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Category Archives: Hotels und Restaurants im Test: Reingespitzt bei …

Manche sagen: die Königsdisziplin. Notizen von verschiedenen (Champagner-)Menus. Nicht immer nur gute, gelungene und positiv superlativische Kombinationen werden hier veröffentlicht, sondern authentische Champagner-, Schaum-, Stillwein- und Speiseerfahrungen.

13. Busche Gala im Kameha Grand “Hotel des Jahres 2011″

 

Carsten Rath, der Kopf hinter dem Kameha Grand "Hotel des Jahres 2011" in Bonn, ist ein alter Koblenzer. Mit seinem Laudator Frank Marrenbach, Chef der Oetker-Hotelgruppe und des Brenners Park-Hotel & Spa in Baden-Baden, kam er vor fünfzehn Jahren in eben jenem rheinland-pfälzischen Epizentrum für hotelfachbezogene und gastronomische Ausbildungsberufe erstmals zusammen, in dem auch ich meine randaleträchtige Jugend verbracht habe – im schönen Koblenz natürlich. Seither hat sich eine spannungsvolle Freundschaft zwischen den beiden entwickelt, deren hoher persönlicher Stellenwert deutlich wird, wenn man weiß, dass Frank Marrenbach im letzten Jahr das Catering für Carsten Raths Hochzeit auf dem Petersberg übernommen hat. Während die Oetkergruppe auf Spitzenhotellerie alter Schule setzt, stürmt Rath avantgardistisch voran. Nicht nur der Bonner Oberbürgermeistert Nimptsch wusste das launig zu würdigen.

Der "Genießer des Jahres" ist Boris Becker, die Preisrede hielt Champagner-Confrère Hermann Bühlbecker, Alleingesellschafter der Henry Lambertz Printenfabrik, modischer Leuchtturm und Amtsvorgänger Beckers, der sich zu seinem Lieblingschampagner leider kein statement abringen ließ. Ganz anders dagegen Reiner Calmund, der während der Preisverleihung direkt vor mir saß und mir damit komplett die Sicht nahm, im Anschluss dafür umso freimütiger über seine Champagnerbegegnungen plauderte. Leutselig legte er los, stützte sich auf meinen Schultern ab, bzw. rüttelte halb versonnen, halb von der Erinnerung an eigene Genusserlebnisse geschüttelt an mir. Für den Mann, der sich einen Körper mit Helmut Thoma teilt und den ich noch nie gleichzeitig mit ihm in einem Raum gesehen habe, ist Champagner gleichbedeutend mit der Champions League des Weins. Ohne lang nachzudenken benannte er mir als ersten wirklich großen Champagner, den er – im Jahr 2005, als er selbst Genießer des Jahres wurde – getrunken hat, Dom Pérignon 1990. Sehr sympathisch, da es sich beim 90er Dom tatsächlich um einen phantastischen Champagner handelt, wenn er in Bestform ist. Außerdem ist das der Champagner, der mir im Jahr 1999 die trüben Augen öffnete und den ich zu Studienzeiten als Silvesterchampagner ebenso behende zu vertilgen wusste, wie zum gleichermaßen simpel gehaltenen wie schmackhaften Champagner-Trüffel-Risotto, das ein kochtalentierter Kommilitone im Rahmen eines unserer mehr regel- als unregelmäßig stattfindenden Gelage herzustellen wusste.

Am Rande und von vielen unbemerkt stellte die bend-IT GmbH eine Restaurant-App vor, die demnächst im Kameha zum Einsatz kommen wird. An den Tischen gibt es dann iPads, auf denen der Gast sich Speise- und Weinkarte ansehen und sogleich bestellen kann, zudem gibt es über vier webcams livestreamings aus der Küche von Jörg Stricker. Nach der Preisverleihung gab es aus genau dessen guter Küche einige schöne Speisen:

I. Fingerfood

1. Kalbsbackenpraline & Zwetschgenchutney mit altem Balsamico

Für Bäckchen bin ich immer zu haben, vor allem wenn das tierische Protein derart thermisch behandelt wurde, dass es an Zartheit und Aromenintensität mit Zwetschge und Balsamico eine saftig-barocke ménage à trois eingeht wie hier.

2. Gebeizter Saibling auf Röggelchencrouton und Kresse

Der Saibling ist ein gesuchter Fisch und sein Fleisch ist angenehm fest. Sehr fest war auch das Röggelchencrouton, leider so sehr, dass es mir schon wie altbacken vorkam.

II. Vorspeisen

1. Geschmorte Ochsenbacke mit Zuckerrübenjus, geriebener Limette und gebratenen Steinpilzen

Ein Traum war das Ochsenbäckchen, herber, kräftiger und markiger als das vom Kalb, mit einer korrespondierenden Fruchtherbe aus der darübergeriebenen Limettenschale, die sich auch mit den Pilzen gut vertrug. Statt des allfälligen Moet Brut Impérial en Magnum ließ ich mir dazu ein Glas Piper-Heidsieck Brut schmecken.

2. Gänseleberpraline im Pumpernickelmantel mit weißer Schokolade und Mango aus der Pipette

Die Gänseleberpraline war sehr fein und schmelzig, litt aber unter der etwas zu dicken und zu trockenen Pumpernickelummantelung. Weiße Schokolade habe ich nicht wahrgenommen, auch die Mango kam mir sehr sparsam dosiert vor.

3. Maccarons von der Gänsestopfleber

Das Problem bei Maccarons ist immer deren Knusprigkeit. Bereitet man Maccarons zu lange im Vorfeld bereits fertig zu und deckt sie dann bis zum servierzeitpunkt mit Frischhaltefolie ab, sammelt sich gern mal Kondenswasser oder der Knusper geht verloren, weil die Füllung zu viel Feuchtigkeit abgibt. Bei den Gänsestopflebermaccarons habe ich von beiden Problemen keins festgestellt, der Genuss war folglich ungetrübt, denn auch die Gänseleberfüllung an sich war überzeugend.

4. Lachstatar mit Gartengurke, Crème fraîche und Kaviar

Lachs und Jakobsmuschel meide ich nach Möglichkeit, ebenso Thunfisch und Kabeljau. Trotzdem habe ich manchmal davon auf dem Teller und insbesondere beim Thunfisch bedaure ich das weniger aus Geschmacksgründen, als wegen der schlimmen Überfischung und des verbrecherischen Raubbaus, den die großen Fischfänger unter anderem eben bei der Thunfischjagd an den Weltmeeren treiben. Meine Tränen ersticke ich jedoch meist sehr schnell und schlucke sie zusammen mit dem guten Thunfischfleisch hinunter. Bei Jakobsmuschel, Kabeljau und Lachs fällt mir das schwerer, denn meist schmecken mir die drei einfach nicht so gut wie Thun. Das Lachstatar war nicht der Gipfel kulinarischen Einfallsreichtums, sondern recht bodenständig. Dazu passten Gurke, Crème fraîche und Kaviar, alle zusammen waren stimmig, weder zu pampig noch zu mager, gut ausgewogen zwischen lachsöliger Textur und wässernder Gurke, also insgesamt trotz meiner Vorbehalte schmackhaft und gut.

5. Kaisergranat mit süß-saurem Kürbissalat und Kalbszunge

Diese drei Komponenten standen nicht mit der selben Eintracht und Harmonie nebeneinander. Wie die Zinken einer Gabel schien jeder Bestandteil in die gleich Richtung zu stoßen, wie die beiden anderen, doch immer in starrem Abstand dazu. Das Grundthema gab der Kürbissalat vor, dessen süß-saure Note animierend war und eine entfernte Verbindung zu Kalbszunge in Aspik herstellte. Zum Kaisergranat fand ich den süß-sauren Verweis machbar, aber nicht dringen erforderlich. Kaisergranat und Kalbszunge zusammen waren auch nicht unbedingt die besten Spielpartner.

6. Crostinivariation mit Entenrilette und Elstar; Ziegenkäse und eingelegter Pflaume; Avocado und grünen Tomaten

Entenrilette und Elstar waren sehr schön, der Apfelspass und das saftige, weichfaserige Entenfleisch verschmolzen schnell miteinander. Auch Ziegenkäse und Pflaume waren ansatzlos zu genießen, Avocado und grüne Tomaten waren mir eine Spur zu fad. Die Crostinis waren allesamt kross und von mundegerechter Größe.

7. Fine de Claires von der Austern-Bar

Die Austern vom Rungis-Express habe ich mit Blick auf das sagenhafte Décolletée der DJane weggeschlürft, danach war es Zeit für einen Schluck vom Auxerrois aus dem Hause Bernhard Huber, den ich dann auch gleich an der Bar in ein Gespräch in seinen exzellenten Pinot Rosé Sekt verwickelt habe.

III. Hauptgänge

1. Kalbstafelspitz aus dem Sud mit Salsa Verde

Die Salsa Verde schien mir wenig verde, sondern recht klar und hell zu sein. Den Tafelspitzhappen hat sie aber gut getan, die waren wie aufgeladen mit Aromen, saftig, ohne wässrig zu sein und zart, dabei bissfest.

2. Rouget Barbet auf Bouillabaissegemüse

Das war eine Kombination nach meinem Geschmack. Gemüsiges Gemüse, ohne großen Firlefanz, mit ganz konzentriertem Eigengeschmack; dazu ein Fisch, der sich merklich gegen die Bouillabaissearomen absetzte, ohne dabei allzu heftig zu kontrastieren. Das heißt nicht, dass ich kontrastierende Aromen nicht mag, aber hier war mir die dezente Harmonie einfach lieber.

3. Ibericoschwein & Jakobsmuschel, gegrillter Spargel und Mispelchutney

Zum Thema Jakobsmuschel lasse ich mich regelmäßig aus, daher an dieser Stelle nicht. Das Ibericoschweinderl war gut gegart, der kleingeschnittene Spargel bissig, aromatisch und beides zusammen eine gelungene, etwas herbe Kombination zum Schweinchen.

4. Mild geräucherter Heilbutt, Portulak, Graupen und Mandarinenöl

Portulak ist eines dieser Wildkräuter, die man bis vor wenigen Jahren noch pauschal als Unkraut bezeichnet hat. Dabei hat er ein angenehmes, überhaupt nicht unkrautiges, kratzendes oder aufdringlich simples Aroma und gehörte in der Kombination mit den Graupen und vor allem mit dem Mandarinenöl zum Heilbutt für mich zu den besten Speisen des Abends.

IV. Food Next Level

1. Hummer-Medaillons mit Brie de Meaux, Flammkuchenröllchen, Currysabayon, Blumenkohlvariation und guter Luise

Die Hummermedaillons waren fleischig und bissig, der darübergelegte und angeschmolzene Brie schien mir erst etwas sehr aromenschwach zu sein, aber nach dem dritten Happen erwies er sich als klug gewählter Begleiter. Die verschiedenfarbigen Blumenkohlvariationen gaben dem milden Aromenspiel einen für mich nicht notwendigen vegetabilen touch, der von Currysabayon und guter Luise sinnreich wieder in Richtung eines mir stärker zusagenden Aromenspektrums ergänzt wurde.

2. Hoch gestapeltes von der Barbarie-Ente

Drei Balken hatte ich auf dem Teller: einen dicken, buttrigen Stift, einen fleischigen und einen mit Entenrilette in einer dünnen Kakaohaut. Der dicke und buttrige war mir zu sättigend, so viel quasi pures Fett auf einmal hätte eine ausgleichende Komponente benötigt. Das Barabrieentenfleisch in der mittleren Etage war asugezeichnet und konnte ohne weiteres bestehen. Schwieriger war es beim Dachgeschoss. Die Kakaohaut war leicht bitter, das Fleisch darinnen nur sehr zartaromatisch. Zusammen ergab sich eine Kombination, die nich ganz festgelegt war und keine eindeutigen Aromen preisgab.

V. Desserts

1. Krokantnüsse

Die waren gut, nicht zu gross und mit Zartbitter-, Milch-, oder weißer Schokolade überzogen.

2. Maccarons

Deren Krossität litt unter Feuchtigkeit, die Füllung war dagegen stimmig.

3. Petits Fours

Die Petits Fours waren farbenfroh, teils sehr erfrischend mit Himbeer und Zitronenaromen, so dass ich gegen meine Gewohnheit doch häufiger darauf zugreifen musste.

Grand Chapitre 2010 in Brenners Park-Hotel, Baden-Baden

 

A. Apéritif

Flying Buffet:

– Bouillabaisse mit Austernschaum, kräftige Bouillabaisse und ein sehr gelungener, jodiger, minimal nussiger Austernschaum bildeten den vielversprechenden Auftakt;

– Gelierter Tafelspitzhappen, auch der Tafelspitzhappen war sehr gut, recht kräftig, nicht zu gross portioniert;

– Confierte Jakobsmuschel, reizte mich nicht;

– Avocadocrème mit Melone, war ein frischer Ausklang des Einstiegs.

