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Category Archives: Hotels und Restaurants im Test: Reingespitzt bei …

Manche sagen: die Königsdisziplin. Notizen von verschiedenen (Champagner-)Menus. Nicht immer nur gute, gelungene und positiv superlativische Kombinationen werden hier veröffentlicht, sondern authentische Champagner-, Schaum-, Stillwein- und Speiseerfahrungen.

Wein & Genuss mit Tesdorpf und Pommery im Louis C. Jacob (**/17)

Das Jacobs Restaurant  im Hotel Louis C. Jacob ist die gute Stube der Othmarscher und Blankeneser Villenbevölkerung, vielleicht auch der 21 fleißigen Richter vom unweit gelegenen internationalen Seegerichtshof mit seinen etwas mehr als 20 Fällen, die er seit seiner Gründung im Jahr 1996 zu verhandeln hatte. Zeit genug, um in den zwangsläufig langen Pausen zwischen den Verhandlungen Leib und Seele mit guten Speisen und adäquatem Trank beisammen zu halten. Sollte sich die Richterschaft mit der Entscheidungsfindung schwertun, gebräche es im Jacob an beratenden Sommeliersfähigkeiten sicher nicht, war doch mit Lidwina Weh eine ausgewachsene Champagnerbotschafterin hier tätig und unter Markus Berlinghof hat die Champagnerauswahl an traumwandlerischer Griffsicherheit nicht nachgelassen, zudem sind die Preise erträglich. Gerade mal erträglich ist der Wellnessbereich. Buchstäblich unterirdisch ist er über den die Hoteltrakte verbindenden Tunnel – zB nach quälend langsamer Aufzugsfahrt im länger nicht überholten Hausaufzug, Baujahr 1995 – oder nach Straßenüberquerung zu erreichen. Dieser Wellnessbereich  besteht eigentlich nur aus einer größeren Sprudelbadewanne, nebst kleiner Sauna, Minisolarium und Massagemöglichkeiten. Für ein Leading Hotel of the World ist das zu wenig wellness leadership. Dafür kocht in Hamburg nur noch der ebenfalls doppelbesternte Christoph Rüffer vom Haerlin und der Michelin-Einsterner Wahabi Nouri genauso gut oder besser als Thomas Martin, so die Kurzauswertung der aktuellen Restaurantführer. Viel interessanter und wichtiger als die Meinung Dritter ist mir aber in Genussfragen meine eigene Meinung. Die konnte ich mir im Zusammenspiel mit den Champagnern von Pommery bilden. Und muss gleich vorweg schicken, dass die in letzter Minute finalisierte Reihung der Pommery-Champagner doppelt und dreifach klug von Pommery-Kellermeister Thierry Gasco war.

 

Opener: Hechtkaviar auf Kartoffelpurée und Crisp

dazu: Pommery Brut Royal en Magnum

Zum bedenkenlosen wegnaschen waren die pralinégroßen Puréekugeln zu gross, selbst wenn ich mir noch hätte vorstellen können, den vom goldenen Hechtkaviar gekrönten Speisebrei mit dem großzügig ausgeschenkten Champagner  in den Bauch hinab zu spedieren. Doch steigt bei sowas immer die Gefahr, schon gleich am Anfang die Kontrolle und Übersicht zu verlieren. Das scheint Thierry Gasco geahnt zu haben und eröffnete das Menu mit einem Paukenschlag.

 

I. Eismeerforelle mit Pak-Choi, Papaya und Koriander

dazu: Pommery Les Clos Pompadour en Magnum

Oft und viel zu oft erlebe ich es, dass die wichtigsten Weine eines Abends dermaßen spät serviert werden, dass eine wirkliche Wertschätzung gar nicht mehr möglich ist. Zu sattgegessen und sattgetrunken sind die Kämpen eines Mahls dann oft, haben sich ein ums andere Mal schon nachschenken lassen und kämpfen so sehr mit Atemnot, Völlegefühl und Speiseresten in den Zahnzwischenräumen, dass für den vermeintlichen Königsflight kaum noch Kapazität da ist, gustatorisch, ventral und  intellektuell. Nicht so hier. Der Champagnerriese kredenzt seinen Champagnerriesen zu Beginn und eigentlich müsste man im Anschluss das Gefühl haben: das war’s jetzt kann ich ja gehen. Aber Meister Gasco, dessen Nachname sich vielleicht aus gutem Grund auf meinen Nachnamen reimt, macht es anders und viel geschickter. Der Reihe nach: wir hatten also alle diesen völlig wahnsinnigen Champagner im Glas, ein Mix aus 2002 und 2003, 75% Chardonnay, 20% Pinot Noir und, aufgemerkt,  5% Pinot Meunier. Ist der Meunieranteil nun Kampfansage, Provokation, Kellermeisterhybris, zwingende Notwendigkeit? Und was ist mit dem 2003er Jahrgangsanteil? Eine Ultraprestigecuvée im Multi-Vintage Verfahren? Wo gibt’s denn sowas? Fragen über Fragen türmen sich da unter der Schädeldecke auf und wollen von der Zunge katapultiert werden. Nur, nichts davon klappt. Der hypnotische Clos Pompadour lähmt Zunge und Fragewunsch gleichermaßen. So volumig, dicht und schwer wie die Röcke der Anna Bronski in der Blechtrommel senkt sich der Champagner nieder und bereitet den feinen Perlchen jede erdenkliche Mühe, sich an die sauerstoffhaltige Oberfläche durchzustoßen. Geschmacklich eine Essenz von Passionsfrucht und wenn Anna Bronski für eine halbe Stunde seufzt, verzückt ihre Augen verdreht und beim Herunterbeten der kaschubischen Heiligen ihre Feuerkartoffeln zu essen beinahe völlig vergisst, dann ist diese literaturnobelpreisfähige Szene eine schöne Illustration für das Vergnügen, das ich mit diesem exquisiten Startergang hatte.

 

II. Samtsuppe von weißen Zwiebeln mit Austernpilzen und Artischocke

dazu: Pommery Apanage Rosé en Magnum

Was macht man, wenn man einen Champagner wie den Clos Pompadour im Glas hatte, das Menu aber gerade erst begonnen hat? Man bedient sich eines schlauen Kniffs. Denn man weiß, dass die nachfolgenden Champagner es im direkten Vergleich unglaublich schwer haben werden. Deshalb eröffnet man im würdigen Gefolge der großen Strategen von Sun-Tzu bis Clausewitz und Rühle von Lilienstern einen neuen Schauplatz. Das geht mit der Zwiebelsuppe aus der Küche von Thomas Martin besonders gut, wenn man den  bekanntermaßen immer sehr hell gefärbten Rosé von Pommery (Stichwort: zwiebelschalenfarben) dazu kombiniert und alle Sinne auf das erstaunliche Phänomen lenkt, wie die Zwiebelsuppe es schafft so viele reife rote Früchte aus dem Champagner herauszuzaubern. Das schafft die Suppe nämlich wirklich und mit diesem ersten Kunstgriff ist der Bann des Clos Pompadour zwar noch nicht gebrochen, aber die Aufmerksamkeit und Spannung erhalten geblieben für das, was folgt.  

 

III. Geangelter Dorsch Finkenwerder Art mit Petersilienpurée, Kalamansi und knusprigem Schweinebauch

dazu: Pommery Grand Cru Mill. 1996 en Magnum, dég. Sommer 2013

Was passt besser zu einem reifen 96er, als krosser Schweinebauch, Speck und Zitrusfrüchte? Ich kann es nicht sagen. Die präzise, jedoch nicht schneidende Säure des Champagners, die herbe Zitrusfruchtigkeit der Kalamansi, Fett, Speck, Röstnoten und der feine, für meinen Geschmack etwas zu feine, nicht genügend Aromendruck erzeugende und dadurch leicht degradierte Fisch, ergaben einen schönen Ringelpiez. Das war außerdem der zweite Kunstgriff, nachdem Clos Pompadour und Rosé schon so früh von der Leine gelassen worden waren. Kurz vor dem Scheitelpunkt des Menus war der 96er mit seiner berühmten Säure und hier unter Beweis gestellten Langlebigkeit (Carl Johann Tesdorpf konnte das erst gar nicht fassen, hielt er doch den Jahrgang für ein rechtes Sorgenkind) ein beinahe körperlich wachrüttelnder Anschub und Schutz vor vielleicht schon einsetzender erster Müdigkeit oder beginnender Weinseligkeit.

 

IV. Holsteiner Rehrücken mit Wacholderrahmsauce, Hokkaidokürbis und Sellerie

dazu: Pommery Cuvée Louise 2002

Den Höhepunkt unter den Speisen bildete dann ein traumhaft zartes Reh von so köstlicher, kurzfaseriger Zartheit und Aromatik, dass ich ernstliche Zweifel bekam, ob Helmut Thieltges mit seinem maßstabsetzenden Eifeler Reh das Gebotene wirklich noch übersteigen könnte. Völlig adäquat kam die frische 2002er Louise dazu ins Glas und machte deutlich, dass sie nicht nur ein weiches, feines Getränkchen für Frauen mit schwachen Nerven ist, sondern exakt und ausdrücklich mit den anspruchsvollen Aromen eines Rehrückens so herzlich vertraut und unbeschwert agieren kann, wie miteinander befreundete Kinder. Das heißt auch, dass es nicht ganz ohne Spannungen geht, aber das heißt vor allem, dass die Kombination eine unschuldige Natürlichkeit vermittelt, die manchen Speisen-/Weinkombinationen verloren gegangen ist.

