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Category Archives: Hotels und Restaurants im Test: Reingespitzt bei …

Manche sagen: die Königsdisziplin. Notizen von verschiedenen (Champagner-)Menus. Nicht immer nur gute, gelungene und positiv superlativische Kombinationen werden hier veröffentlicht, sondern authentische Champagner-, Schaum-, Stillwein- und Speiseerfahrungen.

Champagner trifft Caviar im Hattenheimer Krug

 

Der Krug von Josef Laufer in Hattenheim ist Austragungsort eines Gipfeltreffens gewesen, das der Hausherr seit einiger Zeit in Form von Gastspielen mit unterschiedlichen Akteuren und verdientermaßen großem Erfolg und nun erstmals zum Thema "Champagner trifft Caviar" ausgerichtet hat. Dank der handwerklich perfekt arbeitenden und mit Einfallsreichtum zu Werk gehenden Küche war es nicht schwer, das Erfolgsrezept fortzuschreiben.

I. Sjomga Nori vom Balik Lachs mit Wasabi Kaviar, Gurke, Hendricks Gin und schwarzem Pfeffer dazu:

Déhu Millesime 2000

68PM 17CH 15PN, kalte Mostvorklärung, im Stahltank temperaturkontrolliert vergoren, BSA, zehn Jahre Hefelager, mit 9,5 g/l dosiert.

Lachsverächter haben keinen Grund mehr für ihre Abneigung, seit es Balik Lachs gibt. In Kombination mit Wacholder, Pfeffer, Wasabi und frecher Gurke ein Weckruf für den Gaumen. Vom reifen, Wacholder und Pfeffer gut einbettenden Déhu schmeichelnd umspült, auch die nicht ganz einfache Kombination von lachsöligem Noriblatt und Kaviar mit Champagner meisterte dieser in meinem Augen beste Déhu-Champagner mühelos.

II. Tatar vom Charolais Ochsen mit Prunier Kaviar „Tradition“ auf kleinem Rösti und Schnittlauch Schmand, dazu:

1. Lelarge-Pugeot Quintessence Premier Cru Millesime 2004

70CH 20PN 10 PM aus den ca. 50 Jahre alten Rebanlagen der Einzellagen Les quatres Vents, Les Montciaux, Les Maupas, Les Jours, 30% waren im Fass.

2. Jean-Pierre Launois Grand Cru Brut Millesime 2004

100CH, ca. 20 Jahre alte Anlagen. 1000 Flaschen.

Ein Jahrgang. Premier Cru gegen Grand Cru. Montagne gegen Côte. Lässig tritt der Quintessence auf, die Prestigecuvée des Hauses. Alte Chardonnayreben aus der Montagne können mit ihrer Würze locker neben formal höherwertigen Crus Bestand haben. Zwischen dem Grand Cru und dem Premier Cru gab es ein Duell unter Gleichen, Schiedsrichter war das köstliche Tatar, dessen dicker Schmand- und Kaviarbelag allerdings selbst ein hohes Maß an geschmacklicher Aufmerksamkeit auf sich zog. Die kräftigere, sich in die prononcierten Aromen des Gangs saumlos einfügende Art hatte der Quintessence; wegen seiner polierten Mineralität war der Launois die bessere Projektionsfläche für den Gang. Unentschieden deshalb.

III. Balik Lachs „Tsar Nikolaj“ mit Balik Pearls, Kartoffelschnee und braune Butter, dazu:

1. Pierre Callot Blanc de Blancs Grand Cru 1999

2. Taittinger Comtes de Champagne 1999

Callot aus Avize, das bedeutet vor allem: reifer Einzellagen-Chardonnay ohne BSA, dafür mit torrefaction und Holzfassgeschmack, obwohl im Stahltank ausgebaut. Die aufgestaute Wucht des Champagners entfaltet sich nicht explosionsartig, sondern organisch und langsam; dagegen habe ich nicht ohne Hintergedanken die Comtes de Champagne gesetzt, dessen toastwürziges, leicht rauchiges Aroma eine elegante Erwiderung auf Callot ist. Beide zeigen, dass sie sich der braunen Butter eng verwandt fühlen und betten den Zarenlachs angemessen majestätisch.

IV. Prunier Kaviar „St. James“ Pur zur Degustation direkt aus dem Töpfchen und

Filet vom isländischen Steinbeisser in Kaviar Beurre Blanc und Safran Spinat, dazu:

1. Gosset-Brabant Cuvée Gabriel Millesime 2002

2. Piper-Heidsieck Cuvée Rare 2002

Der kleine Vieilles Vignes Francaises gegen den Fine Champagne Magazine Champagner des Jahres 2011. Was ein Match! Im mindestens doppelten Sinn. Der muntere Gabriel, Beurre Blanc und Safran verbünden sich schnell zu einer glückvolleren Troika, als man sie aus z.B. der Bundes- und neuerlich auch der europäischen Finanzpolitik kennt. Der merklich höher dosierte Piper begibt sich mit Spinat und Steinbeißer in eine ihrerseits glanzvolle Entente. Zum puren Kaviar gefielen mit beide Champagner gleich gut.

V. Piraten – Hummersuppe (Apfel-Minz Tatar) mit Prunier Kaviar „Paris“ und Blini Windbeuteln, dazu:

1. Janisson-Baradon Blanc de Noirs lieu-dit Tue Boeuf Millesime 2005

2. Edmond Bourdelat Cuvée MagnifiSens Millesime 2005

Pinot Meunier und Chardonnay aus Holzfassvinifikation.

Wieder sehr schwer zu entscheiden, wer den Sieg davon tragen sollte. Espresso, Grapefruit, Triple Sec beim Prestigechampagner von Bourdelat, für sich genommen ein köstlicher Champagner, der sich im Folgenden auch als Speisebegleiter empfehlen konnte. Eleganz, klassische Hefenoten, klassisch-noble Pinotstilistik beim Tue Boeuf, der sich seit meiner ersten Verkostung kontinuierlich gut entwickelt hat und immer noch im Werden ist. Zur Hummersuppe konnte der Bourdelat glänzen, dafür waren Bliniwindbeutel und Tue Boeuf das bessere Gespann.

Pirat: Wein- und Sektgut Barth, Rheingauer Blanc de Noirs Sekt Brut Nature

Das Wein- und Sektgut Barth wird immer notorischer zum Piratenlieferanten auf Champagnerveranstaltungen. Schon bei der Obersalzbergprobe konnte sich der zu dem Zeitpunkt flammneue Barth Riesling-Sekt "Primus", Erstes Gewächs 2007 en Magnum, sehr gut in starkem Champagnerumfeld positionieren. Und jetzt der Ultra. Nach drei Jahren auf der Hefe merkt man, dass der Spätburgunder nicht länger ruhen will, sondern den Gaumen in Aufruhr versetzen. Das macht er mit einer Mischung aus Einfachheit und Raffinesse, die man bei seinesgleichen leider nur zu oft vergeblich sucht. Keinerlei Schwächen auch im Abgang.

VI. Gefülltes Stubenküken Kotelette, Blutwurst Jus mit Pfifferlingen, Kohlrabi

und Holunderblüten-Püree, dazu:

1. Ayala Perle d'Ayala Millesime 1999

2. Alfred Gratien Mill 1999

Zu einem weiteren herrlichen Gang aus der mit uhrwerkhafter Präzision kochenden und liefernden Küche von Josef Laufer gab es wieder zwei Jahrgangskameraden, die auf den Punkt gereift waren. Die schneidige Perle d'Ayala, scharf wie ein Austernmesser und den voluminösen Jahrgangsalfred, ästhetisch und weich wie ein sanft sich wiegendes Seetangbüschel. Beide Champagner kommen ohne BSA aus, was ihnen die nötige Durchzugskraft gibt, denn Blutwurst, Pfifferling, Kohlrabi und Holunderblüte sind sehr fordernde Komponenten, die einen Champagner unversehens unterbuttern können. Nicht so unsere beiden Helden. Gierig hättedie alterslose Perle, ein wenig an Madonna erinnernd, das Stubenküken vernascht, wäre es alleine gewesen. In reichlich schützendem Jus gebadet war der Liebesakt dann immer noch sehr animalisch, aber viel inniger. Allerbesten Girlfriendsex hatte der Jahrgangsalfred mit den verschiedenen Begleitungen.

VII. Champagner – Schaum Schnitte mit Grand-Marnier Erdbeeren

Sauerampfereis und Erdbeer Sorbet, dazu:

1. Edmond Bourdelat Brut Rosé

2. Eric Lemaire La Cuvée Seigneuriale Extra Dry

Champagner und Süßspeisen. Für mich kein schönes Thema. Ich esse schon unabhängig vom Champagner nicht gern, bzw. oft süß und ersetze lieber das Dessert durch Käse. Die eingeschränkten Kombinationsmöglichkeiten von Champagner und Süßspeisen verstärken meine Neigung noch. Weil ein Menu aber nicht immer wirklich abgeschlossen wirkt, wenn keine Süßsachen serviert werden, komme ich manchmal in die schwieirge Situation, Champagner kombinieren zu müssen. Dann beschränke ich mich auf einzelne Aromasensationen, was viel mehr bringt, als dass alle am Tisch einen mehr schlecht als recht passenden Champagner zur Süßspeise runterwürgen müssen. Der Bourdelat-Rosé gehört zu den kleinen Fruchtbömbchen, die selbst als brut dosierte Champagner süßer wirken, als sie technisch sind. Damit habe ich einen Klassiker verarbeitet, Roséchampagner mit Erdbeeren, was auch gut funktioniert hat, aber bei weitem nicht den Charme besitzt, der ihm immer nachgesagt und in unzähligen Picknick- und Frauenunterhaltungsromanclichés perpetuiert wird. Viel interessanter war nach meinem Empfinden die Verbindung aus Extra Dry Champagner, wie er bis ins beginnende 20. Jahrhundert hergestellt wurde und Sauerampfereis. Denn Sauerampfer findet sich in manchem Champagner, mehr ungewollt, als gewollt, aber immerhin. In kleinen Mengen oder mit reichlich Nebenaromen kann Sauerampfer sogar eine gewisse Bereicherung sein, so ähnlich wie Brett im Bordeaux. Mit dem Extra Dry gab es dann eines der kleinen Erlebnisse, die ich besonders schön finde, nämlich die stimmige Kombination aus dem schwierigem Sauerampfer mit einem Champagner, für den es sonst wenige Einsatzbereiche gibt.

VIII. Schlussakkord

1. Gosset Celebris Millesime 1995

2. Bollinger R.D. Millesime 1996

Dem Gosset Celebris war das fortgeschrittene Alter anzumerken, aber für 1995 hätte ich ihn wahrscheinlich blind nicht gehalten. Der R.D. von Bollinger war hingegen leicht zu erkennen, zumindest der Jahrgang. Mit etwas Mühe konnte man auch auf den Erzeuger und die Cuvée kommen.

