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Crossdrinking: Als Ernte-„Helfer“ bei Numanthia

Toro – das heißt erst seit wenigen Jahren und nicht für besonders viele Winzer in dem kleinen Gebiet, den Stier bei den Hörnern packen. Von bolidenhaften Weinen ist im Zusammenhang mit Toro oft die Rede. Das ist nicht ganz verkehrt, denn die Ausgangsbedingungen sind wie gemacht für bulligen Wein: ausgeprägtes Kontinentalklima auf einer Höhe von gut 700 Metern, karge, sandig-steinige Böden, auf denen hie und da uralt reblausfreie Tinta de Toro Reben stehen, vielfach als bush vines, d.h. ohne Pfahl- oder Drahterziehung, sondern wie pflanzliche Minibrunnen aus der Erde quellend, mit Ärmchen, die sich tentakelartig über den Boden ausstrecken und tagsüber mit ihrem Laub die Frucht vor Sonnenbrand schützen, bzw. empfindliche nächtliche Abkühlung ertragen helfen. Die zylindrisch angeordneten, mittelgroßen Trauben stammen nach überwiegender Auffassung aus der Tempranillo-Familie, zeichnen sich aber durch geringere Säure bei einer Neigung zu höherem Tannin- und Extraktreichtum aus, als ihre Verwandten.

Das verführt weniger standhafte Winzer dazu, schwere, kraftstrotzende, steroidhaft überzeichnete oder sonst vollgeladene Weine zu machen. Doch diese international scheinbar noch immer gesuchte Stilistik findet sich bei den überhaupt erst seit ca. 2000 am Markt auftauchenden Spitzen-Toros gerade nicht. Höchstbewertete Toros zeichnen sich vielmehr durch kluge Zurückhaltung in der Weinbereitung aus. Bei den besten Toros holen die Kellermeister gerade nicht in allen Bereichen gnadenlos alles aus der Traube heraus, sondern gehorchen in besonderer Weise dem Cuvéeprinzip und suchen für die finale Zusammenstellung einzelner Partien nach Eigenschaften, die ein balanciertes und möglichst elegantes Gesamtbild abgeben.

Genau deshalb sind die dem Champagner sonst sehr fernen Rotweine der Gegend für mich interessant. Der Luxusgüterriese LVMH sah das vielleicht ähnlich und hat sich im Jahr 2008 die erst zehn Jahre zuvor von der Weinfamilie Eguren gegründete und schon mit dem 2000er Termanthia in die Weinweltspitze katapultierte Bodega Numanthia einverleibt. Deren 2004er Termanthia erhielt volle 100 Punkte vom Maryland-Bob und zementierte die Stellung des Weinguts vollends. Sowas schürt weitere Neugier und deshalb schlug ich die Einladung von LVMH zur Herbsterkundungstour nicht aus.

Nach zweistündigem Bustransfer vom Flughafen Madrid ins Nirgendwo stellte der polyglotte und überaus sympathische Kellermeister Manuel Louzado die ausnehmend schicke Bodega während der laufenden Ernte vor; später hatte ich Gelegenheit, selbst Trauben von den bush vines zu schneiden und in die kleinen Kistchen zu legen, in denen das kostbare Gut zum Pressoir gebracht wird, wo 35 bildhübsche Jungfern die Trauben handentrappen. Meine Erntehelfertätigkeit, die sicherheitshalber bildhaft dokumentiert ist, beschränkte sich entgegen anderslautender Vermutungen nicht nur auf das Abschneiden einzelner Trauben, sondern immerhin auf das Abernten mehrerer bush vines. In der Bodega selbst habe ich bei der Pigeage zugesehen und den werdenden 2012er Termanthia im Dreitages- und im Wochenstadium probieren können, was mir einen ungefähren Eindruck von dem verschaffte, was daraus später werden wird; eine kleine Fassprobe des 2011ers komplettierte den Technikteil. 

1. Numanthia 2011:

Hinter einer Zitronensäurewand dichtes Multivitamingewirbel und Cassis, einige Blumen, außerdem schon sehr elegantes Tannin, wenig Toast vom Taransaud GC-Fass. Eine andere Partie aus einer weiter westlich gelegenen Parzelle zeigte sich konzentrier, wesentlich beeriger, aber nicht pummelig, sondern trotz höherer Holzlast agil bis mäßig aggressiv. Eines minimal sandigen Eindrucks konnte ich mich nicht erwehren, bevor eine längere Variation über Chilischoten und Kirschpaprika ein herb parfumiertes finish brachte.

2. Termanthia 2011:

Gegenüber dem Numanthia war hier mehr Einheitlichkeit angesagt und noble Rondeur, die aufgrund des hohen Säureeindrucks vom Vorgänger beinahe mehlig und eingeigelt wirkte. Dunkle Kirsche, getrocknete Cranberry, Brombeere, die sich langsam hintereinander aufreiehn und auf ihre Verfeinerung im 6+6-monatigen Fasslager warten, bevor der Endausbau im alten Holz stattfindet.

Dann gab es den ersten Leistungstest. Nachdem mit reichlich Moet Brut Impérial der Gaumen präpariert war, präsentierten sich Numanthia 2008 und Termanthia 2006 zu regionalen Speisen. Die unvermeidlichen Croquetas passen, behaupte ich, zu jedem Wein, für die beiden Roten also keine Herausforderung. Schwieriger würden die Fischkombinationen werden. Zu Pulpo- und Gambabrochetas passten dennoch beide Weine gut, wegen seiner fortgeschrittenen, seidigeren Art verdient der Termanthia den Vorzug, zum kühlen Salmorejo-Süppchen ebenso. Die mit Zwiebel und Knoblauch überzogenen Zamburinas aus dem Ofen dagegen, bildeten mit dem stupenden Numanthia die überzeugendere Verbindung. Zum tomatenüberzogenen Seehecht bestach wieder der Termanthia, während der Numanthia sich mit dem exquisiten Minihamburger besser vertrug. Der Arroz à la Zamorana, eine Art Hasenpaella, ließ sich mit beiden Weinen gut genießen. Nach dem dreistündigen Mittagessen gesättigt und zufrieden hätte ich mein Arbeitsprogramm gut und gerne auch einstellen können, aber so einfach war das nicht. Denn die zauberhaften LVMH-Damen hatten einen Transfer in das gleichermaßen zauberhafte Castillo del Buen Amor vorgesehen, wo sogleich das Abendessen stattfand.

Der zweite Leistungstest begann mit superbem Bellotaschinken und Ruinarts Blanc de Blancs, bei den Croquetas hielt ich mich zurück, um deren tückisches und zur Unzeit einsetzendes Sättigungspotential mittlerweile genauestens wissend. Dann tischte schon die Schlossgastronomie auf. Ein Steinpilz- und Trüffelrisotto mit zu hartem Reis konnte mich zum Numanthia 2008 nicht so sehr erfreuen, wie die mittäglichen Muscheln. Sehr angenehm berührt war ich dagegen von den zarten Ochsenbäckchen, die sich hier Carilleras de Ternera nennen und sich, dem Namen der Lokalität verpflichtet, lüstern mit dem Termanthia um meine Gunst balgten, was eine schöne Ménage à Trois ergab.

Das dritte Exempel wurde in Toro statuiert, bzw. zelebriert. In einer ehemaligen Kirche, in der ausgerechnet auch noch Ausstellungsstücke von Delhy Tejero zu besichtigen waren, darunter ein überlebensgroßes Marienbildnis, das ich sofort für mein Schlafzimmer gekauft hätte, wenn es zum Verkauf gestanden hätte. Stand es aber nicht. Dafür wachte es über dem Mahl, das wir ad maiorem dei gloriam verzehrten. Ultrafrisch heruntergeschnittenen Bellotaschinken gab es, vom dem ich mir, bei der Hl. Muttergottes schon zu kurz gekommen, eine kleine Menge vakuumieren ließ, um meine Fleischeslust doch noch nach Belieben stillen zu können. Ferner gab es – wenn schon nicht Muttergottes, so muss sich auch der Essensarrangeur gedacht haben – Muttermilch, bzw. Ziegenmilch, bzw. Käse daraus. Dazu mundete die Carte Jaune der – natürlich – Nicole-Barbe Veuve Clicquot-Ponsardin. Es folgten Piquillos relennos, also gefüllte Pfefferschoten, und Carpaccio, dazu gab es schon angenehm weichen und leicht molligen 2009er Numanthia, der sich speziell zur Paprika wie magisch hingezogen fühlte. Dann gab es die in Kastilien nicht wegzudenkende Spezialität schlechthin, Spanferkel. Ich bekam ein köstliches komplettes Beinchen und knusperte das zusammen mit dem dazu vorzüglichen Numanthia 2008 weg, ließ mir aber auch noch einige Schlucke Veuve dazu schmecken, bevor der bombastisch gute 2007er Termanthia kam und alles wegzufegen drohte, was mir noch am Gaumen klebte. Die Tapita de Chocolate mit Olivenöl und Meersalz war eine Möglichkeit, diesem riesenhaften Wein Contra zu geben, und nicht die schlechteste. Letztlich fand ich den Wein aber durch Essen profaniert und verzichtete auf den Rest der Schokolade, um ganz für den Termanthia dasein zu können.

Grande Champagne – Petite Champagne

Das Getränk mit der engsten Verwandtschaft zum Champagner ist für manche new world sparkling, für andere Franciacorta, für wenige ist es englischer Schaumwein und für mich ist es – Cognac! Augenfällig ist, dass die besten Lagen der AOC Cognac "Grande Champagne" und "Petite Champagne" heißen, weil sie einen Kreideboden haben, den man so auch in der Champagne findet. Die weniger kreidehaltigen Lagen liegen in den Borderies, sowie in den Fins Bois und Bons Bois, die einfachsten Lagen finden sich in den Bois Ordinaires/Bois Communs. Angebaut wird fast ausschließlich Ugni Blanc (Trebbiano), Folle Blanche, Colombard, Sémillon, Montils, Folignan, Select sind sehr selten geworden. Der Grundwein ist säurebetont und alkoholschwach, denn er ist lediglich Ausgangsprodukt für die Weiterverarbeitung. Auch darin ähneln sich Cognac und Champagne, denn bei beiden gewinnt das Endprodukt durch Verfeinerung, Aromenkonzentration und geschickte Assemblage. Wenig verwunderlich ist deshalb, dass sich im Portfolio von LVMH Cognac neben Champagner findet, oder dass Champagne Gosset eine Schwester von Cognac Frapin ist und dass z.B. der Comte Audoin de Dampierre seit 700 Jahren in der Champagne zu Hause ist (dort seit langem einen nicht ganz unprominenten Champagner erzeugt) und seit dem 17. Jahrhundert auch Cognac produziert. Und was bis heute wenig bekannt ist: viele Champagnerhäuser haben über Jahrzehnte und Jahrhunderte Esprit de Cognac für ihren Dosageliqueur verwendet, manche machen es noch heute. Der Gemeinsamkeiten sind also viele. Für mich gab es folglich Grund genug, mich in der Region umzusehen.

Besuch bei Rémy Martin

Nach einer Führung gab es Dinner im Club Rémy Martin. Dort leistet man sich die beste Küche am Ort, verantwortlich dafür ist der junge Philippe Saint-Romas. Gelernt hat er im Les Ambassadeurs des Hôtel de Crillon und bei Alain Ducasse. Auf Sterneniveau kocht er auch bei Rémy Martin. Zu trinken gab es Louis Latour Puligny-Montrachet 2005, Les Hauts de Pontet-Canet 2004 und Coeur de Cognac. Das Menu sah wie folgt aus:

– Parfait von der Entenleber mit Brunnenkresse-Schaumhaube

Nur ungern habe ich die giftgrüne Brunnekressehaube durchstochen, so hypnotisierend war der Anblick. Doch die Belohnung war delikat. Eine feine, überhaupt nicht mastige oder glibberige Entenleber war der perfekte Untergrund für das Schäumchen, beide gingen mit dem köstlichen Puligny-Montrachet vom stets sehr zuverlässigen Großerzeuger Latour widerstandslos in mein Genießergewölbe hinab.

– Gebratene Jakobsmuscheln am Spieß mit Topinambur-Zitrusemulsion

Jakobsmuscheln mag ich eigentlich nicht mehr gern sehen, denn so wahnsinnig viel kann man damit nun auch wieder nicht machen und irgendwann nerven die natürlich auch. Die ziemlich klein ausgefallenen Exemplare vom Spieß blieben noch unter der Nervschwelle, was an der einesteils perfekten Konsistenz, andernteils an ihrer sehr unaufdringlichen Würzung lag, die Muscheln kamen praktisch naturrein auf den Teller und ließen sich überaus gut mit den Zitrusaromen und dem Wein kombinieren, vor allem störte kein bitter-herbes Aroma von zu scharfem Anbraten.

