-Mesnil-sur-Oger, mit 4 g/l dosiert, 42 Monate Hefelager.

Ein ganz anderer Champagnertyp war der Chardonnay von Robert Moncuit. Weil er unter anderen Vorzeichen stand: anders als in der Vallée de la Marne, wo sich die fruchtigen Meuniers und leicht zugängliche Pinot-Noirs tummeln, wachsen in Oger und Le-Mesnil eben die großen Chardonnay-Säuregeschosse. Lässt man die blank ziehen, wird die Stimmung im Glas schnell aggressiv. Eine ganz behutsame Dosage von gerade einmal 4 g/l kann da Wunder und vor allem ganz schön sexy wirken – vergleichsweise wie die reizende Wäsche von Agent Provocateur. In unserem flight bedeutete das, dass der Tarlant trotz Zérodosage süsslicher, reifer und eine geringe Spur vollmundiger schmeckte, als der Extra Brut von Moncuit. Wenn man das weiß und im Probenzusammenhang berücksichtigt, kann man beiden Champagnern besser gerecht werden. Der Moncuit war ein lehrbuchhafter Chardonnay mit geringer Dosage, der Tarlant ein Vorzeigevertreter für eine konsequent zu Ende geführte, pointierte Cuvée.

II.1 Jean Baillette-Prudhomme, Vieille Cuvée

Trois Puits Premier Cru, 80 PN, 10CH, 10PM, um die 50% Reservewein.

Das Dreimädelhaus von Marie-France und ihren bezaubernden Töchtern Laureen und Justine begann den zweiten flight mit diesem trotz des ungewöhnlich hohen Reserveweinanteils frischen, mit jugendlich-unbekümmerter Säure ausgestatteten Champagner, dessen wesentliche Aromenmerkmale ebenfalls aus der Kinderzeit stammen. Schaumzuckererdbeeren und Katjes-Joghurtdrops, mit mehr Luft allerdings sehr schnell ernster werdend und von anisigen, kräuterigen und rosinierten Aromen stärker geerdet. Vielleicht kein Champagner für die Ewigkeit, dennoch ein Trinkvergnügen, solo und in Begleitung.

II.2 Voirin-Jumel, Cuvée 555

Cramant Grand Cru. 2006er Basis mit Reservewein aus den vier Vorgängerjahren. Holzfassausbau in 15 verschiedenen, alten Burgunderfässchen.

Von Beginn an als Holzfasscuvée zu erkennen, ohne dass sich das Holz aufdrängt. Verräterisch dabei ist die leicht minzige, kühlend-balsamische Note, weniger eine für Stillweine typische Vanillearomatik oder Toast (der beim Champagner nämlich nicht zwingend vom Holzfass kommen muss). Gegenüber dem Mädchenchampagner mag er mit seiner zurückhaltenden Komplexität weniger launisch gewirkt haben.

Der Kern der Probe war ein Vergleich der für diese Zwecke wie gemachten und kommerziell sehr erfolgreichen Jahreszeitenserie von Pommery mit Winzerchampagnern der jeweils selben Gattung. Natürlich lässt sich eine Präferenz für Grande Marque oder Winzerchampagner nicht im Rahmen einer einzigen Probe herausschälen und mein didaktisches Konzept beschränkte sich auch nicht darauf. Mir ging es bei der Zusammenstellung dieser Probe darum, Einsteigern eine relativ sichere, stilistisch zuverlässige Bank in Form der Jahreszeitenchampagner anzubieten, von wo aus jeder für sich seine Geschmacksvergleiche mit den anderen Champagnern anstellen konnte und Gelegenheit haben sollte, die Champagner auf ihre Speisenverträglichkeit hin zu überprüfen.

III.1 Nominé-Renard, Brut Rosé

Villevenard. 50CH, 50PM. Stahltankausbau. Zwei Jahre Hefelager.

Der Roséflight wurde eröffnet vom zarten und im Wortsinne feinen Nominé-Renard Rosé. Klassisch war die Farbe, ein Rosé ohne rötlichkupferne Reflexe und ohne allzuviele Blautöne. Fein war vor allem das Aromengespinst, das wie an hauchdünnen Fäden hängend Molekülhaufen von Erdbeere und Himbeere aus dem Glas zog. Am Gaumen wirkte die feine Aromatik vor allem in Richtung auf ein vermehrtes Trinken hin, denn das schlückchenweise Aufblitzen der Aromen am Gaumen war nicht so sehr geeignet dort tiefe Abdrücke zu hinterlassen. Zu den Meeresfrüchten nicht gerade ideal, solo deutlich besser.

III.2 Pommery, Springtime Rosé

Reims. 25CH, 60PN, 15PM, 30 Monate Hefelager.

Sehr anders war im Vergleich dazu der zwiebelschalenfarbene, oeuil-de-perdrixige Rosé. Farblich fast blass neben dem Winzerchampagner, verhalf ihm die deutlich höhere Dosage zu einer entsprechend stärkeren Wucht und Nachhaltigkeit, Rosinen, Feigen, Trockenfrüchte ließen sich gleich reihenweise ausmachen. Hier standen sich also wieder zwei Champagner derselben Gattung aber aus einander völlig entgegengesetzten Lagern gegenüber, was sich in der Verkostungsrunde am Tisch geschlechterübergreifend gespiegelt hat.

Rotwein: Bernard Tornay, Coteaux Champenois Rouge Mill. 2000

Diesem von Jens gespendeten Wein hätte man sein Alter nicht im geringsten abgeschmeckt. Zuerst noch voll flüchtiger Säure und einer von Nagellackentferner verhunzten Nase, danach und bis zum Ende des tastings immer besser werdend. Freilich kein Schmeichler, auch kein besonders fruchtiger Wein, sondern viel Granit, ein Duft wie frischgemahlenes Korn, hin und wieder Cranberries, Sauerkirsche und Gojibeeren. So könnte roter Chablis schmecken.

IV.1 Pommery, Summertime Blanc de Blancs

10 Crus, drei Jahre Hefelager.

Der Blanc de Blancs von Pommery repräsentierte wieder einen bestimmten Typus von Chardonnay. Nicht großes Reifevermögen, meist ausgedrückt durch hyperarrogante Verschlossenheit in jungen Jahren, ist für diese Art von Champagner prägend, sondern eine freundliche, sonnige, vielleicht nicht dauerkaugummikauende, aber mit weissen Zahnreihen einladend grinsende Einstellung. Dieser Champagner ist somit wie der Texaner unter den Champagnern, ein gutgelaunter Redneck. Bei der Auswahl seiner Grundweine wird dementsprechend nicht eine überintellektualisierende, alles steuernde Säure wichtig gewesen sein, sondern ein belebendes, fruchtiges Element, wie es die Chardonnays aus dem Norden der Côte des Blancs, der Grande Vallée de la Marne und aus der Montagne de Reims zu bieten haben. Wenn das wirklich so ist, dann hat Pommerys Kellermeister Thierry Gasco seinen Job hervorragend erledigt.

IV.2 Thierry Bourmault, Sylver Class Blanc de Blancs Premier Cru

Cuis Premier Cru.

Im Vergleich mit dem breitgrinsenden Pommery ist der Winzerchampagner Ivy-League. Statt zum american football neigt dieser Kollege in seinem Innersten allerdings eher zum Rugby. Ein stürmisches Naturell kann man ihm nämlich ebenfalls nicht absprechen. Auch meint man bei der Sylver Class nicht etwa, seine Umwelt nur noch durch die Nickelbrille eines fleißigen Bibliothekgängers wahrzunehmen. Aber unmittelbar nach dem Pommery wirkt bei diesem Champagner alles etwas schärfer, spitzer, pointierter, kompromissloser. Das dürfte daher kommen, dass der Bourmault eben nicht auf eine Reihe unterschiedlichster Crus zurückgreifen kann, sondern nur auf die knapp 3 ha, die ihm in Cuis zur Verfügung stehen. Deren typischen Charakter bringt er ungefiltert in die Flasche. Mehr wollte ich mit dem flight übrigens gar nicht zeigen.

V.1 Francoise Bedel, Entre Ciel et Terre

Crouttes-sur-Marne. Biodynamisch.

Sahnig, mit Toffee, warmem Edelholz, Haselnuss und knusprigem Keks schwebte die große Dame der Biodynamie aus dem Glas. Bei der Probenzusammenstellung schwankte ich erst, ob ich den dosierten oder den undosierten Champagner von Bedel nehmen soll. Wie bei vielen guten Winzern – so z.B. bei Francis Boulard, der mir seinerzeit Madame Bedel aus Crouttes-sur-Marne und Madame Ledru aus Ambonnay empfohlen hatte, aber auch bei Benoit Tarlant oder Aurelien Laherte – kann man bei Frau Bedel beides bekommen. Ich finde die undosierte Version solo besser, im Vergleich mit dem Wintertime von Pommery wäre er mir aber zu hart vorgekommen. Deshalb gab es die dosierte Version und diese Entscheidung hat sich meiner Meinung nach als richtig herausgestellt.

V.2 Pommery, Wintertime Blanc de Noirs

75PN, 25PM u.a. aus den Grand Crus Aÿ, Bouzy, Mailly und Sillery. (90/100 Juhlin)

Der von Juhlin großzügig bepunktete Wintertime hatte enorme Startschwierigkeiten. Reduktiv, angebrannt, langsam, behäbig und ziemlich reizarm dauerte es eine Weile, bis der Champagner sich aus allen seinen wärmenden, aber nicht kleidsamen Schalen gepellt hatte. Nach einem kompletten Luftaustausch im Raum zeigte sich dann endlich eine Ahnung von Größe, jedoch nur von Ferne und von Zuckerkristallen etwas kitschig überdeckt. Beide Champagner würde ich gern noch einmal mit drei bis fünf Jahren Flaschenreife trinken, so war der Pommery leider etwas zu unbeholfen und selbst eiliges dekantieren hätte nicht mehr viel gerettet.

VI.1 Bernard Tornay, Grand Cru 2002

Bouzy Grand Cru. Spezialist für lange Reifung.