Dom Ruinart: Winemaker’s Lunch mit Fred Panaiotis

Champagne Ruinart lud nach Essen. Nicht in die Résidence, nicht zum Nelson Müller (der die Schote für diesen ausgiebigen Auswärtslunch aber offensichtlich gern verließ), sondern in das Grillhaus Bistecca, dessen understatement (u.a. Pétrus 1961 en Magnum im begehbaren und verglasten Weinklimaschrank) man sich ähnlich ausgeprägt vorstellen kann, wie vom Grill Royal in Berlin. Frederic Panaiotis, seit 2007 chef de cave bei Ruinart stellte seine jüngsten Babies vor, bzw. genaugenommen sind es natürlich gar nicht seine, sondern die seines Vorgängers: Dom Ruinart Blanc 2002 und Dom Ruinart Rosé 1998, mit einer kleinen Entourage der beiden jeweiligen Vorgängerjahre.

Vor, während und nach dem Lunch gab es viel zu erzählen. Eine schöne Neuerung ist nach Jahren endlich durchgesetzt, die Jahrgangschampagner von Ruinart werden künftig ihr Dégorgierdatum auf dem Rückentikett oberhalb des Barcodes in der Form "DGT JJJJ/MM" tragen. Das Dégorgierdatum jahrgangsloser Champagner kann man weiterhin auf Anfrage bei Ruinart erfahren, dazu muss man lediglich die Lotnummer mitteilen. Hierbei gibt es eine nicht unwichtige Einschränkung: Flaschen, die vor 1992 dégorgiert wurden, lassen sich über die Lotnummer leider nicht bestimmen. Da müssen Etiketten, Füllstand und andere Kriterien herhalten.

Interessant fand ich auch, dass Ruinart so wie alle großen Erzeuger eine ziemlich strenge Nachhaltigkeitspolitik integriert hat. So wird selbst das Stromsparverhalten der Büromitarbeiterinnen jährlich evaluiert. Einen wesentlich bedeutsameren Posten macht aber das Wasser- und Umweltressourcenmanagement, CO2-Footprint (nicht: die Bläschen im Champagner), sowie die energetische Optimierung der Produktionsstätte(n) aus. Nicht nur bei Ruinart ist man heute in der Lage, den Frischwasserverbrauch je produzierter Flasche anzugeben – das ist schon bemerkenswert, wird aber praktisch überhaupt nicht kommuniziert. Deshalb mache ich das immer wieder. A propos Flasche: da ist Ruinart natürlich etwas im Nachteil, die kürzlich vorgestellte leichtgewichtige neue Standardflasche wird man dort nicht so schnell einführen können. Dafür ist das bauchige Format zu sehr mit dem Namen Ruinart verbunden. An einer Leichtversion des bauchigen Modells wird derzeit gearbeitet.

Unumwunden kam Fred Panaiotis auf das Problem der Flaschenvarianzen und auch des Korks zu sprechen. Seiner Meinung nach ist der ideale Verschluss nicht Kork, nicht Dreh & Plop, sondern der bewährte Kronkorken. Schließlich tut der während der gesamten zweiten Gärung seinen zuverlässigen Dienst unter ziemlich anstrengenden Rahmenbedingungen. Schade, dass sich diese richtige Ansicht bis jetzt nicht auch in den entsprechenden verordnungsgebenden Gremien durchsetzen konnte. Ein anderes Problem ist das der Oxidation; viele Flaschenvarianzen lassen sich nach Panaiotis' Meinung auf fehlendes oder schlechtes Sauerstoffmanagement zurückführen. Ein Blick rüber in die Bierindustrie sei da hilfreich. Von dort kommt bekanntlich die Jetting-Technologie, die man bei Ruinart mittlerweile ebenfalls erfolgreich anwendet.   

Ein letztes Sorgenkind, von dem man in der Champagne fast nie etwas hört, ist die Botrytis. In den Crus der Côte des Blancs spielt die kaum eine Rolle, aber in der Vallée de la Marne eben doch. Da haben die fetteren Böden ein anderes Drainageverhalten und in den Seitentälern findet sich die Edelfäule schon in merklicherem Ausmaß, ebenso teilweise in der Montagne de Reims, wo es dann nicht 'nur' die Pinot Meunier, sondern den noblen Spätburgunder trifft und den Winzer verdrießt. Ein Flächenphänomen ist die Nobefäule nicht, wie Fred Panaiotis relativierte, aber man muss sie im Blick haben, wie die Gesundheit der Trauben insgesamt an vorderster Stelle zu stehen habe, noch vor Säure und Dosage. Auch das gestand er dabei freimütig ein: früher habe er gedacht, Säure sei essentiell wichtig für ein langes Champagnerleben; Jahrgänge wie 1947, 1959 und 1976 haben gezeigt, dass das nicht zwingend so ist – beim 2003er Dom Pérignon werden bekanntlich genau diese Jahrgänge gern ins Feld geführt, um dem säurearmen 2003er Dom ein langes Leben vorherzusagen; zu Unrecht, wie ich meine.  

Während der erkenntnisreichen Zeit, die ich mir mit Fred Panaiotis gesichert hatte, konnte ich mir einige Gläschen vom Opener genehmigen, der sich sehr leicht und für meinen Geschmack geradezu wässrig zeigte. Als Apéritif sicher schön, mir aber zu sommerlich und unverbindlich.

Opener: Blanc de Blancs NV

Dann gab es Essen.

I. Carpaccio vom Wildsteinbutt, Garnelen, Kräuterschaum, dazu

1. Dom Ruinart Blanc 2002, dég. im Februar 2011 

2. Dom Ruinart Blanc 1996 en Magnum

Beim Dom Ruinart Blanc 2002 kommen 72% des Chardonnays aus den Grand Crus der Côte des Blancs, vorwiegend aus Chouilly und Avize, 38% der Chardonnays kommen aus den Grand Crus Sillery und Puisieulx in der Montagne de Reims; Mailly ist auch mit drin, spielt aber keine herausgehobene Rolle. BSA. Mit 6,5 g/l ist er erstaunlich knapp dosiert. Beim Dom Ruinart Blanc 1996 kommen 60% des Chardonnays aus den Grand Crus der Côte des Blancs, vorwiegend aus Avize, Cramant und Le Mesnil, 40% der Chardonnays kommen hauptsächlich aus den Grand Crus Verzenay, Sillery und Puisieulx in der Montagne de Reims. BSA. Mit 10 g/l ist er erstaunlich hoch dosiert. 

Reduktiv, treibend, schon ganz vorn im Mund unverhohlen kraftvoll und dann mit Wucht den Aromapfropfen aus Cashewkern, blanchierten Mandeln, Marille und Yuzu in den Rachen schiebend. Buttrige Malonoten, runde Säure und ein sahniges 2002er Mundgefühl. Ganz anders dagegen der 1996er aus der reifeverlangsamenden Magnum. Brettharte Säure, von feinster Konditoren-Buttercrème nur knapp gezügelt; weit hinten andeutungsweise Champignon. Dass der mit 10 g/l dosiert ist, meint man nicht, daher eine sinnreiche Lektion für Dosagedogmatiker, die meinen, nur Extra Brut sei das Wahre und verhelfe dem natürlichen Champagnercharakter allein zur vollen Geltung. 

Zum mutig gesalzenen Kräuterschaum hatte es der 96er einfacher, als der harmoniesuchende 2002er. Der fand seinen idealen Partner in der weitestgehend naturbelassenen Garnele, mit dem Carpaccio waren beide Champagner gut.

II. Gebratene Jakobsmuschel, Fenchelsalat, Safransauce, dazu

1. Dom Ruinart 1996 en Magnum

2. Dom Ruinart 1998 

Beim Dom Ruinart Blanc 1998 kommen 66% des Chardonnays aus den Grand Crus der Côte des Blancs, vorwiegend Avize, Cramant und Le Mesnil, 34% der Chardonnays kommen aus den Grand Crus Verzenay, Sillery und Puisieulx in der Montagne de Reims. BSA. 

Hier hatten wir eine Flasche vom 98er, die extrem reduktiv ausgefallen war und eine andere 98er, die sich in Normalform zeigte. Die erste war mindestens eine Stunde lang reinste Austernkiste. Dahinter tat sich nicht viel, ein paar Zitronenspritzer höchstens, die in Richtung des 96ers wiesen. Außerdem Holz, das im Dom Ruinart eigentlich gar nicht vorhanden sein kann, da es keine Verwendung findet. Sparkling Chablis. Die Vergleichsflasche war runder, geöffneter, candyhafter, verspielter, weicher, hatte viel mehr Biscuit, unaufdringliches Brioche, Aprikose. Diese erhebliche Flaschenvarianz ließ sich nicht recht zufriedenstellend erklären. Tröstlich immerhin, dass sich der erste superreduktive Dom Ruinart mit Luft immer weiter der Normalflasche annäherte. 

Die reduktive Flasche hatte mit ihrem Muschelkutterduft einen gewissen Heimvorteil bei der St. Jacques, der 96er konnte dazu auf Augenhöhe brillieren und kam darüber hinaus mit Fenchel und Safran besser zurecht. Der beste Allrounder war die Normalflasche vom 98er.

III. Wildlachstartar, Crème fraîche, Kaviar, dazu

Dom Ruinart Rosé 1998 

Basis ist mit 85% der weiße Dom Ruinart, dem ein burgundisch – mit pigeage –  zubereiteter Pinot Noir aus Sillery, Verzy und Verzenay zugegeben wird. BSA. Mit 5 g/l sogar Extra Brut dosiert.

Weiches Tannin, Ringelblume, kandierte Blütenblätter, fritierte Kapuzinerkressenblüte, herbe Kaffernlimette, Erdbeere, Himbeere, Waldboden. Warmer, weicher, anschmiegsamer Champagner, dessen niedrige Dosage sehr klug gewählt ist, weil der Champagner dadurch nicht an seinen eigenen Aromen erstickt. Einer der wenigen 98er, dem ich lange und aufregende Reife zutraue.

Schmeckte, wie nicht anders zu erwarten, sehr gut zum Wildlachs auf Kartoffelpuffer, blühte enorm kontrastreich zur Crème fraîche auf und vereinnahmte selbst den zu fruchtigem Rosé oft schwierigen Kaviar.

IV. Kalbsfilet "Rossini", Trüffeljus, Kartoffel-Millefeuille, dazu

1. Dom Ruinart Rosé 1996 

2. Dom Ruinart Rosé 1990 en Magnum

Basis des 96er Dom Ruinart Rosé sind mit 84% die Chardonnay Grand Crus der Côte des Blancs und der Montagne de Reims im Verhältnis 55/45, dazu kommen 16% Pinot Noir aus Verzy und Verzenay. BSA.

Basis des 90er Dom Ruinart Rosé sind mit 83% Chardonnay Grand Crus, dazu kommen 17% Pinot Noir aus Verzy und Verzenay. BSA.

Der 96er Dom Ruinart Rosé prunkt mit Wildkirsche, Vetiver, Zitronengras, sehr pfiffig eingesetzter Säure, die enorme Spannung erzeugt und ihre Aromakameraden geschickt umschlängelt. Und was macht der 90er? Der kommt mit einer Eingangsnote von Milchkaffee und weißer Schokolade, Mandelkrokant und edlen Tropfen in Nuss. Dann schält sich eine nicht endenwollende kandierte Orangenschale ab, Ingwer, agrumes, ein sorgfältig gehegtes Pilzbeet kommt zum Vorschein und das alles mit hypnotisierender Laszivität. Der sexieste Wein des Menus und mein Wein des Tages. 