 

V. Passionsfrucht, Mango, Kokos

dazu: Pommery Wintertime

Zum Schluss tat sich der kräftige Pinot-Geselle  – mit beachtlichen 25% Meunier – aus der Jahreszeitenserie von Pommery etwas schwer mit der sehr behende bis bedrückend stark aufspielenden Frucht-Kokos-Mischung. Der schon recht hoch dosierte Champagner mit seiner meunierbasierten Exotik, dem kräftig-weinigen Grand-Cru-Gerüst seiner Pinot Noirs und von getreuer Säure angetrieben, sehnte sich förmlich nach einem zu Hilfe eilenden Altchampagner oder einem ausgewachsenen Süßwein, doch war die Schlacht zu dieser Zeit sowieso bereits geschlagen. 

Reingespitzt: Mittagstisch „Da Gianni“ (*/17), Mannheim

Nach dem Sozialgerichtstermin in Mannheim geht man aus dem unscheinbaren, schmalbrüstigen Haus zwischen Fussgängerzone und Fressgass hinaus und fragt sich, wo es mittags mehr gibt, als die allgegenwärtigen Industriebäckereisnacks. In Mannheim ist der erste Gedanke natürlich Amador. Aber mittags? Eher nicht. Also auf zum nahegelegenen Sterneitaliener „da Gianni“, der in der Küche gar kein Italiener ist, denn bis vor ziemlich exakt zwei Jahren stand dort Harald Wohlfahrts Vorgänger in der Traube, Wolfgang Staudenmaier und seither ist es sein damaliger Souschef Thorsten Wittmann.

Die Weinkarte ist nicht riesig, aber die Namen darin sind es sehr wohl, die Preise wiederum sind es nicht. An glasweisem Sprudel gibt es nur eine kleine Auswahl, den Roederer für 14,50 €/Glas oder den Ferrari Perlé 2006 aus der Magnum, sboccatura 2013, für 12,00 €; also her damit, flott serviert vom charmant wie polyglott parlierenden Gastgeber und Gründersohn Paolo Julita.

Dann die Entscheidung für’s Menu, vier oder fünf Gänge für 84 oder 95 EUR. Für mich einfach, denn auf das Dessert verzichte ich im Zweifel.

Nach einem mittelmäßig beeindruckenden Amuse kommt die sehr schaumige Karottenschaumsuppe und ist mit ca. sechs vollen Löffeln weggelöffelt. Weiter also. Thunfischcarpaccio. Kühl und fad war das, das gleich in zwei Klecksen auf den Teller gesetzte Tatar fand ich antriebsschwach und lahm gewürzt, kurz gebraten auf Tomatenwürfeln war der Fisch dann so herrlich, wie ein so formidables wie bedrohtes Produkt sein soll, vor allem mit dem Spumante ergab sich ein sinnenfroher Reigen von Röstnoten. Es folgte feinster Rochen mit gerade noch bissfestem Grillgemüse, die bei Gianni schon seit Jahren verwendete Kapernmarinade und Spumanteschaum, der indes kaum nach Spumante und dafür sehr nach Butter- oder Sahneschaum schmeckte. Mir war das  ausserdem zu wenig Kaper, Zitrone und Salz hätten hier gutgetan. Die Tagliolini mit Ochsenschwanz waren frisch sehr kräuterduftig und sie brachten behagliches Italienfeeling mit, der sparsam beigegebene Ochs hätte dafür etwas weicher und würziger sein dürfen; ohne den wackeren Ferrari wäre der Gang kaum der Rede wert gewesen. Nun der Rehrücken mit kräftiger und daher von mir sehr geschätzter Sauce, leider war es zu wenig für meinen Geschmack und leider habe ich aus Zeitgründen nicht nach mehr gefragt. Die grünen Linsen zum Reh fand ich gut, bis in den Kern hinein gar, nicht mehlig, nicht verkocht, apart würzig und damit gleichbedeutend mit: für mich zu behutsam gewürzt. Das gute Rehfleisch war indifferent gegart und hat zum Schluss wohl zu viel Hitze abbekommen, was den Rand und den Kern unschön verschwimmen ließ.

Fazit:

Für einen Mittagstisch mit vier Gängen ist mir das Lokal zu teuer, das geht zB im Mainzer Favorite oder im immer wieder empfehlenswerten Grand Cerf (natürlich in der Champagne) besser und günstiger. 

Champagner Masterclass mit reifen Prestigecuvées in der Villa Hammerschmiede (*/17)

In der Villa Hammerschmiede, wo seit 1. September mit dem jungen Leonhard Bader ein Mann am Herd von Vorgänger Sebastian Prüssmann steht, der sich Meriten im Adlon und auf dem Süllberg erworben hat; logisch, dass die Villa Hammerschmiede mit ihren unerwartet günstigen Preisen und dem weithin unerreichten Gebäudecharme, ganz zu schweigen vom umsichtigen, freundlichen und flotten Team, als location für eine Prestigeprobe herhalten musste, die als Masterclass dem Thema Reife verschrieben war. 

Wilhelmshof Patina 2004 hatte kusperkaramelligen Schmelz und eine zwischen Quitten, Hagebutten und Äpfeln changierende Frucht. Wirkte bei aller vollmundigen Reife frisch und stark, was am späten Dégorgement liegen wird.

Königsberger Klops mit Garnele, Erbspuree und rotem Pülverchen; dazu de Venoge Louis XV. Millésime 1995 mit Phenol, war recht ölig und hätte um ein Haar dicklich gewirkt, wäre da nicht eine  packende Säure für 95, die auch sehr gut zu Endivie oder Birnenkimchi gepasst hätte.

Nicolas Feuillatte Palmes d'Or 1995, fifty-fifty Mix, vom Chardonnay stammen 20% aus Montgueux, der Champagner wirkt deshalb dicklicher, holziger, ja insgesamt eben montgueuxiger, als normale 50/50 Cuvées, die mehr auf Balance getrimmt sind, eine krachende Stangensellerie mit Ziegenfrischkäse würde dazu schon reichen. Der Unterschied zum Cuvéevorgänger Cuvée Speciale ist neben dem Zuwachs aus Montgueux im Übrigen der Verzicht auf Pinot Meunier.

Terrine von geräuchertem Bodensee-Aal und Foie Gras, dazu Pfefferkaramell und Butterbrioche vermengt, seltsam gut schmeckte das. Dazu gab es Bruno Paillard Nec Plus Ultra 1990, der wäre besser gewesen, wenn  er zu Aal und Foie Gras getrennt hätte wirken können, er kam mir aber sowieso etwas schwächer vor, als noch vor wenigen Wochen bei Helmut Thieltges in Dreis.

Coquilles St. Jacques, dicke Bohnenkerne, Meeresbohnen und Yuzu Beurre Blanc; Charles Heidsieck Champagne Charlie 1979 und damit: Achtung grosser, grosser Stoff. Kaffee, Toffee, Röstnoten, unfassbar frische Säure und für mich einer der Champagner des Jahres 2013. Eng gefolgt vom sahnigen Taittinger Comtes de Champagne 1983, der Milchschoki und Kautschuk auffuhr, was super zur Muschel und zur gigantisch guten Yuzubutter passte. Anders war der Taittinger Comtes de Champagne 1990. Weich, ultraeingaengig, 90er pur, mit etwas verführerischem Bouquet Garni, am rande wohl auch etwas Liebstöckel, abgerundet mit einem Schuss Apfelsaft. Geangelter Steinbutt aus der Bretagne, gegrillter Chicorée, Quinoa, gesäuerte Emulsion aus Kapern und Kalbsjus; perfekt dazu gab es mit dem sehr raren, weil allüberall ausgetrunkenen Taittinger Comtes de Champagne 1994 einen Champagner, der sich im Himmel dazu gepaart hat; leicht röstig, schwebte mit feiner Zitrusnote hinein ins Mahl, ein Zitrusdüftchen, das zum Steinbutt fabelhaft aufblühte, nachher kam noch etwas ältlicher Stöckel, der mich aber nicht störte, sondern zu Kaper und Kalbsjus sogar trefflich passte.

Limousin Lammrücken, Sellerie, eingelegte Birne, Bratensaft und Beurre demi-sel, dazu Leon Barral Jadis 2008, toll zum Jus, schicke Syrahpflaume und sexy Säure; Laurent-Perrier Grand Siècle Multi Vintage mit altem Label war noch superer zum Fleisch. Reif und leicht schlapp schon als Solowein, tiptop dagegen als Begleiter, wobei sich der letzte Rest Säure noch mobiliserte. Zum Sellerie waren beide Weine sehr gut.

