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Tag Archives: louis roederer cristal

Kleines Champagnerflorilegium der letzten Wochen

Bei verschiedenen Gelegenheiten mitnotierte Champagner, von ganz klein bis ganz groß, von enttäuschend bis überraschend.

1. Bernard Girardin Cuvée BG

52CH 35PM 13PN
Erfrischend, zitronig, leicht, aber noch griffig. Eine unbeschwerte Morgenserenade und mehr als nur ein Frühstückschampagner zum getrüffelten Ei.

2. Paul Dangin Carte d'Or

Drittelmix

Weniger ausdrucksvoll, in der Nase mehr Cerealien als Brioche, im Mund sauerampferig. Mich beschäftigt bei dieser Art von Champagner immer die Frage, ob der Champagner Flaschenvarianz zeigt, die ins fehlerhafte geht, oder ob dieser "Stil" gewollt ist. Ich fürchte, es soll sich dabei um einen Stil handeln. Für Dangins Carte d'Or nehme ich, da es meine erste Begegnung war, Flaschenvarianz an.

3. Varry-Lefevre Premier Cru

90PN 10CH; Ecueil
Süffig, mit Apfel und Mirabelle, ingesamt auf der gelbfruchtigen Seite; schon mit bemerkenswerter Reife, wobei ich natürlich nichts über den reserveweinanteil weiß. Und siehe da, ein weiterer Erzeuger aus Ecueil, den man auf dem Plan haben darf.

4. Collard-Picard

50PN 50PM
Frisch, glatt, säuerlich-schlank, Haselnuss und zitronige Sauce Gribiche, quirlig, aber etwas kurz. Zwischen diesem Einstiegschampagner und der Spitzencuvée des Hauses, den herrlichen Les Archives, klafft noch ein ziemlich großer Spalt. Schön wäre es, wenn sich die einfacheren Cuvées künftig weiter nach oben orientieren könnten.  

5. Henin-Delouvin Brut Tradition
Sehr überrascht hat mich dieser Chez Max getrunkene Standardbrut des 7-ha-Erzeugers aus Ay. Großzügig, aber nicht unfokussiert, schmiegt sich bis in die letzte Gaumenfalte. Das Latexkleid unter den körperbetonten Textilien.

6. Dourdon-Vieillard Brut Tradition
Noch eine Überraschung, diesmal von Fabienne Dourdon aus Reuil. Obstig. Von Peter Maria Schnurr aus dem Leipziger Restaurant Falco habe ich wenig später molekularküchenangehauchte Soja(?)/Joghurt-Multivitamin-Drops bekommen, die so ähnlich schmeckten. Trotz gewisser Anklänge an den fruchtigen Stil mancher großen Häuser kein blockbuster, dafür sehr ordentliche Ware, die sich in starkem Umfeld bemerkbar zu machen verstand.

7. Lilbert Fils Blanc de Blancs Brut Grand Cru 2002
Orange, Marzipan, Bitterschokoladenganache, Rum. Für einen 2002er vielleicht etwas überladen und man muss sich fragen, wie lange das Grundgerüst dieses Champagners die Aromenlast noch tragen kann. Ich bin aber bereit, das Lagerrisiko einzugehen.

8. Coessens L'Argillier Blanc de Noirs

Einer der Aube-Lieblinge in der französischen Champagnerkritik. Hierzulande völlig unbekannt. Gewöhnungsbedürftiger Stil, wenn man Aube mit Behäbigkeit gleichzusetzen gewohnt ist. Für mich auf Vallée de la Marne Grand Cru Niveau und für die dortigen Erzeuger ähnlich gefährlich, wie der fidèle von Vouette & Sorbée.

9. Tarlant Cuvée Louis, dég. 2008

Dieser Champagner ist teilweise in Frankreich noch für 39 EUR zu bekommen, ab Gut kostet er jetzt 48 EUR. Das ist lachhaft wenig, wenn man sich überlegt, dass es eine der längsteingeführten Winzer-Prestigecuvées ist, die, unvermeidliche Flaschenvarianzen hin oder her, außerdem zu den besten gehört.

10. Diebolt-Vallois Rosé
Den Rosé von Jacques Diebolt habe ich nur ganz selten getrunken, für mich lag es einfach nie nahe, mich näher damit zu beschäftigen. Dass ich mir damit ein fruchtiges Vergnügen erster Klasse abgeschnitten und selbst verwehrt habe, ist mir erst jetzt klargeworden. Der Champagner in der schlichten, diebolttypisch rosenverzierten Aufmachung ist so erfrischend wie ein Himbeerparfait.

11. Bernard Tornay Blanc de Blancs 2000

Für einen Bouzyerzeuger untypisch und blind trotzdem nicht ganz leicht zu erkennen. Hatte ich etwas älter als 2000 getippt, ein gut erhaltener 98er oder 99er dürfte so schmecken. Der Champagner wirkte wie ein Zwölfjähriger, der seinen ersten Tag im Internat verbringt. 

12. Vignon Père et Fils Blanc de Blancs Grand Cru Les Marquises

Reiner 2009er Chardonnay von ca. 30 Jahre alten Reben, Vinifikation teils im Stahl, teils im Fass, mit 5 g/l dosiert; ungeschönt, unfiltriert; 1500 Flaschen. Das Ergebnis ist recht prosaisch, eine aufgeklärte, unverdorbene Marquise. Klare Zitrusfruchtorientierung mit minimal exotischem touch und nur wenig Hefe.

13. Alain Thienot Rosé NV

35CH 45PN 20PM, Assemblagerosé mit 7% Ay Rouge, von alten Reben. Ca. 36 Monate auf der Hefe, dann mit 10 g/l dosiert.

Mit ca. einem Jahr Flaschenreife ist aus dem stimmigen Rosé ein richtig guter, saftiger, schnittiger Rosé geworden. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn viele Rosés sind auf schnelle Trinkbarkeit getrimmt. Dieser nicht, selbst wenn er schon jung gut getrunken werden kann.

14. Jean-Pierre Launois Brut Blanc de Blancs
Chardonnay aus Le-Mesnil. Mehr muss man fast nicht sagen, denn das was man von Le-Mesnil erwarten darf, bietet der Blanc de Blancs von Jean-Pierre Launois. Dabei pflegt er einen stahligen, ziemlich nüchternen Stil, dem eine Spur Holz vielleicht gar nicht schlecht zu Gesicht stünde.

15. V. Delagarde Brut Rosé

Delagarde ist der neue Delozanne. Und den – gar nicht soo – alten Yves Delozanne wirds freuen. Seine Champagner waren ja schon immer so etwas wie kleine Klone bekannterer Häuser; so ähnlich wie die Parfums die man in Grasse bekommen kann und die in Aufmachung und Duft den Weltmarken beim ersten Reinschnuppern immer erstaunlich ähneln. Mir gefiel der Rosé nicht schlecht, wenn man ihm keine Gelegnehit gibt, warm oder alt zu werden, kann man es gut mit ihm aushalten.   

16. Michel Turgy Blanc de Blancs Grand Cru 2002

Der Salon unter den Winzern von Le-Mesnil, so wird er ja adressiert. Das ist weder falsch noch richtig. Im Stil Salon tatsächlich nicht unähnlich, nur früher zugänglich und genau da liegt der Unterschied. Die Champagner haben ein ganz anderes Reifeprofil. Aber das mag bei einem Preisunterschied von ca. 120 EUR dahinstehen- Die Jahrgänge von Turgy jedenfalls sind ausgreifend, haben tiefe, dunkle, urwüchsige Säure und nichts ist ihnen ferner als tändelnde Fruchtigkeit.

17. Louis Roederer Cristal 2002

Frisch schmeckt er, der Cristal, auch süß; nicht nach pampiger Dosagesüße, sondern nach Reifesüße. Die wiederum ließ sich widerstandslos von den Trüüffelgnocchi aus dem Essener Hause Frattesi den Gaumen hinab entführen. Der weinige Geschmack im Mund schaukelte noch sanft aus und hinterließ einen weiterhin guten Eindruck vom jetzt nicht mehr ganz aktuellen Cristal, dessen Nachfolger mir, wie oft beim Cristal, schon jetzt besser schmeckt.

18. Dom Pérignon 2002

Im besten Dom Pérignon seit dem 1996er kommen jetzt pilzige Töne zum Vorschein, die zu dessen Reife dazugehören, wie große Reifen zu Monstertrucks. Passt wunderbar zu Sashimi, Datteln, Backpflaumen und übrigens auch zu Pimientos de Padron.

