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Category Archives: Champagner

Hier dreht sich alles um Champagner.

Terroirs et Talents 2013: Champagne Aspasie

Aspasie entwickelt sich gut, wie die beiden jüngsten Checks ergaben. Die Carte Blanche hatte sich feingemacht, betonte ihre schlanke Linie etwas stärker als früher, was sie angenehm von der einst verfolgten Großhauslinie abbrachte. Der Brut Prestige entfaltete mehr Druck und war ebenfalls auf dieser neueren Linie, wo er mir schon ganz gut positioniert erscheint, nur dass er für das Wörtchen Prestige doch eine Nummer zu schlank ist. Auch der 2007er wirkte positiv, bei der ersten flüchtigen Probe und in der Nachverkostung:

1. Cépages d'Antan

40 Petit Meslier 40 Arbane 20 Pinot Blanc, 2007er Basis, mit 9 g/l dosiert

Der rapsige, unkrautige Beigeschmack, den ich bei Altrebsortencuvées immer dem Weißburgunder zuschreibe, ist einer nur noch gelinde pflanzlich-kratzigen Note gewichen, die ich nicht weiter störend finde, obwohl sie den Champagner natürlich nicht gerade zu einem Vorbild in Sachen Eleganz macht. Was mir gut gefiel, waren die sich dazugesellenden Apfel- und Rhabarberaromen, die dem Champagner trotz der recht hohen Dosage Frische verliehen.

2. Blanc de Blancs

2008er Basis, mit 6 g/l dosiert

Schweflig, rauchig, gegen Ende mit schärfender Säure und mehr Aggro, als noch im letzten Jahr. Dazu kommt eine feine, kräuterige, pflanzliche Herbe, die den Champagner nicht aus dem Gleichgewicht bringt, aber ihm einen eigenen touch gibt.

3. Brut Millesime 2007

Drittelmix.

Weich und wohlgerundet, aber nicht labberig. Gegen Ende scheint ein pflanzlich grünes, nicht unreifes, sondern sukkulent-fleischiges Kostüm durch, das sich mit milchschokoladigen Aromen vereint und den Champagner bei aller Gefälligkeit am Gaumen überzeugen lässt.

4. Millésime 2009 non dosé, Arbeitsname: eterniteque

Drittelmix.

Fester Griff bei vollmundiger Reife, feine Haselnussigkeit, die an Bouzy erinnert; mit einer Dosage um 3 g/l könnte der Champagner sicher noch weiter aufgehen, etwas mehr Zeit auf der Flasche wird ihm aber ebenso guttun.

 

 

Champagne Sapience – Selossekiller, Egly-Schreck, Joly-Sprudel?

Im Anschluss an eine Clos des Goisses Vertikale noch Champagner zu trinken, mag nur dann noch sinnvoll erscheinen, wenn man bei Clos des Goisses bleibt. Das ändert sich selbst dann nicht, wenn man vorher schon den ganzen Tag Vins Clairs von zwanzig anderen erstklassigen Winzern probiert hat und erst recht sollte man wissen, wann es gut ist, wenn man nicht nur Vins Clairs intus hat, sondern auch die aktuellen Dégorgements besagter Winzer unter die Gaumenlupe genommen hat. Entscheidet man sich bei dieser Sachlage trotzdem noch dazu, weiteren Champagner aufzunehmen, dann muss es sich schon um ein besonderes Stöffchen handeln.

Solch eine Entscheidung trifft man ohne Reue, wenn es sich um Champagner von Selosse oder Egly-Ouriet handelt, wenn Champagnerverächter Nicolas Joly einen Champagner machen würde, fiele mir die Entscheidung auch nicht besonders schwer. Nun aber rief Benoit Marguet von Champagne Marguet Père et Fils nach Ambonnay. Das ist, ehrlich gesagt, für sich genommen noch nicht genug, um von einer an sich klugen Entscheidungsformel abzuweichen. Marguet ist in der Champagne nicht ganz unbekannt, Familienbande bestehen seit den 1870er Jahren zu Henriot und Pioniergeist ist der Familie durchaus nicht fremd: Emile Marguet, Schwiegervater von Paul Henriot, hatte schon ganz zu Beginn der Reblauskatastrophe in weiser Voraussicht Reben auf resistente Unterlagen gepfropft. In jüngerer Zeit, d.h. bis 2005 firmierte man als Marguet-Bonnerave, heute als Marguet Père et Fils; der Weinpresse gefällt's.

Benoit Marguet also hat von diesem Pioniergeist mehr mitbekommen, als zB seinen Eltern lieb ist, die nämlich von nachhaltigem, gar biodynamischem Anbau wenig oder lieber noch: nichts wissen wollen. Um diese Herzensangelegenheit vorantreiben zu können, tat er sich 2006 mit Hervé Jestin zusammen, der soeben bei Duval-Leroy – wo er mit seiner Kellermagie zuletzt nicht auf große Gegenliebe stieß – ausgeschieden war.  Als biozertifizierte Traubenlieferanten konnte er, da seine eigenen Weinberge zu dieser Zeit noch nicht selbst zertifiziert waren, namhafte Größen im Geschäft gewinnen: Vincent Laval und David Leclapart waren 2006 die ersten beiden Unterstützer, 2007 kam dann noch Benoit Lahaye hinzu.

Damit waren genug Punkte beisammen, um mich selbst am Ende eines langen Verkostungstages noch zu weiterem Probieren zu animieren. Benoit Marguet empfing zusammen mit Hervé Jestin bei Kerzenschein (weil der Strom ausgefallen war) im kleinen Kreis und öffnete alle vorhandenen Jahrgänge:

Sapience 2010

Die Jahrgänge ab 2007 enthalten durchgängig 50CH 25PN 25PM und sind Brut Nature.

Arg jung, mit den typischen Primärnoten von Kirsche und Banane, hier angereichert mit Ananas und Kokos, smoothiehaft, samtige, feinpürierte Textur mit sehr crèmiger, leicht träger bis schläfriger Mousse. Mit Luft pflanzliche, auch minimal gerbende Komponenten, mehr eingedickter Kirschsaft, schwarzer Pfeffer. Ein Champagner, der aus dem Stadium der Bocksprünge noch nicht raus ist. 

Sapience 2009

Multivitaminsaft mit Mandeln, Marzipan, Rosenblüte und Zimt, außerdem noch Gebäck, Vanillezucker und Pasta di Mandorla. Wirkt deutlich ausgereifter als der 2010er, ist weich wie Zitronengel aus der Molekularküche und daher wohl auch gleichzeitig glatter und seidiger, was ihm schon eine ansprechende Eleganz verleiht.  

Sapience 2008

Der rundeste, ausgewogenste, am schönsten balancierte Champagner bisher, merklich aus gutem Elternhaus, resp. Jahrgangsjahr. Trotz des Eindruck hoher, reifebedingter Süße ein eleganter Champagner mit raffinierten Details.

Sapience 2007

In einem Zwischenstadium habe ich den 2007er angetroffen. Offenbar befindet er sich auf dem Rückzug in sein Inneres. Dabei holt er die Primäraromen ein, wie eine Flagge beim abendlichen Fahnenappell. Das erklärt, warum er anfang im Mund sehr stark wirkt, dann aber limonadig abflacht und erste, vereinzelte jodige Aromen hervortreten lässt, die freilich recht verloren wirken und sich nicht recht zu helfen wissen.

Sapience 2006

1/3PN von Laval 2/3CH von Leclapart, mit 3 g/l dosiert

Amylisch, trotz seines Alters immer noch mit viel Birne und Marille. Wirkt schon sehr reif, trotz seiner geringen Dosage vollmundig und süß, auf mich trotz spürbaren Reifeprozesses mit deutlich verbreitertem Würzespektrum noch sehr jung und entwicklungsfreudig, d.h. noch längst nicht in einem stabilen Zustand, der es ermöglichen würde, mehr als nur einen kleinen Momenteindruck zu gewinnen. 