1. Louis Roederer Brut Premier

40CH 40PN 20PM. Immer wieder ein verlässlicher Champagner. Dass Helmut Thoma und Frank Elstner sich am Roedererstand festgetrunken haben, erstaunt mich daher nicht.

2. de Saint Gall Blanc de Blancs Premier Cru en Magnum

Premier und Grand Crus; floral, ganz leicht gebuttert, mit Apfel und etwas Hefe. Kein besonders komplizierter Champagner, der vom Magnumausschank allerdings profitiert, da er sich doch verfeinert zeigt.

3. Nicolas Feuillatte Blanc de Blancs Grand Cru 2002

Schöner, etwas mandeliger Champagner, gegenüber dem erst vor Kurzem noch getrunkenen 2000er deutlich besser und profilierter. Im Vergleich zu den Genossenschaftskollegen von de saint Gall der stärkere Champagner.

4. Pommery Rosé Apanage

42CH, der Rest sind PN und PM, sowie ein Coteaux Champenois Rouge. Leichtigekeit und Balance stehen im Vordergrund, gefolgt von einer Dosage, die den Champagner für Nichtspezialisten gut zugänglich macht. Solo ist er mir zu leicht, zum Käse – wie im Laufe des Menus zum Chaource, aber auch zu Ziegenfrischkäse und Schafsmilchkäse – ist er dagegen genau richtig.

5. Bollinger Special Cuvée en Magnum

60CH 25PN 15PM. Fleischig, gleich nach dem Einschenken noch etwas verschlafen und schweflig, mit Luft dann die ganze Pinotarie, deretwegen man Bollinger so gern im Glas hat. Der ideale Übergang zum Menu und für den Weg vom Kulturhaus LA8 durch den kleinen Park rüber zum Park-Restaurant.

B. Menu aux Champagnes

Andreas Krolik vom Park-Restaurant des Brenners (* Guide Michelin, 17 Punkte Gault-Millau) war für das Menu verantwortlich. Mit einer Truppe von insgesamt fast dreißig Mann in Küche und Service brachte er den Abend über die Bühne. Plus: der Service war aufmerksam und flott. Der Champagner wurde lege artis ins lotrecht gehaltene Glas eingeschenkt. Minus: es gingen arg viele Gläser lautstark zu Bruch.

I. In Olivenöl konfierter Thunfisch mit marinierten Gurken, Paprikavinaigrette und Safran- Limonencrème

dazu: Taittinger Comtes de Champagne 1999

Diesen Champagner trinke ich immer wieder gerne. Er gehört zu den körperreichen Blanc de Blancs und selbst wenn man darüber streiten kann, ober er nicht etwas hoch dosiert ist, kann man an seiner Entertainerqualität nicht viel rütteln. Und der 99er ist ein guter Entertainer, genauso wie Pierre-Emmanuel Taittinger selbst. Der kleine Anteil fassausgebauter Grundweine macht sich in Form von Tannenhonig und Butterhörnchen bemerkbar, als Belag gibt es weichen Pfirsich. Vordergründig wenig, gut gerundete Säure, ein Champagner, der jedem sofort schmeckt. Dazu hätte man praktisch alles servieren können, Andreas Krolik entschied sich für Thunfisch. Eine sichere Bank. Der Thunfisch war erstklassig, Gurken und Paprika waren ebenfalls gut, aber nicht die erwartete Herausforderung für den Champagner. Spannung baute sich da nicht auf. Der aparte Geschmack der Limonencrème war schön, leider waren die Tupfer sehr klein.

II. Seeteufelmedaillon, Apfel-Curry-Sud, Kokosschaum und Erbsenmousseline

dazu: Duval-Leroy Femme de Champagne 1996 en Magnum

79CH 21PN, der Chardonnay kommt aus zwei kleinen Parzellen in Chouilly Grand Cru, der Pinot aus je einer Parzelle in Bouzy Grand Cru und Ay Grand Cru. Gegenüber den nur 5% fassausgebautem Grundwein in den Comtes sind es hier 7%, die Dosage liegt bei etwas unter 5g/l. Gegenüber der letzten Flasche, die ich vor ca. einem halben Jahr getrunken habe noch keine wesentliche Weiterentwicklung. Viel Säure, wenig Aroma. Ungewöhnlich mineralisch, eng und langsamentwickelnd für Chouilly, auch vom Pinotanteil habe ich noch nicht viel festgestellt. Im Burgunderkelch öffnete sich der Champagner schneller und besser als in den Zwiesel-Kristallen, zeigte aber auch dort nicht viel mehr als eine Holz- und Säurewand. Zum Seeteufel konnte man sich das gut gefallen lassen, Apfel und Curry gesellten sich in das noch sehr offene und aromenarme Gerüst des Champagners, die Kombination war also gut gewählt.

III. Himbeersorbet aufgegossen mit Alfred Gratien Cuvée Paradis Rosé

dazu: Alfred Gratien Cuvée Paradis Rosé

67CH 33PN aus Premier und Grand Crus. Erste Gärung in Barriques.

Diese Kombination war aus zwei Gründen abzulehnen. Zum einen gießt man Sorbets seit den späten Neunzigern nicht mehr auf, denn man bestellt ja auch keinen Schwarzwaldbecher als Dessert. Dann war die Kombination aber auch geschmacklich ein Fehlgriff. Ich habe nichts dagegen, ein erfrischendes Sorbet zwischen den Gängen zu genießen, daran liegt es nicht. Ich werde aber unfroh, wenn ein süßes Sorbet die Aromen eines Champagners völlig übertönt. Das war hier der Fall. Dabei hätte man wissen können, bzw. müssen, dass gerade die Champagner von Alfred Gratien – schließlich gehört der Erzeuger sogar zusammen mit dem Brenners zur Oetkergruppe – keinen biologischen Säureabbau durchlaufen und daher mit einer besonders markanten Säure ausgestattet sind. Das wiederum macht den Paradis trotz seiner verführerischen Erdbeer-Himbeernase zum geschworenen Gegner jeglicher Süßspeise. Dementsprechend wirkte der sonst sehr schöne Paradis Rosé nach dem Sorbet sauer und aggressiv.

IV. Kalbsrücken mit Pinienkern-Pecorino-Kruste, Chardonnay-Champignon-Sauce, Wirsing, Petersilie und Römischen Nocken

Veuve Clicquot-Ponsardin La Grande Dame 1998

62,5PN 37,5CH von acht Grand Crus. Die Grande Dame schmeckte kräftig, pinotgeprägt, war sehr weinig, etwas holzig bis leicht pilzig und für mich war eine Flasche minimal korkig, die andere war ok. Das Kalb war gut, aber nicht sehr präzise gegart. Was ich nämlich nicht mag, ist ein diffuses Ineinanderübergehen des vom Rand her wegen der Hitze bereits gebräunten Fleischs und des rosafarbenen Kerns. So aber war es hier. Keine klare Trennung, kein gleichmäßig einskommafünfmillimeterdicker Rand, sondern das ganze Stück war praktisch gleichmäßig hellrosa mit leichter Färbung, was für schlechtes Timing spricht. Der Wirsing war durch den Rahm nicht mehr besonders stark wahrzunehmen, dadurch ging Spannung verloren. Die Chardonnay-Champignon-Sauce war wiederum kein besonders riskanter Zug. Die Römischen Nocken waren mir zu laff.

V. Chaource von Maître Antony und pain d'épices

dazu: Lanson Extra Age en Magnum und Pommery Rosé Apanage

40CH 60PN aus Premier und Grand Crus. 2003er Basis mit Reserve aus 2002, 1999. Kein BSA. Leider sehr kalt serviert und dadurch etwas betäubt, mit Luft schälte sich ein ziemlich muskulöser Körper heraus, auf den man gespannt sein darf und der zum Käse schon eine gute performance lieferte. Der Chaource war fein, aber bemerkenswert war vor allem das Früchtebrot. In dicken Schnitten, kam es auf den Tisch, war überaus saftig, endlich auch mal mit etwas mehr Mut gewürzt. Besser noch als der Lanson passte aber der Pommery Rosé Apanage. Das ist ein fruchtiger, leichter Champagner, der erkennbar auf gehobenes easy drinking setzt und merklich dosiert ist. Zum Chaource fielen seine beerenfruchtigen Aromen angenehm auf, auch zum Früchtebrot mit Butter war er der bessere Partner.

VI. Dessertbuffet mit Laurent-Perrier Rosé en Magnum

100PN Saignée. Den Champagner habe ich separat von den Desserts genossen, weil er sich zwar zu vielen Speisen kombinieren lässt, aber eben nicht zu Süßem.

– Apfelkuchentaler, davon habe ich gleich ein paar eingeworfen, Hennessy X.O. zum hinterherspülen und gut;

– Früchteespresso mit Passionsfruchthaube, war eine gute Idee, vor allem da ich Passionsfruch gern mag;

– Waffelröllchen mit Stracciatella-Füllung, nett, aber nicht besonders;

– Makirolle aus Schokolade mit Ananas und Goldstaub, schöne Kombination aus dünner, nicht zu fetter Zartbitterschokolade und saftigen, aber nicht suppenden Ananaswürfeln;

– Crème brûlée, war auch gut;

– Pralinés, sahen alle etwas bemüht und überdekoriert aus

– Maccarons, krachten nicht, sondern waren schon etwas angeweicht, was die Freude an der schmackhaften Füllung trübte

Palmes d’Or auf dem Obersalzberg

 

Champagne Nicolas Feuillatte ist eine noch junge, gleichwohl von Geburt an schillernde Marke. Namensgeber ist ein Sprössling aus der Handelsdynastie Feuillatte, eben jener Monsieur Feuillatte, der in USA mit Kaffee ein Vermögen verdient hatte und, wie es die Art mancher Nabobs ist, Mitte der 1960er Jahre danach trachtete, den Zaster irgendwie in der alten Heimat wieder anzulegen. Den Mann von Welt erkennt man indes daran, dass er sein Geld nicht lediglich für Drogen, Frauen und Autos ausgibt und den Rest verjuxt. Nein, der Mann mit Stil kauft sich ein Wein-, vorzugsweise ein Champagnergut. Das tat unser Monsieur Feuillatte und hatte mit dem seinigen von Beginn an solchen Erfolg, dass er sich recht bald nach Größerem umsehen musste. So kam es zur Zusammenarbeit mit der sogar noch etwas jüngeren, doch aufsteigenden Genossenschaft "Centre Vinicole", 1986 verkaufte dann der gereifte Nicolas Feuillatte folgerichtig seinen kleinen Betrieb mit dem nun schon ziemlich großen Namen ganz an die Genossen.

In Frankreich kennt man die gesamte Bandbreite des Hauses, in Deutschland ist die Marke noch überwiegend nur in den unteren Preisrängen prominent. Anders als bei den teils ebenfalls sehr angesehenen Genossenkollegen von Mailly, Esterlin, Paul Goerg, de Saint Gall oder Jacquart sieht man die unter Prestigetrinkern trotzdem noch nicht hinreichend wahr- und ernstgenommenen Spitzencuvée Palmes d'Or von Feuillatte auch schonmal deutlich über 100,00 EUR im Handel. Das ist ein Angriff auf die Schublade, in der Dom Pérignon, Comtes de Champagne, Belle Epoque, Louise, sowie natürlich Krug und Salon liegen. An denen muss sich eine Cuvée Palmes d'Or also in jeder Hinsicht messen lassen. Was das Marketing betrifft, die Ausstattung der Flaschen, Optik, Haptik, pipapo, gelingt das Manöver meiner Meinung nach. Das dürfte vor allem daran liegen, dass die Champagnergenossen die Diskrepanz zwischen dem nivellierenden Genossenschaftsprinzip und dem elitär-avantgardistischen Luxuskonzept des jenseits der Standardbrutkategorie angesiedelten Prestige-Champagners an sich ohne sichtbare Anstrengung oder Verkrampfung überwinden. Denn das, so mein Eindruck, haben die Wettberwerber aus dem Genossenumfeld nicht recht verinnerlicht.

Gewiss: Esterlins Cléo kommt in aufregender – mich jedoch immer an die Proseccos von Mionetto erinnernden – Flasche daher, die önologisch sehr gelungene Toplinie von Mailly Grand Cru ist ebenfalls aufwendig und gut gestaltet, aber schon bei der Cuvée Orpale von de Saint Gall wirkt das Etikettendesign verschnarcht, der stilisierte Diamant auf dem Etikett der Lady von Paul Goerg überzeugt mich ebenfalls nicht und so sehr ich macnhe Jahrgangs-Blanc de Blancs von Jacquart schätze, die Cuvée de Nominée warf mich noch nicht um. Hinzu kommt, dass allen diesen Champagnern durch ihre allenfalls punktuelle Werbung und ihren respektvollen Preisabstand zu den aromatischen und preislichen Größen unter den Prestigecuvées der rechte Biss und die mörderische Angriffslust fehlt. Anders ist es bei Nicolas Feuillatte, das sollte die jüngst von mir besuchte Veranstaltung auf dem Obersalzberg zeigen – ein Ort, der trotz seiner herrlichen Naturlage mit einer gewissen Angriffslust in Verbindung gebracht werden kann.