 

 

 

 

 

Verschnaufen in Berlin: Aigner am Gendarmenmarkt und The Regent

Im Französischen Dom begann einer der für mich denkwürdigsten Streifzüge durch das nächtliche Berlin. Vor, während und nach dem Festakt wurde ausnahmslos Champagner serviert, der Abend endete nach einem Ausflug zur Anschlussparty der zu dieser Zeit stattfindenden Erotikmesse Venus im Club Felix mit einer Lanson Demi-Sec 1989 Magnum, die traulich in der Raucherlounge des Adlon verzehrt wurde. Seitdem fühle ich mich in der Nähe des Gendarmenmarkts und im Adlon immer sehr wohl. 

Aigner:

Im Aigner fühle ich mich doppelt wohl, weil ich einige meiner – nicht unbedingt kulinarisch – angenehmsten Erlebnisse meiner Studienzeit der Haupt- und Residenzstadt Wien verdanke. Sehr zu loben ist der aufmerksame, unverkrampfte Service – in dieser Preisklasse nur selten anzutreffen. Die Weine stammen großteils vom betriebseigenen Weingut Horcher in Kallstadt, die Speisen sind nicht sehr ausgefallen, dafür stammt das verwendete Viehzeug, Fische, Gemüse usw. aus der Region.

1. Königsberger Klopse

Dazu gutes, nur leicht stückiges, außerdem reichlich Kartoffelpurée; Kapern, Rote Bete. Die Klösse waren etwas mau und ganz so rosa hätten sie innen für mich nicht sein müssen, mir hätte die sonst gute, vor allem gut sämige Sauce etwas peppiger, säuerlicher sein dürfen.

2. Wiener Schnitzel aus dem Milchkalbsrücken

Mit Kartoffelsalat wie in der Haupt- und Residenzstadt. Ausgezeichnet, keinerlei Beanstandung.

3. Brownie mit flüssigem Schokokern und Cassissorbet

Fluffig, nicht zu mastig, mit eher dünnen Wänden. Sehr gutes Cassissorbet, das viel besser als das eigentlich hierzu angebotene und für meine Begriffe elend langweilige Vanilleeis zum Brownie passt.

Zum Essen passte das gute Krusovice Pilsner.

Fazit: Wenn man zum verschnaufen während einer terminlich dichtgepackten Berlintour Mitte nicht verlassen kann und dort weder im Borchardt noch in einem der Lutter & Wegener Läden sitzen mag, sitzt man gut bei Aigner am Gendarmenmarkt und kann sich dort bemerkenswert günstig verpflegen.

 

The Regent.

1. Im Hotel The Regent auf der anderen Straßenseite gab es sodann zum Verdauen eine kleine Verschnaufpause mit Perrier-Jouet Grand Brut (wird für stolze 21,00 €/Glas ausgeschenkt). Nachdem die erste Ruhe wieder eingekehrt war, habe ich mir in der etwas altmodisch wohnzimmerartig-bequem eingerichteten Bar mit einer sorgfältig zubereiteten Bloody Mary die Zeit bis zum Abend etwas verkürzt und bin dabei auf den im Fischers Fritz angebotenen Cognac Lhéraud Vintage 1950 gestoßen, kein must have, aber begrüßenswert, dass es den im Glasausschank gibt (68,00 € das Glaserl). Für 255,00 €/Glas gibt es einen Lhéraud Grande Champagne 1900 und wer unbedingt will, kann sich für 255,00/Glas zum Vergleich einen 1898er Bresson Fine Champagne kommen lassen. Die Champagnerauswahl, so muss ich bemängeln, gefiel mir weder nach Art und Umfang, noch nach den Preisen. Leider konnte ich dazu weder Christian Lohse noch Sommelière Lenckute befragen. Deshalb hier nur eine Kurzfassung.

2. Es gibt Billecart-Salmon (95,00 € für den weißen Standard-Brut, Nicolas-Francois oder Elisabeth Salmon gibt es leider nicht), Bollinger (1982er R.D. kostet 990,00 €, der 1990er R.D. kostet 680,00 €, die schöne 1996er Grande Année en Magnum kostet 615,00 € und wäre meiner Meinung nach noch empfehlenswert; sehr schade finde ich, dass es keine neueren R.D.s gibt), Gosset (der feine Celebris Brut Rosé 1998 kostet erträgliche 220,00 € und ist im Restaurant die beste Wahl für einen ganzen Abend; bei dem Preis außerdem die beste Wahl aus der gesamten Champagnerkarte), Krug (die Grande Cuvée schlägt mit 400,00 € zu Buche, der exzellente Vintage 1996 wird für 660,00 € geöffnet), Moet (happige 95,00 € kostet der Brut Impérial, mit 950,00 € ist die 1996er Dom Pérignon Oenothèque auch nicht eben billig zu bekommen), Perrier-Jouet (mit 750,00 € ist der in Deutschland sehr sehr seltene Belle Epoque Blanc de Blancs die interessanteste und verglichen mit dem Marktpreis auch noch günstigste Wahl für den, der sich um Champagnerpreise sonst nicht groß scheren muss), Roederer (Cristal Blanc kostet 390,00 €, den Rosé gibt's für 890,00 €), Ruinart (der jahrgangslose Rosé steht mit 115,00 € in der Karte), Taittinger (100,00 € werden für den Standardbrut fällig) und Veuve Clicquot (schön ist der Demi-Sec für 105,00 €, die Grande Dame 1998 kostet dann schon wieder 300,00 €).

3. Fazit: Nur einige sehr wenige Champagner sind zu annehmbaren Preisen in der Karte, ausgefallene Champagner finden sich dort überhaupt nicht, kleine Winzer Fehlanzeige. Schade. Beim nächsten Besuch dann mehr, vor allem zur Küche.

Champagne Cattier und Armand de Brignac

 

In Chigny-les-Roses, das früher Chigny-la-Montagne hieß, ist Champagne Cattier zu Hause und erzeugt eine beeindruckende Menge unterschiedlicher Cuvées in einem an die ganz großen Häuser angelehnten Stil. Außerdem fertigt Cattier jährlich ca. 50000 Flaschen Armand de Brignac.

 

I. Cattiers reguläre Linie

1. Premier Cru

40PM 35PN 25CH, mit 10 g/l dosiert.

Konventioneller, ziemlich süßer Champagner leichter Bauart mit der zaghaften Exotik von Dosenfrüchten, die es beim Chinesen als Dessert gibt. Dazu freundliche Trockenkräutersträusschenwürze und ein bisschen Hefe.

2. Blanc de Blancs

Mit 10 g/l dosiert.

Munterer, leichter Champagner mit kandiertem Apfel und Mandelmilch.

3. Millésime 2003

Drittelmix, mit 10 g/l dosiert.

Auch hier wieder Exotik. Mango-Papaya, Hefe, jahrgangstypische Reife, wenig Säure.

4. Rosé d'Assemblage

50PN 40PM 10CH, 10-11% Rotweinzugabe von alten Pinot-Reben, mit 10 g/l dosiert.

Etwas Bierhefe, Brandy, Erdbeerbowle und Hopfen. Schmeckt wie Edle Tropfen in Nuss. Erstaunlich mäßige Süße und ein feinsäuerlicher Ausgleich.

5. Brut Absolu

45PN 25PM 30CH, 08er Basis; ohne Dosagezucker

Schlanker einfacher Brut Nature ohen bemerkenswerten Persönlichkeitskern.

6. Clos du Moulin, Flaschennr. 9341/9781

50PN 50PM, aus den Jahren 2003, 2002, 2000, mit 10 g/l dosiert

Der berühmte Clos du Moulin hat nur 2,2 ha, schon die berühmte Veuve Clicquot kaufte hier Trauben ein. Leider Kork.

 

II. Armand de Brignac

Auf drei Cuvées ist das Programm der hippen Zweitmarke von Cattier beschränkt, ob und wann eine reinsortiger Meunier hinzukommt, ist noch nicht ganz klar. Jede Menge Publizität erfuhr der zeitweise als Cristal-Nachfolger annoncierte Bling-Bling-Champagner, als die Dallas Mavericks eund um Dirk Nowitzki und die NHL-Eishockeychamps der Boston Bruins ihren jeweiligen Meisterschaftssieg mit Armand de Brignac begossen, teilweise aus dem spektakulären 30 Liter fassenden Flaschenformat "Midas".