Fazit:

Mit einem Selosseherausforderer oder gar -killer haben wir es hier nicht zu tun. Dafür ist das Konzept und die Art der Weinbereitung nicht wegweisend neu genug. Biodynamie und Burgundertechnik sind ganz im Gegenteil schon richtiggehend heimisch geworden  in der Champagne. Technisch wandelt die Cuvée Sapience also nur auf den Spuren des Meisters, ohne ihn zu überholen oder anzugreifen. Und Egly, der am anderen Ende von Ambonnay wohnt, wird sich über diesen Champagner auch nicht erschrecken. Dazu steht er viel zu fest auf eigenen Beinen. Ob Nicolas Joly, würde er einen Champagner machen, ihn so machen würde? Vielleicht. Wir wissen es nicht. Und damit die Vergleichezieherei nicht zu sehr ins Kraut schießt, beende ich sie hiermit schnell. Die Sapience-Champagner von 2006 bis 2010 und der folgenden Jahre haben ein gutes Konzept und profitieren von stringenter Umsetzung. Meine ersten Verkostungseindrücke sind positiv, aber für eine tragfähige Einschätzung reichen sie nicht. 

Club Trésors de Champagne: Remy Massin, Paul Bara, Cedric Moussé

Den Club Trésors de Champagne kennt man von seiner einheitlich für die jeweilige Spitzencuvée der Mitgliedbetriebe verwendeten Special Club Flasche. Im Grunde ist der Club eine der ersten Winzervereinigungen der Art, wie die verschiedenen Neugründungen Terres et Vins de Champagne, Terroir et Talents de Champagne oder die Artisans du Champagne. Wer eine Spitzencuvée seines Betriebs in der Special Club Flasche an den Mann bringen will, muss erst beim Grundweintasting die Club-Kollegen überzeugen und drei Jahre nach der Mise en bouteille das Produkt nochmals zur Verkostung anstellen; ein gutes Prinzip, wie ich finde. Nach wie vor findet sich deshalb unter den Mitgleidsbetrieben eine stattliche Anzahl sehr guter bis außergewöhnlicher Winzer, einige davon stelle ich in loser Folge hier vor.

 

1. Remy Massin

Ein Trend mit dem Alexandre Penet von Penet-Chardonnet begonnen hat und der schnell weitere Kreise gezogen hat ist der QR Code auf dem Rückenetikett; dieses Ausstattungsdetail hat auch Remy Massin übernommen, was ich gut finde. Remy Massin ist in Villes sur Arce an der Aube, südöstlich von Troyes zu Hause und eröffnet den Reigen der Club Trésors Winzer.

a) Integrale Extra Brut

80PN 20CH, 09er Basis mit Reserven aus 2008 und 2007, mit 5 g/l dosiert

Viel Noisette in der Nase, wirkt in der Nase und im Mund kurz und monothematisch, mit Gewöhnung und Luft ist der Champagner aber nicht verkehrt.

b) Millésime 2004

60CH 40PN, mit 6 g/l dosiert

Reichlicher Champagner, süffig und vollmundig, freudiger Charakter.

c) Louis-Aristide

100PN aus Solera, bzw. réserve perpetuelle 1995-2006, Flaschenfülllung 2007, mit 7,5 g/l dosiert

Bäckereiaromen, Hefe, Hagelzucker, Vanille

d) Rosé

Dies ist die letzte Version in transparenter Flasche gewesen, künftig wird der Rosé in einer UV-beständigeren Flasche ausgeliefert. Das ist gut, denn der Champagner lohnt die Umstellung und wird es mit Dank quittieren, derart geschont zu werden. Es wäre auch zu schade um die Aromen von Verbene, Limette und Blutorange. Trotz seiner wenig spürbaren Säure und dem nur schwach am Gaumen kitzelnden Prickeln ist der Champagner wohlgeraten und lässt keinerlei Frische vermissen.

 

2. Paul Bara

Die Chardonnays und Pinot Noirs von Paul Bara stammen aus dem schönen Grand Cru Bouzy, eine uraltrenommierte Gegend für guten Pinot Noir in der Champagne und vor allem deshalb besonders interessant nach den Pinot von der Aube zu trinken. Wer Haselnuss mag, wird sich hier bei praktisch allen Winzern gut aufgehoben fühlen. Das ist ein Merkmal und Vorzug des Terroirs dort, aber auch eine Einschränkung, die sich in Form nicht sehr breit gefächerter Aromen in vielen Chamnpagnern aus Bouzy bemerkbar macht. Bei Paul Bara weiß man das und kann damit umgehen; so stammen beispielsweise die Chardonnays überwiegend vom Fuss des Weinbergs, da ist es kühler und der Wein fettet den Champagner nicht noch unnötig auf. Was von Bara ins Glas kommt, lässt sich deshalb und wegen weiterer Feinheiten gut trinken, wobei sogar die Stillweine eine gewisse Beachtung verdienen.

a) Brut Réserve

80PN 20CH

Noisette, Toffee, bouzytypisch wenig merkliche Säure. Eleganter Champagner, der den Ort gut repräsentiert.  

b) Grand Rosé

Brut Réserve und ein 12% Anteil Bouzy Rouge

Brioche, Bäckerei, fluffig, rotfruchtig, kirschlastig, aber leicht und fein in der Nase; schöne Säure, die ich auf den Rotweinanteil zurückführen will, da ich sie im Brut Réserve, der als Basis dient, nicht wahrgenommen habe. Sehr guter Rosé, der anders, vor allem druckvoller angelegt ist als zB der von Remy Massin.

c) Special Club 2004

2/3PN 1/3 CH

Lockerer, launiger, aber stets eleganter Bouzy-Champagner, der dem manchmal etwas ernst und getragen wirkenden Charakter einiger Special Club Cuvées nicht entspricht und gerade aus der Magnum Freude auf sehr viel mehr macht. Ausgewogen mit fein über den Gaumen rieselnder Säure und dem 

d) Special Club Rosé 2006,

1/3 CH, 2/3 PN und 8% Rotweinzugabe

Üppige Nase, massiv im Mund. Sauce Griottine, Erdbeerpurée, schwarzer und grüner Pfeffer, Blutorange, Lebkuchen. Starker, kraftvoller und sehr fordernder Rosé, der aber, das zieht sich wie ein roter Faden durch die Weine aus Bouizy und zeigt sich speziell bei den auf elegante Reife abzielenden Champagnern von Bara, für meinen Geschmack wieder mehr Säure haben könnte.

 

3. Cedric Moussé

Aus Cuisles in der Vallée de la Marne, eingebettet zwischen den Tälern der drei verschiedenen Chatillons und räumlich hinter dem Denkmal für Kreuzzugspapst Urban II., stammt der Champagner von Moussé und richtig: Vallée de la Marne heißt vor allem Pinot Meunier. Der Special Club von Moussé ist deshalb ein 100% Pinot Meunier. Das ist noch nicht alles, ganz interessant ist hier nämlich auch der Boden, der über einen Schieferanteil verfügt, was in etwa so ungewöhnlich ist wie der Onyx, der sich im Sézannais findet. Champagne Moussé ist mit seinen ca. 5,5 ha der jüngste Neuzugang im Club Trésors und noch immer werden die Champagner vom jungen Cedric als Tip gehandelt, obwohl er, als Winzer der vierten Generation, seit zehn Jahren im Geschäft ist. Den Kollegen vom Club Trésors fiel er allerdings schon früh auf, denn bereits 2005 kam von dort das Angebot an Moussé, Mitglied zu werden. Cedric hat nicht gezögert und wird, so steht zu erwarten, noch ein Weilchen an der Clubgeschichte mitwirken. Moussé beschließt diesen Teil der Vorstellung verschiedener Trésors-Winzer.   

a) Blanc de Noirs Or Tradition

80PM 20PN

Frisch, recht fruchtig mit Quitte, Aprikose, Pfirsich und Maracuja, die man sich als Aufstriche für ein frisch gebackenes Roggenvollkornbrot vorstellen muss. Nicht der Gipfel an Komplexität und auch nicht ungeschlagen in Sachen Eleganz, aber ein schöner und den ersten großen Champagnerdurst gut abmildernder Happen für Freunde des Marnetals. Nix für den ganzen Abend, es sei denn man schmeißt noch den Grill an (und boudin blanc drauf) oder braucht es nicht besonders feingliedrig.

b) Special Club 2006

100% PM 

Weich, mit feiner Säure, Birnen, Feigen und Weinbergspfirsichen. Der Champagner ist mittelgewichtig, für einen Meunier ausgesprochen elegant, nicht so arg schwer, erdig, oder auf burgundisch getrimmt, sondern seiner Rebsortentypizität treu. Ob er getreu ebendieser – der Rebe vielleicht teilweise etwas übelwollend angedichteten – Typizität nicht riesig alt werden wird, lässt sich jetzt nicht abschätzen, würde ich aber nicht wundern. Momentan stehen solide Fruchtaromen im Vordergrund, das Exotikspektakel, das von manchen Meunierpuristen angestrebt wird, hat Moussé ausgelassen, was für eine solide Konstruktion spricht; nur die Feingliedrigkeit des Champagners könnte ihm beim Reifeprozess im Wege stehen. 