Nicolas Feuillatte Special Cuvée 1987 en magnum hatte Phenol und Pilze, Akazien und Kastanienhonig, war sehr frisch, mit dem immer wieder staunenswerte Magnumfrischeeffekt in Reinform. Zusammen mit dem 94er Comtes war das wegen der geringen Jahrgangserwartung einer der beiden großen Überrascher des Abends. Nicolas Feuillatte Cuvée 225 Millésime 1997 war mit seinem feinen Barrique, danften Reduktionsnoten und dem nicht mehr ganz so cognacigen Aroma wie beim Marktstart ein starker Wein, der aber geradezu plump nach dem 87er Special Cuvée wirkte – und das obwohl ich den 225 immer als einen der eleganten Holzfasschampagner, zumal als einen der ersten offensiv von einem großen Erzeuger so kommunizierten Champagner, empfunden hatte.

Ein schlimmes Gastspiel hatte der SAV Birnenschaumschwein (Schweden) 2008, dessen Mischung aus Käsefuss und Physalis beim besten Willen keine Trinkfreude aufkommen ließ.

Dom Pérignon 1990, mein erster und bis heute in guter Form ganz weit oben angesiedelter Prestigechampagner war reif aber nicht auf der Höhe, die ihm eigentlich zusteht. Eine ganz andere Geschichte hatte dann der Dom Pérignon 1953 zu erzählen. Zwischen Gezehrtheit, Kork und Reduktion schwankte der Chapagner und zeigte nur sehr wenig Biss. Überhaupt kein Kaffee, kein Toast, kein Champignon, das war schade; interessant dagegen fand ich, dass auch jegliche Sherry-, Portwein- oder sonstige Nuss- oder Rancionote fehlte. Am Ende war das aber zu wenig für richtigen Trinkspaß, wenngleich die Ahnung von verblasster Eleganz noch immer zu beeindrucken wusste.

Geeister Montélimar Nougat, Kaffeecrème Cassisragout riefen nach einem Banyuls oder aufgespritetem Zeugs. Doch wurde es nichts davon, sondern ein libellen-, nein kolibrihaft flatternder, Ardensig Wild Yeast Viogner (Südafrika) 2012, arge Säure und schwirrender Singsang, als würde man von tausenden Pfeilen beschossen. Wildes Zeug, nicht so wahnsinnig gut zum behäbigen Dessert, aber ein faszinierender Wein. Danach wirkte der nusssahnige Stoff von Michel Turgy, Brut 2005, zahm und lindernd. Ganz versöhnt wurde der Gaumen dann vom sagenhaften Forstmeister Zilliken Saarburger Rausch Riesling Auslese 1993, dessen Frische, Spiel und Mühelosigkeit fast schon unanständig aufreizend wirkten.

Fazit: Ein herrlicher Abend mit dem neuen Küchenchef der Villa Hammerschmiede. Das Essen dort ist weiterhin sternewürdig, kann aber eine Straffung der Handschrift vertragen. Aal und Foie Gras waren nicht verkehrt, item das Dessert, aber mehr Pfiff, weniger Pampe hätte ich mir da schon gewünscht, speziell natürlich zum Champagner, der damit locker umgehen kann – obwohl natürlich die gemächliche Ausgestaltung des Menus eine ebenso gut vertretbare Lösung darstellt.

 

 

Riedel ./. Zalto II/II – Masterclass in Helmut Thieltges’ Waldhotel Sonnora (***/19,5), Dreis

Ich kenne kein Glas, das leichter, standfester, eleganter und für den Einsatz als Champagnerglas trotz seiner anderen Zweckbestimmung besser geeignet ist, als das Süßweinglas von Zalto. Das klingt nach einem mutigen statement. Ist es das auch? Nein. Denn Glashersteller und vor allem die hochpreisigen Manufakturen machen sich Gedanken über den Zweck, den ihr jeweiliges Produkt erfüllen soll. Ein Champagnerglas von gleich welcher Manufaktur ist deshalb mutwillig genau so konzipiert, wie man es im Fachhandel kaufen kann. Weshalb also abweichen und ein Glas wählen, das der Hersteller für ganz andere Zwecke vorgesehen hatte? Na, weil sich Glasformen ähneln können zum Beispiel, und weil sich die Champagnerglasform nicht eindeutig auf die verbreitete Tulpe oder Flöte festlegen lässt. Im Gegenteil, immer wieder tauchen Schalen oder andere gestauchte Formen auf, im Moment ist der gedrungene Kelch am Zug. Der ähnelt denjenigen Gläsern, die von den Glasmanufakturen unserer Zeit vielfach für Sauternes oder sonstige Süßweine vorgesehen werden. Champagner in seiner heutigen Form (also mit einem Zuckergehalt meist schon unter 10 g/l) hat, so sollte man meinen, ganz andere Anforderungen an die Gläser, aus denen er getrunken werden will, als große Süßweine – oder täuscht das?

Ich meine, das täuscht. Champagner ist sehr vielgestaltig. Im 19. Jahrhundert kam er sehr süß, mit deutlich über 100 g/l Dosagezucker ins Glas, in der Schale verlor und verliert er naturgesetzlich schnell einen Großteil seiner Kohlensäure und offenbart seinen weinigen Kern, in den hochgeschlossenen Gefäßen tritt er ebenso verhüllt und nicht selten sogar völlig ausdruckslos auf. Was ihm immer schmeichelt, ist ein dünnwandiges, elegantes Glas mit ungehindertem Trinkfluss am Glasrand. Besonders wichtig ist die Ausprägung der Duftzone über der Flüssigkeitsoberfläche. Werden die Aromen von der aufsteigenden Kohlensäure blindlings herausgeschleudert, gehen sie im allgemeinen Umgebungsluftgemisch völlig unter oder können sie sich nasenfreundlich sammeln, werden sie von einer kanalisierenden Glaswand in Richtung Eintauchzone der Nase gebündelt und dort feilgehalten? Das letztere findet mit bemerkenswerter Effizienz und Kompaktheit bei den Süßweingläsern von Zalto statt, wenn man Champagner daraus trinkt. Sicher funktioniert dieses Glas nicht mit jedem Champagner gleichgut, aber nach meiner bisherigen Erfahrung funktioniert es mit mehr unterschiedlichen Chanpagnern besser, als bei den üblichen Flöten, mögen sie auch noch so schön bauchig geschwungen sein. Dieser Umstand hat das Zalto Süßweinglas für mich zu einer Referenz werde lassen, an der andere sich messen lassen müssen und die ich nachdrücklich empfehle. Doch darf man über solchen Glücksfällen und Zufallserrungenschaften nicht seinen Blick auf den Glaseinsatz schlechthin vergessen.

Ich habe mich deshalb entschieden, bei Zalto weiter zu forschen. Ich wollte herausfinden, ob die Bereiche, in denen das Süßweinglas Unzulänglichkeiten zeigt, von anderen Gläsern kompensiert werden können. Und ich wollte wissen, ob Platzhirsch Riedel Vergleichbares anzubieten hat. Darüber hatte ich erst kürzlich berichtet. Meine Erfahrungen mit den Zalto-Gläsern fügen sich in genau diesen Kontext ein, denn auch für ihre Erprobung war Schau- und "Arbeits"platz das Sonnora von Dreisternekoch Helmut Thieltges in Dreis.

Anschauungsobjekt war meine vorletzte Flasche Bruno Paillard Nec Plus Ultra 1990, dégorgiert im Juli 2002. Ein mächtiger Champagnerriese. Gläser, die diesem Champagner gerecht werden wollen, müssen Vieles können. Sie müssen mit Holznoten umgehen können, sie müssen Reifenoten am Gaumen ausliefern und sie müssen Säure an den Mann bringen können. Sie sollen den weinigen Charakter des Champagners betonen und die Herkunftslinien von Chardonnay und Pinot Noir nachzeichnen. Ein gutes Glas für diesen Champagner muss den Champagner reif und lebendig wirken lassen, seiner Komplexität und aromatischen Vielschichtigkeit gerecht werden, ohne den Trinker mit Eindrücken zu überfrachten. Meine stärksten Eindrücke waren diese:

1. Burgund:

Himbeerig, ätherisch, schwebend, fein, leicht; pilzig und feinmorbid

2. Bordeaux:

Konzentrierter im Mund, druckvoller als das Burgunderglas.

3. Universal:

Vanillig, Bäckereiaromen in der Nase, Apfelsäure im Mund.

4. Süßwein:

Reifenoten, pricklig, flott, kompakt.

5. Riesling:

Zurueckhaltende Nase, süsser Mund.

Fazit:

Das Burgunderglas ist am stärksten und eine hervorragende Ergänzung zum Süßweinglas, wenn man es mit Champagnern zu tun hat, die durch ihre Reife und Macht zur Herrschsucht neigen. Das Universalglas und das für Riesling schienen mir am schwächsten, das Süßweinglas als Standard blieb nicht viel, aber merklich hinter Burgund zurück, wobei es die eckigere, ruppigen und harten Komponenten betonte. Dieser Unterschied rechtfertigt für mich eine Anschaffung der Burgundergläser selbst wenn ich wenig Stillwein trinke. Aber einige besondere Champagner haben es verdient, daraus getrunken zu werden.