Tornay, der an diesem Abend der Madame Bedel aromatisch sehr nahestand, eröffnete den sechsten flight. Wieder eine behende, leichte Haselnussigkeit, die man in der Musik einem Chopin zuordnen würde, er hätte wahrscheinlich ein Polonaise in Moll dazu komponiert. Lange, eher wehmütig als schrill oder juchzend tirilierende Kaskaden, eine im Volksfrohsinn wurzelnde Lust an der Ornamentik und eine bei Tornay immer wieder zum Vorschein kommende Grundthematik, das Haselnussthema, machen diesen Champagner für mich zu einem Vertreter der Winzerfraktion mit besonders hohem Gespür für die Vermählung von Terroir und Stil des Hauses.

VI.2 Pommery, Grand Cru Mill. 2000

Trauben aus sieben Grand Crus. (86/100 Juhlin, 96/100 Wine Spectator)

Die Jahrgangs-Grand Crus von Pommery, egal ob von Fürst Polignac oder Thierry Gasco kreiert, sind moderne Klassiker und würde man sie Komponisten zuordnen, wären wir wahrscheinlich am ehesten bei Prokofjew. Zuerst wie der Wintertime, schlafmützig, langsam, schwierig, unbelebt, ja abweisend. Erst mit viel Luft wandelt sich die geradezu feindliche Aromatik in eine milde Melancholie um und wird immer schalkhafter, bis zum Schluss ein richtiger kleiner Tanzbär im Glas steppt. Für Juhlin ist das scheinbar nichts gewesen, daher die vergleichsweise harten 86 Punkte, dass der Wine Spectator enthusiastische 96 Punkte gibt, kann man erst verstehen, wenn man den Champagner in seiner Schlussphase erlebt hat. Ich würde zu diesem Zeitpunkt noch lange keine 96 Punkte geben, halte den Champagner aber für sehr entwicklungsfähig und deutlich über den sonst schwachen Jahrgang hinausweisend.

VII. Veuve Cliquot-Ponsardin, La Grande Dame 1995

Reims. 2/3 PN aus Verzenay, Verzy und Ambonnay und Aÿ 1/3 Chardonnay aus Avize, Oger und Le-Mesnil-sur-Oger.

Leider hatten wir bei diesem an sich wundervollen Champagner einen leichten TCA-Beigeschmack, der sich parallel zur Entwicklung der Witwenaromatik aufbaute. Mal schien er verschwinden zu wollen, mal schien er sich in Richtung einer herben Nussigkeit oder in ein Kastanienhonigaroma umwandeln zu wollen, wie man es vom Urlaub auf Korsika kennt. Aber immer funkte er störend dazwischen und ließ den filigranen wie den strukturgebenden Elementen dieses reifen Champagners keine Möglichkeit, sich endgültig und harmonisch zu verbinden.

Im Champagnerleistungszentrum: Armand de Brignac

Was hat das FINE Champagne Magazine mit dem chinesischen WineLife Magazine, dem peruanischen Magazin Luhho und der nackten Rachel Weisz zu tun oder gar gemeinsam? Und warum könnte ich die Reihe meiner Fragen noch um das slowakische Magazin Vinoviny oder um die südkoreanische Lifestylepostille luel erweitern? Es ist ganz einfach: das tertium comparationis ist die Champagnernovität "Armand de Brignac". Vielen ist er sicher schon begegnet, der aufwendig metallplattierte Vanity Champagner mit dem Ace of Spades, sei es, weil Jay-Z sich medienwirksam vom Cristal ab- und dem Ace zugewandt hat, vielleicht aber auch nur in der Kuriositäten- und Schmunzelecke einer Zeitschrift, die vom Leben der Reichen berichtet. Nachdem ich den Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg getestet habe, war es naheliegend, einen Champagner mit ähnlichem Bling-Faktor zu untersuchen.

Der Produktionshintergrund ist nicht kompliziert: so, wie Mariah Carey ihren "Angel's Champagne" von Michel Gonet in Avize produzieren lässt, gibt es auch für die schon seit fast siebzig Jahren eingetragene Marke "Armand de Brignac" einen Erzeuger für den unter diesem Namen verkauften Champagner. Es ist das Haus Cattier aus Chigny-les-Roses in der Montagne de Reims (bis ins 19. Jahrhundert hieß das geschichtsträchtige Nest übrigens Chigny-la-Montagne). Nicht nur, dass 1890 in diesem Örtchen 1890 Madame Pommery verstarb, sondern einer der historisch bedeutsamsten Weinberge der gesamten Champagne findet sich hier. Es ist die Parzelle von Allart de Maisonneuve, – vormals Offizier in Louis XV. Diensten -, seinerzeit eine Pilgerstätte für alle, die im Weingeschäft tätig waren, darunter war in jenen Tagen nicht zuletzt die damals noch junge Veuve Clicquot. Cattier also bereitet aus den Reben dieses alten Weinbergs einen Monocru, den "Clos du Moulin". Dieser Champagner ist für Prestigeverhältnisse mittelpreisig, von guter Qualität, steht aber nirgends wirklich im Fokus. Vielleicht war das der Grund dafür, eine Marke mit Leben zu füllen, deren Namenspatron de Brignac selbst nie gelebt hat, sondern an eine Romanfigur angelehnt ist. Der Marketingvorteil liegt auf der Hand, es ist vor allem die Freiheit von jedem historischem Ballast, die es wiederum ermöglicht, nach Belieben historisierend aufzutreten, dem Film "Wild Wild West" mit Will Smith nicht unähnlich.

Mit dem Marketingthema ist dann auch schon ein Thema angeschnitten, bei dem Kritiker schnell unsachlich werden und geizige Menschen mit einer Mischung aus hilfloser Überheblichkeit und geiferspuckendem Zorn reagieren. Aber sachte: Champagner ist nicht grundlos zum Synonym für luxuriöse Festlichkeit geworden. Ich bin sogar der Ansicht, dass zahlreiche Weine anderer Provenienz es ebenso zum Rang des Sonnenkönigs der Weinwelt hätten bringen können, wenn sie denn mit ähnlich beharrlichem Ehrgeiz und cleverem Marketing darauf hingearbeitet hätten. Für mich ist Champagnermarketing etwas, was zum Produkt dazugehört, manchmal nervt, oft genug positiv beeindruckt und womit ich mich letztlich gut arrangieren kann. So wie die Pornoindustrie wegweisend bei der Erfindung neuer Distributionskanäle und Abrechnungsmodelle im Internet war, ist das Marketing der Champagnerindustrie beispielhaft dafür, wie man selbst schwerst widerstreitende Interessen – von kleinen Winzern, großen Genossenschaften und noch größeren, konzernzugehörigen Champagnermarken – unter einen Hut und seine Schäfchen ins Trockene bringen kann. Darauf sollte man nicht mit dem Finger zeigen, wenn man selbst wegen heilloser Zersplitterung in den eigenen Reihen bloss neidisch ist.

Jetzt aber zu den Champagnern: die aktuellen Cuvées auf Basis des 2005ers mit Reservewein aus 2003 und 2002 stammen aus Grand- und Premier Crus (Chouilly, Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil und Ludes, Rilly-la-Montagne, Villers Allerand, Taissy, Villers Marmery, Montbre, Pierry, Damery, Vertus, Mareuil-sur-Ay), verwendet wird nur die erste Pressung. Die Cuvées sind mit 9,65 g/l dosiert, der Blanc de Blancs bekommt 10,4 g/l, bei allen drei Champagnern reift der Dosageliqueur zuvor neun Monate im burgundischen Holzfass. Die verkosteten Champagner wurden im März 2009 dégorgiert. Insgesamt werden zur Zeit 42000 Flaschen Armand de Brignac hergestellt, der größte Teil davon als Gold Cuvée, jeweils ca. 6000 Flaschen als Blanc de Blancs und Rosé. Mittelfristig ist die Ausweitung der Produktion geplant.

I. Gold

Ein Mix aus 40% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 20% Pinot Meunier. Die erste Version beruhte noch auf einer 2003er Basis mit 2002 und 2000 als Reservewein und ist ausverkauft.

Dieser Champagner fühlte sich in der Flöte wohl. Ins Auge fiel sofort das glanzvolle, auf die Flaschenfarbe und den Cuvéenamen abgestimmte goldene Funkeln. Ob die 20% Meunier ein Bekenntnis zur Leistungsfähigkeit der Traube sind, oder ob damit early accessibility und auf die in-crowd zugeschnittene Fruchtigkeit erzielt werden sollen, geht aus dem Informationsmaterial zum Gold nicht hervor. Angesichts der kurzen Hefelagerdauer, des in den Blick genommenen Publikums und der nachfolgenden Geschmackseindrücke liegt für mich der Schluss nahe, dass der in Prestigecuvées keineswegs zwingend notwendige Meunieranteil einesteils die altbewährte Scharnierfunktion zwischen rassigem Chardonnay und weinigem, opulentem Pinot-Noir übernehmen soll. Außerdem kommt dem Meunieranteil bei diesem Champagner offenbar die viel wichtigere Funktion zu, das Aromengefüge aufzulockern und frei schwingen zu lassen. Dementsprechend schmeckt der Champagner süffig, dick, mit etwas Marshmallow angereichert, aber zu keinem Zeitpunkt druckvoll oder mineralisch, mit langem, meunierfruchtigem finish. Daraus ergibt sich eine unkomplizierte, unverkrampfte, in gutgelaunte Golfrunden, Edeldiscos und Yachtclub-Parties passende Aromenstruktur. Ob exakt so der beste Champagner aus einer Reihe von Verkostungen mit insgesamt tausend Champagnern schmeckt? Ich meine nicht – allein schon, weil es in der Geschmackswelt zu viele Unterschiede gibt, um einen objektiv "Besten" zu haben. Im Kontext der Champagner seiner Preisklasse (und wir reden hier über den kleinen Club von Champagnern, die im Bereich von 300 EUR und mehr pro Flasche liegen) ist Armand de Brignac Brut Gold jedoch derjenige, dessen unzergrübelte, jugendlich sorgenfreie Stirn am leichtesten Zustimmung und Beifall ernten wird.

II. Blanc de Blancs

60% der Trauben stammen aus der Côte des Blancs, 40% aus der Montagne de Reims.