Ulrich Heimann, Sternekoch im hoteleigenen Gourmetschuppen Le Ciel des Intercontinental Berchtesgaden, lieferte sich mit seinem Sternekollegen Wahabi Nouri vom Restaurant Piment in Hamburg eine cooking battle bei der er es nur Gewinner gab und beide hatten sich, wie sehr schnell feststand, den dazu servierten Champagner redlich verdient:

Nach einer Eröffnung des Abends in der Küche des Le Ciel sollte es losgehen. Hoteldirektor Claus Geißelmann stellte die dramatis personae vor, Bloggwart Dirk Würtz verliebte sich in die marokkanische not quite so dry aged Butter von Wahabi Nouri und zum Palmes d'Or 2000 aus der Jeroboam – es war nicht nur eine, die dabei geleert wurde, was nicht nur den Vorteil der größeren Menge für jeden hatte, sondern auch Flaschenvarianzen deutlich werden ließ – setzte es reichlich amuses gueules, der adjoint chef de cave bei Nicolas Feuillatte David Hénault erläuterte die Champagner.

I. Röllchen vom Kalbsrücken, gefüllt mit Thunfisch neben grünem Apfel – Ulrich Heimann

dazu: Blanc de Blancs Grand Cru 2000

Früher gab es von Nicolas Feuillatte Blanc de Blancs und Blanc de Noirs aus einzelnen Crus. Leider war die erzeugte Menge immer viel zu klein, so dass eine einzelne größere Bestellung von einem der über achtzig Exportmärkte des Hauses den Bestand unverhältnismäßig reduzieren konnte, was bei den anderen Interessenten für diese Champagner zu Enttäuschung führte. Diese Politik wurde aufgeben, die Rebsorten Grand Crus stammen nun nicht mehr exklusiv aus z.B. Cramant oder Ambonnay. Sie haben dadurch meiner Meinung nach etwas an Profil eingebüßt. So erschien mir der im März 2009 dégorgierte Blanc de Blancs duftig und fein, mit einer Mischung aus Butter, Honig und Brotrinde, doch fehlte ihm die fordernde, straffe Säure. Was mir solo etwas laff vorkam, überzeugte jedoch zum Essen. Plötzlich wirkte der Champagner wie aufgeladen, brillierte erwartungsgemäß zum grünen Apfel, der diskret und wie unter Freunden etwas von seiner Säure spendierte, überzeugte mich allerdings völlig in Verbindung mit dem kleinen Salatbouquet. Eine starke Eröffnung von Ulrich Heimann.

II. Lauwarm marinierter Kabeljau mit geschmolzener Tomaten-Paprikasauce & Chermola – Wahabi Nouri

dazu: Rosé d'Assemblage Brut

Mit Wahabi Nouri unterhielt ich mich noch lange nach dem Ende der offiziellen wie auch der inoffiziellen Tischrunde über dies und das. Dabei konnte ich unter anderem loswerden, dass für mich Kabeljau ein Fisch ist, den früher nur Kinder und Supermarktkunden gegessen haben und der nicht deshalb zur Delikatesse wird, weil er überfischt und daher rar ist. Ich musste das aber gleich wieder relativieren, denn der Kabeljau von Wahabi Nouri war eine Delikatesse. Doch die nächste Relativierung folgt sofort, das Herzstück und der Star dieses Gangs war die Tomaten-Paprika-Sauce, die wiederum auf einem reduzierten Krustentierfonds basiert, wenn ich mich recht entsinne. Der eigentlich nicht besonders strahlend-schöne, wenngleich ordentliche Brut Rosé sollte seine wahre Bestimmung zu diesem Gang finden. Solo spröde, ging er als Begleiter dieses Gangs auf wie eine Wüstenrose und entließ delikateste Fruchtaromen, die wie ein Elfenreigen über die Zunge tanzten. Enorm, wie Sauce und Chermola da die Aromen aus dem Champagner kitzelten. Starke Erwiderung von Wahabi Nouri also.

III. St. Pierre in der Brotkruste mit schwarzem Knoblauch und Steinpilzen – Ulrich Heimann

dazu: Wein- und Sektgut Barth, Rheingauer Riesling Sekt "Primus" Erstes Gewächs 2007 en Magnum 195/480

Damit lag der Ball wieder im Feld des Hausherrn. Der ließ sich mit einen weichen, aber nicht labberigen St. Petersfisch nicht lumpen und platzierte den Kiemenatmer auf einem Bett, das sich buchstäblich auch als Flussbett für die Weinbegleitung eignete. Für 121,00 EUR heuer erstmalig versteigert und ausschließlich als Magnum erhältlich, kam mit dem Primus ein sehr ordentlicher Rieslingsekt ins Glas, der mit einer etwas buttrigen Anmutung startete, Rheingauriesling erkennen ließ und dann in einer dafür nicht untypischen Mischung aus Aprikose, Litschi und Pitahaya schwelgte, bevor er sich mit den fermentierten, pilzigen Noten des Speisebetts einließ und ganz säuisch gut dazu schmeckte. Für mich am besten daran: es fehlte die von mir so verabscheute rapsige, unkrautige Note, die mancher Sekttrinker scheinbar als sekttypisch geradezu begehrt.

IV. Tajine von Sot-L'Y-Laisse mit Artischocken und Topinambur in Safran-Ingwer-Nage – Wahabi Nouri

dazu: Cuvée 225 Blanc 1999

Was sich auf den ersten Blick exotisch liest, ist küchentechnisch ein alter Hut. Hinter dem Tajine vom Sot-L'Y-Laisse verbirgt sich nichts anderes, als ein geschmortes, besonders hochwertiges und deshalb im Deutschen als Pfaffenstück bekanntes Teil vom Huhn. So weit, so einfach, scheint's. Doch was dann kam, überrumpelte nicht nur mich. Wahabi Nouri hatte nämlich ins Buttertöpfchen gegriffen, bzw. seine über drei Jahre in Salzlake und Tonamphore gereifte marokkanische Butter um eine Messerspitze verringert, die er sogleich dem Schmorhuhn zufügte und damit für eine Sensation wie von allerfeinstgereiftem und restlos zerschmolzenem Gorgonzola samt Mascarponecrème gesorgt. Dazu konnte es keinen geeigneteren Champagner geben, als die einzige fassgereifte Cuvée von Nicolas Feuillatte. Das Zusammenspiel beider versteht jeder, der die Vorzüge eines Doppelkupplungsgetriebes z.B. aus dem Hause Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG kennengelernt hat. Diese Meisterleistung ist das technische Äquivalent der Kombination aus Butterschmorhuhn und Holzfasschampagner. Vorteil Nouri.

V. B'Stilla von der Taube mit Nuss-Cous-Cous – Wahabi Nouri

dazu: Blanc de Noirs Grand Cru 2000

Leicht, fruchtig und fein war Champagner, meiner Meinung nach dem B'Stilla nur in puncto Filigranität, dem Täubchen in Sachen Intensität aber in keiner Hinsicht gewachsen und dem hervorragenden Nuss-Cous-Cous auch nicht. Hier wäre die Palmes d'Or Rosé besser platziert gewesen. Das B'Stilla ging dementsprechend bei mir nur solo über den Gaumen, fühlte sich dort aber so wohl, dass es mit einem lang grüßenden Nachhall dort blieb und den nussigen Partner willkommen hiess, bevor beide doch noch vom Champagner weggespült wurden.

VI. Tarte von Bühler Zwetschgen mit Mandelkrokant und Karamelleis – Ulrich Heimann

dazu: Palmes d'Or Rosé 2002

Zu süßen Nachspeisen, auch wenn sie nicht arg süß sind, schätze ich Champagner nicht. Ich schätze auch nicht die gräßliche Cliché-Kombination von Champagner, etwa gar noch Rosé-Champagner und Erdbeeren. Nicht sehr glücklich war ich deshalb über die das Menu abschließende Zusammenstellung. Die Tarte hätte eine höher dosierte Begleitung verdient, die Gerbstoffe des Saignée-Rosé machten sich zu allem Überfluss zusätzlich bemerkbar. Also war wieder Trennung angesagt, diesmal spülte ich mir den Gaumen erst mit einem kleinen Schlückchen vom Rosé frei, bevor ich mich ihm ganz widmete. Dabei bemerkte ich eine positive Entwicklung gegenüber der letzten von mir verkosteten Palme d'Or Rosé. Das florale, an Freesien und Nachtkerzen erinnernde Element hatte sich zurückgebildet und den jetzt rechtmäßig im Vordergrund stehenden Beerenfrüchten mit ihrer dezenten Griffigkeit Platz gemacht. Immer noch vorhanden ist eine pointierte, auch dezente, aber immerhin merkliche und vielleicht ja für ausgeprägtes Reifepotential stehende Süße. Darauf aufbauend führte ich mir die saftigen Zwetschgen zu und knusperte am Krokant, froh, vor positiven Aromeneindrücken nicht vorzeitig besinnungslos geworden zu sein.

 

Nach dem Hauptgang gab es eine Vertikalverkostung mit den meisten der bisher erschienen Jahrgänge.

1. Palmes d'Or 1996

Rauch, getorfter Whisky, Silex, später Kondensmilch, auch Limette, Butter, Estragon und Kerbel. Starke, fordernde Säure, die am Gaumen erbarmungslos durchzieht und keine Zeit zum Nachdenken lässt. Der Champagner hat das Zeug zum Herausforderer für Dom Pérignon und Co. Er ist an keiner Stelle plakativ, verzichtet aber auch auf understatement. Selbstbewusstsein und eine kunstvoll das Jahr reflektierende gestalterische Kraft sind seine Stärken. Wenn sich die Palmes d'Or stilistisch dort festsetzen, ist alles gebont.

2. Palmes d'Or 1997

In der Nase mürbe bis morbid und so lebensbejahend wie ein Gedicht von Gottfried Benn. Am Gaumen dagegen noch frisch und solange das der Fall ist, ist dieser Champagner noch nicht über seinen Höhepunkt hinaus. Ob er's noch lange machen wird, bezweifle ich, doch sollten drei bis fünf Jahre noch drin sein. In diesem Jahrgang glänzen nur wenige andere Prestigecuvées. Den Cristal dürfte dieser palmes d'Or eingeholt haben, ich sehe ihn auch der der Belle-Epoque, mit der Grande Année wird er sich allerdings schwertun.

3. Palmes d'Or 1998

Steinig, salzig, mineralisch, insgesamt schlanker, aber nicht drahtiger, sehniger oder sportlicher als seine beiden Vorgänger. Verbene, Ingwer, Milchschokolade, mittellanger Mundeindruck. Schwer zu beurteilen, ebenso wie sein Nachfolger. Vielleicht sind die Jahre nicht so ausdrucksstark, vielleicht sind die Champagner auch beide noch nicht so weit, dass sie rauslassen, was sie können.

4. Palmes d'Or 1999

Auch hier Salz, Karamell, Quality Street Toffee mit Himbeerfüllung, erinnert an Götterspeise, ist aber etwas körniger.

5. Palmes d'Or 2000

Eine Mischung aus Brot, Kaffeebohnen und Marshmallows, macht einen etwas trägen, noch schläfrigen, aber keineswegs kraftlosen Eindruck. Was mir bei der Verkostung aus den Jeroboams auffiel, bestätigt sich hier, wie auch schon zur ProWein: der Champagner ist zu jung.

6. Palmes d'Or 1990

Dieser Champagner hatte meiner Meinung nach einen leichten Korktreffer, der sich raffiniert unter einer Mischung aus süsslichem Rauch und Jod versteckte. Ein ähnlicher Duft muss zu Bill Clintons Zeiten gelegentlich im Oval Office gelegen haben.

Essen Geniessen auf Zollverein

 

Im Weltkulturambiente der Zeche Zollverein haben diesmal die Bubm und Maderln von "Essen geniessen" aufgetischt.

Meine Spur der Verwüstung habe ich bei Schnitzlers aus Byfang begonnen. Zur Parmesanmousse auf Tomatencarpaccio mit karamellisierten schwarzen Oliven gab es einen gesitteten Moselriesling aus dem Hause F. J. Eifel, die 2008er Trittenheimer Apotheke als trockenen Kabinettwein. Zu der üppig bemessenen Portion Parmesanmousse wäre, um alles richtig zu machen, ein zweites Glas Riesling fällig gewesen, so gut schmeckte mir beides in Kombination. Die Mousse allein war gut, aber nicht überragend, auch schien mir der Parmesangeschmack nicht stark genug ausgeprägt. Die Tomaten dagegen waren exzellent und in der Tat überragend waren die karamellisierten Oliven. Knusprig, aromatisch, in nicht zu grosse Flocken geschnitten und im richtigen Verhältnis der Mousse hinzugefügt, traumhaft zum Kabinett.

Als Wegzehrung schnell den ersten Champagner, ein Baron Fuenté Brut Tradition besorgt, und schon konnte es weitergehen.