Der 96er Dom Ruinart Rosé trinkt sich weiterhin herrlich zur Kartoffel und zeigt sich als ein Champagner der mehr als alles andere eine stärkehaltige Speise benötigt, um sich daran auszutoben. Säugetierprotein ist dafür genauso geeignet. Der 90er Dom Ruinart Rosé braucht sich nicht austoben, er lässt sich ausführen und legt dabei einen großen Auftritt hin. Zur Leber so selbstverständlich und nonchalant wie mit dem Trüffeljus, dem Trüffel selbst und natürlich ganz unbeschwert im Wechselspiel mit dem Kartoffel-Millefeuille.

V. Mangosorbet

Zum erfrischenden Mangosorbet brauchte ich keinen Champagner, da waren mir zwei Triple-Espressos lieber.

Übrigens:

Im Jahr 2029 wird es einen denkwürdigen Champagner aus dem Hause Ruinart geben, über den Fred Panaiotis jetzt schon nachzudenken begonnen hat. Eine Wiederholung des L'Exclusive, den es zum Jahr 2000 gab, wird es aller Voraussicht nach nicht geben. Ob es sich stattdessen um einen reinen Jahrgangschampagner oder um eine Solera handeln wird, ist noch nicht absehbar.

Verschnaufen in Berlin: Aigner am Gendarmenmarkt und The Regent

Im Französischen Dom begann einer der für mich denkwürdigsten Streifzüge durch das nächtliche Berlin. Vor, während und nach dem Festakt wurde ausnahmslos Champagner serviert, der Abend endete nach einem Ausflug zur Anschlussparty der zu dieser Zeit stattfindenden Erotikmesse Venus im Club Felix mit einer Lanson Demi-Sec 1989 Magnum, die traulich in der Raucherlounge des Adlon verzehrt wurde. Seitdem fühle ich mich in der Nähe des Gendarmenmarkts und im Adlon immer sehr wohl. 

Aigner:

Im Aigner fühle ich mich doppelt wohl, weil ich einige meiner – nicht unbedingt kulinarisch – angenehmsten Erlebnisse meiner Studienzeit der Haupt- und Residenzstadt Wien verdanke. Sehr zu loben ist der aufmerksame, unverkrampfte Service – in dieser Preisklasse nur selten anzutreffen. Die Weine stammen großteils vom betriebseigenen Weingut Horcher in Kallstadt, die Speisen sind nicht sehr ausgefallen, dafür stammt das verwendete Viehzeug, Fische, Gemüse usw. aus der Region.

1. Königsberger Klopse

Dazu gutes, nur leicht stückiges, außerdem reichlich Kartoffelpurée; Kapern, Rote Bete. Die Klösse waren etwas mau und ganz so rosa hätten sie innen für mich nicht sein müssen, mir hätte die sonst gute, vor allem gut sämige Sauce etwas peppiger, säuerlicher sein dürfen.

2. Wiener Schnitzel aus dem Milchkalbsrücken

Mit Kartoffelsalat wie in der Haupt- und Residenzstadt. Ausgezeichnet, keinerlei Beanstandung.

3. Brownie mit flüssigem Schokokern und Cassissorbet

Fluffig, nicht zu mastig, mit eher dünnen Wänden. Sehr gutes Cassissorbet, das viel besser als das eigentlich hierzu angebotene und für meine Begriffe elend langweilige Vanilleeis zum Brownie passt.

Zum Essen passte das gute Krusovice Pilsner.

Fazit: Wenn man zum verschnaufen während einer terminlich dichtgepackten Berlintour Mitte nicht verlassen kann und dort weder im Borchardt noch in einem der Lutter & Wegener Läden sitzen mag, sitzt man gut bei Aigner am Gendarmenmarkt und kann sich dort bemerkenswert günstig verpflegen.

 

The Regent.

1. Im Hotel The Regent auf der anderen Straßenseite gab es sodann zum Verdauen eine kleine Verschnaufpause mit Perrier-Jouet Grand Brut (wird für stolze 21,00 €/Glas ausgeschenkt). Nachdem die erste Ruhe wieder eingekehrt war, habe ich mir in der etwas altmodisch wohnzimmerartig-bequem eingerichteten Bar mit einer sorgfältig zubereiteten Bloody Mary die Zeit bis zum Abend etwas verkürzt und bin dabei auf den im Fischers Fritz angebotenen Cognac Lhéraud Vintage 1950 gestoßen, kein must have, aber begrüßenswert, dass es den im Glasausschank gibt (68,00 € das Glaserl). Für 255,00 €/Glas gibt es einen Lhéraud Grande Champagne 1900 und wer unbedingt will, kann sich für 255,00/Glas zum Vergleich einen 1898er Bresson Fine Champagne kommen lassen. Die Champagnerauswahl, so muss ich bemängeln, gefiel mir weder nach Art und Umfang, noch nach den Preisen. Leider konnte ich dazu weder Christian Lohse noch Sommelière Lenckute befragen. Deshalb hier nur eine Kurzfassung.

2. Es gibt Billecart-Salmon (95,00 € für den weißen Standard-Brut, Nicolas-Francois oder Elisabeth Salmon gibt es leider nicht), Bollinger (1982er R.D. kostet 990,00 €, der 1990er R.D. kostet 680,00 €, die schöne 1996er Grande Année en Magnum kostet 615,00 € und wäre meiner Meinung nach noch empfehlenswert; sehr schade finde ich, dass es keine neueren R.D.s gibt), Gosset (der feine Celebris Brut Rosé 1998 kostet erträgliche 220,00 € und ist im Restaurant die beste Wahl für einen ganzen Abend; bei dem Preis außerdem die beste Wahl aus der gesamten Champagnerkarte), Krug (die Grande Cuvée schlägt mit 400,00 € zu Buche, der exzellente Vintage 1996 wird für 660,00 € geöffnet), Moet (happige 95,00 € kostet der Brut Impérial, mit 950,00 € ist die 1996er Dom Pérignon Oenothèque auch nicht eben billig zu bekommen), Perrier-Jouet (mit 750,00 € ist der in Deutschland sehr sehr seltene Belle Epoque Blanc de Blancs die interessanteste und verglichen mit dem Marktpreis auch noch günstigste Wahl für den, der sich um Champagnerpreise sonst nicht groß scheren muss), Roederer (Cristal Blanc kostet 390,00 €, den Rosé gibt's für 890,00 €), Ruinart (der jahrgangslose Rosé steht mit 115,00 € in der Karte), Taittinger (100,00 € werden für den Standardbrut fällig) und Veuve Clicquot (schön ist der Demi-Sec für 105,00 €, die Grande Dame 1998 kostet dann schon wieder 300,00 €).

3. Fazit: Nur einige sehr wenige Champagner sind zu annehmbaren Preisen in der Karte, ausgefallene Champagner finden sich dort überhaupt nicht, kleine Winzer Fehlanzeige. Schade. Beim nächsten Besuch dann mehr, vor allem zur Küche.

Reingespitzt: Weinbar Rutz.

Im Nürnberger Essigbrätlein habe ich Billy Wagner leider nicht mehr erlebt, dafür kenne ich ihn aus seiner Düsseldorfer Zeit im Monkeys, wo er zusammen mit Sebastian Bordthäuser (heute Steinheuers Restaurant – wo Billy als Sommelier des Jahres 2011 erst im März des Jahres die falstaff Wein Trophy entgegennehmen konnte) sein segensreiches Weinwirken entfaltete. In der Weinbar Rutz habe ich ihn nach einem schönen "Arbeits"tag aufgesucht. Heißester Tip abseits der sehr guten Küche ist der Champagne Duval-Leroy Femme de Champagne 1996; ein mörderharter Champagner mit der Gaumenwirkung einer Splitterbombe, für 99,00 €/Fl. im Restaurant extrem günstig!

A. Auftakt:

A.I Vorweg gab es Olivenfocaccia, Parmesan-Kartoffelbrot, Fenchelbutter, Meersalz und Olivenöl und zur Einstimmung ein Arrangement aus Krokant, Fenchel, Orange und Pinienkern zum lang gebeiztem Saibling. Daraufhin ging es Richtung Atlantik, zum Thun gab es Yuzupüree mit einer animierenden Sojasauce, beendet wurde der Auftakt mit einem erdigen Süppchen aus Gatower Kugeln und einem Mix aus Apfelsalat, Erbsenpurée, Orange und Fisch.

A.I.1 Der zur Begrüßung ausgeschenkte Blubber war Rutzens Rebellensekt 2006 vom Sekthaus Raumland, dégorgiert im April 2011. Das ist ein laut Etikett brut dosierter Burgundersekt aus Pinot Blanc, Pinot Gris, Pinot Noir, Frühburgunder und Chardonnay. Damit war sofort für etwas Irritation gesorgt, denn das rebellische beim Rebellensekt ist seine fehlende Dosage. Die erste Charge, das Januardégorgement, war ein brut nature. Rein geschmacklich käme das bei diesem zweiten Dégorgement hin, nur das Etikett wäre dann im Sinne der Rebellenidee erklärungsbedürftig. Geerntet wurden die Grundweine für diesen Sekt noch vor dem großen Regen, als das Material noch von erhabener Güte war. Spritziges Naturell und eine klebstoffige Nase schließen einander hier nicht aus. Zum Soja/Yuzu passte das herovrragend, auch mit Fenchel und Orange war die Kommunikation einwandfrei, zum Fisch kühlte sich das Verhältnis leider etwas ab.

A.I.2 Als Konter gab es den Rosé von der hierzulande zunehmend beliebten Veuve Fourny. Dieser Familienberieb aus Vertus vereinigt zwei Stärken des Örtchens in einer Hand. Vertus wird nämlich als Premier Cru und äußerster Südausläufer der Côte des Blancs oft nicht auf Augenhöhe mit den Grand Crus wahrgenommen, die sich von Epernay aus gesehen vorher aufreihen. Dabei wird heutzutage gern vergessen, dass gerade das berühmte Le Mesnil selbst lange Zeit "nur" als Premier Crus klassifiziert war. Darauf bezieht sich die eine Stärke der Ortschaft: teilweise partizipieren die Vertus-Chardonnays an der chthonischen Mineralität und Tiefe der Mesnil-Terroirs, was ihnen im Idealfall eine ungeahnte Langlebigkeit bei gleichzeitiger Delikatesse verleiht. Die andere unzweifelhafte Stärke von Vertus sind seine warmen, sämig-fruchtigen, Pinots. Im Rosé kommt beides zusammen. Der Spätburgunder beansprucht nach einer kurzen Aufwachphase den Platz an der Tafel, was der Chardonnayanteil in Höhe von ca. 20% schneidig sekundiert. Der Champagner ist leicht, aber nicht belanglos, fruchtig, nicht bonbonig und seine hintergründige Aromenfülle eignet sich bestens zur experimentierfreudigen Küche und lediglich mit dem Soja/Yuzu gab es Verständigungsprobleme.

Das Menu:

B. 15 min Atlantikküste

In der Speisenkarte annonciert als "Mariniert & Meersalz Rose, Estragon, im Heu geräuchert & Verbene, Pomelo", dazu gab es:

BI.1 Lauri Pappinen, Gotland, Batels 2010

Ein Mix aus Phönix und Solaris, der wie ein etwas schweißig geratener Sauvignon-Blanc schmeckte und sich bestens mit dem ersten Erlebnis vertrug.