Aus der Champagnerflöte machte der BdB einen unscheinbaren Eindruck. Erst aus dem Bordeauxglas kam eine ernstzunehmende Rückmeldung. Mineralität, die man sich vom nassen Kalk der Côte des Blancs herkommend vorstellen kann, dominierte in der Nase. Darunter lag eine Mischung aus weißen Blüten, man wird nicht mit mir schimpfen, wenn ich Akazienblüten sage, und Birnenkompott. Für einen jungen BdB sehr milde Säure. Wenn man die prunkige Flasche gesehen hat und dann einen so schüchternen Champagner ins Glas bekommt, kann man sich schonmal wundern. Vielleicht wird der Champagner mit der Zeit etwas mehr an Breite und Tiefe zulegen, das Traubenmaterial müsste jedenfalls das Zeug dazu haben. Mich würde nicht überraschen, wenn die verschnupfte, enge Nase darauf zurückzuführen ist, dass jugendliche Chardonnays aus Cramant, Avize, Oger und Le Mesnil das Regiment führen.

III. Rosé

50% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 10% Pinot Meunier, 12% Rotweinzugabe aus Pinot-Noir und Pinot Meunier von alten Reben.

Aus der Flöte kam die ersten paar Minuten nichts, als frische Austern. Ich habe den Champagner dann in einen üppigen Burgunderkelch umgefüllt, was ihm sehr geholfen hat. Denn wie ich zufällig weiss, sind frische Austern nicht nur nahr- und schmackhafte Speisetiere, sondern ihr unverkennbarer Duft kündet meist von zeitlich unmittelbar nachgelagerten, ganz besonders sinnesbetörenden Erlebnissen. Und siehe! Kaum ins Burgunderglas transvasiert, platzt die krustige Schale auf und entlässt einen lebhaften, munteren und animierenden Wein mit feinstem Burgundercharakter, viel Beerenaromatik, einer untergeordneten Menge Waldboden und verführerischer Würze in das wahre Leben. Ein femininer, weiblicher, fraulicher, kalipygischer Champagner, der zum schweinigeln einlädt  – und mein Favorit unter den Armand de Brignacs.

Angekündigt ist ein vierter Armand de Brignac, der gleich zwei Trends bedienen wird: es soll sich um einen reinen Pinot Meunier vom Clos du Yons handeln, Basis wird der 2007er Jahrgang sein, die Stückzahl soll bei 3000 Flaschen liegen. Bei einem Weingarten mit 11 ha bedeutet das ein nicht unerhebliches Steigerungspotential, wenn die Nachfrage entsprechend gross sein sollte. Zu rechnen ist mit diesem Champagner 2012 – 2013.

Im Champagnerleistungszentrum: Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg

Sip of Gold

Die Brüder Michael und Christian Sieger präsentieren unter dem Markennamen Sieger eine vielfältige Produktpalette, die relevante Bereiche des stylebewussten Haushalts abdeckt. Neben Mode, Möbeln und Papeterie gehört dazu auch die Porzellankollektion „Sieger by Fürstenberg“, die in Kooperation mit der traditionsreichen Porzellanmanufaktur Fürstenberg entstanden ist.

Von besonderem Interesse ist für mich die Serie „Sip of Gold“. Die nur 2 – 2,5 mm dünnen Champagnerbecher von Sieger by Fürstenberg wirken berückend auch auf den, der hauchdünnes Kristallglas von Riedel, Zalto oder anderen Meistern der klassischen Trinkglasfertigung gewöhnt ist. Damit üben die Porzellanbecher eine Faszination aus, der man sich schwer entziehen kann: feinstes japanisches Teeporzellan beherbergt schließlich vergleichbar noble Gewächse und entbehrt einer Vergoldung mit 24 Karat – das ist schon ein Blickfang auf dem Tisch. Die von mir getesteten Modelle Plain, Cushion, Woven, Moon und Circus sind mit unterschiedlichen, eher minimalistischen Reliefdekors versehen, sonst unterscheiden sie sich nicht. Durchprobiert habe ich die Becher in unterschiedlichen Versuchsanordnungen mit Champagnern, deren Geschmacksprofile ich gut kenne. In einem Solotest habe ich die Becher mit drei unterschiedlichen, jeweils schon reifen und sehr ausdrucksvollen Champagner Prestige-Cuvées auf ihre Champagneraffinität hin geprüft. In einem zweiten Teil habe ich die Becher zu einem Menu von Ruhrgebiets-Topkoch Jörg Hackbarth und einer Reihe sehr unterschiedlicher Champagner ausprobiert.

A. Champagner

I. Krug Vintage 1988

Dieser in allen Varianten nussige Champagner, dessen immense Apfelpower sich nach und nach mit einer gemächlicheren Gangart ans gute Werk macht, glänzt mit einer (Aromen-)Vielfalt, wie man sie sonst nur zu Zeiten des Kalten Kriegs auf der ordensgeschmückten Brust eines sowjetischen Gardeoffiziers finden konnte. Die Wucht dieses Champagners allein hätte noch vor wenigen Jahren gereicht, den Eisernen Vorhang einzureißen. Heute ist er versöhnlich, aber nicht ohne ein grimmig-verschmitztes Blitzen in den Augen. Im Sip of Gold fand sich dieser Ausnahmechampagner in einer Ausnahmeumgebung wieder. Und wie das Leben manchmal so spielt – er kam damit nicht zurecht. Die ehrfurchtgebietende Aromaparade musste dramatische Einbußen wettmachen, was im Glas nach Uhrmacherpräzision aussah, wurde im Becher zum fröhlichen Durcheinander. Karneval statt Militärparade, der Champagner als Karikatur seiner selbst.

II. „S“ de Salon 1990

Ein anderer Grande ist der ehrwürdige „S“ de Salon. Ein Champagner, der ein Raunen durch den Raum gehen lässt, selbst wenn niemand im Raum ist. Von einer völlig anderen Bauart, als der 88er Krug, ihm in Sachen Langlebigkeit jedoch verwandt. Als mir ein lieber Kollege vor fünf Jahren einmal 1990er Salon vorsetzte, weil er selbst neugierig auf den Champagner war und nicht glauben wollte, dass ein Champagner nach so vielen Jahren nicht nur nicht tot, sondern noch gar nicht richtig wach sein kann, da war der „S“ gerade aus seiner ersten jugendlichen Bockigkeitsphase herausgetreten und wirkte sehr unausgeglichen. Mittlerweile gibt es einige große 90er, die schon wieder abtauchen, andere drehen nochmal richtig auf und dieser hier schien sich nicht recht entscheiden zu können. Im Impitoyables-Konterglas machte sich viel Cognac, Calvados, Walnuss, malzige, röstige Brotrinde und kandierte Frucht breit, am Gaumen wirkte er aber sehr uneinheitlich und fast ein bisschen müde. Im Porzellanbecher war der Eindruck nicht besser, allenfalls schwieriger zu fassen. Ersichtlich groß, aber seltsam unfokussiert wirkte dieser Champagner. Da ich von seiner Form außerhalb des Bechers nicht ganz und gar überzeugt war, kann ich keine gültige Empfehlung aussprechen, würde aber im Moment davon abraten, reife, mächtige und nussige Champagner aus dem Sip of Gold zu trinken.

III. Louis Roederer Cristal 1997

Eine schöne Paarung, von der ich im Vorfeld schon gedacht habe, dass sie überzeugen würde, war der jetzt sehr reife und gut trinkbare Cristal 1997 im Sip of Gold. Ganz, als hätten sich zwei gesucht und gefunden. Glamourfaktor und Anspruch bewegen sich auf derselben Wellenlänge, der üppige Zarenchampagner und das Adelsgeschirr passen so stimmig zueinander, wie sonst allenfalls noch Kaviar und purer Wodka. Nicht von ungefähr dürften handelsübliche Wodkagläser eine dem Sip of Gold entsprechende Form haben und Cocktails wie der Siberian Kiss aus Wodka, Champagner und sonst nichts erleben in einem Porzellanbecher wie diesem die „absolut“ höhere Weihe.

B. Menu

Der I. Gang bestand aus Hackbarth's Tapas: Thunfisch auf Rübchen, Ententerrine auf Chutney und Grissini mit Scampifüllung auf Asiasalat. Dazu gab es Bernard Tornays Extra Brut. Dessen haustypisch haselnussige, mit Mineralien und Räuchernoten unterlegte Nase wirkte im Porzellanbecher etwas zu breit und alkoholisch. Unterschiedlich hohe Befüllung half nicht, dieses Problem auszugleichen. Der Champagner von Tornay, der sonst in allen möglichen Gläsern zu überzeugen weiß, stieß hier offensichtlich an eine Grenze, was sehr bedauerlich war.

Als II. Gang gab es Jakobsmuscheln in Salbei gebraten auf sizilianischem Brotsalat. Dazu trank ich Champagne Nominé-Renard Brut Rosé. Der fruchtige, feine, sehr elegante, aber nicht überkanditelte Rosé ist auch eher ein Kandidat für Flötengläser. Das wurde einmal mehr im Sip of Gold deutlich. Denn das Verhältnis von Flüssigkeitsoberfläche zu darüberliegendem Duftkamin entspricht beim Sip of Gold in etwa dem eines bis zur breitesten Stelle gefüllten Top Ten Glases von Schott-Zwiesel oder dem eines halbgefüllten One for All Rotweinglases von Peter Steger. Auch aus diesen Gläsern empfiehlt es sich bekanntlich nicht, ultrafeine Rosés zu trinken.

Der III. Gang bescherte mir ein Steinbuttfilet mit Pinienkernen und Serranoschinken auf Tagliolini in Krustentierschaum. Dazu gab es weiterhin den Rosé und außerdem den Nominé-Renard Brut Tradition. Vom Rosé war auch mit Luft nicht mehr viel zu erwarten, der weiße Nominé-Renard gab dafür alles. Im Glas stets einer der lustigsten, zu jedem Gaumen freundlichen Champagner, zerrte er hier alles aus sich heraus und bewies seine wahre Größe. Kein vorschmeckender Alkohol, keine Hitze oder Schärfe, sondern eine üppige, blumige, von getrockneten Cranberries und Sanddorn geprägte Aromatik, dazu ein mildes Trockenkräuterbouquet. Na also, geht doch.