Bei Nelson Müller griff ich das Dreierlei von der Blutwurst auf pikanten Linsen ab Die Blutwurst gab es wie schon beim letzten Mal in kross gebratener Form, im Teigmantel und als Brotwürfel. Die Version im Teigmantel gefiel mir diesmal am besten, die Blutwurst lief wie ein Füllhorn über die Linsen aus und vermählte sich mit deren pikant-scharfer Würze. Zu der salzigen Marinadenkomponente verhielt sich der ansonsten unauffällige Champagner recht gediegen und zuvorkommend und ich war zufrieden.

Mit dieser Grundlage konnte der Weg zur Résidence heiter beschritten werden, dort fanden sich dann auch Nelson Müller und Henri Bach zum Phototermin wieder ein. Zu Essen gab es den geräucherten Saibling mit Gurkensalat und Dillschmand. Auf der Haut und auf den Punkt gegart kam der Saibling, vom stets vorbildlich freundlichen Résidence-Personal serviert – an den Tisch und lachte mich genauso verheißungsvoll an, wie das Standpersonal. Ich fand ihn milde gewürzt, ja eigentlich ziemlich naturbelassen und fand außerdem, dass das allein mein Fall eher nicht ist. Das änderte sich erst, als ich Kaviar und Gurkensalätchen dazu kombinierte, die den Saibling unter ihre Fittiche nahmen und den aromatischen Steigflug begannen. Sodann konnte das geschmorte Ochsenbäckchen mit Wurzelgemüse und Süßkartoffelpurée folgen, um das ich einfach nicht herumkomme. Wieder war die Portion groß, für open-air Veranstaltungen geradezu gewaltig und wieder war das Ochsenbäckchen die reine Freude. Zart, fettlos, mit konzentriertem Jus, würzigem, leicht stückigem und ausgeprägt aromatischem Purée.

Nebenan bot Frank Heppner von Essens neuem Gastrofixpunkt Vincenz & Paul im Museum Folkwang seine Speisen feil. Der Champagner von Baron Fuenté war mittlerweile ausgetrunken, so dass neuer Stoff hermusste. Es wurde einerseits der Haustrunk von Vincent & Paul, ein Pinot-Chardonnay-Mix von Veuve Devaux und außerdem Ruinarts Rosé NV. Dazu gab es Tatar vom Jungbullen mit koreanischen Aromen und Wildkräutersalat, sowie Riesengarnele im japanischen Mie de Pain gebraten, an Kokos-Zitronengrasschaum und Hummergnocchis. Zum Tatar: es scheint eine weitverbreitete Unsitte zu sein, das Fleisch derartig fein zu mahlen, dass es als Tatar überhaupt keine Struktur mehr zeigt, sondern nur noch wie ein rot zusammenbappender Eishockeypuck auf dem Teller sitzt und keinerlei Gaumenreiz mehr entfaltet. Da bringt auch die schönste koreanische Aromatisierung nichts, einen solchen strukturlosen Klotz mag ich nicht essen. Ich habe deshalb von Herrn Heppners Jungbullentatar nur ein bisschen gekostet und musste nur zu schnell mit Enttäuschung feststellen, dass die Würzung zwar ansatzweise koreanisch schmeckte, das Tatar jedoch völlig missglückt war. Der Wildkräutersalat, offenbar mit koreanischer Sojasauce besprenkelt, vermochte das nicht zu retten. Zur Krabbe: sehr störend empfand ich die Gnocchis. Die schmeckten nämlich wie ein leicht fischelnder Kokoskuchen und nicht wie leicht kokosaromatisierte Hummergnocchis. An der salzigen Garnele gab es weiter nicht viel auszusetzen, die war top gegart, fleischig, fest, von sehr guter Qualität, bloss eben zu salzig.

Vom Restaurant am Park im Essener Sheraton genehmigte ich mir im Anschluss naturbelassene Auster, um den Gaumen etwas zu versöhnen.

Dann war es, wie mir mein Magen signalisierte, Zeit für's Dessert. Das nahm ich aus Frau Bergheims Sterneküche im Hugenpoet ein. Zum Melonensorbet von drei verschiedenen Melonen gab es eine fluffige Ziegenkäsemousse, Kürbiskernöl und crunchige Kürbiskernsplitter. Dazu Louis Roederer Brut Premier, und die Laune war komplett wiederhergestellt. Die einzelnen Melonen kamen unverfälscht und intensiv zur Geltung, jede bildetet einen schmackhaften Kontrast zum Frischkäsemoussebrikett und zwischendurch bot der Kürbiskernknusper eine clevere Abwechslung in Konsistenz und Aroma.

Zum Ausklang verfügte ich mich ins Casino Zollverein, wo van Volxems Schieferriesling 2009 und Heymann-Löwensteins Blanc de Noirs Sekt aus Spätburgundertrauben den gemütlichen Teil des Abends einleiteten. Im weiteren Verlauf wurde noch Birnenschaumwein von Kirchmayr geöffnet, der steiermärkische Opok 2006 von Sepp Muster konnte sich dem gnadenlosen Zugriff ebensowenig entziehen, wie der Dönnhoffsche 2009er Weissburgunder. Wenn übrigens jemand auf der Suche nach einem Wein sein sollte, der dem Parfum "First" von Van Cleef & Arpels verblüffend ähnelt, dann halte er sich an den Opok. Sepp Muster arbeitet biodynamisch, der Opok (30% Morillon, 30% Welschriesling, 20% Sauvignon Blanc, 20% Gelber Muskateller) war 18 Monate in alter Eiche und manche seiner Weine werden teils in der Tonamphore vergoren.

Schließlich, und weil ich so viel Stillwein nicht gut vertrage, musste zum Abschluss der Grand Éclat von Champagne Thierry Bourmault aus dem Premier Cru Cuis ins Glas. 80CH von alten Reben, 20PN aus dem Grand Cru Verzy. Kraftvoll, mit g'schmackiger Säure, die dicht über den Zungenpapillen weitergleitet, nachdem die erste hohe Geschmackswelle über den Gaumen anbrandet und sich ab der Gaumenmitte rasch verabschiedet. Beim ersten Schluck denkt man sich noch: och, das war's schon? Beim zweiten, dritten Schluck, bzw. Glas stellt man dann fest, dass der Champagner seinen aromatischen Scheitelpunkt immer weiter nach hinten verlegt, ohne aber je wirklich lang zu werden.     

Bericht von der Champagne Master Class

Die I. Champagne Master Class im Club B der Résidence in Essen-Kettwig war eine Mischung aus phantastischem Zweisterne-Menu und einer tour d'horizon durch die Champagne, bei der es mir darum ging, möglichst viele Typizitäten und Facetten des Champagners zu illustrieren. Die überragende Küchenleistung von Henri Bach verdoppelte dabei das Champagnervergnügen und kitzelte bei manchem Champagner noch Eindrücke heraus, die in einer reinen Nur-Champagner Probe sicher verlorengegangen oder nicht ausreichend gewürdigt worden wären. Viele Champagner stellten ihre Gastroaffinität unter Beweis, manche liefen überhaupt erst zum Essen zu Bestform auf.

Im Einzelnen:

O. Opener: Philipponnat, Royal Réserve en Magnum, dégorgiert im September 2009

40-50PN 15-25PM 30-35CH, überwiegend Stahltank, 25-40% Reservewein aus Soleraverfahren. 9g/l. Das Haus hat ca. 17ha in Mareuil-sur-Ay, Ay, Mutigny und Avenay Val d'Or.

dazu: Ziegenkäsevariationen

Den Opener von Charles Philipponnat nahmen wir bei strahlend schönem Wetter am Stehtisch vor der Résidence ein. Die Dosage war unaufdringlich, der Champagner zeigte eine schöne, herbfrische, minimal rauchige Art, war erkennbar jung, doch mit einer harmonischen, wohlgeformten Rückenpartie ausgestattet, die sich dem Solera-Reservewein verdankt.

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I.1 Jacky Charpentier, Cuvée Pierre-Henri (Extra Brut)

100PM von ca. 55 Jahre alten Reben in Reuil und Châtillon-sur-Marne, Fassausbau, Bâtonnage, dabei kein biologischer Säureabbau (BSA), 4,5g/l. Rebbesitz auf ca. 12ha in Villers-sous-Châtillon und in der Vallée de la Marne.

I.2 Tarlant, Vigne d'Or (1999, Extra Brut), dégorgiert von Hand am 13. Juli 2004

100PM, von damals 51 Jahre alten Reben aus der Einzellage Pierre de Bellevue, Fassausbau und Bâtonnage, kein BSA. 4g/l. Benoit verfügt über 13ha in Oeuilly, Boursault und Celles-les-Condé.

dazu ein erster Gruß aus der Küche: Variationen von Foie Gras als Eis, Mousse und Terrine, mit einem Stückchen Streuselkuchen

sowie ein zweiter Gruß aus der Küche: Hummerbisque mit Hummerhappen

sodann: marinierte Cantaloupe-Melone | Kaisergranat | Wiesenkräuter

Den ersten flight gab es vorweg als winziges Verkostungsschlückchen ins Glas, denn die freundlichen Küchengrüße bedurften einer adäquaten Begleitung auf dem Weg den Schlund hinab. Zum analysieren war das natürlich nichts, das ging erst mit dem ersten größeren Schluck, der passgenau vor dem Kaisergranat serviert wurde.

Der Charpentier zeigte sich herb, mit der kräuterigen und leicht rauchigen Nase, die er in seiner Jugend scheinbar immer hat. Säure und Holz waren nicht wahrnehmbar, der Champagner wirkte mürbe, ja etwas schläfrig und gewann mit Luft nicht hinzu, sondern blieb die ganze Zeit so. Damit bildete er jedoch einen sehr schönen Begleitchampagner für den Kaisergranat und die Wiesenkräuter.

Wie anders dagegen der Tarlant. Ein Kickstarter mit knalligem Eukalyptusduft und einer Duftfülle, die ich sonst noch von australischen Syrahs gleichen Alters kenne, der Elderton Command Shiraz beispielsweise, der Noon Eclipse Grenache 1999 oder der Fox Creek McLaren Vale Reserve Shiraz 1998 waren auf Anhieb so. Zum Krustentier verhielt er sich etwas angestrengter gespannt, trug jedoch solo deutlich den Sieg über den Pierre-Henri davon, auch weil er sich unentwegt fortentwickelte und noch längst nicht den Eindruck erweckt, als wollte er langsam Reife- oder gar Alterungserscheinungen zeigen.

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II.1 Champagne Doyard, Cuvée Vendémiaire Multi Vintage (2004, 2002, 2001), dégorgiert im Dezember 2009

100CH, 50% Fassausbau ohne Bâtonnage, BSA bei 30%. Flaschenfüllung im Mai 2005. 7g/l. Yannick Doyard hat 10ha in Vertus, Le Mesnil-sur-Oger, Oger, Avize, Cramant, Dizy und Ay.

II.2 Robert Moncuit, Grande Cuvée Blanc de Blancs Grand Cru 2004

100CH von über 40 Jahre alten Reben. 8g/l. 8ha ausschließlich Chardonnay, ausschließlich aus Le-Mesnil-sur-Oger.

dazu: geräucherter Yellowfin als Filet und Tartar, in der Petri-Schale serviert | Wasabimayonnaise | Felchenkaviar

Als der Thun hereingetragen wurde, war noch nicht zu ahnen, was da kommen würde. Lediglich ein gewisses Klappern schien ungewöhnlich. Das Klappern rührte daher, dass der Thun in Petrischalen serviert wurde, die mit Glasdeckeln verschlossen waren. Mit dem Abheben der Deckel entfaltete sich dann schlagartig ein Duft von Lagerfeuer, Buchenholz und frischem Rauch im Club B der Résidence – ein schöner Auftakt für den nächsten Gang. Da es sich um einen reinen Chardonnayflight handelte, war mir die Wahl der passenden Champagner vorab schwer gefallen. Wohl hätte man "S" de Salon, Clos du Mesnil, Perrier-Jouet Belle Epoque Blanc de Blancs öffnen können. Denn jeder dieser Champagner ist hochgradig typisch für seine Gattung und gleichzeitig hochgradig außergewöhnlich. Doch bin ich der Ansicht, dass diese Champagner ein wesentlich höheres Maß an Konzentration verdienen, als sich das in einer Verkosterrunde gewährleisten lässt, bei der es nicht nur um den akademischen Aspekt der Probe geht, sondern vor allem auch um den Genuss im Rahmen eines ausgedehnten Menus. Daher blieb ich am anderen Ende der Preis- nicht jedoch der Qualitätsskala.

Mit Yannick Doyards Vendémiaire konnte ich ein Gewächs öffnen, auf das der Erzeuger zu Recht sehr stolz ist. Jung, stämmig, bärenstark. Auf dem Teller fand er sein Pendant im Thunfischfilet, das dunkel, saftig, lüstern, einladend, und auf mich sogar ein wenig geheimnisvoll wirkte, es bildete sich eine sehr fordernde Allianz. Der Kombination fehlte es dennoch etwas an Eleganz.

