Im Dienste der guten Sache und mit der frohen Champagnerbotschaft in Mund und Glas unterwegs zu sein, das bedeutet jede Menge glanzvolle Empfänge bis in die tiefe Nacht hinein, VIP-Treatments mit denen sich noch Wochen später auf allen sozialen Kanälen tüchtig angeben lässt, rauschende Champagnerparties an hundsgewöhnlichen Werktagen und jährliche Einkünfte im gehobenen sechsstelligen Bereich (inklusive Komma und Nachkommastellen).

Um allen diplomatischen Verpflichtungen nachkommen zu können, bedarf es der Fähigkeit mindestens zur Bilokation und eines schnellen, möglichst komfortablen Autos. Diese Anforderung konfligiert schnell mit dem eigenen, langsamen und rappeligen Auto, von der Fahrerlaubnis ganz zu schweigen. Die jährliche Fahrleistung lässt sich freilich verringern, wenn man auf alternative Verkehrsmittel zurückgreift, zB häufiger mal fliegt oder mit der Bahn fährt. Um wiederum die Nerven insgesamt zu schonen und weil im Innenstadtverkehr beklagenswert wenige Flugdienstleistungen angeboten werden, bediene ich mich gern geeigneter Fahrdienstleister, vulgo: Taxi. Oder, um etwas mehr Furore zu machen, der Autos nebst Fahrer von Blacklane.

Bei meinem Antrittsbesuch im Hause Wagner/Schäfer war das unter Furoregesichtspunkten die falsche Wahl. Denn was nützt es, mit der dicksten S-Klasse vorzufahren, wenn einen aus dem Restaurant heraus gar keiner sehen kann? Nix, außer dass man erheblichen Fahrkomfort genossen hat. Mit einem der Fahrer habe ich mich mal prächtig während der Fahrt vom Flughafen in die Stadt über den Orts- und Häuserkampf auf den Truppenübungsplätzen in Lehnin und Hammelburg unterhalten, ein anderer wartete mit bewundernswertem Langmut, ehe ich mit unverschämter Verspätung aus dem Lokal herausgefunden hatte und insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Blacklane-Fahrer einfach entspannter sind, als die meisten Taxifahrer, wobei ich ausgerechnet in Berlin mit Taxen nur gute Erfahrungen gemacht habe, in Paris übrigens auch und sehr viel mehr Städte besuche ich eigentlich meistens sowieso nicht.

Zurück zum Billy. Oder hin erstmal, d.h. rein. Rein kommt man, wenn man auf die kleine Klingel drückt, die den sonst hipsterlokalmäßig unscheinbaren Eingang ziert. Im Lokal geht es erstaunlich ruhig zu, obwohl die Küche komplett offen und die Ess-Theke rundherum gebaut ist. Musik kommt frisch vom Plattenteller und die von mir gewünschte war von Massive Attack, in Erwartung eines entsprechenden Eindrucks. 

Zuerst kam Ziegenkäse mit Holunder, beides sah unscheinbar aus und ich nahm die länglichen Formen, die optisch wie Fensterkitt wirkten, erst gar nicht richtig wahr. Vielleicht lag's an dem von Billy dankenswerterweise flottestens auf den Tisch gezauberten Flasche Atavique von Champagne Mouzon. Der riss förmlich meine Sinne an sich, über Mouzon weiß ich ja nicht umsonst seit Jahren nur positiv zu berichten und die jüngste Entwicklung ist nochmal eine deutliche Steigerung. Mehr durch Zufall und weil ich eben mit einer etwas ungerichteten Appetenz das Auge schweifen ließ, griff ich mir irgendwann eines dieser Ziegenkäsegebilde und schmeckte sofort, dass der Abend gut werden würde. Denn wenn ein so unscheinbares, ja hässliches kleines Ding so korrekt, so vollendet seine Aromen am Gaumen abliefert und vor allem der Holunder so auf die Geschmacksnerven gestanzt wird, dann muss schon sehr vieles vollkommen richtig gelaufen sein. Sofort war das Brot aus Hartweizengrieß trotz seiner überzeugenden Konsistenz und Fluffigkeit vergessen, oder nicht vergessen, aber auf Seite gedrängt. Trotzdem ich ein großer, ja riesengroßer Brotfreund bin und nicht oft genug betonen kann, dass gutes Brot und gute Butter (beim Billy selbstgemachte Rohmilchbutter aus Stettiner Milch) die Grundlage jeglicher Zivilisation sind.

Besonders gefreut habe ich mich dann über die Teltower Rübchen, die schon bei Balzac mit Genuss verspeist werden. zusammen mit dem Traubenkernöl eine ausgesprochen intensive Erfahrung, zu der jegliches Fleisch oder Fisch nur gestört hätte. Ein Glas Champagner durfte es aber doch sein und weil von Cedric Moussé welcher zur Hand war, wurde es der. Rübchen und spätburgundisch-meunierhafte Erdigkeit glitten einträchtig über den Gaumen und machten ihn bereit für eine unfassbar zarte Müritzer Forelle mit Kartoffel und Chicorée, die mir beide fast egal waren, angesichts der angegossenen Molke, die mit der Forelle eine Traumkombination abgab.