1. Gold

40PN 40CH 20PM aus den Jahren 2005, 2003, 2002

Der Vorgänger setzte sich noch aus den Jahren 2003, 2002 und 2000 zusammen. Der Übergang zum neuen Lot ist fugenlos gelungen. In der Nase kurz nach dem öffnen Chlor und Alkohol, dann zeigt sich der bekannt poppige, bzw. hip-hoppige Champagner: füllig, fluffig, weich; säurearm.

2. Blanc de Blancs

Chardonnay aus der Côte des Blancs und der Montagne de Reims, Jahrgänge 2005, 2003, 2002

Der Blanc de Blancs ist von seiner zusammensetzung her gegenüber dem letzten Mal unverändert geblieben. In der Nase war bei diesem Champagner nicht viel los, das scheint sich jetzt langsam zu ändern. Geißblatt, Campher und Flint, Salbei und Kamillentee. Im Mund wenig Säure und eher kurz. Scheint sich zu entwickeln, ich bin gespannt auf die nächste Stufe.

3. Rosé

50CH 40PN 10PM, 12% Rotweinzugabe aus Pinot-Noir und Pinot Meunier von alten Reben.

Der Rosé wird in der nächsten Auflage "dry" dosiert sein, was gut zu ihm passt. In der jetzigen Version, die es noch bis zum Sommer 2011 gibt, ist er voller sexy Wildkirsche und noch so gut wie das erste Mal; bzw. beim ersten Mal.

Krug 1982 vs. Cristal 1989 in Steinheuers Restaurant

 

Unaufgeregten und souveränen Weinservice ohne Punkteneurose, unnötiges Flaschenöffnungstamtam und Abverkaufsdruck bestimmter Pflichtweine findet man leider nicht sehr oft. Findet man ihn dann doch, kann man sehr froh sein. Ich bin sehr froh, dass ich mit Sebastian Bordthäuser einen besonders angenehmen Repräsentanten des Sommelierstands – früher im Düsseldorfer Monkeys West und nun – in Steinheuers Restaurant praktisch vor der Nase habe. Die dortige Weinkarte ist nicht reich an Champagnerspezialitäten, bietet aber eine ganze Reihe lohnender Trouvaillen. Wer sich für Dom Pérignon erwärmen kann, wird von der ansehnlichen Reihe an Oenothèques begeistert sein, Freunde von Billecart-Salmon kommen hier ebenso auf ihre Kosten, wie die große Gruppe derer, die den Winzerchampagnern von Egly-Ouriet verfallen sind. Die Preise sind nicht überzogen, wenngleich man natürlich nicht erwarten darf, eine Oenothèque in der Gastronomie für unter 500,00 €/Fl. zu bekommen. Wer bereit ist, für eine Flasche zwischen 135,00 € und 200,00 € anzulegen, darf sich z.B. über einen 1990er Nicolas-Francois Billecart freuen, den 1989er Cristal gab's für, ich will nicht sagen: lachhafte, aber eben für 'nur' 189,00 €. Gab's, denn es war die letzte Flasche!

 

A. Die Weine:

I. Krug Vintage 1982

Jancis Robinson gibt 20/20, womit sie nicht weit weg von der Wahrheit liegt. Die erste Sensation, noch bevor die Flasche überhaupt an den Tisch kam, war der Schmunzelpreis, zu dem sie verkauft wurde. Hätte mich nicht noch der Cristal aus der Karte heraus so bezwingend angesprochen, wäre ich bei diesem tatsächlich dicht an der Perfektion rangierenden Champagner geblieben. Was mich bei Krug immer wieder fasziniert, ist seine geheimnisvolle Doppelnatur, die sich beim 82er besonders deutlich bemerkbar machte: kaum ein anderer Champagner schafft es, gleichzeitig so dicht, konzentriert und wuchtig, ja mächtig zu sein, dabei aber behende und leicht über die Zunge zu schweben. Solange man ihn solo trinkt, stellt man diese ganz gewisse Janusköpfigkeit gar nicht fest. Das ändert sich, sobald man einen Vergleichschampagner im Glas hat.

II. Louis Roederer Cristal 1989

Unter Tränen brachte Sebastian seine letzte Flasche vom 1989er Cristal an den Tisch. Schon von Ferne hörte ich das vielversprechende Folienknistern und als sie dann da stand, war die Spannung greifbar. Denn den 1989er Cristal habe ich nach meiner Erinnerung noch nie mehr als nur schlückchenweise probieren können. Vom 1988er und vom 1990er Cristal weiß ich hinlänglich, wie sexy die beiden sein können. Der professionell anturnende 88er auf der einen Seite, der molligere und rubensartiger weiche 90er auf der anderen Seite sind schon ein prima Duo. In die Mitte, aber eher auf der Seite des 1988ers fügte sich der 1989er dem – nun – Trio ein.

 

Außerdem:

III. Haart, Piesporter Goldtröpfchen Auslese 2001

Leichtfruchtig, moselanische Lebensfreude mit verschmitztem Lächeln. Saftig, apfelig, mit Duftnoten von Tee und gepufftem Reis.

IV. Jochen Dreissigacker, Bechtheimer Hasensprung Auslese, Jg. ?

So fett wie die Farbe schon andeutete, war der Wein. Mir war das zu viel Schmelz, zu viel auch von der überreif und überkonzentriert süß-sauren, etwas unbeweglichen Art.

V. Weinrieder, Hölzler, St. Laurent Roter Eiswein 2008

Rötlich; jodig, fast salzig. Im Mund dann derbfruchtig, wie Acerola, Gojibeere, Wildkirsche, Blutorange mit leicht tanninigem grip. Starker Wein mit einem sahnigen Hauch, der nur leider etwas rumpelig und unelegant abgeht, was aber vielleicht in der Natur des St. Laurent liegt.

 

B. Das Essen:

I. Amuse Gueule: Tatar mit Crème Fraîche und Kaviarhaube – Aalsud mit Blutwurst-Chip – Spanferkelwürfel auf Grünkohl

Der Blutwurst-Chip hätte ruhig knuspriger sein dürfen, der Aalsud war mir etwas zu mild. Das Tatar war hingegen gut und verband sich über die Crème Fraîche gut mit dem Kaviar. Der feine Grünkohlsud tat es ihm mit dem Spanferkel nach.

II. Kalbskopfvariation als Gruß aus der Küche: als Praline auf Belugalinsen – Zunge mit Tomatenconfit – als Carpaccio mit gepufftem Speck

Die Praline mit ihrer schönen Konsistenz und die Linsen gefielen mir am besten; die großzügig geschnittene Zunge mit dem Tomtenconfit war sehr puristisch gehalten und bot mir weder im positiven noch im negativen Angriffspunkte; das Carpaccio gefiel mir sehr gut und über den gepufften Speck brauche ich ja gar nicht reden, dafür bin ich immer zu haben.

III. Landei mit Culatello und Idiazabal

So klein es auch war, so gut schmeckte es doch, dieses magische Ei.

IV. Jakobsmuscheln mit Périgord-Trüffelkruste und zweierlei Lauchcannelloni

Wie der Lauch seine hier erreichte perfekte Konsistenz bekommt, ist mir ein Mysterium, kann es aber ruhig sein, solange ich ihn in Steinheuers Restaurant nachordern kann. Die Jakobsmuscheln haben vom Trüffel profitiert und ohne hätte ich sie auch gar nicht haben mögen, soo wahnsinnig gern esse ich die nämlich bekanntlich auch wieder nicht.

V. Sot l'y laisse mit Froschschenkel, Erbsen und Verbene

Ausschlaggebend war für mich bei diesem Gericht in erster Linie die Verbene, denn ich liebe ihr Aroma. In zweiter Linie dann fand ich es lustig und sinnig, das froschgrüne Thema mit den Erbsen mit freundlicher Ironie aufzunehmen. Dass meine Entscheidung goldrichtig war, wusste ich schon, als ich den Teller nur ansah. Bombensicher war die Sache dann, nachdem ich alles wegvertilgt hatte, wobei ich tatsächlich kurz überlegt habe, mir davon noch einen Teller kommen zu lassen.

VI. Rehrücken mit Lorbeer, Kohlrabi und Pimientojus

Traumhaft zart, mit der gewünschten Mürbe und dem ersehnten Wildaroma kam das Reh auf den Teller, auf den Kohlrabi kam es daneben nicht mehr an. Gemundet hat auch der Pimientojus.

