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Caveat. Oder: mission statement. Oder: zur gefälligen Beachtung (oder auch nicht).

7. Juni 2018

Die Verkostungsnotizenschreiberei in Foren ist aus der Mode gekommen. Kein Wunder und zu recht, kann man doch auf z.B. Instagram augenblicklich/augenscheinlich/gemeint: scheinbar, viel besser und in nuce erfahren, ob und wie ein Wein geschmeckt hat, ohne dass man den immerselben Fachvokalbelsalat auftischen oder runterwürgen muss. Die klassische Verkostungsnotiz wirkt daneben spröde wie ein Obduktionsbericht. Der wiederum hat fraglos seine Vorzüge, denn immerhin lässt sich daraus allerhand an wichtiger und objektiver Information entnehmen und am Ende gar ein (Kauf-)Urteil fällen und zu meinen schönsten lyrischen Erlebnissen zähle ich deshalb vielleicht den ca. genau 37 Sekunden dauernden Vortrag des Gedichts “Kleine Aster” aus Gottfried Benns Feder, nachzuhören auf der 1970 erschienen Platte Lyrik und Jazz, von Hans-Dieter Zeidler, ein Fundstück, das mir seinerzeit in meiner gut sortierten Schulbibliothek in die Hände fiel.

Das Gefühl bleibt dennoch oft bei auf der Strecke, in der Kühlkammer ebenso wie in der Verkostungsdatenbank. Bloße Laborwerte (pH?, Säure?, Schwefel?, Zucker?, rattern manche dem verdutzten robotisch entgegen, bevor der die Chance hat, piep zu sagen oder auch nur einzuschenken) schmecken eben nicht. Wie daraus am Ende für irgendeinen der Beteiligten gar vinophiler Spaß werden soll, weiß niemand so genau. Da hilft es übrigens auch nichts, mit wie auch immer gearteten unkonventionellen Zugängen für etwas Pep sorgen zu wollen. Weder dem Leichenbeschauer noch dem Wein steht das gut zu Gesicht. Vergleiche mit Musik, lebenden oder toten Personen und Persönlichkeiten, Bildern, Erlebnissen und so fort sind deshalb manchmal treffend, oft schön, aber weithin nutzlos und nicht selten allzu bemüht, immer völlig subjektiv und daher nur von schwankendem Wert. Was soll man außerdem davon halten, wenn eine derart komplexe Chemikalie wie Wein auf ein paar kümmerliche Sinneseindrücke („mmh, Banane“, „Stachelbeere!“, „(weißer) Pfeffer“, „Butter“, „Tabak“) reduziert wird, selbst wenn die einer sogenannten Fachsprache entnommen sind, deren Nomenklatur trügerische Sicherheit vorgaukelt und jeglichen Genuss ruiniert – jeder kennt ja die Profifehlerfinder und Miesmacher am Tisch, die ewig nur von flüchtiger Säure, UTA, bestenfalls von irgendeinem sortentypischen Steinobst erzählen, denen aber kaum etwas über die mitreißenden Qualitäten des Glasinhalts zu entlocken ist.

Und, sind Social Media jetzt also besser als handgemachte Verkostungsnotizen? Nein, sind sie nicht. Dort nämlich regiert die noch größere Oberflächlichkeit und Clickgeilheit. Eine herrliche Rarität wie beispielsweise der Jahrgangsrosé (eben keine Grande Année) wird dort kaum eines Blickes gewürdigt, bestaunt wird nur die Grande Année R.D. 1982. Mit langer Texterläuterung wäre der 85er sicher auch zu seinem Recht gekommen. Ist er ja letztlich sowieso, nachdem ich beide mit nur kurzem Zeitversatz im Bereich meiner inneren Mitte zusammengeführt habe.

Es gilt unverändert: nur selbertrinken macht blau, resp. schlau. Und trinken heißt: trinken. Nicht nippen, nicht spucken, sondern altmodisch und schmutzig: schlucken, in großen Schlucken aus großen Gläsern (das gilt zumindest für den ; bei Schnapsverkostungen kenne ich mich nicht so gut aus). Nicht umsonst kommen bei großen Verkostungsrunden und mehr oder minder prominent besetzten Jurys unter Spuckzwang oft haarsträubende Ergebnisse heraus, für die man bei intensiver Nachverkostung keine rechte Erklärung weiß oder wissen will.

Wo doch so viel mehr kann! Er ist eine von Herzen kommende Umarmung für das Gehirn und sollte nie als bloßer Pausenclown missverstanden werden. Aus diesem Grund sollte er im Ernstfall mindestens so alt sein (ggf. in Hunde- oder Katzenjahren zählen), wie der jeweilige Sexualpartner (gleich welchen Geschlechts), vorausgesetzt, man ist mit dem einigermaßen zufrieden.

Hier jedenfalls werde ich, da mittlerweile Champagnerverkostungsnotizen von vielen gut informierten, kundigen Trinkern und Schreibern verfasst und allgemein zugänglich gemacht werden, weniger Notizen veröffentlichen und mehr über den Champagnerkosmos an sich erzählen, wenn ich es für mitteilenswert halte.

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