Gang IV. war Maishuhnbrust mit Morcheln auf Leipziger Allerlei und Kerbeljus, dazu gab es weiterhin den weißen Nominé-Renard und zusätzlich 2003 by Bollinger. Meine Haupteindrücke dieses Ganges stammen von den Morcheln, vom Kerbeljus und vom 2003 by Bollinger. Die drei waren wie füreinander geschaffen. Die Morcheln mit ihrer morbide Lüsternheit verbreitenden Aromatik, dazu der konzentrierte, aber nicht lästige Kerbel und ein 2003 by Bollinger in Bestform, Puligny-Montrachet pur! Im Porzellanbecher zeigte sich der Bollinger so opulent verführerisch, pudrig, buttrig, geschmeidig und mätressenhaft wie nie zuvor und war der Version im Konterglas deutlich überlegen.

Zum guten Schluss gab es den V. Gang, ein Délice Variée aus Zitronenparfait mit Erdbeere und Rhabarber, Armen Ritter und Streuselkuchen auf Quarkmousse mit Äpfeln. Dazu weiterhin Bollingers verrückten Jahrgang. Das Zitronenparfait war sauber, etwas milchig, mit angenehm herben Zitronenschalenschnipseln, Erdbeeren, die nach Erdbeeren schmeckten und einem bissfesten, aromatischen roten Rhabarber. Der Arme Ritter passte wegen seiner Herkunft aus der Backstube und seiner nicht so hervorstechenden Süße am besten zum Champagner, der sich von Minute zu Minute weiter in seine Burgunderrolle vertiefte und am Ende noch der Marquise Pompadour höchstselbst den Rang hätte streitig machen können.

Vor dem farbenfrohen Hintergrund des 18. Jahrhunderts, wie ihn der Film Marie-Antoinette mit Kirsten Dunst inszeniert hat, versteht man meiner Meinung nach die Porzellanbecher von Sieger by Fürstenberg erst richtig. Es geht weder im Film noch bei den Porzellanbechern um historische Richtigkeit und erst recht nicht um das unter Weinfreunden beliebte herumeiern um das beste Glas. Es geht bei diesen Bechern vielmehr um die Lust an der Zwanglosigkeit in einer so noch nicht dagewesenen Form. Das macht die Sip of Gold Reihe interessant, aber auch besonders anspruchsvoll …. Denn wie sich gezeigt hat, schmeckt daraus nicht jeder Champagner gut. Das ist kein Grund zur Beunruhigung, wenn man denn weiß, welche Champagner daraus gut schmecken. Und da beweist der Sip of Gold Klasse: Es sind die außergewöhnlichen Champagner, die in den Bechern dieser Serie zu einer Hochform auflaufen können, wie man sie nicht oft erlebt. Der Zarenchampagner Louis Roederer Cristal etwa öffnet in diesem Becher sein orthodoxes Herz und pulsiert mit ungekannter Kraft. Ein anderer mächtiger und rarer Champagner, der 2003 by Bollinger, wächst im Sip of Gold gleichsam über sich selbst hinaus.

Conclusio: Für den gewöhnlichen Genuss sind diese Becher nicht gemacht. Sie fordern kraftvolle, weinige und opulente Champagner. Wer sich zum Kauf von Bechern aus dieser Reihe entscheidet, sollte das sehr bewusst tun. Und er muss sich die Frage beantwortet haben, wie er seinen Champagner trinken will: nach dem Stil der Zeit und ohne Rücksicht auf Verluste, oder mit aller Distinktion und Sorgfalt, die der Wahl eines königlichen Getränks angemessen ist.

Hier geht es zum Hersteller: www.sieger.org/de/sip_of_gold

Champagnermenu in Hackbarth’s Restaurant

Lange bevor ich wusste, wo denn im Ruhrgebiet eigentlich Oberhausen liegt, empfahlen mir bereits verschiedenste Bekannte, bei Gelegenheit Hachbarth's Restaurant ebenda aufzusuchen. Diese Gelegenheit, so dachte ich seinerzeit, würde noch lange auf sich warten lassen und so könne es auch ruhig bis auf weiteres sein Bewenden damit haben. Doch dann kam alles anders, ich ins Ruhrgebiet und natürlich entsann ich mich der betagten kulinarischen Empfehlungen. Am eindrucksvollsten hatte ich den bezwingenden Ton eines ganz bestimmten Fürsprechers im Ohr und an den tagelang nachhallenden Tinnitus konnte ich mich ebenso lebhaft wie deutlich erinnern. So reifte denn der Entschluss in mir, den berühmten Herrn Hackbarth einmal aufzusuchen und setzte sich als latenter Wunsch in mir und letztlich auch in meinen tausenderlei über Tische, Desktop-PCs, Smartphones und Netbooks vagabundierenden, nie wirklich synchronisierten Kalendern fest.

Irgendwie wollte es dennoch nie klappen, mit dem Besuch. Bis ich vor wenigen Wochen eine Veranstaltung auf der Zeche Zollverein mit einem Weinbeitrag samt körperlicher, vor allem stimmlicher und nicht zuletzt auch geistiger Präsenz zu versehen hatte. Wer aber kommt da ebenfalls in das rückwärtige Räumchen? Meister Hackbarth, dem ich somit bei einem von ihm geleiteten Kochkurs von Ferne auf das Hackbrett schauen konnte. Die erste Kostprobe gab es an diesem Abend bereits in Form einer Flusskrebssuppe, die ich in Sterneschuppen schon schlechter bekommen habe. Der danach verabreichte Senfrostbraten vom Iberico Pata Negra-Rücken mit Mille-Feuille von geröstetem Wirsing, gebackenen Karrtoffeln, Birnen-Lauch-Confit und Trüffeljus konnte den Besuchsdruck noch ein weiteres Mal erhöhen.

Wer Hanseaten in der Familie hat, weiß, dass diese Leute gern den Patrizier und Pfeffersack geben. Nicht so der Hamburger Jörg Hackbarth: freundliches, einehmendes und verbindliches Wesen, ein guter Zuhörer und besonnener Sprecher. Und ein ungekünsteltes understatement, das man ihm gern abnimmt. Dabei, und das ist fast das beste, ein Champagnerfreund. Die Sache war schnell klar und gegen alle terminlichen Widerstände spitzte ich gestern endlich in Hackbarth's Restaurant.

Der I. Gang bestand aus Hackbarth's Tapas: Thunfisch auf Rübchen, Ententerrine auf Chutney und Grissini mit Scampifüllung auf Asiasalat. Dazu gönnte ich mir Bernard Tornays Extra Brut. Dessen haustypisch haselnussige, mit Mineralien und Räuchernoten unterlegte Nase war ein Sparringspartner auf Augenhöhe für den exzellenten Thunfisch. Ob die anderen beiden da mithalten würden? Sie hielten. Entenfleisch ist so oder so einer der absoluten Traumpartner für dosagearme Champagner denn das, was diesen Champagnern manchmal an Saftigleit fehlt, bekommen sie von einer guten Entenfleischterrine oder -galantine allemal zurück. Nun noch die Grissini, die nicht zu gross, nicht zu teigig, von der richtigen Knusprigkeit – nämlich ohne die Gefahr mittelschwerer Gaumenverletzungen durch granatsplitterartige Teigbruchstücke – und dem richtigen Verhältnis von Teig zu Füllung waren. Exakt zu diesem Champagner passte das nahtlos. Selbst der von mir ob seiner süssen Säure zunächst mit Sorge betrachtete Asiasalat spielte mit.

Als II. Gang gab es Jakobsmuscheln in Salbei gebraten auf sizilianischem Brotsalat. Dazu trank ich Champagne Nominé-Renard Brut Rosé. Die Salbeiblätter waren von milder Salbeiwürze und Gottseidank nicht so herb-medizinal, was zu dem feinfruchtigen Rosé nämlich gar nicht gepasst hätte. So allerdings passten die Salbeiblätter gut zum Champagner und zur Jakobsmuschel, die wiederum auf einem vorbildlichen Brotsalat thronte. Dessen geröstete Brotscheiben waren überwiegend dünn bis hauchdünn und allesamt knusprig. Das für mich entscheidende bei diesem Gericht ist, dass die Brotscheiben nicht von den Tomatenwürfeln aufgeweicht werden, bevor man mit dem Essen überhaupt beginnt. Sehr zu meiner Freude blieb die ganze Komposition stabil und verlief nicht zu einem Tomaten-Brot-Matsch. Der Champagner freilich hatte etwas Mühe mit dem rustikalen Salätchen, wäre aber auch schon mit der Jakobsmuschel allein in Bedrängnis geraten.

Der III. Gang bescherte mir ein Steinbuttfilet mit Pinienkernen und Serranoschinken auf Tagliolini in Krustentierschaum. Dazu gab es weiterhin den Rosé und außerdem den Nominé-Renard Brut Tradition. Der Fisch mit dem grotesk verdrehten Gesicht zeichnet sich durch ein festes, strahlendweisses Fleisch aus, das zur kombination mit dem Fleisch von Landbewohnern herausfordert. Oft bekommt man dann eine gebratene Blutwurstscheibe zum Steinbutt, bei Hackbarth's war es Serranoschinken. Den fand ich, zusammen mit dem ganz dezent aromatischen Krustentierschaum, gut dazu ausgewählt und zubereitet. Die Pinienkerne waren darüber hinaus eine geschickte Überleitung zu den recht weichen Tagliolini. Zu alldem vertrug sich der weiße Champagner-Allrounder von Nominé-Renard sehr gut und bei diesem Gang zeigte sich dann auch der Rosé wieder versöhnlich. Zum weißen Fischfleisch gefiel er mir übrigens besser, als zum Serranoschinken, beim weißen Champagner war es genau umgekehrt.