Champagne Tarlant

Familie Tarlant ist eine feste Größe, die seit dem 17. Jahrhundert in der Champagne verwurzelt ist und sich schon früh, d.h. zu einer Zeit, als die meisten Erzeuger noch bloße Zulieferbetriebe waren, im Winzerchampagnergeschäft etabliert hat. Umtriebig, herkunftsorientiert, experimentierfreudig, undogmatisch aber prinzipientreu ist die jüngste Generation des Hauses und weil das in Form ihrer Champagner nachschmeckbar ist, haben Benoit und Melanie Tarlant seit den späten 90er und beginnenden 2000er Jahren selbst im schaumweinfreudigen, aber champagnerskeptischen Deutschland eine unübersehbare feste Gefolgschaft, die nach wie vor wächst.

Benoit Tarlant, seit 1999 als Önomastermind am Ruder des Mehrgenerationenbetriebs aus Oeuilly, begann als einer der ersten, die alten Rebsorten der Champagne, die sein Großvater noch mit Fleiß herausgerissen und durch die heute klassischen Reben ersetzt hatte, wieder in den Blick zu nehmen. Arbane und Weißburgunderreben, die an der Aube heimischer sind als im Marnetal, gehören dazu, und natürlich die säurefreudigere Petit Meslier, die hier vom Schwarzriesling (Pinot Meunier) verdrängt wurde. Dennoch gibt es zB in Arty-Venteuil noch 2 ha ausschließlich mit Meslier bestockter Rebfläche, woraus Trauben für den reinsortigen Meslier aus Duval-Leroys Authentis-Serie gewonnen werden.

Weil meine Wege mich im Frühjahr häufiger in die Champagne führen und Champagner dabei regelmäßig den Weg in mein Glas findet, hatte ich in den letzten Wochen gleich mehrmals die Gelegenheit, die jüngsten Champagnerkreationen und aktuellsten Dégorgements zu probieren. Gekümmert habe ich mich dabei um die Basisqualitäten wie um die Spezialitäten des Hauses. Das dabei besonders erwähnenswerte Altrebsortenprojekt heißt bei Tarlant BAM und steht für die Rebsortennamen: Pinot Blanc, Arbane, Petit Meslier. Dieses Baby kenne ich, seit es als Fassprobe seine ersten vielversprechenden Kapriolen schlug. Zusammen mit der Komplettierung der "Vigne …"-Serie durch das 'Mocque Tonneau', für das zunächst der Name Vigne Rouge vorgesehen war, aus Wettbewerbsgründen aber in "Vigne Royale" geändert werden musste, ist das die für mich wichtigste Neuentwicklung bei Tarlant.

Der Brut Tradition gefiel mir dieses Jahr sehr gut, was nicht immer der Fall ist, manchmal wirkt er schon ausgelatscht und tranig oder allzu gewöhnlich. Das ist an sich kein Makel, denn die meisten Einstiegsbruts müssen gar nicht mehr leisten, als mainstreamigen Allerweltsgeschmack ins Glas zu bringen. Doch von Tarlant erwarte ich mehr und dieses Jahr kam mehr, vor allem freche Frucht und Säure, die das Rebsortengemisch gehörig aufpeppten.

Haken dahinter, denn der Brut Zéro ist sowieso viel eher meine Kragenweite. Durch seine verhältnismäßig lange Flaschenverweildauer rundet er sich sanft ab und braucht den abrundenden Effekt des Dposagezuckers nicht mehr. Autolytische Aromen, Crèmigkeit und Schmelz in einem Brut Zéro zur Geltung zu bringen, ist nicht leicht, viele dieser Projekte scheitern daran, dass die Weine auf unschöne Weise ungehobelt und eckig wirken. Nicht so der mit Könnerschaft und ungewöhnlich langer Erfahrung hergestellte Brut Zéro von Tarlant.

Der Brut Rosé Zéro mit Reserveweinen bis 2002 ist überaus frisch, kommt ohne störende Reduktionsnoten aus, die speziell den Roségenuss oft vermiesen und erscheint mir noch einen Ticken fruchtiger als sonst, ohne an Seriosität zu verlieren.

Das Rebsortenprojekt BAM!, dég. März 2013, besteht aus 2008er und 2007er Träubchen und macht seinem Namen alle Ehre. Im Mund gibt es tatsächlich eine kleine Explosion, die man sich natürlich lautlos vorstellen muss, wie wenn ein imperialer Star-Wars Jäger einen X-Wing Fighter abknallt. Ich denke, das macht die gute Säure vom Meslier, der mir unter den Altrebsorten sowieso die sympathischste ist.

Der Vigne d'Or Blanc de Meuniers 2003 schien mir bei 2 g/l Dosage etwas kahmig und moosig, trotz der redlich um Frische bemühten (zugesetzten?) Säure, klarte dann aber hintenrum auf und blieb mit seiner dicklich-saftigen, schmelzigen Art dem Jahrgang treuer, als seinem Vorgänger.

Der Vigne Royale 2003 ist mit unter 1 g/l dosiert, also eigentlich gar nicht. Säurearm, weich, geschmeidig und eingängig, mit samtigem Mundgefühl wie von Pfirsich Melba, wirkt reichlich reif und entwickelt, das Reifepotential schätze ich jahrgangsbedingt etwas dünn ein, aber versteifen will ich mich bei solchen Geschichten lieber nicht.

Vielen bekannt ist die Cuvée Louis, die es hin und wieder als Jahrgang gibt (riesig: der 90er aus Magnums) und in einigen Jahren als 1996, 2002, 2008, 2012er nicht nur mich glücklich machen wird. Die "Louis" mit Jahrgang sind sehr selten, aber traumhaft gut und trotz erkennbarer Verwandtschaft von gänzlich anderer Art – wie bei den Grand Siècles von Laurent-Perrier. Der aktuelle Louis ist jahrgangslos, die Basis bildet mit 85% der 1999er Jahrgang, 15% sind dem Vorgänger-Louis entnommen, so dass es sich um einen Nichtjahrgang oder einen Multi Vintage oder einen Solera im weiteren Sinne, namentlich durch eine Art Mini réserve perpetuelle handelt. Typisch für solche Champagner ist die von ihnen ausgehende Ruhe, die auch der jetzige Louis ausstrahlt; durch den Anteil reifer Weine besonders weich und rund, erinnert er längst nicht an Chantré, könnte aber ruhig mehr Biss haben. 

Abschließend ein paar Worte zum Saga Tarlant 1976, den Benoit zu seinem Geburtstag geöffnet hatte und der so nicht im Handel erhältlich ist, was ihn zwar interessant, aber für die meisten leider nur zu einem Lesevergnügen macht, wenn überhaupt. Zunächst wirkte der Wein im Mund sehr schwungvoll, dann fehlte nach meinem Eindruck entweder der Zucker oder die Luft oder was auch immer, jedenfalls fiel er in eine Art Dieselloch, wirkte dabei sehr trocken und etwas kopflos, im zweiten Glas präsentierte er sich ohne das Frischeloch, mit feinem Mousseux und nobler Crèmigkeit, bis am Ende förmlich der Jägersaucetopf explodierte, was mir sehr gut gefiel, weil ich diese Aromen beim reifen Champagner liebe.

 

 

 

Philipponnat Clos des Goisses 1994 – 2004

Jahrgangschampagner aus dem nur mäßig prominenten Champagnerjahr 1994? Da würde ich normalerweise abwinken. Bei Philipponnat nicht. Nicht, nachdem ich mit dem als ähnlich düster bekannten Jahrgang 1991 aus demselben Haus so gute Erfahrungen gemacht habe und Philipponnat sich nach einigen weiteren Proben sogar als regelrechter Spezialist für derartige Schwachjahre (2000, 2001, 2003) in meinem Verkostungshirn verankert hatte. Eine kleine Vertikale drängte sich also förmlich auf und wenn man schonmal in der Champagne ist, sollte man sich einen Besuch in Mareuil-sur-Ay sowieso nicht entgehen lassen. Die Champagner aus dem Clos des Goisses werden mit Anteilen zwischen 30% und 60% im kleinen Fass vergoren und durchlaufen keinen BSA, egal ob im Fass oder im Stahltank vergoren. Ein Chardonnayanteil von meistens zwischen 30% und 40% dient als Frischespielbein, während der dominierende Pinot Festigkeit, Struktur und Würze liefert. Das Geheimnis seiner outperformance in den bekanntermaßen schwachen Jahren ist damit aber noch längst nicht gelüftet. Muss auch nicht, mir reicht es völlig, wenn ich weiß, auf wen ich mich dann verlassen kann.

