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Category Archives: Champagner

Hier dreht sich alles um Champagner.

Champagne round-up, glyphosatfrei (hoffentlich), Teil I/II

Honigbienen, die ich für großartige Geschöpfe halte, bürsten die bei ihren Pflanzenbesuchen am Körper haften gebliebenen Pollenkörner mit ihren Füsschen in Pollenkörbchen den Hinterbeinen, wo sie zu Pollenhöschen verkleben und bei der Rückkehr in den Bienenstock in leeren Waben abgelegt werden, um daraus Honig zu machen. Ganz so ist es bei mir nicht. Doch immerhin nehme ich bei meinen Touren durch die Champagne manche Information mit, um sie dann in mehr oder weniger veredelter Form zu verschriftlichen und mich damit der – zum Glück sehr kleinen – Fach- und interessierten Laienöffentlichkeit aufzudrängen. Jetzt ist es wieder an der Zeit, eine dieser Waben zu öffnen und einige der berichtenswerteren Eindrücke meiner jüngeren Anstrengungen freizugeben.  

1. Fleury-Gille Brut Absolu, Trelou sur Marne, Mix aus Meunier und Pinot Noir, von mir schon verschiedentlich probiert und gelobt, fühlte sich beim trinken an wie – ja, wie Trinken. So klar, gerade und isotonisch, mit so viel unverfälschter Natürlichkeit, die ich in dem von mir bisher noch kaum weiter erforschten Trelou schon jetzt für beinahe selbstverständliche Grundhaltung der – mir bekannten – Erzeuger annehme.

2. Hatt et Söner 2009, produziert von Francois Vallois in Bergères-lès-Vertus, war mit Toffee, Milch und einer sahnigen Crèmigkeit beladen, ganz am Ende hatte ich auch den Eindruck von milder, ungewöhnlich früh entwickelter Pilzigkeit, wie bei einem zwergwüchsigen Dom Pérignon. Überbordend und hipsteresk altertümelnd war auch das Etikett, das an Tapetendekor in besseren Designhotels erinnerte.

3. Roger Manceaux, Cuvée Grande Réserve Premier Cru, mit Trauben aus Rilly la Montagne und Taissy, war viel niedriger dosiert als der Hatt et Söner und eine stimmige Rückkehr in den Schoß der Champagnerwinzerigkeit, die sich für mich immer durch eine dunkle, an Fassausbau erinnernde Note, durchsetzt mit Oolon-Tee, Malz und Zuckerrübensirup zu erkennen gibt. 

4. Barrat-Masson Grain d'Argile Extra Brut, 50PN 50CH, in Wahrheit undosiert, bot den meisten Spaß, die meiste Komplexität. Der Champagner aus dem südlichsten Zipfel des Sézannais ist irgendwo zwischen Mandelmus und Sesamsüßigkeiten aus dem Orient zu Hause, Kräuterzucker, Wildkirsche und Cola meine ich außerdem vernommen zu haben, das alles ohne den Eindruck jeglicher Süße. Einer meiner Lieblingserzeuger aus der bemerkenswert unaufgeregten Gegend abseits der bekannten Pfade.

Schon länger auf meiner Liste hatte ich Champagne Lecomte aus Vinay, das in der Vallée du Cubry liegt und somit in den Côteaux Sud d'Epernay. Der Cubry ist ein kleiner Bach, der sich aus dem Forêt d'Enghien bei St. Martin d'Ablois Richtung Epernay schlängelt. Der Legende nach trifft man dort jeden Morgen um 3 Uhr den bleichen Geist der schönen Adelsdame Alix, die im 13. Jahrhundert hier unglücklich verliebt ertrunken, bzw. in den Armen ihres Vaters gestorben sein soll. Entlang der Strecke von Epernay bis nach Festigny, auf der D36 gut zu fahren, finden sich zudem gleich mehrere Winzer, deren Meuniers besondere Beachtung verdienen. Unter ihnen ist aus Moussy natürlich José Michel einer der bekannteren, unter den Neulingen ist gewiss Sélèque der bekannteste. Festigny und Leuvrigny sind ihrerseits Bastionen des Meunier, wobei Loriot und der später hier im Text noch angesprochene Christophe Mignon zu den dort führenden Winzern zu rechnen sind. Abseits der Route liegt Chavot, noch am Eingang der Côte des Blancs und Grauves, praktisch auf der Hügelrückseite von Avize. Beide Orte haben ihrerseits ein eigenes Profil und am meisten macht meiner Meinung nach Aurelien Laherte in Chavot daraus, wohingegen Grauves mit seinen kühlen, säurelastigen und als Verschnittpartnern begehrten Chardonnays leider buchstäblich im Schatten liegt.

5. Lecomte Cuvée Darling Brut 100% Meunier, ist für geübte Trinker ganz gut als Meunier identifizierbar. Dunkle Frucht ist da, Brot und Luftton auch, die Dosage hält sich dezent zurück, die Säure auch und genau daran lässt sich die Rebsorte festmachen. Wenn man soweit gekommen ist, kann man außerdem feststellen, dass die Meuniers aus den Côteaux Sud d'Epernay gar nicht so exotisch-fruchtig sind, wie man der Rebsorte immer nachsagt, bzw. dass sie es hier im Gegensatz zu den Meuniers in der Vallée de la Marne eben nicht sind.   

6. Maurice Grumier Ultra; wenn wir schon über Vallée de la Marne reden, dann dürfen wir Fabien Grumier nicht unterschlagen, der in Venteuil einen guten Job macht und obendrein ein sympathischer Kerl ist. Der Ultra Brut ist bekanntlich ein Drittelmix auf 2009er Basis mit fünf Jahren Hefelager und Solera-Reserve, zum Einnorden des Gaumens bestens geeignet, mit einer unterschwelligen Bitternote sollte man umgehen können; ich kann's zum Glück.  

7. Tristan H. Brut, ist im Gefolge von Grumier eine gute Idee, geographisch betrachtet sind es nur ein paar Kilometer die Marne hinauf, champagnertechnisch betrachtet ist das Rezept ganz ähnlich dem Réserve von Grumier, der als grundlage für den Ultra dient. 50PM je 25PN/CH, 2009er Basis, 7g/l Dosage. Getragen wird der Champagner erkennbar vom Meunier, wobei sich hier die Unterschiede zur Machart wie beim Lecomte gut nachvollziehen lassen, ein ins Herber gehender Charakter verdankt sich hier wahrscheinlich eher den beiden Edelreben. Für mich immer wieder ein Vergnügen.

8. Lallier Millésime Grand Cru 2008 ist in dieser Preisklasse vielleicht nicht der einzige, aber einer von nur wenigen jahrgangsschampagner, die so präzis ausbalanciert sind und Jahrgangseigenschaften wie Reife und Säure so unverfälscht abliefern. Bildschön und leider unterschätzt. Der Rosé von Lallier ist auch nicht unbeachtlich und vielleicht sogar noch stärker unterschätzt, als der Jahrgang. Das liegt daran, dass man sich mit Roséchampagner kaum jemals wirklich ernsthaft auseinandersetzt, von den verrückten Sachen einmal abgesehen. Dafür ist das feld zu dominant besetzt von den üblichen Verdächtigen, dafür gibt es zu viel gleichartig Gutes und viel zu viel gleichartig Belangloses in diesem Segment. Die feinen, liebevoll gemachten, besonderen Rosés herauszufinden, ist noch schwieriger, als das ganze Weingeschäft an sich schon ist. Zu den ganz großen Rosés hat Lallier mit seinem noch nicht aufgeschlossen, aber die besten Anlagen dafür sind vorhanden.

9. Jacques Lassaigne Vigne de Montgueux en Magnum, ist trotz des Durstlöscherformats kein hirnloser Runterspülwein, sondern ein kleines Meisterwerk an Interpretation. Der falsche Weg wäre es, hier nach unendlich vielen Deutungsmöglichkeiten zu suchen. Der Weg ist nämlich vorgegeben: Weinigkeit und Säure zwischen Burgund und den kreidigen Tiefen von Le Mesnil. Weder dem einen noch dem anderen sich zu sehr zu ergeben, bedeutet das. Gebot der Stunde ist es vielmehr, den Montgueux selbst sprechen zu lassen. Dessen Botschaft ist gar nicht so wahnsinnig schwer verständlich und ergibt auch nicht die komplexesten aller Champagner, um hier mit einem auf das Montrachet-Bonmot zurückzuführende Missverständnis und damit hervorgerufenen falschen Erwartungen aufzuräumen. Denn die Champagne ist und bleibt (aller Wahrscheinlichkeit nach) eine Region, die vom kunstvollen Verschnitt lebt und vor allem damit Komplexität erzeugt. Einzellagen, in denen das gelingt, sind die extrem seltene Ausnahme. Der Montgueux allein ist, wie auch die Weine zB aus Bouzy, charakterstark und im Idealfall ein herausragender Verschnittpartner. Als Solowein reüssiert Montgueux dagegen nicht so sehr. Vielleicht, weil seine Aussage dazu doch zu lapidar ist. 

10. Barrat-Masson Blanc de Blancs Les Margannes ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die als abseitig betrachteten Gegenden wahre Schätze bergen können. Ich habe das schon oft von den Kellermeistern großer Häuser zu hören und zu schmecken bekommen, aber es ist natürlich nicht ganz einfach, die Perlen dieser Region in Eigeninitiative ausfindig zu machen. Umso größer die Freude, wenn es denn doch mal gelingt und noch dazu in einem Zusammenhang mit Lassaigne zur Verkostung gelangt. Die UNterschiede liegen auf der Hand und erstaunlich finde ich, dass der Margannes viel karger wirkt, als der auf einem doch viel kargeren, reinkreidigen Boden gediehene Lassaigne. Autolyse, Hefe, ganz zarte Röstnoten vom teilweisen Fasseinsatz und sehr viel nach vorn drängender, den Gaumen penetrierender Chardonnay, wegen der pikanten Noten von Zitrusfruchtkonfitüre von Loic Barrat und Aurelie Masson (bis zur Gründung des 7-Hektarbetriebs Chefönologin der lokalen Kooperative) vollkommen richtig ohne Dosagezucker vermarktet und übrigens auch nicht chaptalisiert. BSA mal so, mal so. Pflichtkauf. 

11. Savart l'Ouverture, ist ein anderer Pflichtkauf für alle, die ihn noch nicht kennen und mal wissen wollen, was Pinot eigentlich noch so alles kann. Und für die, die in Pinot Noir immer nur die erotisierende Diva unter den Trauben sehen. Als ich den Champagner von Frederic Savart vor fünf Jahren zum ersten Mal trank, hat es sofort Peng gemacht und bis heute hallt der Knall nach. Muss man selbst probiert haben – gibt aber leider nicht viel.