VII. Bluttaube nach Schnepfenart, mit Lebercroûtons, Roter Bete, Speck und gebutterter Tauben-Consommé

Einen Knusperschlegel von der Schnepfe, von der ich mir erst via google ein Bild vergegenwärtigen musste um zu wissen, welches Lebewesen seine wertvollen Proteine für mich dahingegeben hat, futterte ich weg als säße ich bei KFC. Mit derselben besinningslosen Fresslust hätte ich auch noch den rest vom Teller verspeist, wenn ich mir nicht scharf innerlich Einhalt geboten hätte. So kam ich in den langsamen, würdigen Genuss der unnachahmlich saftigen Bluttaube, deren qualvoller Erstickungstod dem Vernehmen nach eine größere Menge vom Blut an den Muskeln des Körpers belässt, was nachher eine gute Kombination mit der Roten Bete abgibt und dringend nach Pinot ruft, den ich mir in Form eines Schlückchens vom guten Krug eigens dafür aufbewahrt hatte.

VIII. Côte de Boeuf mit Wasabi-Schalottenbutter, Aniskarotten und falschem Sellerie-Markknochen mit Ochsenschwanzragout-Füllung

Rind mit Wasabi war schön, sehr schön dazu waren die feinen Aniskarotten. Der aus einer ausgehöhlten Sellerie geschnitzte Markknochen war außerdem mit köstlichem Ochsenschwanzragout gefüllt, für das ich in dieser Form eine ausgeprägte Schwäche habe.

IX. Vacherin Mont d'Or im Belanakartoffelmantel gebacken, dazu Endivie und schwarzer Trüffel

Die wesentliche Daseinsberechtigung des Vacherin Mont d'Or ist seine famose Backofenverwendbarkeit. Statt ihn stumpf in den Ofen zu schieben hat Meister Steineheur sich einen Kartoffelmantel dazu einfallen lassen, der den schlichten Käse zusammen mit dem clever zugefügten Trüffel in den Propylon des guten Geschmacks versetzte.

X. Gewürz-Omelette "Surprise" mit Quittenvariation und Bereberitze

Die Surprise war ein Eis, auf das ich auch hätte verzichten können, die festen und die sämigen Quitten trafen meinen Geschmack schon viel besser und pfeilgrad den sweet spot fand die Berberitze.

XI. Pâtisserie: Zimtblüte, Ingwer und Engelwurz

Die Kleinigkeiten bildeten den perfekten, essbaren Übergang zum Cognac.

Abschluss: Cognac Hennessy Paradis

Dieser sehr anspruchsvolle Cognac nahm die Aromen von Zimtblüte, Ingwer, Engelwurz auf und warf sie zusammen mit Spekulatius, Nelke, Nüssen, Blutorangen, Iris, Leder, Trüffel und einer dichtgepackten Salve weiterer, auch hitzigerer Düfte zurück. Sehr sehr viel Luft und ein Glaswechsel waren erforderlich, um dem Cognac noch im Verlauf des Restabends überhaupt einige gelockerte, zwanglosere, weniger kompakte und ultradichte Noten zu entlocken.  

Das schreiben die anderen: Patrick Dussert-Gerber

Der aktive Autor hat sich in der aktuellen Ausgabe von "Millésimes" mit seinem Champagner-Classement für 2010 zu Wort gemeldet. Nicht zur Unzeit, wie ich meine, denn Zeit für Champagner ist bekanntlich immer – nicht nur kurz vor Weihnachten. Also, was schreibt er denn? Zunächst mal muss man seine Classements kennen. Darin unterscheidet er zwischen erst-, zweit- und drittklassifizierten Weinen. Diese Classements stellt er für jede Weinbauregion gesondert auf, d.h. ein erstklassifizierter Champagner unterliegt den Regeln seines Champagner-Classements und ist insofern nicht vergleichbar mit einem von ihm erstklassifizierten Bordeaux. Innerhalb der jeweiligen Classements herrscht nochmal eine Hierarchisierung, wobei Dussert-Gerber im Champagner-Classement jede Klasse nochmal in kräftige und elegante Champagner unterteilt. Dabei fließen Werte wie Reifevermögen, Preis-Leistungs-Verhältnis und Kontinuität der letzten Jahrgänge einer Cuvée ein. Wer also in der Spitze eines Classements steht, dem kommt eine gegenüber den nachfolgenden Weinen herausgehobene Bedeutung zu.

Neu hinzugefügt hat er die folgenden Champagner (A steht jeweils für die Gruppe der körperreichen Champagner, B für die eleganten Champagner):

AVENAY-VAL-D'OR, CHAMPAGNE LAURENT-GABRIEL, 2ème A

AY , CHAMPAGNE GOSSET, 1er B

BOUZY, CHAMPAGNE MAURICE VESSELLE, 2ème A

CHAMERY, CHAMPAGNE PERSEVAL-FARGE, 2ème B

CHIGNY-LES-ROSES, PHILIPPE DUMONT, 2ème A

CHOUILLY, CHAMPAGNE LEGRAS ET HAAS, 2ème B

COURTERON, CHAMPAGNE FLEURY, 2ème A

CRAMANT, CHAMPAGNE P. LANCELOT-ROYER, 3ème A

DAMERY, CHAMPAGNE DANIEL CAILLEZ, 2ème B

DIZY, CHAMPAGNE VAUTRAIN-PAULET, 2ème A

EPERNAY, CHAMPAGNE ELLNER, 1er A

LE BREUIL, CHAMPAGNE PIERRE MIGNON, 2ème B

POUILLON, CHAMPAGNE BOURDAIRE-GALLOIS, 2ème A

RILLY-LA-MONTAGNE, CHAMPAGNE ANDRE DELAUNOIS, 2ème B

Um einen Eindruck von seinem Classement zu bekommen, ist es hilfreich, sich seine erstklassifizierten Champagner anzusehen.

In der Gruppe A, bei den körperreichen Champagnern, finden wir:

CHARLES HEIDSIECK (Millénaire)
KRUG (Grande Cuvée) (r)
MOËT ET CHANDON (Dom Pérignon)
POL ROGER (Sir Winston Churchill) (r)
TAITTINGER (Comtes de Champagne) (r)
ALAIN THIÉNOT (Grande Cuvée)
DEVAUX (D) (r)
ELLNER (Réserve) (r)
PHILIPPONNAT (Clos des Goisses)
(BOLLINGER (RD))
CANARD-DUCHÊNE (Charles VII)
RENÉ GEOFFROY (Volupté)
LAURENT-PERRIER (Grand Siècle)

In Gruppe B, bei den eleganten Champagnern, finden wir:

GOSSET (Grand millésime) (r)
PIPER-HEIDSIECK (Rare)
ROEDERER (Cristal)
DE SOUSA (Caudalies)
DE TELMONT (O.R.1735)
Pierre ARNOULD (Aurore)
PAUL BARA (Réserve) (r)
Pierre PETERS (Spéciale Millésime)
RUINART (Dom Ruinart) (r)
DE VENOGE (Princes)

Was sagt uns das? Das sagt uns, dass Monsieur Dussert-Gerber einen, sagen wir mal: sehr eigenständigen Gaumen hat. Wie sonst ist es zu erklären, dass er Dom Pérignon, den Inbegriff der Leichtigkeit und des schwerelosen Genusses in die Gruppe der körperreichen Champagner einordnet? Liegt es vielleicht daran, dass er nur die klobigeren, angestrengteren Jahrgänge aus den späten Neunzigern getrunken hat? Wir wissen es nicht. Auch eine Erklärung über die Jahrgangschampagner aus dem Hause Krug bleibt der Meister schuldig. Doch der Seltsamkeiten noch nicht genug, finden wir unter den erstklassifizierten Champagnern Häuser wie Devaux, Ellner und Canard-Duchêne, nicht jedoch die Grande Dame von Veuve Clicquot, keine Champagner aus dem Haus Perrier-Jouet, Delamotte, Salon oder Besserat de Bellefon, die alle wahrlich keine Geheimtips mehr sind und es mit einigen der erstklassifizierten Champagner ohne weiteres aufnehmen könnten.

Sehr seltsam ist auch, dass sich im gesamten Classement Winzer finden, die gut und gerne trinkbare Champagner machen, Erzeuger wie Selosse, Prevost, Ulysse Collin, David Leclapart, Jacques Lassaigne, Tarlant, Cedric Bouchard, Vouette et Sorbee, Georges Laval, Diebolt-Vallois jedoch noch nicht einmal unter den drittklassifizierten auftauchen. So ist doch ausgesprochen fraglich, ob die süffigen, aber nicht besonders inspirierten Champagner beispielsweise vom Château de Boursault und Abel-Jobart einen Platz im Classement halten könnten, wenn die anderen genannten Winzer dort ebenfalls vertreten wären.