 

1. Clos des Goisses 2004, dég. Februar 2013

Eine ganze Wiener Feingebäckstube in der Nase, sehr viel Hagelzucker, einige Zimtblätter, Fenchelsamen und Lindenblütenduft. Der Champagner wirkte noch unentschlossen, war reichlich zu jung und wie mitten in der Pubertät erwischt, der uneinheitliche Mundeindruck rührt außerdem vom kürzlich erfolgten Dégorgement her, denke ich. Ein noch unzusammengefügtes Meisterstück, dessen künftige Balance, eingängig-crèmige Art und superbe Balance greifbar im Raum steht und wahrscheinlich durch nichts mehr verhindert werden kann, außer eben durch unglücklich gewählte Dégorgierzeitpunkte.

 

2. Clos des Goisses 2003, dég. August 2012

Hitzige Nase mit Dill, frischen Kräutern und Anis. Im Mund eine kaktusfeigenartige Stacheligkeit, mit hinterlistigen Säurefäden, die fast schon mehr stören, als helfen. Hilfe nämlich braucht man beim Verdauen dieses dicken Champagners, dem in seinen ersten Glasminuten mittlere und hohe Töne völlig abgehen, wie bei einer defekten Lautsprecherbox. Mit Luft entsteht ein etwas teeriger Duft, der mich an den geschätzten, aber schwierigen Duft Palais Jamais von Etro erinnert.

 

3. Clos des Goisses 2002, dég. Februar 2012

Algen, Apfel, Feigenschale, Melone, ein Nasengefühl wie bei einer sehr noblen Seife. Im Mund geheimnisvoll, mit dunkleren Aromatönungen, als die Nase ankündigt, wirkt zähfließend, was aber täuscht, wobei ich nicht unterschlagen will, dass ich eine höhere Säurepräsenz wünschenswert gefunden hätte. Wie der eng verwandte 2004er wirkt auch der 2002er noch unfertig und weitere drei Jahre Flaschenruhe seien ihm herzlich gegönnt.

 

4. Clos des Goisses 2001, dég. Juni 2011

Mein Favorit. Aus einen frostigen Jahr mit später Lese, Richard Juhlin empfiehlt sogar, den Jahrgang gleich komplett zu ignorieren, aber so kann man eben danebenliegen. Wie im Land der Raketenwürmer schießen Säurefontänen durch den Champagner, eine gewaltige und unbändige Kraft will sich hier aus der Flasche und dem Glas befreien, wenn der Champagner nicht so gut wäre, würde ich Alpträume von der Vorstellung bekommen, sowas in den Eingeweiden sitzen zu haben.

 

5. Clos des Goisses 2000, dég. Juni 2011

und dég. Oktober 2009 getrunken März 2011; deg juni 11, getr juni 11

Ein alter Bekannter ist mittlerweile der 2000er Clos des Goisses und einer von der Sorte, mit denen der Abend gar nicht schiefgehen kann. Komplex und in jeder Sekunde Neues aus den Tiefen seiner Perlage hervorholend, wie ein in Rausch geratener Verkäufer einer Edelboutique. Das ist nicht immer von Anfang an so, diese Flasche hier fand ich zum Beispiel erst etwas arg reduktiv, als sei sie mit einer dicken Kruste Austernschalen verschlossen, die sich aber schnell als brüchig entpuppte und das Panorama exquisit reifer Röstaromen in Nase und Mund entließ. Natürlich wirkte dieser Champagner nach dem brutaleren 2001er süßer, aber eben nicht unterlegen. Die meisten würden ihn dem 2001er wahrscheinlich deutlich vorziehen.

 

6. Clos des Goisses 1995, dég. Juni 2011 (Long Vieillissement)

Von diesem Champagner mussten drei Flaschen von ihrer Daseinsnot befreit und aus dem irdischen Jammertal entlassen werden; die erste hatte deutlichen Kork, die zweite wurde von heftiger Reduktion gebremst und erst die letzte Flasche dankte für die Erlösung mit körpeweise reifen Äpfeln, Kaffee, Pilzen, crèmiger, rahmiger Textur, Veilchennoten, obszön glitschiger Säure und einem ebensolchen Drang in Richtung Rachen.

 

7. Clos des Goisses 1994, dég. September 2004

Der Scheidebecher in mehrfacher Hinsicht. Für die Verkostung der letzte Champagner und für die meisten Champagnertrinker das Reifestadium, ab dem sie aussteigen. Dabei wirkte der 94er Clos des Goisses nicht überreif, maderisiert, allzu sherryhaft oder gar angeschossen, sondern hat derzeit so viel Reife und Konzentration in sich vereinigt, dass ich ihm gut und gerne noch ein beachtliches Leben in der Flasche prophezeie; was die meisten Trinker hingegen stören dürfte, ist die mit der allgemeinen Konzentration einhergehende Ballung herber, dunkler, kräftig-würziger Aromen, die dem Champagner etwas an Tempo zu nehmen scheinen. Für mich bedeutet das Erreichen dieses Reifestadiums nicht anderes als den Aufstieg in eine andere Klasse, weiter nichts.

 

Fazit:

Paradox, dass der Clos des Goisses, eine der heißesten Weinbergslagen der Champagne überhaupt, in so gegensätzlichen Jahren wie 2001 und 2003 so hochzuschätzende Champagner bringt. Toll, dass der Clos des Goisses so eigene, eigenwillige und reifebereite Weine liefert.      

Reife Champagner: Moet, Veuve und Pommery im Jahrgangskurzvergleich

Jahrgangschampagner haben ein längeres Flaschenleben, als gemeinhin für möglich gehalten wird. Gerade die Achtzigerjahre zeigen abseits des unsterblichen 1988ers momentan sehr erfreuliche Resultate und sind noch in genügender Menge auf dem Markt zu haben, so dass die Schnäppchensuche sich lohnt. Über das Vergnügen am reifen Jahrgangschampagner hinaus ist es in mehrfacher Hinsicht besonders lohnend, die Jahrgänge in der gewöhnlichen und in der Prestigeausgabe nebeneinander zu probieren – so gewaltig sind die Unterschiede nicht und bei einem Preisverhältnis von ca. 1 : 3 kann es auch wegen der Korkgefahr ratsam sein, lieber drei Flaschen vom Jahrgang zu kaufen, als ein Fläschchen Prestigecuvée.  

I.1 Moet & Chandon Millésime 1980

Putzmunter, mit einer Weite und Fülle, die ich dem alten Knaben um ein Haar nicht hätte zutrauen wollen und die mich besonders deshalb glücklich stimmte, weil ich mir, noch ganz unter dem Eindruck des einfachen Jahrgangsmoet, vom Dom Pérignon aus demselben Jahr noch ein Schippchen mehr versprechen zu dürfen einfach annahm. Wie eine Tennisballkanone schoss der Champagner Apfelaromakugeln ab, alle reif, aber alle mit so viel Druck, dass es für ein internationales Turnier mit großen Namen locker gereicht hätte. Bratapfel, Honig, weiße Blüten, jugendfrische Säure, etwas Zimtstange, viel Toast und kaffeesatzartiges Röstaroma nebst ein paar Nüsschen. Mit Luft sogar noch wohlgeformter, aber auch mit einem etwas kürzeren Mundgesamteindruck. 

I.2 Moet & Chandon Dom Pérignon 1980

Dieser Champagner hatte es vorher noch nicht geschafft, mich zu begeistern. Ich hielt im Gegenteil das Jahr für mäßig, das Potential auf der Flasche für eine Sache der Vergangenheit und den 80er Dom für eine nicht maßlose, aber doch mittlere Enttäuschung. Das kann so nicht stehenbleiben. Der 80er Dom legte noch die erwartete Schippe an Weltläufigkeit auf den Jahrgangsmoet drauf, wirkte aber nicht nur aromatisch komplexer, weniger mit explosivem Druck, als vielmehr mit hydraulischem, sanfter wirkendem Druck ausgestattet, der sich vornehmlich als sahniges Mousseux äußerte. Und leicht war er, so tranceerzeugend leicht, einem außerkörperlichen Nahtoderlebnis gleich. Für diese Art von Champagner kann man gar nicht dankbar genug sein.