12. Dosnon Recolte Noire en Magnum. Ein weiter Weg ist es vom einen Ende der Champagne an das andere, von Ecueil nach Avirey-Lingey, wo Davy Dosnon seine hammermäßigen Pinotchampagner mittlerweile allein macht. Die Récolte Noire kenne ich erst seit drei oder vier Jahren, bin aber nach wie vor begeistert. Aus der Zeit bei Serge Mathieu hat Davy Dosnon sicher die saubere, kontinuitätsgeneigte Arbeitsweise mitgenommen, von Moutard das Gefühl für die aromatische Dimension der ihm zur Verfügung stehenden Trauben. Beides vereint er mit traumwandlerischer Sicherheit in Gaumenvolltreffer. Pfeffer, Schwarzkirsche, den Wechsel der Jahreszeiten, den von Voltaire aus Cirey in Richtung Paris herüberwehenden Esprit, alles vermeint man hier mit allen Sinnen mehr zu spüren als zu schmecken.   

13. Marie-Courtin Efflorescence (2007), näher dran an Avirey als an Cirey ist Polisot, direkt an der Seine, kurz nachdem sie etwas weiter südlich die Laignes aufgenommen hat. In Polisot muss man Dominique Moreau von Marie-Courtin kennen und richtigerweise auch ihren Mann, dessen Champagner unter dem Namen Piollot begeistern. Als Antonio Galloni die 2008er Erzeugnisse von Dominique Moreau so lobend besprach, dass sie in den USA gleichsam über Nacht zum Star wurde, gab es den betrieb noch nicht sehr lange, nämlich erst seit 2006, was ja auch heute noch nicht alt ist. In der Zeit seit es die ersten Champagner von Dominique zu probieren gab, hat sich aber sehr viel getan. Immer ausgefeilter, an den richtigen Stellen naturbelassen und an den passenden Ecken durch behutsamen Eingriff veredelt, wurden die Champagner, wobei man über den letzten, den Rosé wohl noch sprechen muss.    

14. Charlot-Tanneux l'Extravagant Sans Soufre Ajouté, 50CH, 25PN 25PM, sponta vergorener Grundwein, 11 Monate Fassaufenthalt, 4 g/l Dosage, hatte einen lächerlich hohen pH-Wert und jeder gescheite Önologe hätte nach einem ersten Überfliegen der Labordaten gesagt: schütt weg. Nicht so Vincent Charlot, den man übrigens nur selten außerhalb seiner Weinberge antrifft und der bei meinen Besuchen stets erst von dort herbeigerufen werden musste. Ich finde das gut und sehe das wie bei den Köchen, die teilweise ihre hohe Dekoration in Fernsehstudios versilbern, während andere kaum einmal aus der Küche herauszuholen sind und es nur mit viel gutem Zureden zuwege bringen, mal ein Buch o.ä. zu verfassen. Mir ist die letztgenannte Sorte lieber. Vincent vertraute auf die tiefrgündige biodynamische Fundamentierung seiner Weine und ließ den Extravangant ohne BSA, ohne Schwefel, Klärung, Schönung oder Filtration werden wie er wollte und siehe, er wurde gut. Nein, nicht nur gut, sondern extravangant. So anders, wie es nur biodynamische Erzeugnisse zu sein vermögen. So blumig, dass mir schwindelig wurde, mit einer unglaublichen Säure, die wie von einer Metaebene auf den Wein einzuwirken scheint. Leider oder zum Glück konnte ich davon nur extrem wenige Flaschen mitnehmen. Eigentlich sogar nur eine pro Person und Besuch. Da ich aber die anderen bei ihm gekauften Flaschen selbst etikettiert habe, hatte er freundlicherweise ein Einsehen und gewährte mir eine großzügigere Zuteilung, die leider schon wieder komplett verzehrt ist. Der Charlot-Tanneux Expression en Magnum, 70PM 20CH 10PN, ist nach dem Sans Soufre mit gebührendem Abstand zu trinken, wie eigentlich alles danach mit gebührendem Abstand zu trinken ist, außer vielleicht der schwefelfreie Champagner von Marie-Courtin (Concordance heißt er) oder der neue von Leclerc-Briant. Der Expression, um auf den wieder in etwas einfacher nachvollziehbaren Bahnen laufenden Champagner zurückzukommen, ist weniger ein statement für die Rebsorte, als für den Boden. Ich weiß, dass man das schwer trennen kann. Aber nachdem ich die Grundweine von Charlot-Tanneux getrunken habe, die aus derselben Lage auf unterschiedlichen Bodentypen so grundverschieden sind, sehe ich die Dinge anders. Hier gebietet wirklich der Boden über Rebsortencharakteristika und nicht die Rebsorte über den Boden. Die leichthändige Art des Jiu-Jitsu prägt den Champagner, der in allem nachgiebig, eöastisch und flexibel wirkt.  

15. Moet et Chandon Millésime 1988, wirkt gute zehn Jahre jünger als er ist und kann daher immer wieder als Beispiel für die Lagerfähigkeit von Champagner herangezogen werden. Denn bei Licht betrachtet ist der Jahrgang von Moet nur eine ganz gewöhnliche Cuvée, eben mit Jahrgang versehen. Kein Hinweis auf die Lagenherkunft der Trauben oder deren Zusammensetzung findet sich da, was den Champagner formell ziemlich eindeutig in das Lager der einfacheren Cuvées rückt. Auch preislich ist er keine unleistbare Herausforderung und doch bringt er formvollendet alles das auf den Tisch, was man von einem starken Champagner erwartet. Vor allem Komplexität, Balance und eine merkliche Entwicklung, einerseits merklich als Resultat mehrere Jahre in der Flasche, andererseits merklich als Entwicklung, die vor dem Dégorgement stattgefunden haben muss, um die spätere Entwicklung überhaupt zu ermöglichen. Säure und Toast, Röstnoten, Apfel und Nuss versammeln sich da und gern hätte ich diesen Champagner in vier oder fünf Jahren nochmal im Glas, nur leider war dieses meine letzte Flasche.

16. Dom Pérignon 1998, gehörte mit 1999 und 2000 zu den Dom Pérignons der schwachen Phase. Nach der Freigabe schieferig, leicht schwefelstinkig, sonst sehr auf Noriblätter, Jod, Benzbromaron und höchstens noch etwas Toast beschränkt, konnte ich mich nie für dieses trinkbare Sushi begeistern. Erst seit zwei oder drei Jahren dreht sich hier der Wind und der 98er Dom blüht in seiner zweiten reifephase auf. Der 98er P2 ist zum Beispiel bildschön und auch wenn er völlig anders schmeckt als der regulär dégorgierte 98er, bleibt die Verwandtschaft erkennbar. Der normale 98er hat mehr Schrunden, Falten und Narben im Gesich, was ihm gut steht. Zu seiner Dompérignonigkeit bekennt er sich mit nun deutlich auszumachenden Toast-, Röst- und Pilznoten, die in unnachahmlicher Leichtigkeit ineinander verschränkt sind und den Champagner nicht eine Spur alt wirken lassen.   

Die Reifeprüfung – Comtes de Champagne in der Bibliothek (*/16), Balduinstein

Reinsortige Prestigecuvées sind nicht die Regel in der Champagne. Die lebt vom Mix der Rebsorten, Jahrgänge und Lagen. Reinsortigkeit an sich ist deshalb schon ein statement. Die Erzeuger sind mit diesen statements vorsichtig. Bollinger bewirbt die Vieilles Vignes Francaises nicht, Krug hält sich mit den Clos ebenfalls zurück und Salon ist sowieso ein Sonderfall. Nur Ruinart bekennt sich beim Dom Ruinart offen zum Chardonnay. Und Taittinger. Deren Comtes de Champagne gehören zu den selbstverständlichen Kompagnons der Tischkultur, aber man weiß doch recht wenig über sie. Daher schätzt man sie oft falsch ein. Die schlimmste Fehleinschätzung ist die, wenn man den Wein zu früh öffnet. Ein trauriges Schicksal für den Champagner, der zum Spülhelfer degradiert wird, ohne seine Qualifikation je wirklich ausdrücken zu können. Die Tellerwäscher zum Millionär Geschichte kann so jedenfalls nicht funktionieren. Champagner ist aber nunmal nicht, d.h. nicht mehr, der Tellerwäscher unter den Weinen. Vermeiden wir also in Zukunft, und das ist auch die Lehre, die ich mal wieder aus der Verkostung gezogen habe, ein allzu frühes, unbedachtes Wegtrinken großer Champagner, auch wenn es noch so viel Spaß macht. Warten wird mit noch viel mehr Spaß belohnt.

 

Terrassen-Wartechampagner war, bevor es in den gemütlichen Hallen der Familie Buggle, am Fuße von Burg Balduinstein und Schloss Schaumburg losging, der Brut von Taittinger, den man im Jardin de Crayères genauso bekömmlich wegsüppeln kann, wie im schönen Lahntal. Drinnen wurden gerade die Crespelle mit Lachs, Gurke, Kaviar und Wasabi gerichtet, damit es pünktlich losgehen konnte. Derweil kam draußen noch schnell der Comtes de Champagne 1997 in die Gläser, damit keiner auf dem Weg über die Straße dürsten müsse und das Körperinnere gebührend präpariert sei. Der 97er überraschte mit erheblicher Stärke und Präsenz. Makrele, Buchenholzrauch, verbranntes Fett, dazu eine ungeahnte und vor allem ungeahnt fitte Säure, die eine Entwicklung ins Orangige begleitete und selbst durchmachte, bei der mir alle Sünden und frevlerischen Aussprüche über den Jahrgang bitter und verkehrt vorkamen.

 

Der erste förmliche flight des Abends warf mein Weltbild weiter durcheinander. Comtes de Champagne 2005 war mandelig, süffig, voller Sapidität und Sukkulenz, aber genau deshalb auch unkonturiert und nebulös. Wie das bei jungen Großchampagnern eben oft so ist. Viel jünger als getippt schmeckte direkt danach der Comtes de Champagne 2000, dessen ausdrucksstarke Nase und aparte Säure mich eher an 2002 denken ließen. Unfassbar, gleich der zweite angeblich schwache Jahrgang, der so aufdrehte. Danach kam der gerade erst auf den Markt gelangte Dom Pérignon 2005, dessen toastige, röstige, holznahe aber holzfreie Art gerade in einer Comtes-Runde doch erheblichen Erkennungswert besitzen dürfte. Dachte ich. Aber nein, ich griff voll daneben und tippte auf Comtes 2000, den ich tatsächlich gerade erst zuvor im Glas gehabt hatte, nichtsahnenderweise. Beim Aufdecken also großes Hallo und das Koordinatensystem neu geordnet, Comtes 2000 für mich an der Spitze des flights und die beiden 2005er extrem unterschiedlich und dennoch pari.

 

Ein Zweierlei vom Rind mit Roter Bete und Räucheraal gab Gelegenheit zur Besinnung und Neuordnung, unterstützt von Nicolas Feuillattes Palmes d'Or 1996 und Feuillattes Blanc de Blancs 2002. Die Palmes, die man trotz ihres günstigen Preises und ihrer hohen drinkability nie so recht auf dem Schirm hat, wirkten entwickelt, buttrig, mit einer gegen Ende leider etwas wässrigen Art, die Säure hingegen unaufdringlich, wenngleich fortwährend da. Der Blanc de Blancs verblasste neben der fleischigen Körperlichkeit des Palmes d'Or und wirkte etwas eingeschüchtert.