Klarer Sieger am Tisch war auch nach meiner Meinung in diesem flight der Jahrgangschardonnay von Moncuit. Der hatte seinen Einstand ja schon bei anderer Gelegenheit in der Résidence gefeiert. Damals hatte ich ihn zur Frühlingsrolle und zum Wan-Tan-Hummer, zum Sellerie-Pumpernickel und zu anderen Variationen mit Fenchel genossen. Dieser Champagner bietet Apfelsexyness, die man Ernst zu nehmen hat. Zum feinen Tartar entafaltete sich ein zauberhaftes Ingwer-Bitterorangenaroma, das wohl jeden am Tisch betört hat. Im Gegensatz zum Doyard, bei dem die mitschwingende Räuchernote Cowboyfeeling verbreitete, wairkte sie hier von so asiatisch und puristisch wie ein Parfum von Issey Miyake.

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III.1 Cedric Bouchard (Les Roses de Jeanne) Cuvée Inflorescence (2008, Brut Nature)

100PN aus der Lage Val Vilaine, fussgestampfter Most, in Edelstahltanks vergoren. Kein Dosagezucker. Cedric Bouchard verfügt über insgesamt nur 3ha in Celles-sur-Ource.

III.2 André Clouet, Un Jour de 1911 Multi Vintage (2002, 2001, 2000)

100PN. 10ha in Bouzy.

1911 Flaschen von alten Reben, unfiltriert, ungeklärt, ungeschönt, vinifziert wie 1911.

dazu: Jakobsmuscheln | Wakame Algen | Ingwergelée | Tom Ka Kai

Die Inflorescence von Cedric Bouchard wirkte rund, zeigte minimalen Babyspeck und machte noch nicht den Eindruck, als sei sie besonders ausgereift, was angesichts des Jahrgangs und der kurzen Hefeverweildauer kaum überrascht. Diesen raren Champagner wollte ich der Runde aber nicht vorenthalten haben, denn er ist ein Vertreter von der "neuen Aube". Dieses Stieftochtergebiet macht zur Zeit eine positiv unruhige Zeit mit vielen Neugründungen und experimentierfreudigen Winzern durch. Cedric Bouchard ist einer der wichtigsten Vertreter dieser Entwicklung und seine Inflorescence ist alles andere als ein Vieilles Vignes Francaises – doch dieser Champagner ist ein emblematischer Pinot-Noir aus einer Gegend, die in der Champagne niemand für konkurrenzfähig mit Bouzy, Ambonnay oder Ay gehalten haben würde. Seine seidige, verführerische Art passte meiner Ansicht nach besonders gut zu dem zwischen Jod und Gurke changierenden Algensalat und zur Jakobsmuschel.

Die "Jour de 1911" Champagner öffne ich immer zu früh. Sie machen mir aber jedes Mal so viel Spass, dass ich nicht die Finger davon lassen kann. Hier zeigte er sich wieder mit höchster Spielkultur, dem würzigen Tom Ka Kai locker auf Augenhöge begegnend: Galgant, Kokosmilch, Brühe, Zitronenmelisse, Verbene, Hagebutte, Goji-Beere, Cranberry, Schattenmorellen – alles lief so mühe- und kollisionslos durcheinander, dass ich zeitweise nicht wusste, woher welches konkrete Aroma kam, vom Tom Ka Kai oder vom Champagner.

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Pirat I.1 Bagrationi 1882, Finest Vintage 2007

100 Chinuri, Flaschengärung.

Pirat I.2 Robert Camak, Brut 2007

80% Riesling 20% Chardonnay, Flaschengärung. Kein BSA. 15,2g/l.

Die beiden Piraten wurden schnell als solche erkannt, womit ich bei der Probenplanung gerechnet hatte. Nachdem die drei Hauptrebsorten Gelegenheit hatten, sich vorzustellen, wollte ich nicht nahtlos mit den Rebsortencuvées beginnen. Eine Zäsur musste her und zum Glück hatte ich zwei etwas abseitig erscheinende Schäumer parat, die nichtsdestoweniger einem guten didaktischen Zweck dienen konnten. Den Georgier in einem so noblen Umfeld zu erleben, war für mich besonders spannend, er schlug sich dabei nicht schlecht, traf jedoch niemandes Geschmack so richtig. Der kroatische Sekt konnte durchaus einige Stimmen auf sich vereinigen, seine Aprikosenmusnatur, vermischt mit der milden, eigentlich gar nicht vorhandenen Säure und dem Ausklang von naturtrübem Apfelsaft ist sicher kein Sekterlebnis, das einen befeuert, dafür ist der Sekt zu behäbig. Er ist aber auf eine angenehme, pfälzisch anmutende Weise behäbig, die ihn sympathisch macht.

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IV.1 Chartogne-Taillet, Cuvée Fiacre 2000

40PN 60CH von alten, zum Teil wurzelechten Reben. Mit geringerem Flaschendruck von ca. 4,5 bar als klassischer Crémant erzeugt. 8g/l. Alexandre Chartogne hat 11ha in Merfy, Chenay und St. Thierry. Selosse-Schüler.

IV.2 Leclerc-Briant, Cuvée Divine 2004

50CH 50PN aus Dizy, Cumières, Daméry, Hautvillers. Biodynamisch (demeter). 7-8g/l. Pascal Leclerc bewirtschaftet 30ha und betreibt ein Resozialisierungsprojekt für Jugendliche auf dem Gut.

dazu: Tramezzini vom Kaninchen | Vanillemöhren | Löwenzahn

Dann ging es auf zum ersten Cuvéeflight. Wieder sollten sich zwei Champagner den Verkostergaumen stellen, die alle noch in guter Verfassung waren.

Beim Fiacre merkte man den niedrigeren Flaschendruck nicht unbedingt. Er war in frischer Verfassung, die Balance zwischen Pinot und Chardonnay war praktisch perfekt, ein klarer Rebsortencharakter ließ sich nicht mehr ausmachen, hier zeigte sich zum ersten mal im Laufe des Abends, was Verschneidekunst bewirken kann. Die Vanillemöhren – manchem waren sie zu krachend, andere mochten genau das – und der Champagner waren eine gelungene Kombination und gefielen mir an diesem Gang besonders gut.

Druckvoller, stärker moussierend wirkte im Vergleich der Divine von Leclerc-Briant. Ich meine nicht, dass die Perlage groib wirkte, wie versciedentlich angemerkt wurde, will das aber auch nicht kategorisch ausschließen, wobei ich das hauptsächlich mit dem Crémantcharakter des Fiacre erklären würde. Der Divine ist ein Champagner, der auch im klaren Kontrast zu den Monocrus von Leclerc-Briant steht. Dieser Champagner ist dicht, wuchtig, aber er gehört nicht zu den rasiermesserscharfen, ultrapräzisen Champagnern. Darin unterscheidet er sich z.B. von den Chèvres Pierreuses aus gleichem Hause.

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V.1 Armand de Brignac, The Ace of Spades Blanc, dégorgiert im März 2009

40CH 40PN 20PM. 2005er Basis mit Reservewein aus 2003 und 2002. Trauben aus Grand- und Premier Crus (Chouilly, Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil und Ludes, Rilly-la-Montagne, Villers Allerand, Taissy, Villers Marmery, Montbre, Pierry, Damery, Vertus, Mareuil-sur-Ay). 9,65 g/l. Der Dosageliqueur lagert neun Monate im burgundischen Holzfass. Erzeuger ist das Haus Cattier aus Chigny-les-Roses.

V.2 Vilmart, Coeur de Cuvée 2001

80CH 20PN von über 50 Jahre alten Reben, Fassausbau ohne biologischen Säureabau, verwendet wird nur das Herzstück der ersten Pressung. Laurent Champs verfügt über 11ha in Villers-Allerand und Rilly-la-Montagne.

dazu: Perlhuhnbrust | Steinpilze | Fregola | Paprikacoulis

Rund. Harmonisch. Sehr elegant. Animierend und balsamisch die Kehle heruntergleitend. Das ist der beste Champagner der Welt. Das süssliche Paprikacoulis war ein anspruchsvoller und geeigneter Partner für den Armand de Brignac.

Wuchtig, holzig, aus dem Glas drängend, dabei so seidenglatt und trotzdem raumgreifend ist das Schätzchen von Vilmart. Von Beginn an zeigt er eine Nase von frischgeschnittenen Pilzen, die sich oft bei reifenden Champagnern entwickelt und die fabelhaft zu den Steinpilzen passte. Bemängelt wurde, dass Vilmart mit dem offensiven Holzaroma Leere zu überdecken versuchen könnte. Das finde ich eindrucksvoll anhand der schillernden Aromenvielfalt des Champagners widerlegt. Bei reifen Vilmarts zeigt sich, dass die herausgehobene Holzaromatik sich einbindet, nicht indem sie zurückgeht oder auf unerklärliche Weise abgebaut wird, sondern weil die fortschreitenden Flaschenreifearomen aufschließen, der Kontrast zwischen Primärfrucht und Holz ist eben doch ein anderer, als der von Champignon und Fass.

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VI.1 Perrier-Jouet, Belle Epoque 1979 en Magnum

45PN 5PM 50CH. 95 Punkte bei Richard Juhlin.

VI.2 Laurent-Perrier, Grand Siècle Lumière du Millénaire 1990

58PN 42CH. 95 Punkte bei Richard Juhlin.

dazu: Ziegenfrischkäse | Schwarze Oliven | Ofentomate

Dann kam der Rocker des Abends. Die Belle Epoque zeigte sich in famoser Form. Reif, gewiss mit Apfeltypik aus Cramant unterlegt, doch spielte das für mich nicht die Hauptrolle. Viel wichtiger war mir der bestrickende Mundeindruck. So präzis und messerscharf wie das japanische Seppuku-Kurzschwert, mit dem man früher u.a. die Köpfe gefallener Gegner abgetrennt hat. Kühlend, ohne ein Übermaß an reifetönen, die gleichwohl merklich vorhanden waren. Unausgezehrt, vielschichtig und entwicklungsfreudig, trotz praktisch fehlender Perlage klar als Champagner erkennbar und schnurgerade auf dem Weg in eine burgundische Zukunft. Sehr schön zum Ziegenkäse, der die feine Säure des Champagners angemessen erwiderte, sehr schön auch zu Oliven und Tomate und wahrscheinlich der Champagner mit der rundum besten performance des Abends.

Schwächer war der Grand Siècle, ich vermute deshalb, dass die Zeit für diesen Champagner trotz vereinzelt vielleicht noch anzutreffender besonders schöner Exemplare gekommen ist. Obwohl erkennbar jünger als die Belle Epoque, schien mir hier die Substanz schon wesentlich weiter von Reife- und Alterstönen in Mitleidenschaft gezogen. Nicht, dass der Sonnenkönig mit zerkratztem Gesicht dagestanden hätte, aber er wirkte doch, als sei ihm die Schminke arg verlaufen. Er konnte das aber bei Tisch noch wettmachen, zusammen mit den schwarzen Oliven und der gebackenen Tomate kam mir der Champagner um Längen besser vor.

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Pirat II.1 Bergdolt, Weissburgunder-Sekt 2005 (Extra Brut), von Hand dégorgiert 2008

Grundweine in Kabinettqualität aus dem Kirrweiler Mandelberg – kalkhaltiger Lössboden – im Stahltank ausgebaut. Kein BSA. 3g/l.

Pirat II.2 Robert Dufour, "Les Instantanés" Blanc Gormand Extra Brut (genauer: Blanc de Pinot Blancs, Brut Nature), 2003, Tirage am 12. Mai 2004 , dégorgiert am 15. Juni 2009

100PB. 10ha in Landreville.

danach: Himbeeren | Sauerrahmsorbet

Bergdolts Weißburgunder war ordentlich, für Sektverhältnisse sogar ziemlich gut, doch kam es darauf nicht an. Denn er sollte sich einer Herausforderung aus der Champagne stellen, sich auf ein Duell einlassen, das nicht offensichtlich von den Stärken der Champenois dominiert wurde. Denn sein Flightpartner war ein ebenfalls aus Weißburgunder gewonnener Champagner. Beide verfügen über eine für ihre jeweiligen Verhältnisse recht lange Hefeverweildauer, liegen technisch am untersten Ende der Süßeskala und selbst die Bodenverhältnisse sind sich nicht unähnlich. Umso überraschender war es – oder auch nicht -, dass der Champagner überwiegend, schnell und ohne Zweifel als Champagner identifiziert wurde. Besonderen Trinkspaß, das sei noch hinzugesetzt, hat er aber nicht bereitet, dafür fehlte ihm meiner Meinung nach Pfiff, Witz, Rasse, Schwung, Aroma, Sapnnung, ja eigentlich alles, was einen guten Champagner ausmacht. Zu den Himbeeren ließen sich dennoch beide Schäumer gut vertilgen und abgesehen davon, dass die Himbeeren mit dem Sauerrahm schon sehr gut waren, kam mir die Kombination von beidem mit jedem der beiden Blubberer exzellent vor.