BI.2 Philipp Wittmann, trockene Rebellen-Scheu 2009 en Magnum

Eine nur von wenigen Winzern trocken trinkbare Rebsorte, die ihre wahre Stärke zum zweiten Erlebnis zeigte und mit der Holzkohleräuchernote brillierte.

B.II.1 Serviert wurde als erstes Erlebnis dieser Inspiration Rote Garnele mit gegrillter Melone und Pomelo, dazu Rosenblätter, Estragontupfer und ein Meersalzgelee, das aussah, wie eine Ladung Zuchthengstsperma. Köstlich war's. Das obszöne Gelee verband auf magische Weise Meeresbewohner, Zitrus-, bzw. Kürbisfrucht, Rosengewächs und Küchenkraut. Dazu passte der Schwedentrunk auf eine bauhausartig funktionale Weise sehr gut. Die Aromen griffen ineinander, wenn schon nicht auf wundersame Weise, dann wenigstens mechanisch reibungslos.

B.II.2 Das zweite Erlebnis war eine ganze Garnele mit ausgeprägten Räucherduft, um die herum sich Zitronengras, ein kräftiger Sud in gesonderter Schale und Olivensalz im Alu-Töpfchen gruppierten, freundlicherweise gab es für die Hände ein heißes Handtuch. Nach getaner Schälarbeit war freies Würzen angesagt, ich habe alles mal probiert: die Garnele pur, mit dem Pipettenstoff, mit dem Salz, alles zusammen und in Einzelteilen, den kräftigen Sud aus der Schale mal dazu, mal davor und mal danach.War das eine Freude! Am Ende gefiel mir diese Kombination am besten: auf die Garnele ein paar Tropfen aus der Pipette, paar Krümel Salz drauf, zusammen mit einer winzigen Menge Sud runterspülen, Scheurebe hinterdrein.

C. Deutscher Imperialkaviar, Grübels Gartengurke & Maldon Auster, 2 mal Müller

Deutschen Imperialkaviar aus Münster und schöne Austern habe ich zuletzt in Höchstform beim Düsseldorf Oyster Massacre ganz clichéhaft zu Roederers Cristal Blanc und Rosé gefuttert. Dass es auch anders geht und dass vor allem Gurke ein fabelhafter Begleiter dazu ist, der die Weinauswahl wiederum nicht erleichtert, wurde nun luzid.

C.I.1 Zahel, Sauvignon-Blanc, Wien "Kroissberg" 2010

Ungewohnt hart schmeckte der weltläufig wirkende Sauvignon Blanc mit den Wiener Wurzeln zur Auster.

C.I.2 Veyder-Malberg, Grüner Veltliner, Wachau "Kreutles" 2010

Der feine Grüne Veltliner hatte eine Note von reifem Gemüse und kam wahrscheinlich deshalb mit der Gurke so gut zu recht, musste sich aber der Auster geschlagen geben, mir war er dafür zu leicht.

C.I.3 Champagne Duval-Leroy Millésime 1999

Zuckerbrotig, weich und mild, feine Nussigkeit und Milde, dabei nicht schlaff. Packte es gut zur Auster, ist aber natürlich nicht so waaahnsinnig originell.

C.I.4 Leitz, Rüdesheimer Berg Rottland Riesling Alte Reben 2008

Ein ganz starker Rheingauer Wein, standfest wie ein Mafioso mit Betonschuhen. Dabei eignet dem Wein nichts bedürckendes oder schwermütiges, lahmes, allzumächtiges oder irgendwie verschnarchtes und wäre da nicht die tiefe Gründung im Rheingestein müsste man im Gegenteil befürchten, dass der Wein mit gestreckten Sprüngen entfleucht.

C.I.5 Daniel Vollenweider, Wolfer Goldgrube Riesling Spätlese 2008

Für mich der Star aus Vollenweiders Wolfer Goldgrubenlagen ist der Schimbock, klar. Mineralisch wie ein Meteoritenfeld und ebenso schwerelos, nur ob er auch zum Essen passt? Zu diesem eher nicht. Deshalb ist die herb-feinherbe Wolfer Goldgrube Spätlese mit ihren zwischen Wachs und Grapefruit angesiedelten Noten wahrscheinlich die bessere Wahl gewesen. Der Wein drängte sich dank seiner diskreten Anlagen nicht in den Vordergrund, richtig herzliche Freundschaft entstand zwischen Auster und Wein aber auch nicht.

CII.1 Auster im Knuspermantel auf Austerntartar mit einem Löffel voll Kaviar

Auster auf Austerntartar hätte ich nicht so gut gefunden wie Auster im Knuspermantel auf Austerntartar. Normalerweise mag ich Auster sowieso lieber nur als Auster und kein Knusperzeug oder Gratin oder sonstige Garnitur dran oder drumherum. Dass hier eine gewisse Abgrenzung notwendig war, liegt aber auch wieder nahe, deshalb war der Knuspermantel mehr als ok, von seiner handwerklich tadellosen Ausführung (unverpappte Knusprigkeit) ganz zu schweigen.

C.II.2 Pumpernickelwürfel, Crème Fraîche, Rote-Bete-Röllchen, Gurken-Austern-Süppchen mit Fentimans Tonic Water, serviert im der Länge nach durchgeschnittenen Bocksbeutel

Faszinierend war das Gurkensüppchen, originell die Servierweise, Pumpernickel, Kaviar, Crème Fraîche passten ideal, nur die Frage, ob man nicht auch einen passenden Müller-Thurgau aus Franken dazu hätte finden können, beschäftigte mich noch ein Weilchen.

D. Golden Balsam

Unter diesem Namen firmiert in der Karte eine Inspiration, die in Form von "Bisonhüfte & Anisduft, Sardinilla de Rianxo 1000 jähriges Landei & Pfifferlinge, Erbse" zum Erlebnis wird. Dazu gab es:

D.I.1 Nittnaus, Chardonnay Leithaberg 2008

Der Blaufränkisch passte mit seiner Blaubeerzuckerwattenaromatik und den karamelligen Noten traumhaft gut zum Ei.

D.I.2 Domaine de l'Horizon, Le Patriot VdP de Côtes Catalanes Blanc 2009

Dieser Wein brauchte die meiste Luft und schmeckte mir am besten, nachdem der Gang schon längst verputzt war. Bis dahin konnte er sich nicht recht zwischen Erkältungssalbe auf Eukalyptusbasis, Bienenwachs und Zitronenmelisse entscheiden

D.I.3 Elisabetta Foradori, Nosiola Fontanasanta, biodynamischer Amphorenwein

Erst kam mir eine erschreckende Säure entgegen, die mit dem Mund aber nicht mehr zu detektieren war, jedenfalls dort nicht störte. Aromatisch irgendwo zwischen Garrigue und Torrone, wenig Gerbstoff, sanft ausgleitend.

D.II.1 Unterm Glasdeckel befand sich das Bison-Tartar auf Balsam, Anissamen gaben beim Abheben des Deckels ihren Duft frei, zum Bison gab es außerdem noch eine reingespießte Babysardine, Knusper und einen Fenchel-Geleewürfel. Der Vollenweider, der noch auf dem Tisch stand, zeigte sich zur Sardine sehr spielfreudig und ging mächtig auf, zum Geleewürfel erhob sich auch der Leitz nochmal mühelos zu voller Größe. Der schwierige Amphorenwein war mir, wenn ich es recht bedenke, zum Bison der liebste Wein. Den bei aller Verspieltheit der Präsentation waren hier doch eine ganze Menge Komponenten unter einen Hut zu bringen, weshalb die Küche von Marco Müller nicht von allen in gleichhohem Maße geschätzt wird – und, man muss es sagen, wohl auch probematischer wäre, wenn nicht Billy Wagner immer mindestens ein Gewächs zur Hand hätte, das wie ein deus ex machina den Aromentumult befriedet. Der Foradoriwein zeigte hier sehr beachtliche Hütehundqualitäten und bewahrte den Gang davor, in alle Richtungen auseinander zu driften.

D.II.2 Mein kulinarisches Spitzenerlebnis war das 1000jährige Landei mit einer am Platz applizierten Injektion Apfelbalsamessig von Gegenbauer. Sensationell! Zwar weiß ich seit meiner ersten Lektüre der Bücher z.B. von Joseph Wechsberg, dass das Ei in der Spitzengastronomie – ähnlich wie die Gurke – unterschätzt wird, doch dass einem Ei solchen Zauber entlocken kann, finde ich umwerfend. Dass dazu der Chardonnay von Nittnaus perfekt passt, macht es nur umso schöner. Den Horizon-Wein fand ich gegen Ende immer besser zum Ei, aber weil wegen meiner übergroßen Gier von dem Ei schnell nichts mehr da war, konnte ich die Kombination nicht länger verfolgen. Durchweg kontrovers war das Verhältnis von Amphorenwein und Ei, hier war von der befriedenden Fähigkeit des Nosiola nicht mehr viel zu spüren, mir war das zusammenspiel zu unausgeglichen und unruhig.

E. Wagyurind

Diese Inspiration steht in der Karte als "Waldorf & Perigordtrüffel, confierte Brust Geschmortes & Aubergine, Rosmarin", dazu gab es:

E.I.1 Uwe Schiefer, Rutz-Rebellenwein Pala 2008

Ich fand den Wein solo zurückhaltend, geschmeidig, unaufgeregt und von eher nördlicher Bauweise. Eigenständigen Glanz versprühte er zusammen mit dem Waldorfsalat, zur Wagyubrust war er der perfekte Butler. Speziell zum geschmorten Bäckchen sollte sich diese Eigenschaft als sehr hilfreich erweisen.

E.I.2 Az. Agr. Cos, Rutz-Rebellen- und Amphorenwein Pithos 2009

60 Nero d'Avola 40 Frappato. Rosa Beeren, Früchtekompott und eine vielleicht sogar nur eingebildete, aber auf jeden Fall eigenwillige – und meiner Meinung nach: – Steingutnase.

E.II.1 Ein Waldorfsalat à la Marco Müller begleitete zusammen mit Périgordtrüffel die confierte Rinderbrust. Deren unanständiger Glanz war so verlockend, dass ich den Salat ganz aus den Augen verlor. Ganz und gar getrübt wurde meine Wahrnehmung von dem Zusammenspiel mit dem an sich erstmal gar nicht besonders auffälligen, wenngleich einnehmenden und sympathischen Wein von Uwe Schiefer. Natürlich: ich könnte jetzt an- und abheben, von ungarischem Feuer, burgundischer Feinheit und österreichischem Schmäh zu schwadronieren, damit läge ich noch nicht einmal besonders weit neben der Sache.

E.II.2 Geschmortes Wagyubäckchen, Zucchini-Röllchen, Mangold-Croutons, Sud. Das ganze schmeckte wegen der konzentrierten Würze schon beinahe scharf, was ein Warnhinweis für drohende Übertreibung ist. Auch dies ist wieder so ein Gericht, das manchen Esser davon abhalten wird, sich den Müllerschen Kreationen aussetzen zu wollen. Mir gefällt gerade diese auf die Spitze getriebene Würzung, sie ist aber auch sehr anstrengend und wirkt too much, wenn sie sich durch das ganze Menu zieht. Das war bei mir zum Glück nicht der Fall, ein zuverlässiger Partner war weiterhin der Pala, dessen Butlerfähigkeiten hier stark gefordert wurden.