 

Sehr reduziert, mit viel Austernschale, Löwenzahnblüte und kerbeligen Noten trat der Comtes de Champagne 1998 auf. Zwischen Reduktion und Frucht wollte sich nirgends so recht einpendeln der nächste Champagner. Ich hätte ihn in die Zeit nach 2000 gepackt und dachte, wir hätten es vielleicht jetzt mit 2002 zu tun. Aber wieder falsch. Um einen exquisiten, die Fahne des Jahrgangs noch einmal höher haltenden 1995er handelte es sich. Hätte ich, bei aller Begeisterung für dieses Jahr nicht für möglich gehalten. Für deutlich älter hätte ich hingegen den dann folgenden Comtes de Champagne 1999 gehalten. Der schmeckte so ähnlich, wie ein Dom Pérignon 1993 von vor drei Jahren. Erst völlig zugenagelt, dann rasend schnelle Entwicklung von Eisen, Jod und Seetang bis zu Weihnachtsgewürz und schließlich Minzöl. Wenn der Champagner das auch noch in langsam hinbekommt, freue ich mich auf die nächsten Jahre damit, aber in diesem flight bleibt für mich 1995 der klare Sieger.

 

Zur gebackenen Salzwassergarnele mit Lardo, Erbse und Kopfsalat ließe sich sich wahrscheinlich jeder Chardonnay gut trinken, was vor allem an den grünen aber weichen Aromen von Kopfsalat und Erbse und ihrer Empfänglichkeit für Salz jeder Art gelegen haben mag. Das wurde hier über den Lardo eingepflegt und passte sehr gut zum Sortencharakter der Champagner.

 

Zum Wildfangsteinbutt mit grünem Spargel, Spitzmorcheln und Estragon Beurre Blanc durfte es ruhig ein Comtes de Champagne 2004 sein. Zwischen ghee und trinkbarer beurre blanc in der Grundfrom bewegte sich dieser auch immer noch sehr junge Champagner. Natürlich ist das ein wundervolles Spielfeld für Spitzmorcheln. Auch der Butt tat sich nicht schwer und so konnte es nochmals gestärkt weitergehen.

 

Mit viel Rauch, Toast und Seetang kündigte sich der nächste Champagner an. Das fühlte sich an, wie wenn ein Zauberer oder eine Rockband auf die Bühne kommt. Der Bühnenrauch ist nur Show und eine echte Überraschung gibt es nicht, weil man sehr gut weiß, für wessen Show man das Ticket gekauft hat. Ich jedenfalls wäre verwundert gewesen, wenn es sich hier nicht um einen reifen Dom Pérignon gehandelt hätte, wobei ich irrig auf 1985 statt 1983 getippt habe. Den nächsten Champagner habe ich nur wegen seiner Eukalyptus-Mentholnote, die für deutliche und gelungene Reife spricht, für einen älteren Jahrgang gehalten. Sonst war da nichts, was auf Comtes de Chanpagne 1976 hingewisen hätte. Ein Kernstück des Abends. Als würdiger Paladin gesellte sich Comtes de Champagne 1983 hinzu, der sich nicht so zeitlos zeigte wie der Dom, sondern mit oxidativem Schokoton zu kämpfen hatte und bei dem später Minze und Liebstöckel eine Ältlichkeit ergaben die den Champagner müder wirken ließ, als den starken 1976er.

 

Gegrillte Meeresfrüchte mit Orangenfenchel und Bouillabaissesauce, dazu gab es Henriet-Bazin Brut Blanc de Blancs aus dem Erntejahr 2009 (70%) mit einer Solera von 1968 (!) bis 2008. Gepasst hätte wahrscheinlich auch der 97er Comtes mit seinen Orangenfilets, aber der war ja schon lange weg. Nun war es Henriet-Bazins Aufgabe, den Fenchel zu umwerben, was Solera sei Dank bestens gelang und dem frischen Chardonnayanteil des Champagners den Rücken freihielt für die Beschäftigung mit Meeresfrüchten, Röstaromen und Bouillabaisse.

 

Dick und saftig wie das rosa gegarte Bürgermeisterstück vom Kalb, das mit Spitzkohl, Petersilinpurée und Babymais auf die Teller kam, wirkte der erste Champagner des anschließenen flights. Dessen leichte alkoholische Schwere und das entwickelte Walnussaroma ließen einen vorsichtigen Schluss auf Comtes de Champagne 1990 zu. Danach gab es Dom Pérignon 1990, ein Champagner, der wie einst Willy Millowitsch nicht abtreten kann, der auf der Bühne sterben will. Der als Säureschlenker gedachte Comtes de Champagne 1996 hatte leider Kork und musste durch Bollingers Grande Année 1990 ausgetauscht werden, die sich aber nicht in Bestform zeigte. Abweisend, verschlossen, abgekehrt, erkaltet, mit schnell abnehmendem Mousseux. Besser aber immer noch, als der Comtes de Champagne 1986, dessen Whiskynote am Tisch so gar nicht zu begeistern vermochte.

 

Ein versöhnlicher Ausklang wurde uns dann beschert von zwei Champagnern, die man gut auseinanderhalten konnte, Dom Pérignon 1985 und Comtes de Champagne 1985. Natürlich war das Identifikationskriterium beim Dom Pérignon das kräftige Toastaroma und zum Topfensoufflé mit Rhabarber und Käsekucheneis wäre das einer der ganz wenigen Champagner, die ernsthaft etwas beitragen könnten. Wir haben uns aber zum Dessert doch lieber für einen klassischen Süßwein aus dem Hause Schönborn entschieden, der seiner gar nicht so einfachen Aufgabe, zwischen Quark und Rhabarber zu moderieren, gut nachkam.

 

Was habe ich gelernt? Vor allem Details. Die sind wichtig, wenn man es blind mit Wein zu tun hat. Am deutlichsten wurde mir das beim 1976er Comtes. Der schmeckte sehr jung, viel jünger, als der Jahrgang laut Etikett in meiner Vorausbeurteilung je hergegeben hätte. Aber Details in der Nase waren es, die den 76er verrieten. Außerdem habe ich über die Jahrgänge 1997 und 2000 gelernt, dass sie niht nur drei und vier und fünf Chancen verdient haben, sondern dass die Zeiträume zum Nachprobieren deutlich länger gestreckt sein dürfen. Ich werde das mit dem Jahrgang 2003 jetzt so handhaben. Beim Dom Pérignon 2005 habe ich festgestellt, dass er so stark auf typische Merkmale baut, wie vielleicht noch nie zuvor. Mir kommt er zur Zeit vor wie eine Konzentration von Toast und Röstnote, verbunden mit einer Leichtigkeit, die sich paradoxerweise fast greifen lässt.

 

 

Origines Champagne 2015

Von Florence Duchêne aus Cumières habe ich mittlerweile ca. fast die Hälfte der Produktion augetrunken und bin erstens noch nicht zu einem endgültigen Urteil gekommen, zweitens ist mein Eindruck aber weiterhin positiv. Das Weingut hat sich gegenüber meinem letzten Besuch außerdem vergrößert und zwar von drei auf nun stattliche vier Hektar. Die Cuvée Kalikasan aus 50CH 45PN und 5M, die außerdem einen Winzanteil von ca. 0,01PB enthalten (die Pflanzen sind einfach dazwischen gerutscht und wurden erst spät durch Zufall als Weißburgunder identifiziert), hat 0 g/l Dosage, was der einzige Unterschied zur Cuvée DiMangan ist (3 g/l Dosage aus Traubenmostkonzentrat). Erstaunlich, wieviel das bisschen Zucker ausmacht. Von hart, unerbittlich und trotzdem nicht ohne Charme hin zu offen, fruchtbar und spendabel mit nur 3 Gramm Dosage. Am besten gefiel mir diesmal die RoséCuvée Bathala aus 45CH 43PN 4M und 8% Rotweinzugabe. Lebhaft, mit voller Fruchtentfaltung, bei einem leicht oxidativ-milchschokoladig gehaltenen Stil, der mich außerdem an Trüffel mit Marc de Beaujolais Füllung denken ließ. Hagebutte, Konditoreiaromen und Veilchen rundeten das Erlebnis ab.

 

Der Schöpfer von Champagne Tristan H., der allezeit friedvolle, hintergründige und leicht verschmitzte Tristan Hyest brachte mit der Cuvée Brut Mature aus 55CH und 45PN aus dem Jahr 2004, 2012 dégorgiert, mal wieder eine Besonderheit mit, die ihm niemals auszugehen scheinen. Rauch und Röstnote von langem Hefelager, milde Laktik, etwas Brombeere, viel Körper, in den man sich hineingraben will. Preiselbeerkompott und Wildscheinpâté drängten sich dazu im Geiste förmlich auf, und ich in der Folge mich dem armen Tristan, um ihm am nächsten Tag einige Fläschelchen davon aus dem keller zu ent- und mit mir heimzuführen. Sein Rosé mit dem schönen Namen Iseult, der Blanc de Blancs und sein trotz des schwierigen Erntejahrs 2011 überaus gut gelungener, hiermit allseits nachdrücklichst empfohlener Brut nestätigten einmal mehr den früh, d.h. von Anfang an gehabten positiven Eindruck. Für mich bleibt jetzt nur abzuwarten, wie sich die verschiedenen Parcellaires und Spezialsachen über die Jahre entwickeln, wenn ich sie nicht vor der Zeit austrinke, was nicht unwahrscheinlich ist.

 

Benoît Déhu aus Fossoy brilliert nun schon etwas länger mit seinem Einzellagenprojekt La Rue des Noyers und macht die Leute verrückt, weil diese Form von Meunier (2012er Brut Nature, eichenfassvinifiziert und dort elf Monate verblieben) so vitalisierend und köstlich ist. Wichtig für mich: bei der Rue des Noyers lässt sich wie unter dem Mikroskop verfolgen, wie jede Änderung sich im Champagner auswirkt. Der Extra Brut 2011 mit zehn Monaten Fassausbau zum Beispiel ist mit einem (!) lachhaften Gramm dosiert und wirkt gleich viel langsamer, breiter, wenngleich immer noch sehr gut. Den Vorzug verdient aber 2012. Bei den Stillweinen ergibt sich ein ähnliches Bild, vor allem der Unterschied zwischen 2013 und 2011 ist frappant. Sehr eindrucksvoll sind auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Sektionen derselben Parzelle, auf die ich hier nicht näher eingehen muss, weil sie nur zu Demonstrationszwecken und nicht mit der Absicht jeweils eigener Vinifikation (was wohl ziemlich einzigartig wäre) vorgestellt wurden.

 

Pierre Amillet von Robert Moncuit aus Le Mesnil hat sich in Deutschland langsam aber stetig eine gewisse Gefolgschaft vor allem unter den sonst Stillweinfexen errungen und verdient. Sein Brut Grand Cru (mit 6 g/l dosiert und daher schon Extra Brut) und vor allem der Grand Cru Extra Brut (mit 3 g/l dosiert und daher schon Ultra Brut) haben schon lange meine Aufmerksamkeit und mehr noch die Jahr für Jahr gelungenen Jahrgänge. Jetzt kam krönend ein Parcellaire hinzu. Nicht aus irgendeiner Lage, sondern aus der Lage Les Chétillons. Die, so schien es immer, wurde einzig bespielt und dominiert von Pierre Peters. Doch das ist nun vorbei. Guy Charlemagne hat einen Chétillons rausgebracht und jetzt auch Pierre Amillet. Seiner ist Jahrgang 2008 und non dosé, bzw. bei Marktfreigabe im september 2015 wird er ausschließlich in Magnums und mit 2 g/l Dosage erhältlich sein. Wer da nicht zugreift, mach einen Riesenfehler. Bombastische Säure, Gojibeere und Himbeermark machen eindrucksvoll Weerbung für Robert Moncuit und bringen Leben in das sonst sehr abgesteckt wirkende Le Mesnil.