Will man Monsieur Dussert-Gerbers Gaumen kein voreiliges Unrecht antun, so kann man nur vermuten, dass er einige sehr wichtige Champagner noch gar nicht getrunken hat. Dann aber, so meine ich, muss man sich mit der Herausgabe eines Classements zurückhalten und artig gedulden, bis die Datenbasis dafür groß genug ist.

Dass er einige sehr gute Champagner auf dem Schirm, resp. im Glas hatte, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er Champagne Aspasie von Ariston Père et Fils hoch einstuft. Franck Bonville, Pascal Agrapart und Jacky Charpentier haben sich ihren Platz gewiss ebenfalls verdient, wenngleich ich ihre Champagner nicht zu den körperreichen zählen würde. In der Kategorie ist richtigerweise der "Comète" von Francis Boulard gut aufgehoben – auch wenn dieser Champagner ultrarar ist und die anderen Champagner von Francis scheinbar keine Berücksichtigung gefunden haben. Bei den eleganten Zweitklassifizierten stoßen wir sodann auf Gaston Chiquet, Leclerc-Briant, Legras et Haas, Bonnaire, Comte Audoin de Dampierre, Drappier und Gimonnet, sowie auf andere alte Bekannte: Blin, Bedel, Tixier, Brice, Chapuy, Robert Charlemagne und Michel Turgy. Wieder könnte man darüber streiten, ob die Champagner z.B. von Dampierre zu den allerelegantesten gehören, oder ob sie nicht wegen ihrer reichlichen Dosage bei den körperreichen Champagnern anzusiedeln wären.

Lässt man die Frage nach der Notwendigkeit eines Champagner-Classements offen, so kann man sich fruchtbar nur noch mit der tatsächlich erfolgten Umsetzung eines solchen Classements befassen. Das von Dussert-Gerber ist gut gewollt, doch unübersichtlich und die vergleichsweise umfangreichen Beschreibungen der Erzeuger wiegen nicht seine allzu kurz geratenen Weinbeschreibungen auf. Wichtige Champagner fehlen völlig, mancher nur leicht überdurchschnittliche oder gerademal durchschnittliche Erzeuger erhält durch die viel zu dünne Datenbasis ein unproportional hohes Gewicht. Das mag den betroffenen kleinen Winzer freuen und mit Sicherheit werden einige Winzer nach der Publikation des jeweils aktuellen Classements ein verdientes Maß erhöhter Aufmerksamkeit erhalten. In diesem Punkt erweist sich Dussert-Gerber nämlich als fleißiger Verkoster – was letztlich dem Verbaucher nur willkommen sein kann. Meiner Ansicht nach leidet das Classement aber noch zu sehr unter seiner Unausgewogenheit.

Im Champagnerleistungszentrum: Armand de Brignac

Was hat das FINE Champagne Magazine mit dem chinesischen WineLife Magazine, dem peruanischen Magazin Luhho und der nackten Rachel Weisz zu tun oder gar gemeinsam? Und warum könnte ich die Reihe meiner Fragen noch um das slowakische Magazin Vinoviny oder um die südkoreanische Lifestylepostille luel erweitern? Es ist ganz einfach: das tertium comparationis ist die Champagnernovität "Armand de Brignac". Vielen ist er sicher schon begegnet, der aufwendig metallplattierte Vanity Champagner mit dem Ace of Spades, sei es, weil Jay-Z sich medienwirksam vom Cristal ab- und dem Ace zugewandt hat, vielleicht aber auch nur in der Kuriositäten- und Schmunzelecke einer Zeitschrift, die vom Leben der Reichen berichtet. Nachdem ich den Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg getestet habe, war es naheliegend, einen Champagner mit ähnlichem Bling-Faktor zu untersuchen.

Der Produktionshintergrund ist nicht kompliziert: so, wie Mariah Carey ihren "Angel's Champagne" von Michel Gonet in Avize produzieren lässt, gibt es auch für die schon seit fast siebzig Jahren eingetragene Marke "Armand de Brignac" einen Erzeuger für den unter diesem Namen verkauften Champagner. Es ist das Haus Cattier aus Chigny-les-Roses in der Montagne de Reims (bis ins 19. Jahrhundert hieß das geschichtsträchtige Nest übrigens Chigny-la-Montagne). Nicht nur, dass 1890 in diesem Örtchen 1890 Madame Pommery verstarb, sondern einer der historisch bedeutsamsten Weinberge der gesamten Champagne findet sich hier. Es ist die Parzelle von Allart de Maisonneuve, – vormals Offizier in Louis XV. Diensten -, seinerzeit eine Pilgerstätte für alle, die im Weingeschäft tätig waren, darunter war in jenen Tagen nicht zuletzt die damals noch junge Veuve Clicquot. Cattier also bereitet aus den Reben dieses alten Weinbergs einen Monocru, den "Clos du Moulin". Dieser Champagner ist für Prestigeverhältnisse mittelpreisig, von guter Qualität, steht aber nirgends wirklich im Fokus. Vielleicht war das der Grund dafür, eine Marke mit Leben zu füllen, deren Namenspatron de Brignac selbst nie gelebt hat, sondern an eine Romanfigur angelehnt ist. Der Marketingvorteil liegt auf der Hand, es ist vor allem die Freiheit von jedem historischem Ballast, die es wiederum ermöglicht, nach Belieben historisierend aufzutreten, dem Film "Wild Wild West" mit Will Smith nicht unähnlich.

Mit dem Marketingthema ist dann auch schon ein Thema angeschnitten, bei dem Kritiker schnell unsachlich werden und geizige Menschen mit einer Mischung aus hilfloser Überheblichkeit und geiferspuckendem Zorn reagieren. Aber sachte: Champagner ist nicht grundlos zum Synonym für luxuriöse Festlichkeit geworden. Ich bin sogar der Ansicht, dass zahlreiche Weine anderer Provenienz es ebenso zum Rang des Sonnenkönigs der Weinwelt hätten bringen können, wenn sie denn mit ähnlich beharrlichem Ehrgeiz und cleverem Marketing darauf hingearbeitet hätten. Für mich ist Champagnermarketing etwas, was zum Produkt dazugehört, manchmal nervt, oft genug positiv beeindruckt und womit ich mich letztlich gut arrangieren kann. So wie die Pornoindustrie wegweisend bei der Erfindung neuer Distributionskanäle und Abrechnungsmodelle im Internet war, ist das Marketing der Champagnerindustrie beispielhaft dafür, wie man selbst schwerst widerstreitende Interessen – von kleinen Winzern, großen Genossenschaften und noch größeren, konzernzugehörigen Champagnermarken – unter einen Hut und seine Schäfchen ins Trockene bringen kann. Darauf sollte man nicht mit dem Finger zeigen, wenn man selbst wegen heilloser Zersplitterung in den eigenen Reihen bloss neidisch ist.

Jetzt aber zu den Champagnern: die aktuellen Cuvées auf Basis des 2005ers mit Reservewein aus 2003 und 2002 stammen aus Grand- und Premier Crus (Chouilly, Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil und Ludes, Rilly-la-Montagne, Villers Allerand, Taissy, Villers Marmery, Montbre, Pierry, Damery, Vertus, Mareuil-sur-Ay), verwendet wird nur die erste Pressung. Die Cuvées sind mit 9,65 g/l dosiert, der Blanc de Blancs bekommt 10,4 g/l, bei allen drei Champagnern reift der Dosageliqueur zuvor neun Monate im burgundischen Holzfass. Die verkosteten Champagner wurden im März 2009 dégorgiert. Insgesamt werden zur Zeit 42000 Flaschen Armand de Brignac hergestellt, der größte Teil davon als Gold Cuvée, jeweils ca. 6000 Flaschen als Blanc de Blancs und Rosé. Mittelfristig ist die Ausweitung der Produktion geplant.

I. Gold

Ein Mix aus 40% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 20% Pinot Meunier. Die erste Version beruhte noch auf einer 2003er Basis mit 2002 und 2000 als Reservewein und ist ausverkauft.