F. Käse

Auf Desserts lege ich keinen besonderen Wert, um mich dennoch weiter durchporbieren zu können, orderte ich eine kleine Käseauswahl. Dazu gab es:

F.I.1 Haart, Piesporter Goldtröpfchen Kabinett Erste Lage 2009

Dem Wein fehlte nur ein Hauch Säure, sonst war er in guter Form und gehört nicht umsonst zu meinen Mosellieblingen. Bestens war er zusammen mit dem Blauschimmel. Erstaunlich gut gefiel er mir zum Epoisses und zum Munsterkäs.

F.I.2 Dr. Henrik Möbitz, Gewürztraminer Auslese "Kapelle" 2008

Ultrarar sind die Weine vom Freiburger Pinotspezialisten Henrik Möbitz. Deshalb freute ich mich umso mehr, auch noch ausgerechnet seinen schönen Gewürztraminer ins Glas zu bekommen. Der ist mild, weich, hält gierige Trinker mit einer leichten Chlornote vom unbedachten wegsüppeln ab und belohnt den wartenden mit einer piekfeinen Note von Muskatellertrauben und Rosenblüten. Zum Crottin de Chavignol, zum Munster und zum Hartkäse mit der Tresterkruste dessen Namen ich nicht mehr weiß, war das der klare Favorit. Zusammen mit dem Blauschimmel wirkte er leider zu dünn und wässrig.

F.I.3 Graham's Tawny Port 20 yrs

Stets eine sichere Bank, mit seinen Mandel- und Mon-Cheri Aromen, der bei allem friedlichen Fruchtaroma im Hintergrund agierenden seriösen Herbe, den nicht überkonzentrierten Trockenfrüchten und der nicht übermäßig mehligen Textur. Überzeugte zusammen mit der marinierten Birne und den Cookiekrümeln, sowie zum selbstgemachten, saftigen Früchtebrot und zum Hartkäse, war für den Ziegenkäse dagegen nicht gemacht, gefiel mir auch nicht besonders gut zum Epoisses. Schwierig war er auch mit dem Blauschimmel.

F.I.4 Bodegas Tradicion Pedro-Ximenez 20 yrs, Flasche #872/1850

Pflaumenmus, Russische Schokolade, mit Spuren von schwarzem Pfeffer. Klar und strukturiert, kam mir auch sehr dicht vor, fast schon monolithisch. Gegenüber dem Ziegenkäs zu massiv, dem Epoisses begegnete er mühelos, zu Munster und Hartkäse war er überaus konziliant, mit dem Blauschimmel tat er sich schwer.

Als Abschluss gab es noch etwas Zuckerwerk:

Der Passionsfruchtlolly war spitze, auch die Cointreaupraline fand ich gut. Die geeiste Kokoskugel war mir zu sehr Raffaello, das Linzer Törtchen sprach mich ob seiner Winzigkeit nicht genügend an, die im Kakao versunkene Mandel war mir dagegen zu mastig.

Stimmenfang: Tim Raue.


Stimmenfang ist eine lose Folge von Kurzinterviews mit Sommeliers über Champagner, Cognac und dies und das in der Spitzengastronomie. Den Anfang machte Hagen Hoppenstedt vom Adlon. Heute ist der Feinschmecker Koch des Jahres 2011 dran, der auch mal im Adlon zu Hause war, wo ich seine Küche im Jahr 2008 kennengelernt habe.

Wenn man früher in der Rudi-Dutschke-Str. im Sale e Tabacchi saß und sich z.B. eine Flasche Rosé-Champagner von Billecart-Salmon schmecken ließ, die es dort zu einem sagenhaft günstigen, ja APO-fähigen Preis gab, dann blickte man gegenüber in eine Toreinfahrt und auf gesichtlose Häuserwände. Daran hat sich nicht viel geändert. Doch wenn man heute durch diese Toreinfahrt geht und dann einen scharfen Rechtsschwenk macht, dann landet man im Restaurant von Tim Raue. Dort gibt es – nicht nur am Krug Table – Champagne Krug zu sagenhaft günstigen Preisen. Das Glaserl Champagne Krug Grande Cuvée kostet 28,00 €, eine ganze Flasche kostet mit 196,00 € kaum mehr als im Laden.

Ich weiß nicht, wie Tim Raue in seiner Frühzeit Mitte der 90er gekocht hat. Doch weiß ich, dass er sich von seinem damals nicht sehr üppigen Gehalt die ersten Krug-Champagner leistete. Für Jahrgänge wie 1979 und 1985 musste man damals schon stolze ca. 90 DM berappen, gute 10% seines damaligen Salärs, wie er mir in der Kellerbar verriet. Ein Glück, muss man sagen, dass Tim Raue sich seinerzeit kaltblütig zu dieser Ausgabe entschließen und sich in der Folge außerdem für die burgundischen Champagner von Anselme Selosse sowie für Burgund selbst begeistern konnte – eine Begeisterung, die bis heute anhält und hoffentlich noch lange fortdauern wird. Denn schließlich ist das gelungene Zusammenspiel von Speisen und Wein wie die glückhafte Beiwohnung von Mann und Frau eines der elementar schönsten menschlichen Erlebnisse, weshalb der Volksmund beides mit gutem Grund zur Liebe, die durch den Magen geht sinnerhaltend verkürzt. Die Verfeinerung eines großen repas au champagne ist für Tim Raue der Inbegriff dieser Emergenz. Kulinarisch dauerte es freilich eine gewisse Zeit, bis die Seelenverwandtschaft zwischen Küche und Champagner mit der heutigen Fulminanz, resp. Fulguration hervortrat. Mit der momentanen Manifestation in Form des Krug Table ist das Ehepaar Raue deshalb, so scheint's, ganz zufrieden.

Ein Blick in die Champagnerauswahl verrät oder bestätigt, je nach Vertrautheitsgrad, welchen Kochstil man bei Tim Raue erwarten darf. Der Hauschampagner ist die Grande Cuvée, klar. Doch kann der echte Sparfuchs in der Krugauswahl noch ganz andere Offerten ausmachen. So kostet der aktuelle Clos du Mesnil 666,00 €, ein Preis der gut 100,00 € unter dem durchschnittlichen Fachhandelspreis liegt. Eine andere Quasi-Kalkulationslücke bildet der ultrarare Clos d'Ambonnay, die Flasche schlägt mit 2.222,00 € zu Buche. Im Fachhandel kostet so ein Büddelken bis zu 2.500,00 €, mit etwas Ausdauer findet man sie geringfügig günstiger. Für die Gastromie jedoch ist die geforderte Schnapszahl ein Schnapperpreis, wenngleich unter Genussgesichtspunkten andere Champagner interessanter sind. Von Selosse gibt es eine schöne Auswahl, die mit dem Brut Initial beginnt und neben der Solera-Cuvée den Blanc de Noirs La Côte Faron aus Selossens jüngster Reihe an parcellaires beinhaltet; vermisst habe ich den Blanc de Blancs Extra Brut Vintage. Vom brother in arms Erick de Sousa (die hervorragende Cuvée des Caudalies kostet bei Tim Raue in weiß relativ sparsame 134,00 €, als rosé 222,00 €) und vom Fachhandels- wie Gastrolieblingschampagner aus dem Hause Egly-Ouriet (der selten gewordene 1999er und sein Blanc de Noirs Vieilles Vignes liegen beide bei 228,00 €, hier ist es wirklich Geschmackssache welchen von beiden man zu dem Preis bevorzugt bestellen sollte) gibt es jeweils eine schöne Auswahl, außerdem sind die Jacquesson-Inhaberbrüder bis zum Jeroboamformat auf der Karte vertreten und deren quasiburgundischen 2004er Terres Rouges Extra Brut Rosé gibts für 198,00 € – das ist nicht gerade günstig, aber man begegnet diesem klug ausgesuchten Champagner nur selten in der Gastronomie; was wiederum schade ist, denn nach dem ultraseltenen Jungfernjahrgang 2002 und dem arg fetten 2003er ist der meunierdominierte 2004er eine Sommeliergeheimwaffe für abgespannte Gourmetgaumen. Nicht auf der Karte, aber im Restaurant erhältlich ist der flaschenvergorene sparkling Sake Mizubashu Pure.

Was trinkt nun Tim Raue am liebsten für Champagner? Klare Antwort: Krug Vintage 1996. In all den unzähligen Weinforen im Internet und in einer fiktiven Befragung aller Wein- und speziell Champagnertrinker dürfte man vergleichsweise häufig diese Antwort erhalten und kaum überrascht sein, gemeinhin reicht nämlich die Erfahrungstiefe mit Krug-Jahrgängen selbst bei den älteren Semestern unter den Vinophilen selten weiter als bis in die 60er. Doch sollte man aufhorchen, wenn ein ausgemachter Champagnerspezi, der sich bei Krug bis 1928 durchgetrunken hat, mit den Collections-Jahrgängen vertraut ist und seit dem ersten von Krug vinifizierten Jahrgang (1979) alle Clos du Mesnil kennt, als seinen Liebling den 1996er benennt. Hiervon hat sich Tim Raue Magnums für den Privatgenuss hingelegt, was sogar doppelt aufhorchen lassen sollte. Denn dem Trinken um des trinkens willen ist er abhold, privat wird deshalb nur selten mal eine Flasche geöffnet.

Nun zum Cognac. Zum charentaiser Brandwein hatte Tim Raue lange Zeit kein rechtes Verhältnis. Den Bogen schlug er über den Rum und landete so bei den alten, reifen Eaux de vie. Ohne große Umstände zieht er deshalb zur Illustration eine Très Vieille Réserve de Lafite Rothschild aus der Kellerbar hervor, nebst einer Flasche Mouton Eau de Vie de Marc d'Aquitaine, (eigentlich ja eher ein Fruchtbrand auf Mouton-Basis) sowie eine Flasche des für den englischen Markt bestimmten Cognac Hine, landed in 1962, bottled in 1980. Alles Brände, die solo stehen und für sich selbst wirken müssen. Bei Tim Raue werden Cognacs dieser Art individuell nach dem Essen im nosing Glas offeriert, wenn der Gast den Eindruck vermittelt, dass er damit etwas anfangen kann. Dass diese Gäste nicht selten sind, zeigen die niedrigen Füllstände und damit zeigt sich auch, dass Tim Raues restaurant vor allem auch ein Restaurant für Leute ist die, mit seinen Worten, richtig lecker trinken wollen.  

Stimmenfang: Gesumino Pireddu, Margaux.

 

Stimmenfang ist eine lose Folge von Kurzinterviews mit Sommeliers über Champagner, Cognac und dies und das in der Spitzengastronomie. Den Anfang machte Hagen Hoppenstedt vom Adlon. Eine Hausnummer weiter, räumlich gegenüber vom Adlon ist Michael Hoffmanns Restaurant Margaux schnell zu übersehen. Auf der kulinarischen Landkarte hingegen steht hier ein Monument. Auch biographisch gibt es gewisse Überschneidungen. Mitte der 80er schickt sein Ewersbacher Lehrherr Weise den damals noch jungen Michael Hoffmann ins Hamburger Vier Jahreszeiten, weil er dort was werden könne. Hoffman folgt dem Rat und Mitte der 90er wird er Küchenchef im Haerlin (bis 2010 Wirkungsstätte von Hagen Hoppenstedt aus dem Adlon). Seit 2000 führt er den Michelin-Stern; aktuell hält er 18 Punkte im Gault Millau. Feinschmecker und FAZ jubeln gleichermaßen über ihren Koch des Jahres 2010.