– Hase "Facon Royale" mit Sellerie- und Zwiebelkompott

Warum der Hase in der Fabel Meister Lampe heißt, ist mir jetzt ansatzweise klar. Dieser hier war nämlich meisterlich zubereitet, einen so gut gelungenen Hasen hatte ich schon sehr lange nicht mehr auf dem Teller. Mit einem auf dem Papier ziemlich gewöhnlichen anmutenden Sellerie-Zwiebelkompott wurde der Hase serviert und überraschte deshalb umso ansatzloser mit einem traumhaft zarten, aromatischen, feinfaserigen, saftigen, wildgeschmackigen Fleisch, das seinesgleichen sucht und sicher vom Blutanteil in der Sauce profitiert hat. Außergewöhnlich gut dazu war der von mir sonst nicht besonders hoch eingeschätzte Zweitwein von Pontet-Canet. Mit einer schönen Bissigkeit, Spuren von Graphit, Minze und Pasta di Mandorla begegneten sich Hase und Wein auf Augenhöhe.

– Dessert Gourmand: Biscuit, eingelegte Ananaswürfel, offener Maccaron, Kokosmarshmallow, Pistaziencrème mit Balsamicohimbeere, Geléewürfel, Nougat Blanc de Montélimar

Das Dessert war – dernier cri in Cognac – sozusagen ein essbares Aromenrad, was ich unter sensorischen und unter Genussgesichtspunkten sehr erhellend fand.

Danach gab es eine Spontanverkostung im kleinen Kreis. Mit Anthony Stockbridge, dem ersten englischen Champagnerbotschafter (so klein ist nämlich die Welt) und Phil Duffy, dem Mann der ganz nebenbei buchstäblich alles über Pisco (und noch viel entlegenere Dinge, bzw. Getränke) weiß, habe ich eine Reihe von X.O.s untersucht:

– Braastad Fine Champagne X.O.

Frucht und Blumen stehen etwa im Gleichgewicht, mildes Cognac-Rancio gibt dem Cognac eine seriöse Note – sympathische website: www.braastad.com

– Otard X.O.

Grande Champagne, Borderies und Fins Bois. Etwas Rancio, Leder, Blumen. Mittelgewichtig.

– Camus, Île de Ré X.O.

Trockenfrucht, altes Leder, Jod. Kratzig, stechend, nicht mein Fall.

– Meukow X.O.

Blumenduft, dessen Jasmin und Iris an Borderies oder Fins Bois denken lassen, außerdem Pflaume, Vanille, sonst nicht sehr komplex.

– Meukow X.O. Grande Champagne

Leicht. Vanille ist gut wahrnehmbar, dann kommen die fruchtigen Aromen von Orange und Aprikose, Datteln und Feigen, auch Nüsse. Leder, Tabak, Lakritz zeigen in Richtung Rancio. Spannungsvoller Cognac. Gut.

– Bache-Gabrielsen Fine Champagne

Einer der wenigen Cognacs, die nicht zu 100% aus Ugni Blanc bestehen. Dieser hier hat 95% Ugni Blanc die restlichen 5% sind Colombard und Folle Blanche. Würzig, kräuterig, extrem leichtfüssig, seidig und glatt mit erfrischender Zitrusnote im Hintergrund. Minimal balsamisch, sehr schmeichelnd im Hals.

Besuch bei Courvoisier

Im Château von Courvoisier in Jarnac gab es ein kleines Mittagessen, serviert wurde auf der Haut gebratener Steinbutt, dazu gab es Chablis Premier Cru Vaillons 2008 von der Domaine Christian Moreau Père et Fils. Danach gab es wieder ein Dessert Gourmand mit Schokokuchen, saftigem Ananasbiscuithappen und Crème Brûlée, dazu Courvoisiers Napoleon – wegen der tiefen Verbundenheit des Hauses mit Napoleon I. und III. sicher der wichtigste Cognac im Programm des Hauses. Napoleon ist im Château selbstverständlich allgegenwärtig, sei es auf Gemälden, Büsten, Devotionalien oder in Form von Morgengaben, die er verflossenen Geliebten vermacht hat. Zusammen mit dem Chef des Hauses ging es im Anschluss an das Mittagessen zu Familie Guilloteau, das ist eine der über 800 Lohndestillateursfamilien, mit denen Courvoisier Verträge hat. Dort brannte gerade die bonne chauffe, von der ich mir eine in jeder Hinsicht gute Nase zu nehmen erlaubt habe. Später gab es noch ein synästhetisches Verkostungserlebnis mit dem Impériale X.O. Dazu hat Courvoisier einen Raum im Château hergerichtet, in dem die Leitaromen des Cognacs in allerentspanntester Atmosphäre mit verschlossenen Augen erspürt werden können, dazu wiederum gibt es eigens komponierte Musik und die höchst erotische Stimme einer der für diese Zwecke angestellten Damen.

Im Verkostungsraum galt es vorher noch, ein gewisses Arbeitspensum zu bewältigen. Zuerst wurden die Rohcognacs vorgestellt, d.h. die einzelnen Eaux de Vie, die als Grundmaterial der blendings Verwendung finden.

– just distilled

leicht, fein, vanillig, mit ungestümem Holzaroma,

– 2 yrs old

kräftiger, körperreicher, aber immer noch arg holzig und leicht kratzig,

– 4 yrs old

buttriger, fetter, schon wesentlich besser abgerundet,

– 6 yrs old

hier kamen noch saftig-speckige Komponenten und getrocknete Früchte, sowie kandierte Aromen hinzu,

– 15 yrs old

Haselnuss und Nougat beherrschten das Geschehen,

– 25 yrs old

nach weiteren zehn Jahren verfeinert sich das Aroma in Richtung Aprikosenkerne, Mandel und Marzipan, bekommt dabei stärkeres Cognac-Rancio,

– 30 yrs old

Kraftvoll, erstaunlich alkoholisch und seltsam verschlossen zeigte sich der Senior.

Dann ging es an die fertigen Cognacs:

– V.S.

Florale und einige fruchtige Noten gaben den Ton an, frisches Holz fehlte nicht, zitrusfrische Seifennoten machten sich gegen Ende bemerkbar.

– V.S.O.P.

Alkoholisch und sehr kräftig trat der V.S.O.P. auf, die Vanille war hier schon ganz herzhaft und nicht mehr so vordergründig.

– Exclusif

Einen leichtfüssigen Auftritt legte der Exclusif hin. Wegen seiner unfokussierten, aromatisch etwas beliebigen Art, die mit allen Aromen brav im Hintergrund bleibt und nicht zu alkoholisch wirkt, eignet er sich sehr gut als Cocktail-Cognac.

– Napoleon

Unter den gewöhnlicheren Cognacs von Courvoisier mein Liebling und stilistisch das Rückgrat des Hauses – gut nachvollziehbar, dass Napoleon für Courvoisier die selbe Bedeutung hat, wie Winston Churchill für Pol-Roger. Kräftige Süße von Trockenfrüchten, etwas Schokolade lässt sich blicken, der Cognac ist pur genossen weich, lang und gut, kann aber auch als Speisenbegleiter glänzen, etwa zum Dessert.

– Impérial X.O.

Sehr feminin kam mir der Impérial vor. Das Rancioaroma war hier schon stärker ausgeprägt und ließ deutliche Nusstöne vernehmen, außerdem spielten Crème Brûlée, kandierte Zitrusfrüchte und Weihrauch mit lakritzigen Anklängen eine wichtige Rolle. Dennoch wirkte der Cognac nicht übergewichtig sondern eben damenhaft.

– Initiale

Kräftig, rassig, leicht kratzig und mit einer Nase wie von altem Portwein inspiriert, zeigte sich dieser enorm lange, dabei immer wieder aromatische Bocksprünge vollführende Cognac. Merklich oxidativ und kräuterwürzig.

– L'Essence de Courvoisier

Massiv war dieser Prestige-Cognac, von einer malzigen Süße, konzentriertem Blutorangensaft, gebackener Banane, Rumtopf, Lebkuchen, Ingwer, Zimt und Trockenkräuterbouquet mit der Betonung auf Thymian. Herrschsüchtig im Hals und über Minuten nachklingend. Ein Cognac, der locker einen ganzen Tag unterschiedliche Duftkombinationen abgeben könnte, ohne langweilig zu werden oder sich zu wiederholen. Kostet im Laden 2.500,00 €, da darf man das dann natürlich so oder so ähnlich wiederum erwarten. Geliefert wird der Cognac in einem Flakon von Baccarat, einem Diamantring von Napoleon nachempfunden. Noch schöner ist es aber, den Essence vom Chef des Hauses direkt mittels Pipette aus dem Fass ins Glas zu bekommen.

Besuch bei Pierre Ferrand

Ferrand ist ein Erzeuger aus dem Herzen der Grande Champagne. Chef Alexandre Gabriel verwendet ausschließlich Trauben aus der Grande Champagne. Was in Cognac selten vorkommt. Aber vieles von dem was dieser smarte und mehr als umtriebige Mann so macht, ist ungewöhnlich. Destilliert wird wie bei Rémy Martin mitsamt der Feinhefe, wobei der hässliche goût de rimage (das im Cognac unerwünschte Aroma entsteht, wenn die Feinhefe beim erhitzen der Brennblase am Kupfer haften bleibt und anbrennt) mit Rührwerken verhindert wird. Als Einstimmung gab es Grundwein – mit aufgewirbelter Feinhefe -, Brouillis und das Herzstück des zweiten Destillationsvorgangs. Der Grundwein erinnert ein wenig an Pinot Meunier Grundweine aus der Champagne und im Prinzip erfüllt er eine ganz ähnliche Funktion. Niedriger Alkohol zwischen acht und zehn Volumenprozent und eine möglichst hohe Säure sind zwei der Bedingungen dafür, dass bei der Weiterverarbeitung und der damit einhergehenden Verdichtung, bzw. Konzentration ein ansprechendes Produkt entsteht. Die Grundweine werden in der gesamten Region nicht geschwefelt, da die Brennapparaturen komplett aus Kupfer bestehen und die beiden Elemente sich nicht so gut vertragen. Das macht das handling des Grundweins natürlich etwas schwierig und zeitkritisch, denn wegen des Kopnzentrationsprozesses bei der Destillation darf kein noch so geringer Fehlton im Grundwein sein. Das ist einer der Gründe dafür, dass – auch hier der Cham,pagne nicht unänlich – Botrytis nicht erwünscht ist und wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass die botrytisfreudigen Sémillon-Grundweine überaus rar sind. Der Brouilly, also der Rauhcognac, war bei Ferrand ansprechend, sehr floral und am Ende sicher auch gut trinkbar, wenngleich mit Gruß an den Schädel.

Es folgte ein kleines Kellertasting im nassen Keller des Erzeugers:

– 2007er Fassprobe Grande Champagne

Schon erstaunlich dunkel kam der 2007er ins Glas. Er brachte frisches Holz mit, eine leichte Süße und viel Feuer.

– 1976er Fassprobe

Honig und Malz, Vanille und Kokos, Nüsse, Ingwer und Lebkuchen quollen aus dem Glas, der Cognac selbst war auch nicht ohne. Noch sehr angriffslustig und mobil im Hals, von Altersmilde keine Spur.

– 1933er aus Demijohn

Altersmilde zeigte sich beim "cask strength" 1933er. Der hatte auf natürlichen Weg schon so viel Alkohol verloren, dass er bei gut trinkbaren ca. 41% vol. alc. angekommen sein dürfte. Dementsprechend soft schwappte er ins Glas und gab neben den Aromen von ältlichem Wein und heißem Reiswasser erstmal nicht viel frei. Das änderte sich erst im Lauf der nächsten Stunden, in denen er quietschlebendig wurde und von agrûmes über Ananasemulsion, Zimt, Zitronengras, Nelke, milde Currymischung, Leder, Milchkaffee, Schokolade, Rosinen, Trockenobst, Feigen, Datteln usw. alles freisetzte, was ein gut geführter Harem an Düften zu bieten haben sollte.

Dinner gab es dann in Hausherr Alexandre Gabriels gastlicher Küche; verantwortlich war an dem Abend Ludovic Merle vom Restaurant du Château aus Jarnac, ein Nachbar von Courvoisier. Da ich an der Seite von Monsieur Gabriel saß, konnte ich ihn bei der Verkostung gut beobachten und darüber hinaus einige Blicke hinter die Fassaden des Betriebs werfen. Davon abgesehen ist Alexandre Gabriel einer der unterhaltsamsten, offenherzigsten und charmantesten Gastgeber, die ich kenne. Selten hat man andernorts das Gefühl, in der Privatküche des Hausherrn gleichermaßen willkommen zu sein, wie bei ihm. Wieder einmal bestätigte sich zudem, dass die besten Parties in der Küche stattfinden.

– Opener war der Summit Cocktail, ein 2008 kreierter Cognac und nach Jahrzehnten der erste neue Cocktail auf Cognacbasis. Das Rezept ist so einfach wie gut:

– 1 frische Limettenschale

– 4 dünne Ingwerscheiben

– 4 cl V.S.O.P. Cognac

– 6 cl Limonade artisanale

– 1 lange dünne Gurkenschale

– 4 – 5 Eiswürfel

Zitronenschale und Ingwer kommen ins Glas, Cognac drauf, leicht zerdrücken. Glas mit Eis halb voll machen, Limonade und Gurkenschale dazu, umrühren, fertig. Was Pimm's kann, kann Cognac seit 2008 auch.