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VII.1 Pommery, Falltime Extra Dry

100CH. Drei Jahre Hefelager.

VII.2 Pommery, Drapeau Sec NV (70er Jahre)

60-70PN 30-40CH, 27g/l.

VII.2 Abel-Jobart, Doux, Millésime 2004

60PM 40CH. 55g/l. 10ha Sarcy

dazu: Pfirsich | Zitronenthymian | Erdnusseis

Klarer Favorit war für mich der Falltime. Der wirkte wie ein besonders saftig geratener Standardbrut, den Chardonnay vermochte ich nicht unbedingt herauszuschmecken. Wahrscheinlich handelt es sich dabei überwiegend um Chardonnays von fruchtiger Art und vielleicht sind noch ein paar Trauben aus zugigen Ecken wie Grauves dabei, die den erfischenden Säureunterbau verantworten. Fein schmeckte mir der Falltime zum Zitronenthymian. Zum Erdnusseis passte natürlich der merklich gealterte Drapeau Sec recht gut, da kam Nuss auf Nuss, aber auch Sherry und einige flüchtige Säuren waren im Spiel und trübten mir den Gesamteindruck – wobei sich der Drapeau insgesamt wacker schlug. Keineswegs so süß wie gedacht war dann der Abel-Jobart, aber auch nicht besonders fordernd. Anders als beim Doux von Fleury kam hier keine erkennbare Säure dazu, oder ein begeisterndes Aromenspiel. Auch mit dem Dessert vermochte sich der Champagner nicht recht anzufreunden. Als Schlusspunkt des flights wirkte er am schwächsten.

Bochum kulinarisch

 

Nicht nur Essen hat mit "Essen verwöhnt" eine kulinarische Leistungsschau seiner unternehmungslustigsten Edelgastronomen anzubieten; in Bochum lässt man sich die Butter nicht von der Knifte nehmen und deshalb gibt es seit mittlerweile sogar schon 22 Jahren die allseits beliebte Sommerveranstaltung "Bochum kulinarisch", heuer vom 11. – 15. August. Hummer und Känguruh, Currywurst und Sushi, die insgesamt sechzehn Gastronomen aus Bochum, Herne, Hattingen und Witten bieten auf, was der Frischmarkt eben so hergibt.

Wie immer sollte der Abend an Daniel Birkners Stand, dessen Restaurant seit neuestem unter dem Namen "Herr B." in der Gesellschaft Harmonie firm- und residiert, beginnen und enden.

Als erstes musste Champagner her, an den ich mich der Einfachheit gleich den ganzen Abend hielt. Der Chartogne-Taillet Brut Cuvée Ste. Anne aus 60% Chardonnay, 40% Pinot Noir, Basisjahrgang 2006 mit 20% Reservewein aus 2005 und 2004 machte mir die Entscheidung leicht und war mit 40,00 €/Flasche sehr entgegenkommend kalkuliert. Die freundliche Inka schenkte vorbildlich ein und "Peddas lecker Brötchenmix" hatten vom Start weg eine adäquate Gleithilfe. Peddas Brötchen sind nichts anderes, als kleine Laugenbrötchen, unterschiedlich überbacken und mit einer schlotzigen Crémetunke serviert. Wer die bei Bochum kulinarisch auslässt, ist selbst schuld. Zur Foie Gras von der Gans mit Kartoffelpurée und Honig-Schalottenconfit ließ ich mir als Ausnahme an dem Abend ein Gläschen von Marcus Clauss' 2005er Huxelrebe TBA schmecken. Die schmeckte zum Glück nicht so arg nach Katzenpisse und Unkraut, auch ihr Alter ließ sie sich nicht anmerken.

Mit Kartoffelknoblauchpurée ging es weiter, Michael Hau von der "Orangerie im Stadtpark" war so freundlich, zu den dazu eigentlich vorgesehenen drei noch ein viertes hausgemachtes Lammbratwürstl zu legen. Da ich nur schwer bestechlich bin, liess ich mich davon nicht beeinflussen, sondern aß auch das vierte Würstl mit gutem Appetit auf. Damit war ich am Ende der Fressmeile angekommen und konnte mich nun der Rückrunde widmen.

Dabei stieß ich als erstes auf Entenspezi Helmut Wicherek und sein Restaurant "Oekey", wo es schwerpunktmäßig selbstverständlich um Enten geht. Nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen, sondern auch weil ich Sülze schätze, entschied ich mich für die Entensülze mit Schmorkartoffeln und Schnittlauchcrème. Eine gute Wahl, denn die Entensülze war fest, reichlich fleischhaltig und nicht mit allzuviel Gemüseschnickschnack aufgeladen. Ein paar Erbsen, Karottenschnipsel und einige wenige grüne Pfefferkörner eskortierten das feinfaserige Entenfleisch über den Gaumen und die Pharynx herab. Die Kartoffeln hätten besser nicht sein können, mit milder Schärfe erfrischend war die großzügig beigefügte Schnittlauchcrème.

Der "Livingrom" servierte in Rotwein geschmorte Ochsenbäckchen mit Stampfkartoffeln und Wurzelgemüse. Die Ochsenbäckchen waren in Ordnung, ich habe sie zwar schon zarter gegessen, lasse aber die schwierigeren Bedingungen des Freiluftkochens als notdürftige Rechtfertigung ausreichen. Was mir jedoch nicht gefiel, war die dünne und bitter abgehende Rotweinsauce. Die hätte wesentlich besser, nämlich einem Schmorgericht entsprechend konzentrierter schmecken müssen. Über das geschnipselte Wurzelgemüse konnte ich mich mangels guter Sauce dann auch nicht mehr so recht freuen.

"Diergardts Kühler Grund" bot Original Schweizer Rösti mit hausgebeiztem Wildblüten-Lachs an. Ein Gericht, bei dem man, so meine naive Vermutung, nicht viel verkehrt machen kann. Aber man kann durchaus. Statt krachenden Röstivergnügens gab es einen etwas labberigen Kartoffelpfannkuchen. Der Lachs wenigstens war fehlerfrei, aber auf den war es mir sowieso nicht angekommen.

Vom Hattinger "Gasthaus Weiß" ließ ich mir dann sechs Austern öffnen. Versöhnlich war daran vor allem, dass ich einen lebendigen Beistelltisch, bzw. Tellerhalter in Anbspruch nehmen konnte, dem, bzw. der hiermit mein vorzüglicher Dank gilt. Ausgesprochen wohlschmeckend war überdies der gebackene Ziegenkäsetaler mit Waldblütenhonig und gehackten Walnüssen auf Rucolasalat in Balsamico-Bärlauchdressing. Dieses Dressing hatte den einzigen Nachteil, den gesamten Teller sehr stark zu verölen.

Bei Herrn B. gab es abschließend noch westfälischen Schinken und eine Abschlussbuddel Champagner, bzw. ganz zum Schluß kam noch Johannes Deppisch von fränkischen Oldtimer- und Golf-Weingut gleichen Namens heran und gab eine Lage von seinem für Herrn B. gestalteten Josecco Rosé aus – ein Mix aus Schwarzriesling, Grau- und Weißbrugunder, mit gärungseigener Kohlensäure in Zell verperlt und unmittelbar ready to drink, denn ein kleiner Strohhalm ist bereits in der mit Schraubverschluss verschlossenen Flasche enthalten.

Jörg Hackbarths Überraschungs-Lunchmenu

Auch das Lunchangebot der Ruhrgebietsköche muss man gelegentlich auf die Probe stellen. Das Mittags-Überraschungsmenu von Jörg Hackbarth war ein länger ausersehener Kandidat dafür.

I. Vitello Tonnato mit Rucola, Babyböhnchen und Kirschtomaten

Mürbes, weiches Fleisch, nicht zu fette Sauce, die daher kein starkes Säuregegengewicht benötigte. Niedlich und passend waren die Böhnchen, saftig und aromatisch die Kirschtomaten.

II. Bärlauchcappuccino mit Pfifferlingen und Croutons

Forsch gewürzt, ohne das Bärlaucharoma zu beeinträchtigen. Die Pfifferlinge fielen demgegenüber trotzdem nicht ins Gewicht. Die Croutons waren knusprig und von vernünftiger Seitenlänge.

III. Wildlachs-Teriyaki mit mariniertem Gemüse und Birnen-Chutney

Der Lachs schmeckte nach Lachs, ganz ohne zusätzliche Faxen. Die ließen sich in Form des gut gegarten Gemüses oder des sehr schmackhaften Chutneys hinzukombinieren.

IV. Spanferkelfilet auf Kartoffeltarte und Gemüsejulienne

Intensiver Schweinefleischgeschmack, der mich sehr an den der von mir geschätzten Schweinsfüsse erinnerte. Die Kartoffeltarte befand sich mit der Gemüsejulienne in einander ergänzender Eintracht und federte das Schweinchen schön ab. Dazu habe ich mir ein Gläschen von Freimuths 2008er Spätburgunder aus dem Barrique schmecken lassen.

V. Himbeer-Sorbet mit Beeren und Früchteschnitten, auf geeister Ricard-Sahne

Recht dunkel und ziemlich konzentriert war das Himbeersorbet, leicht, aber nicht besonders ricardig kam mir die Sahne vor. Vermittelnd wirkten die reifen Früchte.

Alles in allem ein sehr vernünftiges Mittagessen für gerade einmal 39,00 EUR.

Am Kamin und unter Bäumen – Mülheim/Ruhr: Restaurant am Kamin

 

Das Restaurant "Am Kamin" ist ursprünglich das Forsthaus der größten westdeutschen Baumschule gewesen und wird seit nunmehr 50 Jahren als Restaurant betrieben. Seit 1992 hat Heike Nöthel-Stöckmann die Leitung inne und übernimmt die Funktion der sprechenden Weinkarte. Nach ihrer Zeit im Aachener Gala, in Davos und im Düsseldorfer Hummerstübchen hat sie den Betrieb von ihren Eltern übernommen. Ehemann Hermann Stöckmann von smartwine sorgt für den Weinzufluss, wobei der Schwerpunkt bei biologisch-nachhaltig, bzw. biodynamisch erzeugten Weinen liegt. Fred Loimer, Gernot Heinrich, Foradori, Fonterutoli und Alvaro Palacios seien stellvertretend genannt, hinzu kommen junge Talente wie Andreas Bender aus Leiwen (mit Rebflächen auch in Hainfeld/Pfalz) und Gut Hermannsberg. Mitten im Winkhausener Wohngebiet liegt das Restaurant in einer idylisschen Mulde mit terrassiertem Außenbereich, von hohen Bäumen schützend umstanden. Im Fachwerkbau ist es urig, vor Weberknechten sollte man sich allerdings nicht fürchten.

Amuse Gueule: Karamellisiertes Schwarzbrotcarpaccio mit Sesam, Pumpernickel mit Kräutercrème, würzige Tomatenwürfel im Teig-Körbchen

dazu: Juve y Camps Reserva de la Familia Brut Natural 2005 en Magnum

40% Macabeo, 45% Parellada, 15% Xarel.lo

Das Etikett der Familienreserve erinnert immer wieder verblüffend an das vom Dom Pérignon, der Inhalt nicht. Was von manchem mittlerweile schon als Gütehinweis verstanden wird. Jedenfalls hatte ich mit der Familienreserve von Juve y Camps bisher noch nicht so viele Ausfaller und Flaschenvarianzen, wie mit dem Zugpferd aus dem Hause Moet et Chandon. Aus der Magnum schmeckt diese Cava am besten, da unterscheidet sie sich wiederum in nichts vom Champagner. Nase, Gaumen- und Gesamteindruck, sind dagegen merklich unterschiedlich, leiden aber nicht unter der Naturdosage. Oft führt der Verzicht auf Zucker im Dosageliqueur zu einem gezehrten, lakritzigen, rapsigen und an Unkraut erinnernden Geschmack, nicht so hier. Das ist jedes Mal ein Pluspunkt für diese Cava, die sich auch sonst entgegenkommend, schmackhaft, einigermaßen komplex und mittellang zeigt. Mit karamellisierten Aromen hat sie freilich einige Probleme, Sesam, Pumpernickel, Kräutercrème und Tomate hat sie hingegen angenehm umspült.

I. Frische Steinpilzpfanne mit Salatbouquet

dazu: Bender, Riesling, Mosel, 2009

Die Steinpilze waren aromatisch, bissfest, adäquat gewürzt und insbesondere nicht versalzen, hätten aber etwas größer geschnitten sein können. Der leichte, moseltypische Bender-Riesling passte gut dazu und war mit seiner fruchtig-schmelzigen Art ein charmanter Begleiter, der sich dezent im Hintergrund hielt, ohne dabei bedeutungslos zu sein.