Michael Hoffmanns Sommelier Gesumino Pireddu kommt aus Witzigmanns Aubergine. Den Umgang mit der Gemüseküche von Michel Hoffmann meistert er mit vorwiegend deutschen Kreszenzen, obligaten Franzosen und einer Auswahl Weltklasseitaliener.

Pireddus Verhältnis zum Champagner ist entspannt. Bollingers R.D., die Champagner von Philipponnat, Mailly Grand Cru und Krug-Jahrgänge bereiten ihm ganz zu recht große Freude. Sein Champagnererweckungserlebnis war eine um 1990 geöffnete Private Cuvée von Krug. Das ist der Vorgänger der Grande Cuvée von Krug. Bis in die Endsiebziger gab es die Flaschen mit dem schlichten weißen Etikett unter diesem Namen, die ersten Grande Cuvées trugen ebenfalls noch das weiße Etikett, bevor der Wechsel zu den Leitfarben Gold und Rot stattfand. Zu Pireddus schönsten Champagnererlebnissen gehören seither folgerichtig alte Jahrgänge von Bollinger und Krug. Den 1959er Bollinger sieht er vor dem – bei guten Flaschen schon sehr guten – 1959er Dom Pérignon, sensationell sei der 1971er Krug gewesen. Nicht sehr groß, doch erlesen ist die Auswahl alter Oenothèques in Pireddus Keller. Dort liegen die Jahrgänge 1962, 1976, 1982, 1988 und 1990, die Flaschenpreise liegen zwischen 500,00 € und 1.000,00 €, was für Gastroverhältnisse nicht überteuert ist.

Wie er es mit Franciacortasprudel hält, wollte ich wissen. Kurz und knapp hält er es damit: Ca del Bosco und Bellavista. Andere Champagneralternativen? Eher nicht. Natürlich wird mit Sekt von Kirsten, Heymann-Löwenstein, Christmann und Frank Johns Hirschhorner Hof exzellenter Sprudel ausgeschenkt. Aber in der Wahrnehmung beim Publikum gibt es nach oben hin eine klare Grenze: auch wenn der Trend zum Winzersekt anhält: das Wahre ist doch der Champagner. Hierbei hält sich Pireddu persönlich an Blanc de Blancs mit möglichst klarer Linienführung und puristischer, mineralischer Art. Auch beim Cognac ist Pireddu Purist. Vom Cognacmix hält er zB nichts. Angeboten werden Hennessy, Hine und demnächst wieder Leopold Gourmel. Deren Cognacs eignen sich bestens für die Menubegleitung, ein Projekt, das Pireddu wohl Freude bereiten würde, jedoch im Margaux eher Exotenstatus hat. Eher schon sind hier ausgiebige repas au champagne denkbar und möglich. Wobei ich wiederum finde, dass exakt die floralen Noten der noch nicht ganz alten Grande Champagne Eaux de vie außergewöhnliche Verbindungen mit der Gemüseküche von Meister Hoffmann eingehen könnten.

Stimmenfang: Hagen Hoppenstedt, Adlon.

Stimmenfang ist eine lose Folge von Kurzinterviews mit Sommeliers über Champagner, Cognac und dies und das in der Spitzengastronomie. Den Anfang macht Hagen Hoppenstedt vom Adlon.

Vorweg: die gesellschaftsrechtlichen Vorgänge hinter den Mauern eines der bekanntesten Hotels Deutschlands sollen hier nicht zur Debatte stehen. Ich war nämlich nicht zum Stimmenfang für die Gesellschafterversammlung im Adlon, sondern weil es sich dort gut nächtigen lässt, weil eine ganze Reihe interessanter Restaurants in Mitte von dort aus gut erreichbar ist und weil mit Hagen Hoppenstedt im dortigen Quarré jemand die Verantwortung innehat, der von seiner vorherigen Wirkungsstätte Fairmont Vier Jahreszeiten, Restaurant Haerlin in Hamburg einen famosen Ruf mitbringt, unter anderm von der Kür zum Sommelier des Jahres 2009 stimmungsvoll untermalt. Ein solcher Mann ist genau der richtige, um dem an sich exponierten Hotelrestaurant mit dem unverstellten Blick aufs Brandenburger Tor Profil zu verleihen, das bislang vielseits vermisst wird.

In Champagnersachen war ohne viel Federlesens schnell Einverständnis hergestellt. Ein Guter Tag beginnt und endet mit Champagner. Ganz einfach. Weniger einfach war die Frage nach dem richtigen Champagner für einen richtig guten Tag. Im Lorenz Adlon besteht eine vertragliche Verpflichtung gegenüber Ruinart, deshalb wird als Hausstandard Ruinart en Magnum ausgeschenkt, wer mag, bekommt Dom Ruinart. Dass man damit weder schlecht in den Tag startet, noch zum Tagesausklang enttäuscht wird, ist unstreitig. Doch Sommelier Hoppenstedt hat neben der pflichtgemäß professionellen Hausstimme noch eine weitere Stimme, mit der er kumulieren und panaschieren kann. Und die schwärmt ganz spontan von Champagne Jacquessons Nummerncuvées, im zweiten Atemzug folgt der Rosé von Pol-Roger und ausdrücklich nicht der Winston Churchill. Bei diesem Champagnerdickschiff hat sich bei Hoppenstedt eine Vorliebe für die reifen Jahrgänge entwickelt, in der Jugend hält er sie für überschätzt und dementsprechend zu teuer.

Cognac indes ist im Ganzen seine Sache nicht so sehr. Der neue Schwung des charentaiser Brands ist allerdings, wie ich bemerkt habe, in Berlin insgesamt noch nicht recht angekommen. Ganz überwiegend scheint Cognac hier noch die großväterliche Rolle des bürgerlichen Digestifs (im Adlon liegt das Glas Louis XIII. bei 110,00 €) und Hummersuppenverfeinerers zu besetzen. Bei den Bränden schlägt Hagen Hoppenstedts Herz allerdings sowieso für Birne, denn aus Buxtehuder Birnen produziert er den milden Hoppenstedt, einen mit nur 35% vol. alc. und 69,00 € an den Mann gebrachten Williams-Birnenbrand. Der zeigt sich in der angeschlossenen Spontanverkostung zusammen mit dem zufällig ebenfalls anwesenden Robert Treffny wirklich überraschend mild. Ausgeprägter, unverdorbener Birnenduft und eine hochfeine, tragende Süße geben diesem in unzähligen Saufstuben mißbrauchten Brand eine völlig neue Daseinsberechtigung. Diese singuläre, auf das reine Birnenaroma zugeschnittene Komposition steht natürlich in einem starken Oppositionsverhältnis zum Cognac.   

Krug 1982 vs. Cristal 1989 in Steinheuers Restaurant

 

Unaufgeregten und souveränen Weinservice ohne Punkteneurose, unnötiges Flaschenöffnungstamtam und Abverkaufsdruck bestimmter Pflichtweine findet man leider nicht sehr oft. Findet man ihn dann doch, kann man sehr froh sein. Ich bin sehr froh, dass ich mit Sebastian Bordthäuser einen besonders angenehmen Repräsentanten des Sommelierstands – früher im Düsseldorfer Monkeys West und nun – in Steinheuers Restaurant praktisch vor der Nase habe. Die dortige Weinkarte ist nicht reich an Champagnerspezialitäten, bietet aber eine ganze Reihe lohnender Trouvaillen. Wer sich für Dom Pérignon erwärmen kann, wird von der ansehnlichen Reihe an Oenothèques begeistert sein, Freunde von Billecart-Salmon kommen hier ebenso auf ihre Kosten, wie die große Gruppe derer, die den Winzerchampagnern von Egly-Ouriet verfallen sind. Die Preise sind nicht überzogen, wenngleich man natürlich nicht erwarten darf, eine Oenothèque in der Gastronomie für unter 500,00 €/Fl. zu bekommen. Wer bereit ist, für eine Flasche zwischen 135,00 € und 200,00 € anzulegen, darf sich z.B. über einen 1990er Nicolas-Francois Billecart freuen, den 1989er Cristal gab's für, ich will nicht sagen: lachhafte, aber eben für 'nur' 189,00 €. Gab's, denn es war die letzte Flasche!

 

A. Die Weine:

I. Krug Vintage 1982

Jancis Robinson gibt 20/20, womit sie nicht weit weg von der Wahrheit liegt. Die erste Sensation, noch bevor die Flasche überhaupt an den Tisch kam, war der Schmunzelpreis, zu dem sie verkauft wurde. Hätte mich nicht noch der Cristal aus der Karte heraus so bezwingend angesprochen, wäre ich bei diesem tatsächlich dicht an der Perfektion rangierenden Champagner geblieben. Was mich bei Krug immer wieder fasziniert, ist seine geheimnisvolle Doppelnatur, die sich beim 82er besonders deutlich bemerkbar machte: kaum ein anderer Champagner schafft es, gleichzeitig so dicht, konzentriert und wuchtig, ja mächtig zu sein, dabei aber behende und leicht über die Zunge zu schweben. Solange man ihn solo trinkt, stellt man diese ganz gewisse Janusköpfigkeit gar nicht fest. Das ändert sich, sobald man einen Vergleichschampagner im Glas hat.

II. Louis Roederer Cristal 1989

Unter Tränen brachte Sebastian seine letzte Flasche vom 1989er Cristal an den Tisch. Schon von Ferne hörte ich das vielversprechende Folienknistern und als sie dann da stand, war die Spannung greifbar. Denn den 1989er Cristal habe ich nach meiner Erinnerung noch nie mehr als nur schlückchenweise probieren können. Vom 1988er und vom 1990er Cristal weiß ich hinlänglich, wie sexy die beiden sein können. Der professionell anturnende 88er auf der einen Seite, der molligere und rubensartiger weiche 90er auf der anderen Seite sind schon ein prima Duo. In die Mitte, aber eher auf der Seite des 1988ers fügte sich der 1989er dem – nun – Trio ein.

 

Außerdem:

III. Haart, Piesporter Goldtröpfchen Auslese 2001

Leichtfruchtig, moselanische Lebensfreude mit verschmitztem Lächeln. Saftig, apfelig, mit Duftnoten von Tee und gepufftem Reis.

IV. Jochen Dreissigacker, Bechtheimer Hasensprung Auslese, Jg. ?

So fett wie die Farbe schon andeutete, war der Wein. Mir war das zu viel Schmelz, zu viel auch von der überreif und überkonzentriert süß-sauren, etwas unbeweglichen Art.

V. Weinrieder, Hölzler, St. Laurent Roter Eiswein 2008

Rötlich; jodig, fast salzig. Im Mund dann derbfruchtig, wie Acerola, Gojibeere, Wildkirsche, Blutorange mit leicht tanninigem grip. Starker Wein mit einem sahnigen Hauch, der nur leider etwas rumpelig und unelegant abgeht, was aber vielleicht in der Natur des St. Laurent liegt.

 

B. Das Essen:

I. Amuse Gueule: Tatar mit Crème Fraîche und Kaviarhaube – Aalsud mit Blutwurst-Chip – Spanferkelwürfel auf Grünkohl

Der Blutwurst-Chip hätte ruhig knuspriger sein dürfen, der Aalsud war mir etwas zu mild. Das Tatar war hingegen gut und verband sich über die Crème Fraîche gut mit dem Kaviar. Der feine Grünkohlsud tat es ihm mit dem Spanferkel nach.