– Hummerbisque mit Lachstartar, getrockneter Tomate und Trüffelöl

dazu: Pierre Ferrand Réserve

Der süße, reife, vollmundige, auch minimal jodige, aber nicht im Sinne eines goût de seconde salzige Réserve war schlicht perfekt zur Hummerbisque und nahm sich sehr gekonnt der nicht ganz einfachen Aromen von der getrockneten Tomate, vom Lachs und vom Trüffelöl an. Marshmallows, Himbeere, Kokos, Milchreis, Zimt, Ahornsirup und dunklen Honig habe ich mir eingebildet ebenfalls wahrgenommen zu haben und die alle passten erneut sehr gut zu Bisque, Trüffelöl und zum erstklassigen Lachstartar.

– Hähnchenballontine mit Trüffelfüllung, Gemüsejulienne und Foie Gras

dazu: Pierre Ferrand Séléction des Anges

Mit dem Trüffel und vor allem dem intensiv-aromatischen Jus gab es erst einige Verständigungsprobleme. Der Cognac wollte nicht so, wie das Essen und umgekehrt. Da sich am Essen nicht mehr viel machen ließ, musste sich der Cognac darauf einstellen, was er dank eines großen Aromenrepertoires mit Luft auch dankenswerter Weise tat. So wurde die Kombination doch noch eine schöne. Butter, Karamell und Toffee waren einige der Aromen, die sich der Séléction entlocken ließen, später kamen Milchkaffee, Rosmarin, bouquet garni, eine Andeutung von Hustensaft, aber auch Lebkuchen, Veilchen, Iris, getrocknete Aprikose und pilzige Aromen dazu und rundeten das Essen ab.

– Schokodessert aus Schokokuchen, Schokokugel Schokoladengitter, Schokoladensauce und Himbeere

dazu: Pierre Ferrand Ancestrale, #B0325

Ich hatte mir zum Glück ein Gläschen vom 1933er aufgehoben, der einen wichtigen Bestandteil des Ancestrale ausmacht. Er ist quasi der Rohdiamant, so wie der fertige Ancestrale der kunstvoll facettierte Diamant nach dem Schleifen ist. Beide nebeneinander im Glas zu haben, machte die Schokoladenvariation erst interessant, andernfalls hätte ich mich nicht besonders dafür begeistern können. Aber was diese beiden Cognacs freisetzten, war eine Aromensalve nach der anderen, der Ancestrale schien mit seinem öligen Auftreten erst etwas plump zu sein, aber die Mischung aus Rosine, Lakritz, heißer Butter, Schokolade, Himbeere, Mandeln, Krokant, Kokos, Honig, Wachs und Rancio funktionierte die Schokolade in einen bemerkenswerten Resonanzkörper um.

– Pierre Ferrand Collection Privée Vintage 1914, #33

Eine Rarität, die für lockere 1.200,00 € in den Laden kommt, ist der 1914er Cognac von Ferrand. Sehr weich und schlank, süß und druckvoll, mit alkoholischem Gewicht aber ohne belastend zu wirken, zuerst mit einem dichten Vorang aus Jod und Räucherspeck, dann ölig werdend, malzig, mit Bienenwachs, Orangenblüten-Honig, agrûmes, Akazie, Met; ledrig, dicht, glatt. Nachhaltig und minutenlang ausklingend. Enormer Stoff.

Besuch bei Hennessy

Bei Hennessy sieht es nicht wesentlich anders aus, als bei der Konzernschwester Moet et Chandon. Alles ist sauber, großzügig, mondän und schick. Einen regelrechten Hausstil pflegt man indes nicht, abgesehen vielleicht davon, dass alle Cognacs mit einer etwas höheren Süße auffallen. Das könnte an einer (erlaubten) Nachzuckerung liegen. Auch Zuckercouleur und Eichenholzchips darf man übrigens bei der Cognacherstellung verwenden. Nach einer kurzen Überfahrt über die Charente im hauseigenen Bötchen gab es Einblicke in die Lager des Hauses, wo sich unter anderem Eau de Vie aus dem Jahr 1800 und der bereits vermarktungsfertige Richard Hennessy in den Startlöchern befindet. Wieder zurück bei Hennessy führte Renaud de Gironde gekonnt durch das tasting:

1. Eau de Vie 2009 Fin Bois

Mild, süßlich, viel frisches, junges Holz, Blüten, wenig Frucht.

2. EdV 2005 FB

Seifige Frucht, etwas Jod, Blüten, kräftigeres Holz, ausgeprägte Süße.

3. EdV 2005 FB

Hitziger, alkoholischer, konzentrierter als 2.), Holz und Süße in etwa gleich.

4. EdV 1983 Petite Champagne

Delikate Frucht und etwas zu viel Süße, reif, mit Rancio, Andeutung von kaltem Kaffee, aber auch Schokolade.

5. EdV 1956 Grande Champagne

Reif, Rancio, alter Gorgonzola, kräftige Süße, gut eingebundenes Holz, recht alkoholisch, konzentrierte Trockenblumennote, Rosinen, Datteln, Feigen.

6. V.S.

Mild, leicht, weich, süß. Der Brut Impérial unter den Cognacs.

7. V.S.O.P. Fine de Cognac

Die Bezeichnung "Fine de Cognac" ist natürlich quatsch, denn sie bedeutet nichts anderes, als Cognaccognac. "Fine" war früher die übliche Bezeichnung für Brände auf der Basis von Früchten, zu denen Cognac schließlich gehört. Ein Cognac ist also immer ein "Fine". Dieser ist gut balanciert, Frucht, Holz, Blüten und Alkohol sind im Gleichgewicht, nur die Süße störte mich ein wenig, ist aber nunmal ein Zugeständnis an den Massengschmack, ohne den dieser Cognac nicht seine hohen Verkaufszahlen erreichen würde.

8. V.S.O.P.

Ernster, meiner Meinung nach klassischer, mit etwas zurückgenommener, besser zu den anderen Komponenten passender Süße.

9. X.O.

Vollreif, mit hoher Präzision trotz ausladender Aromenfülle. Anders als erwartet kein süßlicher Aromenmischmasch, sondern eine Leistungsschau auf hohem Niveau.

Das Essen wurde in Hennessys Gästehaus, dem Château de Bagnolet serviert, das, ähnlich wie das Château de Saran von Moet in den Weinbergen von Cramant, für Empfänge dieser Art genutzt wird und überaus bewohnenswert ist. Zum Empfang habe ich mir einen Hennessy V.S.O.P. mit naturtrübem Apfelsaft, etwas Limettensaft, einer Apfelspalte und Minze bestellt. Wenn man keinen Blanc de Blancs Champagner zur Hand hat, sollte man damit ins Menu starten. Einfach, erfrischend, appetitanregend.

1. Carpaccio vom Wolfsbarsch mit Ingwer und Limettensaft, Artischockenherz, ganze Gillardeau-Auster und Austerntartar

dazu: Domaine Corsin Saint-Véran TP 2009

Das Carpaccio war traumhaft, die im jungen Cognac immer wieder auftretenden Limetten- und Ingwernoten nahm der erste Gang thematisch nahtlos auf. Über Artischocke und Auster hätte man trefflich streiten können, denn Artischocke, Jod und salzige Aromen sind im Cognac nicht so sehr erwünscht. Das liegt nicht daran, dass an ihnen selbst etwas auszusetzen wäre, sondern an einem bestimmten Fehlgeschmack. Dieser sogenannte goût de seconde entsteht, wenn beim zweiten Brennvorgang das Herzstück nicht rechtzeitig vom Nachlauf getrennt wird. Er bringt unsaubere Noten in den Cognac, die oft an Artischocke und Salzwasser erinnern. Nicht jeder Cognac, der eine ausgeprägte jodig-salzige Note hat, ist jedoch ein unsauber gebrannter. Unstreitig dürfte außerdem sein, dass Artischocke und Auster trefflich zum Cognac passen. Der etwas früher als üblich – und notwendig – von der Feinhefe abgezogene Saint-Véran war mir zu diesem Gang zu verhalten, bot nicht genügend Säure, Biss und Länge um ernsthaft mithalten zu können. Ein Muscadet de Sèvre et Maine sur lie hätte vielleicht bessere Dienste leisten können.

2. Lammfilet mit Trüffel, Cognacjus und Gemüsebouquet

dazu: Château Belle-Vue Haut-Médoc 2003

Wie füreinander geschaffen waren Lammfilet, Trüffel und der samtig weiche Bordeaux. Kein großer Wein für den solistischen Hochgenuss, sondern ein zuverlässiger Begleiter und ein Wein, der seine eigene Persönlichkeit ganz in den Dienst der Speise stellte.

3. Käseauswahl

Zum Käse habe ich notgedrungen ein wenig herumprobiert. Unter den Cognacs war der V.S.O.P. einigermaßen geeignet, die Hartkäse zu begleiten, wahrscheinlich wäre ein Napoleon mit ausgeprägtem Rancio besser gewesen. Der Bordeaux hat mich zum Käse auch nur maßvoll angesprochen. Der Weißwein war eine ziemliche Fehlbesetzung.

4. Schokoladen-Karamell-Schnitte mit getrockneter Orangenscheibe

dazu: X.O.

Die Schnitte war vorher Teil eines Kuchens, der, wie alle anderen Gänge, russisch serviert wurde. Die stets vorhandene hohe Süße der Hennessy-Cognacs ergab in Verbindung mit den schon entwickelten Rancio-Aromen, Trockenfrüchten, Schokolade, Crème Brûlée, Feige, Leder usw. eine schöne Kombination mit dem Kuchen.

Besuch bei Frapin

Einem kurzen Besuch bei der Küferei Taransaud folgte ein Aufenthalt bei Cognac Frapin, dem Schwesterhaus des ältesten Weinhauses der Champagne, Gosset. Gargantuesk ging es im zugehörigen Château Fontpinot zu. Gargantuesk, weil der berühmte Rabelais ein Ahn der heutigen Frapins ist und weil die Konversation bei Tisch ebensolche Ausmaße annahm, während der kulinarische Genuss dem nicht nachstand. Aber erst war die Verkostungsarbeit zu bewältigen. Ganz im Gegensatz zu Champagne Gosset verarbeitet Frapin ausschließlich Trauben von eigenen Weinbergen, es handelt sich zu 100% um Lagen in der Grande Champagne. Üblich ist bei Frapin ein biologischer Säureabbau der Grundweine, bei vielen anderen Cognachäusern wird noch vor Beginn des BSA destilliert, auch bei Gosset verhindert man ihn bekanntlich.

1. V.S.

Der amerikanische Markt als weltweit mit Abstanbd größter Cognacmarkt fordert vor allem V.S.-Qualitäten, die Asiaten haben es im Gegenzug auf die ultrateuren Spezialcognacs abgesehen. Beide Märkte haben ihre eigene Anschauung zum Produkt Cognac. Sehr weit verbreitet ist die Verwendung von V.S. Cognacs als Cocktailzutat da wie dort und auch der europäische Markt lässt sich davon erfassen. Was macht nun einen Cognac zum Cocktail-Cognac? Wie beim Exclusif von Courvoisier in einem etwas höheren Preisbereich, ist es bei V.S. wie diesem hier die Fähigkeit, im Hintergrund zu bleiben und sich als Allzwecktummelplatz für die unterschiedlichsten Ingredienzien vorzüglich zu empfehlen. Das Geheimnis ist also neben dem hohen Alkoholgehalt, den freilich auch ein Wodka oder Tequila hat, die exorbitante Aromenvielfalt des Cognacs und bei den V.S. bis V.S.O.P. Qualitäten ist es gerade nicht deren volle Blüte, sondern gleichsam nur die Anlagen dazu. Als Weinbrand verfügt Cognac über das gesamte Spektrum der Terpene, Aldehyde, Phenole usw., die auch dem Stillwein seine Anziehungskraft auf den Genießer verleihen. Junger Cognac zeigt alle diese Aromen von Veilchen, Rosenblüten, Iris, Muskat, Eisbonbon, Banane, Apfel, Kirsche, Orangenzesten, Limette, Ingwer, um nur einige zu nennen; keines dieser Aromen steht aber bei jungem Cognac im Vordergrund, sondern alle liegen wie in Seidenpapier gehüllt unter einer Schicht von Eichenholzduft. Erst wenn weitere Zutaten hinzukommen, beispielsweise Gurkenschale, Limettensaft, Kirschlikör, Triple Sec, Puderzucker, Zimtstange usw., entfalten sich die entsprechenden Aromen und verleihen den hinzugefügten Zutaten ein Dichte, Tiefe und Länge, die ein auf bloßer Alkoholstärke beruhender Grundstoff wie z.B. Wodka nicht zu bieten hat. Das erklärt, in nuce, den Erfolg und die Eignung von Cognac als Cocktailgrundstoff. Ein sehr guter Cocktail-Cognac ist der V.S. von Frapin. Von Haus aus leicht, elegant, schlank und mit einer gewissen Raffinesse ausgestattet, verkörpert er alle der aufgeführten Eigenschaften ganz vortrefflich.