 

Laurent Vauversin von Champagne Vauversin aus Oger konnte mich nicht für seinen Brut Original Grand cru begeistern. Der war einfach zu hoch dosiert, 7 bis 10 g/l kann ich selbst ohne BSA nur schwer durchgehen lassen. Viel besser gefiel mir der Grand Cru Extra Brut Millésime 2008 von alten Reben, mit vollem BSA, einem minimalem Anteil Fassnutzung und 3 g/l. Da war der Zugriff, wie ich ihn mir bei der Basis gewünscht hätte. Unangefochten an der Spitze und Ausdruck seines Könnens ist nach wie vor die Réserve Orpair Grand Cru 2008. Schon im letzten Jahr war dieses freche Biest (damals noch 2007er Jahrgang) kaum zu bremsen. So versaut schmiegt und presst sich der Champagner an den Gaumen, dass man sich ganz verboten vorkommen muss. Zum Glück darf ich solche Champagner trinken, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen.

 

Champagne Denis Salomon aus Vandières hat mittelfristig einfach etwas mehr Biss nötig, um bei mir auf der Einkaufsliste zu landen. Gewiss: sein Inédite Brut Nature 2010 ist speichelfördernd und keineswegs schlecht, vor allem nicht zehrend oder übermäßig trocknend; was mir fehlt, sind bei dieser Cuvée aus 50PN 50CH Ideen, die den Selbstläufer, bei dem man nichts falsch machen kann, zum Iron Man oder sonstwas mit Merkcharakter machen. Der Millésime 2009 war mir mit 8 g/l deutlich zu hoch dosiert, Carte Noire (100M) und Rosé de Saignée (100M) leider ebenfalls. Im Restaurant und zu einer Küche, die keine Angst vor starken Aromen und reichtlich Salz hat, sind diese Champagner am besten aufgehoben, da gibt es die schönsten Paarungen.

 

Auf Fabien Grumier von Champagne Maurice Grumier habe ich mich gefreut, weil ich die Art, wie er die Champagnerklaviatur bespielt, sehr mag. Blanc de Noirs und Blanc de Blancs stehen gleichberechtigt nebeneinander, von hoch (9 g/l, die Cuvée Aline als weibliches gegenstück zum Amand sogar noch deutlich höher) bis niedrig dosiert (3 g/l), von aktueller Ernte bis zurück in das Jahr 2005 findet sich alles. Die Cuvée Amand bildet die Spitze und war dieses jahr mit nur noch 3 statt 6 g/l dosiert, was ihr sehr gut bekam. Dadurch verschwand etwas von der puttenhaften Pausbäckigkeit und der Holzeinsatz wirkte nicht mehr wie eine Babyschaukel, sondern schmückend wie ein dezenter Bilderrahmen. Schön war weiterhin der Rosé de Saignée Les Rosiers Extra Brut, ein 100PN ohne BSA, in dem verbindliche Freundlichkeit und herbe Strenge sehr passend vereint sind.

 

Jérôme Bourgeois von Champagne Bourgeois-Diaz aus Crouttes sur Marne hat letztes Jahr vor allem im Rosebereich gezeigt, was er kann. Dieses Jahr gab es seine Vins Clairs nach Rebsorten getrennt aus den Lagen Les Justices (Meunier aus dem 500-Liter Fass), Les Bien Aimées (PN, 600 Literfass) und Les Saint Méloirs (CH im 225-Liter Fass vinifiziert), beim Champagner gab es den 3C, naheliegenderweise aus allen drei Hauptrebsorten (40CH 35M 25PN), der trotz seiner nur 2 g/l Dosage uneingeliedert und unrund schmeckte, wie ich leider anmerken muss. Auch der Meunier "M" wusste nicht zu überzeugen. Zu bekannter Stärke fand erst der Blanc de Noirs "N" aus 40PN 60M mit 4 g/l Dosage zurück, Erde, Hagelzucker und schwerer Vorhangstoff, sehr schön umgesetzte Idee vom dunklen, schwarzen Charakter eines Blanc de Noirs.

 

Nathalie Falmet zeigte mit dem ZH 302 (das ist der Katastername der Parzelle) einen reinsortigen Meunier aus dem Erntejahr 2010, der im Holzfass vinifiziert wurde und undosiert geblieben ist. Nachdem die letzten Falmet-Champagner mir etwas lädiert vorkamen und auch in diesem Jahr weder der brut Nature noch der Brut auf Anhieb überzeugen konnten, ja sogar leicht käsig wirkten, war der ZH 302 genau das, was ich sonst mit dem Namen Falmet verbinde: schlank, schnittig, zestig, der BMW 507 unter den Champagnern.

 

Patrick Renaux von Champagne Soutiran aus Ambonnay versteht sich naturgemäß auf Pinot Noirs. Das mag in Ambonnay nich schwerfallen. Was mir dafür schon vor Jahren auffiel, ist sein Umgang mit Chardonnay. Statt sich nämlich auf die guten Ambonnaypinots zu verlassen, baut er in viele seiner Champagner erhebliche Anteile Chardonnay ein, so dass sich ein glückvolles Gleichgewicht ergibt. Etwas ähnliches muss der alte Dom Pérignon vorgehabt haben und sehr ähnlich, wenn auch mit einer Vielzahl an Parzellen aus einer Vielzahl verschiedenster Lagen, geht der Macher der heutigen Cuvée Dom Pérignon vor. Was zeigt, dass Patrick Regnaux mit seiner Arbeit so verkehrt nicht liegen kann. Womit man leben können muss, ist die hohe Reife und Süße seiner Champagner, selbst wenn zB in der Collection Privée Grand Cru Mis en Cave 2010 aus 53PN 47CH weit überwiegend aus dem Jahr 2008 und nur wenig (10%) 2009er lediglich 5 g/l Dosage zugegebn wurden. Am besten gefiel mir die Säure in dem dafür sowieso am besten geeigneten Jahrgangschampagner Millésime Grand Cru 2008 aus 47PN 53CH, die Perle Noire Grand Cru aus dem Jahr 2006 konnte verständlicherweise nicht mithalten.   

Des Pieds et des Vins 2015

Eine ganz neue Winzervereinigung, deren Logo dem der (nicht nur) Münchner Bier-, bzw. Weininseln sehr ähnelt, hat sich für die Grands Jours in der Champagne den Sonntagnachmittag und einen sonnigen Platz in meinem Herzen gesichert. Nicht so sehr im homoiopathischen Sinne eines similia similibus curentur sind der Ähnlichkeiten noch weitere: beim Namen der Truppe, die als "Des Pieds Et Des Vins" firmiert, drängt sich zumindest mir als sprachenübergreifendes Homoioteleuton immer gleich Steinbecks "Of Mice and Men" auf. Ohne dass es deshalb gleich zu Todesfällen kommen muss, ist das vielleicht gar nicht mal so abwegig, wie wir gleich sehen werden.

Nach neunzig Jahren zeigte sich das Bois Joli auf halber Strecke zwischen Reims und Epernay 2014 erstmals wieder in neuem Glanz. Bis dahin war der Laden ein eher beliebiger Schuppen am Wegesrand, an dem man immer nur möglichst schnell vorbei zum nächsten Ziel seiner cruise'n'booze Tour sauste. Der von Herrn Jolibois gegründete Laden nahm sich der Pieds et Vins Winzer gern an und wird das nicht bereut haben.

Die einzelnen Winzer stelle ich nach und nach etwas ausführlicher vor, an dieser Stelle genügt es sicher, wenn ich die ergreifendsten Cuvées skizziere. Bei manchen Neuentdeckungen muss ich mich sowieso erst noch vor Ort vergewissern, dass der Eindruck, den ich auf der Probe gewonnen habe, nicht nur einmaliger Natur war, sondern mindestens in seiner Grundtendenz bestätigt wird. Für praktisch alle Winzer gilt: die Mengen sind sehr klein, vielfach gerade mal an die 10000 Flaschen pro Jahr, manchmal sogar deutlich weniger. Exklusivität ergibt sich so ganz von selbst.

Champagne Barrat-Masson kommt aus Villenauxe, etwas unterhalb von Sézanne und auf der Nord-Süd-Achse von Epernay über die Côte des Blancs bis nach Troyes leigt der Ort grob spiegelbildlich zu Vitry-le-Francois. Ähnlichen Überraschungscharakter hat der Chardonnay von dort. Der Parcellaire "Les Margannes" aus dem Erntejahr 2011, non dosé, kommt förmlich aus einer anderen Welt, der Mund fühlt sich an, wie mit einem Heliumballon gefüllt, der plötzlich zerknallt und wie eine Kreidesplitterbombe gegen die Backen querschlägt. Famos.

Bleiben wird doch, bzw. gehen wir noch etwas weiter in den Süden, zu Champagne Robert Barbichon aus Gyé-sur-Seine, zwischen Les Riceys und Essoyes. Thomas Barbichon macht einen guten Réserve 4 Cépages aus 70PN 10M 10PB und 10CH, dessen Dosage kleinere Unebenheiten wegbügelt und einen sympathischen Champagner entstehen lässt. Besser noch, wenngleich etwas rustikal, mit Wildkirsche, Malz und einer herbfröhlichen Art ist der mit 6 g/l dosierte Rosé de Saignée.

Champagne Rémi Leroy aus Meurville, wieder etwas nördlich von Essoyes, immer noch in der Aube, gelegen, kenne ich seit meinem ersten oder zweiten Troyes-Besuch (leider viel zu spät und viel zu oberflächlich). Gekauft habe ich meine ersten Flaschen damals im Crieurs de Vin, nicht beim persönlichen Check vor Ort. Das persönliche Kennenlernen ging dafür umso leichter während der Pieds et Vins vonstatten, wo mir der strenge, gespannte, düstere Brut Base (2010) mit 6 g/l besser als der 2009er gefiel und noch eine Nummer besser war die Basis 2011 mit nur noch 3 g/l.

Der Ruf von Champagne Etienne Calsac aus Avize ist stellenweise schon auf die rechte Rheinseite herübergedrungen und wer dem Klang der Kreide aus Grauves lauschen will, sollte sich die beiden Versionen der L'Échappée zu Gemüte führen. Die gibts mit 6 und mit 2 g/l dosiert (Traubenmostkonzentrat), der Mix ist bei beiden 95CH 5PN und das Erntejahr ist jeweils 2010. Grauves, das wegen seiner Lage auf der Hügelrückseite der Côte des Blancs vor allem für seine Säure und in Teilen für besondere Langlebigkeit bekannt ist, gibt dem Chardonnayerzeuger aus Avize einen besonderen Dreh.