II. Kalbskopfvariation als Gruß aus der Küche: als Praline auf Belugalinsen – Zunge mit Tomatenconfit – als Carpaccio mit gepufftem Speck

Die Praline mit ihrer schönen Konsistenz und die Linsen gefielen mir am besten; die großzügig geschnittene Zunge mit dem Tomtenconfit war sehr puristisch gehalten und bot mir weder im positiven noch im negativen Angriffspunkte; das Carpaccio gefiel mir sehr gut und über den gepufften Speck brauche ich ja gar nicht reden, dafür bin ich immer zu haben.

III. Landei mit Culatello und Idiazabal

So klein es auch war, so gut schmeckte es doch, dieses magische Ei.

IV. Jakobsmuscheln mit Périgord-Trüffelkruste und zweierlei Lauchcannelloni

Wie der Lauch seine hier erreichte perfekte Konsistenz bekommt, ist mir ein Mysterium, kann es aber ruhig sein, solange ich ihn in Steinheuers Restaurant nachordern kann. Die Jakobsmuscheln haben vom Trüffel profitiert und ohne hätte ich sie auch gar nicht haben mögen, soo wahnsinnig gern esse ich die nämlich bekanntlich auch wieder nicht.

V. Sot l'y laisse mit Froschschenkel, Erbsen und Verbene

Ausschlaggebend war für mich bei diesem Gericht in erster Linie die Verbene, denn ich liebe ihr Aroma. In zweiter Linie dann fand ich es lustig und sinnig, das froschgrüne Thema mit den Erbsen mit freundlicher Ironie aufzunehmen. Dass meine Entscheidung goldrichtig war, wusste ich schon, als ich den Teller nur ansah. Bombensicher war die Sache dann, nachdem ich alles wegvertilgt hatte, wobei ich tatsächlich kurz überlegt habe, mir davon noch einen Teller kommen zu lassen.

VI. Rehrücken mit Lorbeer, Kohlrabi und Pimientojus

Traumhaft zart, mit der gewünschten Mürbe und dem ersehnten Wildaroma kam das Reh auf den Teller, auf den Kohlrabi kam es daneben nicht mehr an. Gemundet hat auch der Pimientojus.

VII. Bluttaube nach Schnepfenart, mit Lebercroûtons, Roter Bete, Speck und gebutterter Tauben-Consommé

Einen Knusperschlegel von der Schnepfe, von der ich mir erst via google ein Bild vergegenwärtigen musste um zu wissen, welches Lebewesen seine wertvollen Proteine für mich dahingegeben hat, futterte ich weg als säße ich bei KFC. Mit derselben besinningslosen Fresslust hätte ich auch noch den rest vom Teller verspeist, wenn ich mir nicht scharf innerlich Einhalt geboten hätte. So kam ich in den langsamen, würdigen Genuss der unnachahmlich saftigen Bluttaube, deren qualvoller Erstickungstod dem Vernehmen nach eine größere Menge vom Blut an den Muskeln des Körpers belässt, was nachher eine gute Kombination mit der Roten Bete abgibt und dringend nach Pinot ruft, den ich mir in Form eines Schlückchens vom guten Krug eigens dafür aufbewahrt hatte.

VIII. Côte de Boeuf mit Wasabi-Schalottenbutter, Aniskarotten und falschem Sellerie-Markknochen mit Ochsenschwanzragout-Füllung

Rind mit Wasabi war schön, sehr schön dazu waren die feinen Aniskarotten. Der aus einer ausgehöhlten Sellerie geschnitzte Markknochen war außerdem mit köstlichem Ochsenschwanzragout gefüllt, für das ich in dieser Form eine ausgeprägte Schwäche habe.

IX. Vacherin Mont d'Or im Belanakartoffelmantel gebacken, dazu Endivie und schwarzer Trüffel

Die wesentliche Daseinsberechtigung des Vacherin Mont d'Or ist seine famose Backofenverwendbarkeit. Statt ihn stumpf in den Ofen zu schieben hat Meister Steineheur sich einen Kartoffelmantel dazu einfallen lassen, der den schlichten Käse zusammen mit dem clever zugefügten Trüffel in den Propylon des guten Geschmacks versetzte.

X. Gewürz-Omelette "Surprise" mit Quittenvariation und Bereberitze

Die Surprise war ein Eis, auf das ich auch hätte verzichten können, die festen und die sämigen Quitten trafen meinen Geschmack schon viel besser und pfeilgrad den sweet spot fand die Berberitze.

XI. Pâtisserie: Zimtblüte, Ingwer und Engelwurz

Die Kleinigkeiten bildeten den perfekten, essbaren Übergang zum Cognac.

Abschluss: Cognac Hennessy Paradis

Dieser sehr anspruchsvolle Cognac nahm die Aromen von Zimtblüte, Ingwer, Engelwurz auf und warf sie zusammen mit Spekulatius, Nelke, Nüssen, Blutorangen, Iris, Leder, Trüffel und einer dichtgepackten Salve weiterer, auch hitzigerer Düfte zurück. Sehr sehr viel Luft und ein Glaswechsel waren erforderlich, um dem Cognac noch im Verlauf des Restabends überhaupt einige gelockerte, zwanglosere, weniger kompakte und ultradichte Noten zu entlocken.  

PUR genießen in Koblenz

Restaurant "PUR" (1* Guide Michelin), Klostergut Besselich bei Koblenz

0. Opener: Richard Richter, Gutssekt 2008

In Winningen zusammen mit Knebels und natürlich dem großen Heymann-Löwenstein einer meiner Favoriten. Sympathischer Winzer, mit sehr klaren Vorstellungen von dem, was er mit seinen Reben anstellt – was man eins zu eins schmeckt. Reifer, runder, Sekt ohne Zuckerschnörkel.

I. Amuse Gueules, dazu weiterhin der Sekt von Richter:

1. Flüssige Gartengurke und Minipizza

Die unscheinbare Gartengurke mit ihrem unterschätzten Aroma erlebe ich immer wieder gern in kulinarischen Inszenierungen. Patrick Maus verstand es, aus der Gartengurke ein hohes Maß an natürlichem Aroma herauszuholen, wenn er beim nächsten Mal nur eine winzige Spur weniger Salz verwendet, ist seine flüssige Gurke perfekt. Die Minipizza ist gleichermaßen beliebt bei Köchen und Gästen, für den Koch bringt sie einen berechenbaren Aufwand mit sich und der Gast word nicht schon mit den Entrées überfordert. Oft sind die vorweg servierten Minipizzen aber lustlos zusammengehauene Konfektionsware, lahme Geschmacksenten auf pappigem Teig. Nicht so hier, die wirklich sehr kleine Pizza war schmackhaft und frisch belegt, beim Boden fehlte mir noch die rechte Balance aus Knusprigkeit und Fluffigkeit, aber da wird es schon etwas pingelig.

2. Himbeergeleewürfel mit altem Balsamico

Die Himbeere hatte etwas mit dem kräftigen Balsamico zu kämpfen, schlug sich aber wacker.

3. Sojamarshmallow in zweierlei Sesamkruste

Merkliches Sojasaucenaroma durchzog den Marshmallow und die schwarzweißen Sesamkörner drumherum gaben das gewünschte puristische asiatische flair, bei dem mir nur eine gewisse oberflächliche Süße störend vorkam.

4. Rote-Bete-Kugel fest und flüssig

In einer Gelatinekugel war die Essenz von Roter Bete untergebracht. Im Mund platzte die Hülle lustig auf und gab den erdig-würzigen Inhalt frei. Gelungenes Zugeständnis an molekulare Anwandlungen.

5. Gebackener Schweinebauch

Leicht süß war der Schweinebauch und von der leichten Art her erinnerte er an den Sojamarshmallow, schmeckte aber natürlich schweinischer.

6. Thunfisch im Hörnchen mit Limonencrèmetupfer

Ein schon gut ansättigender Thunfischhappen kam zum Abschluss hinzu. Die Limonencrème war behutsam aromatisiert und verband sich trefflich mit dem Thunfisch.

II. 1. Gruß aus der Küche: Karottensüppchen mit Tahine, dazu Knebel, Weißburgunder 2009:

Ingwer, Karotte und Sesam fanden sich im frisch aufgeschäumten Süppchen wieder, nicht nur optisch, sondern auch aromatisch. Dazu fügte sich der milde,, sanft buttrige, mir zu junge Weißburgunder.

III. 2. Gruß aus der Küche: Matjesvariation

1. Tatar mit grünem Apfelschaum

Das tatar war gut, wurde allerdings durch die Kombination mit dem grannysmithfarbenen Apfelschaum erst richtig bemerkenswert.

2. in Pancetta gebacken, auf karamellisiertem Apfel

Bemerkenswert ging es auf der Apfelebene weiter, die karamellisierten Äpfel hätte keine noch so gute Oma besser machen können. So was Apartes! Überzeugend dazu war der Matjes im Pancettawickel.

3. mit Zitronenpfeffer und Pumpernickel

Diese Kombination scheint mir dem Leitgedanken des "Pur" wieder sehr gut zu entsprechen. Schnörkellos, ohne Effekthascherei das Gute verbessert.

IV. Gänselebervariation mit Mango und rotem Pfeffer, als Eis und als Brioche, dazu Marcus Stein, Trabener Gaispfad Auslese 2007:

Der kleine Gänseleberblock war Basis einer Geschmackspyramide, die wie folgt aussah: pur war es eben einfach ein Gänseleberblock. Eine leichte Herbe mochte ich da vielleicht noch herausschmecken, aber nicht viel mehr. Erst zusammen mit den Mangowürfelchen wurde daraus ein gehobener Genuss und beides zusammen mit dem nicht übersüßen Gaispfad runterzuspülen war die Krone. Schön, insbesondere sehr fein war auch das Eis von der Gänseleber, ganz ganz mild und perfekt geröstet war das Gänseleberbrioche, zu dem der Wein nicht recht passen wollte, hier wäre ein extra Glas Champagner die bessere Wahl gewesen.

V. Labskaus 2011, dazu J. B. Schäfer, Weißburgunder 2009:

Die ironisierende Spiegeleioptik macht schon bei ersten Anblick Lust auf diese moderne Variation des nordischen Klassikers, den ich einmal überragend gut im Hamburger Hafen in einem Laden gegessen habe, den es längst nicht mehr gibt und dessen Namen ich vergessen habe; übertroffen wird so ein Labskaus nur noch vom Labskaus, das z.B. Mutter, Oma oder der seefahrende Onkel herstellen. Davon setzt sich das Labskaus 2011 von Patrick Maus klar ab, allein schon um nicht in schwieriges Fahrwasser verwandtschaftlicher Kochkunstvergleich zu geraten. Recht so, muss ich ihm zurufen, denn sein Labskaus hatte einen köstlichen Schaumrand, herzhaftes Eigelb, saftige Fischhappen und dezente Bete, war einwandfrei gegart und aromatisch ein schöner Schmaus. Der duftige Weißburgunder von Schäfer erwies sich als gute Wahl. In der Nase von dezent verführerischer Art, im Mund schön straff.