II.1 Veuve Clicquot Millésime 1983

Meine letzten Flaschen dieses reifen, aber noch nicht zu Ende gereiften Champagners habe ich nun endgültig Bacchus geopfert. Jede einzelne davon hat sich gelohnt und nicht ein einziger Korker war dabei, leider ganz im Gegensatz zu den Grandes Dames mehrerer Jahrgänge. Stämmig ist die 83er Veuve, auf kräftigen Beinen, aber mit knackiger, schnittiger Säure, ganz der Typ selbstbewußte und nicht auf den Kopf gefallene Bürgersfrau mit scharfem Mundwerk. Weinig, mit Champignon, Toast und einer aromatischen Konzentration von gutem Bratensaft.

II.2 Veuve Clicquot La Grande Dame 1983

Eine der zu vielen Flaschen, die mit einem Korkschleicher versehen waren und spontan Größe zeigten, mit jeden genaueren Hineinriechen aber einesteils Hoffnung, andernteils Zweifel und Enttäuschung wachsen ließen. Die Verwandtschaft zur 83er Veuve war überdeutlich und wie bei den 80er Moetchampagnern war mit jedem Schluck spürbar, dass die Prestigeversion in Hochform ein Unterhaltungspaket der Extraklasse abzuliefern gehabt hätte. Leider war die Grande Dame verschnupft und ließ ihre herrlichen Formen nur unter einem kaschierenden und jede Form von Sexyness weitgehend vernichtenden TCA-Mantel ahnen.

II.3 Pommery Millésime 1983 en Magnum

Versöhnlich stimmte der einwandfreie Pommery, den ich gleich hinter dem 80er Dom ansiedeln würde. Was für ein feiner Champagner, Kim Basinger kann in 9 1/2 Wochen nicht erotisierender auf das Publikum gewirkt haben. Voll zur Geltung kam hier der Großformatvorteil, die zeitbedingt höhere Dosierung hätte in der Normalflasche den Champagner vielleicht etwas simpel wirken lassen, in der Magnum ist der Eindruck dagegen nicht überkanditelt oder überfrachtet, der Champagner kommt nur reicher, nicht pompöser daher, die Aromenvielfalt verteilt sich optimal und gibt der Säure Gelegenheit, sich auch mal zu zeigen, ohne dass sie sich durch eine Lage zusammengepresster Aromen hindurchschlängeln muss und müde wirkt, wenn sie am Gaumen ankommt. 

 

Renaissance des Appellations und Haut les Vins Biowein Tastival II/II: Champagnes Fleury, Bedel und Laherte

Weiter geht's mit Champagner:

II. Champagner

1. Champagne Fleury

a) Brut Nature Fleur d‘Europe

85PN 15CH, 2005er Basis mit 2004.

So schmecken die klassischen Aubechampagner, kräftiger Körper und eine Spur Leichtigkeit, die den massigen, arbeitsamen Körper wie ein flottes Textil helfend zu bedecken versucht.

b) Brut Tradition Blanc de Noirs

2010er Basis mit 2009, 2008, 2007, mit 7 g/l dosiert.

Gut, glatt, von sanftem Gemüt und etwas länger als der mit einer Spur Dosagezucker vielleicht überlegene Fleur d’Europe. Trinkt sich gut weg, hinterlässt aber kaum bleibenden Eindruck

c) Notes Blanches

100PB

Seit 2009 hat der Weißburgunder ein eigenes Forum im Fleury-Portfolio, wo er vorher als Verschnittpartner diente. Leider korkte die Flasche, so dass ich nicht mehr berichten kann.

d) Bolero No. 4 Extra Brut

100PN, 2004er Basis, zu einem Drittel im Holz vinifiziert, zweite Gärung unter Naturkorken, mit 4 g/l dosiert.

Ein ganz anderes Kaliber kommt nun mit dem Bolero auf den Markt. Munter, mit schalkhaft blitzenden Augen und einer für die Rebsorte ungestümen bis hyperaktiven Art, vom Holz eher noch aufgepeitscht als gebändigt, außerdem fast schon obszön triefend saftig und mundgängig.

e) Robert Fleury

Je ein Drittel PB, PN, CH, 2004er Basis, großteils Fassgärung, Flaschengärung unter Agraffe.

So etwas wie der Spitzenchampagner des Hauses, mit einem bemerkenswert hohen Weißburgunderanteil, der beim Vorgänger (2002) sogar noch deutlich höher ausfiel. Einzuordnen ist er bei den typischen, klassischen Champagnern traditioneller Machart, was meist auf Kosten der Finesse geht und den Champagner berechenbar macht. Ganz im Gegensatz zum hauseigenen Herausforderer Bolero oder zur neuen Sonate läuft hier alles seinen reifen, runden, geregelten Gang, wie der Einkauf beim Bäcker oder Metzger. Röstaroma finden Sie hier, Blüten, Honig und Hefe da, etwas Orangenschale vielleicht noch? Ja, bitte. Dürfen es auch Äpfel und Nüsse sein? Gerne doch. Und ein rundgedrechseltes, poliertes finish? Ich bitte darum. Alles in allem ein sehr guter Champagner, dem gegenüber den jüngeren Cuvées nur das – gar nicht immer und von jedem geforderte – Überraschungsmoment fehlt.

f) Rosé de Saignée

Bei Fleury wird der Rosé demnächst auf einer 2010 begonnenen réserve perpetuelle des Blanc de Noirs basieren. Dieser hier gehört noch nicht dazu.

Erst mineralisch, dann fruchtig, aber leider mit alkoholischer Note, die in eine Kirschpaprikanote übergeht und eine für mich schwer definierbare, vielleicht vom Alkohol vielleicht von stehengebliebener Äpfelsäure herrührende Schärfe transportiert. Dürfte am besten zum Essen passen, wobei ich nicht weiß, ob er das Gewicht hat, um Andouillettes zu begleiten.

g) Sonate 09 Zéro Dosage, ungeschwefelt

100PN aus der ersten (1989) biodynamisch bewirtschafteten Parzelle des Hauses „Val Prune“

Estragon- und Dillnoten werden bei diesem insgesamt erstaunlich fruchtigen und trotz vollen BSAs ziemlich frisch wirkenden Champagner von Apfel- und vor allem Wassermelonenschale eingerahmt. Das klingt nach viel grün, ist aber im Ergebnis gut trinkbar und lässt sich von diesem Startpunkt aus gut verfolgen.

 

2. Champagne Bedel

In zwei bis drei Jahren soll, so erzählte mir Vincent Bedel, die 1997er Cuvée Robert Winer endlich rauskommen. Ich verspreche mir davon sehr viel, wenngleich ich nicht glaube, dass es große Ähnlichkeit zum beeindruckenden 1996er RW geben wird.

a) Dis, Vin Secret Brut

80PM 15CH 5PN, 2005er Basis

Spielt mit Minze, Toffee und Crema Catalana; wirkt dabei nicht so mastig, wie es sich anhört, kühlt den Mund unabhängig von der Trinktemperatur sogar ganz leicht und geht weich ab, ohne seine stattlich wirkende Dosage verhehlen zu wollen, ähnlich einer prachthintrigen Konkubine, die soeben den Saal verlässt.

b) Entre Ciel et Terre Brut

80PM 20PN, 2004er Basis

Sehr gut hält sich dieser Wein, dessen besondere Stärke in der vielgepriesenen Balance und Ausgewogenheit zwischen den aromatischen und sonstigen organoleptischen Polen liegt. Dieses Mal wirkte er besonders erfrischend und klar auf mich, plätscherte nur gegen Ende mit einer entfernt scotchigen Note in den Hals und wird sich mit der Entwicklung nobler Reifetöne sicher noch etwas Zeit lassen, selbst wenn sie sich jetzt ankündigen.

c) L’Âme de la Terre Extra Brut

67PM 17PN 16CH, 2003er Basis. Einen immer volleren Körper legt sich der Champagner zu, die ohnehin geringe Säure tritt neben den schokoladiger werdenden Aromen und den schweren Blütenessenzdüften in den Hintergrund, bzw. bald ganz von der Bühne ab. Trotzdem ist der Champagner in der Extra Brut Version – noch – nicht schwerfällig. Gleichwohl ists langsam Zeit für einen Nachfolger.   