Reingespitzt bei Yves Ollech und Andree Köthe im Essigbrätlein (**/18), Nürnberg

Wohlauf, die Luft geht frisch und rein,
wer lange sitzt, muss rosten.
Den allerschönsten Sonnenschein
lässt uns der Himmel kosten.
Jetzt reicht mir Stab und Ordenskleid
der fahrenden Scholaren.
Ich will zur schönen Sommerszeit
ins Land der Franken fahren,
valeri, valera, valeri, valera,
ins Land der Franken fahren!
(Frankenlied; Viktor von Scheffel)

Seit Jahren hat es in Nürnberg genau eine Restaurant-Adresse, an der es für gourmetgeneigte Frankenbesucher kein Vorbeikommen gibt. Das gemütliche kleine Essigbrätlein am Weinmarkt. Auf das angenehme Tun von Gastgeber Ivan Jakir an der einstigen Wirkungsstätte von Rebellensommelier Billy Wagner lächeln zwei Michelinsterne wohlwollend herab; der Gault Millau gewährt Yves Ollech und Andree Köthe verdiente 18 Punkte. Ich habe mich sehr gefreut, in der schönen, allerdings beim Champagner von den allgegenwärtigen Namen großer Häuser dominierten Weinkarte die Ursules von Cedric Bouchard zu finden. Über den sehr fair bepreisten und in der Gastronomie wirklich nur ganz selten anzutreffenden Clos St. Hilaire von Billecart-Salmon für knapp unter 400 € habe ich mich natürlich auch riesig gefreut. Doch sollte meine beste Wahl zum Menu eine andere sein: Vouvray Demi-Sec 1998 von Huet! Für lachhafte 38 €/Flasche oder noch weniger, das habe ich in der Euphorie ganz vergessen. Denn nichts passt besser zur Küche des Essigbrätleins, als dieser Wein und vielleicht noch einige ganz großartige reife Rieslinge von der Mosel und meinetwegen noch Clos de la Coulée de Serrant aus den Siebzigern und frühen Achtzigern und weißer Musar oder so.

Einige Grüße aus der Küche, in schneller, aber noch nicht ungemütlicher Folge serviert, bildeten den Auftakt und wiesen die aromatische Richtung.

Die gelbe Tomate mit Nachtkerze und Knusperamaranth war genau das, was die Küche des Essigbrätleins zeigen will, wenn ich sie richtig verstanden habe. Scheinbar einfache, durch Unverstand und Sinnloskonsum nicht-mehr-alltäglich gewordene Produkte, deren eigene Aromatik schon Innehalten lassen sollte und die von Yves Ollechs Küchenkunst so faszinierend verbunden werden, dass man fast erschrickt, was aber auch am mutigen und von mir stets unterstützten Säureeinsatz liegen kann.

Quittenblüte mit gehobelten Macadamiaspänen. Von nussigeren Aromen bestimmt, nicht so säurelastig.

1. Broccoli mit Johannisbeere. Broccoli ist ja nicht viel mehr als ein läppische Beilage, dachte ich immer. Eine Beilage, die mir oft lieber ist, als Blumen- oder Rosenkohl, aber eben nichts dolles. Daraus machte Yves Ollech dann aber doch etwas dolles, indem er unreife Johannisbeeren dazugab. Den Säureüberfall hatte er mit einigen Vorabgrüßen aus der Küche schon angekündigt, daher kam er nicht so ganz überraschend; was überraschend kam, war das Geschmackserlebnis, die Art, wie Broccoli und Johannisbeere eine alchimistische Hochzeit feierten. Süße und Eigengeschmack vom Gemüse, Säure und Textur der Beerenbeigabe waren schlichtweg großartig.

2. Saibling mit Roter Bete. Ich hatte es schon im letzten Jahr mehrfach betont: der Einsatz von Roter Bete möge doch bitte sparsamer und bedachtsamer stattfinden und ist fast schon nicht mehr zu rechtfertigen, insbesondere einer seriösen Sterneküche kaum angemessen und richtiggehend unzu-, ja unerträglich. Im Fall des Essigbrätleins bedarf es einer Relativierung, nein einer Abbitte. Nicht nur, dass der Gang in seiner betörenden Einfachheit vollkommen gelungen war, sondern eine Küche wie die des Essigbrätleins kann solcherlei zu Modezutaten verkommenen Wurzeln auch glaubwürdig einsetzen, was in meinen Augen den alles entscheidenden Unterschied ausmacht. Bombastisch gut war der Saibling, der in einer Molke mit Kiefernnadelessenz serviert wurde, das ergab eine milde Schärfe, pikante Säure, würzige Erdigkeit, ein erschütterndes Waldaroma.

3. Bohnen mit Pistaziencrème. Etwas müde und allzu grün kam mir das Bohnengericht vor, die Pistazien wirkten nicht und einen ganzen eigenen Gang wären mir die Sachen im Ergebnis nicht wert gewesen.

4. Seeforelle mit Pfifferlingen. Sehr versöhnlich wirkte die Forelle, obwohl ich kein Fan von Surf & Turf und weiter gefasst kein Fan von Meeresfrüchten in einer wie auch immer gearteten Kombination mit Pilzen bin. Auf dem Hauptmarkt in Nürnberg habe ich noch wenige Stunden vorher frische und laut Werbeanpreisung "sehr gute" Trüffel gesehen, auch sog. Champagnerkorken und einige Pfifferlinge, die meinen Appetit geweckt hatten. Eine gewisse Auflösungserscheinung im Dogma war also schon vorhanden und daher meine Ablehnung von Forelle mit Pilzen nicht so strikt wie sonst. Spätestens das Gericht selbst hätte mich allerdings erweicht, so stimmig und feinwürzig war alles. Ein echter Dialog vom Meer zum Land und zurück, wie man ihn sich scheinbar in den Achtzigern und teilweise noch in den Neunzigern auf bis heute bespöttelten Speisekarten vorgestellt hat.

5. Lamm mit Lauch. Das wahrscheinlich beste Lamm meiner dynamischen Esserkarriere habe ich im Essigbrätlein gegessen. Am 29. August 2013. Punkt. Minimalistisch mit geschmortem Lauch serviert und wenn noch irgend etwas anderes ähnlich Gutes hinzugekommen wäre, hätte ich vor Glück wahrscheinlich das Bewusstsein verloren.

6. Aprikose mit Lindenblüten. Der Süßkram war in Ordnung, die Linde passte als blumiges Element mittlerweile schon gewohnt gut.

Im Essigbrätlein wird gewürzt, wie es sich gehört. Mutig bis provokativ, mit einer Konsequenz, Überlegenheit und Expertise, die für sich genommen einen dritten Stern verdient hat. Ähnlich belebt, wenngleich bei jedem auf eine völlig andere Art, habe ich bei Nelson Müller gegessen, der sich durchaus für den zweiten Stern empfehlen könnte, sowie von Tim Raue und in bisher aromatisch auf die Spitze getriebener Form bei Peter-Maria Schnurr im Leipziger Falco.

Reingespitzt: Stadtpfeiffer im Gewandhaus, Leipzig (1*GM, 17 Gault-Millau)

Mit einem Stern im Guide Michelin allein ist der im Gewandhaus beheimatete Stadtpfeiffer von Detlef und Petra Schlegel noch kein soolcher Exot in der mitteldeutschen Küchenlandschaft; aber mit 17 Punkten im Gault Millau befand er sich lange Zeit auf Augenhöhe mit dem Zweisterner Falco von Peter-Maria Schnurr (jetzt auf 18 Punkte angehoben), wenige Meter entfernt im Dachgeschoss des Westin Grand und das machte mich dann doch sehr neugierig.

Freundlich, flott und unkompliziert ist der Empfang, das Restaurant ist überschaubar im Glaskasten rechts des Eingangs zum Gewandhaus untergebracht, von den meisten Plätzen aus kann man rausblicken auf das abendliche Leipzig. Die Weinkarte ist ordentlich, die Champagnerauwahl klein, aber erfreulich. Dufour, Vouette & Sorbée, Tarlant lächeln mir entgegen. Nur leider ist nicht immer alles da. Die Vouette-Pulle zum Essen musste ich mir genau deshalb abschminken. Egal, Dufour und Tarlant leisteten gleichfalls gute Dienste, der Vouvray bestach hingegen nicht. Gleich flaschenweise hätte ich am besten den Riesling von Clemens Busch geordert, der ging nämlich so zwanglos weg, wie selten zuvor, was aber in nicht unbeträchtlichem Maße Verdienst meiner Begleitung war. Groß war außerdem die Freude, den Gastwinzer der 2012er Tafelrunde des Klitzekleinen Rings auf der Karte zu finden und den Weßburgunder von Matthias Hey ließ ich mir daher sehr gerne und gut schmecken; item den Riesling aus dem Hause Becker, unter den Stillweinen machte abschließend eine gute Figur der zielgenau empfohlene Chinon zum Reh. Schwer verzeihlich nur der Patzer, mir Champagnermineralität mit der Nähe zum Meer, speziell zum Atlantik, erklären zu wollen.