Dieser Champagner fühlte sich in der Flöte wohl. Ins Auge fiel sofort das glanzvolle, auf die Flaschenfarbe und den Cuvéenamen abgestimmte goldene Funkeln. Ob die 20% Meunier ein Bekenntnis zur Leistungsfähigkeit der Traube sind, oder ob damit early accessibility und auf die in-crowd zugeschnittene Fruchtigkeit erzielt werden sollen, geht aus dem Informationsmaterial zum Gold nicht hervor. Angesichts der kurzen Hefelagerdauer, des in den Blick genommenen Publikums und der nachfolgenden Geschmackseindrücke liegt für mich der Schluss nahe, dass der in Prestigecuvées keineswegs zwingend notwendige Meunieranteil einesteils die altbewährte Scharnierfunktion zwischen rassigem Chardonnay und weinigem, opulentem Pinot-Noir übernehmen soll. Außerdem kommt dem Meunieranteil bei diesem Champagner offenbar die viel wichtigere Funktion zu, das Aromengefüge aufzulockern und frei schwingen zu lassen. Dementsprechend schmeckt der Champagner süffig, dick, mit etwas Marshmallow angereichert, aber zu keinem Zeitpunkt druckvoll oder mineralisch, mit langem, meunierfruchtigem finish. Daraus ergibt sich eine unkomplizierte, unverkrampfte, in gutgelaunte Golfrunden, Edeldiscos und Yachtclub-Parties passende Aromenstruktur. Ob exakt so der beste Champagner aus einer Reihe von Verkostungen mit insgesamt tausend Champagnern schmeckt? Ich meine nicht – allein schon, weil es in der Geschmackswelt zu viele Unterschiede gibt, um einen objektiv "Besten" zu haben. Im Kontext der Champagner seiner Preisklasse (und wir reden hier über den kleinen Club von Champagnern, die im Bereich von 300 EUR und mehr pro Flasche liegen) ist Armand de Brignac Brut Gold jedoch derjenige, dessen unzergrübelte, jugendlich sorgenfreie Stirn am leichtesten Zustimmung und Beifall ernten wird.

II. Blanc de Blancs

60% der Trauben stammen aus der Côte des Blancs, 40% aus der Montagne de Reims.

Aus der Champagnerflöte machte der BdB einen unscheinbaren Eindruck. Erst aus dem Bordeauxglas kam eine ernstzunehmende Rückmeldung. Mineralität, die man sich vom nassen Kalk der Côte des Blancs herkommend vorstellen kann, dominierte in der Nase. Darunter lag eine Mischung aus weißen Blüten, man wird nicht mit mir schimpfen, wenn ich Akazienblüten sage, und Birnenkompott. Für einen jungen BdB sehr milde Säure. Wenn man die prunkige Flasche gesehen hat und dann einen so schüchternen Champagner ins Glas bekommt, kann man sich schonmal wundern. Vielleicht wird der Champagner mit der Zeit etwas mehr an Breite und Tiefe zulegen, das Traubenmaterial müsste jedenfalls das Zeug dazu haben. Mich würde nicht überraschen, wenn die verschnupfte, enge Nase darauf zurückzuführen ist, dass jugendliche Chardonnays aus Cramant, Avize, Oger und Le Mesnil das Regiment führen.

III. Rosé

50% Chardonnay, 40% Pinot-Noir und 10% Pinot Meunier, 12% Rotweinzugabe aus Pinot-Noir und Pinot Meunier von alten Reben.

Aus der Flöte kam die ersten paar Minuten nichts, als frische Austern. Ich habe den Champagner dann in einen üppigen Burgunderkelch umgefüllt, was ihm sehr geholfen hat. Denn wie ich zufällig weiss, sind frische Austern nicht nur nahr- und schmackhafte Speisetiere, sondern ihr unverkennbarer Duft kündet meist von zeitlich unmittelbar nachgelagerten, ganz besonders sinnesbetörenden Erlebnissen. Und siehe! Kaum ins Burgunderglas transvasiert, platzt die krustige Schale auf und entlässt einen lebhaften, munteren und animierenden Wein mit feinstem Burgundercharakter, viel Beerenaromatik, einer untergeordneten Menge Waldboden und verführerischer Würze in das wahre Leben. Ein femininer, weiblicher, fraulicher, kalipygischer Champagner, der zum schweinigeln einlädt  – und mein Favorit unter den Armand de Brignacs.

Angekündigt ist ein vierter Armand de Brignac, der gleich zwei Trends bedienen wird: es soll sich um einen reinen Pinot Meunier vom Clos du Yons handeln, Basis wird der 2007er Jahrgang sein, die Stückzahl soll bei 3000 Flaschen liegen. Bei einem Weingarten mit 11 ha bedeutet das ein nicht unerhebliches Steigerungspotential, wenn die Nachfrage entsprechend gross sein sollte. Zu rechnen ist mit diesem Champagner 2012 – 2013.

Im Champagnerleistungszentrum: Sip of Gold von Sieger by Fürstenberg

Sip of Gold

Die Brüder Michael und Christian Sieger präsentieren unter dem Markennamen Sieger eine vielfältige Produktpalette, die relevante Bereiche des stylebewussten Haushalts abdeckt. Neben Mode, Möbeln und Papeterie gehört dazu auch die Porzellankollektion „Sieger by Fürstenberg“, die in Kooperation mit der traditionsreichen Porzellanmanufaktur Fürstenberg entstanden ist.

Von besonderem Interesse ist für mich die Serie „Sip of Gold“. Die nur 2 – 2,5 mm dünnen Champagnerbecher von Sieger by Fürstenberg wirken berückend auch auf den, der hauchdünnes Kristallglas von Riedel, Zalto oder anderen Meistern der klassischen Trinkglasfertigung gewöhnt ist. Damit üben die Porzellanbecher eine Faszination aus, der man sich schwer entziehen kann: feinstes japanisches Teeporzellan beherbergt schließlich vergleichbar noble Gewächse und entbehrt einer Vergoldung mit 24 Karat – das ist schon ein Blickfang auf dem Tisch. Die von mir getesteten Modelle Plain, Cushion, Woven, Moon und Circus sind mit unterschiedlichen, eher minimalistischen Reliefdekors versehen, sonst unterscheiden sie sich nicht. Durchprobiert habe ich die Becher in unterschiedlichen Versuchsanordnungen mit Champagnern, deren Geschmacksprofile ich gut kenne. In einem Solotest habe ich die Becher mit drei unterschiedlichen, jeweils schon reifen und sehr ausdrucksvollen Champagner Prestige-Cuvées auf ihre Champagneraffinität hin geprüft. In einem zweiten Teil habe ich die Becher zu einem Menu von Ruhrgebiets-Topkoch Jörg Hackbarth und einer Reihe sehr unterschiedlicher Champagner ausprobiert.

A. Champagner

I. Krug Vintage 1988

Dieser in allen Varianten nussige Champagner, dessen immense Apfelpower sich nach und nach mit einer gemächlicheren Gangart ans gute Werk macht, glänzt mit einer (Aromen-)Vielfalt, wie man sie sonst nur zu Zeiten des Kalten Kriegs auf der ordensgeschmückten Brust eines sowjetischen Gardeoffiziers finden konnte. Die Wucht dieses Champagners allein hätte noch vor wenigen Jahren gereicht, den Eisernen Vorhang einzureißen. Heute ist er versöhnlich, aber nicht ohne ein grimmig-verschmitztes Blitzen in den Augen. Im Sip of Gold fand sich dieser Ausnahmechampagner in einer Ausnahmeumgebung wieder. Und wie das Leben manchmal so spielt – er kam damit nicht zurecht. Die ehrfurchtgebietende Aromaparade musste dramatische Einbußen wettmachen, was im Glas nach Uhrmacherpräzision aussah, wurde im Becher zum fröhlichen Durcheinander. Karneval statt Militärparade, der Champagner als Karikatur seiner selbst.