Champagne Corbon, auch aus Avize, macht einen Champagner mit 35 Jahre alter Solera, der für Solerachampagnerfreunde eine echte bereicherung im Portfolio darstellen wird. Mir war er etwas zu weich geraten. dafür habe ich mich umso leidenschaftlicher in den Absolument Brut verliebt. 50CH 25PN 25M aus der 2008er Ernte, 0 g/l Dosage, im Februar 2015 dégorgiert – ein Traum von einem Hammer von Champagner. Einer der ganz großen Überrascher des Wochenendes.

Aus Cumières kommen immer mehr schöne Erzeugnisse. Yann Vadin von Champagne Vadin-Plateau zum Beispiel gehört nach meiner jüngsten Wahrnehmung auch dazu. Nicht alle seine Champagner gefallen mir, was vor allem an der für mich zu hohen Dosage liegt. Aber seine Cuvée Aurelie aus der Lage Chêne la Butte, ein reinsortiger Chardonnay, im Ei vergoren, hat schon ganz gute Substanz. Und die Cuvée Y aus der Einzellage Bois des Jots, 100PN aus dem Fass, zeigt, wohin die Reise einmal gehen könnte, wenn Yann sich zu mehr Präzision und weniger Zucker entschließt.

Nichts zu deuteln gab es bei Champagne Aurélien Lurquin aus Romery, nur wenige Kilometer hinter Saint Imoges gelegen. Der Meunier 2013 non dosé ohne BSA war so rasend schnell, so blitzeschleudernd furios und ungestüm wie ich die Rebsorte noch selten erlebt habe. Das hier ist Schach, nicht Dame.

Champagne Thomas Perseval aus Chaméry, neben Ecueil, dem heimlichen Gravitationszentrum der Champagne, habe ich erstmals in der Epicerie au Bon Manger in Reims getrunken. Dort wurde ich noch nie enttäuscht, bzw. wenn, dann nur weil die eine oder andere Flasche nicht mehr verfügbar war. Thomas Perseval also macht das, was ich leider einen geilen Saufstoff nennen muss. Das gilt schon für den Tradition aus 45PN 45M 10CH aus 2012er Ernte ohne Dosage und noch viel mehr für den zu meinem großen Ärger ausverkauften Drittelmix Grande Cuvée aus den Lagen La Masure, La Pucelle und Le Village; wieder 2012er Ernte, wieder Nulldosage, noch geilerer Saufstoff.

Von Chamery weiter nach Norden fahrend gelangt man irgendwann, d.h. recht schnell sogar, nach Gueux. Bevor man dort ankommt, liegt Vrigny auf der Strecke, wo der unglaubliche Guillaume Sergent für den eponymischen Champagne Guillaume Sergent verantwortlich zeichnet. Dieser Champagner ist der zweite ganz große Überrascher des Wochenends geworden. Aus zwei Parzellen stammt der Les Prés Dieu, ein 100CH Extra Brut, der wie eine naturtrübe Apfelsaftschorle mit einem Spitzer schwarzer Johannisbeere schmeckt, Kuchenteig, Streusel, gute Butter und trotz aller Omazutaten eine Finesse und Leichtigkeit, rabiate Power und jugendliche Unbekümmertheit, so explosiv wie Volleyball im Minenfeld.

Sehr philosophisch wurde es mit dem schon länger in meinem Glas wirkenden Champagne Stroebel von Timothée Stroebel aus Villers-Allerand. Dessen einfachen Héraclite aus 100M kenne und schätze ich, die Roséversion davon habe ich kennengelernt und schätze sie nun, aber der eigentliche Donnerstoß ist der Logos d'Héraclite, ein Rosé de Saignée aus 100PN, 2005er Ernte, Brut Nature. Nur 814 Flaschen gibt es davon und gefühlt müssen es zehnmal so viele sein, deren Extrakt Stroebel eingefangen und auf sein kleines Kontingent konzentriert hat wie Tomatenmark in der Tube. Reife Kirsche, Eau de Vie, Schlehenfeuer, Erdbeerpurée, Himbeere, Zimt, Nelke, schwarzer Pfeffer, betäubende Würze. Von wegen Heraklit, der Dunkle. Das hier ist illuminaughty.

Champagne Mouzon-Leroux aus Verzy erfreut sich in Deutschland schon einiger Beliebtheit, in Billy Wagners nobelhart & schmutzig gibt es zum Beispiel den Atavique aus 60PN 40CH, der zu 20% Fass gesehen hat und mit 3 g/l dosiert ist. Das ist die Einstiegsdroge. Der Ineffable und vor allem der Rosé de Saignée L'Incandescent aus 100PN, 100% Fass, mit 4 g/l dosiert, ist ein ungeheures Kraftpaket und einer der Rosés, die kunstfertig und höchst unterhaltsam zwischen Frucht und Holz, weiniger Gemütlichkeit und champagneriger Ungeduld pendeln.

Les Mains du Terroir 2015

Die Mains du Terroir sind größer geworden und umgezogen, vom Theatre in den überdachten Wochenmarkt von Epernay, wo ich sonst gerne statt des französischen Hotelfrühstücks schöne Hähnchenschlegel verzehre.

 

Dieses Jahr waren mehr Winzer denn je zu besuchen, ich habe mich deshalb auf eine Auswahl beschränken müssen. Die war nicht völlig willkürlich, sondern wohldurchdacht und länger vorbereitet. Mehrere Winzer konnte ich schon im Vorfelkd besuchen und bei einigen bin ich durch häufigeres Vorab-, bzw. Nachverkosten schon ganz gut im Bilde.

 

Bei Champagne Aspasie aus der Vallée de l'Ardre gab es in den letzten Jahren für meinen Geschmack nicht genug Action, was den Cépages d'Antan (mit 9 g/l dosiert, was ihm etwas von der Beschleunigung nimmt) nicht beschädigt, in der Auseinandersetzung mit anderen Altrebenchampagnern, von denen es schließlich immer mehr brauchbare bis herausragende gibt, aber eben auch nicht nach vorne bringt. Der 2009er Jahrgang profitierte von der auf 2 g/l reduzierten Dosage. Der Brut de Fût mit seinen 8 g/l und dem leicht schläfrigen Holzeinsatz, bei angenehm langer Griffigkeit hätte über eine Reduzierung sicher auch nicht klagen können.

 

Champagne Maxime Blin operiert dicht an der für mich kritischen Grenze von 10 g/l und bedarf deshalb meiner Beobachtung; seiner Carte Blanche, der Grande Tradition und der Cuvée Maxime Blin tut das keinen Abbruch. Jedoch: der undosierte Blanc de Blancs Millésime 2013 war schon jetzt das, was ich mir von den anderen Cuvées wünschen würde. Ungetüncht, sehr elegant, nicht unzüchtig und nicht von unschicklicher Nacktheit. In vier Jahren wird er, mit höchstens drei Gramm dosiert, sicher ein schönes Beispiel für einen gelungen vinifizierten Jahrgangschampagner aus einem nicht ganz einfachen Jahr gelten dürfen. Wenn Maxime sich bei seinen anderen Cuvées dazu entschließen sollte, die Dosage herabzusetzen, würde mich das riesig freuen.

 

Von de Sousas Brut Réserve habe ich nur kurz gekostet, um mir danach drei Ausfächerungen von de Sousa genauer zu beschauen, die man gar nicht einem einzigen Winzer zuordnen würde, sondern drei völlig verschiedenen. Der Klassiker von de Sousa ist die Cuvée des Caudalies aus Solerachardonnay der Orte Avize, Oger und Le Mesnil, deren erstaunliche Weichheit über das erhebliche Potential des Champagners hinwegtäuscht. Die Cuvée Umami 2009 hat an Fett zugelegt und zeigt jetzt alle Aromen wie in einem Konkavspiegel vergrößert. An die guten Pferdeknackwürste vom Kaspar Wörle erinnert mich zunehmend die Cuvée Mycorhize, so fettarm, fleischig und intensiv ist der Champagner. Sanftmütig, aber nicht im minderen Sinne stoisch, saftig, lang und ohne jedes Chardonnayklischee.

 

Und wieder nähern wir uns Eric Rodez, der nach Jahren nun endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen scheint, die ihm zusteht, jedenfalls in Deutschland. Die Vins Clairs des Jahrgangs 2013 waren die helle Freude. Der Chardonnay öffnete sein Nussherz und zeigte die kraftvoll darin pulsierende Wildkirsche, der Pinot Noir daneben elegant, zurückhaltend und fein wie russischer Zobel, aber unwahrscheinlich kraftvoll auch dieser Wein. Die Champagner sind kleine Denkmäler. Der Blanc de Blancs aus 2008, 07, 06, 05, 04, 03 war so vollmundig, vorbildlich und weit weg vom Klischee, dass man fast eine neue Kategorie innerhalb des Genres für ihn aufmachen müsste. Der Blanc de Noirs aus den gleichen Jahren mit Ausnahme des 2003ers, der hier durch 2002 ersetzt wurde, ruht buddhistisch in sich selbst, ein Pinot, der völlig unaufgeregt sich seiner Schönheit selbst bewusst ist. Sowas gelingt nur ganz selten, einen ähnlichen Eindruck hatte ich nur einmal bei einem  Domaine Prieuré-Roch Chambertin Clos de Bèze, den ich (natürlich, möchte ich fast meinen) in der Champagne getrunken habe. Die neue Dosage Zéro aus 30CH 70PN, gemixt aus 2006, 05, 04 und 02 hat völlig richtig keinen Zucker zugesetzt bekommen, weil auch diese neue Cuvée im perfektionistischen Rodez-Stil so gebaut ist, dass alles notwendige bereits aus den verwendeten Grundweinen genommen werden kann und Zugaben des Winzers weitestgehend unnötig, ja störend erscheinen. Die Cuvée des Grands Vintages aus 05, 04, 02, 00, 99, 98 zeigt das ganz deutlich und befindet sich JETZT auf Nöchstniveau. Eine vollere Ausprägung von Jahrgangskomplexität habe ich in einem Multivintage noch nicht erlebt. Anders ja, aber nie so, dass einzelne Merkmale greifbar werden und zu sprechen scheinen. Die Empreinte de Terroir Champagner von Eric Rodez aus dem Jahr 2003 gehören wie die Vorgänger aus dem Jahr 1999 als Pinot und als Chardonnay zu den Denkwürdigkeiten des Champagnergeschäfts und zu den Champagnern, die man getrunken haben muss, um ernstlich mitreden zu können. Archetypischer geht es eigentlich nicht, ohne Abstriche zu machen.