Gang IV. war Maishuhnbrust mit Morcheln auf Leipziger Allerlei und Kerbeljus, dazu gab es weiterhin den weißen Nominé-Renard und den 2003 by Bollinger. Meine Haupteindrücke dieses Ganges stammen von den Morcheln, vom Kerbeljus und vom 2003 by Bollinger. Die drei waren wie füreinander geschaffen. Die Morcheln mit ihrer morbide Lüsternheit verbreitenden Aromatik, dazu der konzentrierte, aber nicht lästige Kerbel und ein 2003 by Bollinger in Bestform, Puligny-Montrachet pur! Das zweifellos gelungene Maishuhn wurde fast zur Nebensache, das Leipziger Allerlei konnte im Rahmen der Butteraromatik glänzen.

Zu, Schluss gab es den V. Gang, ein Délice Variée aus Zitronenparfait mit Erdbeere und Rhabarber, Armem Ritter und Streuselkuchen auf Quarkmousse mit Äpfeln. Dazu weiterhin Bollingers verrückten Jahrgang. Das Zitronenparfait war sauber, etwas milchig, mit angenehm herben Zitronenschalenschnipseln, erdbeeren, die nach erdbeeren schmeckten und einem bissfesten, aromatischen roten Rhabarber. Der Arme Ritter passte wegen seiner Herkunft aus der Backstube und seiner nicht so hervorstechenden Süße am besten zum Champagner, der sich von Minute zu Minute weiter in seine Burgunderrolle vertiefte. Die Streusekuchenstange war wegen ihrer Festigkeit das ideale Werkzeug, um die fluffige Quarkmousse aus dem Becher zu holen und dabei immer auch ein paar Apfelwürfel mit aufzulesen. Noch vor wenigen Monaten hätte der Bollinger ganz gewiss auch dazu gepasst, aber an seinem Burgundertag war die Kombination mit dem Armen Ritter überlegen.

So ging die Zeit in Hackbarth's Restaurant dahin und hat sich gelohnt. Ein Blick auf das Regal mit den in der Vergangenheit geleerten Weinflaschen bestätigte, was ein Überfliegen der Weinkarte unmissverständlich angekündigt hatte: hier wird gute Küche mit Freude am Wein gelebt. Nicht unerwähnt bleiben darf der flotte und gut geschulte Service, kleine Holperer beim Dahersagen der Menuabfolge sind lässlich und spielen insbesondere für mich bei einem Haus, das mit guten Gründen nicht am Sternerummel teilnimmt, keine Rolle.

Dom Ruinart vertikal getrunken

A. Blancs:

I. 1981

Dem 81er hatte das Haus ein neues, nicht mehr ganz so überfrachtetes Etikett spendiert. Ob sich das auf den Champagner ausgewirkt hat? Man weiß es nicht. Überfrachtet wirkt an diesem athletischen, aber nicht asketischen Typ nichts. Drahtig und sehnig, Grapefruit und Toastbrot, ein isotonisches Getränk für Genießer, ideal nach dem Fressmarathon oder einer langen Rotweinprobe.

II. 1993

Kein sehr starker Dom Ruinart, man muss sich sogar fragen, was bei Ruinart in diesem Jahr passiert ist und für mich eng damit verknüpft ist die Frage, warum zum Teufel man keinen 95er Dom Ruinart bekommen kann. Der Champagner hat eine dürftige, allenfalls seltsam reife, aber überhaupt nicht ansprechende Nase. Und schmeckt einfach nur fertig. Meiden!

III. 1979

Mühelos überholt der 79er den 93er. Was ist da noch an Leben in diesem Champagner, ein bizzeln und sprotzeln, das reinste Fest. Dazu Milchkaffee, Toffee, ankaramellisierte Butter, englische Orangenmarmelade, so schön müssten alle reifen Champagner sein und vor allem die viel zu vielen viel zu gewöhnlichen Blanc de Blancs können sich bei diesem Reifeverhalten eine dicke Scheibe abschneiden.

IV. 1990

Ein Champagner, den ich mit Fragezeichen versehen hatte und auf den ich gespannt war. Die 1990er sind allgemein sehr früh – ich vermute ja: von Champagner-immer-viel zu-jung-Trinkern – enthusiastisch beschrieben worden. Und wahrlich, das timing war nicht schlecht: die Abfolge 1988-1989-1990 spielte guten Kellermeistern phantastisches Material in die Hände, viele 88er sind heute bombig, von den 89er hört man nicht mehr viel, weil sie wahrscheinlich überwiegend getrunken wurden, und 1990 nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Bis zum Jahreswechsel 1999/2000 waren die damals teilweise flammjungen 90er weit überwiegend in einer sehr guten Form. Danach tauchten viele ab, manche tauchten nie wieder auf, andere sind noch untergetaucht, andere kommen langsam in der nobel-zurückhaltenden Zeremonien-Gewandung großer Champagner wieder an die Oberfläche. Dieses Abtauchen wird bei anderen Weinen selbstverständlich hingenommen, bei Champagnern jedoch fast immer und vor allem von Bordeaux-Leuten zunächst mit Irritation quittiert. Völlig zu Unrecht, wie ich meine. Beim Dom Ruinart 1990 wusste ich nicht, in welcher Form ich ihn antreffen würde. Die Antwort hätte Conrad Ahlers kurioser Weise schon 1962 gewusst: "bedingt abwehrbereit"! So wie der 90er Rosé sich mit einer nicht altersuntypischen Gemütlichkeit rund und weich zeigte, war auch der weiße Dom Ruinart 1990 jenseits seiner midlife crisis wieder aufgetaucht. Leichte Bindegewebsschwäche, mäßig ausgeprägte Antriebsstärke, abgeschliffene Reiss- und Schneidezähne, erste Anzeichen einer Osteoporose. Damit will ich nicht sagen, dass der Champagner im Eimer war, so schwach wie der 93er war er lange nicht. Er war mehr der Typ Business Angel, also der gestandene Manager, der die gröbsten Stürme des Lebens hinter sich gebracht hat und jetzt sein umfangreiches Wissen weitergibt. Denn an Aromenfülle war kein Mangel. Jetzt trinken.

VI. 1988

Ein unerwartetes Kopf-an-Kopf Rennen gab es mit dem 1988er Dom Ruinart. Von schlankerer Anlage und bei den Rosés mit etwas mehr als einer Nasenspitze vorn, war hier der Gegensatz zwischen reifem, aufgeplustertem, farbenfrohem 90er Chardonnay und vorbildlichem, säurestarkem, reichlich bissigem, in der Jugend sogar giftigem Blanc de Blancs gut zu sehen. Im Vordergrund Kaffee und Röstaromen, dicht dahinter eine agile, mineralische Zitrussäure und ein feiner Schmelz. Ich glaube nicht, dass sich da noch sehr viel ändern wird, insbesondere weiß ich nicht, ob mit weiterer Flaschenreife noch eine zusätzliche Aromenschicht hinzutreten wird. Wenn er sich so noch etwas hält, ist das schon eine sehr gute Leistung. Traumhaft wäre dieser Champagner natürlich in einer mit Champignons und Waldboden angereicherten Form. Wird man ja sehen, ob das noch kommt.

VII. 1996

Der erste Dom Ruinart mit dem jetzt aktuellen abgerundeten Etikett. Kann man im Moment nicht viel zu sagen, finde ich. Hart, aber nicht abweisend, sehr viel Zitrusfrische macht sich am Gaumen breit, dahinter kommt noch nicht viel zur Geltung. Anknüpfungspunkte für ein gutes Reifeverhalten könnte die etwas undurchdringliche, milchige Crèmigkeit sein. Milchig empfinde ich hier vor allem im Sinne einer dicken, süsslichen Milchcrème, nicht im Sinne einer abgeflachten und breitgewalzten Aromatik, die auf übertriebenen Säureabbau zurückgeht. Der Champagner befindet sich offensichtlich noch im Puppenstadium, wo er gern die nächste Jahre bleiben darf, wenn es der guten Sache dient.

 

B. Rosés:

I. 1979

Ein Etikett so elegant wie die Holzstiche und Schnitzmotive von lustigen Biertrinkern in Opas Kellerbar. Stets als Assemblage-Rosé mit knapp 20% Stillwein aus Verzenay und Verzy, das Grundgerüst ist reiner Chardonnay. Schon ein sehr reifer Rosé, der mit viel kandierter Frucht, Orangeat, Amarena-Cocktail-Kirschen und einer insgesamt süsslichen Art, wie sie die älteren Herrschaften gern haben, zu überzeugen versuchte. Positiv hervorzuheben ist die enorme Präsenz, die der Champagner hatte und die sehr reichhaltige, das Alter und die vereinzelt trocknend wirkenden Sherrytöne etwas vergessen lassende Aromatik.

II. 1982

Diesen Dom Ruinart gab es zum Glück schon mit dem geringfügig aufgehübschten Etikett. Ebenfalls ein sehr rüstiger Rosé. Frühverrentete Lehrer, die im Garten ihre Kirschen vor dem Raub der Vögel beschützen, können nicht dynamischer sein. Gedeckter Kirschkuchen mit guter Schlagsahne, dazu Schwarztee. Gut möglich, dass der hohe Pinot-Anteil sich im Alter typischerweise mit dieser Kirschnote bemerkbar macht. Fällt mir erst jetzt auf.

III. 1986

Reifer, als ich vermutet hätte, vielleicht liegt's am Jahrgang. Während ich bei den beiden Vorgängern mit der Kaffeekränzchenstilistik gut zurecht kam, hätte ich mir hier Abwechslung oder zumindest eine jugendlichere Interpretation gewünscht. Doch statt einer aufgepeppten Version von gedecktem Kirschkuchen und Tee gab es nun Schwarzwälder Kirsch, Dänische Buttercookies, Mandelkrokant, Mürbeteigkuchen und Jacobs Krönung mit Kirschwasser. Sehr schön, einerseits, dass da noch so viel Spiel war, anstrengend andererseits, so viele, leider zum Teil schon etwas angetrocknete Aromen im Mund zu haben.

IV. 1985

Frischer, griffiger, frecher und mal wieder eine Bestätigung für die Langlebigkeit und Qualität des Jahrgangs war der 1985er. So simpel und unraffiniert es klingt: Rote Grütze (natürlich die mit dem guten Überseerum) mit Vanillesauce im Pfannkuchenwrap beschreiben es ganz gut.