II. „S“ de Salon 1990

Ein anderer Grande ist der ehrwürdige „S“ de Salon. Ein Champagner, der ein Raunen durch den Raum gehen lässt, selbst wenn niemand im Raum ist. Von einer völlig anderen Bauart, als der 88er Krug, ihm in Sachen Langlebigkeit jedoch verwandt. Als mir ein lieber Kollege vor fünf Jahren einmal 1990er Salon vorsetzte, weil er selbst neugierig auf den Champagner war und nicht glauben wollte, dass ein Champagner nach so vielen Jahren nicht nur nicht tot, sondern noch gar nicht richtig wach sein kann, da war der „S“ gerade aus seiner ersten jugendlichen Bockigkeitsphase herausgetreten und wirkte sehr unausgeglichen. Mittlerweile gibt es einige große 90er, die schon wieder abtauchen, andere drehen nochmal richtig auf und dieser hier schien sich nicht recht entscheiden zu können. Im Impitoyables-Konterglas machte sich viel Cognac, Calvados, Walnuss, malzige, röstige Brotrinde und kandierte Frucht breit, am Gaumen wirkte er aber sehr uneinheitlich und fast ein bisschen müde. Im Porzellanbecher war der Eindruck nicht besser, allenfalls schwieriger zu fassen. Ersichtlich groß, aber seltsam unfokussiert wirkte dieser Champagner. Da ich von seiner Form außerhalb des Bechers nicht ganz und gar überzeugt war, kann ich keine gültige Empfehlung aussprechen, würde aber im Moment davon abraten, reife, mächtige und nussige Champagner aus dem Sip of Gold zu trinken.

III. Louis Roederer Cristal 1997

Eine schöne Paarung, von der ich im Vorfeld schon gedacht habe, dass sie überzeugen würde, war der jetzt sehr reife und gut trinkbare Cristal 1997 im Sip of Gold. Ganz, als hätten sich zwei gesucht und gefunden. Glamourfaktor und Anspruch bewegen sich auf derselben Wellenlänge, der üppige Zarenchampagner und das Adelsgeschirr passen so stimmig zueinander, wie sonst allenfalls noch Kaviar und purer Wodka. Nicht von ungefähr dürften handelsübliche Wodkagläser eine dem Sip of Gold entsprechende Form haben und Cocktails wie der Siberian Kiss aus Wodka, Champagner und sonst nichts erleben in einem Porzellanbecher wie diesem die „absolut“ höhere Weihe.

B. Menu

Der I. Gang bestand aus Hackbarth's Tapas: Thunfisch auf Rübchen, Ententerrine auf Chutney und Grissini mit Scampifüllung auf Asiasalat. Dazu gab es Bernard Tornays Extra Brut. Dessen haustypisch haselnussige, mit Mineralien und Räuchernoten unterlegte Nase wirkte im Porzellanbecher etwas zu breit und alkoholisch. Unterschiedlich hohe Befüllung half nicht, dieses Problem auszugleichen. Der Champagner von Tornay, der sonst in allen möglichen Gläsern zu überzeugen weiß, stieß hier offensichtlich an eine Grenze, was sehr bedauerlich war.

Als II. Gang gab es Jakobsmuscheln in Salbei gebraten auf sizilianischem Brotsalat. Dazu trank ich Champagne Nominé-Renard Brut Rosé. Der fruchtige, feine, sehr elegante, aber nicht überkanditelte Rosé ist auch eher ein Kandidat für Flötengläser. Das wurde einmal mehr im Sip of Gold deutlich. Denn das Verhältnis von Flüssigkeitsoberfläche zu darüberliegendem Duftkamin entspricht beim Sip of Gold in etwa dem eines bis zur breitesten Stelle gefüllten Top Ten Glases von Schott-Zwiesel oder dem eines halbgefüllten One for All Rotweinglases von Peter Steger. Auch aus diesen Gläsern empfiehlt es sich bekanntlich nicht, ultrafeine Rosés zu trinken.

Der III. Gang bescherte mir ein Steinbuttfilet mit Pinienkernen und Serranoschinken auf Tagliolini in Krustentierschaum. Dazu gab es weiterhin den Rosé und außerdem den Nominé-Renard Brut Tradition. Vom Rosé war auch mit Luft nicht mehr viel zu erwarten, der weiße Nominé-Renard gab dafür alles. Im Glas stets einer der lustigsten, zu jedem Gaumen freundlichen Champagner, zerrte er hier alles aus sich heraus und bewies seine wahre Größe. Kein vorschmeckender Alkohol, keine Hitze oder Schärfe, sondern eine üppige, blumige, von getrockneten Cranberries und Sanddorn geprägte Aromatik, dazu ein mildes Trockenkräuterbouquet. Na also, geht doch.

Gang IV. war Maishuhnbrust mit Morcheln auf Leipziger Allerlei und Kerbeljus, dazu gab es weiterhin den weißen Nominé-Renard und zusätzlich 2003 by Bollinger. Meine Haupteindrücke dieses Ganges stammen von den Morcheln, vom Kerbeljus und vom 2003 by Bollinger. Die drei waren wie füreinander geschaffen. Die Morcheln mit ihrer morbide Lüsternheit verbreitenden Aromatik, dazu der konzentrierte, aber nicht lästige Kerbel und ein 2003 by Bollinger in Bestform, Puligny-Montrachet pur! Im Porzellanbecher zeigte sich der Bollinger so opulent verführerisch, pudrig, buttrig, geschmeidig und mätressenhaft wie nie zuvor und war der Version im Konterglas deutlich überlegen.

Zum guten Schluss gab es den V. Gang, ein Délice Variée aus Zitronenparfait mit Erdbeere und Rhabarber, Armen Ritter und Streuselkuchen auf Quarkmousse mit Äpfeln. Dazu weiterhin Bollingers verrückten Jahrgang. Das Zitronenparfait war sauber, etwas milchig, mit angenehm herben Zitronenschalenschnipseln, Erdbeeren, die nach Erdbeeren schmeckten und einem bissfesten, aromatischen roten Rhabarber. Der Arme Ritter passte wegen seiner Herkunft aus der Backstube und seiner nicht so hervorstechenden Süße am besten zum Champagner, der sich von Minute zu Minute weiter in seine Burgunderrolle vertiefte und am Ende noch der Marquise Pompadour höchstselbst den Rang hätte streitig machen können.

Vor dem farbenfrohen Hintergrund des 18. Jahrhunderts, wie ihn der Film Marie-Antoinette mit Kirsten Dunst inszeniert hat, versteht man meiner Meinung nach die Porzellanbecher von Sieger by Fürstenberg erst richtig. Es geht weder im Film noch bei den Porzellanbechern um historische Richtigkeit und erst recht nicht um das unter Weinfreunden beliebte herumeiern um das beste Glas. Es geht bei diesen Bechern vielmehr um die Lust an der Zwanglosigkeit in einer so noch nicht dagewesenen Form. Das macht die Sip of Gold Reihe interessant, aber auch besonders anspruchsvoll …. Denn wie sich gezeigt hat, schmeckt daraus nicht jeder Champagner gut. Das ist kein Grund zur Beunruhigung, wenn man denn weiß, welche Champagner daraus gut schmecken. Und da beweist der Sip of Gold Klasse: Es sind die außergewöhnlichen Champagner, die in den Bechern dieser Serie zu einer Hochform auflaufen können, wie man sie nicht oft erlebt. Der Zarenchampagner Louis Roederer Cristal etwa öffnet in diesem Becher sein orthodoxes Herz und pulsiert mit ungekannter Kraft. Ein anderer mächtiger und rarer Champagner, der 2003 by Bollinger, wächst im Sip of Gold gleichsam über sich selbst hinaus.

Conclusio: Für den gewöhnlichen Genuss sind diese Becher nicht gemacht. Sie fordern kraftvolle, weinige und opulente Champagner. Wer sich zum Kauf von Bechern aus dieser Reihe entscheidet, sollte das sehr bewusst tun. Und er muss sich die Frage beantwortet haben, wie er seinen Champagner trinken will: nach dem Stil der Zeit und ohne Rücksicht auf Verluste, oder mit aller Distinktion und Sorgfalt, die der Wahl eines königlichen Getränks angemessen ist.

Hier geht es zum Hersteller: www.sieger.org/de/sip_of_gold

Louis Roederer Cristal 1962 – 1995

Vom Cristal, zu dem ich etwas gespalten stehe, habe ich keineswegs alle herausgegebenen Jahrgänge trinken können. Manche Flaschen waren nicht im besten Zustand, andere erstaunten michaus den verschiedensten Gründen sehr. Nicht alle der hier besprochenen Jahrgänge habe ich in einer Vertikale probiert und vor allem die älteren Exemplare meist nur bei einer Gelegenheit. Die Jahrgänge 88 bis 97 kenne ich am besten, da ich sie am häufigsten probieren konnte, aber von einer tiefgehenden Kennerschaft fühle ich mich bei dieser Cuvée noch weit entfernt.