 

I. Die Weine

1. Champagne Robert Dufour Bulles du Comptoir

Weißburgunderfan werde ich beim Champagner nicht so schnell, das neben Pinot Noir und Chardonnay eingeflossene Drittel Pinot Blanc in diesem mit 3 g/l dosierten Champagner gab sich mit einem leichten Fenchelton die Ehre und ersetzte mühelos einen kleinen Chicoréesalat mit Grapefruitfilets, leichtem Joghurtdressing und einer Prise Pfeffer.

2. Champagne Tarlant Rosé

Entgegen meiner ersten Erwartung gab es leider nicht den undosierten Tarlant Rosé, den ich gerade in der Gastronomie und im Glasausschank besser gefunden hätte. Der herbfruchtige, dunkelbeerige, etwas einfacher als der Zéro wirkende Rosé ließ sich trotzdem gut auf die ersten Gänge ein.

3. Vouvray Huet Reserve 2002

Sehr schöner Vouvray, der mich lange zögern ließ, ob er nicht doch auch ein paar Gänge würde begleiten dürfen, aber dann schien er mir am Ende doch nicht straff genug und musste sich gegenüber dem Champagner geschlagen geben, was aber ganz und gar keine Schmach bedeutet.

4. Clemens Busch Pündericher Marienburg Spätlese 2010

Jahaa, der ging so schön die Gurgel runter und passte einfach zu allem, da wusste nicht nur ich sofort, warum Moselriesling im fruchtigen Bereich das Maß aller Dinge ist.

5. Matthias Hey Weißburgunder 2011

Den Naumburger Steinmeister aus dem Barrique fand ich bei der 8. Tafelrunde des Klitzekleinen Rings ganz fabelhaft und ich zähle ihn weiterhin zu den besten fassausgebauten Weißburgundern der näheren Zukunft; der im Stahltank vergorene Naumburger Weißburgunder, den ich im Stadtpfeiffer trank, war nicht so schmelzig, dicht und kraftvoll, sondern naturgemäß schlanker und drahtiger, was ihn zum willkommenen Essensbegleiter machte.

6. Friedrich Becker Riesling Sonnenberg GG 2009

Weißer Pfirsich, Mineral, eine leicht alkoholisch verbreiterte, glücklicherweise nicht herbbittere Spur, die den Pfälzer zu erkennen gibt. Trotzdem gut gefasst, nicht verquollen, insgesamt eher kühl und zum Essen gut geeignet.

7. Château de Coulaine Clos de Turpenay Chinon 2006

Alte Cabernet Franc Reben ergeben hier einen bemerkenswerten Wein. Kräuter, Leder, Teer, Veilchenlakritzbonbons, Lavendel und gehörig Pyrazin, fein ineinander verwoben und sehr dicht gewirkt, dabei flink und geschmeidig wie das Reh, zu dem ich den Wein mit enormer Freude getrunken habe.

 

II. Das Menu

1. Taube, Perlhuhn, Mangold

Geleeummäntelt kamen die Geflügelstücke an den Platz und verzehlrten sich gut mit dem am Tellerrand platzierten gerösteten Brioche. Unnütze Deko wie Saucentupfer, Pülverchen oder die vielfach zu bekrittelnden Puréestriche störte nicht, bzw. hielt sich in erträglicher Grenze.

2. Hummer und Grillgemüse

In gleicher Form wie das Geflügel kam der unverhunzte, aromatisch einwandfreie Hummer, Saucenpunktkleckser und sparsam fahnenmastartig aufgestelltes Knusperzeugs nehme ich der Küche nicht übel.

3. Muskatkürbis, Ravioli, Krokant

Erstes Glanzlicht war der in Suppentasse präsentierte Kürbis. Farbenfroh, aufgelockert, kernig, mit dem richtigen Mix aus Knusper, Weichheit, Kernigkeit, Füllung und Suppe/Sauce.

4. Steinköhler, Fenchel, Pernod

Der Steinköhler war ebenfalls tadelfrei, schmackhaft angerichtet, ging mit Fenchel und Pernod eine risikolose Allianz ein und machte Lust auf Nachschlag.

5. Rehrücken, Rote Bete

Ganz traumhaft war das Reh. Das Arrangement auf dem Teller wirkte etwas willkürlich bis unbeholfen, ist aber eh geschenkt. Wer ein so sagenhaft gutes Reh macht, muss nicht mehr viel arrangieren, der Anblick der saftigroten, perfekt gegarten Stücke allein ist Arrangement und Augenschmaus genug.

6. Lamm, Olivenpurée, Safran

Das Lamm konnte da nicht mithalten und war gut, überragte aber nicht und muss sich optisch Punktabzüge gefallen lassen, wo das Reh ungeschoren davonkommt. Die Portion wirkte groß, war sie auch, aber vor allem wirkten die Komponenten optisch nicht aufeinander abgestimmt; geschmacklich gab es keine Beanstandung, das fiele bei der wieder risikoarmen Kombination aber wohl sowieso schwer.

7.1 Vacherin Mont d'Or und Topinambur

Wie eine Joghurtspeise sah der geschmolzene Vacherin aus, mit dazugestreuselten Topinamburflakes, bzw. hineingepflanzten -knusperstangen. Schmeckte erwartungsgemäß gut, riss mich aber nicht mit.

7.2 Epoisses, grüner Apfel, Koriander

Kontrastreicher, spannungsvoller und trotz ähnlicher Präsentation auch optisch ansprechender, wenngleich farblich eher blass, war der reife geschmolzene Epoisses mit dem erfrischenden und hochgradig bis übergenau apfeligen Apfeleis und dem Koriander, das Knusperbrettl hätte ich dazu nicht gebraucht, aber auch das hielt sich ja noch im Rahmen.

8. Birne, Streusel, Zimt; Bitterschokolade und Amalfizitrone

Über die beiden Desserts kann ich nicht viel berichten, davon habe ich nur löffelchenweise bei meiner Begleitung gekostet und fand alles trotz des erreichten Sättigungsgrads noch schmackhaft und aromenintensiv.

Fazit: Im Stadtpfeiffer gibt es das Gegenteil von Risikoküche, wie sie im Falco zelebriert wird. Jeder Gang ist stimmig, die Präsentation verzichtet auf unnötige Effekthascherei, was leider auf Kosten der Abwechslung geht, denn die Gerichte sehen sich teilweise sehr ähnlich (Taube und Hummer; die beiden Käse). Die Weinkarte müsste – durch großzügigere Bevorratung leicht aber teuer umsetzbar – im Champagnerbereich mehr von dem halten was sie verspricht. Der Service ist freundlich, unaufdringlich, schnell, persönlich und sympathisch. Wer Angst vor Bürgerschreck Schnurrs Küche hat, findet im Stadtpfeiffer einen Hort der kulinarischen Behaglichkeit auf adäquatem Niveau.

Reingespitzt: Coquille St. Jacques, Neuwied (1* GM)

In das nächst Koblenz gelegene Neuwied zog mich, von Damenbekanntschaften gelegentlichen Geschäftsterminen abgesehen, nie etwas. Bis ich eines Abends im Koblenzer Gavino betrunken am Tresen eingeschlafen bin zufällig Florian Kurz kennengelernt habe, der das Gourmetrestaurant Coquille St. Jacques in der ehemals fürstlich Wied'schen Residenz, dem heutigen Parkrestaurant Nodhausen von Familie Kurz führt. Im Jahr 2008 eröffnet, gab es bereits Ende 2009 den ersten Stern. Die Weinkarte von Vater Armin Kurz ist kenntnisreich und liebevoll aufgebaut, geizt nicht mit Gemmen aus der Region. Eine davon diente mir als Eröffner: Weingut Selt, Leutesdorfer Riesling-Sekt Brut 2010; hinterließ, nachdem Leutesdorf zwar nah, aber mir nicht sehr präsent ist, einen guten ersten Eindruck bei mir. Die Säure hätte ich mir für die ersten Gänge etwas ausgeprägter gewünscht, aber wenn man den Sekt als reinen Apéro nimmt, ist er nicht zu beanstanden. Schlanker Mittelrhein-Riesling-Sekt, von dem es ruhig mehr geben dürfte. Als Begleitung durch das Essen habe ich den jetzt schon sehr feinen Wagner-Stempel Heerkretz 2008 ausgewählt.

Opener: Amuses (Schweinespeck, Miniburger, Thunfischhappen) und eine sehr appetitliche, liebevoll angerichtete Brotauswahl. Die Befürchtung, aufgepoppte Schweinespeckstücke, Crumbles, Hippen, Glaszuckerdeko und sonstiger Modekram könnten den Menugenuss trüben, musste ich nur kurz hegen. Schon bei den ersten Andeutungen aus der Küche zeigte sich nämlich eine ruhige, aromensichere Hand an Werk, mit geringen, mich nicht belastenden Zugeständnissen an den grassierenden Foodpornfetischismus, dem nichts spektakulär genug arrangiert sein kann.