 

3. Laherte Frères

a) Blanc de Blancs Ultradition

Seit ich die Champagner von Laherte kenne, ist der Blanc de Blancs Brut Nature ein recht gleichbleibender, meist gleichgewichtiger Mix aus Basisjahr und Vorgängerjahr. Daran hat sich bei der 2010er/2009er Version nichts geändert. Nur der Name hat sich geändert. Nur der Name? Nein. Früher erschienen mir diese Champagner härter, bissiger und eckiger, aber auch ungelenker, noch nicht ganz versiert. Mittlerweile hat Aurelien offenbar einen Pfad gefunden, den er mit seinen Champagnern beschreiten will und der ist bei den Chardonnays von unaufdringlichem, aber merkbarem Holzeinsatz und einer daraus resultierenden sehr typischen Winzernote geprägt. Die Champagner sind griffig, saftig und reif, wo sie vorher ungeschliffen und hart, aber nicht uncharmant waren. Mit dem Ultradition macht der Chardonnay von Laherte einen weiteren Schritt raus aus der Experimentier- und Kinderstube.   

b) Grand Brut Ultradition

60PM 30CH 10PN, 2010er Basis mit 2009er Reserve.

Der hier zum Einsatz gelangte hohe Barriqueanteil half erfreulicherweise, die zwar nicht verstockten, aber vielleicht eigenwilligen Meuniers zu öffnen, wobei leider die Säure ins Hintertreffen gelangt ist. Da half der Verzicht auf Dosagezucker nicht weiter, der Champagner muss sich nun, nackig wie er ist, die nächsten Jahre auf sich allein gestellt entwickeln, bevor man wieder Stellung zu ihm beziehen kann.

c) Les Empreintes

50PN 50CH, davon 30% Chardonnay Muscaté; 2008er Basis.

Einer der ungewöhnlichen Champagner nicht nur von Aurelien Laherte, sondern innerhalb des gesamten Gebiets, der mir schon immer besonders gut gefiel. Nach dem Auslaufen des Empreintes auf 2007er Basis habe ich letztes  Jahr erstmals den Empreintes auf 2008er Basis probiert und fand ihn exquisit. So auch jetzt. Die Fruchtexotik hat sich verschärft, der Champagner ist gleichzeitig noch etwas frecher geworden, trinkt sich aber weiterhin so bequem wie kalte Limonade aus dem Jumbobecher, wenn man zu viele Nachos mit zu vielen Jalapenos und Käsesauce vertilgt hat. Selbst davon würde sich dieser trotz aller Flippigkeit ausnehmend stabile Champagner nicht aus seiner in sich verzahnten und verschränkten Ausgewogenheit bringen lassen.

d) Les Vignes d’Autrefois 2008

100PM.

Auch den 2008er Vignes d’Autrefois kenne ich schon seit seinen ersten Gehversuchen. Auffallend war immer die hervorgehobene, sehr animierende Säure, die dem versöhnlichen, manchmal einfältigen, überwiegend exotisch-fruchtigen Naturell der Rebsorte eine erstklassige Umgebung bot, um sich optimal zu präsentieren. Herausgekommen ist keine vollgeholzte Wuchtbrumme oder ein vor lauter Raffinesse blutleeres und angekränkeltes Filigranstweinchen, sondern ein druckvoll agierender Wein mit Selbstbewusstsein und Ausdruck, leicht getrübt nur von einer anisig-fencheligen Note, die ich nicht unbedingt hätte haben müssen.  

e) Les 7 (früher: Les Clos)

Spätes, d.h. erst kürzlich, genauer: im Januar 2013 vorgenommenes Dégorgement dieses aus allen sieben mehr oder weniger klassischen Rebsorten der Champagne bestehenden Weins, der wiederum auf einer 2005 angelegten Solera beruht (im Startjahr 10% Fromenteau = Pinot Gris, 18% PM, 18% CH, 15% Petit Meslier, 8% Arbane, 15% Pionot-Noir, 17% Blanc Fumé = Pinot Blanc). Batonnage; kein BSA, mit 4 g/l dosiert.

Wirkt dem Dégorgierdatum entsprechend sehr jung und noch reichlich hölzern. Zeigt enormen Vorwärtsdrang und gehörige Muskeln, nicht jedoch die sonst soleratypischen Abrundungserscheinungen. Gefiel mir sehr gut.  

f) Millésime 2005

85CH 15PM, Ende 2011 dégorgiert.

Schon sehr rund, in Sachen Sprudel, Druck und Säure kein Vergleich zu den vorherigen Champagnern, wirkte auf mich gesetzt und müde.

g) Rosé Ultradition

PM in Rotweinfässern weiß vinifiziert, 2010er. Assemblage mit 15% PM Rotwein. Ganz schön festfleischig und völlig unverspielt, ohne jeden unnützen Schlenker, Schnörkel oder puderzuckrige Verzierung und gerade deshalb ein ungebremster, lebhafter, freudespendender Wein.

h) Rosé 2008

PM Mazerationsrosé ohne BSA und weniger als 3 g/l Dosage.

Ernster, ruhiger, langsamer Wein, programmatisch ganz anders ausgerichtet, als der Rosé Ultradition und für einen Meunier fast schon gravitätisch, aber noch unter der Würde, Eleganz und Gediegenheit eines Spätburgunders angesiedelt. 

Champagner unter Palmen

Nein, es zog mich nicht in südliche Gefilde, die Aube ist für mich nach wie vor südlich genug gelegen, wärmer brauche ich es nicht. Dennoch habe ich meine bequeme Schlafstätte verlassen und mich auf den Weg nach München gemacht. Denn mit Nicola Neumann vom Nobelweinladen "Noblewine" im Palmengarten des Café Luitpold Champagner zu trinken, lasse ich mir keinesfalls entgehen. Wenn ich dann auch noch meinem von der Umwelt oft als lästig empfundenen Redebedürfnis Genüge tun kann und salbungsvolle Worte an ein staunendes Publikum richten darf, alles im Dienste der guten Sache und der Frohen Champagnerbotschaft, ist quasi schon im Vorfeld alles geritzt. Dasselbe ergab die Nachbetrachtung:   

I. R. Geoffroy Pureté Brut Zero

50PM 50PN

Zuletzt hatte ich die Pureté im Frühjahr 2012 getrunken, als sie noch ungehobelt und splitterig wirkte, etwas schmirgelnden Dosagezucker hätte ich mir da gewünscht; doch Jean-Baptiste wusste es besser und beweist einmal mehr, dass undosierter Champagner von Flaschenreife erheblich profitieren kann. Sämiger Pinot, dessen ungefährliche Säure milden Trinkfluss fördert.

II. Janisson-Baradon Grande Réserve

50CH 50PN, mit 5 g/l dosiert

Fünf Jahre Flaschenlager, 30% Reservewein aus dem Holzfassl, was sich in Form zartröstiger Notem im krossen Briochearoma bemerkbar macht. Sonst ausgewogen, weinig, seriös, eher mittelgewichtig als schwer.

III. Gatinois Grand Cru Brut

90PN 10CH, mit 6 g/l dosiert

Mit eigener Hefe stahltankvergoren. Saftig, dickbackig, rund und süffig. Ob der aus Massenselektion stammende Petit Pinot d'Ay dafür allein verantwortlich ist? Das wird vielleicht auf immer unklar bleiben. Was aber klar ist: der Brut Grand Cru von Gatinois ist ein für Ay archetypischer Champagner, nicht nur wegen seines hohen Anteils nur dort gelesener kleinbeeriger Pinottrauben (deshalb Petit Pinot d'Ay), sondern auch wegen seiner typischen, zwischen robust und elegant changierenden Art, die ein bisschen an Pfälzer Rieslinge der Spitzenklasse erinnert.

IV. Diebolt-Vallois Blanc de Blancs Millesime 2006

Eine Stufe unter dem berühmten Blanc de Blancs Prestige steht bei Jacques Diebolt der Jahrgangschardonnay. Weißer Pfirsich, Birne, Haselnuss, ein paar Toastkrümel. Der Jahrgang wirkt noch etwas zerknittert und unausgeschlafen, über frische Luft freut er sich deshalb sehr. Dann hellt er sich auf und zeigt, welche Pläne er für die Zukunft hegt. Da will er mal ein generöser Essensbegleiter werden, der sich rechtzeitig vor dem Hauptgang diskret zurückzuziehen weiß, um andernorts für pikante Unterhaltung zu sorgen.