2. V.S.O.P.

Reifer, dichter, konzentrierter, auch um einige Schichten komplexer ist der V.S.O.P., wobei es Frapin gelingt, den Cognac nicht mastig werden zu lassen, sondern seine haustypische Leichtigkeit und Beschwingtheit noch zu pointieren.

3. X.O. Vieille Grande Champagne, Cigar Blend ./. X.O. Château Fontpinot

Hier konnte man den Unterschied zwischen einem Cognac erschmecken, dessen eaux de vie in einem feuchtkalten Keller gelagert wurden und einem, dessen eaux de vie in einem trockenheißen Keller gelagert wurden. In nassen Kellern verdunstet zuerst der Alkohol, was den Brand leichter, fruchtiger und runder macht, während in trockenen Kellern zuerst das Wasser verschwindet, was zu einer erhöhten Alkoholkonzentration führt. Diese eaux de vie sind fordernder, hitziger, brandiger. Wenn man das weiß, kann man die beiden X.O.s von Frapin mit etwas Übung auseinanderhalten, denn der Cigar Blend stammt aus einem feuchten Keller, der Fontpinot aus einem trockenen. Allgemein wird im Fontpinot die höherwertige X.O.-Version gesehen. Deutlich wird das erst, wenn Cigar Blend und Fontpinot an Alter zugelegt haben. Denn die jeweils älteren Pendants sind VIP X.O. für den Cigar Blend und Extra Grande Champagne für den Fontpinot.

4. VIP X.O.

Nach fünfzehn Jahren hat der Cigar Blend eine ganze Menge von seinem Babyspeck verloren und wirkt gleich eine ganze Spur reifer, was ja auch stimmt. Rund ist er dennoch, der Pykniker unter den Cognacs des Hauses, bzw. eine von den griffigeren Schönheiten. Nicht, dass es ihm an Eleganz und Ausstrahlung fehlen würde, aber er ist an manchen Stellen fleischig und konvex, wo ebensogut eine schlanke und konkave Rundung hätte sein können.

5. Extra Grande Champagne

Die gereifte Version des X.O. Fontpinot ist die rankere, schlankere, modelhaftere Cousine des VIP. Herzliche Süße geht bei ihr nicht mit infantilem Grinsen einher, sondern eine stolze, jodige Note ist dabei, die dem Cognac Kraft und Würde gibt. Gleichzeitig geizt der Extra Grande Champagne nicht mit seinen vielfältigen Reizen, wie sich beim Essen erst so richtig herausgestellt hat.

6. Cuvée 1888 Rabelais

Bei Harrod's kostet dieser auf 1888 Flaschen limitierte Cognac 4.500,00 GBP, also gute 5.300,00 EUR. Natürlich kann man sich immer die Frage stellen: ist der das denn auch wert? Ist das nicht alles nur Marketing mit zum Teil grenzwertig aufgetakelten Verpackungen und Flaschendesigns? Ich halte von solchen Fragen nichts. Wer sich ernsthaft mit Konsumgütern der Luxusklasse befasst, wird seinerseits schnell davon abrücken. Denn es geht ab einer nicht genau bestimmbaren Preisklasse nicht mehr um den messbaren Gegenwert, um Deckungsbeiträge und Zahlenschubserei, sondern darum, einem Produkt zu eigenständiger Identität zu verhelfen; Voraussetzung dafür ist eine gute Produktgeschichte und erst dann kommt die Überlegung, zu welchem konkreten Preis dieses Produkt am Markt bestehen kann. Wer umgekehrt denkt und arbeitet, wird sein Produkt nur sehr müheoll installieren können. Bei der auf 1888 Flaschen limitierten Cuvée 1888 Rabelais ergibt sich die Geschichte quasi schon aus den Assoziationen zum Produkt. Der älteste Jahrgang gibt die Zahl der Flaschen vor, zum großen Rabelais mit seinem großen Gargantua und dessen großer Gourmandise besteht ein direkter familiärer Bezug, bums aus, fertig ist die ganze Story. Mit den dadurch hervorgerufenen Assoziationen geht dieser Cognac in den Verkauf und an ihnen muss er sich messen lassen – nicht an seinem Preis. Der ist übrigens so wahnsinnig aus der Luft gegriffen nicht, wenn man sich vor Augen hält wie viele Flaschen Cognac seit 1888 verdunstet sind und den allein durch Verdunstung entstandenen Schwund kaufmännisch rekapitalisiert, bzw. in die Preisbildungs-Rechnung einbeziehen würde. Aber zum Inhalt! In der Flasche befindet sich zu allem umständehalber gebotenen Überfluss ein Cognac, der 120 Jahre der Verfeinerung zu bieten hat. Er wird nur langsam wach, eine Eigenschaft die alle bisher von mir verkosteten älteren Cognacs teilen. Lange Zeit ist da nichts, als ein abweisender, mineralisch anmutender, mir auch etwas flintig vorommender Ton, der – weil bereits aus technischen Gründen nicht geschwefelt werden kann – nicht auf einen Böckser zurückzuführen ist. Nach Stunden lösen sich Blütendüfte, Himbeeren, überreife Walderdbeeren und immer dunkler werdende Beerenfrüchte, bis sich ein süsslich konzentrierter Duft von Lakritz, Leder, Nelke, Muskatnuss, Datteln, Feigen, Rosinen und Balsamico Tradizionale herausschält. Der Duft entwickelt sich weiter über Schokolade, Kaffee, Kokos, Toffee, Milchschaum bis hin zu Safran und Currymischung. Im Mund altersbedingt butterweich, sehr mild, aber langanhaltend und trigeminal nachprickelnd. Eine beeindruckende Erfahrung.

7. Multimillésime No. 1, 1982-1983-1985

Der erste Multimillésime von Frapin erinnert von der Konzeption und Benamsung wieder mal an das in der Champagne erprobte Prinzip der Multivintages, wie man sie von Krug, Laurent-Perrier und beispielsweise auch Clouet bekommen kann. An gute Bourbons erinnernde Vanille, Haselnuss, Nougacrème, außerdem Mango, Maracuja, etwas Holz, sehr elegant, sehr entwicklungsfreudig.

8. Multimillésime No. 2, 1979-1983-1985

Der zweite Multimillésime basierte zu zwei Dritteln auf dem No. 1, hatte aber mit dem Anteil 1979er einen Schwung mehr Rancio zu bieten.

9. Multimillésime No. 3, 1982-1983-1986

Der im Durchschnitt jüngste Cognac der erfolgreichen und jeweils auf nur ca. 1200 Flaschen limitierten Serie war am kräftigsten, ohne zugleich am alkoholischsten zu sein.

10. Cognac 12 yrs cask strength (46 % vol. alc.), bottled 2006, #1868

Der Whisky unter den Cognacs. Nicht ganz so rauchig und malzig wie man von einem Scotch Single Malt erwarten würde. Doch geht es darum auch gar nicht. Mit dem cask strength hat Frapin vielmehr ein Prinzip verwirklicht, das in Cognac ganz ungewöhnlich ist, nämlich einen single barrel mit Fassstärke auf den Markt zu bringen Das widerspricht dem auf blending konzentrierten Cognacgedanken zutiefst, so wie Monocru, Monocepage und Clos-Champagner nonkonformistisch sind. Dass man mit solchen – nicht ganz billigen – Produkten Erfolg haben kann, belegen die Verkaufszahlen da wie dort. Dieser Cognac ist trotz seines etwas höheren Alkoholgehalts nicht plump, schwer oder spritig, sondern wahrt den schlanken und eleganten Hausstil. Blumen, Frucht und Holz, mit etwas Salzwasser unterlegt, wecken tatsächlich eine entfernte Erinnerung an Whisky.

Interessant war auch, einen Jahrgangscognac in zwei unterschiedlichen Abfüllungen zu verkosten.

11. Vintage 1979, 18 jahre alt

Vanille, Mandelmilch, zerstampfte Blüten, etwas Rancio wie von Milchkaffee und Süßholz, sehr rund, wohl wegen des mittlerweile eingetretenen Alkoholverlusts. Verbreitet leicht meditative Stimmung.

12. Vintage 1979, 25 Jahre alt

Feuriger, dynamischer, kräftiger, schwerer war der 1979er aus einer sieben Jahre späteren Abfüllung. In der Zeit konnte der Eau de Vie sich weiter im Fass verfeinern und da er seit wenigen Jahren in der Flasche ist, kann er mit jugendlichem, stürmischem Auftreten Punkte sammeln. Gegenüber dem schon gemütlicher gewordenen 11.) der bessere Solist.

Sodann folgte ein Besuch in der Destillation. Dort wurde fleißig gebrannt und vier coeurs standen zu Verkostung bereit. Dramatische Unterschiede habe ich da noch nicht herausgeschmeckt, lediglich eine unterschiedlich starke Ausprägung von mildsüßer, wie mit Hagelzucker auf Hefezopf vereinte Buttrigkeit. Das Menu wurde, wie bei Ferrand, mit Cognac begleitet, doch gab es vorher zu meiner allergrößten Freude Champagne Gosset Celebris Blanc de Blancs, von dem ich mir sofort unanständig viel genehmigte, weil er so verführerisch nach Grießpudding und Blutorangenfilets duftete.

1. Thunfischtartar mit einer Haube aus Avocadosalat mit Knoblauchcrème und Kaviar

dazu: eisgekühlter V.S.O.P.

Das Tartar hatte die bewährte Puck-Form, der Avocadosalat lag wie eine zweite Scheibe darüber, gefolgt vom krönenden Kaviar, während die Knoblauchcrème in einem Salatblatt präsentiert wurde. Auf den ersten Blick würde man denken, dass die Kombination mit Cognac zumindest schwierig werden dürfte, doch spätestens der erste Happen zeigt, dass gerade ein eisgekühlter V.S.O.P. es auch oder gerade mit einer solchen Zusammenstellung aufnehmen kann. Der hohe Alkoholgehalt spielt bei den Cognac-Menus immer eine entscheidende Rolle und bedarf einer Einbindung entweder auf Aromenebene, was bereits auf der Cognacseite geschehen kann, oder er muss kühl serviert werden, damit es nicht zum alkoholischen Brand am Gaumen kommt. Der milde, sehr leichtgewichtige und elegante V.S.O.P. hatte seine Hausaufgaben gemacht und erschien sehr konziliant, die niedrige Serviertemperatur tat ein übriges. So konnten sich die Speisearomen im Mund miteinander vermählen und der Cognac seine zart florale und mildfruchtige Note beisteuern. Gelungen.

2. Jakobsmuscheln, am Spieß, auf Steinpilzbett mit confierten und behutsam panierten Kartoffelspalten

dazu: X.O. Extra

Schon wieder Jakobsmuscheln. Und was für Kawentzmänner. Leider auch ein bisschen herb geraten und für meinen Geschmack zu groß. Als Entschädigung gab es ein sehr aromatisches Steinpilzbett, während das Tischgespräch sich um ganz bestimmte Hygienetechniken des Romanriesen Gargantua zu drehen begann. Selbst als es um noch wesentlich krassere Methoden aus weitaus delikateren Bereichen ging, drohte das Niveau in keiner Sekunde zu sinken, einen besseren Beleg für die phantastische Stimmung gibt es nicht. Zu dem sehr robusten Gesprächsthema passten die Kartoffelspalten, über alles legte sich der wärmende und anschmiegsam-weiche X.O. mit seinen süsslich-jodigen Noten, die sich mit der Zeit in Richtung Melone, Nelke, Leder, Orangenschalen und Waldboden entwickelten. Gargantua hätte seine Freude gehabt.

3. Mimolette mit Feigen-Nuss-Chutney

dazu: X.O. Château Fontpinot

Der kräftige, aufgrund seiner Lagerung im trockenheißen Keller stärker alkoholische und etwas hitzige Fontpinot passet ausgezeichnet zum alten und salzigen Mimolette, eine treffsichere Wahl dazu war das Feigen-Nuss-Chutney, das dem im Grunde simplen Gang den letzten Schliff verlieh.

4. Kaffee-Tiramisukuchen mit Schokoladensauce und vanilliertem Eierschaum-Biscuitröllchen

dazu: VIP X.O.

Sehr sättigend und nach dem bis dahin erfolgten alkoholischen Belastungsdruck selbst für geübte Genießer nur noch mit Mühe zu bewältigen war der letzte Gang. Da es sich beim VIP X.O. um einen weitergereiften Cigar Blend handelt, bleiben dessen runde, solo sehr ansprechenden Formen erhalten und weiten sich letztlich sogar noch aus. Nun gibt es sicher genügend Menschen, die mit Vergnügen eine griffig geratene Messehostess nach Dienstschluss aus der verschwitzten Strumpfhose pellen würden – eine andere Fraktion wird sich hingegen nicht so sehr danach sehnen, Beth Dittos männlicher groupie sein zu dürfen. So ging es mir, aller gargantuesken Schlemmerfreude zum Trotz.