1. Foie Gras mit Mispel, Joghurt und Haselnuss

Großzügig kam die Foie Gras in Variationen auf den Teller. Einen schönen Contrapunkt zur Leber setzte die Mispel, die sich in Tüpfeln auf dem Teller und als zwischengeschobene Lage im Foie-Gras Würfel befand. Die Kombination mit Haselnuss und Joghurt war schon recht sättigend und führte en passant den Heerkretz an seine Grenze.

2. Saibling mit Kartoffeln, Gartenkräutern und zweierlei Kaviar

Farbenprächtig dann der Saibling mit der Kartoffelernte, am Kaviar wurde nicht gespart. Huflattich und Knusperhippen gingen bei den deutlichen Aromen von seafood und Erdapfel unter, dienten aber sowieso nur zur Dekoration. Sekt und Wein machten sich dazu gleichermaßen gut.

3. St. Pierre mit Pinie, Avocado und Limonen-Beurre Blanc

Meine Begleitung, die mit Avocado sonst nicht sehr viel anfangen kann, war positiv von dem Butterbirnengeschmack angetan, was auch bei mir vor allem daran lag, dass die frische Beurre Blanc der Avocado einen schlanken Auftritt verschaffte, der sehr gut zum Sanktpertersfisch passte und ihn nicht erdrückte. Eine gute Wahl dazu war der Riesling, der sich mit Beurre und Avocado ebenso unmittelbar anfreundete, wie mit Pinie und Fisch.

4. Rotbarbe und Calamaretti mit Sellerie, Zitrone und Kaffee

Mit karibischer Farbenpracht kam die feine Rotbarbe zum Zug, Sellerie und Zitronenfleisch erwiesen sich als erstklassige Begleiter zu dem kross und einladend auf Röllchenbett dargebotenen Fisch, dessen Röstnoten der Kaffee dankbar zurückspielte. Der Wein kam mit Sellerie und Kaffee bestens klar, die Zitrone erwies sich als Herausforderung.

5. Kalbsbries, Steinpilze, Lauch

Eine gehörige Portion Kalbsbries gab es im Anschluss, geschmacklich ganz auf der Höhe der Fischgänge, dargeboten ohne großen Firlefanz, mich konnte lediglich der Lauch nicht so sehr begeistern, was allein daran liegt, dass ich kein Lauchfan bin. Dafür kann ja die Küche nichts. Steinpilze und Bries gingen mit dem Heerkretz wunderbar glatt runter, für die agile Säure des Weins war ich, doch schon reichlich gesättigt, in dem Augenblick besonders dankbar.

6. Campari Orange

Der dekonstruierte Apéritifklassiker kam als Variation von Orangentexturen an den Platz. Ein erquickendes Sorbet, ein fruchtiger Würfel, Geltropfen und eine ausgezogene Orangenbahn bildeten das Diorama, lediglich an den in der Tellermulde liegenden Würfel wurde der Campari angegossen und liess sich dann bequem mit der Orange weglöffeln.

7. Birne Hélène

Die Birne Hélène war reichlich bemessen und präsentierte sich in ihren verschiedenen Komponenten, die ich nur in kleinsten Dosen probierte, für gut befand, im wesentlichen aber meiner Begleitung überließ, die sich den Gang schließlich bestellt hatte, um ihn selbst zu verzehren.

Fazit:

Nach dem Weggang von Patrick Maus (ex Pur 1* GM) hat die Region Koblenz mit dem Coquille St. Jacques nur noch aber andererseits: immerhin eine Bastion des guten Geschmacks, die es verdient, häufig und ausgiebig besucht zu werden. Das Essen ist auf hohem Einsternniveau und kommt wohltuenderweise mit dem Glanz seiner Zutaten aus, ohne dass es tiefgreifender molekularer Eingriffe oder optischer Faxen bedürfte. So bleibt mehr Zeit für den im Grand Menu durchaus reichlich bemessenen Genuss, zu dem auch der flotte, unaufdringliche, sehr hilfsbereite und freundliche Service gehört. Keine Spur von Belagerung des Tischs oder haarkleiner Erklärung jedes Härchens auf dem Teller bis das Essen kalt ist, sondern eher eine kleine Erinnerung an das was in der Reihenfolge nun kommt nebst Kurzeinweisung in den Gang, die auf Nachfrage prompt vertieft wird. So wünscht man sich das.

Grand Chapitre 2012 im Park-Hotel, Bremen

Jedes Chapitre hat seine höchst eigenen Denkwürdigkeiten. Mal sind es die Champagner, mal die prominenten Gäste, die versammelten Sterneköche oder der Ort des Geschehens. Was alle Chapitres gemeinsam haben, ist die bombastische Stimmung, die sich Jahr für Jahr im Laufe eines gepflegten Dîners am Tisch entwickelt und in den aberwitzigsten, hier nicht zu erörternden Situationen kulminieren kann, aber nicht muss. Dieses Jahr war der offizielle Teil des Chapitres aufgrund der vielen bekannten und befreundeten Gesichter direkt ein Heimspiel. Hätte ich nicht am nächsten Tag schon um die Mittagszeit wieder in Essen sein müssen um dort drei verschiedene Seminare am Stück zu leiten, wäre ich auch nicht bereits um kurz vor 5:00 Uhr zu Bett gegangen, sondern hätte die After-After-Party noch weiter perpetuiert und die Grenzen des menschlich Machbaren verschoben. So wurde daraus erstmal nichts, schön war's trotzdem.

 

I. Apéritif

1. Lanson Extra Age Blanc de Blancs

Der Startapéritif kam aus dem Keller von Jean-Paul Gandon und basiert auf 2005er Chardonnay mit Reserven aus 2004 und 2003. Gegenüber dem einfachen als Black Label bekannten Non Vintage reift er etwas länger, was ihm, da Lanson auf BSA verzichtet, etwas mehr Weichheit und Fülle verleiht. Zu einem richtigen Multi Vintage im Stile von Grand Siècle oder Krugs Grande Cuvée reicht es indes nicht. Wer Apfelblüte, Lemon Curd und Mandelnoisette mag, ist hier gut aufgehoben.

2. Pommery Apanage Rosé en Magnum

Rauchiger, würziger, natürlich mit erheblich mehr rotem Fruchtanteil und einer magnumtypisch überlegenen Attitüde folgte mit leicht wippendem, vom fast hälftigen Chardonnayanteil beschwingtem Gang der Rosé von Pommery, den ich nicht unbedingt besser fand, selbst auf Mittelstrecke und dort hinzutretender Pinotweinigkeit nicht. Mich sprach die professionelle Frische des Blanc de Blancs von Lanson mehr an.

3. Alfred Gratien Millésime 1999

Einen deutlichen Zahn zu legte daraufhin der handdégorgierte 99er Alfred Gratien, den ich nur ungern verlässlich nennen will, weil mir das zu gutsherrlich klingt. Gleichzeitig ist Alfred Gratien kein Champagner, dem man besondere Sexyness nachsagt, andere haben es da leichter. Warum, ist mir nicht klar. Denn die Champagner von Alfred Gratien sind mir in den letzten mindestens zehn Jahren noch nicht ein einziges Mal negativ, dafür praktisch immer positiv aufgefallen. Diesen Abend dasselbe. Leicht kompottige Aromen, Druck und Säure, ein Champagner, der aufmerksam werden lässt.

4. Cuvée William Deutz 1998 en Magnum

Der Alfred Gratien 1999 war arg dicht dran, am William Deutz. Der hatte merklich Mühe, sich des barriquevinifizierten Verfolgers zu erwehren und musste alle Register seiner Prestigewürde ziehen, d.h. vor allem in den Bereichen Eleganz, Komplexität, Aromenbreite bei gleichzeitiger Präzision in den Außenbereichen und unmerklich tragender Säure glänzen. Da war er teilweise so ununterscheidbar eng neben dem Alfred Gratien, dass die Entscheidung, welcher der beiden Champagner mir an dem Abend besser gefiel, reine Gefühlssache ist. 

 

II. Menu aux Champagnes

Norman Fischer vom Hotel-Restaurant La Terrasse (* GM) lieferte saubere Arbeit ab, ohne bei den regulären Gängen Kapriolen zu schlagen. Die kamen dann in schmackhaftester Weise beim Dessertoverkill.

1. Foie Gras mit geeistem Ziegenjoghurt und Süßholz, dazu Drappier Millésime Exceptionnel 2002 en Jéroboam

Wie gut hätte hier der Pommery Rosé zum Ziegenjoghurt gepasst, sich mit dem Süßholz paaren können und der Foie Gras Paroli geboten – zum Glück waren die Apéritifchampagner noch nicht völlig ausgetrunken, so dass der erste Gang kein Reinfall wurde, da der an sich gute 2002er Drappier hierfür zu zahm und hilflos wirkte.

2. Limfjord-Auster pochiert mit Blumenkohl und Zitrone, dazu Nicolas Feuillatte Blanc de Blancs 2005

Der Chardonnay mit dem wogenden Wiegeschritt, einer etwas reichlicher ausgestatteten Walzerdebütantin nicht unähnlich. Passte besonders gut zum Blumenkohl, von der Auster ganz zu schweigen. Die Zitrone ersetzte die im Champagner von mir vermisste Säure so gut, dass die Zusammenstellung als stimmig durchging.