 

Ein alter Bekannter ist natürlich auch Janisson-Baradon, dessen Toulette als Vin Clair schwer Eindruck bei mir gemacht hat. Der hätte für mich allein schon das Tagesziel markieren können. Der Extra Brut, den ich mir auch gern im neuen Laden von Cyril genehmige, mitten in Epernay am Kreisel, dort, wo es zu den großen Häusern hinauf geht, der griff nach Kräften in die dargebotenen Aromenangebote und weil er aus Pinot und Chardonnay gleichermaßen besteht, machte er den Übergang zu den sprudelnden Toulette, Conges und Tue Boeuf 2006 leicht. Am weitesten stach der Toulette 2006 heraus und nahm damit dem von mir für eine ganze weile favorisierten Tue Boeuf wieder Punkte ab, der unter Conges firmierende Meunier kommt da nicht ganz mit, gehört aber zu den stärksten Meuniers der Region. Anschauen kann man sich die Reben übrigens ganz einfach vor Ort, den Chemin de Conges erreicht man, indem man einfach rechts am Anwesen von Janisson-Baradon vorbei nach oben geht und sich dann hakenförmig nach links wendet, als quasi Richtung hinterer Garten des Hauses, dort stehen auch die Trauben vom Nachbarn Leclerc-Briant.

 

Die Terminator-Champagner von Penet-Chardonnet wirken auf mich, wie aus der Zukunft, wie aus einer Zeit, in der man mit überlegenen Werkzeugen um ein Vielfaches präziser arbeiten kann, als heute. Der Reserve Grand Cru Extra Brut aus 70CH 30PN ist mit leichten 3 g/l dosiert und wirkt deshalb stramm, ohne großes Gepäck, stahlig und mit einem Hauch von blanchierter Mandel. Die Cuvée Parcellaire Les Fervins aus Verzy ist ein 2009er Champagner, mit 70PN 30CH, mit etwas zeitlichem Abstand wirkt er süßlicher auf mich, als vor wenigen Monaten noch. Am beeindruckendsten ist der Pacellaire Les Epinettes, ein Verzy Grand Cru 2009 aus 100% Pinot Noir, dessen Aroma von gesalzenen Nüssen mir doch sehr dicht an dem zu liegen scheint, was man das Terroir von Verzy nennen könnte. Formal noch höher anzusiedeln ist die Cuvée Diane Claire, Grand Cru Brut Nature 2002 mit zwei Dritteln Pinot Noir und einem Drittel Chardonnay, alles aus Verzenay. Hier kommen Butter, Hefe, Honig, Seide, Balsam, Akazien und Apfel in einen Bottich, woe sie kundig vermengt werden und in schönster Balance am Gaumen begeistern. Und dennoch: wenn ich gefragt werden würde, ich würde den Epinettes vorziehen.

 

Mit die schönsten Vins Clairs hatte das junge, in Deutschland schon gut eingeführte Talent Sélèque dabei. Sein Meunier aus Pierry, Les Gouttes d'Or und sein Rosé de Saignée, beides 2013er hatten allerbeste Anlagen. Vanillekipferle, Krokant und Traubenmost hier, Mandel, Frische und Schlürfigkeit da – und das schon nur beim Vin Clair! Comédie 2008 war brotig, mälzelte etwas und hätte nicht höher als mit den hier verwendeten 4 g/l dosiert sein dürfen. Partition 2008 und 2009 sind saftig, flott, ja rockig (2008), bzw. klarer, klassischer, förmlicher (2009). Einmal mehr wird hier gelten, dass der 2008er ruhig liegen darf, bis der 2009er seine Vorzüge voll verausgabt hat und sich auf dem absteigenden Ast befindet – das sieht Sélèque ganz ähnlich, weshalb er den Verkauf der 2008er gestoppt hat und erst in ca. fünf Jahren wieder aufnehmen will, mit Spätdegorgements. Überhaupt nicht kindsköpfisch, rebellisch oder aufmüpfig war der 2009er Rosé de Saignée, der auf mich saftig mit leichtem Halskratzen, sonst aber herbfrisch und ziemlich erwachsen wirkte.

Der Klügere kippt nach: Q1 und Vorschau auf einige Neuerscheinungen

Damit nicht jemand annimmt, dass ich aus Überheblichkeit meine Beschäftigung rühmend übertreibe (Sallust), berichte ich von meiner auch im vergangenen ersten Quartal nicht abbrechenwollenden Befassung mit dem Champagner. Das ist so schwer wie noch nie zuvor. Ich verzichte deshalb auf jede einzelne Benennung selbst wenn das gegenüber den nicht benannten Champagnern eine nur schwer zu rechtfertigende Heraushebung ist, indes, für Rechtfertigungen bin ich meiner Natur nach einfach zu faul. Erklären und beschreiben ist mir dagegen ein Bedürfnis.

Auf der Haut les Vins habe ich es mit Vincent Couche und Benoit Tarlant und somit zwei Terres et Vins de Champagne Haudegen zu tun gehabt, die sehr gegensätzliches Zeug machen, das mir aber von beiden schmeckt. Einmal mehr im Gedächtnis geblieben ist die seit Jahren erhaben dahinsegelnde und alterslose, bzw. auf hohem Reifeniveau gleichsam konservierte Cuvée Sensation 1997 von Vincent Couche, während Benoit Tarlant mit der Jahrgangsfortsetzung seiner Rebsortenreihe verdiente Punkte eingefahren hat.

Das Riedel Glas-Tasting auf der Prowein war viel weniger ergiebig. Maximilian Riedel servierte Champagne Roederer aus Schalen, die außerhalb der Film- und Vorstellungswelt von Raymond Louis Bacharach (a.k.a John Thompson) und der Konsumenten seiner Filme keine Daseinsberechtigung haben. Auch die völlig unnötigerweise und zu meinem großen Ärger immer noch produzierten Sektflöten boten keinen Erkenntnis- oder gar Genussgewinn. Klar war hingegen von vornherein, dass der Brut Premier aus dem innerhalb kurzer Zeit und völlig zu Recht etablierten Veritas-Glas gut schmecken würde und klar war auch, dass der Rosé aus dem Burgunderglas gut schmecken würde. Vertane Zeit war das am Ende trotzdem.  

Die Champagner-Lounge und und ihr Drumherum auf der Prowein gefiel mir dafür gut und umso besser, weil im nunmehr dritten Jahr endlich der Eindruck entstand, hier wüchsen die Champagnerproduzenten zusammen, was zumindest räumlich wirklich der Fall war. Vereinzelt sind sie immer noch in irgendeiner der immer mehr werdenden Hallen verstreut und erfordern Fußarbeit für den Besuch, aber der Zeitaufwand ist doch sehr geschrumpft, durch das Zusammengeknubbele. Claus Niebuhr lenkte mit Begeisterung und Verve meine Aufmerksamkeit geschickt auf Champagne Michel Mailliard aus Vertus, dessen Gamme mir gut gefiel und für dessen gereifte Bibliotheksweine ich mich demnächst vor Ort noch etwas stärker interessieren werde. Christian Holthausen, der nach längerem Ausflug in die englische Schaumweinproduktion wieder in die Champagne zurückgefunden hat, zeigte die neuesten, sehr verfolgenswerten Entwicklungen bei A.R. Lenoble, wobei mir besonders gut gefiel, dass es oberhalb der Cuvée Intense noch erheblichen Spielraum gibt, der zudem gut, wenngleich noch nicht voll, zB von der Cuvée Aventures, genutzt wird. Vazart-Coquart überzeugte mich noch einmal von den Stärken des Chardonnays aus Chouilly und werde bei den bevorstehenden Grands Jours in der Champagne weiter nachhaken. Antoine Roland-Billecart und Eric Calzolari von Billecart-Salmon erläuterten einige Einzelheiten zu den von ihnen mitgebrachten und oberhalb des Millésime sehr selektiv ausgeschenkten Champagnern. Auf den neuen 1999er Clos St. Hilaire weise ich nur deshalb hin, weil von ihm viel zu selten die Rede ist, dabei gehört er zu den allergrößten Champagnern überhaupt. Coteaux Champenois Freunde dürfen sich auf einen neuen Rouge auf 2013er Basis von Billecart freuen, der erst im Juli auf den Markt kommen wird, für Deutschland sind nur 480 Flaschen vorgesehen, wie ich erst jetzt erfahren habe. Bei Billecart spricht man vom größten Rotweinjahr aller Zeiten, wer die zurückhaltende Art dort kennt, weiß, was das bedeutet. Bei Pommery gab es ein freudiges Wiedersehen mit Thierry Gasco, der zu später Stunde jeden noch so bekloppten Selfiewunsch erfüllte und mit einer buddhistischen Gemütsruhe ertrug, die es ihm wahrscheinlich überhaupt erst ermöglicht, Champagner wie den Clos Pompadour oder die langsam an Fahrt aufnehmende Louise 2002 zu schaffen. Von Bollinger wird man im Mai mehr hören, da findet die offizielle Vorstellung der Grande Année 2005 statt, die in Rosé schon jetzt den Gaumen anspringt, in weiß dagegen noch ein Weilchen Ruhe oder ein großes Glas oder ein Bad in der Karaffe gebrauchen kann. 

Meine eigene Veranstaltung, die Champagne-Reise von Norden nach Süden will ich an dieser Stelle nicht noch einmal ausbreiten, die meisten, wenn nicht alle meiner Leser waren ja vor Ort und leiden wahrscheinlich noch heute unter der Heimsuchung durch Albträume in denen sie das Gehörte wieder und wieder erleben müssen. Nur so viel: für nächstes Jahr drohe ich eine Wiederholung in dieser oder ähnlicher Form an.  

Im Düsseldorfer Rheinturm gab es die, und damit meine ich DIE Chef-Veranstaltung der Caractères et Terroirs, in's Leben gerufen und seit der umjubelten Jungfernveranstaltung 2014 zu noch stattlicherer Größe gebracht von der schaffensfrohen Nicola Neumann. Champagne Dosnon (mittlerweile ohne Lepage) und Champagne R. Pouillon blieben in der Auswahl von an die hundert Champagnern und den Gewächsen der Familie Raumland dieses Mal besonders haften. Die anwesende Winzerschar hätte an dieser Stelle natürlich eine eingehendere Beschreibung verdient, nur leider: der positiven Eindrücke waren so viele, dass ich die Winzer lieber alle nochmal einzeln vorstelle, die meisten sehe ich nächste Woche ja sowieso wieder.

Was fiel sonst noch positiv auf? Champagne Soutiran ist weiterhin auf einem guten Weg, mit mehr Dynamik als in den letzten Jahren, bei gleichbleibend hoher Weingüte. Comte Dampierre hat mit dem Jahrgang 2002 einen schlanken, griffigen, sportlichen und leicht apfeligen Champagner vorgelegt, der momentan vom 2005er Family Reserve Blanc de Blancs übertroffen wird, ihn aber vermutlich in fünf bis sieben Jahren wieder eingeholt haben wird, um ihn dann nach kurzem Kampf hinter sich zu lassen. Aspasie hat 2007 einen guten Jahrgang erwischt, was keine Selbstverständlichkeit ist. Immerhin, Deutz, Roederer und Pierre Peters sind damit am Markt, der Trick ist aber: die Chardonnays kamen 2007 alle ganz gut durch das Jahr, einen Blanc de Blancs zu machen war also nicht so schwierig, wie einen Drittelmix oder einen von Meunier dominierten Champagner, wie er im Manretal üblich ist. Dafür ist der von Aspasie schön schlank und spritzig geworden, ohne schlimme Macken, ausgelatschte Breite oder wegen der am Ende doch beinahe überbordenden Ernte gegenteilig einer Verwässerung. Louise Brison hat mit der Cuvée Tendresse 2005 in einem unebenen und noch immer schwierig einzuschätzenden Jahr alles an Akazienhonig, feiner Säure und mittelgewichtiger Eleganz herausgeholt, was ging und dafür Lob verdient. Wieder und wieder empfehelenswert in allen Klassen ist Mouzon-Leroux, deren Champagner erwiesenermaßen zur guten Küche passt, den Beweis erbringt gern Billy Wagner in seinem neuen Restaurant nobelhart & schmutzig.