V. Marie Courtin Extra Brut Resonance

100PN

Aube-Pinot, so rein, so klar, so unverfälscht. Wirkt wie drei gleichzeitig mit viel Kaffee runtergespülte Koffeintabletten.

VI. Cédric Bouchard Inflorescence Val Vilaine 2009

Einer der eigenwilligsten, vielleicht seltsamsten Champagner(winzer). Der Champagner wirkt zunächst reduktiv bis böckserig, mit Jod und Schwarzpulver, präzisiert sich dann aber in Richtung Austernschale, um sogleich mit Marzipan und Birne zu irritieren, die sich nicht widerstandslos zur Auster gesellen wollen. Erst mit sehr viel Luft bekommt der Wein seine leicht glänzende Speckschicht und ein sanfteres, unaufgerauhtes Äußeres, da wird er so streichelzart wie Mädchenhaut nach einem basischen Bad. Nichts für Anfänger; diesen Champagner muss man sich mit viel Verostungsmühe erarbeiten.

Große Häuser, große Jahrgangschampagner?

Nimmt man das weitverbreitete Großhausbashing ernst, dann dürfte von den notorischen Industriechampagnererzeugern kein vernünftiger Champagner zu erwarten sein, sondern ein perfide auf schnellen Geschmackserfolg getrimmte Einheitssauce, mit der sich die kritiklosen Massen betäuben lassen. Das stimmt in seiner Pauschalität natürlich schon nicht bei den Standardbruts der mengenmäßig größten Häuser, aber weil Standardbrutverkostungen mit dem Zweck, allgemeine Vorurteile zu widerlegen langweilig sind, habe ich mich der kaum minder großen Mühe unterzogen und in munterer Runde einige Jahrgangschampagner einiger mittelgroßer und großer Häuser näher betrachtet. Nicht ohne den Spaß dabei aus den Augen zu verlieren und nicht ohne die eine oder andere eingeflochtene Überraschung. Voilà:   

1. Soutiran Brut Grand Cru 2002

Eher gewoehnliche Nase, recht süß im Mund, Minisaeure. Keine riesige Offenbarung für einen Grand Cru aus sonst schönem Jahr.

2. Ferghettina Extra Brut 2001

Anfangs irritierende Kautschuknase, die sich bis hin zum Geranienton aus übertriebenem BSA erstreckt, was im Mund von lebhafter, zitrusfrischer Säure widerlegt wird. Eine gewisse Candyhaftigkeit kann man ihm nicht absprechen, dringende Zweifel daran, dass es sich um einen Champagner handelt, hatte ich aber in der Blindprobe nicht.

3. Louis Roederer Cristal 2004

Nach leichtem Böckser sehr cristallig, sehr leicht, sehr elegant, etwas röstig, ein wenig Toast, Brioche, Ingwerraspel, eine Ahnung von Kumqat, Physalis und Granatapfel. Wie konzentriert und dicht dieser Champagner ist, zeigt sich erst im Vergleich. Für sich genommen wirkt er unverfänglich und leicht, gerade so, als könne er kein Wässerchen trüben. Was für eine Gravität und aromatische Schwerkraft er besitzt, wird dabei nicht einmal ansatzweise erkennbar und lässt Champagner wie den Cristal in der öffentlichen Meinung neben amtlichen Schwergewichten wie z.B. Krug immer als Bruder Leichtfuß dastehen. Ich ertappe mich ja selbst immer wieder dabei, den Cristal nicht ganz ernst zu nehmen.

4. Laurent-Perrier Millésime 2002

Smoother, cooler Champagner mit einem unfairen Startnachteil gegenüber dem Cristal, der ein so hohes Tempo vorgelegt hatte. Dieser 2002er verdiente einen eigenständigen Auftritt und mit etwas Abstand zum Verkostungskontext konnte er sich unbefangener präsentieren. Immerhin gehört Laurent-Perrier zu den wenigen ganz großen Häusern, die nicht mit Jahrgängen um sich werfen. Der 2002er ist – seit 2011 – als aktueller Jahrgang des Hauses ein rundum gelungener Champagner, der die ganze Reichhaltigkeit, Finesse und Ausgewogenheit des formidablen Jahrs in sich trägt. Gut nachvollziehbar daher der hälftige Mix aus Chardonnay und Pinot Noir, der sich niederschlägt in Form feiner Nussnoten, etwas hineingewobenen Apfels, Orangenblüte, Zimtblüte, Rooibush, Marille. Hinterlässt keine so tiefen Rillen im Gehirn, wie der Cristal, kostet aber auch nur ca. ein Viertel.

5. Moet et Chandon Grand Vintage 2002

Champagner mit einer für den Brut Impérial typischen Eigenschaft, nämlich einer Easygoingmentalität und kalifornischen Beachboylässigkeit, die aufreizend oberflächlich wirkt. Genau das ist der Trugschluss bei beiden, dem jahrgangslosen wie dem groß bejahrten Moet. Nach ca. drei Jahren zusätzlicher Flaschenreife kommen diese Champagner in puncto Ausgewogenheit und innerer Ruhe dahin, wo die meisten anderen bei Vermarktungsbeginn starten. Die jugendliche Unbeständigkeit des Grand Vintage ließ ihn gegenüber dem Laurent-Perrier Jahrgangskollegen unterlegen wirken.

6. Delamotte Blanc de Blancs 2002

Die kleine Schwester von Salon hat mit ihren Jahrgangschardonnays fast immer Aussicht auf eine reiche Verehrerschar. 2002 könnte das anders aussehen oder zumindest etwas länger dauern, als sonst. Mir wirkte der Champagner selbst im Vergleich mit dem Sunnyboy von Moet zu easy und glattgelutscht. Obs an einer hohen Dosage liegt, vrmag ich nicht zu sagen und würde mindestens zwei, lieber drei Jahre warten, bevor ich die nächste Flasche Delamotte BdB 2002 öffne.

7. Louis Roederer Blanc de Blancs 2000

Eine andere von mir stets als sicher angenommene Bank ist der Blanc de Blancs von Louis Roederer, ähnlich dem Delamotte, der sich oft als günstige Salon-Alternative platzieren kann, geht der Blanc de Blancs von Roederer gut und gern als kleiner Cristal durch, selbst wenn beide grundanders konzipiert sind. Hefe, Toast und Aromenleichtigkeit, zwanglos wie hindrapierte Frauenfiguren in einem Art-Déco Werbeplakat von Alphonse Mucha, das ist die große Stärke dieses Champagners.

8. Cantine Marchesa Pallavicino 1998 Trentodoc, sbocc. 2008

Verbene, aber nicht zu knapp. Und ich liebe Verbene. Im Rahmen einer Champagnerverkostung ist ein so ausgeprägtes Einzelaroma trotzdem immer ein Hinweis auf einen Piraten. Ich bin wegen meiner Verbenenverliebtheit natürlich voll drauf reingefallen und habe dem reifen Trentosprudel hohe Qualität attestiert, zu der ich weiterhin stehe.

9. Alain Thienot Grande Cuvée 1999

Ein Augenöffner war dann das großzügigere, weiter verteilte Aroma von Zitrusmelissen, Verbenen und beurre blanc limonée, das der Thienot verströmte und spätestens in dem Augenblick, als der Trunk die Zunge benetzte, war ich wieder kalibriert und gestehe dem von mir nie besonders fokussiert wahrgenommenen Erzeuger beträchtliches Können zu.

10. Pol-Roger Millésime 1996

Die Geschmeidigkeit einer bengalischen Tigerin gepaart mit großartiger Säure und dem Format eines echten Kolonialherren. Mit sowas im Gepäck erobert man Weltreiche.

11. de Saint-Gall Blanc de Blancs Grand Cru Cuvée Orpale 1995

In ausgeruhter Verfassung trat der de Saint Gall an, tat sich aber nach dem sehr überzeugenden Pol-Roger sichtlich schwer. Was mir positiv auffiel, war die Gelassenheit, die der Jahrgang verströmte und mittlerweile dürfte 1995 als eines der schönsten Jahre des Dezenniums feststehen. Nicht so gehyped wie 90 und 96, viel massiver und stärker als 92 und 93, lasziver und verwöhnender als 98 und 99. Zurück zum Orpale, der bei aller Freude am Jahrgang meine Voreingenommenheit gegenüber reinsortigen Chardonnays einmal mehr bestätigte; denn so angenehm und mit hohem Wiedererkennungswert Blanc de Blancs selbst aus Grand Crus auftreten, so langweilig und austauschbar sind sie am Ende doch oft. Für einen Champagner, der auf einen ganz bestimmten Massenmarkt zielt, ist das vertretbar und nicht dumm, nur wird de Saint Gall damit meinen Gaumen weiterhin nicht für sich erobern können.