V. 1990

Aus der Normalflasche war er mit viel Freude trinkbar, bei diesem Champagner lohnt sich aber die Anschaffung in Magnums, denn der Magnumeffekt ist hier scheinbar besonders stark ausgeprägt. Entwicklungsfreudig, wobei das Tempo, mit dem die Fruchtparade vorbeizieht teilweise etwas hektisch und überstürzt wirkt. Typisch für Dom Ruinart Rosé und beim 90er besonders stark ausgeprägt ist die weinige, deutlich vom Spätburgunder geprägte Art. Weiche Aromen von Kokos, Mandel und Milchschokolade, erfrischende Komponenten vom Erdbeer-Rhabarber Kompott. Aus der Magnum ist die Entwicklung langsamer, genussvoller.

VI. 1988

Auf Augenhöhe mit dem 90er. Gebuttertes Rosinenbrötchen, eine Auswahl verschiedener Fruchtmarmeladen, Toastbrot und Kaffee – bei diesem Champagner erkennt auch der Letzte die Bedeutung des Worts Champagnerfrühstück. Einziger Wermutstropfen: in der Normalflasche gewinnen nach Luftzufuhr süssliche, kräuterige Aromen und eine alterstypische eindimensionale Säure etwas zu schnell die Oberhand.

VII. 1996

Blind würde man sagen: erstens Blanc de Blancs und zweitens untrinkbar. Wer ihn jetzt öffnet, sollte ein Freund stark gepfefferter Austern mit etwas zu viel Zitronensaft sein. Daneben finden sich noch einzelne, verloren wirkende rote Johannisbeeren und ätherisch feine, bzw. ätherisch kleine Mengen reifer Himbeeren. Erinnert mit etwas Gewöhnung (oder Einbildung, schwer zu sagen) an Molke mit Erdbeer-Himbeer-Maracuja Geschmack. Jedenfalls ein gutes Zeichen für später.

ProWein-Champagner: Nachlese Teil II

IX. Besserat de Bellefon

Auch hier selbst zu später Stunde noch freundlich Bewillkommnung und Vorführung der neuen, superschicken Lackholzkiste, in der sich die gamme stilgerecht präsentieren lässt.

1. Cuvée des Moines Blanc de Blancs

Ein zuverlässiger und immer wieder auf sehr hohem Niveau angesiedelter Champagner ist der Blanc de Blancs von Besserat de Bellefon. Schafgarbe als Hinweis auf eine flüchtige Säure vermochte ich darin weniger wahrzunehmen, als mir im Gespräch angekündigt wurde. Dafür reife Aprikosen und weisse Pfirsiche, mit Luft entfalteten sich tatsächlich noch ein paar gebrannte Mandeln und kandierte Früchte, der Säurewert blieb auf dem Teppich.

2. Cuvée des Moines Millésime 2002

Sahnig, stoffig, lockend, mit einer an Bienenwachs erinnernden Nase und sehr milder Textur. Wie schon der Blanc de Blancs war dieser Champagner kein Säuregigant. Tarurig hat mich das nicht gemacht, denn für Säure ist der Jahrgang sowieso nicht berühmt. Eher schon für eine lange, balancierte, sehr elegante Art. Die war hier etwas gehemmt und wirkte schüchtern, erholt sich aber bestimmt in den nächsten Jahren.


X. Francoise Bedel

Vincent Bedel nahm sich sehr viel Zeit, um die außergewöhnlichen Champagner seiner Mutter vorzustellen. Die Biodyn-Zertifizierung erfolgte 2001, nachdem Francoise und Vincent 1996 ein dramatisches Schlüsselerlebnis hatten. Dabei wurde vor allem Francoise klar, dass Leben und Arbeit bei ihr aus der Blanace geraten waren. Der Arzt Robert Winer, dem die Familie einen Hommage-Champagner widmet, ist der Impulsgeber für die vollkommene Umstellung von Lebensstil und Arbeitsweise gewesen.

1. Origin'elle 2004

78PM 13CH 9PN. Saftig und glatt, in der Nase hagebuttig, apfelpektinig, auch Fenchel, mit Kräutern und etwas exotischer Frucht. Machte einen warmen, wohligen Eindruck von altgewordenem Apfel. Am Gaumen wenig Angriffsfläche meiner Meinung nach der morbideste von allen Bedel-Champagnern

2. Dis, Vin Secret 2003 Brut Nature

86PM 8PN 6CH. Klassischer und schöner dagegen der Dis, Vin Secret, trotz des schwierigen Jahres. Aufgrund der hohen Reifegrade war bei diesem Champagner keine Dosage nötig, wie sich nachher beim dosierten Dis, Vin Secret zeigen würde. Merklich waren die fortgeschrittenen, reifen Aromen von Trockenobst und eine leicht alkoholische Note.

3. Entre Ciel et Terre 2002 Brut Nature

100% Pinot Meunier. Sehr spielfreudig zeigte sich der Entre Ciel et Terre. Hinter dem pudrigen Make-Up versteckte sich eine überraschend hervorschnellende Säure, die man einem reinen Meunier nicht ohne weiteres zutraut. Apfel, Hefezopf und allererste Anlagen für eine toastige Röstigkeit, dazu etwas Lemon Curd. Stattlicher Champagner.

4. Entre Ciel et Terre 2002 Brut

Erwartungsgemäss etwas gedämpfter, ich will nicht sagen verwaschener, waren die Aromen beim brut dosierten Entre Ciel et Terre. Immer noch ein schöner Champagner, der viele Champagnerfreunde sehr positiv überraschen dürfte, aber wenn man ihn als brut nature getrunken hat, wird man den dosagelosen Champagner bevorzugen. Wirkte am Tag davor und in einem anderen Kontext (nämlich gegenüber dem Dis, Vin Secret 2000 und 2003) besser.

5. Dis, Vin Secret 2003 Brut

Hier dasselbe. Gegenüber der dosagelosen Ausgabe einfach ein Haufen mehr an reifen, teilweise überreifen Aromen und kein bisschen übriggebliebener Säure. Lässt den Champagner langsam, fad und müde wirken, was schade ist.

6. Robert Winer 1996, dégorgiert im Oktober 2008

88PM 6CH 6PN. Einer Gesamtsäure von 8,01 g/l stehen hier 6,9 g/l Restzucker gegenüber, freies SO2 lässt sich mit lächerlichen 13 mg/l nachweisen. Das Öffnen der hanfstrickverschlossenen Flasche mit dem eigenwilligen Etikett lässt die Reise beginnen. Die fernöstliche Reisgebäcknase deutet noch nichts von der ungeheueren Kraft dieses Champagners an. Die kommt erst im Mund voll zur Geltung. Das ist kein harmloses tackling mehr, sondern ein rabiater bodycheck. Wie ein mittlerer Sekiwake verstopft der Champagner erstmal den Mund, bevor er mit einiger Anstrengung der Geschmacksnerven sinnvoll getrunken werden kann. Grapefruit, Pitahaya, Granatapfel, Kumqat und Physalis rumpeln erbarmungslos in den Schlund und lassen einen aufgerührten Trinker zurück.

Am Tag zuvor hatte ich auf der Renaissance des Appellations bereits folgende Champagner von Bedel probiert:

7. Dis, Vin Secret 2000

Fortgeschrittene, aber nicht unangemessene Reife. Mit Kandiszucker lackierter Apfel trifft es wohl ganz gut. Unter der knusprigen Karamellzuckerschicht lag ein warmer, mürber Apfel mit einem sehr appetitlichen Fruchtfleisch.

8. Âme de la Terre 1998, dég. Juni 2008

24PM, 35PN 41CH. Mit 11,9 g/l dosiert, bei 4,55 g/l Säure. Was war zu erwarten? Dass der Champagner fruchtig sein würde, weil leicht pinotdominiert und weil die Chardonnays von Bedel keine besonders fordernde Säure entfalten. Was noch? Dass die Frucht mir zu plakativ sein würde und der Dosagezucker mir zu hoch vorkommen würde. Und dann noch, dass das späte Dégorgement dem Wein etwas zusätzliches Leben einhauchen würde, worüber ich mir aber noch nicht ganz sicher war. Genau so war der Champagner am Ende. Eigentlich schade, denn in der langen Lagerphase hätte doch etwas viel besseres draus werden können – die Cuvée Robert Winer hatte es vorgemacht.


XI. Fleury

Fleury ist mit revolutionären Methoden vertraut. 1901 gehörte Fleury (gegründet 1895) zu den ersten Winzern der Region, die gepfropfte, reblausresistente Pinot-Noirs pflanzten. Während der Wirtschaftskrise von 1929 gehörte Fleury dann zu den ersten Erzeugern, die ihre Trauben wieder selbst vinifizierten und nicht mehr zu Schleuderpreisen an die großen Häuser verkauften. Im Jahr 1970 war Fleury einer der ersten ökologisch arbeitenden Winzer. Die Umstellung auf biodynamisch erfolgte schrittweise seit 1989, damit ist Fleury wiederum einer der ersten biodynamisch arbeitenden Winzer in Frankreich. Schon am Vortag auf der Renaissance des Appellations probiert.

1. Brut Tradition Blanc de Noirs

Vollmundiger, gutmütiger Champagner.

2. Brut Prestige Fleur de l'Europe

Gewöhnungsbedürftiges Etikett. 85% Pinot-Noir und 15% Chardonnay. In Nase und Mund dann nicht ganz so gewöhnungsbedürftiger, kräftiger, dichter, nicht sehr komplexer Champagner.

3. Rosé de Saignée Brut

Nach den beiden behäbigen, ordentlichen weissen Champagnern kommt beim Rosé eine kleine Überraschung, der Champagner ist von einer gewissen Eleganz und Leichtigkeit, die man gemeinhin mit Rosé-Champagner verbindet, vom Hausstil aber nicht unbedingt erwartet.