II. Weisse Salami-Schaumsuppe

dazu: Bender, Weißburgunder, 2009

Das weiße Schaumsüppchen war ausgewogen, milchig, sämig und hatte nur einen Hauch von der Salami abbekommen, was mir anfangs zu wenig erschien, sich gegen Ende jedoch als richtig dosiert herausstellte. Mit jedem Löffel summierte sich nämlich der minimal räucherige Salamigeschmack am Gaumen und hätte tatsächlich nicht viel stärker sein dürfen. Der wieder sehr leichte Weißburgunder von Bender passte auch zu dieser Speise gut, da er eine verwandte Bauart zeigte.

III. Wildkräutersalat

dazu: von Racknitz, Vulkanfelsen, 2008

Von Wildkräutern war nicht viel zu sehen, Blattsalat, Rucola, Feldsalat, Löwenzahn wird es gewesen sein, dazu ein paar Schnittlauchstangen. Da gibt es deutlich mehr an Wildkräutern auf dem Markt und genau das war auch die Erwartungshaltung. Wenigstens Taubnessel, Giersch, Portulak, Spitzwegerich und Brunnenkresse hätte ich mir vorgestellt. Dafür war der Vulkanfelsen von Racknitz gut wie stets.

IV. Tomatentartar

dazu: di Leonardo, Sauvignon Blanc, 2008

Auch nicht sehr beeindruckend war das Tomatentatar, das einem kalten Bruschetta-Belag glich. Schlecht war es nicht, die Tomaten waren reif und aromatisch, aber der Pfiff fehlte. Am Wein gab es nicht viel auszusetzen, ein ordentlicher, kontinentaler Sauvignon-Blanc von mittlerem Gewicht, der sich mit den Tomaten gut vertrug.

V. Kaninchen "en papillottes", mit Peperonicoulis, Lavendel und Amarettobrösel

dazu: Alvaro Palacios, Priorat, Terrasses, 2006

Optisch einer der Höhepunkte des Menus und aromatechnisch sehr klug komponiert. Die Teighülle war hauchzart und knusprig, der Inhalt stand im richtigen Mengen- und Geschmacksverhältnis zueinander. Der kleine Wiesenracker hatte zartes, aromatisches Fleisch, das von einer sämigen, schmeichelnden Sauce und saftigem Paprikacoulis umgeben war. Dezent, doch merklich bereichernd waren Lavendel und Amarettobrösel. Dazu war der Priorat gut, weil immer noch in seiner Entwicklungsphase, die sich verändernden Weinaromen bereicherten den Gang zusätzlich, ohne ihn zu überfrachten.

VI. Heidschnuckenwürstchen mit zweierlei Senfcrème

dazu: Alvaro Palacios, Priorat, Terrasses, 2006

Sehr fein waren die Hedschnuckenwürstel. Sehr aromatisch und nicht viel größer als Nürnberger Rostbratwürste, aber gehaltvoll, stimmig gewürzt und pur noch besser, als mit den Fruchtsenfsorten. Dazu passte der letzte Schluck Sauvignon-Blanc noch gut, denn er unterstützte die kräuterige Komponente, dazu passte ebenfalls der Priorat, solange er noch ganz frisch und etwas orientierungslos im Glas war.

VII. Gnocchi mit getrüffelter Gorgonzolasauce

Die Portion kam mir sehr klein vor, was prinzipiell nicht schlimm ist. Nicht sehr froh war ich aber, als ich auch nach gründlicher Suche keinen Trüffelschnipsel finden konnte und deshalb davon ausgehen musste, die Sauce sei lediglich mit Trüffelöl behandelt worden – was mir der Koch nachher bestätigte.

VIII. Geschmorte Ochsenbäckchen mit Topinambur und Vanilleschaum

dazu: Alvaro Palacios, Priorat, Terrasses, 2006

Die Ochsenbäckchen hätten länger geschmort sein müssen, so waren sie zwar zart, aber mir nicht zart und zerfallend genug. Sehr gut waren dagegen die vanillierten Wurzelwürfel, davon hätte ruhig mehr auf dem Teller sein dürfen. Der Priorat lief hier zu bester Form auf und gefiel zum Essen wie solo gleichermaßen. Mittlerweile hatten sich die Aromen einigermaßen sortiert. Zwischen Zwetschge, Bleistift, Schattenmoerelle, Gestein und Beerenobst fand sich noch genügend Platz für abgelagertes Holz, moosige Töne, bereichernde, strukturierende Säure und maßvolles, bereits süsslich wirkendes Tannin.

IX. Wiener Schnitzel mit Speck-Kartoffelsalat

Die Schnitzel-Panade war nicht kross, sondern laff. Auch schien mir das Schnitzel eher dick und klein als platt und gross. Das verwendete Kalbfleisch war allerdings in Ordnung.

X. Mangosorbet im Apfel-Meerrettich-Mus

dazu: Bender, Paulessen, 2009

Das Apfel-Meerrettich-Mus schmeckte ganz genau so, wie man es erwarten durfte. Zwar als Schaum annonciert, war es doch mehr ein Brei, verwob aber die Apfelfrucht untrennbar mit der würzigen Schärfe vom Meerrettich. Die wirkte konziliant und schien zunächst nicht lange vorzuhalten, kam aber doch hintenrum zum tragen. Das war jeweils der Moment, indem man ein bisschen Mangosorbet nachführen musste, um die sich entwickelnde Schärfe in exotischem Fruchtaroma einzuwickeln. Der Bender-Wein war dazu eindeutig zu mild. Solo sicher ein angenehmer Moselvertreter, dem Meerrettich aber nicht gewachsen, dem Zusammenspiel von Apfel, Merettich und Mango dann gleich dreimal nicht.

XI. Brownie mit flüssigem Schokokern und weißem Amaretto-Schokoladeneis

dazu: Geheimrat Dr. Wegeler, Kaseler Nies'chen, Riesling Eiswein 1993

Unschuldig wirkte der Brownie, bis man ihn dann anstach und er heisse, flüssige Schokolade aus seinem Inneren entließ. Die vermählte sich schleunigst mit dem weißen Eis, und das auf sehr ansprechende Weise. Dazu konnte man den Eiswein mit viel Freude trinken, mir machte er solo am meisten Spass. In der Farbe konnte man den ohne schlechtes Gewissen auf Anfangneunzigerjahre schätzen, im Duft war er reif, aber noch nicht sehr stark firnig oder petrolig. Frische, leicht vegetabile und kräuterige Noten überwogen in der Nase und im Mund zeigte sich der Wein ausgelassen und tobte mit einer wirbelwindartigen Säure über den Gaumen. Erst zum Ende des langen Nachhalls zeigten sich andeutungsweise Alterserscheinungen in Form einer leichten Buttrigkeit, vermischt mit noch sehr unterwürfigem Kratzen.

Diplomatico Rum Reserva Exclusiva 12 yo, Venezuela

Am Rum habe ich nur geschnuppert, wie ich das bei Spirituosen fast immer mache. Viel Alkohol, etwas Holz, ein schwerer, körperreicher Vertreter seiner Art, mit dunklen, an Früchtebrot, schwarze Schokolade und Rumrosinen erinnernden Aromen.

Ain’t life grand? – Grand Culinary im Kameha Grand Bonn

 

Wer Bonn kennt, weiss, dass es dort beschaulich zugeht. Hotelmäßig dominiert unter den größeren Häusern die Günnewig-Gruppe das Bild, das ehemalige Bundesgästehaus auf dem Petersberg ist in Steigenberger-Hand und Maritim-Hotels gibt es auch.  An Sternerestaurants wird in Bonn traditionell gespart, einzig Rainer-Maria Halbedel hält die Michelinfahne hoch. Wer sternemäßig gut essen gehen will in Bonn, verlässt am besten die Stadt. Freilich: auch jenseits der Restaurantführer ist Leben, so rühmt der Bonner schon lange das Sassella in Kessenich oder bestellt seinen Fisch im Petit Poisson, der Veränderung war man, scheint's abhold.

Mit der Eröffnung des Kameha Grand kam Ende 2009 doch noch frischer Wind ins Bundesstädtchen. Frech am Rheinbogen auf der anderen, der falschen Rheinseite errichtet, in Filetlage am Ufer, Telekom und Post-Tower in Griffweite, verstört das flughafenterminalähnliche Gebäude seitdem manche etablierten Gemüter. Schuld daran ist nicht nur die kontrastierend-neobarocke Inneneinrichtung von Marcel Wanders. Dessen bevorzugt verwendete überdimensionale Zwiebelmusteroptik durchzieht das gesamte Haus, von den Fussböden im Dome über Tapeten, Dekowände und alles, was sich irgendwie 'branden' lässt, ja selbst die vom Zimmerservice in meinem Zimmer freundlicherweise hinterlegte, leider schon sehr abgegriffen wirkende Kondomschachtel passte sich ins Design ein. Abgesehen davon ist für die Konkurrenz natürlich ärgerlich, dass das Kameha Grand bereits jetzt den Titel als Hotel des Jahres 2011 für sich erringen konnte. Auch der MIPIM Award 2010 für Hotels ging als einer der bedeutendsten brancheninternen Design- und Architekturpreise an das neue Haus. Hinzu kommt noch, dass die Telekom sich als einer der großen Kooperationspartner des Hotels überaus präsent gibt und eine ganze Reihe weiterer Kooperationen verspricht ebenso stetigen Besucherstrom.     

Der Haus-Champagner des Kameha Grand in Bonn stammt von Piper-Heidsieck aus Reims. Dieser Erzeuger wurde hart von der Wirtschaftskrise getroffen und musste zuletzt ein Viertel seiner Mitarbeiter entlassen. Von denen, die verschont blieben, sind zwei besonders wichtig. Kellertalent Regis Camus (Sparkling Wine Maker of the Year 2004, 2007, 2008, 2009) und International House Communications Director Christian Holthausen. Regis Camus ist seit 2002 der Nachfolger des viel zu früh verstorbenen Daniel Thibault, der damals schon die önologischen Geschicke von zwei Champagnermarken, Charles Heidsieck und Piper-Heidsieck, in den Händen hielt. Regis Camus hat dieses Erbe angenommen und eines seiner größten Verdienste liegt darin, die beiden Marken so kontinuierlich nebeneinander fortzuführen, dass jede ihren Charakter behält und der anderen nicht in die Quere kommt. Nachdem ich erst jüngst von einer Charles Heidsieck Mis en Cave 2000 Magnum zum wiederholten Male sehr freundlich für das Haus eingenommen wurde, war ich auf die Vorstellung des Schwesterhauses sehr gespannt. Kameha-Chefkoch Jörg Stricker, der das Menu zu verantworten hatte und einen sehr souveränen, dabei gelassenen Eindruck machte, stellte zusammen mit Christian Holthausen, dem deutschstämmigen, aber nicht deutschsprachigen Kommunikationsdirektor aus New York die Paarungen des Abends vor.

I. Apéritif

dazu: Cuvée Brut, mit 80% 2006er Basis, davon 55PN 25PM 20CH, min. 28 Monate Hefelager und neun Monate Ruhe nach dem Dégorgement

Der Champagner ist ein Standardbrut, der erkennbar von einem großen Haus kommt. Christian Holthausen, mit dem ich einige Geschmacksvorlieben teile, teilte dazu mit, dass der Brut mit 9 g/l Dosagezucker auskommt, was für ein großes Haus bescheiden ist. Daher verwundert es eigentlich auch, dass Piper-Heidsieck einen so großen Kundenstamm im Massenmarkt hat. Denn der herbe, gar nicht übertrieben fruchtige Stil dürfte nur eine Minderheit unter den typischen Champagnerkunden ansprechen. Mir hat er ganz gut gefallen, wenngleich ihm etwas Säure gefehlt haben mag und große Komplexität nicht aufkommen mochte. Dennoch: für ein großes Haus ist der leicht räucherige und von frischem Baguette geprägte Stil untypisch und verleiht ihm Wiedererkennungswert.

Die Apéro-Kleinigkeiten kamen als flying buffet. Es gab unter anderem Entenleberpraline, weiße Schokolade, Szechuan Mango, Lachswürfel, Avocadotartar, marinierten Ziegenkäse, Hummertartar, Kaiserschotencrème und Kokosschaum. Zur Entenleber passte der Champagner besser, als zur weißen Schokolade, das schmelzige Fett der Entenleber war ideal zu den frischen Baguettenoten. Die Kombination mit der Szechuanmango wurde von deren pikanter Würze gerettet . Solo hätte die Mango den säurearmen Champagner an die Wand gedrückt, mit der schwerpunktverschiebenden Szechuanwürze fiel das nicht so sehr auf. Zum Lachswürfel und zum Avocadotartar gab es keine Kritikpunkte, zum marinierten Ziegenkäse war der Champagner dann sehr stark. Das verdankte er wieder seiner Baguetteeigenschaft und seinen durchklingenden Honignoten. Hummertartar und Kaiserschotencrème waren ausgezeichnete Begleiter, der Kokosschaum passte auch gut, wirkte aber etwas plakativ.