I. 1962

Die Flasche hatte ihr gelbes Cellophan schon vor einigen Jahren verloren, das Etikett war berieben und angeschmutzt. Der Cristal zeigte eine alterstypische dunkle Goldfärbung. Beim Öffnen ein Hauch, als schwebe ein Geist durch den Raum. Massive Sherry-Pilznase und kaltes Toastbrot. Im Grunde schon sehr appetitanregend, im Mund aber flach und säuerlich. Leider kein besonderes Vergnügen.

II. 1966

Der 66er war sogar noch etwas dunkler als der 62er, auch diese Flasche hatte die gelbe Hülle längst andernorts gelassen. Das Etikett ebenfalls mit Lagerspuren. Der Korken sass erstaunlich fest, auch etwas Druck war noch auf der Flasche. Wobei einmal heftig einatmen wahrscheinlich gereicht hätte, um den Umgebungsdruck so weit abzusenken, dass man gar nichts mehr gehört hätte. Deshalb halte ich beim Öffnen von alten Champagnern immer die Luft an… In der Nase auch wieder Sherry, Schnitzel mit Jägersauce, also buchstäblich ein Duft von gebratenem Fleisch, der sich auch mit viel Luft nicht recht verziehen wollte. Im Mund ein entfernt stehender einzelner Apfel, sonst recht viel eindimensionale Säure. Auch kein Knaller.

III. 1970

Wieder eine Flasche ohne Cellophan. Vielleicht hat das Zeug ja wirklich einen Einfluss auf die Lagerfähigkeit? Zumindest war auf dieser Flasche noch ein gut wahrnehmbarer Druck und die Farbe war zwar reichlich altgolden, aber in der Nase zeigte sich eine morbide Süße, die noch nicht völlig von Pilzen übertönt war. Dieser Champagner schien auf Messers Schneide zu stehen und schmeckte auch so, als könne er sich nicht entscheiden, noch im Reich der Lebenden oder schon in dem der Toten weilen zu wollen. Die erschöpfte Süße musste sich der immer schärfer werdenden Säure letztlich doch geschlagen geben, zusammen mit der schnellen aromatischen Entwicklung war das aber eine lehrreiche Erfahrung.

IV. 1978

Mit dem Champagnerjahrgang 1978 habe ich leider Pech. Immerhin sollte man vermuten, dass die damals verantwortlichen Kellermeister bei ihren Prestuigecuvées nicht unter einem so gewaltigen Marketingdruck standen, wie heute. Also muss ein Haus wie Roederer sich doch etwas dabei gedacht haben, als entschieden wurde, einen 78er Cristal zu machen. Die Option: wir machen einen Champagner für die Ewigkeit scheint dabei sehr schnell ausgeschieden zu sein. Nicht, dass der 78er ungenießbar gewesen wäre, aber er war auch nicht altersgerecht gereift. Dominiert von Brotkruste, Toastaromen und einer Nase von angebranntem Apfelmus fehlte mir da einfach die Größe und Finesse, die diesen in der Jugend so gut trinkbaren Champagner ausmacht.

V. 1979

Wie anders sah dagegen der 79er aus. Jungfräulich im Cellophan, wurde schon das auspacken zur Freude. Angegiert hatte ich die Flasche vorher oft und lange genug, aber es geht doch nichts über den Augenblick der Flaschendefloration. Fest sitzender Korken, deutlich vorhandener Flaschendruck, in der Nase ein reifer Auftritt, der mich, zugegeben, überraschte. Nachdem die Flasche so tiptop gepflegt und jung aussah, hatte ich ganz verdrängt, dass der Inhalt schon einen späten Twen beherbergte. Also nichts mit "barely legal", eher schon "post graduate" – und offensichtlich unter den Jahrgangsbesten. Solche Champagner können schon sehr beeindrucken. Weiche Orangen Aprikosenhaut und ein Wohlgefühl, wie kurz vor dem sonntäglichen Gabelfrühstück. Frischer Toast mit Butter und Lemon Curd, Brioche, saftige Apfelspalten, Heisser Kaffee.

VI. 1981

Der Jahrgang ist so nichtssagend und fern für mich, wie peruanische Folklore. Aber siehe, in den Fussgängerzonen hört man sich das Panflötengedudel ja auch an und El Condor Pasa ist schließlich gar kein so schlechtes Lied. Also her mit der Flasche und aufgemacht. Und siehe wiederum, es war kein Fehler. Sehr schön noch die Farbe, auch die Nase zeigte sich von ihrer vorteilhaftesten Seite, keine Schrunden, Runzeln oder Falten verunzierten den knackig-apfeligen Auftritt, der nur sehr weit weg noch an Morcheln und andere Pilze erinnerte, sonst aber überwiegend fruchtig und etwas röstig-brotig war. Kein sehr vielseitiger Champagner, aber ein noch gut trinkbarer Cristal.

VII. 1983

Kork.

VIII. 1985

Hier waren wir wieder in geläufigeren Fahrwassern und bei einem der stabilen, bis heute mit Vergnügen trinkbaren Jahrgänge angekommen. Die gepflegt Flasche ließ schon ahnen, dass der Inhalt den Erwartungen entsprechen würde und genau so war es. Der Frischkornbrei aus Äpfeln, Nüssen, Sahne und Honig, den meine Mutter neuerdings morgens zu sich nimmt, entspricht in Duft und Geschmack diesem Champagner ganz gut, nur dass beim Cristal keine Hirsekörner die Zahnzwischenräume verstopfen.

IX. 1986

So groß die Bordeaux dieses Jahrgangs, so mittelmäßig bis enttäuschend fallen die Champagner aus. Sanddornfarben und auch geschmacklich in der Nähe von Sanddorn und Quittenmus, nicht so sauer wie Verjus, aber ein ziemlich betäubendes Aroma. Zu laut, zu viel, zu oberflächlich und ausserdem schon bisschen zu alt für so ein Spektakel, erinnert mich der Champagner an eine Mischung aus Alice Cooper und Iggy Pop.

X. 1988

Wie schön war wiederum der 88er Cristal! Dieses Jahr zeigt bei den verschiedensten Erzeugern ein Überfliegerpotential, das stutzig macht. Das beste ist: man kann sogar noch immer zu vernünftigen Preisen Champagner aus diesem Jahrgang bekommen. Die belebende Säure, die bei vielen anderen, auch großen Champagnern etwas überdreht wirkt, tut dem Cristal sehr gut. So kann sich nämlich dessen röstiges, mit Brioche, Apfelkuchen, Nüssen und einem Sträusschen Trockenkräuter auftretendes Aroma wie in einem Weltklasse-Lap-Dance-Schuppen schlangengleich um eine imaginäre, hier von der Säure verkörperte Chromstange winden. Ich musste mich zurückhalten, nicht am Ende ein paar Dollarnoten in die Flaschenöffnung zu stopfen.

XI. 1990

Dieses Jahr war beim Cristal ein Überrascher für mich. Schon zu viele hochgelobte Champagner aus diesem Jahr habe ich vorzeitig sterben sehen, angesichts meiner auf wenig begeisternden Verkostungserfahrungen beruhenden Eingenommenheit gegen reife Cristalle erwartete ich nicht viel mehr, als dass mir eine Mischung aus Staub, Sand und vertrockneten Insekten aus der Flasche entgegenrieseln würde. Umso größer wurden Augen, Nase und Mund, als mit dem ersten leisen zischen eine ultrasexye Apfel-Mandel-Mischung sich ankpndigte; sehr erleichternd war schon in dem Moment das Gefühl, keinesfalls einen Korkschmecker erwischt zu haben. Der Champagner zeigte sich auch nicht als nur langsam erwachenderoder überwiegend schlaftrunkener Riese , sondern war quietschlebendig, mit einem frechen Zuckerwatteduft, aber vor allem einer an Rote Grütze, Verbene, Minze und Toffee erinnernden Aromatik, von der ich gar nicht genug bekam.

XII. 1995

Hart am Kork vorbeigeschrammt, oder doch ein Korkschleicher? Schwer zu sagen, denn ich bin mir über die Holzeinsatzpolitik von Roederer nicht ganz im Klaren. Die sehr röstige, gleichzeitig aber auch grünlich-unreife Note gefiel mir nicht besonders. Trotzdem war der Champagner von einer vornehmen, schlanken, langen, eleganten Machart und einer variantenreich herantänzelnden Säure, die ich beim Korkschleicher nur als plumpes Abbild davon kenne. Gekappt wirkte da nichts, aber in Hochform war er leider auch nicht.