Nicht nur, dass mein Denken jeden Tag und unausgesetzt um Champagner kreist, nein, mittlerweile habe ich durch den hochleistungshaften Verzehr von Champagner auch das Gefühl, dass Liquor und Rückenmarksflüssigkeit überwiegend bis vollständig aus Champagner bestehen, was wegen der dadurch quasi eingebauten Bandscheiben-Federung eine sinnfällige Erklärung für den von mir seit zigtausend Kilometern nicht bemerkten, aber nach dem glaubhaften Bekunden der gelegentlichen Mitfahrer ebensolange überfälligen und mithin notwendigen Austausch der Stoßdämpfer meines Champagnemobils wäre. Meine Mitwelt hat es da mit dem bemerken freilich sowieso leichter, denn natürlich ist der geballte Unsinn den ich verzapfe ein noch viel treffsicherer Indikator für ein bereits mittelprächtig ausgefaltetes Korsakow-Syndrom. Doch habe ich luzide Intervalle, Momente höchster Klar- und Reinheit, hervorgerufen durch die Nachbetankung mit teilweise überirdischem Champagner, oder doch zumindest Champagner, der mich ruckartig aus dem üblichen Säuferirrsein reisst, profuses Schwitzen und andere vegetative Entgleisungen sind in diesen Augenblicken allein auf den Champagner zurückzuführen. Einige der zuletzt gehabten will ich hier kurz vorstellen. Den Herrschaften von Besserat de Bellefon habe ich schon vor langer Zeit empfohlen, die zuverlässige Gamme sahnemoussiger Cuvée des Moines Champagner um eine ausgemachte Prestigecuvée zu erweitern, um dem sonst seltsam unvollständig wirkenden Portfolio so etwas wie einen Schlußstein ins Gebälk zu pflanzen. Mit der Cuvée B de B ist man meiner immer drängender Aufforderung dann endlich gefolgt, bzw. mit meinem Wunsch und Begehren hatte das natürlich alles gar nichts zu tun und deshalb soll es an dieser Stelle auch um einen ganz anderen Champagner gehen, den ich bei einem Besuch des Hauses in Epernay dabeihatte: Besserat de Bellfon 1942. Champagner aus einer Zeit also, in der das Haus noch in Ay ansässig war. Da die eigenen Bestände bei Besserat nur bis in die ca. frühen Achtziger zurückreichen, war die Freude natürlich groß und umso größer, als der Champagner sich in sehr guter Verfassung zeigte. Erstaunlich frisch, wenngleich ohne jegliches Sprudeln, mit viel agrumes, nur leicht maderisiert und wenn ich blind hätte tippen müssen, eher an einen 1973er erinnernd. Was hat mich in den letzten Wochen sonst noch fasziniert, hingerissen und/oder begeistert? Tarlant ist eine einzige große Ideenwerkstatt und eine Champagnermanufaktur, in der Intellekt und Heiterkeit keine Widersprüche sind. Ein ums andere Mal kann ich mich für den Brut Zéro begeistern, so auch bei meinem letzten Besuch im August 2015. Und den im Frühjahr vorgestellten 2003er La Matinale durfte ich bei der Gelegenheit auch noch einmal unter die Lupe nehmen: Trüffelduft, Kaminholzscheite, Honig. Milde Säure, tauüberglänzte Blüten, Robustheit und Zebrechlichkeit, die Frucht und der Lohn einer frühen, die Säure rechtzeitig sichernden Lesetätigkeit im Hitzejahr 2003. Krug Grande Cuvée und Krug Millésime 2000 haben im Blindtest ein vorhersehbares Ergebnis geliefert, die Grande Cuvée schnitt einen Hauch besser ab, als der Jahrgang, dessen Eigenheiten hervorstachen, der aber vor allem rasend frisch wirkte und dessen Zitrusfrucht ihn höchst alert wirken ließ. Ganz charakteristisch, mit enorm viel Walnuss und Apfel, ganz wie man es erwarten darf, nur eben schon schön gerundet und etwas zugänglicher als der Jahrgang, wirkt die aktuelle Ausgabe der Grande Cuvée. Beide gehören, aller gelegentlich auftauchenden Negativkritik zum Trotz, zu den ganz großen Champagnern und ich denke, bei mir wird die Grande Cuvée stets den Vorzug genießen. Richard-Dhondt Egal, aus welcher Richtung man kommt, an Richard-Dhondt führt in Dizy kein Weg vorbei. So ganz hundertprozentig ist das in der Champagnerwelt noch nicht angekommen. Der Verbreitungsgrad von Richard-Dhondt ist in Deutschland deshalb noch eher dürftig. Schade. Den Grand Cru Extra Brut 2007, 50PN 50CH empfehle ich hier erstmals, er dürfte für Fans des reiferen, weinigeren Stils eine willkommene Abwechslung zu den bekannten Größen etwas weiter westlich sein. Brioche und die dazugehörige feine Süße neben einer guten Portion Autolyse und Holzeinsatz, machen diesen Champagner zu einem kleinen Juwel, das den Vergleich mit größeren Gemmen nicht scheuen muss. Ob das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren mit dem Erzeuger etwas zu tun hat, ist mir nicht bekannt. Ziemlich hohe Zahlen in Punkten ausgedrückt könnte ich mir hier aber als machbar vorstellen. Die Blanc de Blancs Grand Cru Cuvée Solera Brut Nature, die alles abgreift, was irgendwie Mode ist oder gefragt sein könnte, sagte mir zwar nicht so sehr zu, war aber mehr als ordentlich gemacht und wird einige Chardonnaytrinkerherzen im Sturm erobern können. André Roger Millésime Grand Cru 2008, Ay. Wie auf der Galaportechaise hereingetragen wirkt dieser Champagner zunächst. Würdevoll, getragen, langsam. Mancher würde vielleicht auch sagen bräsig. Aber nur beim ersten flüchtigen Eindruck. Phenolisch, medizinal, mit Kastanienhonig ist der und somit kaum geeignet, sofortige Begeisterung zu erzeugen. Aber dann kommt der Champagner mit einer dermaßen flotten Säure aus dem Keller, dass man sich wie umgerempelt und sodann betäubt vorkommt, ich jedenfalls wusste gar nicht, wie mir geschah. Und das, nachdem im selben flight schon Grand Siècle, Grande Cuvée und Grande Année 2005 vorbeiparadiert waren. Spitzenmäßig, für mich knapp vor Bollinger und Laurent-Perrier. Ob auf lange Sicht, mag mal dahinstehen – jetzt jedenfalls saustark. Weltklasse ist auch immer wieder Georges Laval aus Cumières. Leider sind die Mengen der Lagenchampagner absurd klein und schon die regulären Champagner sind rar genug, um gehobene Preise zu rechtfertigen. Doch lohnt sich die Investition in jedem Fall. Der Cumières Premier Cru Brut Nature ist eine Lektion in Säure und Zitrusfrüchten, bei gleichzeitiger Zahnfleisch- und Magenfreundlichkeit. So forsch, beinahe frech, aber nicht ungezogen, selbstbewusst, mit Führungsqualitäten, jeder Menge Kumqat, Grapefruit, Nektarine und dem Fruchtfleisch von den großen türkischen Pfirsichen (die mit der rauehn Raphe scroti), dennoch wirkt der Champagner ungestresst, ungekünstelt und so. als sei er ohne menschliches Zutun entstanden.