3. Kaisergranat mit Birne, Bohne und Speck, dazu de Saint Gall Blanc de Blancs Orpale 1998

Den Speck gab es als Crumble, was ich als Unart empfinde. Sonst war der Gang gut, höchstens der Granat für meinen Geschmack zu weich. Der de Saint Gall, der für sich genommen nicht zu den schillerndsten Champagnerpersönlichkeiten gehört, trat zu den Speisen nicht mit dem Anspruch an, allem einen genialischen Überzug zu verleihen, sondern bot solide Unterhaltung. Apfeltarte, ein frischer Mürbeteig, ein herbes finish.

4. Kalbsrücken, Boudin Noir, Minilauch, dazu Moet et Chandon Grand Vintage 1995

Der Kalbsrücken war fein, die französische Blutwurscht etwas aufwendig in Teig eingepackt und dadurch erst nach dem Auslösen voll schmeckbar. Beides passte sehr gut zum reifen 95er, der sich immer mehr als Schläfer des Jahrzehnts erweist und nun erst so richtig aufzutauen beginnt.

5.1 Dessertvariationen "Erde", dazu Veuve Clicquot Rare Vintage 1988

Ein sehr hartes Rennen lieferte die Veuve ihrem sieben Jahre jüngeren Konzerngeschwisterchen. Die guten Desserts habe ich gesondert davon weggenascht, nicht nur, weil ich Desserts und Champagner ungern kombiniere, sondern vor allem weil der Vergleich zwischen Moets 95er und Veuves 88er so fesselnd war.

5.2 Dessertvariationen "Frucht", dazu Duval-Leroy Lady Rose Sec

Sehr glücklich war ich mit der Kombination des nicht genügend süßen Lady Rose und den überreichlich vorhandenen Desserts. Es ist doch in Wirklichkeit so, dass Champagner besser noch zu essighaltigen Speisen schmeckt – das wird jeder sofort bestätigen, der einen robusten Bauernchampagner zu einem ebenso robusten Salade Perigourdine mit einer Vinaigrette, die ernstgenommen werden will, verzehrt hat -, als zu Süßem. Warum trotzdem immer wieder Champagner und Desserts kombiniert werden, begreife ich nicht. Wahrscheinlich, weil dann eh schon alles egal ist und seriöse Gourmets in diesem Stadium schon entschlummert, mit der Zigarre, ihrer Tischnachbarin oder jedenfalls anderem zugange sind, als Champagner und Dessert gleichermaßen? Ich bin ehrlich überfragt. Den Lady Rose habe ich trotzdem gern getrunken und zwar zu einer schönen Davidoff Millennium Blend Robusto, was diesen Teil des Abends bestens beschloss.

La Vision (**GM), Köln

 

Opener: Raumland, Triumvirat 2005, dég. 1/12. Zum Essen gab's Bollinger Grande Année 2002.

Einleitung: Gillardeau mit Kaviar und Verjus. Erquickender Start.

1. Schwertmuschel/Gurke

Die confierte Schwertmuschel mit eingelegtem Sanddorn und dreimal Landgurke gefiel mir unmittelbar nach der Auster sehr gut. Der Gurkentonic war gut und nicht so groß, dass man das Gefühl hat, ein Gurkenwasserglas austrinken zu müssen. Besser noch gefiel mir das erfrischende Gurkensorbet. Trotzdem muss ich bemängeln, dass es mittlerweile zu viel Gurke im Restaurant gibt. Ich liebe zwar gutes Gurkenaroma und habe die ersten in der Sternegastronomie auftauchenden Gurken aus vollem Herzen begrüßt, ebenso die verschiedenen Beten, Kugeln und Rüben; aber langsam reicht es damit auch wieder.

2. Forelle/Melone

Aus dem Königssee stammte die Forelle, die mit zweierlei Wassermelone und Fenchel-Soubise serviert wurde. Eine sehr günstige Kombination, obwohl der grüne Melonenteil aromatisch nicht sehr ergiebig war. Bollingers Grande Année 2002 dominierte bei diesem Gang den ergänzend eingeschenkten Comtes Lafon Meursault Clos de la Barre und den obendrein als Kontrast dazugesellten Bürklin-Wolf Ungeheuer 2007

3. Steinbutt

Der Fisch kam auf Sesambett mit einem dreijährig gereiften chinesischen Sojasaucencrumble. Dazu standen sich Riesling – weiterhin Bürklin Wolf – und Champagner als unversöhnliche, doch ebenbuertige Konkurrenten gegenueber, sekundiert vom Meursault, der sich merklich schwertat, mit den Asiakomponenten.

4. Brathering

Marinierte Streifen vom grünem Hering in klarem Bratheringssaft mit Petersilienwurzel und Perlzweibeln. Meine Lübecker Oma selig hätte den Brathering auch nicht besser gemacht. Stag's Leap 2008 geht dazu, verpflichtet aber nicht. Der Champagner tut sich auch schwer. Pils hätte es wohl am besten getan, oder noch besser ein schöner Fino.

5. Pulpo/Lamm

Leicht gepökelte Lammzungenscheiben mit confiertem Pulpo, Bouillongemüse und Meerrettich. Beim Pulpo auf dünn geschnittener Zunge mit etwas süssem Gemüse und hochgradig gelungenem Retticheis brilliert vor allem der Meursault. Bolly schlaägt sich wacker, den Riesling hatte ich zum durstlöschen schon längst vertilgt, deshalb konnte er hier ohne Schuld nicht glänzen.

6. Kaninchen aus der Charente

Das Beste vom Kaninchen mit zweimal Avocado, Macadamianüssen und "geräuchertem" Daikon -Rettich. Zart! Erstaunlich, wie gut Rettich und Nüsse, bzw. Avocdo harmonieren. Klarer Fall für den Champagner.

7. Comté/Zwiebelsud

Der Bergkäse aus dem Jura „heiß/kalt" serviert, das heisst als Raviolo, geschmolzen, mit Sud und Brioche. Am besteen gezähmt mit Stag's Leap und direkt danach Grande Année. Unglaublich sättigend, außergewöhnlich würzig und durstverursachend wie ein halber Liter destillierten Wassers.

Finish: Patisserie und Cognac Remy-Martin Louis XIII.

Der kleinen süßen Schweinereien waren viele und das beste an ihnen ist, sie langweilten nicht. Ich bekomme nicht mehr alle zusammen, aber es war von fruchtig bis tiefdunkelschokoladig alles dabei. Was passt zu einer so reichhaltigen Aromatik besser als ein großer Cognac? Richtig: nichts. Deshalb war der Louis XIII. exakt der richtige Begleiter zum runterspülen und als vorweggenommenes Betthupferl.

Fazit: Restaurants, die in luftiger Höhe untergebracht sind, sollte ich wohl häufiger besuchen.

 

Chance to Dance: Restaurant Falco, Leipzig

Chance to Dance ist der Titel von Falcos erster Single und damit automatisch der richtige Soundtrack für die Fahrt nach Leipzig, dem Pleiß-Athen, wie es von den Studenten des 19. Jahrhunderts noch genannt wurde. Denn natürlich kommt zur Vorbereitung für einen Besuch im **GM Restaurant Falco nur Musik von Johann Hölzel, a.k.a. Falco, in Frage, der seinen Künstlernamen von dem aus Pleiße stammenden Falko Weißpflog hat und damit so viel Bezug zum Restaurant Falco, wie der damals bekannte DDR-Skispringer zu den im Dach des als Restaurantherberge dienenden Westin-Hotels nistenden Turmfalken. Chance to Dance ist der Restaurantbesuch im Falco aber auch unabhängig von der Musik. Denn die Risiko-Küche von Peter Maria Schnurr hat das Zeug, selbst ausgemachte Tanzmuffel in Freudentanzstimmung zu bringen. Klar ist, dass 80er Mucke und Rotterdamer Schranz, oder sagen wir wegen der fröhlichen Farbigkeit lieber Jungle, nicht viel gemeinsam haben und auf den allerwenigsten Parties in enger zeitlicher Folge gespielt werden. Genau das, bildhaft gesprochen, sieht DJ Schnurrs Playlist aber vor. Ich kann es vorwegnehmen: solche Parties besuche ich gern.

1. a) Erdbeerschaum mit Auster, Bisontatar, Blumenkohlvariation, Langustineneistee mit Paprikacrostini, dazu Ruinart Blanc de Blancs

Erdbeere und Auster hätten passen können, passten aber nicht. Wie in dem Witz mit den drei Damen, die auf unterschiedliche Art ihr Eis verzehren muss ich aber die Art, wie der kleine Gruß gedacht war, loben. Köstlich war hingegen das Bisontatar, ein winziger Happen mit enormer Aromenintensität. Blumenkohl und Langustineneistee wirkten etwas farblos und für die kontroverse Schnurrküche sogar allzu konventionell, wobei der knusprige Paprikacrossi zwar nicht der Gipfel an Originalität, aber ein schöner Abschluss und Übergang zum nächsten Gruß war.