Weniger eine Frage der Neuerscheinung als eine Frage der sich langsam ankündigenden Trendumkehr ist die Nachricht, dass Perrier-Jouet eine Nuit Blanche auf den Markt wirft, die mit 20 g/l dosiert ist und sich damit in die Riege der gezielt hochdosierten Champagner vornehmlich der großen Häuser einreiht. Hervé Deschamps hat dabei vergleichsweise leichtes Spiel, weil er zu den Kellermeistern gehört, die mit einem geringen Reserveweinanteil von 15-18% arbeiten, wobei auch das bei den großen Häusern weiter verbreitet ist. Viele kleine und mittelgroße Produzenten packen hingegen bis zu 50% Reservewein in ihre jahrgangslosen Cuvées und geben ihr so von Grund auf ein völlig anderes Gepräge. 

Im nächsten Quartal geht es weiter mit den großen Verkostungstagen in der Champagne, die große Comtes de Champagne Probe steht an, das Dejeuner aux Huitres und einige weitere aufregende Veranstaltungen, über die ich dann wohl gesondert berichten werde.

Cumières: René Geoffroy vs. Philippe Martin

Cumières in der westlichen Grande Vallée de la Marne ist eine wahre Winzer-Wundertüte. Da gibt es Mikrowinzer mit Ausnahmewein zu Ausnahmepreisen, Winzernachwuchs mit naturgottheitlichen Champagnern und natürlich gibt es dort die alteingesessenen Winzerfamilien, die in neunter und zehnter Generation Wein anbauen. Einer dieser fast 900 Cumariots ist Jean-Baptiste von René Geoffroy, ein Liebling nicht nur der französischen Weinpresse und weltweiten Weinspürnasen, dessen Holzfassvinifikationen (meist ohne BSA) ich schon seit Jahren verfolge (trotz Verwirrungstaktik mit Häusern in Ay und Cumières), ohne daraus jedes mal ganz schlau geworden zu sein. Eine andere alte Familie ist mit ihren zwei sehr ansehnlichen Töchtern in der Rue du Bois des Jots zu Hause, parallel zur Hauptstraße in Cumières und aus westlicher Richtung kommend im direkten Anschluss an die Rue Henri Martin: Champagne Philippe Martin, deren Champagner ich noch nicht so lange kenne aber schon jetzt sehr mag. Beide Betriebe haben ihre ca. 10 Hektar Weinberge oder etwas mehr.

Philippe Martin Brut Zéro Millésime 2004, dég. Dez. 2014, voll, reif, walnussig, PN/CH voll ausbalanicert und gut, hier hat der Winzer alles richtig gemacht, was es richtig zu machen gibt. 2004 in Reinform und weder mit 25 EUR im Spezialangebot noch für 28 EUR regulär zu teuer, vielleicht von der französischen Weinkritik nicht verstanden, übersehen oder trotz letzthin leicht gestiegener Bepunktung falsch eingeschätzt und deshalb so moderat im Preis.

Philippe Martin Brut Millésime 2005 ist leider ein Champagner, bei dem nicht klar ist, warum es ihn gibt. Er wirkt, als sei dem Winzer nicht viel dazu eingefallen. Druck ist da, auch milder Akazienhonig ist da, lässt den Champagner aber unnötig angereift wirken. Sonst ist er sauber durchvinifiziert und schnörkellos gut, nur eben nichts besonderes.

René Geoffroy Extra Brut Millésime 2005, dég. 2014, pustet den 2005er von Philippe Martin um und weg. 53CH 30PN 17PM im Barrique vinifiziert, ist eine ganz genaue Vorstellung vom Jahrgang, optimal umgesetzt. Ertrag und Qualität der Jahrgänge 2005 bis 2007 waren in der Champagne nicht durchweg erfreulich, gerade im Norden waren sie sogar nur für ganz wenige wirklich erfreulich. Vollmundigkeit, Reife und Komplexität in den Wein hineinzubekommen war zwar kein Wagnis, aber ohne zündende Idee drohte Belanglosigkeit. Jean-Baptiste Geoffroy hat sich glänzend geschlagen, seine 6000 Flaschen von dem Jahrgang werden nicht lange auf Käufer warten müssen.

Philippe Martin Brut Speciale mit überwiegend PN/CH im Gleichgewicht und etwas (in den letzten Jahren immer weniger werdend) Meunier, alles aus Cumières und Hautvillers, der Reserveweinanteil der durchschnittlich 3 Jahre auf der Hefe liegenden Cuvée beträgt hohe 50%, dosiert wird mit 8 g/l. Mir gefiel die Cuvée Speciale nicht ganz so gut wie der 2004er Jahrgang aber immerhin besser als der 2005er von Martin; vor allem die Süße störte mich und schien mit einem medizinalen Bitterl zu hadern, aber normalerweise hätte ich die Cuvée Speciale auch zumindest vor dem 2004er trinken müssen, meine Schuld also, wenn der Eindruck jetzt verschoben ist. Für 17 EUR jedenfalls eine noch gute Leistung.

René Geoffroy Empreinte, PN/CH aus 2008, Vinifikation im Eichenfuder, mit 22,50 EUR ab Hof ein echter Schnapper, dessen vitale Säure noch jahrelangen Spass verspricht.

Philippe Martin Brut Réserve für 15,50 EUR, dürfte für Viele eine echte Überraschung im Glas sein. Das liegt am überraschenden Mix: Meunierdominanz aus Verneuil, Pinot Noir aus Cumières und Chardonnay aus dem Vitryat, über dessen Eigenheiten und Vorzüge ich selbst erst seit kurzer Zeit im Bilde bin. Eine Besonderheit dieses Chardonnays ist seine hohe, zuckerverschlingende Säure, die sich im Réserve bemerkbar macht und 10 g/l wie nichts wirken lässt. Der Champagner hat Brotteig, Hefe und Exotik vom Meunier, Quittengelee, Limone und brombeerige Weinigkeit steuern die beiden Nobelreben hinzu, das Ergebnis ist nicht besonders komplex, aber einladend und mit hohem glou-glou Faktor.

Philippe Martin Brut Blanc de Blancs für das gleiche Geld wie der 2005er zu haben (26 EUR), aber entschieden spasshafter, durch Holzfasspassage und eine viel niedrigere Zuckermenge (2 g/l) ist hier viel mehr Kontur, Schliff, Glanz und Gediegenheit wahrzunehmen, Außerdem wirkt der Champagner birnig, nur entfernt haselnussig und leicht, was gerade die mit Holz in Berührung gewesenen Gewächse und die mit langem Hefekontakt wegen ihres dort entwickelten Hangs zum Fetten nicht immer tun.

René Geoffroy Volupté 2007, 80CH 10PN 10PM, teils Fuder-, teils Stahltankvinifikation (45/55), ist wegen des Erntejahrs ein Wagnis gewesen, wenn man genauer reinschmeckt, kann man sich einbilden, die Schwächen zu merken. Hier sitzt nicht alles so stramm, einige oxidative Anklänge wirken wie Flugrost auf sonst makellosem Blech. Dem Namen des Champagners wird das trotzdem irgendwie gerecht, schmutzige, fleckengesprenkelte Wollust ist ja auch völlig ok.

Philippe Martin Brut Terre d'Antan, 100PN aus einer Parzelle in Cumières, 2009er Ernte, sechsmonatiger Fasspassage, mit 4 g/l dosiert. Für 30 EUR zu haben und damit wertgerecht bezahlt. Der Terre d'Antan ist keine Wuchtbrumme, sondern Pinot von der verästelten, komplexen Sorte, die einen unbedachten Holzeinsatz nicht verzeiht. Für Cumières, für gelungenen Winzerpinot ist dieser Champagner ein Glücksfall, ähnlich wie der 2004er in der Weinpresse noch nicht in Gänze angekommen.

Philippe Martin Brut Rosé de Saignée, ein PN/PM aus der 2012er Ernte, der gut 36 Stunden auf der Maische stand und danach im Eichenfass vinifiziert wurde. Das ergibt eine komplexe, dennoch leichte und weder in Sachen Röst-, noch Vanillearomen überfrachtete Mischung mit fragilen Blüten und akupunkturnadelgenauer Säure, mit Luft spielt sich ein wahrer Aromenwirbel ab und zeigt, dass von diesem Rosé noch einiges zu erwarten ist.

René Geoffroy Brut Rosé de Saignée, 100PN aus Cumières, 2012er Basis mit 2011er Reserve, Mazerationsrosé mit Fudervinifikation ohne BSA, erschien mir dieses Mal zum ersten Mal überhaupt nicht so steinicht, fruchtarm, abweisend und verschlossen oder alkoholisch, sondern sahnig, himbeerig, weich, schön und in sich ruhend, voller Selbstbewusstsein und ohne unnötiges Sendungsbewusstsein, in dieser Form dem Rosé von Philippe Martin um Haaresbreite vorzuziehen.

René Geoffroy Extra Brut Blanc de Rose auf Basis 2011 ist eine Rosé-Commaceration aus 50PN/CH von Weinbergen in Damery und Cumières, erstmals auf Basis der 2010er Ernte mit dem von Karine gestalteten Etikett vorgestellt. Gefiel mir da besser, als jetzt.

Als Abschluss gab es noch einen Stillwein von Geoffroy, den dritten dieser Art, den er je gemacht hat: 2009er Meunier, nachdem es zuvor nur die Jahrgänge 2004 und 2008 als Meunierstillweine bei Geoffroy gab (Pinot Noir wird hingegen regelmäßig als Coteaux Rouge vinifiziert). Für Champagnerverhältnisse winzige 5000 kg/ha Erntemenge ergaben nur 1900 Flaschen, die für 26 EUR/Fl. den Eigentümer wechseln. Wer die Schwarzrieslinge von Metzger, Steinmetz oder Schnaitmann kennt, sollte sich hiervon auch mal eine Flasche zulegen.

Avize: Lancelot-Goussard vs. Simon-Selosse

Das Duell der Doppelnamen. Mit den Namensträgern der beteiligten Familien sind ca. 40% der Ortsbevölkerung von Avize erfasst. Lancelot-Goussard aus der Rue Ernest Vallé, kurz bevor man das Lycée Viticole in der Ortsmitte erreicht, verfügt über knapp 5 Hektar mit überwiegend Chardonnay im benachbarten Cramant, sowie in Chouilly, Oiry und Epernay, in Mardeuil und Hautvillers steht Meunier und in Celles-sur-Ource der Pinot Noir. Nur wenige Meter weiter ist Simon-Selosse ansässig, der wegen des klingenden Namens zu (manchmal ganz gezielten) Verwechslungen einlädt. Philippe Simon herrscht seit 1990 über ebenfalls knapp 5 Hektar in Avize, Cramant, Oger, Mancy, Moussy und Vinay. Als Beaune-Absolvent und biodynamisch orientierter Winzer bekennt er sich zu einem weinigen Stil. Beide Erzeuger verkaufen ab Hof zu Preisen zwischen 16,50 für die einfachen und 22,50 EUR für ihre jeweiligen Spitzencuvées

Lancelot-Goussard Brut Réserve, Chardonnay aus Epernay, Chouilly, Oiry und Cramant, Basis 2012 mit Reserve aus 2011 ist ein üppiger Wein, der sich nicht auf Anhieb als Blanc de Blancs zu erkennen gibt und mit viel Nuss punktet, mit für mich zu hoher Dosage aber auch wieder Punkte verliert. Als Einsteigerchardonnay geht er in Ordnung.