12. Taittinger Comtes de Champagne Blanc de Blancs 1995

In letzter Zeit hatte ich zu viele schwefelböckserige Taittingers im Glas, die Befürchtungen überwogen deshalb im Vorfeld des Öffnens die Freude. Die Entwarnung kam schnell, der Comtes zeigte sich als ein starkes Gewächs mit viel mehr sympathischem Eigensinn, als ihn der charmante aber gesichtlose Orpale vermittelte. Reif, noch einige Jahre vor dem Zenith, sehr galant und weltläufig, dem Chef des Hauses wie aus dem Gesicht geschnitten.

Grand Chapitre 2012 im Park-Hotel, Bremen

Jedes Chapitre hat seine höchst eigenen Denkwürdigkeiten. Mal sind es die Champagner, mal die prominenten Gäste, die versammelten Sterneköche oder der Ort des Geschehens. Was alle Chapitres gemeinsam haben, ist die bombastische Stimmung, die sich Jahr für Jahr im Laufe eines gepflegten Dîners am Tisch entwickelt und in den aberwitzigsten, hier nicht zu erörternden Situationen kulminieren kann, aber nicht muss. Dieses Jahr war der offizielle Teil des Chapitres aufgrund der vielen bekannten und befreundeten Gesichter direkt ein Heimspiel. Hätte ich nicht am nächsten Tag schon um die Mittagszeit wieder in Essen sein müssen um dort drei verschiedene Seminare am Stück zu leiten, wäre ich auch nicht bereits um kurz vor 5:00 Uhr zu Bett gegangen, sondern hätte die After-After-Party noch weiter perpetuiert und die Grenzen des menschlich Machbaren verschoben. So wurde daraus erstmal nichts, schön war's trotzdem.

 

I. Apéritif

1. Lanson Extra Age Blanc de Blancs

Der Startapéritif kam aus dem Keller von Jean-Paul Gandon und basiert auf 2005er Chardonnay mit Reserven aus 2004 und 2003. Gegenüber dem einfachen als Black Label bekannten Non Vintage reift er etwas länger, was ihm, da Lanson auf BSA verzichtet, etwas mehr Weichheit und Fülle verleiht. Zu einem richtigen Multi Vintage im Stile von Grand Siècle oder Krugs Grande Cuvée reicht es indes nicht. Wer Apfelblüte, Lemon Curd und Mandelnoisette mag, ist hier gut aufgehoben.

2. Pommery Apanage Rosé en Magnum

Rauchiger, würziger, natürlich mit erheblich mehr rotem Fruchtanteil und einer magnumtypisch überlegenen Attitüde folgte mit leicht wippendem, vom fast hälftigen Chardonnayanteil beschwingtem Gang der Rosé von Pommery, den ich nicht unbedingt besser fand, selbst auf Mittelstrecke und dort hinzutretender Pinotweinigkeit nicht. Mich sprach die professionelle Frische des Blanc de Blancs von Lanson mehr an.

3. Alfred Gratien Millésime 1999

Einen deutlichen Zahn zu legte daraufhin der handdégorgierte 99er Alfred Gratien, den ich nur ungern verlässlich nennen will, weil mir das zu gutsherrlich klingt. Gleichzeitig ist Alfred Gratien kein Champagner, dem man besondere Sexyness nachsagt, andere haben es da leichter. Warum, ist mir nicht klar. Denn die Champagner von Alfred Gratien sind mir in den letzten mindestens zehn Jahren noch nicht ein einziges Mal negativ, dafür praktisch immer positiv aufgefallen. Diesen Abend dasselbe. Leicht kompottige Aromen, Druck und Säure, ein Champagner, der aufmerksam werden lässt.

4. Cuvée William Deutz 1998 en Magnum

Der Alfred Gratien 1999 war arg dicht dran, am William Deutz. Der hatte merklich Mühe, sich des barriquevinifizierten Verfolgers zu erwehren und musste alle Register seiner Prestigewürde ziehen, d.h. vor allem in den Bereichen Eleganz, Komplexität, Aromenbreite bei gleichzeitiger Präzision in den Außenbereichen und unmerklich tragender Säure glänzen. Da war er teilweise so ununterscheidbar eng neben dem Alfred Gratien, dass die Entscheidung, welcher der beiden Champagner mir an dem Abend besser gefiel, reine Gefühlssache ist. 

 

II. Menu aux Champagnes

Norman Fischer vom Hotel-Restaurant La Terrasse (* GM) lieferte saubere Arbeit ab, ohne bei den regulären Gängen Kapriolen zu schlagen. Die kamen dann in schmackhaftester Weise beim Dessertoverkill.

1. Foie Gras mit geeistem Ziegenjoghurt und Süßholz, dazu Drappier Millésime Exceptionnel 2002 en Jéroboam

Wie gut hätte hier der Pommery Rosé zum Ziegenjoghurt gepasst, sich mit dem Süßholz paaren können und der Foie Gras Paroli geboten – zum Glück waren die Apéritifchampagner noch nicht völlig ausgetrunken, so dass der erste Gang kein Reinfall wurde, da der an sich gute 2002er Drappier hierfür zu zahm und hilflos wirkte.

2. Limfjord-Auster pochiert mit Blumenkohl und Zitrone, dazu Nicolas Feuillatte Blanc de Blancs 2005

Der Chardonnay mit dem wogenden Wiegeschritt, einer etwas reichlicher ausgestatteten Walzerdebütantin nicht unähnlich. Passte besonders gut zum Blumenkohl, von der Auster ganz zu schweigen. Die Zitrone ersetzte die im Champagner von mir vermisste Säure so gut, dass die Zusammenstellung als stimmig durchging.

3. Kaisergranat mit Birne, Bohne und Speck, dazu de Saint Gall Blanc de Blancs Orpale 1998

Den Speck gab es als Crumble, was ich als Unart empfinde. Sonst war der Gang gut, höchstens der Granat für meinen Geschmack zu weich. Der de Saint Gall, der für sich genommen nicht zu den schillerndsten Champagnerpersönlichkeiten gehört, trat zu den Speisen nicht mit dem Anspruch an, allem einen genialischen Überzug zu verleihen, sondern bot solide Unterhaltung. Apfeltarte, ein frischer Mürbeteig, ein herbes finish.

4. Kalbsrücken, Boudin Noir, Minilauch, dazu Moet et Chandon Grand Vintage 1995

Der Kalbsrücken war fein, die französische Blutwurscht etwas aufwendig in Teig eingepackt und dadurch erst nach dem Auslösen voll schmeckbar. Beides passte sehr gut zum reifen 95er, der sich immer mehr als Schläfer des Jahrzehnts erweist und nun erst so richtig aufzutauen beginnt.

5.1 Dessertvariationen "Erde", dazu Veuve Clicquot Rare Vintage 1988

Ein sehr hartes Rennen lieferte die Veuve ihrem sieben Jahre jüngeren Konzerngeschwisterchen. Die guten Desserts habe ich gesondert davon weggenascht, nicht nur, weil ich Desserts und Champagner ungern kombiniere, sondern vor allem weil der Vergleich zwischen Moets 95er und Veuves 88er so fesselnd war.

5.2 Dessertvariationen "Frucht", dazu Duval-Leroy Lady Rose Sec

Sehr glücklich war ich mit der Kombination des nicht genügend süßen Lady Rose und den überreichlich vorhandenen Desserts. Es ist doch in Wirklichkeit so, dass Champagner besser noch zu essighaltigen Speisen schmeckt – das wird jeder sofort bestätigen, der einen robusten Bauernchampagner zu einem ebenso robusten Salade Perigourdine mit einer Vinaigrette, die ernstgenommen werden will, verzehrt hat -, als zu Süßem. Warum trotzdem immer wieder Champagner und Desserts kombiniert werden, begreife ich nicht. Wahrscheinlich, weil dann eh schon alles egal ist und seriöse Gourmets in diesem Stadium schon entschlummert, mit der Zigarre, ihrer Tischnachbarin oder jedenfalls anderem zugange sind, als Champagner und Dessert gleichermaßen? Ich bin ehrlich überfragt. Den Lady Rose habe ich trotzdem gern getrunken und zwar zu einer schönen Davidoff Millennium Blend Robusto, was diesen Teil des Abends bestens beschloss.