1. b) Birnen-Wasserkimchi vom Spitzkohl; Multivitaminjoghurtkugeln; Jalapenomaiscrème; Ricotta mit Kaviar, Rucolacrèmetupfer und Morchelrouille; dazu geröstete Brotstangen und ein Riesenlatschen Knusperfladenbrot, dazu Pawis, Mühlberg Riesling 2011

Das Birnen-Wasserkimchi, mit etwas Champagner zubereitet, kann ich mir in Koea nicht besser vorstellen. Bedingungslos und ohne Abzüge spitzenmäßig passte dazu der Pawis. Auch die kreuzkümmeligen, koriandrischen und insgesamt curryhaften Noten vom Brot nahm der Wein mit Begeisterung an und auf. Die Jalapenomaiscrème hatte denselben Verlangen nach Mehr auslösenden Effekt, wie die im Käsesauce zu Kinonachos, was nicht herabwürdigend gemeint ist. Die Multivitaminjoghurtkugeln hätte ich nicht haben müssen, auch wenn sie leidlich gut geschmeckt haben. Mich störte die dadurch doch wieder zu sehr an Kinofoyers mit ihren Süßigkeitenständen erinnernde Aromennähe. Ricotta, Kaviar und Rucolatupfer waren zusammen mit der Morchelrouille gut.

1. c) Gekochtes Kalbsherz in ultradünnen Tranchen, Granatapfel, Karamellerdnuss und Kohlrabi, dazu Pariente, Verdejo 2010

Eine sehr schöne Kombination ergab sich aus den gekochten Kalbsherztranchen mit den Granatapfelkernen. Exotische Säure und buchstäblich herzhafte Faser trafen so passend aufeinander, dass Kohlrabi und Erdnuss gar nicht mehr erforderlich waren.

2. Pfirsich Gazpacho, nicht zum löffeln; Pimento & Gartengurke; Palourde Muscheln, Rindermark-Cräcker, Soja-Limetten Eis dazu weiter Pariente, Verdejo 2010

Maracujaaroma aus dem Verdejo und die dick über den Tellerrand gefläzte Pfirsichspur waren die herausragenden Kombination des Gangs. Das Soja-Limetteneis kam direkt danach und schmeckte mir solo am besten, ließ sich aber genausogut hemmungslos zu den anderen Komponenten verzehren, auf Augenhöhe war das Gurkencoulis und das nicht nur, weil ich Gurken als Gemüse besonders schätze. Der Rindermarkcräcker war für mich passabel, Knoblauch habe ich überhaupt nicht festgestellt, mit Freude dagegen, dass der Gang rücksichtsvoll und überaus sorgfältig, d.h. an den richtigen Stellen betonend gesalzen war.  

3. Gelierte Boudin Noir Stangen und in Scheiben geschnittene rohe Jakobsmuschel mit Maracuja Tapioka, außerdem Pfifferlinge, dazu Dr. Wehrheim Porteo 2007 und speziell zur Jakobsmuschel weiter der Verdejo

Nicht mehr zu verbessern ist die Blutwurst von Blutwurstritter Marcus Benser aus Neukölln. Dessen Blutwurstmanufaktur ist Lieferant einer Zutat, die in einem der besten von mir verputzen Gänge der letzten Zeit eine wichtige Rolle spielte. Da die Wurst an sich nicht mehr zu verbessern ist, hat Meister Schnurr sie bloß transformiert, d.h. irgendwie molekuar geliert und in eckiger Stäbchenform auf den Teller gebracht. Dazu gab es Jakobsmuschelscheiben mit einem unverschämt guten Fruchtmus und lose darüber gestreut Pfifferlinge. Zu dem Zeitpunkt wusste ich, dass es extrem schwer werden würde, noch besser zu werden. Keine Kombination, die nicht gepasst hätte, Blutwurst mit Muschel, mit Frucht, mit Pfifferlingen, mit Wein, in unterschiedlicher Reihenfolge, in verschiedenen Zusammenstellungen, es schmeckte einfach jede Variante. Besonders bemerkenswert, dass der "Port" vom Spätburgunder so adaptationsfreudig war.

4. Hamachi Gelbschwanzmakrele, Gurke, Tosaka Alge, Avocado und Sojamilch-Zitrus, dazu Weinhaus zu Weimar, Sauvignon Blanc 2011

Die in Buttermilch sous vide gegarte Makrele war der andere Sensationsgang des Abends und glänzte mit einer weniger gewagten, dafür in jeder Zusammenstellung ebenso gelungenen Aromaorchestrierung wie der Blutwurstgang. Gegen den Wein gab es nichts zu meckern, etwas gewagter wäre vielleicht ein Viognier gewesen, aber im Zweifel ist der heimische Erzeuger mir sogar der liebere.  

5. Steinköhler, Karottenbalm, grüner Pfeffer, Papaya-Maggikraut-Gribiche, dazu St. Antony Orbel GG

Der Steinköhler war gut, handwerklich mit derselben Perfektion zubereitet wie die Makrele, konnte aber vom Drumherum nicht mithalten. Die säuerliche Karotte war schlicht nicht mein Fall, die Gribiche hingegen schön, ohne aber aufregend zu sein. Das änderte der Wein, der aus einem ordentlichen Nebeneinander eine komplexe Einheit schuf. Eine Aromencuvée sozusagen, die mehr ist, als die Summe ihrer Einzelteile.

Ein dazwischengeschobenes Kokosflockensplitterchen mit Cassissorbet und Pul Biber kam gerade recht zum durchschnaufen. Cassis und Pul Biber wirkten wie Medizin, die herbe Frucht verband sich mit der pikanten Schärfe zu einem Tonikum, dem das wenig aromatische Kokosflockendings nur als Transportmittel diente.

6. Herzbries vom Limousin-Kalb, Kopfsalatherzen, Jahrgangssardinenpaste, Zitronenschalencrème und dünner Cräcker, dazu Pithon Lais 2009

Die Herzbriesstücke ließen das Herz aufgehen, was an ihrer perfekten Konsistenz lag und daran, dass ich mit gutem Jus bestechlich bin. Das Töpchen mit der Sauce habe ich mir deshalb gleich gesichert und zusammen mit dem dazu passenden Wein weggenascht. Mehr als willkommene Abwechslung für den Gaumen bot die aus 50 Zitronenschalen hergestellte Crème, hinter der die Jahrgangssardinenpaste leider glanzlos wirkte.

7. Secreto vom iberischen Garimorischwein darüber Kiwi-Jalapeno, daneben Paellacrème und roter Gamberoni, dazu Domaine du Mas Blanc Collioure Cuvee Les Junquets

Viel spalterischer, als alle Gänge zuvor war dann das Schweinchen mit Paellacrème und Gamberoni. Das Cuvéeprinzip wollte hier nicht recht greifen. Das Schwein mit dem farblich stärker als geschmacklich kontrastierenden Kiwi-Jalapeno-Streifen mundete erwartungsgemäß gut; die Paellacrème und der Gamberoni auch. Doch zwischen Land und See war kein Einvernehmen herzustellen. Beide wirkten wie eifersüchtig auf Abgrenzung voneinander bedacht und für mich eine Spur zu spannungsvoll. Der Wein milderte das gerade so weit ab, dass die Speisedimension für den Gaumen nachvollziehbar wurde, doch der Gang wirkte bei aller Begeisterung für seine beiden verschiedenen Säulen auch in der Nachbetrachtung wie ein nur aufgrund seiner Medikamentierung Ansprechbarer.

8. Käse, darunter ein gereifter Gapeyron, Früchtebrot, mit Koriander-Zitrone und Soja-Amarena Chutneys, dazu nochmal Dr. Wehrheims Porteo

Aus dem aufklappbaren Klavier-Käseauto kamen mir allerhand Schätze entgegengeduftet, meine Gunst genoss augenblicklich ein sofort erspähter reifer Gapeyron. Die anderen Käse waren natürlich nicht zu verachten, vor allem da sie taggenau affiniert sind. Die Korianderzitrone und das Sojaamarenachutney vervollständigten die Käseauswahl adäquat.

Abschließend gab es Eric Bordelet, Calvados 1995, ein Einzelfasscalvados und quasi der Armagnac unter den Calvadossen.

Überaus wohltuend, schnell, auf natürliche Weise freundlich, unaufgesetzt höflich und professionell ist der Service im Falco. Gastgeber Oliver Kraft ist stets verbindlicher Herr der Lage, Herr der Weine Christian Wilhelm ist mit seinen Vorschlägen bei mir durchweg auf Gegenliebe gestoßen und auf ihn geht übrigens auch der von mir an anderer Stelle voller Vergnügen besprochene alte Cognac im Fischers Fritz, seiner alten Wirkungsstätte, zurück. Die aromatisch verzwickte bis labyrinthische Küche mit passendem Wein zu begleiten, heimischem und gar bezahlbarem obendrein, ist eine Herausforderung, der sich Sommelier Wilhelm mit Bravour und tiefem Verständnis für die Küche von Aromaarchitekt Schnurr gestellt hat.