Mehltau-updates 2010: Oidium und Peronospora in der Champagne?

Die einen frohlocken, die anderen warnen. Richard Geoffroy, der verantwortliche Kellermeister bei Moet et Chandon für die Cuvées Dom Pérignon, berichtet von einer problemlosen, teilweise schon abgeschlossenen Blüte bei Avize und Le-Mesnil. Die kühlen Morgenstunden der letzten Wochen scheinen den Pflanzen nicht geschadet zu haben. Die Pinots in den kühleren Gegenden dagegen befänden sich noch in voller Blüte. Er weist ganz besonders darauf hin, noch keine Spur von (falschem) Mehltau oder Peronospora ausgemacht zu haben, kündigt aber an, wachsam bleiben zu wollen.

Eric Rodez aus Ambonnay ist froh darüber, vom falschen Mehltau verschont worden zu sein, warnt aber davor, dass in Ambonnay unterhalb des Waldes ein immer größerer Streifen seit Jahren verstärkt vom echten Mehltau – Oidium – befallen wird. Noch ist die Situation indes unter Kontrolle.

Unabhängige Winzer unter der Lupe – Marnetal: R. C. Lemaire, Villers-sous-Châtillon

R. C. Lemaire, Villers-sous-Châtillon

Das Örtchen im westlichen Marnetal ist bekannt für seine Papststatue von Kreuzzugspapst Papst Urban II., einem Sohn der Region. Wo solche Päpste gedeihen, müssen auch adäquate Champagner entstehen! Sieht man sich die Medaillenspiegel der renommierteren unter den Weinwettbewerben an, findet man tatsächlich auffällig viele Erzeuger aus dem mittleren Marnetal, das früher wegen seiner hohen Meunierdichte bekannt, besser gesagt: verrufen war. Aus dieser Not haben einige Winzer die Tugend des reinsortigen Ausbaus der Traube geboren, mit beachtlichem Erfolg, wie sich mehr und mehr zeigt.

Monsieur Lemaire war Maître de Chais bei Moet et Chandon, bevor er sich auf seine eigenen immerhin 12 ha zu konzentrieren begann, die er nachhaltig bewirtschaftet. Seine Champagner durchlaufen keinen BSA und bekommen eine Dosage um die 4 g/l.

1. Cuvée Trianon

60PN 40CH aus Hautvillers und Cumières. Vier Jahre Hefelager.

Auf Anhieb ansprechender, schlanker, frischer Champagner, der nach anfänglichen Geißblattnoten und frischer Verbene eine kühle Säure am Gaumen entfaltet, um die herum sich alles abspielt. Reife Limetten, Kumqat, Physalis. Herbfrisch und gut.

2. Cuvée Sélect Réserve

100PM. Drei Jahre Hefelager.

Herbe Grapefruit, Jod, schwarzer und weißer Pfeffer, Kraft, aber etwas kurz. Leider kein Champagner, der begeistert und mit einem Schuss Chardonnay und/oder Pinot-Noir wahrscheinlich ansprechender. Immerhin: die Rebsortentypizität konnte man wahrnehmen, obwohl ich das bei reinsortigen Meuniers immer sehr schwer finde.

3. Blanc de Blancs Millésime 2004

Trauben aus Hautvillers Premier Cru von 35 Jahre alten Reben. Neunmonatiger Fassausbau. Sechs bis sieben Jahre Hefelager.

Pfirsich, Aprikose, Reineclauden, Limetten, gebutterte, mild nussige Aromen, ein Hauch von Holz, viel Mineral, Kraft, Säure, Frucht, Spiel, da ist von allem etwas, von nichts zu viel. Perfekt zu Austern. Das Zuckerschwänzchen zum Schluss ist nicht jedermanns Sache, gefällt mir aber besser, als z.B. eine abrupte Herbe. Beeindruckender, sehr empfehlenswerter Champagner, der locker 90 Punkte wert ist.

4. Rosé de Saignée

50PN 50PM. Zum zweiten Mal hergestellt.

Beerenobstdessert mit Vanillesauce, Rhabarber, Waldmeister, einige grüne Aromen und ein gelatiniger Eindruck am Gaumen. Wer so einen schöne Jahrgang hinbekommt und ein so vielfältiges, entwicklungsfähiges Portfolio hat, wird beim Rosé sicher noch zulegen, ich würde mich darüber sehr freuen.

Celebrity Death Match im Champagnerleistungszentrum (Teil II.)

II.1 Krug Grande Cuvée MV old label

50PN 15PM 35CH.

So schön, kristallklar und entzückend, wie eh und je war Krugs vielgeliebte Grande Cuvée mit der alten Ausstattung. Acht, vielleicht neun oder zehn Jahre Flaschenreife muss dieser Kollege also bekommen haben. Das Krugspektakel lief mit Uhrwerkspräzision ab und selbst wenn es eigentlich immer wieder gleich ist, ist es doch jedes Mal zutiefst ergreifend. Walnüsse, Mandelnoisette, Toffee, Vanilleschäumchen, eine irre Bandbreite an Apfelaromen, Quitte, Maracuja, Kumqat und Physalis – vor allem in Form einer reifen, orangigen Säure bemerkbar – im Hintergrund Kräuter und selbst dahinter noch toben sich Aromenschichten aus, die vielleicht erst in fünf oder zehn Jahren deutlicher erkennbar werden. Man merkt bei Krug immer wieder, warum er Leitbildfunktion hat, Champagner, die ähnlich kontinuierlich auf diesem hohen Niveau angesiedelt sind und während ihrer irdischen Verweildauer stets dort anzutreffen sind, muss man lange suchen.

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II.2 Laurent-Perrier Grand Siècle Lumière du Millenaire 1990

58PN 42CH.

Ähnlich viel Flaschenreife, leicht wachsige Noten und eine beginnend rosinige Art hatte Laurent-Perriers seltenes Jahrgangsschätzchen. Der 90er ist nach meiner Erfahrung als Jahrgang weitaus kapriziöser, als der unheimlich geradlinige und nur in seiner Jugend durch seine besonders stürmische Natur schwierige 88er, davon sind selbst die großen Gewächse von Laurent-Perrier nicht ganz frei. Manche 90er Grand Siècles schmecken überragend, andere nicht. Wieder andere sind irgendwo dazwischen. Dieser hier zum Beispiel. In der Nase zeigte die sehr starke Reifenote, dass mit einem Feuerwerk der Leichtigkeit und guten Laune wohl nicht zu rechnen sein würde, sehr viel Toast und röstige Noten lechzten danach, endlich die Herrschaft zu übernehmen. Der Naseneindruck bestätigte sich jedoch nicht am Gaumen, da war noch nichts von der vermutlich bald kommenden Abwärtsentwicklung zu spüren. Knisternde Kohlensäure, quietschlebendige Säure, eingebettet in wohlig-vollmundige Weinaromen, mit reifen Beerenfrüchten abgepolstert, von einem kunstvoll geschmiedeten Mineralstoffgerüst gegen allzufrühe Reifung geschützt.

Celebrity Death Match im Champagnerleistungszentrum (Teil I.)

I.1 Veuve Clicquot La Grande Dame 1993

62PN Grand Crus Verzenay, Verzy, Ambonnay, Bouzy, Ay, 38CH Grand Crus Avize, Oger, Le-Mesnil-sur-Oger

Nougatnase, Mandelcrème, Kokos und Sahne, danach rote Beeren und Apfel, später überwiegen nussige Töne und kristalliner Honig. Man merkt dem Champagner an, dass er schon einige Jahre in der Flasche verbracht hat und letztlich merkt man auch, dass 1993 kein Jahrgang für die lange Reifung ist. Ich fand die Grande Dame schon etwas aus dem Gleichgewicht, wie eine alternde Diva, die nie den ganz großen Durchbruch hatte und morgens schon leicht angetrunken ist. Darüber täuscht selbst professioneller Aromenzirkus nicht hinweg. Zum Essen mit Sicherheit ein größeres Vergnügen, als solo.

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I.2 Dom Ruinart 1993

100CH

Das passende Gegenstück zur Grande Dame war dieser Dom Ruinart. Niemals werde ich begreifen, warum es ihn gibt und warum es dafür keinen 1995er Dom Ruinart gibt. Diese Frage bewegt mich in etwa so sehr wie die Frage, warum es zwar einen 1978er Dom Pérignon, aber keinen 1979er gibt.

Reif, aber noch nicht senil war der Dom Ruinart, ohne das weltläufige Format eines alternden Playboys und ohne die sympathische-schrullige Art mancher anderen reifen Champagner. Vergangene Größe zu ahnen, fiel mir die ganze Zeit über schwer. Schwung, Rasse, Frische waren komplett weg und das was übrig geblieben ist, waren Anzeichen für einen vor paar Jahren noch überdurchschnittlichen, aber mit Sicherheit nicht bewegenden Champagner.

Belle Epoque und Grande Dame im Champagnerleistungszentrum

Im Champagnerleistungszentrum treffen nicht nur junge Talente aufeinander und messen sich im friedlichen Wettstreit, nein, auch die alten Kämpen müssen zeigen, ob sie noch Dampf haben. Selbst alter Adel wie der einer Grande Dame und einer Belle-Epoque schützt nicht vor dem unerbittlichen Blick unter den Rock.

Veuve Clicquot, Grande Dame 1985: wuchtig, herb und sehr füllig. Im Glas war der Champagner dann weniger alte Witwe, als vielmehr ziemlich knackiges, wenngleich nicht mehr ganz taufrisches Mädel. Ein schicker Twen, was ja auch zum Jahrgang paßt. Verhaltene Säure und sehr viel weinige Würze, Andeutungen von Milchkaffee, Karamell, Buttertoffee und Kakao, aber alles wirklich nur hauchfein und in den nächsten Jahren sicher immer stärker werdend. Dieser elegante, noch herzhaft jugendlich wirkende Champagner spricht sehr für das Haus, bzw. die Kunst des seinerzeitigen Kellermeisters Peters. In der Jugend sind die Champagner immer haarscharf zu hoch dosiert für meinen Geschmack – passen dafür aber zu zahlreichen Speisen sehr gut, dazu gleich mehr -, im Alter zeigt sich dann, was die Réaction Maillard alles vermag. Korrespondierende Speisen waren:
– Brunnenkressesuppe mit pochiertem Wachtelei: definitiv kein dreamteam zur Grande Dame, die beiden standen sich in respektvollem Abstand gegenüber, bzw. einander zur Seite, gingen aber keine harmonische Allianz ein. Getrennt voneinander am besten, zusammen war mir die Mixtur zu spannungsvoll.
– Jakobsmuschel mit hauchdünnem Cräcker auf blanchiertem Kohl: sehr schmackhaft, Jakobsmuschel und Champagner sowieso, in Verbindung mit dem kleingeschnipselten Kohlgemüse und dem Keks dann noch einmal bereichert.
– Kaninchen mit Linsen und Speckschaum: eine Spitzenkonstellation, für Liebhaber von herzhaften Variationen rund um den Speck ein besonders schönes Erlebnis. Dankenswerterweise war das Kaninchenfilet mit einem schützenden und gut harmonisierenden Teigmäntelchen versehen, zusammen mit den reifen Noten der Grande Dame wundervoll.

Es folgte

Perrier-Jouet Belle-Epoque 1983. Ein erstes kleines Stinkerle im Glas wich schnell, mit Zeit und Luft wurde ich dann auf Kosten der von vornherein optisch müden Perlage Zeuge eines kleinen Chardonnaywunders im Glas. Bei älteren Belle Epoques zeigt sich eben immer wieder die grandiose Standfestigkeit der Cramantchardonnays. Die Nase betörend mit kandierten Zitrusschalen, der Mund von stahlharter Säure ausgekleidet, mit langem, feinstprickelndem Nachhall. Dazu gab es:
– Stubenküken mit Knoblauchconfit: Köstlich! Punkt.
– auf der Haut gebratenen Zander samt Fenchelgemüse: ebenfalls eine ausgezeichnete Kombination und ein würdiger Platzhalter für das als Auftakt genossene 2005er Leitz'sche Magdalenenkreuz.

Die crème brûlée hatte mit den Champagnern nichts mehr zu tun und vertrug sich dementsprechend bestens mit Barbeitos 1978 Madeira Verdelho, nach dem Käffchen gab es dann Reisetbauers Elsbeere, ein Brand den man am liebsten inhalieren will, bis das Glas leer ist. Schmeckt aber auch so ganz gut, wenn man Schnaps mag.

Fazit: Beide Prestigechampagner verwöhntem auf sehr hohem Niveau, zeigten sich den Speisen überwiegend gewachsen, wobei die Grande Dame in der Konfliktsituation mit dem Ei weniger gut abschnitt, als die Belle-Epoque mit dem Knoblauch.