Simon-Selosse Cuvée Extra Brut hält mit viel Apfel dagegen und wirkt für einen Extra Brut ebenfalls sehr hoch dosiert. Beim Simon-Selosse Cuvée Traditionelle ändert sich daran nichts zum besseren, der Champagner wirkt lediglich grober, was an sich nicht schlecht ist, für erfahrene Trinker aber auch keinen besonderen Reiz bedeutet. 

Lancelot-Goussard Cuvée Speciale Blanc de Blancs de Cramant 2006, alte Reben (35-50 Jahre heißt es auf der Website, 60-70 Jahre im flyer), der Champagner erinnert mit wenig bis nichts an die typischen und bekannteren unter den Chardonnays aus Cramant. Dafür ist er zu einseitig nussig, mir auch zu phenolisch, die vibrierende Mitte fehlt.

Simon-Selosse Cuvée Premiers Saveurs non dosé, ist demegegenüber deutlich besser geraten, sehr sauber, sehr definiert, nicht mehr so dicklich wie der Einsteiger und mit einer klaren Vorstellung davon, wo seine Grenzen sind. Ehrlicher, weiniger Champagner ohne großes Drumherum und vielleicht ja die Keimzelle für Größeres.

Lancelot-Goussard Brio 2004, 40PN aus Celles-sur-Ource, 60CH aus Chouilly, praktisch dosagelos, mit der beim Cramantchardonnay noch vermissten Mitte, hier wirklich mit Ausdruck, Konzentration und Tiefe gespielt. Der Champagner wirkt außerdem leichter, nicht um den Erfolg bemüht und daher sympathisch. Leicht, immer noch etwas zu süß für mich, aber mit gegensteuernder feiner Schlussherbe. 

Simon-Selosse Cuvée Prestige Brut ist tropfend saftig, ausgewogen und mit 8 g/l immer noch einen Ticken zu hoch dosiert, um mich dauerhaft einzufangen. Eine bierhefige Note zum Schluss stört mich, zerstört aber nicht den positiven Gesamteindruck.

Lancelot-Goussard Rosé Tradition Saint-Jean, Saignéemethode, 100PN aus Celles-sur-Ource. Essensbegleiterchampagner, der durch seine kräftige Pinotnote und den alkoholischen touch allein wenig Spaß macht, dafür umso besser zu Eintöpfen aller Art, zu Pâté und Wurst passt.

Champagner im Jahrgangsvergleich

Jahr für Jahr überlege ich, der Prowein im nächsten Jahr fernzubleiben. Zu viel Rummel, zu viele Termine, die sich doch alle nicht einhalten lassen, zu anstrengend usw. Dann wieder denke ich daran, wen ich da doch alles wieder treffe, wie schön die Vorabend- und flankierenden Veranstaltungen sind und dass allein die Champagnerprobe von Sascha Speicher jedes Mal den Besuch vollauf verlohnt. So war es auch dieses Jahr wieder.

Jetzt genau ist es an der Zeit, einen Blick auf die großen (bereits veröffentlichten) Jahrgänge der letzten 15 Jahre zu werfen. Welche das sind, weiß jeder, der sich mehr als nur am Rande für Champagner interessiert: 2002, 2004, 2008.    

Bei meinem letzten Besuch im Hause Deutz habe ich mich vorwiegend an die mit und seit dem 1961er Jahrgang etablierte Cuvée William Deutz gehalten. Die Amour de Deutz dagegen habe ich seit ihrer ersten Marktfreigabe immer nur sporadisch probiert und weil es sich um den nicht ganz so famosen 1993er handelte, hernach leider nicht mit genügendem Ernst betrachtet. Als weiterer Grund dafür mag herhalten, dass Amour de Deutz aus der Moderebsorte der 90er gemacht wird: Chardonnay, aus Avize und Mesnil-sur-Oger. Der 2002 nun ist ein erwachsener Champagner, der das Jahr gut verkörpert. Zwar ist er ungewohnt massig, nussig und süss; dafür hat er als Gegengewicht viel gelbe Frucht, wirkt ausgeowgen rund, weich und reif. Interessante Notiz am Rande: Deutz hat sich entschieden, die als Blanc de Blancs aufgelegte Cuvée künftig in weiß und rosé herauszubringen und den William Rosé aus 100PN dafür zu streichen.

Pol-Roger ist bekannt für seine getreue Abbildung der Jahrgangseigenschaften. Deshalb darf der Millésime 2002 in einer kleinen Jahrgangsübersicht nicht fehlen. Nach dem Amour hat er es natürlich schwer. Dennoch gibt er sein bestes und zeigt sich kernig, bei – leider, muss ich sagen, denn diese hohe Süße bei Pol-Roger ist mir mehr und mehr lästig, selbst wenn sie sich dereinst als das Geheimnis für die unheimliche Lagerfähigkeit der Champagner entpuppen sollte – ähnlich hoher Süße wie Deutzens Amour, deren Niveau er im übrigen nicht erreicht. Für einen 2002er ist der Pol-Roger noch sehr speckig und bei weitem nicht fertig im Sinne von so weit herausgeschält aus dem schützenden Speckmantel, dass man von Konturiertheit sprechen könnte. Also: lieber weiter liegen lassen.

Pommery Louise 2002 habe ich zusammen mit 1998 und 1999 mittlerweile schon in einer kleinen einstelligen Prozentzahl der Gesamtproduktion zu mir genommen und sehe im Moment den 199er als den schönsten Louisejahrgang an. Das war nicht immer so, die späten 90er sind mir vielmehr nur als hässliche Entlein erinnerlich, die sich im Kellerdunkel zu den Schwänen der Jetztzeit entwickelten. Beim 2002er ist das anders, da ist nichts hässlich, sondern schon jetzt alles schön, nur zerbrechlich, durchsichtig, milchig und beinahe wie hilfebedürftig, wenn da nicht neben der ganz aparten, unoxidativen Milchschokolade, auch kräftige, erstaunlich willensstarke Anklänge wären, die dem Champagner etwas von einer Ballettelevin geben; Röstnoten und Nougat, die auf Autolyse zurückzuführen sein mögen und nicht, wie oft vermutet wird auf hölzernen Einfluss, sprechen von den ersten Reiferegungen und beginnender Pubertät.

Schwenk zum 2004er, der in der Wertschätzung ein hartes Match mit dem 2002er liefert. Zunächst das Pendant zum Pol-Roger, ein "einfacher" Jahrgangschampagner, also vor allem eine möglichst klare Umschreibung der Haupteigenschaften des Jahrgangs. Lanson Gold Millésime 2004, sehr jung, sehr erfrischend und sehr fröhlich.  Typisch war die BSA-freie Säure, eine ernste Komponente gab der fein gerbende Mundeindruck hinzu. Das sehr reichhaltige und bei Unachtsamkeit schnell aromatisch verschwommene Jahr wurde von Lanson gerade wegen des dort üblichen Verzichts auf BSA sehr scharf gezeichnet und wird noch viele Jahre liegen können.

Ein großer und eleganter Klassiker ist Dom Pérignons 2002er und mehr sogar noch der 2004er, den ich gern mal neben einer Louise 2004 trinken will. Denn trinklustig ist er, der alte Mönch, voller Silex, Toast, Vanille, Jod und einer gesunden Menge Seetang, was besonders in den 90ern und bis einschließlich 2000 für mich mal Überhand genommen hatte, mittlerweile aber kontrollierter Verwendung findet.

Einen Anschluss und Richtungswechsel gab es mit Taittingers Comtes de Champagne 2004, auch dieser röstig, hefig, zitronig, apfelig, leicht und sogar mit etwas innewohnender Kühle, die mir sehr gut gefiel und auf die es in den nächsten Jahren zu achten gilt. Wenn sie bleibt, ist das ein Kandidat für die Ewigkeit. 

Danach konnte nur noch ein schwergewichtiger Schlusspunkt kommen. Für diese Aufgabe empfiehlt sich stets Nicolas Feuillatte Palmes d'Or 2004, dessen Stoff und Überfuelle in ein barockes Herzogtum passen, wobei man nicht vergessen darf, mit welcher Leichtigkeit und Agilität manche massigen Typen sich doch bewegen können. So ist es immer wieder beim Palmes d'Or. Erst denke ich immer, das ist ja ganz nett aber mir dann doch zu sättigend. Und dann stelt sich trotz aller Trinkbemühungen doch kein Sättigungsgefühl ein, sondern die Flasche ist leer und notgedrungen mache ich, um den Beweis zu erzwingen, noch eine zweite Flasche auf, die noch immer nicht zum gewünschten Resultat führt. Verrückt.

Der Schlussjahrgang lässt sich noch nicht mit Prestigevuvées bestreiten, die schlummern alle noch. Selbst Scnellschießer wie Roederer oder Perrier-Jouet sind noch nicht in diesem Jahr angekommen. Aber Louis Roederer hat immerhin schon den Millésime 2008 rausgebracht, und zeigt damit vor allem, dass das mit dem oxidativen Ausbau der Grundweine hier sehr gut klapp, vor allem steht die dadurch erzielte stabile Art der für den Jahrgang typischen, recht hohen, aber pikanten Säure. 2008 darf man sich schon jetzt alsden keckeren Jahrgang im Vergleich mit 1996 merken, wobei er sonst ein dem 88er ähnliches Profil aufweist, nicht ganz so ausgereift vielleicht, daher angenehm gerbend und keinesfalls mager.

Dann ging die Agraparty los. Agrapart, Avizoise 2008, war mit beiden Händen in den Buttertopf, bzw. Sahneeimer gelangt, ich fühlte mich an laktierende Muttis aus Babynahrungswerbespots erinnert, hatte Hefe in der Nase, spürte Durchhaltevermögen, Zug und sorgenfreie Leichtigkeit.

Das Muttifeeling wurde dann noch gesteigert durch Paul Bara Special Club Rosé 2008, ein Bouzy so warm und mächtig, dass man sich sofort geborgen fühlt. Dass dahinter mehr steckt, machte der Champagner schnell klar. Prägnante Säure, kaum ein rötlicher Charakter, wie man ihn sonst gern mal bei den Winzerrosés aus Bouzy, Ambonnay und Umgebung findet. Dafür fordernd wie ein Inkassobüro, geschwind, feinbeerig, kaum störende oder bremsende Nuss, erst gegen Ende leicht erdbeerig und ganz am Ende für einen kurzen Moment ausladend süss.