4. Millésime 1995, dég. 2009

Wie praktisch immer bei Fleurys Jahrgängen 80% Pinot-Noir 20% Chardonnay. Deutlich ist das Pinotübergewicht, aber der Chardonnay setzt sich mannhaft zur Wehr. Unterstützung erhält er vom späten Dégorgierzeitpunkt, das gibt ihm einen Frischeturbo. Im Moment sehr schön zu trinken, vielleicht die nächsten drei Jahre noch auf diesem Niveau, dann dürfte der Champagner abbauen. Interessanter Kandidat für eine Gegenüberstellung normaler Dégorgierzeitpunkt ./. spätes Dégorgement.


XII. Franck Pascal

Monsieur Pascal war wieder selbst am Stand und erklärte seine Champagner, die es demnächst mit neuen Etiketten zu kaufen gibt. Zur Biodynamie kam er über das Militär. Dort lernte er chemische Kampfstoffe kennen und war später ganz frappiert, als er auf der Weinbauschule eine ähnliche Wirkweise von Pestiziden, Herbiziden und allen möglichen anderen -ziden auf lebende Organismen kennenlernte. Folgerichtig beendete er 1998 den Einsatz von Chemikalien und Düngemitteln im Weinberg.

1. Cuvée Prestige Equilibre 2003

Drittelmix, der mit backenzusammenziehendem Süssholz anfängt und die schwarze, von Holunderbeersaft, Brombeeren und Cassis geprägte Aromatik durchhält. Wirkt bereits ganz zugänglich.

2. Cuvée Prestige Equilibre 2002

Drittelmix, mit 4,5 g/l dosiert. Viel enger, verschlossener, mineralischer als der 2003er. Kein Champagner, der jetzt oder innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre viel Freude bereitet und im Moment nur sehr trainierten Champagnerfreunden gefallen dürfte. Wenn alles gutgeht, ändert sich das demnächst, der Champagner ist einfach noch viel zu sehr in sich selbst verdreht.

3. Cuvée Tolérance Rosé

Nach den beiden Jahrgängen wirkte der Rosé fruchtig, unausgezehrt, ausgeruht und wie zu Scherzen aufgelegt. War er in Wirklichkeit natürlich nicht, da war sein vom Sagesse ererbtes Naturell und die schwer entzifferbare Handschrift des Winzers davor. Unter den Rosés unserer Zeit sicher einer der interessantesten. Nichts für Hedonisten.


XII. Philipponnat

Die Champagner von Charles Philipponnat sind immer ein Gläschen wert, waren am Stand leider sehr sehr kalt.

1. Royal Reserve

Jugendlich, unbekümmert, frisch und fruchtig plätscherte der Standardbrut ins Glas. Dahinter steckt überwiegend Pinot-Noir, ca. ein Drittel Chardonnay und ca. ein Viertel Pinot Meunier. Der Reserveweinanteil kann auf bis zu 40% klettern und wird im Soleraverfahren gewonnen. Biologischer Säureabbau ist für diejenigen Grundweine, die bei Philipponnat ins Holz dürfen, kein Thema. Unter anderem deshalb stecken sie die 9 g/l Dosagezucker gut weg. Für ein großes Haus wäre das übrigens nicht besonders viel, doch ist Philipponnat kein grosses Haus, sondern eher ein großer Winzer. Das sieht man allenthalben an der sehr sorgfältigen, am Detail orientierten Vinifikation. Wie es sich für gute Winzer gehört, trägt jede Flasche das Dégorgierdatum auf dem Rückenetikett. Immer wieder eine Freude und in Deutschland ein noch immer viel zu unbekanntes Haus.

2. Grand Blanc Millésime 2002

Dieser Champagner ist in Teilen ein Clos des Goisses. Dort stehen nämlich ein paar Chardonnayreben, die nachher einen Teil der Wirkmacht des Clos des Goisses ausmachen. Zu 15% stammen die Chardonnays dieses Weins ebenfalls aus dem Clos des Goisses. Der Rest kommt überwiegend aus der Côte des Blancs. Im Stahltank bekommen diese Weine ihren Schliff und ihre chablismässige Statur, wobei es auch in diesem Champagner Anteile gibt, die im Holzfass waren und keinen BSA mitgemacht haben. In der mit 5 g/l dosierten Cuvée merkt man von alledem nicht viel. Ich war zum Beispiel viel mehr damit beschäftigt, über den Chardonnay aus dem Clos des Goisses nachzudenken und ob ich den beim nächsten Besuch mal als Grundwein probieren könnte. Denn irgendwas haben diese Trauben, was dem Champagner einen besonders weichen twist verleiht, eine träumerische Unschärfe nach der Art wie sie David Hamiltons Bilder berühmt gemacht hat.

3. Réserve Millésimé 2002

70% Pinot-Noir aus Ay und Mareuil, 30% Chardonnay aus der Côte des Blancs. Trotz seiner Dosage von 9 g/l ein lebhafter, frischer Champagner, der mir aus der Kollektion am gefälligsten vorkam. Datteln, Feigen, Aprikosen, weisse Schokolade und Limette halten sich hier spannungsvoll die Waage.

4. Cuvée 1522 Blanc Grand Cru 2002

Gedächtniscuvée anlässlich der Niederlassung der Familie in Ay. Folglich muss Pinot-Noir aus Ay mit 60% den Löwenanteil in der Cuvée bekommen. Warum der Rest Chardonnay aus Oger stammt, ist mir nicht klar. Ich finde das nicht konsequent; Philipponnat hätte viel lieber Chardonnay Grand Cru aus Ay nehmen sollen, das hätte viel authentischer zu der Cuvée gewirkt und außerdem traue ich Philipponnat ohne weiteres zu, mit den Trauben vernünftige Resultate zu erzielen. Im Bereich der von diesem Champagner bereits preislich anvisierten Kundschaft wäre das sicher auf große Entzückung gestossen. Mit 4 g/l dosiert und langem Hefelager ist der 1522 so etwas wie eine kleine Prestigecuvée. Schmeckt balanciert, pendelt sich aromatisch beim Khakisüppchen mit Pinienkernen und Ingwer ein.

5. Clos des Goisses Blanc 2000

70% Pinot-Noir und 30% Chardonnay. Wie bei allen Philipponnat-Champagnern geht es auch hier um Frische, Klarheit, Rasse und Stil, daher der bewährte Mix aus Stahltank und BSAlosem Fassausbau. Obwohl mit nur 4 g/l dosiert und zu kalt serviert, entfaltete der Clos des Goisses mühelos seine ganze Pracht. Kakao und Kirsche, Toastbrot und Powidl-Palatschinken, Kaisermelange, Germ- und Marillenknödel, die ganze Wiener Kaffeehauskultur in einem Champagner! Ein schöner Beleg dafür, dass der Clos des Goisses besonders in schwachen Champagnerjahren großartige Champagner liefern kann.

6. Royal Reserve Rosé

Ein Assemblage-Rosé mit 7-8% Coteaux Champenois. So leicht und lebensbejahend wie das zarthelle Rosa des Champagners schmeckt er, Erdbeer-Himbeeraromen werden von 9 g/l Dosagezucker recht vorteilhaft herausgehoben, eine hauchdünn unterlegte Tanninstruktur erinnert daran, dass der Champagner aus einem sehr distinguierten Haus kommt. Alles in allem dennoch kein besonders komplizierter Champagner.


XIII. Paul Goerg

Monsieur Moulin, den die Genossen bei Ruinart herausgekauft haben, stellte die Cooperativenchampagner und die neue, 2004 als Handelshaus gegründete Marke Prieur vor. Die Goutte d'Or aus Vertus stand bis vor kurzem unter der Leitung von Pascal Férat, der nach den jüngsten Querelen in der Winzerschaft die Führung des Winzerverbands übernommen hat. Unter dem Namen Paul Goerg treten die Genossen seit 1982 eigenständig am Markt auf, vorher teilten sie das Schicksal des unbekannten Saftlieferanten mit zahllosen anderen Kooperativen der Region.

1. Brut Tradition

60CH 40PN. Sehr leichter, mit seinen 8 g/l nicht hoch dosierter Champagner. Weinig und angenehm, etwas kurz.

2. Blanc de Blancs

Dem Tradition eng verwandt, mit mehr Dampf, mehr campheriger Säure und einem Beigeschmack von geschwenkter Butter. Nicht besonders groß.

3. Blanc de Blancs Millésime 2002

Stärker hervortretende Chardonnayeigenschaften, voluminöser Apfel, bei mäßigen Säuregraden. Wenn die Mitgliedsbetriebe ihre Lagen in den Premier und Grand Crus der Côte des Blancs haben – so scheint hier doch überwiegend das leichte, fruchtige Element verarbeitet zu werden. Geht beim 2002er in Ordnung.

4. Cuvée Lady Millésime 2000

85CH 15PN. Acht Jahre Hefelager. Ziemlich proper, dabei fast ein wenig divenhaft schwankend zwischen fruchtiger Herzlichkeit und spröder Mineralität präsentiert sich die Prestigecuvée der Genossen. So stellen sich die Mitglieder die perfekte Champagner-Winzerehefrau vor, geschäftlich diamanthart, aber reinen Herzens, rund, facettenreich, nach innen ausgeglichen und harmonisch. Gelungen.

Weinsause bei Essen-Privat

A. Als Menu gab es

I. Lachsterrine und Variation vom Wildlachs

II. Flusskrebssuppe mit Zitronenbutter-Croûtons

III. Wiesenkräuter an Rinderfiletspitzen

IV. Lammhüfte vom Grill mit Haricots verts, Fenchelgemüse und Trüffelkartoffelpurée

V. Dessertvariation mit Erdbeersorbet

 

B. Dazu die folgenden Weine

Opener:

Champagne Eric Isselée, Blanc de Blancs Grand Cru 2002 en Magnum

Schon wieder der Isselée. Weil er immer noch gut ist, der Isselée. Zusammen mit Voirin-Jumels Blanc de Blancs Grand Cru ist das bis auf weiteres mein favorisierter Partychampagner aus der Magnum. Saftig, wohlgerundet, mittellang, ein echter Appetitanreger, der aus der Magnum immer genauso schnell verschwindet, wie aus Normalflaschen.