Generation Champagner – Notizen von der Einsteigerprobe in Hackbarth’s Restaurant

A. Das Menu

I. Vorspeisenvariation: Tafelspitz-Salätchen, Bruschetta, gebratene Blutwurst, Lachstartar

Lachstartar und Bruschetta waren gut, berührten mich aber nicht so sehr wie die Blutwurst und das delikate Tafelspitzsalätchen. Die Blutwurst war kross, nicht zu gross, praktisch fettfrei gebraten und von einer confiseriehaften Zartheit, die ich ähnlich, aber natürlich abgewandelt beim feinfaserigen Tafelspitz wiederfand. Im Zusammenspiel mit den Gemüseschnipseln bot sich ein sehr appetitanregender Happen dar, der sich gut mit den ersten Champagnern vertrug.

II. Scampi-Tournedo und Scampi-Knusperstange

Weich, aber bissfest kam der kleine Schalenracker auf den Teller, in ungewöhnlicher Langform zusätzlich die Knusperstange mit Scampifüllung. Dazu passten die weißen Champagner des zweiten flights besser noch als die Rosés, ich begann bedenklich zu schwanken – zwischen dem Premier Cru von den drei Mädels aus Trois Puits und dem Holzfasschampagner von Voirin-Jumel, dessen leicht minzige Note im Gegensatz zum Schaumzuckererdbeer-Katjes-Joghurtdrops der Girls stand. Beide Champagner hatten Komponenten, die vorteilhaft zum Essen wirkten, am Ende schien mir der Voirin-Jumel eine Winzigkeit besser zu passen, vielleicht bin ich aber auch nur etwas konservativer, was solche Paarungen betrifft.

III. Zander auf seiner kross gebratenen Haut, dazu knackiger Hünxer Spargelsalat

Der Spargelsalat war so aromatisch, wie man das von frischem Spargel erwarten darf. Viel wichtiger noch war mir die Knackigkeit der Spargelspitzen und die ließ nichts zu wünschen übrig. Fast wie Rettich krachte der Spargel beim reinbeißen und das habe ich sehr gerne, wenn der Spargel blutjung und unverholzt ist. Das kleine Zanderstück passte dazu, als wäre der Zander allein zur Begleitung von Spargelsalat Teil der Schöpfung geworden. Das Gericht brachte ganz nebenbei die regionale Verwurzelung der hackbarth'schen Küche zum Ausdruck, Spargel vom Niederrhein, Zander aus demselben, mit einer abgestimmt gemüsigen, sehr harmonischen Vinaigrette konnte man diesen kleinen Gang schon ganz schön groß finden.

IV. Lämmchen mit Kräuterkruste

Kräftig-aromatisch war die Kräuterkruste, zartfleischig das Lamm. Besser noch als Champagner konnte zu dieser Speise nur noch ein roter Coteaux Champenois passen, den Jens freundlicherweise spendierte. Das Haus Bernard Tornay hatte diesen Stoff 2000 geerntet und vinifiziert. Leider hatten wir den Wein nicht rechtzeitig dekantieren lassen, denn als er ins Glas kam, brauchte er erstmal seine Zeit, um sich von dicken Schichten flüchtiger Säure und reinster Nagellackentfernernase freizuschütteln. Auch nach sehr viel Luftzufuhr wirkte der Spätburgunder jugendlich und quasi wie frisch gefüllt, von Flaschenreife in weiter Ferne keine Spur.

V. Armer Ritter

Eine der typischsten Ruhrgebietsnachspeisen überhaupt ist der Arme Ritter. Das macht es für die Küche, wie so oft bei weitverbreiteten Speisen, nicht leichter. Denn jeder kennt das Gericht von Oma, Mutter, Betriebskantine und Familienfesten, hat eine meist sehr fest gefügte Meinung dazu und ist nur schwer davon zu überzeugen, dass dieses Basisgericht die Aufmerksamkeit einer guten Küchenbrigade verdient. Ein ähnliches Schicksal teilen Schnitzel, Boeuf Tartare, Omelette und das gute alte Steak. Macht aber alles nichts, denn Jörg Hackbarth bekommt seinen Alten Ritter immer wieder so gut hin, dass man alle Bedenken darüber vergisst, sobald man den weichen, schmeichelnden Teig im Mund hat und die süßen Früchtchen auf der Gabel.

 

B. Die Champagner

I.1 Tarlant, Brut Zéro

Oeuilly. Drittelmix. 2004er Basis mit fassgereiften Reserveweinen. Tirage im Mai 2005, Dégorgement im Juni 2007.

Dieser Champagner ist ein deutlicher Beleg dafür, dass undosierte Weine nicht nur reifen können, sondern es mitunter sogar müssen. Noch vor wenigen Monaten war dieser Champagner, obwohl mittlerweile schon seit fast drei Jahren am Markt, fest verschlossen und wehrte sich gegen jeden Versuch einige charmante Noten herauszuschnuppern mit einer kräftigen Chlornase. Davon war jetzt nicht mehr viel zu spüren, der Champagner hat sich merklich entspannt und lieferte die längst fälligen Äpfelchen, eine fast joviale Weinigkeit und zum Schluss eine für manchen Probeteilnehmer unerwartete glycerinige Süße ab. An der Nacktheit dieses Champagners war nichts Anstößiges, im Gegenteil, mit Sandro Boticellis unmittelbar bevorstehendem 500. Todestag konnte dieser Champagner geradezu als eine Hommage an die Wiederkunft der Aktmalerei in der Renaissance gelten.

I.2 Robert Moncuit, Blanc de Blancs Grand Cru Extra Brut

Le Mesnil. Dieser Champagner stammt aus den Grand Crus Oger und Le-Mesnil-sur-Oger, mit 4 g/l dosiert, 42 Monate Hefelager.

Ein ganz anderer Champagnertyp war der Chardonnay von Robert Moncuit. Weil er unter anderen Vorzeichen stand: anders als in der Vallée de la Marne, wo sich die fruchtigen Meuniers und leicht zugängliche Pinot-Noirs tummeln, wachsen in Oger und Le-Mesnil eben die großen Chardonnay-Säuregeschosse. Lässt man die blank ziehen, wird die Stimmung im Glas schnell aggressiv. Eine ganz behutsame Dosage von gerade einmal 4 g/l kann da Wunder und vor allem ganz schön sexy wirken – vergleichsweise wie die reizende Wäsche von Agent Provocateur. In unserem flight bedeutete das, dass der Tarlant trotz Zérodosage süsslicher, reifer und eine geringe Spur vollmundiger schmeckte, als der Extra Brut von Moncuit. Wenn man das weiß und im Probenzusammenhang berücksichtigt, kann man beiden Champagnern besser gerecht werden. Der Moncuit war ein lehrbuchhafter Chardonnay mit geringer Dosage, der Tarlant ein Vorzeigevertreter für eine konsequent zu Ende geführte, pointierte Cuvée.

II.1 Jean Baillette-Prudhomme, Vieille Cuvée

Trois Puits Premier Cru, 80 PN, 10CH, 10PM, um die 50% Reservewein.

Das Dreimädelhaus von Marie-France und ihren bezaubernden Töchtern Laureen und Justine begann den zweiten flight mit diesem trotz des ungewöhnlich hohen Reserveweinanteils frischen, mit jugendlich-unbekümmerter Säure ausgestatteten Champagner, dessen wesentliche Aromenmerkmale ebenfalls aus der Kinderzeit stammen. Schaumzuckererdbeeren und Katjes-Joghurtdrops, mit mehr Luft allerdings sehr schnell ernster werdend und von anisigen, kräuterigen und rosinierten Aromen stärker geerdet. Vielleicht kein Champagner für die Ewigkeit, dennoch ein Trinkvergnügen, solo und in Begleitung.

II.2 Voirin-Jumel, Cuvée 555

Cramant Grand Cru. 2006er Basis mit Reservewein aus den vier Vorgängerjahren. Holzfassausbau in 15 verschiedenen, alten Burgunderfässchen.

Von Beginn an als Holzfasscuvée zu erkennen, ohne dass sich das Holz aufdrängt. Verräterisch dabei ist die leicht minzige, kühlend-balsamische Note, weniger eine für Stillweine typische Vanillearomatik oder Toast (der beim Champagner nämlich nicht zwingend vom Holzfass kommen muss). Gegenüber dem Mädchenchampagner mag er mit seiner zurückhaltenden Komplexität weniger launisch gewirkt haben.

Der Kern der Probe war ein Vergleich der für diese Zwecke wie gemachten und kommerziell sehr erfolgreichen Jahreszeitenserie von Pommery mit Winzerchampagnern der jeweils selben Gattung. Natürlich lässt sich eine Präferenz für Grande Marque oder Winzerchampagner nicht im Rahmen einer einzigen Probe herausschälen und mein didaktisches Konzept beschränkte sich auch nicht darauf. Mir ging es bei der Zusammenstellung dieser Probe darum, Einsteigern eine relativ sichere, stilistisch zuverlässige Bank in Form der Jahreszeitenchampagner anzubieten, von wo aus jeder für sich seine Geschmacksvergleiche mit den anderen Champagnern anstellen konnte und Gelegenheit haben sollte, die Champagner auf ihre Speisenverträglichkeit hin zu überprüfen.

III.1 Nominé-Renard, Brut Rosé

Villevenard. 50CH, 50PM. Stahltankausbau. Zwei Jahre Hefelager.

Der Roséflight wurde eröffnet vom zarten und im Wortsinne feinen Nominé-Renard Rosé. Klassisch war die Farbe, ein Rosé ohne rötlichkupferne Reflexe und ohne allzuviele Blautöne. Fein war vor allem das Aromengespinst, das wie an hauchdünnen Fäden hängend Molekülhaufen von Erdbeere und Himbeere aus dem Glas zog. Am Gaumen wirkte die feine Aromatik vor allem in Richtung auf ein vermehrtes Trinken hin, denn das schlückchenweise Aufblitzen der Aromen am Gaumen war nicht so sehr geeignet dort tiefe Abdrücke zu hinterlassen. Zu den Meeresfrüchten nicht gerade ideal, solo deutlich besser.

III.2 Pommery, Springtime Rosé

Reims. 25CH, 60PN, 15PM, 30 Monate Hefelager.

Sehr anders war im Vergleich dazu der zwiebelschalenfarbene, oeuil-de-perdrixige Rosé. Farblich fast blass neben dem Winzerchampagner, verhalf ihm die deutlich höhere Dosage zu einer entsprechend stärkeren Wucht und Nachhaltigkeit, Rosinen, Feigen, Trockenfrüchte ließen sich gleich reihenweise ausmachen. Hier standen sich also wieder zwei Champagner derselben Gattung aber aus einander völlig entgegengesetzten Lagern gegenüber, was sich in der Verkostungsrunde am Tisch geschlechterübergreifend gespiegelt hat.

Rotwein: Bernard Tornay, Coteaux Champenois Rouge Mill. 2000

Diesem von Jens gespendeten Wein hätte man sein Alter nicht im geringsten abgeschmeckt. Zuerst noch voll flüchtiger Säure und einer von Nagellackentferner verhunzten Nase, danach und bis zum Ende des tastings immer besser werdend. Freilich kein Schmeichler, auch kein besonders fruchtiger Wein, sondern viel Granit, ein Duft wie frischgemahlenes Korn, hin und wieder Cranberries, Sauerkirsche und Gojibeeren. So könnte roter Chablis schmecken.

IV.1 Pommery, Summertime Blanc de Blancs

10 Crus, drei Jahre Hefelager.

Der Blanc de Blancs von Pommery repräsentierte wieder einen bestimmten Typus von Chardonnay. Nicht großes Reifevermögen, meist ausgedrückt durch hyperarrogante Verschlossenheit in jungen Jahren, ist für diese Art von Champagner prägend, sondern eine freundliche, sonnige, vielleicht nicht dauerkaugummikauende, aber mit weissen Zahnreihen einladend grinsende Einstellung. Dieser Champagner ist somit wie der Texaner unter den Champagnern, ein gutgelaunter Redneck. Bei der Auswahl seiner Grundweine wird dementsprechend nicht eine überintellektualisierende, alles steuernde Säure wichtig gewesen sein, sondern ein belebendes, fruchtiges Element, wie es die Chardonnays aus dem Norden der Côte des Blancs, der Grande Vallée de la Marne und aus der Montagne de Reims zu bieten haben. Wenn das wirklich so ist, dann hat Pommerys Kellermeister Thierry Gasco seinen Job hervorragend erledigt.

IV.2 Thierry Bourmault, Sylver Class Blanc de Blancs Premier Cru

Cuis Premier Cru.

Im Vergleich mit dem breitgrinsenden Pommery ist der Winzerchampagner Ivy-League. Statt zum american football neigt dieser Kollege in seinem Innersten allerdings eher zum Rugby. Ein stürmisches Naturell kann man ihm nämlich ebenfalls nicht absprechen. Auch meint man bei der Sylver Class nicht etwa, seine Umwelt nur noch durch die Nickelbrille eines fleißigen Bibliothekgängers wahrzunehmen. Aber unmittelbar nach dem Pommery wirkt bei diesem Champagner alles etwas schärfer, spitzer, pointierter, kompromissloser. Das dürfte daher kommen, dass der Bourmault eben nicht auf eine Reihe unterschiedlichster Crus zurückgreifen kann, sondern nur auf die knapp 3 ha, die ihm in Cuis zur Verfügung stehen. Deren typischen Charakter bringt er ungefiltert in die Flasche. Mehr wollte ich mit dem flight übrigens gar nicht zeigen.