VI. Avocadosorbet mit Chilifäden

Schöne Kombination, bei der hier noch dazu kam, dass das Sorbet sehr kalt war. Das brachte den Effekt, dass sich das erst bei längerer Verweildauer im Mund öffnende Avocadoaroma besonders harmonisch mit der feinen Chilischärfe verbinden konnte, was ein nachhaltiges Geschmackserleben ermöglichte.

VII. Fasan mit Trauben und Speck, dazu Yves Girardin, Château de la Charrière, Beaune PC Vignes Franches, 2005:

Der Fasan gefiel mir nicht so wahnsinnig gut. Das Fleisch war für meinen Geschmack zu hart, gegen Trauben, Sauce und Speck war nichts einzuwenden. Zusammen mit dem wildduftigen, leicht medizinalen, aber samtigen, maulbeerigen Burgunder wurde doch noch ein vernünftiger Gang draus, leider und dtrotz des Weins, der sich in Höchstform zeigte, nicht auf dem Niveau der übrigen Gänge.

VIII. pre-dessert, dazu Matthias Müller, Bopparder Hamm Feuerlay Spätlese 2009:

1. Ananasmousse mit Kokos

Eine dicke Kokosschicht wollte durchgearbeitet werden, bevor die Mousse zum Vorschein kam. Zum Glück war die kleine Köstlichkeit nicht so arg süß, sondern setzte ganz auf Natürlichkeit, daher ging's.

2. gebackene Ananas mit Pfeffer

Hier war mir etwas zu viel Fett drangekommen.

3. Ananassorbet auf Chutney

Sehr gut war dagegen wieder das milde Curryaroma, das sich aus dem Chutney herauslöste und mit angenehmer Schärfe gegen die Fruchtsüße der Ananas opponierte.

IX. Veilchengelee, Lakritzschnecke mit weißer Schokolade und Cassis, dazu weiterhin Matthias Müllers Spätlese:

Die Lakritzschnecke schmeckte fabelhaft, sah aber nicht sehr ansehnlich aus. Wie eine Scheibe Pfälzer Leberwurst nämlich. Eingeklemmt war sie zwischen zwei transparenten Veilchengeleescheiben, einem Hamburger daher nicht unähnlich. Lobenswert ist der zurückhaltende Einsatz weißer Schokolade und lobenswert ist auch, dass das Lakritzaroma nicht ammoniakmäßig rüberkam. Schließlich noch lobenswert ist die gekonnte Hinzukomposition des Veilchenaromas, das ja sonst gerne zur Penetranz neigt.

X. Pâtisserie:

1. Blutorangenmarshmallow

Vom vielen Essen und Trinken ermüdet, hätte ich mir den Blutorangenmarshmallos etwas kräftiger säuerlich gewünscht.

2. Bitterschokoladentrüffel

Der war gut, mir aber dann am Ende doch zu mastig.

3. Himbeergeistbonbon

Das kleine, nur etwas mehr als tröpfchengroße Bonbönchen rief sofort Erinnerungen an die Präparation denkwürdiger Wochenenden bei einem Koblenzer, jetzt Münchner Kollegen wach. Was nämlich ein echter nighthawk ist, geht nicht schon um Acht in die Kneipe, sondern zeigt sich frühestens um Elf. Bis dahin will die Zeit irgendwie überbrückt, bzw. genutzt sein und das Mittel zum Zweck war für uns seinerzeit eine beträchtliche Menge Henninger Export. Wenn das alle war, gab es an ausgesuchten Abenden den exquisiten Himbeerschnaps, von Großmutter eigens schwarz gebrannt, bzw. wahrscheinlich doch eher in einem Schnapsladen gekauft. Das alles brach in mir auf, als ich das Bonbon im Mund hatte und der köstliche Sprit meinen Gaumen zu benetzen begann. Anders als früher schonmal gelegentlich blieb es dann dabei und ich konnte mich nach dieser für mich sehr berührenden Erfahrung dem Tartelett zuwenden.

4. Tartelett mit Yuzu

Die Japaner sind die Franzosen Asiens, was die Verfeinerungskunst und Schweinigelei angeht. Nicht nur sind japanische Pornos und Sexualgewohnheiten abgefahrener als amerikanische oder europäische Produktionen, resp. Vorlieben, nein auch japanische Speisezutaten sind es. Lupenrein erkennbar an der Yuzu, einer Zitronenart, die alles an Zitronigkeit bündelt und potenziert und in eine neuen Dimension katapultiert und deshalb wie gemacht ist, für so ein kleines Essensabschlusstartelett.

5. Karamellbonbon

Der versöhnliche Abschluss, dessen Konsistenz meine Gemütslage auf das allerschärfste spiegelte.

Fazit:

Das PUR im herrlichen Klostergut Besselich bei Koblenz hat seinen ersten Stern verdient und auch einen zweiten würde ich nicht für unerreichbar halten. Der Weinkeller mit Schwerpunkt Mittelrhein könnte noch einige reife Schätzchen vertragen; dass die in der Sternegastronomie fast allgegenwärtigen big guns aus Bordeaux fehlen, kann man verschmerzen. Entwicklungsmöglichkeiten gibt es hier aber gewiss noch einige. Der Service ist unprätentiös, von herzlicher Offenheit und unkomplizierter Freundlichkeit. Was mir außerdem gut gefallen hat, ist die über das ganze Menu hinweg durchgehaltene Stilsicherheit und die Orientierung an puristischer Aromenküche.

Sternekoch für einen Tag

 

Der Westdeutsche Rundfunk hat in Irland ein TV-Konzept entdeckt. Das fand er so gut, dass er es gleich übernommen hat und am 16. November 2010 fanden die Dreharbeiten für die Pilotfolge von "Sternekoch für einen Tag" statt. Das Konzept ist folgendes: Ein Sternekoch stellt einem Promi die Küche zur Verfügung und der Promi stellt zwei Drei-Gänge-Menus auf die Beine, mit denen er meint, eine Jury aus drei anderen Promis und normalen Restaurantbesuchern von seinen Kochfähigkeiten überzeugen zu können. Wer der Promi ist, wird nicht verraten – dadurch entsteht ein munteres Raten über die Identität des Promikochs an allen Tischen.

Nun könnte man glauben, das sei ein müßiges Unterfangen; ist es aber nicht. Denn schon die Menuzusammenstellung verrät doch eine ganze Menge über den geheimnisvollen Koch. Hat man dann die ersten Kochresultate auf dem Teller vor sich stehen und kennt man zudem bereits den vom Koch dazu ausgewählten Wein, so wird der Kandidatenkreis anhand dieser Daten merklich enger.

So war es auch hier. Zwar habe ich die Identität des Kochs nicht auf den Kopf zusagen können, aber immerhin habe ich mit meiner Einschätzung richtig gelegen, dass es sich um einen Koch aus der Region handeln müsste, dessen Kochstil von norddeutscher Küche beeinflusst ist. Das ließ sich am Aal festmachen. Das Alter des Kochs habe ich zutreffend mit 45+ geschätzt, denn die Zutaten Aal, Kabeljau und Reh schienen mir einer etwas länger zurückliegenden recht bürgerlichen kulinarischen Prägung zu entstammen. Dass es sich überhaupt um einen Mann handelte und nicht etwa um eine Frau, beispielsweise Landemutter Hannelore Kraft oder die gar nicht so weit weg von Dorsten beheimatete Dolly Buster, schloss ich aus dem völligen Fehlen von Schokolade beim Dessert.

Ein weiterer wichtiger Hinweis war die Art, wie die Speisen auf den Tellern angerichtet waren. Der Koch hatte es ganz und gar unterlassen, auf Kontraste zu achten, oder überhaupt farbliche Abstimmungen vorzunehmen. Der weiße Kabeljau auf hellem Sauerkraut mit weißlich-gelben Kartoffeln sah nämlich ganz schön blass aus. Die einzigen, jedoch im Keim erstickten Anfälle von Dekorationswut konnte ich bei der Maronensuppe ausmachen. Dort waren in der Mitte des Tellers vier Hirsch-Schinkenscheiben quadratisch um einen Crème-Klacks gelegt. Der andere Ausreißer waren zwei (sic!) Schnitlauchhalme, die neben dem Aal mit Kräuter(i.e.: Schnittlauch)Rührei lagen. So karg dekoriert nur ein Mann mit einem entsprechenden Job, dachte ich mir. Künstler kamen demnach nicht mehr in Frage. Sportler dachte ich noch kurz, oder Politiker, aber keinesfalls wiederum Wirtschaftsboss.

Als Tischwein gab es den 2009er Weißburgunder/Chardonnay von Hensel und von Marques de Murrieta eine 2001er Ygay Gran Reserva, beides blind serviert. Den Weißbugunder konnte man recht gut identifizieren, wegen des leichten Buttertons hätte man auch noch den Chardonnayanteil benennen können. Mir schien es sich um einen Weissburgunder oder einen eher schwachen Riesling aus Rheinhessen zu handeln. Nicht ganz daneben, aber auch nicht besonders gut, mein Tip. Ok. Zum Süppchen passte der Weißburgunder dann gut, vor allem weil das Süppchen ziemlich konzentriert schmeckte und auch etwas zu viel Zucker, dafür etwas zu wenig Salz abbekommen hatte. Zum Hauptgang gab es den Rotwein, der einen massiven Essigstich hatte und dem weder langes Dekantieren noch heftige Belüftung im Glas halfen. Einzig der Durst trieb ihn rein. Zum Burgunderreh passte der Wein natürlich nicht und war ein denkbar katastrophaler Fehlgriff. Nicht nur, weil die Burgundersauce mehr Mondamin als Burgunder zu enthalten schien, sondern auch, weil die Aromen von Wein und Sauce einander förmluch bissen. Dafür war das Rehfleisch nah an der absoluten Perfektion, ehrlich gesagt wüsste ich – von einer höheren Serviertemperatur abgesehen – nicht, wie man das Reh noch besser auf den Tisch hätte bringen können. Über Kabeljau und dessen fehlende Daseinsberechtigung in der gehobenen Küche spreche und schimpfe ich oft genug und muss es also hier nicht wiederholen. Die in geschlängelten Olivenschalen servierte Crème brûlée enthielt, surprise-surprise, einige kühle Himbeeren, das Quarksouffléetörtchen war fluffig und gut, wenn auch auf manchen Tellern nicht sehr standfest. Von den angeblich literweise verkochten Rotweinen des Rotwein-Pflaumensösschens habe ich nichts bemerkt, wahrscheinlich sind die auf andere Weise verschwunden.

Zusammenfassend: es herrschte gepflegte Langeweile auf dem Teller, herausragend war einzig das Reh. Vom Sternekoch war unser Promi so weit entfernt, wie Privatfernsehen von den Öffentlichrechtlichen Sendeanstalten, bzw. umgekehrt. Wer es denn nun tatsächlich war und wie die Jury letztlich entschied, wird der WDR Anfang 2011 zeigen.

 

Das hier war die Speisenfolge:

I. Vorspeise

1. Maronensuppe mit Hirsch-Schinken

2. Räucheraalfilet auf geröstetem Vollkornbrot mit Kräuterrührei

II. Hauptgang

1. Reh mit Burgundersauce und Chutney von grünen Tomaten

2. Kabeljaufilet, gedünstet, auf Apfel-Rahmsauerkraut

III. Dessert

1. Crème brûlée mit Himbeeren

2. Quarktörtchen in Rotwein-Pflaumensauce