Danach hatte es die Schwarzwurzel mit den Haselnüssen und dem unglaublich nach schwarzem Johannisbeerstrauch schmeckenden schwarzen Johannisbeerstrauch sehr schwer, vor allem die – ungeschälte! – Schwarzwurzel, die an sich perfekt gegart war und mit dem Strauch eine kluge und raffinierte Verbindung einging, war nach den beiden Aromenschwergewichten (Rübchen; Forelle) einfach nicht intensiv genug und ich hätte sie mir vor den Rübchen gewünscht.

Alsdann musste neuer Stoff her, auf dem Teller und im Glas. Auf den Teller kam ein Armeleutegemüse der Nachkriegszeit, der heute als Star gefeierte Topinambur, mit Blutwurst (mehr als Crumble, nicht als regelrechte Flönz oder aufgeplatze boudin noir) und Petersilie. Wieder drei Zutaten, drei intensive Aromen, eine gelungene Kombination. Von der Blutwurst hätte ich mir mehr gewünscht, erstens weil sie gut geschmeckt hat, zweitens, weil sie es mengenmäßig gegenüber dem Topinambur und der überaus aromatischen Petersilie etwas schwer hatte. Andererseits könnte man sie auch nur als eine Art Salzersatz betrachten, dann wäre ihr Einsatz in der geringen Menge wieder voll gerechtfertigt. Im Glas war es zeit für einen anderen schönen und zwingend empfehlenswerten Champagner aus der mit Freude zu lesenden Weinkarte des Restaurants: Charles Dufour, Bulles de Comptoir No. 3. Ein Champagner, der die Gravitationsverhältnisse im Raum verändert. Muss man erlebt haben.

Sehr erlebenswert war die dann folgende Sellerie-Lauchsuppe mit Lammfettzugabe, schon wieder so eine ebenso simple wie überzeugende Konstruktion. Die wurde gefolgt von Lammnacken mit einer Rosenkohlart, die in sehr unterschiedlichen Größen und sehr unberechenbar zu gedeihen scheint, ich hatte einige Kügelchen babyrosenkohlgroßer Pflänzchen oder Früchtchen oder Blüten oder was der Rosenkophl jetzt eigentlich genau auch sein mag, auf dem Teller und habe mich, obwohl ich sonst nicht zu den Freunden dieses Gemüses zu rechnen bin, sehr am Aroma dieser kleinen Kugeln erfreut. Der Blaufränkisch-Sekt von Uwe Schiefer war dazu eine perfekte Ergänzung und wollte gegenüber dem Champagner nicht abfallen, allein das ist schon Leistung genug. Würdigenswert außerdem: Schiefer und Lamm zum Ausklang des einen Gangs und Schiefer dann mit Holunder, Joghurt und Blütenpollen. Der Holunder hatte nun schon seinen zweiten Einsatz, war aber wieder so naturgetreu und eindrucksvoll, dass ich das nicht übelzunehmen habe. 

Rote Bete, Rose und Hafer verlangte nach etwas noch wieder anderem, Billy entschied sich, alles auf Kystin Cuvée 17 zu setzen und gewann. Was für mich wie Birnenschaumwein mit Haselnuss schmeckte und wegen seiner Nussnoten sogar an Bouzy erinnerte, war Apfel mit Kastanie verschäumt. Irres Zeug und der richtige Abschluss, bevor wegen hässlicher Termine am Folgemorgen der Heimweg unweigerlich anzutreten war, versehen mit einer kleinen Köstlichkeit, nochmal die Botschaft des Abends in sich vereinigend: Berberitzenriegel mit Fenchelsaat. In Sachen dieser kleinen Riegel habe ich bisher nur einen einzigen ähnlich guten Riegel gegessen, der war aus aufgepopptem Amaranth und mit etwas Cranberry.

Fazit: nobelhart & schmutzig isst man nicht mal eben so zu Abend. Man könnte das wohl tun und wenn ich in Berlin wohnte, würde ich das vielleicht sogar tatsächlich tun, vielleicht auch häufiger, insbesondere häufiger als gut ist wahrscheinlich, aber in der Situation bin ich ja nunmal nicht. Mich hat fast am meisten die leise arbeitende Küche und die aufmerksame Bedienung gefreut. Dass kein eitler Schmuckunfug auf dem Teller liegt oder kokett draufdrapiert wird, gefällt mir selbstredend. Billy Wagner und Micha Schäfer bieten, und das ist als meisterstück an understatement gar nicht mehr richtig in Worte zu bringen, eine viel unkomplizierter essbare Küche als das brutal-lokale Programm vermuten lässt, bzw. eigentlich sogar androht (man sieht sich ja im Vorfeld schon irgendwelche harten, holzig-strohigen Heidegräser kauen und mit umgekippter Ziegenmilch runterspülen) – und das, ich muss es nochmal deutlich hervorheben, für läppische 80,00 €.