V.1 Francoise Bedel, Entre Ciel et Terre

Crouttes-sur-Marne. Biodynamisch.

Sahnig, mit Toffee, warmem Edelholz, Haselnuss und knusprigem Keks schwebte die große Dame der Biodynamie aus dem Glas. Bei der Probenzusammenstellung schwankte ich erst, ob ich den dosierten oder den undosierten Champagner von Bedel nehmen soll. Wie bei vielen guten Winzern – so z.B. bei Francis Boulard, der mir seinerzeit Madame Bedel aus Crouttes-sur-Marne und Madame Ledru aus Ambonnay empfohlen hatte, aber auch bei Benoit Tarlant oder Aurelien Laherte – kann man bei Frau Bedel beides bekommen. Ich finde die undosierte Version solo besser, im Vergleich mit dem Wintertime von Pommery wäre er mir aber zu hart vorgekommen. Deshalb gab es die dosierte Version und diese Entscheidung hat sich meiner Meinung nach als richtig herausgestellt.

V.2 Pommery, Wintertime Blanc de Noirs

75PN, 25PM u.a. aus den Grand Crus Aÿ, Bouzy, Mailly und Sillery. (90/100 Juhlin)

Der von Juhlin großzügig bepunktete Wintertime hatte enorme Startschwierigkeiten. Reduktiv, angebrannt, langsam, behäbig und ziemlich reizarm dauerte es eine Weile, bis der Champagner sich aus allen seinen wärmenden, aber nicht kleidsamen Schalen gepellt hatte. Nach einem kompletten Luftaustausch im Raum zeigte sich dann endlich eine Ahnung von Größe, jedoch nur von Ferne und von Zuckerkristallen etwas kitschig überdeckt. Beide Champagner würde ich gern noch einmal mit drei bis fünf Jahren Flaschenreife trinken, so war der Pommery leider etwas zu unbeholfen und selbst eiliges dekantieren hätte nicht mehr viel gerettet.

VI.1 Bernard Tornay, Grand Cru 2002

Bouzy Grand Cru. Spezialist für lange Reifung.

Tornay, der an diesem Abend der Madame Bedel aromatisch sehr nahestand, eröffnete den sechsten flight. Wieder eine behende, leichte Haselnussigkeit, die man in der Musik einem Chopin zuordnen würde, er hätte wahrscheinlich ein Polonaise in Moll dazu komponiert. Lange, eher wehmütig als schrill oder juchzend tirilierende Kaskaden, eine im Volksfrohsinn wurzelnde Lust an der Ornamentik und eine bei Tornay immer wieder zum Vorschein kommende Grundthematik, das Haselnussthema, machen diesen Champagner für mich zu einem Vertreter der Winzerfraktion mit besonders hohem Gespür für die Vermählung von Terroir und Stil des Hauses.

VI.2 Pommery, Grand Cru Mill. 2000

Trauben aus sieben Grand Crus. (86/100 Juhlin, 96/100 Wine Spectator)

Die Jahrgangs-Grand Crus von Pommery, egal ob von Fürst Polignac oder Thierry Gasco kreiert, sind moderne Klassiker und würde man sie Komponisten zuordnen, wären wir wahrscheinlich am ehesten bei Prokofjew. Zuerst wie der Wintertime, schlafmützig, langsam, schwierig, unbelebt, ja abweisend. Erst mit viel Luft wandelt sich die geradezu feindliche Aromatik in eine milde Melancholie um und wird immer schalkhafter, bis zum Schluss ein richtiger kleiner Tanzbär im Glas steppt. Für Juhlin ist das scheinbar nichts gewesen, daher die vergleichsweise harten 86 Punkte, dass der Wine Spectator enthusiastische 96 Punkte gibt, kann man erst verstehen, wenn man den Champagner in seiner Schlussphase erlebt hat. Ich würde zu diesem Zeitpunkt noch lange keine 96 Punkte geben, halte den Champagner aber für sehr entwicklungsfähig und deutlich über den sonst schwachen Jahrgang hinausweisend.

VII. Veuve Cliquot-Ponsardin, La Grande Dame 1995

Reims. 2/3 PN aus Verzenay, Verzy und Ambonnay und Aÿ 1/3 Chardonnay aus Avize, Oger und Le-Mesnil-sur-Oger.

Leider hatten wir bei diesem an sich wundervollen Champagner einen leichten TCA-Beigeschmack, der sich parallel zur Entwicklung der Witwenaromatik aufbaute. Mal schien er verschwinden zu wollen, mal schien er sich in Richtung einer herben Nussigkeit oder in ein Kastanienhonigaroma umwandeln zu wollen, wie man es vom Urlaub auf Korsika kennt. Aber immer funkte er störend dazwischen und ließ den filigranen wie den strukturgebenden Elementen dieses reifen Champagners keine Möglichkeit, sich endgültig und harmonisch zu verbinden.

Im Champagnerleistungszentrum: Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg

Sip of Gold

Die Brüder Michael und Christian Sieger präsentieren unter dem Markennamen Sieger eine vielfältige Produktpalette, die relevante Bereiche des stylebewussten Haushalts abdeckt. Neben Mode, Möbeln und Papeterie gehört dazu auch die Porzellankollektion „Sieger by Fürstenberg“, die in Kooperation mit der traditionsreichen Porzellanmanufaktur Fürstenberg entstanden ist.

Von besonderem Interesse ist für mich die Serie „Sip of Gold“. Die nur 2 – 2,5 mm dünnen Champagnerbecher von Sieger by Fürstenberg wirken berückend auch auf den, der hauchdünnes Kristallglas von Riedel, Zalto oder anderen Meistern der klassischen Trinkglasfertigung gewöhnt ist. Damit üben die Porzellanbecher eine Faszination aus, der man sich schwer entziehen kann: feinstes japanisches Teeporzellan beherbergt schließlich vergleichbar noble Gewächse und entbehrt einer Vergoldung mit 24 Karat – das ist schon ein Blickfang auf dem Tisch. Die von mir getesteten Modelle Plain, Cushion, Woven, Moon und Circus sind mit unterschiedlichen, eher minimalistischen Reliefdekors versehen, sonst unterscheiden sie sich nicht. Durchprobiert habe ich die Becher in unterschiedlichen Versuchsanordnungen mit Champagnern, deren Geschmacksprofile ich gut kenne. In einem Solotest habe ich die Becher mit drei unterschiedlichen, jeweils schon reifen und sehr ausdrucksvollen Champagner Prestige-Cuvées auf ihre Champagneraffinität hin geprüft. In einem zweiten Teil habe ich die Becher zu einem Menu von Ruhrgebiets-Topkoch Jörg Hackbarth und einer Reihe sehr unterschiedlicher Champagner ausprobiert.

A. Champagner

I. Krug Vintage 1988

Dieser in allen Varianten nussige Champagner, dessen immense Apfelpower sich nach und nach mit einer gemächlicheren Gangart ans gute Werk macht, glänzt mit einer (Aromen-)Vielfalt, wie man sie sonst nur zu Zeiten des Kalten Kriegs auf der ordensgeschmückten Brust eines sowjetischen Gardeoffiziers finden konnte. Die Wucht dieses Champagners allein hätte noch vor wenigen Jahren gereicht, den Eisernen Vorhang einzureißen. Heute ist er versöhnlich, aber nicht ohne ein grimmig-verschmitztes Blitzen in den Augen. Im Sip of Gold fand sich dieser Ausnahmechampagner in einer Ausnahmeumgebung wieder. Und wie das Leben manchmal so spielt – er kam damit nicht zurecht. Die ehrfurchtgebietende Aromaparade musste dramatische Einbußen wettmachen, was im Glas nach Uhrmacherpräzision aussah, wurde im Becher zum fröhlichen Durcheinander. Karneval statt Militärparade, der Champagner als Karikatur seiner selbst.

II. „S“ de Salon 1990

Ein anderer Grande ist der ehrwürdige „S“ de Salon. Ein Champagner, der ein Raunen durch den Raum gehen lässt, selbst wenn niemand im Raum ist. Von einer völlig anderen Bauart, als der 88er Krug, ihm in Sachen Langlebigkeit jedoch verwandt. Als mir ein lieber Kollege vor fünf Jahren einmal 1990er Salon vorsetzte, weil er selbst neugierig auf den Champagner war und nicht glauben wollte, dass ein Champagner nach so vielen Jahren nicht nur nicht tot, sondern noch gar nicht richtig wach sein kann, da war der „S“ gerade aus seiner ersten jugendlichen Bockigkeitsphase herausgetreten und wirkte sehr unausgeglichen. Mittlerweile gibt es einige große 90er, die schon wieder abtauchen, andere drehen nochmal richtig auf und dieser hier schien sich nicht recht entscheiden zu können. Im Impitoyables-Konterglas machte sich viel Cognac, Calvados, Walnuss, malzige, röstige Brotrinde und kandierte Frucht breit, am Gaumen wirkte er aber sehr uneinheitlich und fast ein bisschen müde. Im Porzellanbecher war der Eindruck nicht besser, allenfalls schwieriger zu fassen. Ersichtlich groß, aber seltsam unfokussiert wirkte dieser Champagner. Da ich von seiner Form außerhalb des Bechers nicht ganz und gar überzeugt war, kann ich keine gültige Empfehlung aussprechen, würde aber im Moment davon abraten, reife, mächtige und nussige Champagner aus dem Sip of Gold zu trinken.

III. Louis Roederer Cristal 1997

Eine schöne Paarung, von der ich im Vorfeld schon gedacht habe, dass sie überzeugen würde, war der jetzt sehr reife und gut trinkbare Cristal 1997 im Sip of Gold. Ganz, als hätten sich zwei gesucht und gefunden. Glamourfaktor und Anspruch bewegen sich auf derselben Wellenlänge, der üppige Zarenchampagner und das Adelsgeschirr passen so stimmig zueinander, wie sonst allenfalls noch Kaviar und purer Wodka. Nicht von ungefähr dürften handelsübliche Wodkagläser eine dem Sip of Gold entsprechende Form haben und Cocktails wie der Siberian Kiss aus Wodka, Champagner und sonst nichts erleben in einem Porzellanbecher wie diesem die „absolut“ höhere Weihe.

B. Menu

Der I. Gang bestand aus Hackbarth's Tapas: Thunfisch auf Rübchen, Ententerrine auf Chutney und Grissini mit Scampifüllung auf Asiasalat. Dazu gab es Bernard Tornays Extra Brut. Dessen haustypisch haselnussige, mit Mineralien und Räuchernoten unterlegte Nase wirkte im Porzellanbecher etwas zu breit und alkoholisch. Unterschiedlich hohe Befüllung half nicht, dieses Problem auszugleichen. Der Champagner von Tornay, der sonst in allen möglichen Gläsern zu überzeugen weiß, stieß hier offensichtlich an eine Grenze, was sehr bedauerlich war.

Als II. Gang gab es Jakobsmuscheln in Salbei gebraten auf sizilianischem Brotsalat. Dazu trank ich Champagne Nominé-Renard Brut Rosé. Der fruchtige, feine, sehr elegante, aber nicht überkanditelte Rosé ist auch eher ein Kandidat für Flötengläser. Das wurde einmal mehr im Sip of Gold deutlich. Denn das Verhältnis von Flüssigkeitsoberfläche zu darüberliegendem Duftkamin entspricht beim Sip of Gold in etwa dem eines bis zur breitesten Stelle gefüllten Top Ten Glases von Schott-Zwiesel oder dem eines halbgefüllten One for All Rotweinglases von Peter Steger. Auch aus diesen Gläsern empfiehlt es sich bekanntlich nicht, ultrafeine Rosés zu trinken.

Der III. Gang bescherte mir ein Steinbuttfilet mit Pinienkernen und Serranoschinken auf Tagliolini in Krustentierschaum. Dazu gab es weiterhin den Rosé und außerdem den Nominé-Renard Brut Tradition. Vom Rosé war auch mit Luft nicht mehr viel zu erwarten, der weiße Nominé-Renard gab dafür alles. Im Glas stets einer der lustigsten, zu jedem Gaumen freundlichen Champagner, zerrte er hier alles aus sich heraus und bewies seine wahre Größe. Kein vorschmeckender Alkohol, keine Hitze oder Schärfe, sondern eine üppige, blumige, von getrockneten Cranberries und Sanddorn geprägte Aromatik, dazu ein mildes Trockenkräuterbouquet. Na also, geht doch.