II. Sashimi und Sushi

dazu: Cuvée Brut

Dass Champagner zu Sashimi und Sushi passt, ist reichlich bekannt und denkbar risikoarm, sollte man meinen. Das stimmt aber nicht ganz, denn Sesam, Kaviar, Sojasauce und Wasabi sind aromatische Sprengsätze, die es geschickt zu händeln gilt. Der Brut von Piper-Heidsieck war auf Deeskalation eingestellt, die milde und zurückhaltende Säure um jeden Preis auf Krawallvermeidung getrimmt. Ein Konzept, das sich auszahlen sollte und selbst dem Wasabi-Klotz von der Größe eines Mensch-ärgere-dich-nicht-Würfels nicht in die Quere kam. 

III. Himmel & Äd von der Jakobsmuschel, Kartoffel-Pringles, Apfelair, Schmorschalotten und Endiviensalat

dazu: Rosé Sauvage, 45PN 40PM 15CH, entsteht seit dem relaunch 2004 mit 25% Stillweinzugabe und 9 g/l Dosagezucker

Der Rosé Sauvage und der Brut Sauvage sind eigentlich Reminiszenzen an die Zeit, als Piper-Heidsieck Champagner noch ohne biologischen Säureabbau entstanden und in der Jugend besonders unzugänglich waren. Heute ist das anders, der Stil ist fruchtiger und frühreifer. Leider schwankt die Qualität des Rosé Sauvage für meinen Geschmack zu stark. Mal sind diese Champagner in der Jugend sensationell, leichtfüßig, fruchtig und fein, mal schmecken sie plump und schwer. Ihr Reifepotential haben sie aber scheinbar in beiden Varianten eingebüßt, denn einige Flaschen, die ich mir nach dem relaunch 2004 voller Begeisterung hingelegt hatte, sind jetzt nur noch müde. Auch die Flaschen im Kameha konnten nicht überzeugen. Einfache, dominierende Kirschfrucht und im wesentlichen war es das auch schon. Ein leichter Rotsekt aus Alicante Bouschet, Cabernet Franc oder Grenache könnte ähnlich schmecken.

Unter diesen Bedingungen anzutreten, war für die Jakobsmuschel nicht leicht. Unterstüzung kam nicht von den Schmorschalotten, auch nicht vom Endiviensalat und von Äpfeln und Kartoffeln wäre sowieso keine Hilfe zu erwarten gewesen. So musste sich die aromatisch fein komponierte Speise dem rohen, übermächtigen Druck des Champagners unterwerfen.   

IV. Kartoffel-Lauch-Ravioli in Lardo gebraten, Avocadocrème, Steinpilze, Kalbsbries und Lakritzjus

dazu: Rare Vintage 1998 en Magnum, 77CH 23 PN

Der einzige Rare, der in Magnums hergestellt wird – und zwar ausschliesslich. Eine richtige und gute Entscheidung, wie ich vorwegnehmen darf. Denn der 98er ist dem 99er an Frische klar überlegen. Eine Mischung aus Jod, Honig, Mandeln, Hefe und Malzbrot, einige gebackene und einige fleischige, wohl vom Schwefel herrührende Aromen, die aber nicht stören und mit Luft verschwinden, bilden den Grundton. Darüber wabern ätherische Öle, Mandarine, Nektarine, Bockshornklee, Orangenblüte und Lime Juice. Ein softer, schwebender Champagner und eine Prestige-Cuvée von der ich hoffe, dass sie mit den Stärken der Jahrgänge 2002 und 2004 noch einmal an Finesse gewinnt. Denn um die Rare-Reihe war es viel zu lange viel zu ruhig. 

Eine rundum gelungene Paarung ergab sich mit den Ravioli, sehr geschickt war die Kombination von Lardo, Steinpilzen, Bries und Lakritzjus. Ich weiss nicht, ob ich bedauern soll, dass der Champagner selbst noch nicht genau diese Noten als Reifetöne entwickelt hatte, oder ob es sich dann nicht zu sehr geballt hätte. So fand der Champagner in den Speisen ein adäquates Echo aus seiner eigenen Zukunft, was man auch nicht oft erlebt.

V. Sorbet von marokkanischer Minze, Süßkraut und Limette

dazu: weiterhin Rare 1998

Minze und Süßkraut verhielten sich unaufgeregt zum Champagner, die Limette gab sich etwas aufrührerisch, stiess aber beim Champagner auf keinerlei Säurewiderstand. 

VI. Coq au Vin, Pommes Pont-Neuf, Arganöl und geeiste Gänseleberflocken

dazu: Rare Vintage 1999

Auch dieser Rare ist mit dem Goldschmuck des Pariser Goldschmieds Arthus-Bertrand versehen und setzt sich wie der 98er zusammen. Doch ist er wesentlich schwächer, als sein in der Magnum ausgeschenkter Vorgänger. Nicht nur, dass ihm Finesse und Frische fehlen, auch die Aromatik kommt nicht ganz mit. Klar, er ist saftig, mit wildem Pfirsich, Mangopurée, Aprikosennektar und einem Schuss Grapefruit. Aber: es fehlt der Unterbau. Wo beim 98er Mandeln, brotige und sehr strukturierte Aromen kenntlich wurden, ist beim 99er nur diffus vernebeltes Säuregerüst. Sicher ein guter Champagner, aber kein ganz großer Wurf.

Entschädigt wurde ich durch den Hähnchenschlegel und die gestifteten Äpfel, weniger begeistern konnte ich mich für die geeisten Gänseleberflocken, die nicht nur sehr schnell ihren geeisten Charakter einbüßten, sondern im selben Augenblick auch ihr Aroma, so kam es mir jedenfalls vor. Der Champagner umfloss den Hähnchenschenkel und schien mit dessen angenehmer Konsistenz eins werden zu wollen. Von den Apfelstiften wurde diese Vermählung vorzüglich unterstützt. 

VII. Dessertauswahl 

dazu: Cuvée Sublime

Mit 35 g/l Dosagezucker muss man schon sehr vorsichtig arbeiten, wenn man nicht Gefahr laufen will, eine ermüdende Zuckerbombe im Mund platzen zu lassen. Regis Camus weiss das natürlich selber gut genug und gibt sich alle erdenkliche Mühe, dem gerecht zu werden. Mit Erfolg. Der Sublime gehört zusammen mit dem 98er Rare zu den Gewinnern des Abends. Ausgewogen, nicht zu süß, sondern mit einem für Piper-Heidsieck schon mutig wirkendem Säuregerüst, weinig, sauber und lang.

Die Dessertauswahl bestand aus Kirsch-Ingwer-Jelly, Mon-Chéri-Lolly, Mascarpone-Kirsch-Eis und verschiedenen Maccarons, darunter Zitrone-Thymian, Pistazie mit weißer Schokolade und Matcha-Tee. Die Kirscharomen waren genau das, was dieser Champagner am besten gebrauchen konnte, tiefe, dunkle, rote, sinnliche Aromen in nicht zu großen Happen. Beim Kirsch-Eis wurde es etwas schwierig, weil die Süßeverhältnisse sich zu Lasten des Champagners verlagerten. Die Maccarons waren mir etwas zu dick geraten und litten unter erhöhter Luftfeuchtigkeit oder sonstwas, jedenfalls krachten sie nicht beim reinbeissen. Am besten schmeckte mir der Zitrone-Thymian Maccaron zum Sublime, aber auch die anderen beiden konnten gefallen.

Abschließend gab es für diejenigen die wollten Champagner aus dem von Christian Louboutin gestalteten Glas High-Heel. Der liegt sehr gut in der Hand, wenn man ihn an der Fläche zwischen Absatz und Fussballen nimmt. Trinkt man daraus, kann man mit der anderen Hand die Fussspitze unterstützen nach oben drücken, man muss sowieso den Kopf weit in den Nacken legen, um jeden Tropfen aus dem Schuh heraus zu holen. Ein Nachteil des Schuh ist die geringe Füllmenge, man kann nämlich praktisch nur den Zehenbereich füllen. Ein Vorteil des Schuhs ist die ergonomisch gestaltete Fersenpartie, jedenfalls für meinen Mund ist die sich dort ergebende Trinkkante optimal.

Beim Austernspezi

Stephan Soutre und seine Frau führen nun schon seit ein paar Jährchen die alte Mülheimer Institution Müller-Menden in der Mendener Str. 109. Stéphane hat in Bordeaux Sommelier gelernt und war in den Neunzigern ebenso reger wie erfolgreicher Teilnehmer an Sommelierwettbewerben in Frankreich. Das wirkt sich heute so aus: die Küche in dem alten Fachwerkgemäuer ist ein Mix aus deutscher und traditionell französischer Regionalküche. Auf der Weinkarte zeigt sich der französische Einfluss noch deutlicher. Unter den Apéros fallen Lillet und Noilly-Prat angenehm ins Auge, Roederer und Bollinger runden das Bild ab. Aus der Flasche gibt es von Chevalier aus Péssac über Rollan de By  und Prieuré-Lichine einige hübsche kleinere Bordeaux zu erträglichen Preisen (2005er Rollan de By ist mit 42,00 EUR/Fl. in der Gastronomie nicht überteuert), von der Rhône kommt Chapoutier (Cotes du Rhône, Belleruche), aus Deutschland Wagner-Stempel, Dr. Loosen, Ruck und Fürst. Einige interessante und fair kalkulierte Franzosen und einige Spanier (Priorat) haben außerdem Aufnahme in der Weinkarte gefunden. Das Weinrepertoire lässt damit so einige Spielmöglichkeiten zu.

Kurz nachdem ich meinen geschundenen Leib inmitten der Außenbestuhlung platziert und meine Getränkeorder abgegeben hatte, kam schon fluffiges Brot mit gekräutertem Quark und ein Gläschen Noilly-Prat. So darf der Feierabend beginnen und in diesem Sinne ließ ich mir die Foie Gras von der Ente kommen. Zwar lockten aus dem deutsch und saisonal gehaltenen Teil der Karte Matjesvariationen, aber bei einem französischen Patron lasse ich mich schnell zur Foie Gras überreden. Das war kein Fehler, wie sich bald zeigte. Zum typisch sparsamen Salatbouquet kamen einige hellrosafarbene, an den Schnittflächen glatte und geschlossene Scheiben dieser sättigenden Spezialität. Bestreut waren sie nur mit etwas Fleur de Sel und einer Prise gemörserten Pfeffers, wie ich es kenne und schätze. Die Feierabendstimmung hielt an und der letzte Schluck Noilly Prat überzeugte mehr, als das ganze Glas Wagner-Stempel Gutsriesling 2008.

In einer kleinen Pause zwischen den Gängen sann ich kurz darüber nach, ob es nicht vielleicht einen Algorithmus gäbe, mit dem sich auch sehr große Zahlen schnell in ihre Primfaktoren zerlegen ließen, kam aber zu keiner Lösung. Ich hielt mich deshalb an das köstliche Verbenen-Sorbet, das ich mir zur Erfrischung bestellt hatte und bereute es nicht.

Daraufhin gab es ein Cassoulet von konfierten Entenstücken mit einer delikaten boudin blanc. Einen Extraschuss Essig drüber, etwas vom guten Fleur de Sel musste ich auch dazugeben und schon fühlte ich mich wie der Truchsess von Carcassonne. Weil ich ein einfacher Mensch bin, habe ich dazu den eigentlich zu jungen, solo viel zu holzigen und unausgewogenen Rollan de By 2005 aus dem hunderte von Kilometern weiter nördlich gelegenen Médoc getrunken. Starke 70% Merlot hatte der und nur 20% Cabernet Sauvignon, daher vielleicht die samtige und kirschfruchtige Art, bei der ich mir solo mehr Struktur gewünscht hätte. Doch zum Glück musste ich den Wein nicht solo trinken, sondern als eine passgenaue Ergänzung zum Cassoulet, was mich erneut erfreute.

Als Abschluss gab es Sauerrahmeis mit Ziegenkäse, eingelegten Feigen, Sternfrucht und Erdbeere wobei man merkt, dass ich kein Freund von ganz süßen Süßspeisen bin. Die Müller-Menden-Küche lieferte zuverlässig ab, ich war satt und der Feierabend gleichsam versilbert.

Austern indes gab es keine.

Weil grad keine Austernzeit ist, bzw. Austernzeit ist immer, aber im Sommer sehen die Kerlchen, bzw. Girls einfach nicht so sexy aus. Macht aber nix, denn spätestens sobald wieder Saison ist, werde ich bei Maître Soutre, dem Austernbaron von Mülheim, die sagenhaften Speciale Pousse en Claire Label Rouge Austern vertilgen und am Ende gar wohl auch verschlingen, dass es schon fast nicht mehr schön sein wird. Was nämlich nur wenige Besucher dieses Restaurants wissen: Stéphane ist ein guter Kollege von Gaston Muller, manchem vielleicht noch als Teilhaber vom Kölner "Poisson" bekannt und ein Lieferant von Austern aus dem Hause David Hervé. Der wiederum gehört mit Gillardeau und Pierre-Marie Bardau zur Trias der französischen Austerngurus. Beim nächsten Besuch deshalb mehr dazu …