Weiss:

I. Reichsrat von Buhl, Weissburgunder "Ruhr-Edition" 2009

Dieser Wein wird nicht ohne Grund den Sommer an Rhein und Ruhr beherrschen. Fruchtig, mit kerniger, für Weissburgunder schon sehr stattlicher Säure, zur Seite hin mit hellen Blüten und weissem Pfirsich abgepolstert. Der typische crowd pleaser.

II. Pompaelo Blanco 2009

Auf der ProWein erstmals probiert und als Muster mitgenommen. Wenn ich das richtig erinnere, ein Mix aus Viura und Chardonnay mit Muscat Gros Grains, es kann aber auch alles ganz anders sein. Das wohlige, reichhaltige Bouquet spricht für den von mir jetzt einfach mal unterstellten Rebsortenmix, im Mund fiel er leider nach dem Buhl deutlich im Säurewert ab und wirkte laff. Doch nochmal solo nachprobieren.

III. Badet, Clement & Cie., Révelation 2008

Chardonnay und Viognier verpartnern sich in diesem Wein ganz köstlich. Durch den Fassausbau kommt eine leicht speckige Note dazu, die sich mit dem Duft aus Opas Zigarrenkiste vermengt. Im Mund kühlend, mittelgewichtig, mit einer etwas breiten, aber liebenswerten Säure.

IV. Bodegas Piedemonte Garnacha Rosado 2008

Rosé gekelterte Grenache aus Navarra. Erdbeerig, himbeerig, auch schokoladig. Trotz der klaren und allgegenwärtigen roten Aromatik hat man nicht den Eindruck, einen roten Wein im Mund zu haben, dafür ist er dann wieder zu frisch und leicht. Einen transsexuellen Eindruck machte der Wein auf mich aber auch nicht. Gut gelungener Balanceakt in einer immer wieder bespöttelten Kategorie.

V. Reichsrat von Buhl, Forster Pechstein Großes Gewächs 2008

Nach dem jüngsten GG-Performance-Check hatte dieser Pechstein nur wenige Pflichtaufgaben zu erfüllen. Aromatisch war alles da, was junger, ungestümer Pfalzriesling haben darf, Apfel, Melone, Aprikose und Pfirsich, sehr viel Schmiss und eine mitreissende Offenherzigkeit.

VI. Elena Walch, Beyond the Clouds 2007

Aus den Traminer Steillagen Castel Ringberg und Kastelaz stammen die Trauben für diesen eigenwilligen Wein. Chardonnay soll vorwiegend drin sein, aber auch Traminer und am Ende noch Sauvignon Blanc. Aber genaue Angaben fehlen leider. Sie hätten auch nichts an meinem Verdikt geändert: kein Wein, der mir geschmeckt hat. So filigran und einfallsreich wie eine Sonnenblume, so aromatisch wie Sonnenblumenöl. Von Säure keine Spur, dafür ein seltsam verlorenes Zuckerl. Vielleicht in fünf Jahren nochmal trinken, aber im Moment würde ich die Finger davon lassen.

Rot:

I. Château Citran 1996 Mise du Château de Preuilhé, en Magnum

Jedes Mal, wenn er auf den Tisch kommt, überrascht dieser Wein. Diesmal hatte ich mir als allerersten, sich mir sofort in der Nase auffälligen Ton getrockneten, mit Sesamöl eingepinselten und mild gesalzenem See-Lattich notiert, wegen der jodigen Note und weil er tatsächlich danach duftete – und ich bin ein großer Vertilger von getrocknetem, mit Sesamöl eingepinseltem und mild gesalzenem See-Lattich. Eine etwas scharfe Beerenfrucht kam noch dazu, wie ein Dessert aus Erdbeeren, Orangensaft und Pfefferkörnern. Obwohl ich nie ein Fan von Citran war, mit diesem Wein könnte ich es mir vorstellen.

II. Würtz-Weinmann Pinot-Noir 2005

Der Wärtz in rot, was ja gut passt. Knackig war er, die Runde rief sehr schnell und überwiegend "deutsch", vielleicht wegen dieser kühles Klima vermuten lassenden Knackigkeit, vielleicht wegen des für deutschen Spätburgunder typischen, hier aber nicht stereotypischen Charakters von Einmachobst und einer freundlich-warmen Waldboden- oder Humusnote. Verhaltene Kraft und einen süsslichen, entfernt an Weihrauch erinnernden Abgang hatte er ausserdem.

III. August Kesseler, Assmannshäuser Höllenberg Pinot-Noir 1990

Erdig, waldbodig und pilzig duftete dieser Wein. Mit Luft wuchsen die ersten roten Beeren aus dem Glas und lieferten sich einen Wettlauf mit der nicht unbeträchtlichen Säure. Das griffige Tannin spielte daneben keine grosse Rolle, viel spannender war es, den beiden Komponente bei ihrer Entwicklung beizuwohnen. Fast muss man sagen, dass der Wein mit seinen nunmehr zwanzig Jahren noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen ist, so wandlungsfreudig wie er sich zeigte.

IV. Warrenmang Estate Grand Pyrenées 1998

Dieser Bordeaux-Blend passte so gut zum Fleisch, wie nur dasselbe Fleisch selbst noch einmal gepasst hätte. Brombeer und Cassis waren so selbstverständlich da, als wären sie meine direkten Tischnachbarn, dazu kam noch ein neuweltliches, etwas minziges Tannin, das dem Wein ein schlankes, raffiniertes Gewand lieh. So soll Wein zum Fleisch schmecken.

V. Grand Puy Lacoste 1997

Meiner Meinung nach Kork. Wirkte aber unabhängig davon als sei er noch gut beisammen.

VI. Torbreck Juveniles 2001

Über David Powells Weine kann man viel philosophieren. Man wird aber immer auf die Person zurückkommen, die diesen Wein macht. Und ein Stück seiner Persönlichkeit, mehr als nur eine persönliche Randnotiz, steckt in jedem seiner Weine. Holzfäller und Weinmacher, Grobe Kraft und kunstsinniger Feingeist, das sind einige der Stichworte zur Person, an die man sich erinnert, wenn man seine Weine trinkt. Dieser Juveniles kam leider nicht in Höchstform ins Glas, zeigte aber die typischen tiefdunklen, aus den Wäldern der schottischen Highlands stammenden Beerenaromen. Aus 60% Grenache und jeweils 20% Mourvédre/Mataro und Shiraz gekeltert, im Stahltank vinifiziert.

VII. Pikes Merlot 2000

Hier zeigte ein Wein ab der ersten Sekunde, was er kann. Dem Assmannshäuser in der Beziehung verwandt. Mich erinnerte der Wein zunächst an Thymian und medizinische Präparate, dann trat aus dem dichten Schleier langsam der fruchtige, beerige Charakter hervor. Von seiner Art her kühl, hatte der Wein ein durchaus hanseatisches Auftreten. Mit diesem Wein werden in Hamburg-Pöseldorf die künftigen Schwiegersöhne bewirtet, bevor es ans Heiraten geht.

VIII. Robert Groffier Chambertin Clos de Bèzes 1995

Das folgende Gewächs kam von Groffier, der zu den Spitzenwinzern der Region zählt. Ich wusste nicht recht, ob sich der Wein hauptsächlich gegenüber meinem Gaumen, oder seinem eigenen fortschreitenden Alter so angriffslustig zeigte. Die Bewegung tat ihm jedenfalls gut. Eine mürbe, etwas mehlige, nussige Art konnte er nicht verhehlen, verkaufte das aber sehr gut als Esskastanie. Die vereinigte sich ausgesprochen glücklich mit gewissen Kirsch- und Beerenaromen, umspielt, oder besser gesagt umlaufen von einer sehr agilen Säure, die wie ein Schäferhund die Herde an noch frischen Aromen hütete.

IX. Fox Creek Reserve 1998

Sehr viel getrocknete Sellerieschnipsel und Brühwürfel. Unter diesem Konzentrat eine sehr dicht ineinandergewobene Mischung aus allem, was man in der Küche verwenden kann und dunkel ist. Schokolade, Crema di Balsamico, schwarzer Pfeffer, Morcheln, Nelken. Nicht leixcht zu trinken.

X. Léoville Poyferré 1996

Starker Wein für starke Männer. Hat aber auch den Frauen geschmeckt, soweit ich das beobachten konnte. Denn überwiegend habe ich entweder ins Glas geschaut, oder die Augen beim Trinken geschlossen. Nach kurzer Aufwärmphase schiessen saftige Frucht, seidenweiches, reifes Tannin und eine beides sehr dezent umklammernde Mineralität aus dem Glas. Rund und gut, ein Wein, für den man sich ohne falsche Scham prostituieren darf.

Schließer:

I. Horst Sauer, Escherndorfer Lump Riesling Auslese 2009 Fassprobe

Einen guten Riesling hat der Horst Sauer da ins Glas gebracht. Genauso topfit, wie er selbst. Nun bin ich kein großer Kenner der Frankenrieslinge und schon gar keiner der edelsüssen Frankenrieslinge. Das mag erklären, warum mir der Wein so schwer identifizierbar vorkam. Trotz vorhandener, junger, leider noch arg hefiger Frucht wirkte der reichlich massige Wein gebremst und nicht ganz balanicert. Ich hoffe, das renkt sich demnächst ein.

II. Dr. Crusius, Schlossböckelheimer Felsenberg Riesling Auslese 2008

Altersbedingt eine ganze Stufe weiter war der Riesling von Crusius. Quietschlebendig, mit einem pumucklhaften Übermut und Lust an der Komplementärfarbe. Grüne Aromen von Apfel, Kiwi und Stachelbeere standen knallroten Aromen von Johannisbeere und Cranberry gegenüber. Dazu kam Mirabelle, gelbe Pflaumen nicht zu vergessen. Also letztlich genau die Hausfarben vom bayrischen Kobold. Feiner Wein!

III. Fox Creek Vixen Sparkling Shiraz

Schoko und Kirsche in prickelnd. Wenn man ganz genau auf seine Geschmacksknospen horcht, hört man auch, wie sie "grüne Paprika" oder "ladybird taint" rufen. Darüber bin ich mir selbst nicht ganz sicher, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, das vernommen zu haben. Schliesslich passt es sogar ganz gut zu diesem in Deutschland völlig exotischen Wein.