Gang IV. war Maishuhnbrust mit Morcheln auf Leipziger Allerlei und Kerbeljus, dazu gab es weiterhin den weißen Nominé-Renard und zusätzlich 2003 by Bollinger. Meine Haupteindrücke dieses Ganges stammen von den Morcheln, vom Kerbeljus und vom 2003 by Bollinger. Die drei waren wie füreinander geschaffen. Die Morcheln mit ihrer morbide Lüsternheit verbreitenden Aromatik, dazu der konzentrierte, aber nicht lästige Kerbel und ein 2003 by Bollinger in Bestform, Puligny-Montrachet pur! Im Porzellanbecher zeigte sich der Bollinger so opulent verführerisch, pudrig, buttrig, geschmeidig und mätressenhaft wie nie zuvor und war der Version im Konterglas deutlich überlegen.

Zum guten Schluss gab es den V. Gang, ein Délice Variée aus Zitronenparfait mit Erdbeere und Rhabarber, Armen Ritter und Streuselkuchen auf Quarkmousse mit Äpfeln. Dazu weiterhin Bollingers verrückten Jahrgang. Das Zitronenparfait war sauber, etwas milchig, mit angenehm herben Zitronenschalenschnipseln, Erdbeeren, die nach Erdbeeren schmeckten und einem bissfesten, aromatischen roten Rhabarber. Der Arme Ritter passte wegen seiner Herkunft aus der Backstube und seiner nicht so hervorstechenden Süße am besten zum Champagner, der sich von Minute zu Minute weiter in seine Burgunderrolle vertiefte und am Ende noch der Marquise Pompadour höchstselbst den Rang hätte streitig machen können.

Vor dem farbenfrohen Hintergrund des 18. Jahrhunderts, wie ihn der Film Marie-Antoinette mit Kirsten Dunst inszeniert hat, versteht man meiner Meinung nach die Porzellanbecher von Sieger by Fürstenberg erst richtig. Es geht weder im Film noch bei den Porzellanbechern um historische Richtigkeit und erst recht nicht um das unter Weinfreunden beliebte herumeiern um das beste Glas. Es geht bei diesen Bechern vielmehr um die Lust an der Zwanglosigkeit in einer so noch nicht dagewesenen Form. Das macht die Sip of Gold Reihe interessant, aber auch besonders anspruchsvoll …. Denn wie sich gezeigt hat, schmeckt daraus nicht jeder Champagner gut. Das ist kein Grund zur Beunruhigung, wenn man denn weiß, welche Champagner daraus gut schmecken. Und da beweist der Sip of Gold Klasse: Es sind die außergewöhnlichen Champagner, die in den Bechern dieser Serie zu einer Hochform auflaufen können, wie man sie nicht oft erlebt. Der Zarenchampagner Louis Roederer Cristal etwa öffnet in diesem Becher sein orthodoxes Herz und pulsiert mit ungekannter Kraft. Ein anderer mächtiger und rarer Champagner, der 2003 by Bollinger, wächst im Sip of Gold gleichsam über sich selbst hinaus.

Conclusio: Für den gewöhnlichen Genuss sind diese Becher nicht gemacht. Sie fordern kraftvolle, weinige und opulente Champagner. Wer sich zum Kauf von Bechern aus dieser Reihe entscheidet, sollte das sehr bewusst tun. Und er muss sich die Frage beantwortet haben, wie er seinen Champagner trinken will: nach dem Stil der Zeit und ohne Rücksicht auf Verluste, oder mit aller Distinktion und Sorgfalt, die der Wahl eines königlichen Getränks angemessen ist.

Hier geht es zum Hersteller: www.sieger.org/de/sip_of_gold

Dom Ruinart vertikal getrunken

A. Blancs:

I. 1981

Dem 81er hatte das Haus ein neues, nicht mehr ganz so überfrachtetes Etikett spendiert. Ob sich das auf den Champagner ausgewirkt hat? Man weiß es nicht. Überfrachtet wirkt an diesem athletischen, aber nicht asketischen Typ nichts. Drahtig und sehnig, Grapefruit und Toastbrot, ein isotonisches Getränk für Genießer, ideal nach dem Fressmarathon oder einer langen Rotweinprobe.

II. 1993

Kein sehr starker Dom Ruinart, man muss sich sogar fragen, was bei Ruinart in diesem Jahr passiert ist und für mich eng damit verknüpft ist die Frage, warum zum Teufel man keinen 95er Dom Ruinart bekommen kann. Der Champagner hat eine dürftige, allenfalls seltsam reife, aber überhaupt nicht ansprechende Nase. Und schmeckt einfach nur fertig. Meiden!

III. 1979

Mühelos überholt der 79er den 93er. Was ist da noch an Leben in diesem Champagner, ein bizzeln und sprotzeln, das reinste Fest. Dazu Milchkaffee, Toffee, ankaramellisierte Butter, englische Orangenmarmelade, so schön müssten alle reifen Champagner sein und vor allem die viel zu vielen viel zu gewöhnlichen Blanc de Blancs können sich bei diesem Reifeverhalten eine dicke Scheibe abschneiden.

IV. 1990

Ein Champagner, den ich mit Fragezeichen versehen hatte und auf den ich gespannt war. Die 1990er sind allgemein sehr früh – ich vermute ja: von Champagner-immer-viel zu-jung-Trinkern – enthusiastisch beschrieben worden. Und wahrlich, das timing war nicht schlecht: die Abfolge 1988-1989-1990 spielte guten Kellermeistern phantastisches Material in die Hände, viele 88er sind heute bombig, von den 89er hört man nicht mehr viel, weil sie wahrscheinlich überwiegend getrunken wurden, und 1990 nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Bis zum Jahreswechsel 1999/2000 waren die damals teilweise flammjungen 90er weit überwiegend in einer sehr guten Form. Danach tauchten viele ab, manche tauchten nie wieder auf, andere sind noch untergetaucht, andere kommen langsam in der nobel-zurückhaltenden Zeremonien-Gewandung großer Champagner wieder an die Oberfläche. Dieses Abtauchen wird bei anderen Weinen selbstverständlich hingenommen, bei Champagnern jedoch fast immer und vor allem von Bordeaux-Leuten zunächst mit Irritation quittiert. Völlig zu Unrecht, wie ich meine. Beim Dom Ruinart 1990 wusste ich nicht, in welcher Form ich ihn antreffen würde. Die Antwort hätte Conrad Ahlers kurioser Weise schon 1962 gewusst: "bedingt abwehrbereit"! So wie der 90er Rosé sich mit einer nicht altersuntypischen Gemütlichkeit rund und weich zeigte, war auch der weiße Dom Ruinart 1990 jenseits seiner midlife crisis wieder aufgetaucht. Leichte Bindegewebsschwäche, mäßig ausgeprägte Antriebsstärke, abgeschliffene Reiss- und Schneidezähne, erste Anzeichen einer Osteoporose. Damit will ich nicht sagen, dass der Champagner im Eimer war, so schwach wie der 93er war er lange nicht. Er war mehr der Typ Business Angel, also der gestandene Manager, der die gröbsten Stürme des Lebens hinter sich gebracht hat und jetzt sein umfangreiches Wissen weitergibt. Denn an Aromenfülle war kein Mangel. Jetzt trinken.

VI. 1988

Ein unerwartetes Kopf-an-Kopf Rennen gab es mit dem 1988er Dom Ruinart. Von schlankerer Anlage und bei den Rosés mit etwas mehr als einer Nasenspitze vorn, war hier der Gegensatz zwischen reifem, aufgeplustertem, farbenfrohem 90er Chardonnay und vorbildlichem, säurestarkem, reichlich bissigem, in der Jugend sogar giftigem Blanc de Blancs gut zu sehen. Im Vordergrund Kaffee und Röstaromen, dicht dahinter eine agile, mineralische Zitrussäure und ein feiner Schmelz. Ich glaube nicht, dass sich da noch sehr viel ändern wird, insbesondere weiß ich nicht, ob mit weiterer Flaschenreife noch eine zusätzliche Aromenschicht hinzutreten wird. Wenn er sich so noch etwas hält, ist das schon eine sehr gute Leistung. Traumhaft wäre dieser Champagner natürlich in einer mit Champignons und Waldboden angereicherten Form. Wird man ja sehen, ob das noch kommt.

VII. 1996

Der erste Dom Ruinart mit dem jetzt aktuellen abgerundeten Etikett. Kann man im Moment nicht viel zu sagen, finde ich. Hart, aber nicht abweisend, sehr viel Zitrusfrische macht sich am Gaumen breit, dahinter kommt noch nicht viel zur Geltung. Anknüpfungspunkte für ein gutes Reifeverhalten könnte die etwas undurchdringliche, milchige Crèmigkeit sein. Milchig empfinde ich hier vor allem im Sinne einer dicken, süsslichen Milchcrème, nicht im Sinne einer abgeflachten und breitgewalzten Aromatik, die auf übertriebenen Säureabbau zurückgeht. Der Champagner befindet sich offensichtlich noch im Puppenstadium, wo er gern die nächste Jahre bleiben darf, wenn es der guten Sache dient.

 

B. Rosés:

I. 1979

Ein Etikett so elegant wie die Holzstiche und Schnitzmotive von lustigen Biertrinkern in Opas Kellerbar. Stets als Assemblage-Rosé mit knapp 20% Stillwein aus Verzenay und Verzy, das Grundgerüst ist reiner Chardonnay. Schon ein sehr reifer Rosé, der mit viel kandierter Frucht, Orangeat, Amarena-Cocktail-Kirschen und einer insgesamt süsslichen Art, wie sie die älteren Herrschaften gern haben, zu überzeugen versuchte. Positiv hervorzuheben ist die enorme Präsenz, die der Champagner hatte und die sehr reichhaltige, das Alter und die vereinzelt trocknend wirkenden Sherrytöne etwas vergessen lassende Aromatik.

II. 1982

Diesen Dom Ruinart gab es zum Glück schon mit dem geringfügig aufgehübschten Etikett. Ebenfalls ein sehr rüstiger Rosé. Frühverrentete Lehrer, die im Garten ihre Kirschen vor dem Raub der Vögel beschützen, können nicht dynamischer sein. Gedeckter Kirschkuchen mit guter Schlagsahne, dazu Schwarztee. Gut möglich, dass der hohe Pinot-Anteil sich im Alter typischerweise mit dieser Kirschnote bemerkbar macht. Fällt mir erst jetzt auf.

III. 1986

Reifer, als ich vermutet hätte, vielleicht liegt's am Jahrgang. Während ich bei den beiden Vorgängern mit der Kaffeekränzchenstilistik gut zurecht kam, hätte ich mir hier Abwechslung oder zumindest eine jugendlichere Interpretation gewünscht. Doch statt einer aufgepeppten Version von gedecktem Kirschkuchen und Tee gab es nun Schwarzwälder Kirsch, Dänische Buttercookies, Mandelkrokant, Mürbeteigkuchen und Jacobs Krönung mit Kirschwasser. Sehr schön, einerseits, dass da noch so viel Spiel war, anstrengend andererseits, so viele, leider zum Teil schon etwas angetrocknete Aromen im Mund zu haben.

IV. 1985

Frischer, griffiger, frecher und mal wieder eine Bestätigung für die Langlebigkeit und Qualität des Jahrgangs war der 1985er. So simpel und unraffiniert es klingt: Rote Grütze (natürlich die mit dem guten Überseerum) mit Vanillesauce im Pfannkuchenwrap beschreiben es ganz gut.

V. 1990

Aus der Normalflasche war er mit viel Freude trinkbar, bei diesem Champagner lohnt sich aber die Anschaffung in Magnums, denn der Magnumeffekt ist hier scheinbar besonders stark ausgeprägt. Entwicklungsfreudig, wobei das Tempo, mit dem die Fruchtparade vorbeizieht teilweise etwas hektisch und überstürzt wirkt. Typisch für Dom Ruinart Rosé und beim 90er besonders stark ausgeprägt ist die weinige, deutlich vom Spätburgunder geprägte Art. Weiche Aromen von Kokos, Mandel und Milchschokolade, erfrischende Komponenten vom Erdbeer-Rhabarber Kompott. Aus der Magnum ist die Entwicklung langsamer, genussvoller.

VI. 1988

Auf Augenhöhe mit dem 90er. Gebuttertes Rosinenbrötchen, eine Auswahl verschiedener Fruchtmarmeladen, Toastbrot und Kaffee – bei diesem Champagner erkennt auch der Letzte die Bedeutung des Worts Champagnerfrühstück. Einziger Wermutstropfen: in der Normalflasche gewinnen nach Luftzufuhr süssliche, kräuterige Aromen und eine alterstypische eindimensionale Säure etwas zu schnell die Oberhand.

VII. 1996

Blind würde man sagen: erstens Blanc de Blancs und zweitens untrinkbar. Wer ihn jetzt öffnet, sollte ein Freund stark gepfefferter Austern mit etwas zu viel Zitronensaft sein. Daneben finden sich noch einzelne, verloren wirkende rote Johannisbeeren und ätherisch feine, bzw. ätherisch kleine Mengen reifer Himbeeren. Erinnert mit etwas Gewöhnung (oder Einbildung, schwer zu sagen) an Molke mit Erdbeer-Himbeer-Maracuja Geschmack. Jedenfalls ein gutes Zeichen für später.